Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1862
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[769]

No. 49.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Eine Speculation.

Erzählung aus dem amerikanischen Südwesten.
Von Otto Ruppius.

Den Mississippi herauf arbeitete sich ein mächtiges Dampfboot und begrüßte die vor ihm liegende Häusermasse von St. Louis mit einem kaum enden wollenden Brüllen der Dampfpfeife. Die Gallerien der oberen Cajüte wie der Bord des untern Packraums zeigten sich dick mit Passagieren besetzt; es war die Jahreszeit, in welcher Jeder, der es ermöglichen kann, dem tiefen Süden mit seinen Krankheiten entflieht – und als das Boot die unabsehbare Reihe der an der Landung neben einanderliegenden Fahrzeuge passirt und an einer leeren, sichtlich reservirten Plattform angelegt hatte, schien die herabdrängende Menge der Reisenden kaum das Niederfallen der Landungsbrücke erwarten zu können, um den festen Boden zu gewinnen. Als sich endlich der Hauptstrom der Angelangten sammt den sich schreiend Bahn brechenden Packträgern an das Land ergossen, betrat ein junger, modern gekleideter Mann, die Reisetasche in der Hand und einen kleinen Koffer hinter sich herschleifend, die Plattform, in augenscheinlicher Unschlüssigkeit auf das Gewühl vor sich und die auf der Höhe der Laudung ausmündenden Straßen der Stadt blickend. – „Hotel, Sir?“ –„Hotel?“ klang es ihm von verschiedenen Seiten entgegen, und im nächsten Augenblicke sah er sich auch von einem engen Kreise eifriger „Runners“ umgeben, von denen ihm Jeder mit wunderbarer Geschwätzigkeit ein anderes Gasthaus zu empfehlen und zugleich sich seines Gepäcks zu bemächtigen suchte.

„Halt einen Augenblick!“ rief der Ankömmling abwehrend, „weiß Einer von Euch, wo das Bankgeschäft von C. F. Peters ist? Ich muß jedenfalls dort in der Nähe unterzukommen suchen!“

„Mr. Peters steht dort an der Office, Sir,“ ließ sich eine Stimme hinter ihm hören, „der Gentleman mit dem grauen Haare neben der Lady, Sir, und wenn Sie ihn sogleich sprechen wollen, so trage ich Ihnen dann Ihr Gepäck nach, Sir!“

Der zurückgewandte Blick des jungen Mannes fiel zuerst in das Gesicht eines riesigen Schwarzen, welcher sich mit freundlichem Grinsen verbeugte und mit einem: „Sie sind ganz sicher, Sir, Porter Nr. 2 vom Boot!“ auf das metallene Schild seiner Mütze zeigte – dann aber auf den angedeuteten, als „Office“ bezeichneten Punkt, ein kleines hölzernes Haus, welches neben aufgeschichteten Fässern und andern Frachtgütern sich auf der halben Höhe der Landung erhob. Dort standen zwei Männer in modischer, leichter Sommertracht, die Entleerung des angelangten Bootes beobachtend, und einen halben Schritt zurück, im Schatten des Gebäudes eine schlanke, elegante Frauengestalt.

„Es ist gut, Bob, ich werde am besten thun, die Gelegenheit zu benutzen,“ erwiderte der Ankömmling, nach einer kurzen Ueberleguug sich seines Gepäcks entledigend, „verwahrt mir die Sachen hier, bis ich zurückkomme. Wer ist der andere Gentleman?“

„Cornel[1] Webster, der Haupteigenthümer des Bootes hier, Sir!“ war die Antwort, in welcher sich die ganze Ehrfurcht vor der Bedeutung des Genannten ausdrückte, und mit einem leichten Kopfnicken wandte sich der Frager ab, durch das Gewühl von Menschen und hallenden Lohnkutschen die bezeichnete Richtung einschlagend. Auf halbem Wege indessen zog er sein Taschenbuch, entnahm ihm einen sorgfältig darin verwahrten Brief und begann dann sich das leicht umgeschlungene Halstuch, sowie den darüber gelegten Hemdenkragen sorgfältig zurecht zu rücken.

Nach kurzem Gange hatte er die Gruppe erreicht und sich dem ihm bezeichneten ältlichen Manne zugewandt, in dessen glattrasirtem Gesichte mit der voll ausgeprägten amerikanischen Geschäftsmiene er indessen umsonst nach einem bekannten Zuge zu suchen schien. „Mr. Peters?“ fragte er, noch wie im halben Zweifel.

„Das ist mein Name, Sir!“ erwiderte der Angeredete, mit einem kurzen scharfen Blick die stattliche Gestalt des Herangetretenen überfliegend.

„So bitte ich um Entschuldigung,“ fuhr dieser deutsch auf die erhaltene englische Antwort fort, „wenn ich die glückliche Chance zur Ueberreichung eines Briefs benutze, der mir in Deutschland zur persönlichen Abgabe eingehändigt worden war.“

„Ah!“ zog Jener, mit einer leichten Befremdung in seinen Zügen das dargereichte Convert in Empfang nehmend und es nach einem kurzen Betrachten der Adresse öffnend; der junge Mann trat einen Schritt zurück und warf einen Blick nach den beiden Uebrigen der Gesellschaft. Der von dem Schwarzen als Colonel Webster Bezeichnete hatte sich bei dem ersten Klänge der deutschen Laute weggedreht und schien auch sogleich Gelegenheit gefunden zu haben, durch einige Rügen gegen die unweit arbeitenden Lastträger den hohen Ton des Befehlenden hören zu lassen; er konnte nur einige Jahre älter sein als der Angekommene, und sein ganzes Aeußere zeigte trotz der Geschäftszeit eine sorgfältige Eleganz. Die junge Dame, halb von dem reichbefranzten Sonnenschirm verdeckt, schien den Herangetretenen kaum beachtet zu haben und mit abgewandtem Kopfe gleichgültig das Gewühl an der Laudung zu betrachten.

„Well, Sir, ich freue mich, Sie hier zu sehen, obgleich ich mich Ihrer selbst kaum mehr erinnere,“ begann Peters nach einem kurzen Durchstiegen des entfalteten Schreibens; „der Brief ist schon manchen Monat alt, Sie kommen also nicht direct von Deutschland?“

„Ich war fast ein Jahr in New-York, und wäre wohl auch

[770] noch dort, wenn die jetzige Geschäftskrisis nicht die Hälfte der jungen Leute beschäftigungslos gemacht hätte,“ erwiderte der Ankömmling in freimüthiger Haltung. „Ich hatte das Unglück, in einem der Häuser placirt zu sein, die ganz schlossen. Dann wandte ich mich nach Cincinnati, um mein Heil auf die eigene Brauchbarkeit hin zu versuchen, und erst als ich auch dort fand, daß alle Arbeitskräfte auf das Nothwendigste beschränkt werden, entschloß ich mich hierher zu gehen, wo das Geschäft noch flott sein soll, und mich Ihnen nach dem Wunsche meines Vaters vorzustellen.“

„Hm, hm!“ brummte der Bankier, mit halb zerstreutem Blick den Brief in seiner Hand zusammenfaltend, und wandte sich dann nach seiner Begleiterin. „Hier, Ellen, dies ist der Sohn unseres alten Freundes Behrend, dessen Du Dich wohl noch aus den Lebzeiten Deiner Mutter erinnerst!“

Die Dame wandte langsam den Kopf, und der junge Mann sah in ein jugendliches Gesicht voll durchsichtiger, aristokratischer Blässe, das indessen durch ein großes, dunkeles Augenpaar ein wunderbares Leben gewann. Sie ließ einen gleichmüthigen Blick auf die Züge des vor ihr Stehenden fallen und sagte dann, kalt den Kopf neigend, englisch: „Ich habe wohl kaum noch eine recht klare Erinnerung aus Deutschland, Pa!“ In das Gesicht des jungen Mannes aber war plötzlich ein helles Roth geschossen. „Wenn dies Fräulein Helene ist,“ erwiderte er wie in leichter Befangenheit, „so habe ich wenigstens noch eine deutliche Erinnerung an die dunkeln, böse zusammengezogenen Augenbrauen des kleinen Mädchens, das ich wider seinen Willen aus dem Wasser zog, aus dem es sich trotz der Gefahr durchaus selbst helfen wollte!“

Für einen kurzen Moment erhielten ihre Wangen einen Anflug von Farbe, und ihr Auge ruhte schärfer auf dem Gesicht des Sprechenden, „Wohl möglich,“ versetzte sie dann leicht, ihr Englisch beibehaltend, während ihre Züge wieder den Ausdruck der frühern Kälte annahmen, „es mag indessen eine ziemlich lange Zeit zwischen Ihrer Erinnerung und heute liegen!“

„Und währenddem sind aus Kindern Leute geworden,“ nickte der Alte mit einem Zuge leiser Satire um den Mund. „Sagen Sie, Mr. Webster,“ wandte er sich dann englisch an den Genannten, „hier ist der Sohn eines alten Freundes von mir, der bereits längere Zeit in New-York im Geschäfte gewesen ist; haben Sie selbst irgend eine Vacanz oder wissen Sie zufällig eine solche?“

„Ich denke, Sir,“ erwiderte dieser, sich nur halb zurückwendend, „wir haben bereits eine solche Menge unbeschäftigter und ganz tüchtiger junger Leute aus dem Osten hier, daß Sie Ihren Landsleuten rathen sollten, diese nicht noch zu vermehren!“

„Es ist im Grunde wirklich so,“ schloß sich Peters mit einem halben Achselzucken dem Ausspruche an, „indessen will ich Ihnen nicht alle Hoffnung nehmen, und wenn ich auch in meinem eigenen Geschäfte übervoll besetzt bin, so soll es mich doch jederzeit freuen, Sie, so oft Sie wollen, bei mir zu sehen – Bank der Versicherungs-Compagnie, Sir, die Ihnen jedes Kind zeigen kann und wo Sie mich immer bis drei Uhr Nachmittags finden werden!“ Er neigte leicht den Kopf und bot dem jungen Manne die Hand.

