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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1864
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 3.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Kranz am Marterl.

Eine Geschichte aus dem bairischen Hochland.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Lipp hatte eben seinen Bericht über die Erfolglosigkeit des Zuges beendet, aber weislich den Gedanken für sich behalten, wie sonderbar ihm Sabinens Benehmen erschienen war und welche Vermuthungen sich ihm dabei aufgedrängt hatten. Er fürchtete die Spottlust der Bauern, wenn sie ihm nicht geglaubt und in seinen Reden nur die Regungen argwöhnischer Eifersucht gesehen hätten, er wollte seine Beobachtung für sich behalten, um vielleicht damit eine Waffe zu haben gegen des Mädchens thörichten Eigensinn. „Der Hiesenfranz,“ rief lachend einer der Bauern, „hat falsch geseh’n! Wer weiß was er für einen Tiroler angeschaut hat!“

„Etwa einen alten Baumstock!“ lachte ein Anderer.

Der Bursche, der die Meldung gemacht und dadurch den vergeblichen Streifzug veranlaßt hatte, stand am Feuer und drehte ärgerlich seine Büchse in der Hand. „Wenn Du unterwegs gewesen wärst, Kohlentoni,“ sagte er gereizt, „dann hätt’s wohl sein können, daß ich einen Stock für einen Menschen angeschaut hätt’.“

Lautes Gelächter begleitete die derbe Abfertigung. „Ich weiß es besser,“ sagte dann der Förster, „wenn man ungewohnter Weise bei Nacht im Walde ist, kommt Einem Manches ganz ungewohnt vor … Es ist ein Hirsch gewesen, was der Hiesenfranz gesehn hat, und das Geweih’ kann ihn irrgeführt haben in dem Zwielicht …“

„Sagt, was Ihr wollt,“ sagte der beleidigte Bursche und warf seinen Stutzen auf die Schulter. „Ich bleibe dabei, es war ein Mensch – ich bin nit so blind, daß ich einen Hirsch auf vierzig Schritt für ein Mannsbild und sein Geweih für einen Tirolerhut halten sollt’! Ich hab’ ihn so deutlich gesehn, wie ich Euch vor mir seh’, und hab’ den Pack unterscheiden können, den er auf der Achsel gehabt hat …“ Damit ging er und wandte sich seitwärts in den Wald.

„Einen Pack?“ sagte ein Bauer. „Am End’ ist es Niemand gewesen, als ein unschuldiger Teppich- oder Handschuhhändler, wie sie oft herauskommen aus dem Tirol!“

„Ist eine schlechte Zeit jetzt zu solcher Handelschaft!“ sagte der Förster. „Verdächtig bleibt es immerhin. Wenn es wirklich ein Teppichhändler war, was hätt’ er sich zu fürchten und zu verstecken gebraucht? Drum ist es wohl möglich, daß er den Handel nur zum Schein treibt …“

„Und daß er sich einschleichen und spioniren will!“

„Es kann auch ein Flüchtling sein,“ entgegnete der Förster. „Der Förster von Walgau hat mir sagen lassen, der Marschall Lefèvbre habe alle Tiroler Anführer für vogelfrei erklärt. Die meisten seien fort, und auch der Commandant der Unterinnthaler, welche die Scharnitz besetzt halten, habe sich aus dem Staub’ gemacht. Das ist Einer von den Allerwildesten – darum ist auch ein Extrapreis auf den Kopf des Vomper-Hans gesetzt!“

„Vomper-Hans?“ sagte der Sachenbacher, bedächtig den Kopf schüttelnd. „Ich weiß nit, warum mir der Nam’ so bekannt vorkommt!“

„Das ist leicht möglich! Er hat einmal in hiesiger Gegend gedient – als Fuhrknecht beim Wirth im Krinn. Er ist oft durchgekommen mit seinem Frachtwagen … ein großer, schöner Bursch’, verwegen wie der Teufel und ein Wildschütz erster Classe. Drum hat mich’s der Walgauer Förster wissen lassen, denn wenn der Rebeller zu uns herüber ist und sich auf’s Wildschießen verlegt, könnt’ er sich lang in den Bergen verstecken und die Revier’ sauber zurichten!“

„Und wie lang’ ist das her?“

„Daß der Vomper-Hans im Bairischen gedient hat? Das mag etwas über drei Jahre sein … es war um dieselbe Zeit, zu welcher mein Jagdgehülfe, der Gotthard Recht, sich erstürzt hat über die lange Wand, wenn Ihr Euch noch daran erinnert.“

„Als wenn’s gestern gewesen wär’! Der arme Mensch! Es ist recht schad’ gewesen um den braven Burschen. Man hat’s nie so recht erfahren, wie er eigentlich zu Grund’ gegangen ist!“

„Was ist da viel zu erfahren! Auf den Jäger lauert der Tod bei jedem Schritt … er muß sich eben, Gott weiß warum, zu weit hinausgewagt haben an die Wand und hat den Schwindel bekommen, oder es ist ein Stein’l losgegangen und hat ihn mit hinunter genommen …“

Lipp, auf einem Stumpf im Schatten sitzend, hatte aufmerksam zugehört. „Ich weiß nit,“ sagte er, anscheinend ganz gleichgültig, „mir ist, als wenn ich es geträumt hätt’ … hat es denn nit geheißen, der Jagdgehülf’ sei nit verunglückt, sondern umgebracht und hinuntergestürzt worden?“

„Ganz unmöglich wäre es nicht,“ sagte der Förster nach einigem Besinnen. „Ein Jäger kommt oft mit einem Wildschützen auf gar sonderbare und ernsthafte Art zusammen … aber es hat sich gar keine Spur, nicht das mindeste Anzeichen gefunden für einen solchen Verdacht, und wenn heut’ noch etwas aufkäme, würde es nicht mehr viel fruchten … der wackere Bursch’ liegt im Grab und ist vergessen!“

[34] „Doch nicht so ganz,“ sagte der Sachenbacher. „So oft ich hereinkomm’ und von Weitem an dem Martel vorbeikomm’, hängt ein Kranzel dran …“

„Ja, ja,“ erwiderte der Förster, „das Binl ist ein wackeres, kreuzbraves Mädel, das seinen Schatz nicht so leicht vergißt, wie manche Andere – die bleibt ihm auch noch im Grabe treu. Die Kränze kommen von ihr …“

„Nit allemal, Herr,“ sagte hinzutretend ein Bursche, der auf dem Verhau geschlafen und erst den letzten Theil des Gesprächs mit angehört hatte. „Ich bin heut’ früh mit einer Fuhr’ Bäume hinein auf die Schneidemühl’ … es ist mir zuerst gar nit besonders aufgefallen, aber weil jetzt die Red’ davon ist, kommt’s mir hinterher absonderlich vor … da hab’ ich meine Pferd’ ausschnaufen lassen über der Anhöh’, wo’s hineingeht in die Klamm an der langen Wand – da ist mir ein Tiroler begegnet …“

„Was? Ein Tiroler?“ riefen[WS 1] Alle durcheinander. „Und das sagst Du jetzt erst?“

„Wann hätt’ ich’s denn sagen sollen?“ fragte der Bursche verwundert. „Ist ja noch keine Stund’, daß ich zurück bin und ausgespannt hab’ …!“

„Wie sah der Mensch aus?“ fragte der Förster.

„Nun, wie halt ein Tiroler ausschaut! Ein großer, starker Bursch’ mit einem sakrischen Schnurrbart und auf den Achseln hat er einen Pack Teppich’ getragen – er wird wohl handeln damit!“

„Wirklich?“ rief der Förster. „Also hat der Hiesenfranz doch recht gesehn! Ein Teppichhändler! Und das war schon in der Früh’?“

„Zu Morgens – um ein Zehne herum.“

„Und Abends war er noch hier! Also schleicht er offenbar herum und ist entweder ein Spion oder ein Flüchtling! Aber geschwind – erzähle weiter – was war’s mit dem Tiroler?“

„… Er hat mich gegrüßt und ist rasch an mir vorbeigegangen; ich hab’ ihm so nachgeschaut und hab’ gesehn, daß er in die Klamm hinein ist. Was hat nur der Tiroler in der Klamm zu thun? hab’ ich mir ’denkt, solltest ihm doch Wunders halber nachgehn und schaun, was er macht … Meine Ross sind gestanden wie die Lampeln – also bin ich ihm die paar Büchsenschuß nach und da hab’ ich gesehn, er hat sich vor dem Marterl an der Wand hingekniet und hat eine Weil’ gebet’t – dann ist er zu dem Strauchwerk hin, hat was abgerissen und hat ein Kranzel daraus gemacht – das hat er dann über das Gemäl’ gehängt …“

Alle horchten mit gespannter Aufmerksamkeit, besonders Lipp. „Weiter, weiter!“ drängte der Förster.

„Ich bin in meiner Verwunderung noch dagestanden, wie er wieder heraus ist aus der Klamm,“ fuhr der Bursche fort. „Er ist verhofft, wie er mich erblickt hat, und es ist mir vor’kommen, als wenn’s ihm nit recht wär’ und wann er Handel wollt’ anfangen mit mir. Er hat sich aber besonnen, hat „Gelobt sei Jesus Christus“ gesagt und ist an mir vorbei. „In Ewigkeit,“ hab’ ich geantwortet … und „hast den Jager wohl ’kennt, weil Du ihm gar ein Kranzel bringst?“ … Da hat er mich fuchsteufelswild und doch wieder so gewiß traurig angeschaut … „Ja,“ hat er gesagt – „ich hab’ damals gedient in der Gegend – ich hab’ an den Margarethentag zu denken, so lang’ ich leb’ …“ Damit ist er fort, und ich bin meiner Weg’ gefahren …“

„Höchst merkwürdig und auffallend in der That!“ rief der Förster. „Es ist kein Zweifel mehr, daß hier ein verdächtiger Zusammenhang besteht: gewiß aber ist, daß wir unsern Teppichhändler haben und daß es Niemand anders ist, als der Wildschütz und Rebellencommandant, der Vomper-Hans! Wir müssen unsere Wachsamkeit verdoppeln und eine neue Streife aussenden – er darf uns nicht entgehn!“

Beistimmend und berathend traten die Bauern zusammen. „Und ich mein’,“ murmelte Lipp, bei Seite tretend, vor sich hin, „ich weiß jetzt auch, wer den Jäger hinuntergestürzt hat über die lange Wand … Das kann ich brauchen bei dem starrsinnigen Mädel! Wenn sie ihre Rach’ auslassen kann an dem Mörder, wird sie ruhiger werden … wird ihn vergessen, und dann will ich sie schon erinnern, wer ihr dazu verholfen hat …“

Er wollte unbeachtet fort und den Waldweg zur Alm einschlagen, das Rufen des Hiesenfranz, der athemlos herangelaufen kam, veranlaßte ihn, noch einen Augenblick zu verweilen. „Jetzt sagt noch einmal, daß ich nit recht gesehn hab’!“ keuchte der Bursche. „Ich hab’ ihn wieder aufgegangen – ich weiß, wo er steckt!“

„Wer? Der Tiroler? Der Teppichhändler?“ rief Alles durcheinander.

„Ja … wie ich vorhin weg bin in meinem Aerger,“ fuhr der Hiesenfranz fort, „da hab’ ich mir gedacht, ich wollt’ es Euch zeigen, daß ich meine Augen nicht umsonst im Kopf stecken hab’… ich hab’ gewiß gewußt, daß er da sein muß, ich hab’ ihn ja gar zu bestimmt gesehn – gefunden haben wir ihn nit – also muß er versteckt sein! Aber wo kann das sein? Ich hab’ hin und her studirt – hab’ alle Plätz’ und Winkel durchgemustert, da ist mir die alte Feldkapellen eingefallen! Wie der Wind bin ich hinübergestrichen und bin am Fenster hinaufgeklettert … es war hell genug, daß ich es hab’ sehen können … ein Mannsbild ist der Läng’ nach auf dem Betstuhl gelegen … es muß der Tiroler sein …“

Allgemeiner Beifall wurde dem aufmerksamen Wächter, und die zuvor am meisten gelacht hatten, wetteiferten nun in Lobeserhebungen. Eine neue, noch genauere Streife wurde verabredet und auch sogleich in’s Werk gesetzt; alle möglichen Richtungen und Wege wurden bedacht und mit einer Kette von Streifern versehen. Wie bei einem Treibjagen sollte von allen Seiten an die Kapelle vorgedrungen und der Bogen gegen die Almhütte und die lange Wand hin abgeschlossen werden, über welche hinab es kein Entrinnen gab. Lipp, seine besondere Bekanntschaft mit der Oertlichkeit vorschützend, wußte es so einzuleiten, daß er an die Spitze der linken Flanke kam und also jedenfalls vor allen Andern an der Sennhütte ankommen mußte. Die Büchsen wurden geladen und untersucht; dann zerstreute sich der Zug nach allen Seiten.

Mitternacht war vorüber.

Sabine war indessen, ermüdet vom Sinnen und Weinen, eingeschlafen, um in unruhigem Schlummer durch Träume gequält zu werden, die noch ängstlicher waren, als die Ereignisse des Wachens. Sie glaubte, Gotthard zu hören, der Einlaß verlangte … dann war es wieder nicht er, sondern der Fremde mit der trügerischen Stimme, und wie sie zu öffnen zauderte, war es doch Gotthard’s blutige Gestalt, die durch die verschlossene Thüre schwebte, vor sie hintrat und sie mit drohenden Blicken ansah. Dazwischen kam es ihr wieder vor, als sähen die Nachbarn alle durch die Stube und nickten und lachten ihr zu und riefen: „Gieb dir keine Müh’, es zu verbergen, wir wissen es doch, daß du dein Gelöbniß gebrochen hast,“ und Lipp verzog das höhnische Gesicht und schrie über Alle hinaus, daß er ihr helfen wolle, es zu halten …

In Schweiß gebadet, fuhr sie empor und glaubte noch zu träumen, als sie um sich blickte. Das Fenster der Hütte ging nach Osten, wo ein bleicher Streifen am Himmel verrieth, daß die Nacht sich zum Abzuge rüste. In der Kammer war es düster und unheimlich, und noch unheimlicher tönte von außen der Schall einiger rasch nacheinander fallenden Schüsse herein. „Heilige Mutter,“ rief sie aufspringend, „was bedeutet das? Sind die Bauern noch unterwegs? Sollten sie ihn etwa gar aufgefunden haben?“

Hastig riß sie das Fenster aus und horchte hinaus, es war wieder still geworden; nichts war zu sehen – um ihr brennendes Gesicht strich die Morgenluft frisch und scharf, wie sie den Reifnächten vorausgeht. Die Kühle war ihr Erquickung.

Plötzlich stieß sie einen leichten Schrei aus … durch das Dämmergrau eilte ein Mann auf die Hütte zu …

Es war der flüchtige Tiroler.

Im nächsten Augenblick hatte sie, ohne selbst zu wissen, wie, die Thür geöffnet, und der Fremde stand vor ihr, ohne seinen Pack, ohne Hut, athemlos und abgehetzt, den rechten Hemdärmel mit Blut bedeckt.

„Ich bin’s, Sennerin,“ sagte er zu der sprachlos ihn Anstarrenden, „… ich muß schon wieder bitten, daß Du mich einlaß’st …“

„Aber was ist’s denn mit Dir?“ fragte sie beklommen. „Hat denn das Schießen Dir gegolten? Haben’s Dich wohl gar getroffen?“ Sie gab sich alle Mühe, unbefangen und ruhig zu erscheinen – aber die Hast, mit welcher sie die Worte herausstieß, verrieth nur zu deutlich die Aufregung und Sorge, der sie entsprangen.

„Die Bauern haben mich verfolgt und auf mich geschossen,“ antwortete der Tiroler, indem er wie erschöpft sich am Heerde niederließ, während sie in ängstlicher Schnelligkeit die Thür schloß [35] und verriegelte. „Sie werden mich wohl für den Unrechten gehalten haben …“

„Aber warum bist nit fort, am Abend, wie Du’s im Sinn gehabt hast? Da wärst Du jetzt schon weit, und die Bauern könnten Dir nichts mehr anhaben …“

Der Mann sah einen Augenblick scheu zu Boden. „Es hat mich nit fortgelassen,“ sagte er dann düster, „es war, als wenn mich was unsichtbar festhalten that … und dann, glaubst, ich hatt’ so leicht fortgekönnt, Sennerin, nachdem ich Dich einmal gesehn hab’? Ich hab’ gedacht, ich wollt’ den Tag abwarten und dann nochmal zu Dir heraufkommen …“

„Du blutest ja noch!“ sagte die Sennerin ausweichend, „laß Dich doch verbinden … ich hab’ die Blutwurzel zur Hand, die das Blut stillt …“

Der Mann streifte den Aermel über den kräftigen Arm hinauf; oberhalb des Ellbogens hatte die Kugel gestreift und scharf gefleischt, die Wunde war nicht gefährlich, aber schmerzhaft. Die Sennerin wusch das Blut weg, legte ein Stück der heilenden Wurzel darauf und schlang ein Tuch um den Arm. Sie war eine zu starke Natur, um Scheu vor Wunden zu haben; dennoch zitterte ihre Hand, als sie die Binde anzog.