Dieser hatte sich bei der kühlen Entlassung zwei Secunden lang entfärbt, dann aber schien eine Art Scham über die unbewachte Regung in ihm lebendig zu werden. Er richtete sich plötzlich voll auf, legte mit einem kurzen englischen: „Ich danke Ihnen, Sir!“ das indessen ein rasches Zucken von Bitterkeit um seinen Mund nicht verbergen konnte, seine Finger in die dargereichte Hand und wandte sich dann mit einer flüchtigen, allgemeinen Verbeugung ab, rasch dem Orte wieder zustrebend, wo er sein Gepäck gelassen. Noch hatte er aber nicht die Linie des nach der Stadt wogenden Menschenstroms erreicht, als er sich am Arme gehalten fühlte und einen der Lastträger neben sich sah. „Mr. Peters wünscht Ihnen noch ein Wort zu sagen, Sir!“ hörte er; aber nur zögernd und erst nach sichtlichem innerem Kampfe folgte er der Aufforderung. Als er sich zurückgewandt, sah er, wie der Bankier ihm einige Schritte entgegengetreten war. „Entschuldigen Sie mich,“ sagte dieser, während ein eigenthümlicher Ausdruck, fast wie ein halber zurückgedrängter Spott, sich in dem steifen Gesichte zeigte, „ich wollte nur sagen, daß ich jedenfalls bestimmt darauf rechne, Sie bei mir zu sehen, da Sie mir doch Mancherlei über Ihren Vater erzählen müssen –“

„Wenn ich mich dafür lange genug in St. Louis aufhalten sollte, werde ich nicht verfehlen, Sir!“ erwiderte der Angeredete mit einer kalten Verbeugung; in diesem Augenblicke aber war die junge Dame ihrem Vater rasch nachgetreten, und der Sprecher sah einen so freundlichen Blick aus ihrem dunklen Auge auf sich fallen, daß er unwillkürlich seine neue Abschiedsbewegung unterbrach.

„Ich hoffe mit Sicherheit, Sie in unserer Privatwohnung zu sehen, Mr. Behrend – Sie sind doch der Joseph?“ sagte sie deutsch, während sich ein anmuthiges Lächeln über ihre Züge breitete, zugleich aber auch, ihr ganzes Gesicht verklärend, ein leichtes Roth in ihre Wangen trat.

Joseph fühlte den Eindruck, welchen dieses völlig veränderte Wesen des Mädchens auf ihn hervorbrachte, trotzdem aber konnte er sich auch des Gedankens nicht erwehren, daß es doch nur eine Höflichkeitsform darstelle, um die rücksichtslose Weise des Alten gegen ihn zu verwischen, und er vermochte nur mit einer neuen Verbeugung und einem gehaltenen: „Sie haben über mich zu befehlen, Miß!“ zu antworten.

Sie blickte einen kurzen Moment wie forschend in seine Augen. „Dann dürfen wir Sie morgen nach drei Uhr zum Mittag bei uns erwarten?“ fragte sie.

„Ich werde Ihre Freundlichkeit voll würdigen, Miß, wenn es mir bei den schlimmen Aussichten, die mir so eben gestellt wurden, möglich sein sollte, zwei Tage hier zu bleiben,“ erwiderte er ruhig, „jedenfalls aber hoffe ich auf das Glück, Sie, ehe ich gehe, noch einmal sehen zu können!“

Ihr Auge war wieder so ernst und der Ausdruck ihrer Züge so kalt als vorher geworden; fast schien es, als wolle sie noch ein Wort entgegnen, aber mit einem gemessenen Kopfneigen wandte sie sich schweigend ab.

„Well, Sir, das Geschäft natürlich vor allem Andern, und es ist immer am besten, man sieht sich die Dinge gleich mit den rechten Augen an, ohne sich unnütze Hoffnungen zu machen,“ sagte Peters, das glattrasirte Kinn reibend, „indessen muß ich, wie gesagt, noch das Nöthige über Ihren Vater hören, dann kann man auch vielleicht noch ein anderes Wort sprechen, und so lassen Sie mich nicht zu lange auf Sie warten!“

Behrend hatte auf’s Neue die knöcherne Hand des Alten in der seinen gefühlt und mit einem letzten unwillkürlichen Blick auf das Mädchen, das seine Gegenwart indessen kaum mehr zu bemerken schien, den Rückweg angetreten. Er fühlte sein ganzes Innere von dem Empfange und der rücksichtslosen Entmuthigung, die ihm geworden, wund; hatte er sich doch vorher eine so ganz andere Vorstellung von der eben stattgefundenen Begegnung gemacht – er wußte auch, daß ein anderes Benehmen seinerseits ihm gar nicht möglich gewesen wäre, und war mit sich völlig fertig, von dieser Seite nicht die kleinste Hülfe zu einem Unterkommen für sich mehr zu beanspruchen; trotzdem aber konnte er, wenn er an das Mädchen dachte, sich gerade dieses Benehmens halber einer leisen Unzufriedenheit mit sich kaum erwehren, und als er an dem freiwerdenden Flußufer den zurückgelassenen Schwarzen neben seinem Gepäcke erblickte, mußte er das Auge noch einmal nach der kaum verlassenen Gruppe zurückwerfen. Dort fuhr soeben neben der Office eine Equipage mit einem galonnirten Neger auf dem Bocke vor; der Dampfboot-Eigenthümer, in sichtlich angeregtem Gespräche mit dem Mädchen, öffnete selbst den Schlag, aber lachend kam sie mit einem leichten Schwunge seiner Hülfe beim Einsteigen zuvor; dann folgte der alte Peters, und Webster nahm zuletzt auf dem Vordersitze Platz.

„Muß es nicht ein schönes Paar geben, der Cornel und Miß Peters, Sir?“ fragte der herangetretene Schwarze, den Blick des jungen Mannes verfolgend, „und viel Geld, viel Geld auf beiden Seiten, Sir!“

„Ein Paar?“ fragte Behrend sich rasch zurückwendend, und als Jener mit einem: „Sicherlich, Sir, es ist schon allgemein bekannt!“ erwidert, drehte er sich langsam nach seinem Gepäck. Was ging ihn denn auch nur im Entferntesten eine solche Angelegenheit an? und doch war es ihm in demselben Augenblicke geworden, als sei ein heller Gedanke, der fast unbewußt ihm in der Seele gestanden, plötzlich verloschen. „Nach irgend einem anständigen Mittel-Hotel, Bob!“ sagte er in sonderbar gedrückter Stimmung und folgte dann dem rasch mit seinen Habseligkeiten vorauschreitenden Träger.

Das rege Leben und Treiben indessen, welches sich ihm beim Eintritt in die Straßen überall entgegenstellte und ein vollgültiges Zeugniß für das großartige, ungeschmälerte Geschäft der Stadt ablegte, ließ ihn für den Augenblick die gehabte Begegnung vergessen [771] und frischte seine Lebensgeister an. Wenn er auch von dem Briefe seines Vaters einen Haupterfolg gehofft hatte, so war er dennoch nicht allein auf ihn gestützt hierher gegangen. Drei Empfehlungen seines New-Yorker Principals für St. Louis befanden sich noch in seinem Taschenbuche, und bei diesem regen Geschäftstreiben überall meinte er kaum an so schlechte Aussichten, wie sie der Dampfboot-Eigener für jeden Stellung suchenden jungen Mann angedeutet, glauben zu dürfen. Eine Minute lang stand die Erscheinung des genannten wieder vor seinem inneren Auge; und es war ihm, als sei ihm noch nie ein Gesicht begegnet, das ihn durch den Ausdruck hochmüthiger Sicherheit, zugleich aber auch durch einen eigenthümlichen Zug von Seelengemeinheit so abgestoßen hatte, wie dieses – und das war die Wahl desselben Mädchens, das seine Jugenderinnerung jetzt in ein so helles Licht vor ihn gehoben.

Der Eintritt in das Hotel, welchem er zugeführt worden, brach seine Gedanken ab, und bald befand er sich mit dem Schwarzen, der mit höflich gekrümmtem Rücken seines Lohnes harrte, in einem Zimmer der oberen Räume.