„Du bist wohl eingericht’t,“ sagte der Bursche zutraulich, „und hast eine gar sanfte Hand – man spürt Dich kaum …“

„Auf der Alm ist man allein,“ erwiderte sie und legte die Blutwurzel wieder auf das Sims, „da kann Einem allerhand zustoßen – da muß man sich vorsehn und muß sich zu helfen wissen …“

„Es ist nit das allein,“ sagte der Bursche und ließ die männlichen Augen so fest auf ihrem Antlitz ruhen, daß sie sich erröthend noch weiter abwandte. „Du hast so eine eigene Weis’, wie Du Alles machst … so ganz anders, wie andere Madeln … ich kann die Augen schier nimmer loskriegen von Dir … und mein Herz … du lieber Gott, das kann eh’ nimmer fort von Dir!“

Sabine erröthete noch tiefer. Sie war unwillig über diese Reden, und doch mischte sich eine verzeihende Regung in den Groll – konnte der Fremde denn wissen, wie sie gesinnt und entschlossen war? „Laß das Gered’ gut sein,“ sagte sie. „Sag’ mir lieber, wer Du bist – wenn die Bauern Dich verfolgen, kann’s leicht sein, daß sie Dich auch in meiner Hütten suchen …“

„Das glaub’ ich auch. Aber ich glaub’ auch, daß Du mich verbergen, daß Du mich nit verrathen wirst! Deswegen bin ich getrost auf Deine Hütten zu …“

„Also hast Dich doch zu scheuen vor den Leuten und bist kein bloßer Teppichhändler, wie Du Dich ausgiebst? … Wer bist also – wenn ich Dir helfen soll, muß ich vor Allem wissen, wem ich hilf’ … Sie haben Dich also nit für den Unrechten gehalten?“

Der Fremde sah sie noch einmal lange an, als wollte er ihre Züge erforschen, ob sie im Stande sein könne, sein Vertrauen zu täuschen. „Nein,“ sagte er dann fest, „ich bin schon der, den sie suchen …“

„Und wer bist nachher?“

„Ein armer, elendiger Mensch,“ rief der Mann schmerzlich aus, „der kein’ Heimath mehr hat, keinen befreundeten Menschen, kein Vaterland … und nit einmal ein Fleck, auf dem er ruhig sterben könnt’ … ich bin der Vomper-Hans, wenn Du etwa von mir gehört hast, einer von den Bauerncommandanten aus dem Tirol .. . bin vogelfrei und muß flüchten …“

„Ein Rebeller also – ich hab’ mir’s gedacht!“ sagte das Mädchen sichtlich erleichtert. „Wie ist es nur möglich – unser König Max ist der beste Herr von der Welt, wie habt Ihr Euch so gegen das Bairisch-Werden spreizen und ihm so einen großen Verdruß machen können?“

Der Bursche machte eine unwillige Bewegung. „Das verstehst Du nit, Madel,“ rief er rasch, dann aber fuhr er, wie sich besinnend, etwas milder fort: „Und dennoch – warum solltest Du’s nit verstehn? Du am allerersten, Du hast das Herz in Allem auf dem rechten Fleck: Wir Tiroler haben unsern Kaiser nit weniger gern, als Ihr Euren guten König … wenn jetzt die Franzosen kämen und wollten Euch zwingen und sagen, Ihr sollt nit mehr Eurem guten König gehören, sondern einem andern, der Euch wildfremd ist … was würden Deine Landsleute, was thatst Du selber dazu sagen?“

Das Mädchen sah sinnend zu Boden.

„Ich brauch’ das auch gar nit fragen,“ fuhr er fort, „Deine Landsleut’ haben es ja schon einmal bewiesen, es ist ja schon einmal so gewesen bei Euch! Vor hundert Jahren hat unser Kaiser Baiern besetzt und hat den Kurfürsten Max Emanuel vertrieben. Was habt Ihr gethan selbiges Mal? Aufgestanden ist das ganze Land und hat sich todtschlagen lassen für seinen Landesherrn – ich weiß es noch gar wohl, wie mein Ahnl erzählt hat, was er alles gehört hat von der großen Sendlinger Bauernschlacht … Sollten wir Tiroler weniger thun für unsern Kaiser?“

„Ich kann nit nein sagen,“ flüsterte das Mädchen, und sah noch immer vor sich nieder.

„Und ich hab’s doch über’s Herz gebracht,“ begann Hans wieder, „und bin ruhig daheim geblieben, wie Alles schon den Stutzen auf dem Buckel gehabt hat! Ich hab’ nur ein kleines Gütl gehabt, ein gering’s – ich hab’ woltern viel arbeiten müssen, damit es so viel ertragen hat, daß es genug war für meine arme alte Mutter und für mich. Das alte Weibl hat keinen Menschen gehabt, als wie mich, und so hab’ ich’s verschoben von einem Tag aus den andern und hab’ immer gedacht, den andern Morgen wollt’ ich’s machen wie meine Cameraden alle und auch gegen die Baiern ausziehn und die Franzosen. Da kam der Wrede wüthig auf die Stadt Schwaz losmarschirt und ließ sie an allen vier Ecken anzünden, zur Rache für Alles, was die Tiroler den Baiern angethan … Das Dorf Vomp, wo ich daheim bin, ist nicht weit davon entfernt und ich hab’ mich hinausgeschlichen auf Kundschaft … Auf einmal hab’ ich auch hinter mir Schießen und Schreien gehört, und wie ich zurückgelaufen bin …“

Der Erzähler hielt inne, die Erinnerung des Erlebten hatte ihn zu sehr erschüttert und benahm ihm die Stimme. Mit ängstlich erwartenden Frageblicken sah ihn das Mädchen an.

„Wie ich zurückgekommen bin,“ fuhr er dann langsamer fort, „habe ich nit mehr hineingekonnt in’s Dorf. Die Baiern haben es umstellt gehabt in einem weiten Kreis und haben angezündet überall, und die türkische Musik hat müssen dazu aufspielen … Ich hab’ das Gepolter von den Trommeln und das Pfeifen noch in den Ohren – und dazu das Klingen von den Glocken, die auf dem brennenden Kirchthurm von selber zu läuten angefangen haben, und das Schreien und Heulen von denen, die im Dorfe waren und all ihr Hab und Gut verbrennen sahen und nit herauskonnten, weil die Baiern Alles niederschossen, was entfliehen wollte .. . und dabeistehn und ruhig zuschauen müssen und nit helfen können … es hätt’ Einem die Haar’ grau machen können in einer Viertelstund’ …“

Sabine schauderte und barg das Gesicht in den Händen.

„Ich hab’s zuletzt nit mehr ausgehalten,“ begann er wieder, „ich hab’ wissen müssen, wie’s mit der Mutter steht, und hab’ mich hineingestürzt zwischen die brennenden Häuser … ich war schon ganz nah’ an dem unsrigen … da seh’ ich die Mutter vor mir, wie sie in dem Grasgarten fortgetappt ist, unter den Obstbäumen, die schon zu brennen anfingen und von denen die Funken niedertropften … sie war nit mehr weit von dem Zaun, und außer demselben standen die Baiern und lachten und schrieen durcheinander … Ich schrie auch … ich schrie der Mutter zu, sie solle anhalten, ich lief ihr nach … sie immer vor mir her … da krachte es über den Zaun herein … mit einem schwachen Schrei drehte es die alte Frau zusammen, und wie ich zu ihr hinkam, war sie todt … sie hat nit mehr viel Leben zuzusetzen gehabt … die arme, arme, gute Frau … Ich bin bei ihr liegen geblieben bis in die Früh … Da sind die Baiern abgezogen gewesen … ich hab’ zugeschaut, wie mein gutes Mutterl ist eingegraben worden mit den andern Todten, die sie herbeigetragen haben von allen Seiten … dann bin ich noch ’mal auf den Platz, wo unser niedergebrennt’s Haus gestanden ist, und hab’ mir eine Hand voll Aschen mitgenommen von dem Platz – und bin auch zu den Landesvertheidigern … Es ist wahr, ich bin einer von den Wildesten gewesen, und wenn sie einen Preis ausgesetzt haben auf meinen Kopf, so wissen sie wenigstens, warum sie es gethan haben …“

Eine ernste, langdauernde Stille trat ein. „Und jetzt?“ fragte die Sennerin so leise, als fürchtete sie, dieselbe zu unterbrechen. „Was ist es jetzt mit Dir?“

„Jetzt … jetzt ist mein Herzleid vollständig! Jetzt hat uns der Kaiser aufgegeben – er giebt seine eigene Tochter an unsern Erbfeind, an Napoleon … wir haben uns umsonst aufgeopfert … der Sandwirth ist fort, der Speckbacher von Rinn, der Peter [36] Aschbacher, der Pater Haspinger auch … da hab’ ich auch den Boden unter die Füß’ nehmen müssen …“

„Aber warum gerade da heraus?“ fragte Sabine beklommen.

„Warum gerade den allergefährlichsten Weg?“

„Die Franzosen sind uns in den Rücken gekommen … von Zirl und Seefeld her … es gab keinen andern Ausweg. Es ist mir auch einerlei, wenn sie mich erwischen – ich wollt’, die Kugel vorhin wär’ um ein paar Zoll seitwärts gegangen … da wär’ Alles schon überstanden …“

„Das ist nit recht, das ist nit christlich gered’t!“ erwiderte das Mädchen mit zitternder Stimme und einer Thräne im Auge, die sie vergebens zu verbergen strebte. „Man muß Gott danken für jede Viertelstund’ und sie benutzen … vielleicht will er Dir Zeit lassen, gut zu machen, was Du auf dem Gewissen hast …“

„Vielleicht!“ sagte Hans verdüstert. „Wer weiß aber, ob ich das kann, und wenn ich noch so lang’ leb? Aber möglich ist es ja doch, nit wahr? Es ist möglich, daß mich das Leben noch einmal wieder freuen kann? Daß mir noch etwas Gutes aufgehoben ist … Wenn es nit so wär’, hätt’ ich sonst den Weg gefunden zu Dir herauf auf Deine Alm? Ist mir nit schon das ganze Herz verkehrt, seit ich Dich gesehn hab’?“

„Ich hab’ Dir schon gesagt, daß Du solche Reden lassen sollst,“ rief Sabine finster und mit sichtlich strengem Tone. „Sie helfen Dir nichts und verfangen nimmer bei mir … ich hab’s gelobt, daß ich will ledig bleiben …“

„Ledig bleiben?“ sagte Hans und sah das Mädchen durchdringend an. „Hast also wohl auch schon Deinen Theil auszustehn gehabt in der Welt … wie solltest sonst zu der Verlobniß gekommen sein … Und darf ich’s nit wissen, was Dir begegnet ist …?“

Sabine nickte traurig und schickte sich zu erzählen an – augenblicklich jedoch sprang sie auf, das Wort erstarb ihr auf den Lippen, und mit ängstlicher Gebehrde den einen Finger an den Mund legend, deutete sie nach dem Fenster hin. Auch der Tiroler sprang auf.

Es war draußen heller geworden – man sah in der Ferne am Rande des Waldes und Bergabhangs verschiedene zerstreute Männergestalten. Sie riefen einander zu, sie bückten sich nach dem Boden nieder, es war unverkennbar, daß sie eine im Grase aufgefundene Spur verfolgten.

„Sie sind’s,“ flüsterte Sabine mit stockendem Athem, „sie deuten auf die Hütte her – sie werden Dich hier suchen … geschwind hinunter in den Keller …“

Sie hatte rasch die Fallthüre aufgerissen, daß die Kellerstufen sichtbar wurden. Der Tiroler war ihr nicht gefolgt, sondern stand noch immer spähend und wie unschlüssig am Fenster. „In den Keller?“ sagte er. „Verstecken soll ich mich?“

„Aber was willst Du sonst?“ rief Sabine und bemühte sich nicht mehr, ihre unverkennbare Angst zu verbergen. „Wenn sie Dich finden …“

„Dann liefern sie mich an die Franzosen aus … sieben Kugeln, die machen ein geschwindes End’ – mir ist’s recht, denn meine letzte Freud’ ist auch dahin …“

„Aber sie sollen Dich nicht finden!“ rief sie eifrig. „Ich will nit, daß sie Dich bei mir finden … Der Gedanke thät mich noch elender machen, als ich schon bin …“

„So thät’s Dir leid um mich?“ fragte Hans, der, von ganz andern Gefühlen bewältigt, aller Gefahr zu vergessen schien.

„Thät’s Dir leid, wenn sie mich finden und niederschießen?“

„Sie sollen nicht!“ rief sie immer angstvoller. „Fort in den Keller … sie sind schon in der Näh’ …“

„Antwort’ mir erst auf meine Frag’ …“ sagte Hans und wagte es, ihre Hand zu fassen. „Ich geh’ nit vom Fleck, eh’ Du mir Antwort giebst … vor Deinen Augen sollen sie mich fangen und binden und niederschießen … Sag’ mir, thät’ es Dir leid, wenn sie mich finden … wenn ich zu Grund geh’n muß … bist Du mir gut?“

„… Ja …“ stammelte und zwängte sie aus der widerstrebenden Kehle.

„Jetzt geh’ ich!“ rief er jubelnd und drückte ihre Hand noch fester. „Jetzt will ich in den Keller … jetzt kann mich das Leben wieder freuen, und so lang ich mich rühren kann, soll Keiner sagen, daß er den Vomper-Hans gefangen hat …“

Er verschwand in den Keller, und die Fallthüre klappte zu über ihm.

Sabine war in grenzenloser Verwirrung mitten in der Hütte stehen geblieben; ihr Athem flog, ihre Wangen glühten – sie wußte kaum, was geschehen, und noch minder, wie es gekommen war. Das Blut drängte ihr an die Schläfe und stürzte zum Herzen, als wollte es fragen, ob ein solches Geständniß möglich, ob sie es gewesen, die ein solches Wort ausgesprochen. Sie hielt die Hände an die Stirn gepreßt, die es ihr fast zu sprengen drohte, über der Antwort, die sie auf diese Frage geben mußte. Die Sinne vergingen ihr fast, denn sie vermochte nicht mehr, vor sich selber zu leugnen, daß der Fremde Eindruck auf ihr Herz gemacht, in welchem nach ihrem Gelübde nur das Bild des Todten wohnen sollte.

In diesem Zustande überraschte sie Lipp, der den Uebrigen weit vorangeeilt war, getrieben von der Begierde, seinen Verdacht auszusprechen und das Verdienst der Entdeckung auszubeuten.

Sie schien ihn nicht kommen zu hören; die Hände in den Schooß gelegt und vor sich hinstarrend, saß sie auf dem Kellergemäuer, um den Zugang zur Thüre zu decken und zu verwahren. Verwundert stand er vor ihr, als sie auf sein wiederholtes Rufen und Pochen die Hütte geöffnet hatte und dann gleich wieder an ihren Sitz zurückgekehrt war. Er beobachtete sie schweigend und scharf; war ihr Benehmen ihm schon Abends befremdlich vorgekommen, so war es jetzt noch auffallender. Es war nicht zu verkennen, daß mit dem Mädchen eine große Veränderung vorgegangen sein mußte. Das war nicht mehr dasselbe kalte, strenge Mädchen, das alle Gedanken an Liebe und Ehe so verachtend von sich wies, sie glich eher einer glücklichen Braut, die in glühender Verwirrung des geliebten Bräutigams wartet. Sie war nur noch schöner in diesem Zustande der Erregung, und in den Augen des Burschen stieg das Verlangen nach ihrem Besitze nur noch feuriger empor. Aber es galt vor Allem, die Ursache dieser Umwandlung zu erforschen. Wie wenn sie ein neues, geheimes Liebesverhältniß zu verbergen hätte? Wenn sie Abends, als sie ihn fortgewiesen, doch nicht allein gewesen? Wenn der gegen ihn gebrauchte Vorwand einem Andern gegenüber seine Kraft verloren hätte? Aber wer konnte der Glückliche sein? Wäre es Einer aus der Gegend, so hätte es nicht verborgen bleiben können, und ein Fremder …

Er hielt in seinen Gedanken inne; ein Blitz zuckte in ihm auf, und ein grinsendes Lächeln des bittersten Hohnes umzog seinen Mund.

Jetzt fuhr auch Sabine aus ihrem Brüten empor; sie schien die Nähe der Streifer ganz vergessen zu haben und fuhr erschreckend zusammen, wie Jemand plötzlich aus dem Schlafe auffährt.