„Ihr seid in St. Louis zu Hause und kennt hier die Leute, Bob?“ fragte der junge Mann, sein Taschenbuch ziehend und dieses auf dem Tische seiner Papiere entledigend, „ich möchte gleich über einige Adressen die nöthige Auskunft haben!“

„Eigentlich bin ich nur vom Boot – der „Lilly Dale“, Sir, mit dem Sie selbst gekommen, und bin in New Orleans, wohin die gewöhnlichen Fahrten gehen, gerade so zu Hause, wie hier,“ erwiderte der Neger mit verbindlichem Grinsen und mehrfacher Verbeugung, „indessen kenne ich von den großen Geschäftsleuten wohl die meisten hier, Sir!“

Behrend sah, wie von einem neuen Gedanken berührt, langsam auf. „Es ist bei der beginnenden Hitze wohl schlecht zu leben in New Orleans?“ sagte er, „ich hörte, daß um jetzige Zeit schon die meisten Fremden die Stadt verlassen und daß in den Geschäften oft Noth um die nöthigsten Arbeitskräfte sei.“

„O, die Stadt ist noch ziemlich gesund, nichts als etwas Cholera und Knochenfieber, an denen nur Leute sterben, die das Klima nicht gewohnt sind, Sir; das gelbe Fieber wird erst in vier oder sechs Wochen kommen,“ erwiderte der Schwarze bereitwillig. „Nachher freilich ist es für Solche, die Furcht haben, nicht ganz sicher, und es werden sowohl für junge Gentlemen in den Geschäften als für die gewöhnlichen Arbeiter hohe Preise bezahlt. Wir nehmen nur neue Fracht ein und gehen übermorgen gerade hinunter, aber von unsern Arbeitern denkt wohl Keiner einmal an die Krankheiten.“

Der junge Mann rieb sich kräftig die Stirn und machte dann einen raschen Gang durch das Zimmer. „Well, Bob, es ist möglich, daß wir die Fahrt wieder zusammenmachen,“ sagte er endlich, bei seinen Papieren stehen bleibend, „vorläufig aber laßt einmal hören, wo ich die Leute, an die ich hier adressirt bin, finde!“

Bob vermochte prompt Auskunft zu geben, und der Deutsche bemerkte mit Genugthuung, daß er kaum langer Zeit bedürfen würde, um seine sämmtlichen Besuche, die ihn über seine Hoffnungen am Platze unterrichten sollten, abzumachen; der Schwarze hatte sich endlich mit einer Bezahlung, die sichtlich zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war, entfernt, und Behrend begann seine Empfehlungsbriefe einzeln und langsam, als strebe er bei einem jeden schon im Voraus zu errathen, welches Schicksal er ihm bringen werde, wieder an ihrem frühern Orte zu bergen. Zuletzt blieb noch ein unverschlossenes, augenscheinlich schon mehrfach geöffnetes Schreiben in seiner Hand, und wie mechanisch entfaltete er es jetzt von Neuem, langsam den Blick über die Zeilen gleiten lassend. Es war ein Brief von einer kräftigen Männerhand geschrieben und lautete:

          „Mein lieber Sohn!

Ich habe mich gefreut, einmal wieder Nachrichten von Dir zu erhalten, wenn diese auch eben nicht die günstigsten sind. Du bist außer Stellung und siehst auch vor langer Zeit keine Möglichkeit, wieder unterzukommen. Trotz dieser allerdings unangenehmen Lage nimmt mich dennoch der gedrückte Ton Deines Briefes wunder, der mir zu Deinem ziemlich kräftigen Charakter und der vernünftigen Weise, in welcher Du schon hier die amerikanischen Verhältnisse auffaßtest, kaum recht passen will. Es ist die erste Calamität, in welche Du gerathen bist, und mag sie auch noch so bedeutend sein, so muß sie doch überwunden werden. Das Wie, lieber Sohn, mußt Du freilich besser kennen, als ich hier; indessen kann ich mir eben nicht denken, daß ein so großes Land mit so reichen Hülfsmitteln einen jungen Mann, der nur fest an dem amerikanischen „Hilf Dir selbst!“ hält und seine mannigfachen Anlagen zu verwerthen strebt, gänzlich ohne Chance zu diesen letzteren lassen könnte. Ich muß bei dieser Gelegenheit wieder an meinen alten Freund Peters denken, der jetzt ein reicher Bankier in St. Louis ist und nach seinem hiesigen Bankerott mit so wenigen Mitteln nach Amerika ging, daß ihm eigentlich die Reise erst durch ein kleines Capital, das ich ihm auf guten Glauben hin vorstreckte, ermöglicht wurde. Er hat wohl schwerere Calamitäten als Deine jetzige durchmachen müssen, besonders da er sein Töchterchen bei sich hatte und auch nicht mehr die Elasticität Deiner Jugend besaß, ehe es ihm nur gelang, mir das geliehene Geld zurück zu erstatten. Er hat aber endlich trotz des Mangels jeder Unterstützung seinen Weg gemacht, und da Du nun, lieber Joseph, Amerika einmal zum Felde Deiner Thätigkeit gewählt hast, so mußt Du eben versuchen, es ihm nachzuthun. Du hast meinen Brief an ihn noch nicht abgegeben und Du hast auch Recht, wenn Du wahrscheinlich meinst, daß man von derartigen Empfehlungen, die auf eine Art Dankbarkeit Anspruch machen, nur im äußersten Nothfälle Gebrauch macht; indessen hoffe ich, daß, wenn dieser Fall bei Dir einmal eintreten sollte, Du nicht gänzlich ohne Rath und eine unterstützende Hand von ihm gehen wirst. – Für eine augenblickliche Verlegenheit, in welcher Du Dich befinden könntest, lege ich hier noch eine kleine Summe in einem Wechsel bei, bitte Dich aber, in’s Auge zu fassen, daß es bei den Kosten, welche Deine heranwachsenden Geschwister verursachen, mir nicht möglich werden würde, dieselbe zu erneuern. Die Grüße der Uebrigen schließe ich diesmal nicht bei, da ich es vorgezogen haben, ihnen von dem jetzigen Stande Deiner Angelegenheiten nichts zu sagen. Und so erhalte Dir einen kräftigen, starken Geist, der schon Schlimmeres überwunden hat, damit Du uns bald bessere Nachrichten senden kannst.

          Dein treuer Vater Behrend.“

Der junge Mann hatte die Zeilen durchblickt, wie man längst bekannte Worte noch einmal überliest; hier und da aber war sein Auge auf einer Stelle haften geblieben, als trete sie ihm in einem neuen Lichte entgegen, und dann hatte sich ein Zug tiefer Bitterkeit um seinen Mund gelegt. „Was er diesem „alten Freunde Peters“ geschrieben hat, weiß ich nicht,“ sagte er endlich, den verdüsterten Blick in den sonnigen Himmel hinausrichtend, während er mechanisch das Papier wieder zusammenfaltete, „aber er hat sicher kein Wort der Erinnerung an den erwiesenen Dienst laut werden lassen und sich in dem Gedächtnisse des Alten gerade so betrogen, wie ich mich in dem der Tochter. Immerhin denn! eine Wohlthat der Barmherzigkeit hätte ich mir ohnedies nicht erzeigen lassen!“ Er trat langsam an das Fenster, ohne etwas von dem lebendigen Gewühl in der breiten Straße vor sich zu sehen; seine Gedanken waren an dem Mädchenbilde hängen geblieben, das plötzlich wieder in ihm aufgetaucht war, und unwillkürlich suchte er diese aristokratischen Züge, in welchen sich stolze Kälte und weiche Anmuth so wunderbar vereinigten, mit seiner Jugenderinnerung in Einklang zu bringen. Das waren noch dieselben dunkeln glänzenden Augen mit den tiefschwarzen, fein gezogenen Brauen darüber, welche das sechsjährige Mädchen vor allen Gespielinnen seiner Schwester ausgezeichnet und die er sich meist vergegenwärtigt, wenn er beim heimlichen Lesen eines Ritterromans auf den „zauberischen Blick“ einer „Huldin“ gestoßen; das war noch derselbe eigenthümliche Ausdruck von Selbständigkeit und Willenskraft, welche das Kind, eines kürzeren Wegs halber über den schmalen, nassen Steg des Mühlbachs hatte gehen und fast verunglücken lassen – aber wie gänzlich anders waren doch diese Einzelnheiten in der Gesammterscheinung dieses jungfräulichen, zur vollen Schöne erblühten Gesichtes wieder. Er mußte an das sonnige Lächeln, an das leise Erröthen denken, mit welchem sie gefragt: „Sie sind doch der Joseph?“ und er meinte jetzt erst sich des melodischen Tonfalls ihrer Stimme recht bewußt zu werden, meinte denselben fast in sich nachvibriren zu fühlen – da aber klangen auch wieder die Worte des Schwarzen in seine Ohren: „Wird es nicht ein schönes Paar, Sir?“ und an die Stelle der lächelnden Züge vor ihm trat der Ausdruck von stolzer, gemessener Kälte, mit welchem sie ihn entlassen; er sah sie dann von der Seite jenes ihm so widerlichen Menschen lachend in den Wagen springen, und mit einer kräftigen Bewegung seiner Schultern, wie sich gewaltsam seiner Träumerei entreißend, hob er den Kopf. „’s ist schon recht so,“ sagte er, sich wieder nach dem Innern des Zimmers wendend, „das Hoffen auf Connexionen [772] ist ein für allemal gebüßt. Läßt sich hier nicht bald etwas für mich finden, dann in Gottes Namen nach New-Orleans – mein Alter daheim soll wenigstens nicht sagen, daß ich vor irgend einem möglichen Schritte zur Erlangung meines Lebensunterhaltes zurückgeschrocken wäre. Die Cholera fürchte ich nicht, und das gelbe Fieber ist vorläufig noch nicht da!“

Er blickte nach seiner Uhr; noch waren zwei Stunden bis zu Mittag, und mit einem Nicken der Befriedigung wandte er sich nach seinem Koffer, um für die zu machenden Besuche die nöthigen Aenderungen an seinem Anzuge vorzunehmen. – –

Es war am Abend desselben Tages; schwere Wolkenmassen hatten den Himmel überzogen und schienen das Mondlicht, auf welches die nur zum Nothbedarf entzündeten Gasflammen in den Straßen schließen ließen, völlig ausgelöscht zu haben; dunkel und unhörbar flossen unten die Wasser des breiten Stroms, und nur die unabsehbare Reihe der Dampfbootlichter bezeichnete die Uferlinie. – Die Landung herauf stiegen zwei Gestalten und blieben auf der halben Höhe unweit eines Haufens aufgestapelter Frachtgüter stehen. „Alles in Ordnung, Wilson?“ klang es halblaut, nachdem ein vorsichtiger Rundblick des Fragers ihn von der völligen Einsamkeit des Ortes überzeugt zu haben schien.

„Alles, Sir!“ war die Antwort, „die Mehlfässer lagern im Schuppen, das Schweinefleisch und der Whiskey sind im Hofe untergebracht, und wenn uns nicht der Teufel geradezu ein Faß entzwei schlägt, so wird es als die prächtigste Ladung, die nur ein Boot getragen, den Mississippi hinunter schwimmen. Wollen Sie die Colli noch einmal genau nachsehen, so können Sie nachher mit gutem Gewissen Stück für Stück beschwören.“ Ein heiseres Lachen folgte den letzten Worten, aber eine hastige Bewegung des ersten Sprechers unterbrach es.

„Keine Thorheit, Wilson, so sicher man auch sein mag!“ rief dieser mit vorsichtig gedämpfter Stimme, während er von Neuem einen raschen Blick über die nächste Umgebung gleiten ließ; „ich werde jetzt allerdings die gesammten Stücke noch einmal mit der Liste vergleichen und danach morgen bei Zeiten die Versicherung vornehmen lassen. Ich wünsche indessen, daß, ehe dies geschehen ist und ich nach dem Boote komme, diese Ladung schon völlig an Bord gebracht sei, und dann erst die Verladung der fremden Fracht erfolge; auf so genauem Fuße ich auch mit dem alten Burschen von der Versicherungs-Bank stehe, so ist er noch ein Schnüffler, der bei jeder Versicherung selbst seine Nase so tief als möglich in die Güter stecken möchte. – Was nun aber das Weitere anbetrifft,“ fuhr dieselbe Stimme in noch sorgfältigerer Dämpfung fort, „haben Sie sich mit Butler über die beste Weise geeinigt, Wilson, damit jeder Fehlschlag zur Unmöglichkeit wird?“

„Ohne Sorge, Sir!“ lachte der Andere in seiner früheren unangenehmen Weise, „das Geschäft ist richtig arrangirt, und Sie können um so ruhiger sein, als wir nicht nur unseren Gewinnantheil haben, sondern auch unglücklichen Falles den Schaden mitzutragen hätten!“

Der Erstere nickte langsam und wandte sich dann mit einem: „So kommen Sie!“ der Höhe der Landung zu.

Als Beide sich kaum zehn Schritte von ihrem bisherigen Standpunkte entfernt hatten, löste sich von dem Haufen der Frachtgüter eine dunkele Gestalt los und folgte den Davongehenden vorsichtig durch die Finsterniß, bis die Letzteren sich der Reihe von Lagerhäusern, welche oben parallel mit dem Flusse sich hinzog, näherten und dort in den ungewissen Schein der Straßenlaternen traten. Hier versuchte der Nachfolgende, den sicheren, raschen Schritt eines zufällig Passirenden annehmend, die Voranschreitenden zu überholen, augenscheinlich um einen Blick in ihre Gesichter zu erhalten; in der nächsten Secunde aber verschwanden die Beiden in einer sich aufthuenden Seitengasse, und als Jener die Mündung derselben erreicht, starrte ihm ein völlig undurchdringliches Dunkel daraus entgegen. Er blieb stehen und wandte sich langsam wieder zurück. „Ich hätte darauf schwören mögen, daß es seine Stimme war; man braucht sie eben nur einmal im Leben gehört zu haben!“ brummte er nachdenklich und stieß beim nächsten Schritte gegen einen vom Flusse heraufkommenden Menschen, der indessen sofort mit einem schmiegsamen: „Bitte um Verzeihung, um Verzeihung, Sir!“ zur Seite wich.

„Halloh, Bob, seid Ihr das?“ rief Jener, und der aus dem Wege getretene Neger näherte sich, den jungen Deutschen vom Morgen wiedererkennend, mit zwei grotesken Verbeugungen. „Ihr könnt mir vielleicht Auskunft geben, ob morgen früh schon irgend ein Dampfboot nach New-Orleans geht?“ fuhr der Sprechende fort, „ich habe bereits umsonst versucht, eine bestimmte Auskunft darüber zu erhalten.“

„Weiß von keinem, Sir,“ war die bereitwillige Antwort, „unsere „Lilly Dale“ wird in den nächsten Tagen wohl überhaupt das einzige Boot sein, das die ganze Reise dahin macht.“

„So – dann werden wir also doch die Tour zusammen machen, Bob! Aber was ich dabei fragen wollte: War das wohl Colonel Webster, der vor einigen Minuten vom Boote herauf kam? ich meine ihn soeben gesehen zu haben, konnte ihn aber nicht mehr erreichen.“

„Glaube kaum, Sir, daß Mr. Webster Abends und bei dieser Dunkelheit ohne Noth hier herunter kommen würde,“ erwiderte der Schwarze kopfschüttelnd, „am Bord war er nicht, ich komme daher, Sir.“

„Hm – nun dann nur noch eine Frage: Kennt Ihr Jemand von den Bootbeamten oder der Mannschaft, der Wilson heißt?“

„Sicherlich nicht auf unserm Boote, Sir,“ gab der Befragte unter neuem Kopfschütteln zurück und mit einem nachdenklichen: „Bis auf Weiteres denn, Bob!“ nahm der Andere seinen Weg wieder auf.


(Fortsetzung folgt.)


Hamburger Bilder.

Von E. Willkomm.
Nr. 3. Die Börse in Hamburg.

Eine fast sprüchwörtlich gewordene Redensart sagt, Deutschland sei das Herz Europas, und nimmt man weniger Rücksicht auf die geographische Lage des Ländercomplexes, aus welchem unser Vaterland gebildet wird, als auf die ganz eigenthümlichen Charakteranlagen der gesammten deutschen Nation, so wird man diese Bemerkung für eine bezeichnende und vielfach zutreffende gelten lassen müssen. Ist es nun erlaubt, Kleines mit Großem zu vergleichen, so hat eine Welthandelsstadt von der Bedeutung Hamburgs die vollste Berechtigung, als den Mittelpunkt und Zusammenfluß aller sichtbaren und unsichtbaren Fäden ihrer den Erdball umspannenden Handelsthätigkeit die Börse zu bezeichnen.

Die Börse Hamburgs spielt aber nicht blos in der Handelswelt im Allgemeinen eine erste Rolle, sie ist auch für alle politischen Fragen und Begebenheiten, mögen sie von geringer Bedeutung oder von ganz unberechenbarer Tragweite sein, derjenige Ort, wo Jeder, sei’s für’s Haus und seinen Bedarf an individueller Bildung, sei’s für seine Geschäftsthätigkeit, die stets in einer gewissen Abhängigkeit vom politischen Barometer steht, fast zu jeder Stunde des Tages sich Raths erholen kann.

Nicht wöchentlich wenigstens einige Male „zur“ oder doch „an die Börse“ gehen, ist in Hamburg für Leute von Intelligenz beinahe gleichbedeutend mit gänzlicher Theilnahmlosigkeit an allen öffentlichen Angelegenheiten. Unbedingt nöthig ist allerdings der Besuch der Börse denjenigen, welche von den großen und kleinen Handelsströmungen nur hören, ohne persönlich von ihnen berührt zu werden, nicht, aber wünschenswerth bleibt er der großen Mehrzahl schon deshalb, weil er Allen gleich bequem ist, weil er schnell orientirt, weil er Jeden binnen wenigen Minuten mit den politischen Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden nach allen Richtungen der Windrose hin bekannt macht. Die Börse sieht Alles, fühlt Alles, weiß Alles, was sich auf das eigentliche Weltleben im Ganzen und Großen bezieht. Ja, man kann sagen, daß sie die Gabe des zweiten Gesichtes in einer solchen Vollkommenheit besitze, wie alle Hochschotten zusammengenommen sie niemals hatten. Wären wir Kinder des neunzehnten Jahrhunderts nicht so ganz verboten aufgeklärt und so eingeweiht in alle tiefsten Geheimnisse der Natur, wir würden, gingen wir tagtäglich an die Hamburger Börse, trotz aller Philosophie alter und neuer Zeit, steif

[773] und fest behaupten, die weite, weite Welt sei erfüllt von ahnungsreichen Geistersehern.