„Nun, Du erschrickst ja völlig, Binl?“ sagte er spöttisch. „Hast wohl nit einmal das Schießen gehört?“

„Ich hab’ geschlafen,“ entgegnete sie unsicher, „aber das Schießen hab’ ich wohl gehört … Was giebt’s denn? Wem hat’s denn gegolten?“

„Einem Hauptspitzbuben,“ sagte er, Sabinen unvermerkt betrachtend, um die Bestätigung seines Argwohns in ihren Mienen zu lesen, „einem von den Tiroler-Rebellen, der sich zu uns heraus geflüchtet hat …“

Das Gespräch mit Lipp gab dem Mädchen allmählich seine Fassung wieder. „Wenn er schon flüchtig ist,“ sagte sie kalt, „so hättet Ihr ihn sollen laufen lassen … was kann er Euch thun?“

„Nichts – wir wollen aber verhindern, daß er uns was thut! Daß er uns ausspionirt und dann seine Cameraden herführt, daß sie uns das Vieh wegtreiben und die Häuser anzünden! Es ist schon hinuntergeschickt nach Kochel zu, wo die französischen Vorposten stehen, damit sie kommen und ihn holen …“

„Wenn Ihr ihn habt – nicht wahr?“

„Wir werden ihn bald haben … wir haben ihn von allen Seiten eingegangen wie in ein Jagdnetz … er kann nur auf der Alm – oder gar da in Deiner Hütten sein …“

„Und Ihr wollt ihn wirklich ausliefern?“

„Gewiß …“

„Und Ihr wißt, was ihm geschieht, wenn ihn die Franzosen erwischen …“

„Er wird wohl erschossen werden …“

„Und Du hilfst mit bei so was? Einer, der sich einmal eingebildet hat, die Binl könnt’ ihn mögen, giebt sich zum Schergenknecht für die Franzosen her? Geh … wenn Du Dich Deiner Lebtag noch nie geschämt hast, so geh jetzt und mach daß Du’s lernst!“

(Fortsetzung folgt.)
[37]
Album der Poesien.
Nr. 20.
Den „deutschen“ Kriegern in Schleswig-Holstein.

Auf Rußlands Eis.
Nach dem Originalgemälde von Ed. Odier.

In Nacht und Grauen peitschet wild
Der Wintersturm das Schneegefild.
Der Tod durchsaust die starre Flur,
Von Tausenden verweht die Spur.

5
Die Spur verwehet und vergeht.

Bis die Verwesung aufersteht,
Wenn mild des Lenzes warme Hand
Das weiße Grabtuch hebt vom Land.

[38]

Dann finden sie auch Dich, Du Held,

10
Verwest auf Rußlands blut’gem Feld.

Dein treues Roß war Deiner werth,
Das liegt bei Dir, und auch Dein Schwert.

Zusammen hielten alle Drei,
Der Mann, das Roß, das Schwert dabei.

15
So steht ein Held in letzter Noth

Mit Mannestrotz noch vor dem Tod.

Hoch thront des Winters Schreckensbild,
Wenn er durchras’t sein Eisgefild –
Doch höher ragt das Bild vom Mann,

20
Der Trotz im Kampf ihm bieten kann.


Ihr deutschen Kämpfer, die ihr wacht
In Wintersturm und starrer Nacht
Jetzt für das meerumschlungne Land,
Sei Gott mit euch im harten Stand!

25
Hoch thront der Winter im Gefild,

Doch höher ragt des Mannes Bild,
Der Trotz im Kampf ihm bieten kann!
Sei Gott mit jedem deutschen Mann!

Sei Gott mit euch! Und wenn die Hand

30
Des Frühlings hebt den Flor vom Land,

Dann sei der Blumen erste Zier
Der Schmuck für euer Siegspanier!
 Friedrich Hofmann.




Khoja Nasr-il-din Effendi, der türkische Eulenspiegel.

Sammlungen von lehrreichen Fabeln oder unterhaltenden Späßen haben es sich bei vielen Völkern gefallen lassen müssen, eine von der Volksphantasie concret ausgearbeitete Person, einen Eulenspiegel, als Träger zu bekommen, der all das Wunderliche erlebt hat und dem all die Weisheit beinahe unwillkürlich entfahren ist. Im Anfang des Anfangs hat ja der menschliche Geist überhaupt, was er auffaßte, nur als ein Persönliches, wie er selbst ist, aufzufassen vermocht. Nicht blos die Thiere, sondern auch die Pflanzen, ebenso die Berge und Flüsse und Sonne, Mond und Sterne und Donner und Blitz waren ihm Personen. Vom Inhalt aller Mythologie, ja aller Religion zu schweigen, hat man nur an das Geschlecht des Hauptwortes – in allen Sprachen, mit alleiniger Ausnahme der englischen – zu denken, welches beweist, daß nicht die Vorstellung der Person, sondern die Vorstellung der Sache, die keine Person ist, dasjenige ist, welches dem Menschen schwer fiel, zu dem er erst durch Ableitung und Schlußfolgerung kam. Was Wunder also, wenn auch die ersten Bücher, welche vom Volke von vorn bis hinten auswendig gelernt wurden, in der Volksphantasie zu Personen sich umformten. Die ersten Bücher hat Niemand gemacht, es waren alles allmählich entstehende Sammlungen. In jedem Fach gab es nur ein Buch, das noch die ganze Literatur des Faches in sich enthielt. Für solche Sammlung, die wir heute Encyklopädie nennen würden, ist ein alter deutscher Ausdruck: Spiegel. Der Eulen-Spiegel, von dem wir nur die allerletzte Ausgabe, um mich so auszudrücken, besitzen, die Ausgabe, in welcher dem vom Volke hineingelegten persönlichen Elemente Rechnung getragen ist und die eben deswegen allen übrigen das Garaus gemacht hat, ist also die Sammlung aller drolligen Afterweisheit, welche sich im Laufe früherer Jahrhunderte in Deutschland aufgespeichert hatte und welche, unter der Hieroglyphe der Eule, neckisch den weisen Leuten dedicirt war.

Von allen mir bekannten ähnlichen Sammlungen bei andern Nationen ist nun die türkische diejenige, welche am meisten Analogie mit unserem Eulenspiegel bietet. Auch sie hat, und zwar in noch höherem Maße als die unsere, eine bestimmte Person zum Träger bekommen, und genau wie das Eulenspiegelgrab in Mölln in Lauenburg, wird das Grab des Khoja Nasr-il-din Effendi in Skutari gezeigt. Das Grab ist selber eine Eulenspiegelei, denn es hat kein Gitter umher und doch steht eine Thür davor. Wahrscheinlich war das Grab eher da als die Sage von Khoja und ist, durch die Drolligkeit der überflüssigen Thür, selbst die Ursache gewesen, daß die Sage entstanden ist oder sich wenigstens doch an den Namen des unglücklichen Khoja geknüpft hat, dessen Erben vielleicht nur das Geld ausging, um auch das Gitter machen zu lassen, nachdem die Thür mit der Inschrift fertig war. Ich weiß nicht, ob die Sage auch darin dem Grabe folgte, daß sie den Khoja bis in die Zeit des Sultan Bajazet zurückverlegt. Sie giebt seinem Lebenslauf eine bestimmtere Gestalt, als dem unseres Eulenspiegel zu Theil geworden. Er hat studirt, tritt dann als verbummelter Gelehrter auf – wann er seinen Titel Effendi bekommen, bleibt im Unklaren – heirathet, wirtschaftet im kleinen Häuschen mit Garten in Skutari, wird plötzlich fromm und durch Gunst als Koran-Erklärer bei einer Moschee untergebracht. In der Moschee selbst treibt er es aber, wie wir sehen werden, nicht im Geringsten besser, ohne daß dies den Hof verhindert, wohlwollende Notiz von ihm zu nehmen und sich an seinen Späßen zu ergötzen.

Doch nun zu diesen Späßen selbst. Man müßte vor National-Eitelkeit übergeschnappt sein, wollte man behaupten, die Späße unseres Eulenspiegel seien gut. Nur von wenigen Ausnahmen läßt sich das sagen. Die meisten sind einfach kindisch, andere roh, noch andere bis zur Unverständlichkeit verwirrt; es ist klar, daß die Hand des ungebildeten Büchermachers, der viel für’s Geld geben wollte, über der Sammlung gewesen ist, die ursprünglich sehr beschränkter Ausdehnung gewesen sein mag, nur die wenigen eigentlichen Sprüche der Lebensweisheit im lustigen Gewande umfassend, welche unzweifelhaft der älteste und, womit Jeder übereinstimmen wird, auch der beste Theil sind.

Vor allem im wirklichen Witze müssen wir den türkischen Eulenspiegel weitaus über den unseren setzen. Es spielt ein Witz zweifacher Natur in seinen Späßen, bei dem es mich bedünken will, als ob hier ein semitischer, dort wirklich ein tatarischer Urquell der Schnurre sich verrathe, je nachdem der Lachmuskel durch geschicktes Spiel mit der Logik, oder durch überraschende Zusammenstellung des Bildes gereizt wird. Einigemal wird der Witz – nicht zotig – aber doch gemein im Stoffe; eigentliche Lebensweisheit zu predigen, kommt dem Khoja noch viel seltener in den Sinn, als dem Eulenspiegel. Die Form ist stets außerordentlich knapp; auch nicht ein Wort mehr als durchaus nöthig. Es wirkt eben nur der Inhalt, nicht die Form. Daher ist auch genauere Uebertragung, zu der sich außerdem die Verschiedenheit des deutschen und türkischen Sprachgeistes nicht herbeiläßt, nicht nöthig. Es reicht aus, die Schnurren – natürlich nur eine kleine Auswahl aus den siebzig, die vorhanden sind – wiederzuerzählen, wie sie eben aus dem Gedächtniß in die Feder fallen.

Kurz nachdem sich der Khoja verheirathet hat, – natürlich mit einer Xanthippe – begegnet er einem Haufen Sophthi’s, Studenten, seinen ehemaligen Commilitonen; es gelüstet ihn, im neuen Haushalt den Wirth zu spielen, und er schleppt sie mit sich, zur Pillaf-Mahlzeit, in sein Haus. Es läuft aber übel ab. „Wo [39] denkst Du hin?" sagt seine Frau; „Du, der nichts verdient, Du willst Deine alten Brüder Taugenichtse hier abfüttern? Es giebt keinen Pillaf.“ Und der Khoja senkt das Haupt, nimmt den leeren Napf aus der Küche auf sein Zimmer, setzt ihn vor die Studenten und sagt: „Da ist der Napf, in dem ich Euch den Pillaf vorgesetzt hätte, wenn meine Frau ihn geben wollte.“

Seine Frau hatte übrigens ganz Recht, denn er verdiente wirklich nichts; eine Zeitlang scheint, was von ihm in die Wirthschaft geliefert wurde, sogar ausschließlich auf unehrlichem Wege beschafft worden zu sein. Vorzugsweise der Obstgärtner, der neben ihm wohnte, konnte ein Lied davon singen. Es war eine Mauer zwischen beiden Gärten, die eben nicht höher war, als des Khoja Leiter. Eines Tages stand die Leiter nicht an des Khoja, sondern an des Gärtners Seite der Mauer, und da stand auch der Khoja; der Gärtner aber hatte aufgepaßt und kam dazu. „Was thust Du denn in meinem Garten, Nachbar Khoja?“ war die natürliche Frage. „O! ich will Dir nur die Leiter zum Verkauf anbieten“ – sagte der Khoja, mit der unschuldigsten Miene von der Welt. Darauf der Gärtner: „Ja dann, warum nicht vorn zur Thür hereinkommen?“ Doch bringe Du den Khoja in Verlegenheit! „War es nicht am besten,“ sagte er, „daß ich Dir gleich zeigte, wie brauchbar und nützlich sie ist?“ – „Ja so!“ sagte der Gärtner und kaufte die Leiter.

Es muß aber auch ohne Leiter gegangen sein, denn am nächsten Tage war er schon wieder in des Nachbars Garten, und diesmal bis an den Apfelbaum vorgerückt, dessen dichtbelasteten Zweig seine eine Hand herabdrückte, während die andere den Sack hielt, der schon halbgefüllt war, als der wachsame Gärtner, der ihn diesmal absichtlich hatte gewähren lassen, ihm unversehens auf die Schulter klopfte. „Nachbar Khoja, Nachbar Khoja!“ sagte der Gärtner, „weshalb bist Du aber heut in meinen Garten gekommen, und wie hast Du’s ohne Leiter gemacht?“ Das Letzte hätte er nicht sagen sollen; denn Khoja ward ja dadurch selber alsbald seine eigne Unschuld klar. – „Eben, eben!“ sagte er; „aber höre das Brausen des Windes! Wer kann dafür, wenn ihn der Wind emporhebt und in des Nachbars Garten schleudert?“ – „Ja, wie kommt denn aber Deine Hand hier an den Apfelbaum?“ fragte der Gärtner weiter. – Der Khoja darauf: „Ich mußte mich doch festhalten, wollte ich nicht in den Bosporus geweht sein.“ – Der mißtrauische Gärtner schüttelte noch immer den Kopf. „Ja, aber sage mir, wie kommen die Aepfel hier in Deinen Sack?“ Der Gärtner sah den Khoja, der Khoja den Gärtner an. – „Ja wohl, merkwürdig,“ sagte der Khoja; „darüber dachte ich auch gerade nach, als Du kamst.“

Es ist nicht erzählt, was der Gärtner darauf gethan hat. Es muß vermuthet werden, der Gärtner sei ein richtiges Kind der Zeit gewesen, die diese Schnurren gebar, der Zeit, wo der schläfrige Türke noch ein munterer, weltstürmender Bursche war, und habe dem Witze nicht zu widerstehen vermocht. In der That, zergliedere man ihn nur; es steckt etwas drin! Erst die Persiflage wegen der unnütz gekauften Leiter, die nun der Wind ersetzt; und dann die zweite, in der er mit dem Gärtner selber überlegt, wie er sich ausreden soll!

Der Gärtner muß ihm verziehen haben, denn am nächsten Tage sehen wir ihn aus Rand und Band gehen. Diese Diebesgeschichten sind wahrscheinlich die einheimisch türkischen, die tatarischen. Komik der Situation ist darin die Hauptsache; und auf ein bischen Unflath hier und da kommt es nicht an. Dies zur Vorbereitung, wenn wir ihn nun zum dritten Male in des Nachbars Garten, und zwar diesmal oben auf dem Baum finden, den er unten schon abgelesen hat. Der Gärtner, der augenscheinlich gutmüthig auf den Spaß eingegangen ist, steht drohend mit der Stange unten. „He, Nachbar Khoja! habe ich Dich endlich auf dem Baum? Warte, jetzt sollst Du es kriegen.“ Der Khoja, der ungestört seinen Apfel ißt, ruft aber lustig herunter: „Ich bin ja gar nicht der Khoja.“ – „Wer bist Du denn?“ – „Ich bin eine Nachtigall.“ – „Dann singe einmal.“ – Was der Khoja nun that, bleibe was es war, nämlich türkisch. Ein Laut war’s, aber allerdings kein Nachtigallengesang. „So singt doch keine Nachtigall!“ sagte der Gärtner. – „Doch – eine christliche von drüben!“ war die verwegene Antwort, die den guten Moslem unten augenblicklich entwaffnete.

Der Khoja war durch seine Streiche allmählich bekannt geworden bis an Bajazet’s Hof, und eine ganze Reihe von Schnurren bezieht sich auf glückliche Abführungen witzigseinwollender Hofleute, mit denen er zum Vergnügen des Sultans zusammengehetzt wird. Seine endliche Bekehrung zur Frömmigkeit geht auf dem Wege eines irischen Bull vor sich, wie ihn kein Paddy, von dem ich wohl ein andermal Geschichten erzähle, besser herausbringen kann. Er hört aus dem Schlafzimmer in der Nacht im Garten ein Geräusch, steht auf und sieht eine weiße Gestalt mit erhobenen Armen sich hin und her bewegen. „Allah ist Allah und Mahomet ist sein Prophet!“ sagt er mit zu Berge stehenden Haaren, nimmt aber doch die Armbrust von der Wand, spannt sie und legt den Bolzen auf. Auch hat er noch so viel Herrschaft über sich selbst, genau zielen zu können. Aber als der Bolzen abgeflogen, hat er nicht mehr hinzublicken vermocht und ist schaudernd auf’s Lager zurückgekrochen. Am nächsten Morgen, als er sich in den Garten hinauswagte, klärte sich das Geheimniß auf. Er hatte durch sein eigenes Hemde, das an der Trockenleine hing, hindurchgeschossen. „Gelobt sei Allah!“ rief er aus; „hätte ich das Hemde angehabt, so wäre ich jetzt ein todter Mann! Ihm, der allein es so glücklich gefügt hat, sei fortan mein Leben geweiht.“

Nach seiner Bekehrung erfolgt seine Anstellung als Koranleser in einer kleinen Moschee, die zum Schauplatz des Restes der Schnurren wird. Allem Anschein nach gelangen wir hier auf den Boden arabischen Witzes, geistlichen Witzes vielleicht, mit dem der Derwisch den Derwisch lachen gemacht hat. Der Witz ist höher, ist in der That Sophistik; auf die Komik der Situation ist dagegen nicht derselbe Nachdruck gelegt. Ein Beispiel reicht aus. Es war der erste Freitag, an dem er fungirte. Die Gemeinde war nicht wenig neugierig auf den Khoja als Prediger. Er hatte den Korantext des Tages vorgelesen und nun zu erläutern. „Andächtige Moslemin,“ hob er an, „was ich über diesen Text nun sagen werde, wißt Ihr ja doch wohl schon?“ – „Nein, ehrwürdiger Khoja!“ antwortete die Gemeinde verwundert; „wie können wir es wissen? wir wissen es nicht.“ – „Nun seht Ihr,“ fuhr er fort, „da geht es mir gerade wie Euch; ich weiß es auch nicht“ – klappte den Koran zu und stieg von der Kanzel. Man kann sich denken, daß die Spannung für den nächsten Freitag wuchs. Er konnte sich doch nicht immer auf dieselbe Art heraushelfen. Als er aber die Lesung des Textes beendigt hatte, fing er richtig wieder an: „Andächtige Moslemin! was ich über diesen Text nun sagen werde, wißt Ihr ja doch wohl schon?“ – Trotz der Heiligkeit des Orts schüttelte sich die Gemeinde vor Lachen; hundert Hände erhoben sich und winkten ihm zu, und hundert Stimmen riefen: „Ja wohl, das wissen wir schon!“ – „Wie gut!“ sagte er; „da brauche ich es Euch ja nicht zu sagen“ – klappte wieder den Koran zu und stieg von der Kanzel. Am dritten Tage faßte die Moschee den Andrang der Neugierigen nicht mehr. Der Hof selber, der von den Scenen gehört, war gekommen und hatte seinen besten Witzbold mitgebracht, um den Khoja in Verlegenheit zu setzen. Die ausgegebene Losung war, daß, wenn er wieder mit seiner Frage käme, Alles mäuschenstill sein und der Witzbold allein antworten sollte. Der Text war gelesen; wird er nun die Taktik verändern, oder nicht? Nein, wahrhaftig, er fing wieder an: „Andächtige Moslemin! Was ich nun über diesen Text sagen werde, wißt Ihr ja doch wohl schon?“ – Der Witzbold war mit seiner Antwort vollständig vorbereitet: „Ehrwürdiger Khoja!“ antwortete er, sich verneigend; „Einige hier wissen es allerdings schon, es sind aber heute auch Andere hier, die wissen es noch nicht.“ – „Nun gut!“ sagte der Khoja, „dann können ja Diejenigen, die es wissen, es Denen sagen, die es noch nicht wissen“ – klappte den Koran zu und stieg von der Kanzel.

Und ich klappe hiermit für heute den türkischen Eulenspiegel zu, von dem ich geglaubt habe, daß er, mit der nöthigen Vorsicht behandelt, was, wie ich denke, geschehen ist, in der Gartenlaube ebensogut präsentirt werden könne, als im Kiosk.

J. F. 
[40]
Schein und Sein.

Die meisten Reisenden, wenn sie das erste Mal in die Schweiz kommen, werden von der Großartigkeit der Landschaft nicht in dem Grade ergriffen, als sie es vorher bei dem Gedanken an zwölf- bis vierzehntausend Fuß hohe Gebirge sich vorgestellt hatten. Es kommt eine Art Enttäuschung über die Leute. Die weißen Schneegipfel scheinen ihnen zu niedrig und in wenig Stunden erreichbar, während in der That die Entfernungen Tagereisen betragen; – es ist, als lägen die Berge dicht hintereinander, und doch werden sie durch tiefe und breite Thäler, mit hohen Bergzügen wieder zwischen sich, von einander getrennt. Erst die Erfahrung macht klug. Wenn man eine der verschwindend kleinen Vorhöhen mit Mühe und großem Zeitaufwande erstiegen hat und die scharfgezeichneten Hörner immer noch in derselben Größe vor sich sieht, und wenn man dann wieder viele Stunden sich müde gelaufen und Boden mit den Füßen weggestoßen hat, den man vorher gar nicht gesehen, und wenn immer neue Entfernungen aus der Erde wachsen und man beim Zurückschauen den Berg, von wo man den ersten Anblick hatte, gar nicht mehr oder nur als einen niedrigen Hügel im Thale findet, erst dann entwickeln sich die Vorstellungen von der wahren Größe, und man erkennt die Täuschung, die man sich machte. So beurtheilt der oberflächlich Blickende den großen Mann, weil er ihn in seiner Klarheit zu übersehen wähnt; er sieht nicht den Unterschied und die Länge und Beschwerlichkeit der Wege, die jener gegangen, ehe die Höhe erklimmt war und wohin ihm die Menge nie nachfolgt. –

Der aufgehende Mond.

Je nachdem wir nahe oder entfernt einem Gegenstande uns befinden, erscheint dieser uns verschieden groß, und wir vermögen, wie dies im Felde und in der Astronomie auf besondere Weise geschieht, die Entfernungen aus der scheinbaren Größe bekannter Gegenstände zu bestimmen. Haben wir aber einen Berg oder etwas Aehnliches im Gesicht, mit dessen Begriff sich die Vorstellung einer bestimmten Größe nicht verbindet, denn ein Berg kann groß oder klein sein, so müssen wir, um ihn taxiren zu können, seinen Abstand von uns wissen und mit in Rechnung bringen. Allein es ist schwierig, die horizontale Entfernung abzuschätzen, und je größer sie ist, um so leichter irren wir uns auch in der Beurtheilung der Höhe des Gipfels.

Den Reisenden täuscht die klare Luft, die scharfe Begrenzung der Gebirge. – Nähert Ihr Euch im Nebel einer fremden Stadt, so erscheinen ihre Thürme von ungeheurer Höhe, weil Ihr sie mit den verwischten Contouren weit von Euch entfernt glaubt, obwohl Ihr nahe vor ihnen steht. – Der Durchmesser der Sonne ist über vierhundert Mal größer als der des Mondes; wenn wir die beiden Kugeln auf einem riesengroßen Billard mit einem Blicke übersehen könnten, so würde der Unterschied zwischen ihnen größer sein, als der zwischen einem Pfefferkorn und einem mannshohen Luftballon. Die Sonne ist aber fast zwanzig Millionen Meilen von der Erde entsernt, der Mond nur gegen 50,000 Meilen; wir nehmen es daher Niemandem übel, wenn er sagt, daß ihm beide Gestirne gleich groß vorkommen. Die gegenseitigen Entfernungen bei der Schätzung zu berücksichtigen, ist bei solchen Dimensionen ohne die genauesten astronomischen Methoden nicht möglich.

Indessen wenn fünf Menschen beieinanderstehen, denen man den aufgehenden Mond zeigt, so sind sie, wenn man sie fragt, wie groß er wohl sei, geschwind mit ganz bestimmten Maßangaben bei der Hand.

„Wie ein Suppenteller,“ sagt der Eine. Der Andere: „i Gott bewahre, höchstens so groß wie ein Zweithalerstück.“ Ein Dritter findet ihn so groß wie – wie – ja wie ein Eimerfaß, worüber sich ein Vierter ordentlich erbosen kann, denn er schwört Stein und Bein: „wie ein Silbergroschen, genau, nicht größer und nicht kleiner.“

Und Alle haben Unrecht. Warum? Weil es eben ganz unstatthaft ist, zwei Gegenstände wie den Mond und einen Silbergroschen in Bezug auf ihre Größe mit einander zu vergleichen, oder den einen durch den andern zu messen, ohne ihre gegenseitige Entfernung sowie ihren Abstand vom Auge in Berücksichtigung zu ziehen.

Eine Weinflasche, die vor mir auf dem Tische steht, kann mir die Aussicht nach einem Kirchthurm ganz und gar verdecken, deswegen wird mir doch nicht einfallen dürfen, zu sagen, die Weinflasche ist so groß als der Thurm. Wenn die Leute aber in der angeführten Weise über den Mond reden, so machen sie es nicht klüger. Der Eine denkt sich den Silbergroschen gerade vor das Auge gehalten, der Andere hat eine Tonne in Gedanken, die ein paar hundert Schritt von ihm entfernt liegt.

Wenn daher Nachrichten in den Zeitungen stehen, wie folgende:

„Aus Kosten wird in der Breslauer Zeitung gemeldet, daß am 6. September Abends gegen 11 Uhr am nordwestlichen Himmel ein Meteor mit Schweif beobachtet worden ist. Eine ähnliche Erscheinung wurde am 7. Abends 71/2 Uhr an der Nordgrenze Ungarns in den Beskiden, auf dem Wege von Polhora nach Krzyowa, bemerkt. In der Richtung von O. nach W. zog eine elliptische Feuerkugel mit Schweif, ähnlich einer Rakete von blendendem röthlichem Lichte den durchziehenden Himmelsstreifen erhellend. Die elliptische Kugel hatte einen scheinbaren Durchmesser von etwas mehr als einem Zoll und der Schweif eine scheinbare Länge von vier Fuß,“

So ist das mit dem „etwas mehr als einem Zoll“ und der Schweiflänge von vier Fuß Unsinn. Man kann eine scheinbare Größe nicht mit einer wirklichen messen. Das Einzige, was aus den beiden Maßangaben hervorgehen könnte, wäre, daß die feurige Kugel noch nicht ganz den fünfzigsten Theil von der Länge des Schweifes zum Durchmesser gehabt habe.

Die Astronomen reden zwar bei Finsternissen auch von Zoll, sie sagen: Die Scheibe der Sonne oder des Mondes erleidet eine Verfinsterung bis zu drei Zoll oder bis sechs Zoll etc.; sie verstehen aber unter Zoll nicht den zwölften Theil eines Fußes, sondern den zwölften Theil des scheinbaren Durchmessers jener Gestirne. Eine dreizöllige Finsterniß ist danach eine solche, bei welcher der scheinbare Durchmesser der Scheibe um 3/12 oder 1/4 seiner Länge verdunkelt ist, eine zwölfzöllige Finsterniß ist total. Da hier blos gegenseitige Verhältnisse in’s Spiel kommen, so ist eine solche Bestimmung natürlich zulässig. Ausmessung der Feuerkugel aber und ihres Schweifes durch den Zollstab, wie sie der Referent über die obengedachte Erscheinung vorgenommen, ist irrig, denn Niemand kann sich aus jenen Angaben eine Vorstellung auch nur der scheinbaren Größe des Phänomens machen.

[41]

Am hohen Himmel.

Eine andere, weit verbreitete irrige Anschauung hängt mit solchen Täuschungen eng zusammen. Die meisten Menschen sind nämlich geneigt zu behaupten, daß das Aussehen des Vollmondes, wenn er sich eben über den Horizont erhebt, größer sei, als wenn er hoch über uns steht, und sie glauben diese Beobachtung auf eine sehr plausible Weise dadurch zu begründen, daß sie annehmen, die Dünste, die gegen Abend nahe dem Boden lagern, brächen das Licht auf eine eigenthümliche Art und ließen das Bild der Mondscheibe größer erscheinen, als die klare, durchsichtige Nachtluft über unsern Köpfen. Das klingt nach etwas – der Grund aber ist einmal unnöthig und dann auch falsch.

Ein König von England stellte einst den Gelehrten seines Reiches die Preisfrage: ein Gefäß mit Wasser und ein Fisch werden gewogen; warum beträgt das Gesammtgewicht weniger, wenn der Fisch mit in das Gefäß gethan wird, als wenn Fisch und Wasser für sich gewogen werden?

Es liefen einige sechzig sehr gelehrte Beantwortungen ein, und keine traf das Richtige. Nur ein Einziger von all’ den Weisen hatte sich erst überzeugen wollen, ob denn eine Gewichtsdifferenz auch wirklich, wie König Georg behauptete, stattfände; er machte das Experiment, und siehe da – die ganze Geschichte war ein Scherz, der Fisch wog im Gefäße genau so viel als außer demselben.

Aehnlich ist es auch mit dem Monde. Seine Scheibe ist am Horizont nicht um eine Haarbreite größer als im Zenith, und die Dünste brauchen gar nicht als Vergrößerungsgläser gedacht zu werden. Aber wenn der Mond aufgeht, erscheint sein Bild am Horizont in der Nähe von Bäumen und Felsen und Häusern, die wir unwillkürlich als Maßstab gebrauchen. Für den hohen Himmel fehlen uns solche Vergleichsgegenstände, oder wir können sie nur aus unserer nächsten Nähe nehmen. Während daher das eine Mal die Mondscheibe vielleicht breiter erscheint als die Krone eines mächtigen Baumes, wird sie im zweiten Falle durch ein Blatt verdeckt, das vor unsern Augen schwankt.

An diese Vergleichungen knüpft sich aber die Vorstellung, und so wird uns der eine Eindruck mächtiger als der andere. Durch geeignete Betrachtung der beiden Abbildungen werden diese Verhältnisse besondere Klarheit erlangen. In beiden ist der Mond gleich groß, und doch täuscht das Bild, in einiger Entfernung durch die sehr wenig geöffnete hohle Hand betrachtet, in erwähnter Weise das Auge.

Die Ursache liegt in uns, in der Unbeständigkeit der Art zu urtheilen, in dem Verwechseln des Maßstabes, der ewigen Ursache aller Ungerechtigkeit.
Z. 




Die Spielhöllen in Wiesbaden.[1]
Von Bernhard Frank.

Es war im August 1863, als ich, aus dem deutschen Norden kommend, von Coblenz nach Wiesbaden fuhr. Ich wußte damals noch nicht, daß ich an dem letzteren Orte bis gegen Weihnachten mich werde aufhalten müssen.

Mein Freund van der Recke hatte mir versprochen, mich auf dem Bahnhof abzuholen. Er war noch nicht da, und ich ging, um ihn zu erwarten, für einige Minuten in den „Wartesalon erster Classe“. Darunter hat man sich hier eine elende hölzerne Boutike mit leeren Breterwänden vorzustellen, in welcher sich, abgesehen von einem Tische und vier Bänken, nichts vorfindet, als ein geheimnißvoll in der Ecke stehendes Schränkchen. Da es eine Glasthüre hatte, so konnte ich wahrnehmen, daß zwei Flaschen darin standen, die eine mit der Aufschrift „Sherry“, die andere mit der Aufschrift „Jamaïque“. Es schien indeß, als herrsche eine große Enthaltsamkeit. Denn eine Spinne hatte ihre Fäden gewoben über das Schlüsselloch der Schrankthüre, welche lange nicht mehr geöffnet worden war. Ich bin ein wenig Hypochonder. Ich hatte mir nach den Schilderungen meines Freundes vielleicht eine übertriebene Vorstellung von Wiesbaden gemacht und fand mich sehr enttäuscht von der „Wartesalon“-Boutike. Dazu kam, daß ich unterwegs von Mitreisenden, welche offenbar Gentlemen waren und nassauische Unterthanen zu sein schienen, Aeußerungen über die Regierung des Landes hörte, die dieser nicht sehr schmeichelhaft lauteten. Die Eisenbahnwagen waren nämlich bezeichnet mit den Buchstaben: „H. N. St. B..“ (herzogl. nassauische Staatsbahn). Die Mitreisenden behaupteten, das heiße „herzoglich nassauischer Staatsbankerott“, die Eisenbahn, die über 32 Millionen Gulden koste, rentire kaum anderthalb Procent; ihr Anfang und Ende liege in Preußen; nun sei aber die nassauische Regierung stockösterreichisch, opponire Preußen im Zollverein und sonstwo, und deshalb verweigere Preußen die Fortsetzungen und Anschlüsse für die nassauische Staatsbahn. Glücklicherweise kam, während ich noch in melancholische Betrachtungen über das „Plectuntur-Achivi“ versenkt vor dem mit einem Spinnweben-Schleier verhüllten unzugänglichen Sherry dastand, „gleich Lord Byron, gloomy-stumm“, mein Freund van der Recke, ein lustiger alter Herr, welcher seinen bisherigen Wohnsitz Preußen aus Abneigung gegen die Einkommensteuer aufgegeben und sich in Wiesbaden niedergelassen hatte; denn in Nassau bezahlt ein Capitalist, und wenn er so reich ist, wie alle Rothschilde zusammen, keinen Pfennig Steuer, während die Arbeiter und kleinen Handwerker hier höher besteuert sind, als bei uns in Preußen.