Ein so wunderbares Institut, geschaffen von menschlicher Schlauheit und Divinationsgabe, etwas näher kennen zu lernen, verlohnt sich doch wohl der Mühe, zumal wenn man bedenkt, daß an Allem, was an der Börse getrieben, besprochen, eingeleitet und abgeschlossen wird, das Wohl ungezählter Millionen hängt, und daß ein einziger unbedeutender Rechnungsfehler in einem großen Speculationsexempel einer Unzahl Menschen auf beiden Hemisphären unheilbare Kopfschmerzen und unsägliches Herzweh bereiten kann.

Aber wir wollen, um uns nicht von dem träumerischen Segler der Lüfte, genannt Phantasus, in’s Schlepptau nehmen zu lassen, zurückkehren auf die feste Erde, und eine sehr solide und materielle Einrichtung kaufmännischen Scharfsinnes vom rein materiellen Standpunkte aus schärfer in’s Auge fassen. Von diesem aus ist uns die Börse nur der Ort, wo – mit Shylock zu reden – alle Kaufmannschaft zusammenkommt, damit sie sich über eigene und private Angelegenheiten bespreche, kaufe und verkaufe, Contracte eingehe und erledige, Schlußnoten genehmige und andere vorbereite, mit einem Worte: sie ist der höchst prosaische Ort, wo man im allerweitesten Sinne Geschäfte macht.

Auf der Hamburger Börse.


Das Börsengebäude, im Mittelpunkte der Stadt gelegen, imponirt schon von außen durch seine Größe. Am 2. December 1841 ward es eingeweiht, und als im Mai des nächsten Jahres die große Feuersbrunst ausbrach, gelang es nur der mit größter Lebensgefahr verbundenen Aufopferung einiger patriotischer Kaufleute, das rings von Flammen umwogte Gebäude vom Untergange zu retten. Mitten aus den glühenden Ruinen ragte am 8. Mai, dem Ende des großen Brandes, die Börse unversehrt über die Gluthatmosphäre der eingeäscherten Stadt empor.

Von dem verstorbenen Baudirector Wimmel und nach dessen Plane erbaut, bildet sie ein längliches Viereck, dessen Fronte dem Adolphsplatze zugekehrt ist. Ihre Länge beträgt 249, ihre Breite 178 Fuß. Das Innere dieses gewaltigen Baues besteht aus einem einzigen großen Raume, welcher den Börsenbesuchern als täglicher Versammlungsort in rein mercantilischen Geschäftsangelegenheiten dient. Dieser Raum hält 125 Fuß 5 Zoll in der Länge und 96 Fuß 9 Zoll in der Breite, bei einer Höhe von 76 Fuß. Rund um diesen im Ganzen 28,000 Quadratfuß bildenden freien Raum laufen 25 Fuß hohe Bogengänge, durch welche man in die verschiedenen Geschäftszimmer und Comptoire der Makler gelangt, deren die Börse zwanzig enthält.

Nach dem oberen Raume geleiten zwei sehr bequeme, breite Haupt- und zwei Nebentreppen, über welche man auf den Corridor gelangt, der in einer Breite von 14 Fuß auf allen vier Seiten den innern Börsenraum umschließt. Auf diesen Corridor öffnen sich wieder die Thüren sämmtlicher in der obern Etage befindlichen Säle, Geschäfts- und Lesezimmer, wie anderer Locale. Vier der größeren, an der Hinterseite gelegenen Gemächer dienen zur Aufbewahrung der Commerz-Bibliothek, einer Büchersammlung von großem Werth, die namentlich reich ist an Reisewerken, geographischen und statistischen, wie handelspolitischen Schriften des In- und Auslandes. Die Benutzung derselben steht jedem Wißbegierigen unentgeltlich zu Gebote, so daß namentlich das kaufmännische Publicum hier zum Selbstunterricht eine Auswahl seltener Schätze [774] vorfindet. Die Commerz-Deputation besitzt ebenfalls vier Zimmer; eins ist den Versammlungen „Eines Ehrbaren Kaufmannes“, wie der übliche Ausdruck lautet, vorbehalten. Endlich hat man mehrere sehr geräumige Zimmer den Besitzern des großen, weltbekannten Blattes „Die Börsenhalle“ überlassen, die das unter demselben Namen bekannte Lese-Institut eingerichtet haben, in welchem so ziemlich alle größeren Zeitungen der ganzen civilisirten Welt zu finden sind. Engländer, Franzose, Spanier, Portugiese, Italiener, Russe, Däne, Schwede, Holländer etc., Jeder kann hier in seiner Landessprache die Ereignisse des Tages verfolgen, wenn er das Bedürfniß fühlt, mit den Begebenheiten der Zeit sich bekannt zu machen.

Die Vorderseite der obern Etage nimmt ein Saal von 41 Fuß Breite und 70 Fuß Länge ein, welcher vorzugsweise als Vorversammlungsort dient, ehe die eigentliche Börse beginnt. So oft die Telegraphen von irgend welchem Orte eine Nachricht von Wichtigkeit melden, mag sie nun politischer oder mercantiler Natur sein, wird sie hier öffentlich angeschlagen oder vielmehr ausgelegt, so daß Jeder sich nach Belieben damit vertraut machen und, sind die Telegramme geschäftlichen Inhaltes, seine Maßnahmen sofort treffen kann. Die Börsenbesucher werden durch diese schnelle Veröffentlichung aller einlaufenden Telegramme vollkommen unterrichtet von dem Stande der kaufmännischen Angelegenheiten in den Haupthandelsplätzen der ganzen Welt, was von unberechenbarer Tragweite für den großen kaufmännischen Verkehr und für das Abschließen aller Geschäfte ist.

Betrachten wir den innern Raum der Börse, wenn derselbe leer ist, so fallen uns zunächst die numerirten, jetzt mit schönen Marmorplatten bekleideten Pfeiler in die Augen, auf welchen der obere Corridor ruht, und diesen zunächst nehmen wieder die vielen Quarrés, aus denen der Fußboden besteht, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Frage: zu welchem Zwecke ist der ganze Börsenraum so eigenthümlich verziert? liegt nahe; ebenso schnell aber ist auch die Antwort darauf gegeben. Es hat nämlich unter den Tausenden, welche täglich Jahr aus Jahr ein ihrer Geschäfte wegen die Börse besuchen, Jeder seinen bestimmten Platz in dem weiten Raume, den er nie wechselt. Dem Fremden wie dem Einheimischen giebt über den Platz jedes einzelnen Börsenbesuchers das „Börsenbuch“ genaue Auskunft. Es fällt mithin auch bei dem stärksten Gedränge im Versammlungsräume nicht schwer, immer seinen Mann sogleich zu finden, sobald man nur erst den Pfeiler weiß, in dessen Nähe das zu ermittelnde Quarré sich befindet.

Eine weitere Erleichterung gewährt die Einrichtung, daß alle an der Börse vertretenen Geschäftsbranchen eine bestimmte Anzahl Quarrés für sich inne behalten. So stellen sich z. B. die Schiffsmakler an beiden Längenseiten des innern Raumes zunächst den Maklercomptoiren und Geschäftszimmern auf. Die Rheder mit ihren Capitainen sammeln sich im Angesicht des Pfeilers 19 nebst Umgebung. Die oberländischen Schiffer nebst den Schiffsprocureuren nehmen eine Anzahl Quarrés unter dem Corridor der hintern Börsenseite ein und grenzen zunächst an die Zuckerleute. Den freien Raum, der sich von dem offenen Corridor herab bequem übersehen läßt, erfüllen, von Norden nach Süden gerechnet, Getreidehändler, Fabrikanten, Commissionäre, Detaillisten, Oelhändler, Theeleute, Droguisten etc. Dann folgen Wechsel- und Fondsmakler, Importeure und Exporteure etc. Der erst seit einigen Jahren überdachte Raum zwischen der Börse und den Börsen-Arcaden, welcher in früherer Zeit frei und jedem Unbill des Wetters ausgesetzt war, ist größtenteils der Tummelplatz der stets äußerst belebten Kornbörse und der die Börse ebenfalls besuchenden Advocaten.

Vertreten auf der Börse ist im Allgemeinen jede geschäftliche Thätigkeit vom Bankier und stolzen Rheder, die über Millionen commandiren und mit den meisten kaufmännischen Notabilitäten der alten und neuen Welt in fortwährender Verbindung stehen, bis auf Maurer-, Zimmer- und Küper-Meister. Alle ordnen ihre Angelegenheiten an jedem neuen Tage auf der Börse, nehmen hier Aufträge und Bestellungen an, wechseln und tauschen, Der klingende Münze, Jener Kaffee oder Reis, ein Dritter Samen, ein Vierter Tabak, ein Fünfter Hanf, Theer, Wachs und dergleichen mehr. Genug, es giebt so leicht keinen denkbaren Handelsartikel, der an der Börse nicht angeboten und verkauft würde, noch werden könnte, natürlich immer nur in großen Quantitäten; denn dem Kenner seiner Branche sind Lumpen ebenso werthvoll und kostbar, als einem Andern seine Gewürze oder nordische Producte, und Perlenmutterschalen, Elephantenzähne und Hornspitzen werden nicht lebhafter begehrt als etwa Schweinsborsten, Heringe, Felle und Häute.

Es ist dem eingeborenen Hamburger, wie den zahllosen Eingewanderten, die durch glückliche Unternehmungen an der Börse sich zu bedeutendem Vermögen emporgearbeitet haben, nicht zu verdenken, daß sie stolz sind auf ein Institut, dem Hamburg seine Größe und Macht als Welthandelsstadt vorzugsweise verdankt. Darum spricht fast Jeder mit einem gewissen vornehmen Respect von der Börse, und die Frage, welche dem Fremden fast immer zuerst vorgelegt wird: „Waren Sie schon an der Börse?“ bedeutet für Hamburg ungefähr dasselbe, wie in Rom das unvermeidliche Wort: „Haben Sie schon den Papst gesehen?“

Die Börse kennen lernen aber und sie verstehen kann man nur zur Börsenzeit. Es wolle deshalb der Leser so freundlich sein und uns zu dieser für die Kaufmannswelt so wichtigen Stunde dahin begleiten.

Bereits um zwölf Uhr Mittags beginnt in unmittelbarer Nähe der Börse und namentlich auf dem Adolphsplatze ein regeres Leben. Im Bankgebäude, gegenüber den Alsterarcaden, strömt es ununterbrochen aus und ein, denn es ist die Zeit des „Abschreibens“ gekommen, jenes bequemen Zahlungsmittels, das der Hamburger erfunden hat und mittelst dessen die größten Summen in kürzester Zeit von Einem zum Andern wandern, ohne daß man nöthig hat, mit Vor- und Nachzählen die kostbare Zeit zu verlieren.

Von der Bank verfügt sich ein Theil dieser frühen Ankömmlinge entweder in die Lesezimmer der Börsenhalle, um die neuesten Zeitungen zu durchblättern und Politik zu studiren, oder er betritt den großen, schon erwähnten Börsensaal, wo die neuesten Telegramme ausliegen, welche Auskunft geben über den Stand des Disconto in London, Berlin, St. Petersburg, Amsterdam etc. Wen diese Frage nicht speciell interessirt, der erkundigt sich nach andern für den Kaufmann nicht minder wichtigen Angelegenheiten, unter denen der Stand der Staatspapiere mit obenan stehen dürste. Diese gefährlichen Papiere haben schon gar Manchem großes Herzeleid gebracht, während sie Andern zu Wohlhabenheit und Reichthum verhalfen. Ignorirt aber können sie von keinem Kaufmanne werden, denn die Speculation ist der große Hebel, durch dessen geschickte Handhabung der Glückliche halbe Wunder bewirken kann. Je bunter nun die Telegramme lauten, je animirter oder gedrückter die Stimmung in Wien, Frankfurt, Paris, London etc. ist, desto ernster, heiterer oder düsterer gestaltet sich die Gesammtphysiognomie im Börsensaale, der sich immer mehr füllt, und wo bereits in allen Ecken, an Fenstern und Thüren gefragt, gelauscht, gefühlt, geforscht, angeboten, abgeschlagen, bejaht und verneint wird. Es summt und rumort, als bereite sich irgend etwas Ungeheueres vor. Alle sprechen, und doch redet eigentlich Keiner recht verständlich. Es ist ein kolossales Geflüster, von Hunderten unterhalten, und zwar zu dem Zwecke, den Alle gleichmäßig im Auge haben, möglichst große und einträgliche Geschäfte zu machen. Der Eine lacht, der Andere lächelt nur; dieser giebt sich den Anschein, als ginge ihn die ganze Welt nichts an, um unter dieser Maske der Gleichgültigkeit eine gewagte Speculation auszuführen. Eine Menge stets geschäftseifriger, immer dienstfertiger und flinker Kinder des auserwählten Volkes, den feingebürsteten Cylinder, auch Angströhre genannt, tief in den Nacken geschoben, wodurch die adlerkühne Physiognomie noch um Vieles unternehmender sich gestaltet, fahren und schlüpfen aalgewandt hin und her, und erfahren natürlich mit dem ihnen angeborenen Talent zum Speculiren Alles, was ihnen dienlich sein kann, um „zu machen ein brillantes Geschäft“. – Lebhafter noch und bunter geht es in der kurzen Spanne Zeit von Zwölf bis Ein Uhr im Zingg’schen Kaffeehause zu, das der Börse gerade gegenüber an der Ecke des Adolphsplatzes und des Mönkedammes gelegen ist. Hier versammelt sich eine Unzahl von Menschen in den eben so glänzend wie heiter ausgeschmückten Räumen, wo der Gourmand an einem vortrefflichen Büffet alle Gelüste seines Gaumes befriedigen, der Freund des Spiels an einer Anzahl vortrefflich construirter Billards Unterhaltung suchen, und der trockne Geschäftsmann sans gêne in aller Gemächlichkeit sich über die wichtigsten Gegenstände des Handels mit Gleichgesinnten unterhalten und unterrichten kann.

Nicht mit Unrecht nennt man das Zusammensein so vieler kaufmännischer Größen im Zingg’schen Hotel die Vorbörse; denn ohne Geräusch, bei einer Tasse Bouillon, einem Glase Wein, einem Butterbrod, heiter plaudernd und Cigarren rauchend, werden hier [775] die Präliminarien von Geschäften besprochen, deren Werth sich wahrscheinlich nur nach Millionen berechnen läßt.

Inzwischen hat die Uhr Eins geschlagen, und das verhängnißvolle Gebimmel der Börsenglocken, im Süden und Norden des gewaltigen Gebäudes, läßt sich hören. Bei diesem Mahnruf rüstet sich Jeder zu eiligem Aufbruche. Dort wird eine kaum halb verrauchte Cigarre mit verdrießlicher Miene weggeworfen; hier vertilgen späte Ankömmlinge mit doppelter Kinnladenkraft die eben ergriffenen und bezahlten Butterbrode. Ein kaum eingeleitetes Geschäftsgespräch, das ausgezeichnete Resultate hätte liefern können, muß nolens volens aufgegeben, eine nicht minder interessante Partie Billard ohne Gnade im Stich gelassen werden. Denn schon zeigen sich die unerbittlichen Harpyien am gesperrten Eisengitter der Vorhalle, leicht erkennbar an ihren blauen, blankbeknöpften Röcken und rothbetreßten Mützen, in der Hand die abscheulichen Büchsen, welche unbarmherzig von jedem Spätlinge, will er aus der Welt der Sonne oder des Nebels in die düstern Räume der goldbringenden Speculation gelangen, die hunderttausend Mal vermaledeiten 4 Schillinge als Obolus eintreiben.

Um dies verhaßte Entree nicht bezahlen zu müssen, verdoppelt Jeder seine Eile, und es beginnt nun von allen Seiten ein förmliches Sturmlaufen auf die Börse. Durch das Andrängen so vieler Hunderte muß sehr bald eine Verstopfung des Einganges entstehen, wo die Börsendiener mit ihren Büchsen Wache halten und ihre Blicke schon auf die Unglücklichen richten, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Strafschillinge werden erlegen müssen.

So lange die Glocken bimmeln, ist noch keine Gefahr vorhanden, weil es aber gar oft schwer hält, sich in die Queue hineinzuschieben, die gewöhnlich auch nach dem letzten Glockenrufe noch außerhalb des Gitters steht und aus Courtoisie mit eingelassen wird, so beginnt auf allen Straßen, und zwar oft schon in ziemlicher Entfernung, unter den Börsenwallfahrern ein Eilen, das für den Nichtbetheiligten in der That etwas Komisches hat.

Der Menschenstrom von der Börsenbrücke her ist, weil er aus dem alten Stadttheile kommt, in welchem sich die größten Comptoire befinden, in der Regel der stärkste. Mit ihm vereinigen sich an der Bank die vom Burstah Heraufkommenden. Großenteils sind es gesetzte Männer von stattlichem Aeußern. Bekannte und Befreundete gehen ruhig plaudernd neben einander, wohl auch Arm in Arm. Da schreitet ein Vorderster, dem entweder der Mahnruf der Glocke selbst zu Ohren kam, oder der die entfernteren Vordermänner ihre Schritte beschleunigen sah, weit und rasch aus. Die Bedeutung dieses Eilens kennt Jeder, und sofort beginnt eine Art Wettlauf, der mit dem Austönen des letzten Gtockenschlages für die Behendesten und Leichtfüßigsten zum Wettrennen wird. Man läuft, weil die Andern laufen; man schiebt, weil man geschoben wird, und man muß schließlich doch zahlen, weil die Börse begonnen hat und der Eingang gesperrt ist.

Sehen wir jetzt, welche Wirkung das Läuten der Börsenglocken auf den oben beschriebenen Versammlungsraum selbst hervorbringt. Wir nehmen, wie es Zuschauern ziemt, Platz auf dem Corridor der Nordseite, der jedem Fremden unentgeltlich offen steht. Uns gegenüber liegt der große Saal, durch dessen geöffnete Thüren man jetzt nur ein Durcheinander schwarzer, grauer und weißer Hüte von den verschiedensten Façons gewahrt.

Der unter uns befindliche Raum mit seinen scharf gezeichneten Quarrés ist fast noch leer. Nur vereinzelte Herren durchschreiten ihn, diese langsam, als gehörten sie zur Schule der Stoiker, jene in rapider Eile. Dort geht Einer mit stolz erhobenem Kopfe, hier zuckelt oder schlürft ein Anderer vorüber und verschwindet zur Linken unter den Bogengängen. Es wird ein Kaffeemann sein oder ein Matador der Kornbörse, denn wir bemerken einige bekannte Persönlichkeiten, die abwechselnd in Kaffee und in Korn machen, denselben Weg einschlagen.