In den nächsten acht Tagen meines Aufenthaltes zeigte mir mein Freund die Herrlichkeiten von Wiesbaden und seiner Umgebung, und ich that heimliche Abbitte wegen der üblen und unvortheilhaften Vorstellungen, welche die verkommene Beschaffenheit der Staatsbahn und die malcontenten Gespräche der Mitreisenden in mir wachgerufen hatten. Der freundliche „Cursaal“ zeigte mir in seinem Innern eine Räumlichkeit, welche an stylgerechter, würdiger Einfachheit eher einem griechischen Tempel, als einem modernen Conversationssaal gleichen würde, wenn er nicht belebt wäre [42] von einem zahlreichen und eleganten Publicum. Die Parkanlagen sind ebenso mannigfaltig, als schön und behaglich. Die neuerbaute evangelische Kirche vereinigt in glücklicher Mischung einen gothischen Eklekticismus mit einer starken Dosis moderner Koketterie und löst die Aufgabe, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Eclat zu machen. Die Ausflüge in den benachbarten Rheingau, wo man auf einen Hügel steigt, um den glänzenden, immer noch alpengrün gefärbten Strom und die langhingestreckten Weinberge zu überblicken, sind herrlich und doch nicht so schön, als die kleinen Waldwiesen nördlich von Wiesbaden, auf welchen die Hirsche unter dem Schatten tausendjähriger Eichen weiden, mit einer Ruhe und Sicherheit, als wenn sie sich in einem Urwald befänden, Hunderte von Meilen entfernt von aller menschlichen Cultur.

Ich stattete meinem Freund meine Glückwünsche ab über die gelungene Wahl seines Aufenthaltes, und da er früher nie lange Ruhe an einem Ort gehabt hatte, so fügte ich den Ausdruck der Hoffnung bei, daß er nun wohl nicht wieder von Neuem die Anker lichten werde. Ich war erstaunt, als er sein weißes Haupt bedenklich schüttelte und, während ein schmerzliches Lächeln über seine sonst so heiteren Züge glitt, mir sagte, ich irre; er werde schwerlich lange mehr bleiben; er habe bereits einen Agenten mit dem Verkauf seines Hauses beauftragt; dieses Paradies, das er mir gezeigt habe, werde verpestet durch einen Giftbaum, der Alles tödte und verderbe, was in seinem Schatten wandle oder seine Ausdünstungen einathme: der Giftbaum sei das Spiel.

Ich wußte, daß mein Freund durchaus kein Puritaner oder Kopfhänger war, ich hatte früher aus seinem Munde die Aeußerung gehört, man solle Jedermann seine Freiheit lassen, auch die Freiheit, sich zu ruiniren; auch Messer und Gabel seien gefährliche Instrumente unter Umständen, gleichwohl falle es deshalb Niemandem ein, sie zu verbieten, und dergleichen Redensarten mehr, wie sie im Munde eines alten Lebemannes natürlich sind.

Seine Aeußerung über das öffentliche Spiel mußte mich betroffen machen, und da mich meine Gesundheitsverhältnisse zwangen, bis in den December 1863 in Wiesbaden zu verweilen, so benutzte ich meine unfreiwillige Muße, um die Spielhölle, ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart (eine Zukunft hat sie hoffentlich nicht), ihre Technik und ihre Taktik, ihre Herrscher, ihre Beamten und ihre Unterthanen, ihr stehendes Heer, ihr schweres Geschütz und ihre leichten mobilen Colonnen (welche weiblichen Geschlechts sind), ihre Anhänger und ihre Opposition, zu studiren und zu schildern mit dem Fleiße eines deutschen Geschichtsforschers und der Genauigkeit eines englischen Mathematikers. Die große Mehrzahl der Thatsachen, welche ich erzähle, wird den Lesern neu sein. Aber glücklicher Weise sind sie nicht nur neu, sondern auch wahr. Es ist keine einzige darunter, die ich nicht entweder officiellen Documenten oder dem Zeugnisse wohlunterrichteter und glaubwürdiger Wiesbadener Einwohner entnommen hätte. Ich wünsche für meine Schilderung eine möglichst weite Verbreitung, und deshalb ist es die „Gartenlaube“, welche ich um deren Aufnahme bitte. Ich hoffe, daß die Krankheitsgeschichte, welche ich schreibe, dazu beitragen wird, ein wunderschönes Land voll biederer Menschen und einen altberühmten Badesitz mit unerschöpflichen natürlichen Hülfsmitteln zu befreien von der Pestbeule, welche sie zu Grunde richtet, und Deutschland zu erlösen von einer Schmach, welche uns dem Ausland gegenüber entehrt; – ich hoffe ferner, daß, auch wenn das Ziel erreicht sein wird, und wenn die Zustände, deren Darstellung meine Aufgabe ist, der Vergangenheit angehören, meine Schilderung doch noch einen Werth hat, freilich nur den des schwärzesten Blattes aus der Cultur- und Sittengeschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert.

In Nassau bestehen zwei Spielbanken, die eine in Wiesbaden, die andere in Bad Ems (an der Lahn). Die letztere wird nur während der Badesaison betrieben, die erstere aber während des ganzen Jahres, mit Ausnahme der Monate Januar, Februar und März. Die drei letztgenannten Monate werden benutzt, um die Croupiers und sonstigen Spielbeamten für die eigentliche Campagne einzuexerciren. Am letzten December verläßt der schäbigste Rest der „Spielnomaden“, welcher in der Regel aus Franzosen und Walachen besteht, Wiesbaden, um am letzten März dahin zurückzukehren und am 1. April der Wiedereröffnung der Hazardspiele beizuwohnen, welche mit der pünktlichsten Regelmäßigkeit Vormittags um 11 Uhr alljährlich stattfindet. Die drei interdicirten Monate bringen jene Wanderstämme in dem landgräflich hessischen Bade Homburg vor der Höhe zu, in welchem die Spielbank das ganze Jahr hindurch ohne die geringste Unterbrechung arbeitet. Hier hat man nämlich besondere Ursache, sich mit der Ausbeutung des Spielmonopols zu eilen, weil der gegenwärtige Landgraf von Hessen-Homburg der Letzte seines Stammes ist, und am 26. April 1864 einundachtzig Jahre alt wird, nach seinem Tode aber sein Reich an den Großherzog von Hessen fällt, von welchem man als gewiß betrachtet, daß er die Fortsetzung des Spielunfugs nicht duldet.

Außer Nassau und Hessen-Homburg haben noch folgende deutsche Staaten Spielhöllen: 1. Mecklenburg (Doberan), 2. Waldeck (Pyrmont), 3. Kurhessen (Wildungen, Nauheim, Wilhelmsbad etc.). In Baden-Baden existirt zwar die Spielbank noch; allein ihre Tage sind gezählt. Die gegenwärtige liberale Regierung des Großherzogthums hat unter Zustimmung beider Kammern des Landtags die nöthigen Anordnungen getroffen, um sie nach Ablauf einer kurzen Frist, welche mit Rücksicht auf bestehende Verträge etc. gesetzt werden mußte, zu schließen. Weitere Spielhöllen in Europa sind uns nicht bekannt, als diese deutschen und eine italienische in dem von der alten Dynastie der Grimaldi beherrschten winzig kleinen Ländchen Monaco, dessen Fürst die Einkünfte, welche ihm die Verleihung des Spielmonopols erträgt, in Paris zu verzehren pflegt. Es ist ein seltsamer Zufall, daß in dem Gothaischen genealogischen Hofkalender in der alphabetischen Zusammenstellung der europäischen Regentenhäuser Mecklenburg, Monaco und Nassau unmittelbar aufeinanderfolgen, nur getrennt durch Modena, welches zwischen den beiden ersteren steht, dessen Herzog jedoch seit 1859 aufgehört hat, zu regieren.

Die Spielbanken von Wiesbaden und Ems werden betrieben von einer Actiengesellschaft, welcher unter dem wohlklingenden Namen einer anonymen „Gesellschaft zum Betrieb der Curetablissements in den Badeorten Wiesbaden und Ems“ Se. Hoheit der Herzog von Nassau laut der in dem Gesetzblatt des Herzogthums enthaltenen Verkündigung seiner Regierung vom 17. Novbr. 1856 die landesherrliche Concession „gnädigst zu verleihen geruht haben“.

Das Statut der Actiengesellschaft bezeichnet als deren Zweck den Betrieb der Curetablissements nach Maßgabe der Bestimmungen des Decrets des herzoglichen Finanzcollegiums vom 14. Novbr. 1856. Der Inhalt dieses Decrets wird in geheimnißvoller Weise verschwiegen. Man weiß aber, daß dasselbe dem Bankhaus Verlé in Wiesbaden, dem Gründer jener Actiengesellschaft, das Hazardspiel-Monopol in Wiesbaden und Ems für die Zeit von 1850 bis 1881 gegen sehr ansehnliche Gegenleistungen überträgt, mit dem Zusatze, daß auf die Dauer der Pachtung keine weitere Concession zum Hazardspiel in dem Herzogthum Nassau ertheilt werden soll. Im Uebrigen trat der neue Spielpächter in den Vertrag des früheren Spielpächters ein. Der letztere war am 5. October 1847 abgeschlossen und enthält in §. 35 die Vorschrift:

„Wenn etwa von Seiten der deutschen Bundesversammlung die allgemeine Aufhebung der Hazardspiele beschlossen werden sollte, so ist die herzogliche General-Domänendirection jederzeit berechtigt, den gegenwärtigen Vertrag aufzuheben.“

In der That verdient die Voraussicht des Ministers von Dungern, welcher diese Vertragsvorschrift beifügte, alle Anerkennung. Denn schon fünfzehn Monate nachher erließ zwar nicht die deutsche Bundesversammlung, welche inzwischen auseinander gestoben war, sondern der Reichsverweser Erzherzog Johann unter Gegenzeichnung des Reichsministers des Innern, Freiherrn Heinrich von Gagern, und des Reichsministers der Justiz, Robert von Mohl, im zehnten Stücke des Reichsgesetzblattes ein Gesetz, lautend wie folgt:

„Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der Reichsversammlung vom 8. Januar 1849 verkündet als Gesetz: Alle öffentlichen Spielbanken sind vom 1. Mai 1849 an in ganz Deutschland geschlossen und die Spielpachtverträge aufgehoben.“

Diesem Befehle des Reiches leisteten damals die deutschen Einzelnregierungen Folge. Nur die kleinste unter ihnen, nämlich Hessen-Homburg, widersetzte sich; oder vielmehr es war der dortige Spielpächter Blanc, welcher, trotz des Reichsgesetzes, die Schließung der Spielbank weigerte. Man erzählt, er habe seine Weigerung mit dem schnöden Witzworte begleitet: „Mein Reich (die Spielhölle) wird länger dauern, als das deutsche“, eine Prophezeiung, die leider noch in dem nämlichen Jahre durch Auflösung der Centralgewalt [43] und Sprengung des Parlaments ihre Verwirklichung fand. Im Mai 1849 übrigens hatte die Reichsgewalt noch Kraft genug, um dem Herrn Blanc in Homburg ein paar Compagnien „Reichstruppen“ auf den Hals zu schicken und die Schließung der Spielbank zu erzwingen. Freilich auch nur scheinbar. Der Spielpächter verlegte sich nämlich auf Rabulisterei. Er sagte: „das Reichsgesetz verbietet die „öffentlichen Spielbanken“, nicht die geheimen; machen wir also eine geheime.“ Er verlegte die Spieltische in ein kleineres Zimmer, erklärte, dies sei geschlossen für Jedermann, der nicht eine besondere Eintrittskarte habe, und gab „besondere Eintrittskarten“ an Jedermann, ohne Ausnahme, der eine solche verlangte. So schlug sich die Spielhölle durch, um sich, nachdem „das deutsche Reich“ niedergeworfen war, zu neuem Glanze zu entfalten.

Wir aber, sagt Max von Schenkendorf,

„Wir woll’n den Eid nicht brechen.
Nicht Buben werden gleich;
Woll’n predigen und sprechen
Vom heil’gen deutschen Reich;“

und wenn auch für den Augenblick der Homburger Spielpächter Recht behalten hat, so ist das doch nur eine Sache der Täuschung und des Augenblicks; auf die Dauer und für die Länge eines solchen Zeitraumes, womit die Geschichte zu messen pflegt, wird das deutsche Reich Recht behalten und wird Herr werden über seine Feinde, auch über die Spielpächter, welche ihm Hohn gesprochen.

Die Actiengesellschaft, welche sich deren Betrieb zum Zweck gesetzt hat, wurde, wie gesagt, 1856 gegründet. Sie hat ein Actiencapital von zwei und einer halben Mill. Gulden süddeutscher Währung, getheilt in 25,000 Actien à einhundert Gulden, die auf den Inhaber lauten und unterzeichnet sind von dem herzoglichen Regierungscommissar und den Directoren der Gesellschaft. Von diesem Gesellschaftscapital wurde der größere Theil, nämlich eine Million achtmalhunderttausend Gulden, den „Gründern“ zugewiesen dafür, daß sie die früheren Spielpächter abgefunden und von denselben „Mobiliar und sonstiges Eigenthum“ erworben hätten, das indeß in dem Gesellschaftsvertrage nicht aufgeführt ist und keinen sonderlichen Werth gehabt zu haben scheint. Da der von der Regierung zur Ueberwachung des Spiels bestellte Commissar im Juli 1858 in der Ständeversammlung erklärte, es sei bei der Abfindung den früheren Spielpächtern eine Abfindungssumme von „über eine Million Gulden“ bezahlt worden, und da immerhin zwischen einer Million und 1,800,000 Gulden ein sehr weiter Spielraum übrig bleibt, so scheinen die Herren „Gründer“ gegenüber den Actionären nicht zu kurz gekommen zu sein. Uebrigens haben mir glaubhafte Leute in Wiesbaden versichert, die früheren Pächter hätten nur 800,000 Gulden erhalten. Sei dem nun, wie ihm wolle, die „Gründung“ kostet 1,800,000 Gulden, wofür an dem Tage, an welchem das Spiel unterdrückt wird, keinerlei reeller Werth vorhanden ist. Denn an diesem Tage ist die Spielconcession gar nichts mehr werth, und die Spieltische sowie sonstiges Eigenthum wenigstens nicht viel. Daß die nassauische Regierung, so lange sie es halten kann, wie sie will, das Spiel ganz gewiß nicht aufhebt, davon werde ich im weiteren Verlaufe meiner Auseinandersetzung den Leser überzeugen. Allein das ist doch gewiß, daß sie schon im Jahre 1847 den Fall der Möglichkeit der Aufhebung vorausgesehen und sich vorgesehen hat, daß ihr in diesem Falle eine Entschädigungsforderung nicht gemacht werden kann wegen der Vernichtung des Spielmonopols, das bis dahin noch einen künstlich erzeugten Scheinwerth besitzt. Also, die 1,800,000 Gulden abgerechnet, welche die „Gründer“ erhalten haben, bleiben von den dritthalb Millionen Gesellschaftscapital nur noch 700,000 Gulden übrig. Hiervon sollen 500,000 Gulden als Betriebsfonds dienen und 200,000 Gulden den Reservefonds bilden.

Laut der von der Spielgesellschaft gestellten Rechnungen hat dieselbe in der Zeit von 1857 bis 1860 folgende Summen durch das Hazardspiel in Wiesbaden und Ems eingenommen:

Jahr-
gang
Einnahme von dem Spiel
Gesammt-
Einnahme des
Jahres
1. in Wiesbaden
2. in Ems
a. im Sommer b. im Winter
1857 556,825 fl. 49 kr. 091,217 fl. 16 kr. 400,566 fl. 58 kr. 1,048,610 fl. 03 kr.
1858 786,463 fl. 04 kr. 275,242 fl. 44 kr. 314,451 fl. 42 kr. 1,376,157 fl. 30 kr.
1859 637,885 fl. 22 kr. 322,536 fl. 19 kr. 294,802 fl. 32 kr. 1,255,224 fl. 13 kr.
1860 852,484 fl. 11 kr. 293,385 fl. 42 kr. 360,618 fl. 20 kr. 1,506,488 fl. 18 kr.

Der Gesammtertrag der vier Jahre ist:

0I. Wiesbaden, Sommer- und Winterspiel       3,816,040 fl. 27 kr.
II. Bad Ems 1,370,439 fl. 32 kr.
im Ganzen       5,186,479 fl. 59 kr.

Der Betriebsfonds von 500,000 Gulden trägt also per Jahr beinahe 1,400,000 Gulden ein!

Die Jahreseinnahmen von 1861 bis 1863 sind dem Vernehmen nach noch gestiegen. Freilich werden diese Summen nur als „Rohertrag“ aufgeführt. Denn es ruhen auf diesen Spieleinkünften auch Ausgaben, deren eigenthümliche Natur wir später untersuchen werden.