Verschiedene Rheder, unter ihnen die ersten Größen, halten es mit den Peripatetikern, so lange der weite Raum das Hin- und Herwandern gestattet. Schon aber wird es lebendig an allen Ecken und Enden. Der große Börsensaal entleert sich, ebenso die Corridore und die Lesezimmer der Börsenhalle. Auf den meisten Quarrés pflanzen sich einzelne Herren auf, still wartend der Dinge, die da kommen sollen. Aus dem Geflüster wird ein dumpfes Summen, dieses steigert sich allmählich zu lautem Brausen, bis wenige Minuten nach dem Verstummen des Geläutes die ganze Börse dicht gedrängt voll Menschen ist, deren vieltausendstimmiges Sprechen dem rollenden Donner am Gestade sich brechender Meereswellen gleicht.

Wir können nicht wissen, was die Tausende da unter uns mit einander verhandeln, was sie abschließen und über welche Dinge sie sich einigen. Daß es aber wichtige Angelegenheiten sind, welche Alle ohne Ausnahme beschäftigen, das verrathen uns Haltung, Blicke, Mienen. Sehr Viele notiren irgend etwas in ihre Schreibtafeln, und wir können, ohne daß wir uns erst zu erkundigen brauchen, sicher sein, daß ein zustimmendes Kopfnicken, ein bejahender Händedruck, ein „Sollen es haben!“ oder „Abgemacht!“ Geschäfte regelt, die Hunderttausende in Umlauf setzen und denen, die sie machen, einen Gewinn liefern, der sich ebenfalls nur nach Tausenden berechnen läßt.

Glück, kühnes Wagen, seltenes Speculationstalent und Energie im Handeln sind die Hauptfactoren, welche an der Börse denen, die sie besitzen, gewöhnlich in nicht sehr langer Zeit zu großen Reichthümern verhelfen. Alle die glänzenden Paläste und prachtvollen Landhäuser an dem malerischen Ufer der Elbe abwärts von Altona bis Blankenese und an dem reizenden Wasserbecken der dunkelblauen Außenalster, da unten in diesem turbulenten Gewühl, an der Zucker-, Kaffee-, Oel-, Korn-, Tabaks-, Fettwaaren-, Produkten-, Steinkohlenbörse, wurden sie, mit dem Bleistift in der Hand, gewonnen. Darum sehen wir immer auf’s Neue die unermüdlich nach Gewinn und Besitz dürstende Menze die gleichen Wege wandeln. Gewiß, schimmerte nicht Gold zwischen den Proben von Leinsaat und Heusamen, die dort in einem Maklercomptoire so scharf beäugelt und berochen werden, als dufteten sie nach allen Gewürzen Indiens, man würde sich nicht so ernstlich damit beschäftigen!

Die Börse ist aber auch der Ort, wo der angehende Kaufmann sich für seinen Beruf am sichersten begeistern kann; denn unter den vielen Reichen und Mächtigen in unserer Handelsrepublik begegnen wir während der Börsenzeit gar Manchem, der mit leeren Taschen nach Hamburg kam, der in seiner Jugend sich kümmerlich behelfen mußte, vielleicht ein ganz untergeordnetes Geschäft betrieb, und der jetzt unter den Großen mit zu den Größten gehört. Solche Persönlichkeiten finden sich beinahe in jeder Geschäftsbranche, und obwohl sie fast immer etwas Originelles an sich haben, genießen sie doch gerade, weil sie durch eigenen Fleiß sich so hoch emporgearbeitet haben, die größte Achtung bei allen Börsenmännern.

Das Wagen und Speculiren muß übrigens einen wunderbar fesselnden Reiz besitzen, denn es hält nicht nur den gelernten Kaufmann gefangen, es umstrickt auch manchen Gelehrten dergestalt, daß er sein Studirzimmer verläßt, an die Börse eilt und dort auf kaufmännische Weise Geschäfte macht.

Mehr als andere studirte Herren hat in Hamburg besonders der Advocat Veranlassung, sich in das kaufmännische Fach und in kaufmännische Usancen einzuleben. Um sich eine einträgliche Praxis zu schaffen, muß er die Börse besuchen. Da lernt er die bedeutendsten Börsenherren kennen, gewinnt ihr Vertrauen und wird von ihnen zu Rathe gezogen, wenn streitige Fälle vorliegen. In großen Handelsstädten fehlt es nie an Processen. Sehr häufig kommt es an der Kornbörse zu Differenzen, die ohne juristischen Beirath sich selten schlichten lassen. Advocaten aber, welche sich das Vertrauen Vieler erworben haben und stark beschäftigt sind, leiden in Hamburg keine Noth. Es dürfte wenigstens in Deutschland schwerlich eine zweite Stadt geben, wo das Jahreseinkommen der gesuchtesten Rechtsanwätte, die an der Börse niemals fehlen, auf dreißig- bis vierzigtausend Mark (12 bis 16,000 Thaler) geschätzt wird. Einzelne besonders Bevorzugte sollen sogar noch beträchtlich mehr einnehmen.

Gegen zwei Uhr beginnt sich die Börse wieder zu leeren. Die größten Geschäfte sind dann abgeschlossen, Jeder strebt nach Hause, um Briefe zu schreiben etc. Nach allen Hauptplätzen Europa’s fliegen telegraphische Depeschen; denn Gott Mercur ist ein schlauer Gesell, der das Necken nicht lassen kann und denen, die er lieb gewann, nur dann ein treuer Führer bleibt, wenn sie sich selbst keine Zeit gönnen und sich, gleich ihm, Flügel an die Sohlen heften.


[776]

Des Reichs-Canarienvogels Entweichen.

Von einem Augenzeugen.

Der Reichs-Canarienvogel! – Wer fühlte sich bei der Erinnerung an diesem Namen nicht mitten in die Kämpfe von 1848 u. 49 versetzt! Wir sehen wieder Alles an unserem Geiste vorüberziehen – das feurige energische Vorparlament, das Parlament selbst und endlich das Rumpfparlament bis zu seinem schwäbischen Untergang. Wir können bei allen unsern Lesern ein so gutes Gedächtniß voraussetzen, daß sie weder einer Geschichte noch einer Kritik jener Begebenheiten bedürfen, um sich die Stellung des Reichstagsabgeordneten Rößler von Oels im Parlament zu vergegenwärtigen. Sie wissen, daß er der Linken angehörte, mit dieser nach Stuttgart ging und dann das Schicksal aller preußischen Mitglieder des Rumpfparlaments theilte: er mußte die Heimath meiden, deren damalige Regierung ihn als Verbrecher behandelt haben würde. Der Reichs-Canarienvogel, wie bekanntlich Rößler von seinen Freunden wegen seines nankingfarbigen Anzuges scherzweise genannt worden ist, hielt sich nach der Sprengung des Parlaments bei einigen Freunden in Würtemberg auf, wo er keinerlei politische Verbrechen begangen hatte und also unangefochten leben zu können hoffte, bis andere Zeiten ihm die Rückkehr ins Vaterland gestatten würden. – Aber was war bei der so schnell hereinbrechenden Reaction damals nicht Alles möglich! Auch der harmlose Reichs-Canarienvogel wurde eines schönes Tages während eines Besuches in Stuttgart verhaftet und nach dem Hohenasperg gebracht. Der „Asperg“ war jedoch nicht mehr der grause Aufenthalt, wie zur Zeit Schubart’s, und der damalige Commandant Sonntag war ebenfalls das gerade Gegentheil von dem Peiniger des unglücklichen Dichters, dem berüchtigten General Rieger. Oberst Sonntag war streng im Dienst und handhabte die Hausordnung unnachsichtlich; dagegen zeigte er sich persönlich mild gegen die Gefangenen und sorgte in jeder Beziehung für sie, so daß Niemand über die Behandlung sich zu beklagen hatte, welcher den Vorschriften nachlebte, deren Beachtung bei der großen Anzahl von Straf- und Untersuchungsgefangenen unumgänglich nöthig war.

Ueber schlechte Behandlung konnte sich also der Reichs-Canarienvogel nicht beschweren, ebenso wenig fehlte es ihm an frischer Luft und Bewegung, da er jeden Vor- und Nachmittag eine Stunde auf dem Walle sich ergehen durfte. Auch über Einsamkeit konnte der Reichs-Canarienvogel sich nicht beklagen: Rau von Gaildorf theilte sein Zimmer und seine Spaziergänge, und wer diesen je gekannt, wird sich keinen besseren Gesellschafter wünschen. So hatte denn der Canarienvogel außer der Freiheit Alles, was das Leben erträglich macht: gute Wohnung und Kost, schöne Spaziergänge, angenehme Gesellschaft und milde, wohlwollende Behandlung, und er konnte somit getrost der Zukunft ins Auge sehen, denn da er in Würtemberg nicht in Anklagestand versetzt war, so konnte seine Gefangenschaft selbst nicht von langer Dauer sein.