Als „Reinertrag“ führen die Rechnungen folgende Summen für die erwähnte Zeit auf:

     I. Spielbank in Wiesbaden
 1. 1857. a. Sommer
0 292,631 fl. 08 kr.
 1. 1857. b. Winter 0 028,998 fl. 56 kr.
 2. 1858. a. Sommer 0 394,206 fl. 25 kr.
 1. 1857. b. Winter 0 124,409 fl. 46 kr.
 3. 1859. a. Sommer 0 311,185 fl. 45 kr.
 1. 1857. b. Winter 0 222,222 fl. 36 kr.
 4. 1860. a. Sommer 0 486,791 fl. 07 kr.
 1. 1857. b. Winter 0 173,287 fl. 45 kr.
im Ganzen 2,033,733 fl. 28 kr.
     II. Spielbank in Ems
1. 1857      251,832 fl. 01 kr.
2. 1858      175,589 fl. 11 kr.
3. 1859      157,263 fl. 53 kr.
4. 1860      167,140 fl. 42 kr.
= 751,825 fl. 47 kr.
im Ganzen 2,785,559 fl. 15 kr.

[WS 2]

Ich überlasse dem Leser, sich die Zahlen näher zu gruppiren. Dieselben geben an, daß die Spielbank in dem einen Jahr mehr, in dem andern weniger gewinnt, je nachdem mehr oder weniger gespielt wird, daß sie aber niemals verliert, weil die ganze Einrichtung so getroffen ist, daß sie nicht verlieren kann. In Wirklichkeit spielt nicht die Bank mit den Spielern, sondern die Spieler spielen untereinander; was der Eine gewinnt, verliert der Andere. Die Bank aber vermittelt nur den Gewinn und Verlust unter den Spielern, indem sie vermöge der Spielvortheile, die sie genießt, und des Monopols, das ihr die Staatsgewalt verliehen hat, von einem jeden Einsatz, welcher gemacht wird, ihre enormen Procente bezieht. Nach einer genauen mathematischen Berechnung, auf welche wir später zurückkommen werden, beträgt der Vortheil der Bank beim Roulette, den Einsatz zu 100 Gulden angenommen,

  = 1/19 · 100 = 5,26 = ungefähr 51/4 Procent.

Oder, um es populärer auszudrücken: So oft ein Gulden über den grünen Tisch spaziert, nimmt sich die Spielbank davon drei Kreuzer. Spaziert er also zwanzig Mal darüber, so hat er sich in zwanzig Groschen aufgelöst und diese sind in die Casse der Bank geflossen.

Dies erinnert an die wundervolle Geschichte, welche der bekannte Verfasser des „Struwwelpeter“, Dr. Heinrich Hofmann in Frankfurt, in seinem „Bad Salzloch“ – eine unübertroffene Satire auf den modernen Bade-Industrie-Schwindel – zur Anpreisung und Verherrlichung der tonisch-auflösenden und abführenden Wirkungen des dortigen Wassers erzählt.

Ein junger Mensch hatte im Eifer einen Silber-Gulden verschluckt. Zwölf Gläser Salzlocher Wasser brachten die unglaubliche, aber durch ärztliche Zeugnisse constatirte Wirkung hervor, daß er das Guldenstück in sechszig einzelnen Kreuzern wieder von sich gab. Die Wirkungen der Spielbank sind zwar weniger wahrnehmbar, aber sie führt noch drastischer und schneller ab. Wenn du gewinnst und glaubst, von der Bank zu gewinnen, so irrst du dich. Denn im Ganzen, gegenüber der Gesammtheit der Spieler und auf die Länge der Zeit gerechnet, kann die Bank gar nicht verlieren. Was du gewinnst, das gewinnst du von deinen Mitspielern; und wenn einer der Letzteren in Folge der erlittenen Verluste im nahen Walde sich erhängt oder im See des Parks seinem Leben ein Ende macht, so kannst du nicht deine Hände in Unschuld waschen und die Schuld auf die Spielbank schieben. Denn du bist es, der durch Vermittelung der ihren Makellohn ziehenden Bank mit ihm gespielt und ihn ruinirt hat, – freilich ohne es zu wissen und zu wollen. Die Bank giebt niemals, sie nimmt nur, [44] und das nachstehende Couplet, das wir in dem neuesten Kladderadatsch-Kalender finden:

„Du siehst in einem schönen Thal
Ein Haus auf Säulen, drin ein Saal;
Und in dem Saal thut wieder stehn
Ein Tisch, ganz grasgrün anzusehn;
Und wem der Tisch nun wohlgefällt,
Der legt auf diesen Tisch sein Geld;
Und eben an demselben Ort
Steht auch ein Kerl, der nimmt es fort;
Das geht, bis daß man nichts mehr hat; –
 – – –
– Der Selbstmord findet draußen statt.“

mag noch so frivol lauten, es ist deshalb doch leider eine ganz unbestreitbare mathematische Wahrheit, die uns im neunzehnten Jahrhundert, in welchem die Menschheit mit dem Dampf fährt und mit dem Blitz schreibt, lehrt, wie sehr trotz alledem ein Theil dieser Menschheit in den civilisirtesten Ländern von Dummheit, Leidenschaft und Verblendung beherrscht wird.

Alles das ist auch, im Grunde genommen, gar nichts Neues. Schon die deutsche Reichsversammlung, als sie vor fünfzehn Jahren die Spielhöllen aufhob, wußte, daß diese Institute gemeinschädlich und unsittlich sind; daß sie in dem Spieler die niedrigsten und verderblichsten Leidenschaften wecken, ihn demoralisiren, seiner Familie, seinem Beruf, seiner wirthschaftlichen, socialen und bürgerlichen Stellung entfremden, ihn in Verzweiflung und Verderben treiben und ihm nur zwischen Verbrechen und Selbstmord die Wahl lassen; daß sie dem Spieler das Geld abnehmen, ohne die geringste Gegenleistung dafür (denn die Gegenleistungen der Spielbank gelangen nicht an den Spieler, sondern an den Verleiher oder Verpächter des Spielmonopols); daß sie, weit entfernt, Werthe zu erzeugen, dieselben zerstören, indem sie das Capital aus den Händen, in welche es die natürliche wirthschaftliche Bewegung gebracht hatte, wegnehmen und in die Hände solcher legen, welche seinen Erwerb als das Spiel eines blinden Zufalls ansehen und aus dem, was dieser bescheert hat, in der Regel nichts zu machen wußten, als es auf dem Wege des Lasters todtzuschlagen oder auf dem der schalsten Vergnügungen zu vergeuden.

Das Alles haben schon die großen Redner der Paulskirche in den Jahren 1848 und 1849 viel schöner und besser gesagt; und wenn ich weiter nichts beifügen könnte, so hätte ich geschwiegen und die Leser gebeten, die stenographischen Protokolle des Professor Wigard zu lesen.

Allein Manches, was ich während einer Saison in Wiesbaden erfahren, wußten die Herren in der Paulskirche nicht; Manches aber hat sich auch erst zwischenzeitig, unter dem gewitterschwülen Himmel der Reaction, die für die Erzeugung und Vermehrung von Giftpflanzen und Ungeziefer so außerordentlich fruchtbar war, entwickelt, und deshalb halte ich es nicht für überflüssig, diesen Stoff noch einmal ganz gründlich zu debattiren, und zwar mit mehr Material und weniger Worten, als es vor fünfzehn Jahren geschehen, wo sogar noch ein sonst braver Mann, blos deshalb, weil er das Unglück hatte, in dem Reichswahlbezirk Hessen-Homburg gewählt zu sein, schwach genug war, einige Worte nicht der Rechtfertigung, aber doch der Entschuldigung und provisorischen Daseinsfristung für das Spiel zu sprechen.

Was bisher noch nicht beleuchtet worden ist, das ist der Unterschied zwischen den grünen Tischen in Californien und in Deutschland, – eine Vergleichung, welche, wir müssen es mit Schmerz und Scham sagen, sehr zu Ungunsten unseres Vaterlandes oder, um uns richtig auszudrücken, der wenigen deutschen Regierungen, welche noch Spielhöllen unterhalten, ausfällt. Glücklicher Weise giebt es in der Mehrzahl der deutschen Staaten solche nicht mehr, namentlich auch nicht in Oesterreich und Preußen. Denn eine europäische Großmacht kann keine Spielhöllen halten, sonst hört sie auf, eine Großmacht zu sein.

In Californien hält Jeder, der da will, eine Spielbank. Durch die Concurrenz ist der Bankhalter genöthigt, die Spielchancen zwischen sich und den Andern möglichst gleichzustellen. Er kann dies um so eher, da er ja nicht an die Regierung, oder wer sonst das Spiel concessionirt oder verpachtet, Hunderttausende zu zahlen hat. Will er die Spieler übervortheilen, so begiebt er sich in die Gefahr, dem Strafgesetz oder der Lynch-Justiz zu verfallen. Die Spielhöllen befinden sich in elenden Hütten, die aus ein paar Tannenstämmen mit schlechtem Calico umkleidet bestehen; ihr Aeußeres hat mehr Abstoßendes als Anziehendes.

In Deutschland sitzt die Spielhölle gleich einer Kreuzspinne in der Mitte ihres Netzes, im Centrum einer volkreichen Haupt- und Residenzstadt. Sie öffnet ihren Marmorpalast Allen, die ihrer Gesundheit halber gekommen sind und an dem Versucher kaum vorbei können. Sie umgiebt sich mit allen Reizen der Eleganz und des Luxus, mit Allem, was die Sinnlichkeit reizen und die Gewinnsucht aufstacheln kann. Ihr Geschäft ist nicht ein geduldetes, sondern sie genießt ein Privileg, das ihr einen besonderen Schutz gewährt, und ein Monopol, das den ohnehin an Capital, Spielchancen, Ruhe der Berechnung u. s. w. weit im Nachtheil stehenden Spieler ihrer Allmacht unterwirft. Denn die Spieler haben Concurrenz, die Spielbank nicht. Sie bezahlt für ihr Monopol und ihre Privilegien enorme Summen an öffentliche Cassen und öffentliche Anstalten. Wer an diesen Cassen und diesen Anstalten betheiligt ist, der ist auch an dem Spiel interessirt. Dann aber ist sie eine Actiengesellschaft geworden. Alle Capitalien, bis auf die kleinsten herunter, sind dabei betheiligt, daß gespielt wird und daß die Bank gewinnt. Die Actien sind in solchen Händen, in die sie am allerwenigsten gehören. Die Concessionirung der anonymen Gesellschaft hat ein geduldetes Privatgeschäft in eine allgemeine, öffentliche und officielle Verschwörung aller Einheimischen, die gewinnen wollen, gegen die Fremdlinge, die verlieren sollen, umgewandelt.

Das Spiel gleicht jenen Hasenjagden, welche man „Kesseltreiben“ nennt. Eine große, fruchtbare Ebene, in welcher sich die Hasen befinden, ist auf ihrer ganzen Peripherie von Treibern umstellt. In dem Centrum ist eine Höhle oder ein Kessel ausgegraben, geschützt durch Wälle, die mittelst der ausgegrabenen Erde ausgeworfen sind. In diesem Kessel stehen die Schützen. Die Treiber ziehen ihren Kreis immer enger, die Hasen werden in Masse dem Kessel immer näher getrieben und dort von den Schützen erlegt. Die Treiber sind die Actionaire. Die Schützen im Kessel sind die Spieldirectoren.



„Schleswig-Holstein, meerumschlungen!“

Am 24. Juli 1844 saßen in der großen Sängerhalle zu Schleswig wohl an 3000 Sängerfestgenossen und unter ihnen sämmtliche Mitglieder jener denkwürdigen schleswigschen Ständeversammlung desselben Jahres, welche durch die beharrliche deutschpatriotische Vertheidigung ihres selbstständigen Rechtsbodens, der vom Könige Christian VIII. selbst damals die ersten offenbaren Angriffe erfuhr, sich die Ungnade desselben erworben hatte. Es war kaum eine Woche seit dem Schluß und landesherrlichen Abschied jener Versammlung vergangen, in welcher der „Herzog“ von Schleswig die trotzige Stirn des „Königs“ gezeigt, während die jütische Ständeversammlung, die zu gleicher Zeit in Viborg getagt und geschlossen hatte, durch ihre maßlosen Angriffe auf das deutsche Wesen der Herzogthümer im Sonnenschein der königlichen Huld sich spreizte. Durch Schleswig und Holstein ging von diesem Tage an ein schwerer Zug der Besorgniß vor der Zukunft, des Kummers über das ungewisse Schicksal des Landes, des Trotzes gegen die drohende Gewalt, der Zuversicht auf den deutschen Geist des Volks und der Hoffnung auf die Hülfe der deutschen Nation.

In dieser Stimmung saßen die Festgenossen in der Sängerhalle zu Schleswig, in der zum ersten Male seit langer Zeit, man sagt seit 200 Jahren, wieder das alte schleswig-holsteinische Banner entfaltet war. Und da geschah es, daß ein Lied, ein einfaches Lied mit seiner ebenfalls einfachen Singweise so glücklich und so ganz und voll für das Gefühl, das in allen Herzen wogte, das rechte Wort und den rechten Ton in den Mund des Volks legte, daß es wie mit einem elektrischen Schlage durch die Bevölkerung des Landes fuhr, wie Donnerrollen und Sturmesbrausen, und noch am selben Abend die Würde eines Nationalgesangs errungen hatte und vor Allem als ein unvertilgbarer Protest gegen alles Dänenthum und als einer der gefährlichsten Feinde desselben dastand.

[45]

Matthäus Friedrich Chemnitz,
der Dichter des Liedes „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“.

Seit jenem 24. Juli 1844 ist in Schleswig-Holstein kein Tag der Freude und kein Tag der Trauer begangen worden, an welchem nicht dieses Lied erklungen wäre, und als im August des Jahres 1845 zum ersten Male die 36 Schlagbäume des deutschen Bundes von den Sängern des deutschen Volkes niedergesungen wurden, als das erste große deutsche Sängerfest zu Würzburg das beredteste Bild vom Einheitsdrang der Nation darstellte, fehlten auch die Sänger von Schleswig-Holstein nicht, und ihre siegreiche Volkshymne ward hier zum Eigenthum der deutschen Nation.

So hat denn dieses Lied das 20. Jahr seiner wunderbaren Wirksamkeit begonnen, es reiht sich mit jedem Tage mehr an Bedeutung jenen Nationalgesängen an, welche in der Geschichte Europa’s ihre Stelle behaupten: dem ehernen Kampflied des Protestantismus „Ein’ feste Burg ist unser Gott“, das in den Glaubenskriegen Tausende in die Schlachten geführt, der „Marseillaise“, die zum unsterblichen Freiheitslied der Franzosen geworden ist, und der ewigen deutschen klagenden Frage: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Und mehr als irgend früher ist es heute nicht blos das Schlagwort im ganzen deutschen Volk, sondern die Augen der ganzen gebildeten Welt, wie sie auf die rollende Schicksalswoge von Schleswig-Holstein gerichtet sind, müssen sich auch auf das Lied richten, das jene Woge unaufhörlich umrauscht. Helfe nur der Himmel in den deutschen Herzen und Häuptern, daß die Kriegsmusik der Sachsen, wie sie mit dieses Liedes Klängen ihren Einzug in die erste Stadt des meerumschlungenen Landes verherrlichte, mit ihnen auch den Siegerheimzug feiere!

Die patriotische Glorie, in welche die Zeit das Lied gehoben hat, macht es uns zur Pflicht, über den Ursprung desselben unseren Lesern einiges Nähere mitzutheilen.

Zu dem oben genannten schleswig-holsteinischen Sängerfest hatte der in Berlin lebende Kreisjustizrath Dr. Straß unter drei kleinen Liedern auch eines auf die Herzogthümer zur Composition eingesandt, das mit folgenden Versen beginnt:

Schleswig-Holstein, schöne Lande,
0 Wo mein Fuß die Welt betrat,
O, daß stets an eurem Strande
0 Keime wahren Glückes Saat!
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
Haltet fest der Eintracht Band!

Das friedlich-gemüthliche Liedchen wurde von dem Cantor Bellmann componirt, und die Melodie fand allgemeinen Beifall. Um so mehr bedauerte man, daß der Text, der in weniger erregter Zeit geschrieben war, mit der Stimmung des Landes nach dem schleswigschen Landtagsschluß nicht in Einklang stehe. Um diesen Mißklang zu beseitigen, dichtete Matthäus Friedrich Chemnitz, der damals als Rechtsanwalt in Schleswig lebte, mit Zugrundelegung des Straß’schen Textes das neue Lied.

Außer dem Versmaß, an das er durch die Melodie gebunden war, und dem ersten Verse des Refrains „Schleswig-Holstein, stammverwandt“ entnahm jedoch Chemnitz dem Straß’schen Texte nur die Verse:

Gott ist stark auch in den Schwachen,
Wenn sie gläubig ihm vertraun,
Straß: Und ein gut gelenkter Nachen
Chemnitz:      Zage nimmer – – und dein Nachen
Straß: Kann 0 trotz Sturm den Hafen schaun.|
Chemnitz: Wird

Chemnitz: Alles Uebrige im Chemnitz’schen Liede ist selbstständige Dichtung und an Kraft dem Straß’schen bei Weitem überlegen. – Die erste Ausgabe des Chemnitz’schen „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“ mit der Bellmann’schen Composition erschien noch 1844 in der M. Bruhn’schen Buchhandlung und ist auf dem Titelblatte geschmückt mit der Vignette der Doppel-Eiche. Die fremde Grundlage [46] seines Liedes deutete Chemnitz selbst auf dem Titel durch die Worte an: „Nach einem Gedichte von Straß.“ Damit glauben wir eine Mittheilung der in Hamburg erscheinenden, sonst gut unterichteten „Nessel“ genügend widerlegt zu haben, welche die Urheberschaft des Schleswig-Holstein-Liedes ausschließlich Straß vindiciren wollte.

Da die Gartenlaube in den Stand gesetzt ist, ihren Freunden das einzige bis jetzt vorhandene Bildniß des Dichters vorlegen zu können, so fügen wir jenem zugleich einige biographische Notizen bei.

Matthäus Friedrich Chemnitz ist am 10. Juni 1815 zu Barmstedt, einem Marktflecken im südlichen Holstein, geboren. Der Reichthum seines Vaters, eines Predigers, waren nach dem Sprüchwort und nach der Weise der meisten Geistlichen: liberi und libri, zu Deutsch: Kinder und Bücher. Der ersteren besaß er über ein Dutzend, und unser Chemnitz war von den sieben Söhnen der älteste. Nachdem er in einer glücklichen Kindheit den Unterricht seines Vaters genossen, bezog er das Gymnasium zu Altona und 1834, im Todesjahre seines Vaters, die Universität Kiel. Im Jahre 1810 ließ er sich, nachdem er die juristische Staatsprüfung glänzend bestanden, als Rechtsanwalt in Schleswig nieder. Hier versah er mehrere Jahre zugleich die Stelle eines Substituts des Staatsanwalts für das Herzogthum Schleswig, und hier wurde er sehr bald mitten in die Kämpfe des Landes gegen das immer frecher andringende Dänenthum eingeführt. Aus dieser Zeit kennt man, außer dem Nationalliede, noch einige andere politische Dichtungen von ihm; außerdem war er ein eifriger Correspondent für deutsche Zeitungen im Interesse der Herzogthümer. Auch die Gründung des Beseler-Fonds verdankt ihm ihre erste Anregung. Inzwischen war der März des Jahres 1848 herangekommen mit einem hoffnungsreichen Freiheitshauche. Am 24. erhoben sich die Herzogthümer, und am selben Tage warf Chemnitz eine Schleswig-Holstein’sche Marseillaise – wie er seine schwungwllen Verse nannte – in die allgemeine Begeisterung.

„Auf, Schleswig-Holstein, auf, erwache!
Der Tag bricht an, der Morgen graut.
Horch! Dich ruft die heil’ge Sache,
Ruft zu Waff’ und Wehr Dich laut,“

so begann das Lied, welches die ersten schleswig-holsteinischen Truppen mit nach Flensburg und Bau hinauftrugen.

Während der Jahre der Volkserhebung in den Herzogthümern war Chemnitz erst einer der Beamten der „Provisorischen Regierung“ und später Secretair in dem Gottorfer Verwaltungs- und Justizamte erster Instanz. Nach dem elenden Untergang der schleswig-holsteinischen Volksbestrebungen siedelte er erst nach Hamburg, wo er für eine Zeitung thätig war, und 1851 nach Würzburg über, wo er seine zweite Heimath fand. Dort war er bis 1854 Secretair der Maindampfschifffahrts-Gesellschaft und ist seitdem Secretair des polytechnischen Vereins, dessen 50jährige Geschichte er 1856 geschrieben hat. Chemnitz lebte seit 1855 in glücklicher Ehe, die leider im vorigen Jahre der Tod zerriß; zwei Kinder, ein Söhnchen und ein jüngeres Töchterchen, sind sein Trost und seine Liebe geblieben. Seine bürgerliche Stellung ist eine bescheidene; es wäre dem verdienten Manne wohl zu wünschen, daß das Glück seiner alten Heimath, wenn es erblüht ist, auch ihm persönlich mit zu Gute käme.

Gegen öffentliche Kundgebungen von Ergüssen seiner männlich freien Gesinnung hatte der Ausgang der Sache seiner Heimath im Jahre 1851 ihn lange Zeit zu sehr verbittert. Erst 1861 langte er die verstaubte politische Leier wieder herab von der Wand. Seine drei Lieder: „Deutschland, mein Hort!“ „Die deutsche Kaiserkrone“ und „Das deutsche Lied“, componirt von V. E. Becker, wurden von den Liedertafeln freundlich aufgenommen, und sein „Schleswig-Holsteins Recht“ zum 18. October und „Jetzt oder nie!“ vom 24. Novbr. 1863 zeugen dafür, daß auch er in seinem Herzen

„treu gewahrt, was schwer errungen,
Bis ein schönrer Morgzen tagt.“




Das ewige Licht.
Von Carl August Heigel.
(Fortsetzung.)
3. Die Donau rauscht.

Horch!…

Er kniete am Betstuhl in seiner Zelle, nicht im Gebet, sondern ganz Ohr, ob die Thorglocke nicht klang, nicht hastige Schritte sich näherten; ganz Ohr, seitdem die Nacht in einen trüben Tag übergegangen war. Vorbei das Gewitter, aber der Himmel ist sonnenlos, grau; dunklere Wolken ziehen daran empor, wallen und wechseln, theilen sich und entlasten weiße Flocken, wie Rauch. Der Regen strömt endlos hernieder, rauscht im Epheu der nahen Felswand und schlägt an die Fensterscheiben. Sonst Alles still, wie wenn Niemand mehr im Kloster wäre, als sein unglücklicher Prior und das einsame Gespenst der Zeit, das hin und wieder die Glocke im Kirchthurm streift …

Es gab einen Augenblick, in welchem Gregor’s Geist die Folter des Einen Gedankens nicht mehr ertrug. Die Wimpern schlossen sich, und Gregor blieb eine Weile bewußtlos. Als er die Augen wieder aufschlug, war seine erste Empfindung eine Art Wollust, das Erwachen von einem entsetzlichen Traum; aber mehr und mehr rauschte die lethäische Welle zurück; er keuchte im Kampf mit der rückkehrenden Wahrheit; zuletzt sprang er empor und rief, sich die Brust zerschlagend: „Nein! nein! Ich bin ein Mörder.“

Dann war es, daß er am Betstuhl sich niederwarf und zum Christusbilde verzweiflungsvolle Gebete stammelte. Er ist jetzt der Mittelpunkt des Weltalls; Himmel und Erde müssen jetzt auf ihn blicken, und das Ungeheure seiner That fordert ein Wunder der Allmacht … Eines Menschen Rettung aus sturmgepeischten, tosenden, nachteinsamen Fluthen ist kein größeres Wunder, als das Versinken der Seele im Wirbel der Leidenschaft, als eine verbrecherische That aus erhabenen Motiven … Benedictus kann nicht todt, muß gerettet sein. Bald, bald wird er hereintreten und seinem Freund an die Brust sinken … Dies Ereigniß malt Gregor sich aus und genießt seine Seligkeit im Voraus. Er flüstert sanft die Namen: „Benedict! Freund! Bruder!“ und weint die Thränen der Neue, Freude und Versöhnung.

Aber der Wahnsinn der Hoffnung dauert nicht. Der Verstand fordert Wahrscheinlichkeit und menschliche Gründe. Und nun sinnt Gregor mit ängstlicher Hast sich Zufälle aus, die Benedict’s Rettung ermöglichten. Die Fährknechte haben seinen Schrei gehört und ihn im Kahn gerettet! Oder der Fluß selbst hat ihn an’s Land getragen! … Doch warum ist er dann noch nicht zurückgekehrt? … Der Gedanke durchzuckt ihn jählings, daß Benedictus am Leben sei, aber nicht zurückkehren, nicht vergeben und vergessen wolle. Er ist in der Stadt, klagt Gregor des Mordversuches an, ruft die Gerichte auf – – –

Unwillkürlich ist der Prior an’s Fenster getreten und hat es geöffnet.

Unten zieht sich der schmale Baumgarten dem Haus entlang bis zum Fluß. Im Halbkreis schließt ihn der Felsen ein. Am andern Ufer fallen die hohen Steinwände senkrecht in die Fluth. Der Strom selbst, vom Regen geschwellt, ras’t wild dahin. Gregor hört das Geräusch des Wassers, es summt und wächst und donnert zuletzt in seinem Ohr. Er ringt die Hände, selber ein Ertrinkender … Jener Strom war erbarmungslos: todt ist Benedictus!

Nun gilt es nur noch, die Schuld zu verbergen, des Hauses Ehre zu retten!

Und er horchte. – – –

Es schlug zehn Uhr. Kaum waren die Schläge verhallt, so läutete die Thorglocke.

Der Prior befand sich weitab vom Eingang, im zweiten Flügel, aber der Klang erschütterte ihm Mark und Bein. Die Posaunen des Weltgerichts können nicht lauter und ahnungsvoller tönen. So grell, so ganz besonders klang die Glocke, Jeder hat sie gehört, Jeder verstanden – sie gellte: „Mord!

„Sie bringen ihn,“ flüsterte er. „Fassung, o, jetzt nur Fassung!“

Er trat an sein Pult und griff hastig nach einem Buch. Indem er es aufschlug, fiel ein gesticktes Merkzeichen heraus. Das Buch war Benedict’s Spinoza.

Dieser Zufall gab ihm Kraft und Bewußtsein. Das Buch [47] erinnerte ihn, warum er die That begangen, und ein Hauch des herben Richtergeistes, der ihn gestern erfüllte, überkam ihn. Jetzt nahen eilende Schritte; Stimmen rufen den Prior, Menschen dringen in die Stube. Wer? was? er sieht und hört es nicht, er weiß nur, daß er jetzt seines Lebens schwersten Gang zu gehen hat – – und er geht, aufrecht, lautlos, mit einem Gesicht, das schon jetzt die Meduse sieht …

Im Thorweg standen die Mönche um eine Tragbahre. Eine grobe Decke war darüber gebreitet; schwer vom Regen, zeichnete sie die Umrisse eines Körpers, der darunter lag; eine Hand sah auf der einen Seite vor, eine fahle Manneshand. Alle wußten durch die beiden Schiffsknechte, welche daneben standen, wer zu ihren Füßen lag, aber Keiner berührte noch die Hülle, sie schwiegen und schauderten. Durch das offene Thor wehte der Regen. Die Donau rauschte.

Da tritt der Prior in den Kreis, und Einer beugt sich nieder und schlägt die Decke zurück. Benedictus! das schwarze Gewand triefend und zerrissen, das Gesicht entstellt vom Wasser, vom Tod; jeder Zug schmerzlich verzerrt oder zerstört, nur die Stirne unentweiht, klar und erhaben. Ein Fieberfrost schüttelte die Hünengestalt Gregor’s, und sein Gesicht hatte die Farbe des Todten, aber wer von den Anwesenden zitterte nicht? wer wäre bei solchem Anblick nicht erblaßt? Pater Hieronymus war’s, der zuerst das Wort ergriff.

„Wann habt Ihr ihn gefunden?“

Die Frage war an einen Alten in grauer Jacke und Wasserstiefeln gerichtet, der verlegen seine Mütze in den Händen drehte. Er strich das feuchte Haar aus dem wettergebräunten, ehrlichen Gesicht und sprach: „Genau kann ich das Hochwürden nicht sagen; auf unsrer Schwarzwälderuhr war’s Sieben, also wird es wohl um Acht herum gewesen sein. Wie Hochwürden wissen, wohne ich drunten, nah’ bei Felsdorf, mit meinem Schwiegersohn, dem Hans da“ – er wies auf seinen jüngeren Gefährten. – „Unser Haus liegt keinen Büchsenschuß weit vom Wasser. Wir sind Fährleute, und wenn die ver – wenn die Dampfschiffe nicht wären, könnten wir vom Fischen allein leben. Heut’ früh also zieh’ ich g’rade meine Stiefel an, und meine Tochter ist g’rade ihrem Blitzbuben, dem Sepperl, nachgelaufen, weil er immer auf die Kähne steigt und dabei in’s Wasser fällt; der Hans da aber rasirt sich g’rade für die Feiertage – da kommt der Blitzbub, der Sepperl, in die Stube gelaufen und schreit: Großvater, der schwarze Mann! der schwarze Mann liegt im Wasser! Gleich hinterdrein stürzt meine Tochter, weiß wie die Wand, und sagt: Jesus Maria! draußen hat’s einen todten Mann angeschwemmt, und es ist ein Pater vom Kloster! Und sie fängt an zu weinen und zu lamentiren, und der Sepperl und die kleine Franzel machen’s natürlich gleich der Mutter nach, und meine Alte, die im Bett liegt und die Gicht hat und nicht recht hört, schreit: Hülfe, zu Hülfe! Du Narr, sag’ ich zu meiner Tochter, bild’ Dir doch so was nicht ein, im Wasser seh’n Alle schwarz aus. Aber innerlich hat’s mir einen Stich gegeben, denn mein Vater und Großvater selig waren beim Kloster angestellt, und ich bin stolz darauf. Ich zwinkre dem Hans zu, und wir gehen hinaus und sperren das Weibervolk und die Gründlinge ein. Und richtig, zwischen meinem Boot und dem Heuschiff liegt der arme Pater Benedict. Ich glaubte, mich trifft der Schlag; wir zieh’n ihn an’s Land, reiben ihn, stellen ihn auf den Kopf, aber er ist und bleibt todt, denn dem Aussehen nach hat er schon lang im Wasser gelegen. Da holten wir eine Trage und schleppten ihn hierher, ich und mein Schwiegersohn, der Hans da.“

Der Erzähler that einen tiefen Athemzug und wischte sich mit seinem Aermel den Schweiß von der Stirne, dann fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: „Wir hätten durch Felsdorf gehen können, das wäre eine gute Stunde näher gewesen. Aber das hätte ein Zusammenlaufen und Aergerniß gegeben, und mein Vater und Großvater selig haben zum Kloster gehört, und ich bin stolz auf unser Kloster. So gingen wir denn den Waldweg und über die Felsen, und es hat uns Niemand gesehen, Hochwürden!“

Das Wort des Alten: „Ich bin stolz auf unser Kloster!“ klang dem Prior in’s Herz, wie ein Trommelwirbel dem Soldaten. „Halte aus!“ sagte er sich selbst und gab dann leise den Befehl, Benedict nach seiner Zelle zu bringen. Zwei Brüder und die Schiffer trugen den Todten, hinter ihnen schritt Gregor, die Uebrigen schlossen sich an.

Der düstere Zug bewegte sich über den Hof. Da, unter dem Kreuzbild, wankte der Prior und brach zusammen. Die Patres sprangen hinzu, aber er richtete sich selbst empor und winkte „Vorwärts!“

„Ich glaub’s wohl, daß es ihm arg in’s Herz greift,“ flüsterte Hieronymus zu seinem Begleiter; „Benedict hat sich ertränkt, das ist die Sache … Gott sei der armen Seele gnädig!“

„Selbstmörder“ nannten die Mönche unter einander den Todten. „Glaubenszweifel und Gewissensangst haben ihn dahin gebracht.“ „Ertrunken“ hieß es schonend in den Acten des Kreisrichters, der Nachmittags mit dem Gerichtsarzt zur Leichenschau kam. Die klösterliche Strenge schien für diesen Tag gelöst, man kam und ging in den Zellen aus und ein, oft waren vier, fünf Patres in einer Stube beisammen, um vom Verstorbenen, von den Abgründen des Geistes und vom Schmerz des Priors zu reden. Der Letztere ward den Tag über nicht mehr sichtbar, er hielt sich eingeschlossen und horchte auf das Rauschen und Murmeln der Donauwellen. Vor Sonnenuntergang läuteten die Glocken zum letzten Mal, denn es war der Mittwoch vor dem grünen Donnerstag. Trotz Wind und Wetter wurde die Kirche von Andächtigen dicht gefüllt. Sollte doch Pater Benedict, der gewaltige Redner, die Predigt halten!

Der aber war in der Zelle beigesetzt, die er lebend bewohnt hatte. Das ärmliche Geräth war daraus entfernt worden, und sie enthielt nichts als den düstern Thron des Todes, die Bahre. Am offenen Sarge beteten zwei Vater für die arme Seele; sie wurden stündlich von zwei andern abgelöst. Um elf Uhr Nachts hatte sich der Prior zur Todtenwache gemeldet. Er mußte, wenn er nicht den Vorwurf übertriebener Härte oder – Schwäche auf sich laden wollte. Schaudernd verzögerte er den Entschluß von Stunde zu Stunde, und es ward späte Nacht, bevor er ihn aussprach. Als seine Stunde schlug, verließ Gregor das Gemach und schritt durch den Corridor nach Benedict’s Zelle – wie gestern.

Er trat ein …

Zwei Kerzenlichter, die zu fahl brennen, um die Düsterkeit des Bildes zu mildern, aber hell genug, um sie zu offenbaren! Gregor’s erster Blick fiel, scheu und angstvoll, auf den Todten, ob er sich nicht zornig aufrichten und rufen werde: „Hinweg!“ – Nein, dies Antlitz trug zu deutlich schon die Signatur des Grabes. Ein zweiter Blick galt dem Mönch, der zu Häupten der Bahre kniete. Es war Ambrosius, ein Greis mit schneeweißem Haar und einem Gesicht, das von der nahen Auflösung die Verklärung vorausnahm. Dieser Mönch war seit einem halben Jahrhundert im Kloster und seit zwanzig Jahren blind. Er sprach nur selten, oft hörten seine Ordensbrüder Monate lang kein Wort von ihm, und wenn er antwortete, war seine Rede kurz und dunkel, wie Orakelsprüche.

Der Prior kniete aufathmend im Betstuhl nieder, der für ihn dicht am Sarge stand; seine Angst vor dem lebendigen Zeugen dieser Stunde war beschwichtigt. Er barg sein Antlitz in beide Hände, um die Leiche nicht zu sehen, und versuchte zu beten. Vergebens! Die Gedanken stürzen vom Himmel zurück; sein Ohr, alle Sinne richten sich auf das Geräusch, das wie Stimmengetös der Unterirdischen in die Stille der Nacht und des Todes tönt: der Strom rauscht und zischt, braust und brandet an die Mauern. Bald ist’s Gregor im Wirbel seiner Sinne, als säh’ er die Wellen sich’ aufbäumen, am Fenster wie Arme emporgreifen, und Häupter mit weißen Schaumkronen nach ihrem Opfer blicken … Dann gewöhnt sich sein Ohr; das Brausen sinkt zum leisen Schluchze n und Klagen herab. Und nun erhob Gregor das Haupt und starrte die Leiche an.

„Was denn ist es,“ fragte er sich selbst, „daß eine einzige Welle alle Gedanken und Empfindungen, Pläne und Wünsche in diesem Gehirn auslöschte, und daß eine Ewigkeit zwischen Heut und Gestern gähnen kann? Entseelt, sagt die Kirche, der Leib zerfällt, doch die Seele fliegt auf, ist unsterblich. Und soll dies klägliche Schauspiel zwischen Geburt und Tod aber Norm und Schicksal der Unsterblichen sein? soll sie um dieser Spanne Zeit willen ewig glückselig oder ewig verflucht werden? Und wenn die Seele Höheres ist als der Leib, warum vermag sie nichts gegen dessen Vernichtung, nach der ihre Verdammung kommt?“

Gregor trat der Angstschweiß auf die Stirn. Ihn, den Glaubensstarken, beschlichen Gedanken, wie er sie bisher niemals dachte, Fragen wurden in ihm laut, auf die er keine Antwort fand. [48] Seine Zweifel hatten freilich nicht die Methode der Schule und die Sprache der Wissenschaft; Benedictus hätte darüber gelächelt, aber für den schlichten Mann, der den Pflug besser zu handhaben wußte, als das zweischneidige Wort, waren sie furchtbar, unwiderstehlich, vernichtend. Erst blickt er von sicherer Höhe hinab; da erfaßt ihn Schwindel; der Boden rollt und schwindet unter seinen Füßen; da und dort klammert er sich an den Felsen, aber auch der, den er graniten wähnte, ist morsch und verwittert, Alles wankt und stürzt, pfeilschnell schießt er hinab und sieht sich im Abgrund, wo Finsterniß ihn umfängt, tosende Fluthen über ihm zusammenschlagen und hohnlachende Dämonen ihn von Tiefe zu Tiefe schleudern …

„Was ist Gut und Böse?“ schreit es in ihm. „Wenn die Welt nur ein toller Maskenzug und die Unsterblichkeit ein Märchen wäre? Wenn diese aufgedunsene, grinsende Masse die einzige und letzte Thatsache von Benedictus wäre, Freud’ und Leid, Haß und Liebe, das ganze Leben nur auf Verwesung hinausginge? Wenn ich, der Mörder, gleich den Hunderttausenden, die heilig lebten, nicht mehr vom Jenseits zu fürchten hätte, als das Nichts, und nichts zu erwarten, als den Wurm? … Herr Gott!“ betete er dann und rang die Hände, „verlaß mich nicht! Soll ich nun selber dem Zweifel verfallen, der ich den Zweifler ermordete?“ Er sprang empor und rief laut, halb wahnsinnig vor Aufregung: „Ambros! Ambros!“

Der Blinde erhob sein Haupt.

Der Prior stand jetzt neben dem Sarge und hatte die wildrollenden Augen auf den Alten gerichtet, die Rechte aber auf die Brust des Todten gelegt.

„Ambros,“ keuchte er, „es giebt Schicksale, die kein Gott, sondern die Hölle erdenkt und ausspinnt. Dieser Todte war mein Freund, ich wuchs mit ihm auf, theilte mit ihm die Träume der Jugend und die Sorgen der Armuth. Ich rettete einst sein Leben und that in einer Stunde mit ihm das Ordensgelübde. Sein Wohl und Weh’ waren mein, und er war mein Wohl und Wehe. Wenn er in meine Stube trat, war mir’s, als ginge der Tag auf, und war er krank, wich ich Tag und Nacht nicht von seinem Lager. Beim Allmächtigen, ich liebte ihn wie einen Bruder, und doch, diesen Mann, diesen Bruder hab’ ich – – Ah!“

Er fuhr jählings mit gellem Schrei zurück. Seine Hand hatte die eisige Hand des Todten berührt.

„Vater,“ sagte der Unglückliche, nachdem er wieder Fassung errungen hatte, „Du kannst das Fieber, das mich durchwühlt, nicht begreifen! Dein Blut kreist ruhig, und unsere Leidenschaften versuchen Dich nicht; das Unrecht und die Abgründe des Lebens siehst Du nicht. O, daß ich blind gewesen wäre, gleich Dir!“

Der Greis erhob seine zitternde Hand und sprach, langsam, feierlich: „Ich habe das ewige Licht!“

„Das ewige Licht,“ stammelte Gregor und brach bewußtlos zusammen.

Und still ward es im Gemach, das drei große Räthsel umschloß: die Blindheit, den Tod und die Schuld. Als es Mitternacht schlug, fanden die eintretenden Mönche ihren Prior ohnmächtig über den Leichnam hingestreckt. Sie trugen ihn nach seiner Zelle.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Der Erste überm Rhein. Ein rechter ritterlicher Held war der Kämpe, der noch lange vor den verbündeten Heeren, die in der Neujahrsnacht von 1814 über den Rhein zogen, den Fuß auf den jenseitigen Boden setzte. Aber nicht etwa an der Spitze seines gefürchteten Streifcorps, nein, echt husarenhaft, allein. Er benutzte die erste Nacht nach seiner Ankunft am Rhein zur Ausführung seines Entschlusses. Der bestellte Kahn ist am Ort, das kurze Pfeifchen ist gestopft, es wird Feuer geschlagen, der Schwamm ausgelegt, dann der Deckel zugeklappt und sich im Kahn festgesetzt, die festen Fäuste ergreifen die Ruder, die starken Arme regieren sie gewandt und durch geht es durch die nächtliche Fluth, im rüstigen Kampf mit der Strömung quer hinüber zum andern Ufer. Was suchte, was bezweckte er dort? Welche militärische Vorsorge oder Nothwendigkeit trieb ihn zu dieser nächtlichen Fahrt? Von alledem gar nichts. Und wozu auch das Alles? Ein Husarenstreich ist’s, und das ist genug. Mochten sich dem kecken Waghals aus der nächtlichen Ferne auch allerlei verdächtige Gruppen zeigen, er rauchte beharrlich sein Pfeiflein zu Ende, klopfte den Kopf aus, stopfte von Neuem, schlug wiederum Feuer und legte den Schwamm auf, klappte den Deckel zu, ergriff die Ruder und zwang den Kahn zu dem befreundeten Ufer zurück. Daß jetzt drüben französische Soldaten heraneilten und ihm nachschossen, thut nichts mehr zur Sache, weil unser Mann nicht getroffen worden ist, denn der kecke Husar war kein Andrer als Emanuel Graf v. Mensdorff-Pouilly, der Schwager vom Vater des jetzigen Herzogs Ernst von Coburg, und starb hochgeehrt als Feldmarschalllieutenant und Hofkriegsrathspräsident, 75 Jahre alt, im Jahre 1852 zu Wien.




Für die braven Schleswig-Holsteiner.

Für die braven Schleswig-Holsteiner gingen im Laufe der letzten acht Tage wieder bei mir ein: 61 Thlr. 10 Ngr. C. L. in P–a – 1 Thlr. am Sylvesterabend in Nordhausen bei einer Bowle – 3 Thlr. 15 Ngr. von den Lehrlingen der Firma S. u. C. in D. – 10 fl. aus Weißkirchen in Ungarn und zwar: G. Knöpfler 1 fl., F. Knöpfler 1 fl., A. Klimits 1 fl., C. A. Bandl 1 fl., F. Lang 50 kr., Wastl v. Spritzer 20 kr., A. v. Ulmann 1 fl., Arnsburg 1 fl., C. Böhm 1 fl., F. Feigl 1 fl., Karl Oberläuter 1 fl. 30 kr. – 4 Thlr. 10 Ngr. am Neujahrstage von einer kleinen heitern Gesellschaft bei Otto Behrendt in Strelitz – 12 Thlr. Sylvesterversammlung im Leseverein zu Großenstein im Altenburgischen – 10 Thlr. 10 Sgr., ges. in der Sylvesterfeier der Gesellschaft: „Zur neuen Vereinigung“ in Magdeburg – 3 Thlr. 20 Ngr., ges. in der „Erholung“ in Auerbach – 3 Thlr. 201/2 Ngr., ges. im Gasthof zum braunen Roß in Auerbach – 4 Thlr. 6 Ngr., ges. in einer heitern Gesellschaft aus dem Rathskeller zu Schafstedt, einges. v. Schlegel – 5 Thlr. 15 Ngr. beim Stiftungsfest des Gesangvereins „Eintracht“ in Pillnitz – 2 Thlr. 10 Ngr., ges. im „Vulcan“ in Mittweida – 1 Thlr. Ein Ungenannter – 1 Thlr. „Duldet alles Leid, hofft auf bessere Zeit“ (gut gemeint, aber jedenfalls nicht ermuthigend) – 3 Thlr. 13 Ngr., ges. bei der Weihnachtsbescheerung der Ulbricht’schen Riege in Leipzig – 6 Thlr. 16 Ngr., ges. in der Grun’schen Restauration in Hartha – 5 fl. österr. Gymnasiasten in W. – 1 Thlr. K. in Lichtenfels – 8 Thlr. Ertrag eines vom Männergesangverein „Liederkranz“ in Leipzig veranstalteten Concerts – 4 Thlr. Turnverein in Ernstthal – 4 Thlr. 2 Ngr. bei einem Schlittenfahrts-Concert im Logenhaus Hohenstein-Ernstthal – 2 Thlr. 16 Ngr. von einigen Turnern am Sylvesterabeud in der Lehmann’schen Bierstube (ohne Ortangabe) – 2 Thlr. von einigen jungen Männern in Spremberg – 1 Thlr. M. Tranits in Weimar – 1 Thlr. 1 Ngr., ges. von Hartstein in der Restauration von Holzweißig in Leipzig – 2 Thlr. 17 Ngr. vom Kegelclub „Fröhliche Eintracht“ in Volkmarsdorf – 1 Thlr., Sylvesterabend-Gesellschaft im Schützenhaus zu Frankenstein – 3 Thlr. 15 Ngr., bei einem hundertsten Meßjubiläum, ges. vom Gesangverein H. – 1 Thlr. 20 Ngr. am Sylvester in Zeitz – 2 fl. rh., von einer Neujahrsgesellschaft im Café Krug – 6 Thlr., von Turnern in Rochlitz bei der Sylvesterfeier – 10 Thlr. 15 Ngr. 3 Pf., am Sylvesterabend in der Restauration der Thieme’schen Brauerei in Leipzig, ges. durch Fräulein Jenny Schubert – 8 Thlr. beim Abendessen des Boul-Clubs in Limbach – 1 Thlr. 101/2 Ngr. in einer launigen Sylvestergesellschaft in Meißen – 2 Thlr. 15 Ngr. in einem Concert am 1. Feiertag in Wurzen – 1 Thlr. von D. und B. in Wurzen – 5 Thlr., ges. am Sylvesterabend in Markranstädt – 1 Thlr. H. Brust in Wongrowitz – 5 Thlr. 201/2 Ngr., ges. in Schladitz beim Sylvesterball – 7 Thlr., ges. in der ersten Stunde des Jahres 1864 in der kleinen Funkenburg in Leipzig – 7 Thlr. 25 Ngr. beim Sylvesterkränzchen des Turnvereins in Lommatzsch – 2 Thlr. 131/2 Ngr. bei der Christbescheerung des Gesangvereins Neunzehner in Leipzig – 1 Thlr. 3 Ngr. in einem Schnapsstübchen in Weida – 5 fl. öster. als erste Selbststeuer für Schleswig-Holstein von einem Mecklenburger in Pesth – 1 Thlr. 1 Ngr. von einigen Webern in Meerane – 1 Thlr. von einigen deutschen Jünglingen in Chemnitz – 23 Thlr. 13 Ngr. 3 Pf., Ertrag einer Weihnachts-Verloosung der Casino-Gesellschaft in Schwarzenfels, Kurhessen – 21 Ngr. 5 Pf., ges. in einem kleinen Sängerkreis – 4 Thlr. von einem jungen Patrioten in Altenburg – 1 Thlr. 10 Ngr. 5 Pf. am Sylvesterabend der Gesellschaft Erholung in Neuspitzkunnersdorf – 4 Thlr., Sammlung einiger Turner in Grimma – 2 Thlr. von einem Ungenannten in C. – 6 Thlr. Gesellschaft Thalia in Bautzen – 2 fl. Florentine Jäger in Mühringen – 21 Thlr. 11 Ngr., ges. bei einem Concert auf dem Waldschlößchen in Buchholz, durch Ed. Schick – 34 Thlr. 20 Ngr. von Mitgliedern der Gesellschaft Erholung in Sebnitz – 56 Thlr., Erlös einer im Turnverein zu Wesel veranstalteten Weihnachtsbescheerung – 100 Thlr., Ertrag der Christbescheerung im Turnverein „Vater Jahn“ und einer Selbstbesteuerung in Zeitz. – 170 fl. österr., erster Beitrag des Schleswig-Holsteinschen Comité’s in Hermannstadt mit folgender Zuschrift: „Indem das gefertigte Comité Ihnen, Herr Redacteur, den ersten Betrag der eingeleiteten Sammlungen für Schleswig-Holstein überschickt, geschieht dieses zur Constatirung dessen, daß wir Sachsen – wenn auch ferne jeder Gefühlspolitik – doch ein deutsches Herz und deutschen Sinn besitzen – und trotz der bureaukratischen Experimente der Bach’schen und Uebergangsperiode nicht verknöchert genug geworden sind, um für unsere stammverwandten Brüder nichts anderes, als das Achselzucken des Bedauerns zu haben.

Der mitgesendete Betrag von 170 fl. österr. W. ist gering an sich – als Zeichen unserer Gesinnung aber – wiegt er viel. Sie mögen es erfahren dort im Reich – daß wir trotz allem österreichischen Bewußtsein noch nicht verlernten – daß unsere Väter aus den deutschen Gauen kamen. – Das Unterstützungs-Comité für Schleswig-Holstein in Hermannstadt.“

Ernst Keil. 

  1. Unsere Leser machen wir auf die authentischen Zahlenmittheilungen dieses Artikels noch besonders aufmerksam. D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: riefe
  2. Die gegilbten Zahlen sind in der Vorlage unleserlich und wurden rechnerisch ermittelt.