Da durchdringt ein dunkles Gerücht seine Kerkermauer, scheucht den Schlaf von seinem Lager und giebt ihn der Sorge und Verzweiflung anheim: Preußen, so heißt es plötzlich, betreibe seine Auslieferung, und diese soll in kurzer Zeit wirklich stattfinden, wie ihm treue Freunde zuflüstern. Die Auslieferung an Preußen aber ist Rößler’s Todesurtheil oder Begnadigung zu lebenslänglichem Zuchthause. Diesem Loose durfte der Reichs-Kanarienvogel nicht verfallen, die Hand, welche mit der Feder in klangvollen Versen wie in begeisterter Prosa so beredt für die Freiheit und für die Ehre des Vaterlandes wirkte, durfte nicht von der Spindel entweiht, dem schwäbischen Volk durfte nicht die Schmach auferlegt werden, einen Kämpfer für die deutsche Reichsverfassung dem Hasse preußischer Junker ausliefern zu müssen. Es gab noch Männer im Lande, welche vor einer solchen Calamität errötheten und sie ihren Mitbürgern um jeden Preis zu ersparen suchten. Und die Zeit drängte, denn die Auslieferung sollte in kurzer Zeit stattfinden. – Es galt, den Reichs-Canarienvogel am hellen lichten Tage über Mauern und Gräben wegfliegen zu lassen, und dazu waren wirkende Kräfte innerhalb und außerhalb der Festungsmauern nöthig.

Zwar hätte ich wohl Nichts zu befürchten, wenn ich die Mitwirkenden hier namentlich vorführen wollte, denn eines Theils sind die Hauptbetheiligten längst nach Amerika ausgewandert, und zum Zweiten ist die ganze Sache verjährt, und da sogar die damals in contumaciam Verurteilten jetzt frei zurückkehren dürfen, so wäre für die übrigen Begünstiger der Flucht wohl ebensowenig zu befürchten; aber ich unterlasse es dennoch Namen zu nennen, um gegen keine Seite hin anzustoßen; ich erzähle einfach die Thatsachen, wie ich sie selbst angesehen und mit erlebt habe.

Das Nothwendigste war, eine Verbindung mit dem Gefangenen herzustellen, durch welche man mit demselben ungehindert correspondiren konnte. – Die damalige Ueberfüllung des Hohenasperg mit Gefangenen erleichterte diese Absicht, denn zur Bedienung dieser vielen Leute waren einige Sträflinge des Ludwigsburger Arbeitshauses auf die Festung commandirt, welche als sogenannte „Hofschäffer“ die Bedürfnisse der verschiedenen Gefangenen herbeischaffen mußten und daher in jede Zelle ungehinderten Zutritt hatten.

Der unermüdliche Dr. R. hatte einen dieser „Hofschäffer“ gewonnen, die sichere Besorgung der Briefe an Rößler zu übernehmen; aber es bedurfte eines Vermittlers, welcher sie dem „Hofschäffer“ übergab, denn dieser durfte Briefe weder durch die Post noch durch den Boten erhalten.

Zu dieser Zeit wollte es das Glück, daß ich einen zweimonatlichen Festungsarrest wegen Preßvergehen abzusitzen hatte; ich konnte den ganzen Tag frei in der Festung umhergehen und Correspondenzen empfangen und absenden, ohne daß solche der Durchsicht des Festungscommandanten unterliegen mußten. Dazu kam noch der freundliche Zufall, daß zu Anfange des Monats Februar 1850 mich ein Bekannter besuchte, welcher auch Rau von Gaildorf zu sprechen wünschte. Ich suchte bei dem Commandanten um die Erlaubniß hierzu nach, erhielt sie, wie immer, bereitwillig und mit dem Beisatze, daß die Unterredung während des gewöhnlichen Spazierganges stattfinden könne. Dieser geschah, wie bereits bemerkt, stets in Gesellschaft des Reichs-Canarienvogels. Der Obermann, welcher beide Gefangene, Rößler und Rau, zu begleiten pflegte, brachte sie an jenem Abend gegen 5 Uhr auf das Zimmer des Aufsehers, wo wir bei einem Glase Wein die kurze Stunde in heiterem Gespräch zubrachten. Hier war es, wo Rau, der neben mir saß, mir in einem unbewachten Augenblicke die Frage zuflüsterte, ob ich meine Beihülfe leihen wolle zu der Entweichung Rößler’s, welche fest beschlossen sei, da die Auslieferung an die preußische Regierung unter allen Umständen vereitelt werden müsse. Einer Ueberlegung bedurfte es hier nicht – ein Händedruck unter dem Tische versicherte ihm meine Zustimmung, und von diesem Tage an vermittelte ich alle Communicationen durch den Hofschäffer in den Käfig des Reichs-Canarienvogels. – Aufregende Tage begannen, denn es war ein gewagtes Unternehmen, allein es stand zu viel auf dem Spiele, um nicht Alles an sein Gelingen zu setzen.

Der Fluchtversuch sollte am lichten Tage, während des Morgenspazierganges in’s Werk gesetzt werden, und Rau übernahm es, die Aufmerksamkeit des begleitenden Soldaten abzulenken, um dem Flüchtling wenigstens fünf freie Minuten zu verschaffen. Dies reichte hin, ihn außer dem Bereich der Verfolgung zu setzen, da er geborgen war, sobald er den äußern Wall unangefochten erreichen konnte. – Alle Vorbereitungen waren getroffen, und das Glück begünstigte das Unternehmen sichtbar, denn zwei Mal drohte eine voreilige Entdeckung, aber Gott belegte die Augen der Wächter mit Blindheit, und Niemand hegte eine Ahnung vor dem Augenblicke der Ausführung. – Die Leitern zur Uebersteigung des Festungswalles waren mehrere Tage vorher schon in den nahen Weinbergen bereit gelegt worden, und obschon die den äußern Wall begehenden Patrouillen diese liegen sehen mußten, obschon mehrere Bewohner des Dorfes Asperg ebenfalls die Leitern bemerkten, so fiel doch merkwürdiger Weise Niemand die Anwesenheit derselben zwischen den Traubenstöcken auf, und so wenig man sich auch einen Grund denken konnte, warum an diesem Orte Steigleitern liegen sollten. so dachte dennoch Niemand entfernt an den wahren Zweck derselben.

Zwei Tage vor der zur Ausführung bestimmten Zeit hing die Entdeckung abermals an einem Haare. – Ich sitze Nachmittags hinter einem Glase Bier in der Restauration Barthle, als ein Fremder Hereintritt und mir einen Brief überbringt. Das Schreiben war vom Gastwirth X. aus der Nähe; es besprach die letzten Maßregeln, gab zum Schluß noch die näheren Verhaltungsvorschriften und verlangte Nachricht, ob Alles in Ordnung und kein Hinderniß eingetreten sei. – Soweit war Alles gut: das Unternehmen [777] war gut eingeleitet, die Ausführung auf’s Beste vorbereitet, und im Uebrigen mußte man sich auf den Zufall und das Glück verlassen. Aber der Bote selbst war stark angetrunken, fing mit den anwesenden Soldaten Streit an, und ich sah den Augenblick herannahen, wo man ihn auf die Wache bringen würde, um ihn seinen Rauch ausschlafen zu lassen. Seine Strafe konnte indeß auch härter ausfallen, denn im Jahre 1850 hatte ein Conflict mit dem Militär stets sehr unangenehme Folgen, und in diesem Falle stand das Gelingen der ganzen Unternehmung auf dem Spiele. In dieser Verlegenheit erhob ich mich und bedeutete den Boten, mich auf mein Zimmer zu begleiten, wo ich ihm die Antwort auf seinen Brief gleich wieder mitgeben würde. Die Ueberraschung des Augenblicks spielte mir hier aber selbst einen Streich, denn ich vergaß ganz, daß kein Gefangener einen Besuch auf seinem Zimmer empfangen darf, ohne ausdrückliche Erlaubniß des Commandanten. – Ich hatte mich kaum zurecht gesetzt und den Brief zu beantworten begonnen, als der Aufseher in’s Zimmer trat und mich wegen meiner Uebertretung der Hausordnung ernstlich zur Rede setzte. Meine Lage in diesem Augenblick war durchaus keine beneidenswerthe, den betrunkenen Boten mußte ich sogleich aus dem Zimmer entfernen, wozu es lebhaften Zuredens von meiner Seite bedurfte, um nicht eine Scene zwischen ihm und dem Aufseher entstehen zu lassen, und auf der andern Seite durfte ich mich keinen Schritt von dem vor mir liegenden Briefe und meiner angefangenen Antwort entfernen, denn ich erblickte nur zu deutlich in den Augen des guten Aufsehers den Wunsch, zu wissen, welch wichtigen Brief ich denn mit dem expressen Boten zu beantworten habe. Freund Cußmann ließ sehr verdächtige Blicke auf meine Scripturen fallen, allein ich hatte gesetzlich freie Correspondenz, und somit lag kein Grund vor, meine Briefe einer Censur zu unterwerfen, daher der Aufseher sich begnügte, nach ertheilter Zurechtweisung meinen unberechtigten Besuch mit sich zu nehmen und zu Barth zu verweisen, wo er auf meine Antwort harren könne. Wie schnell war diese fertig! Wie beeilte ich mich, den Brief zu vollenden, zu siegeln, zu adressiren und ihn dem Expressen mit der strengsten Weisung zuzustellen, augenblicklich die Festung zu verlassen und den Brief pünktlich abzugeben! Ich schöpfte erst wieder ruhig Athem, als die Festungsthore sich hinter dem unseligen Boten geschlossen hatten.

Endlich kam der 22. Februar 1850 heran, der Tag, der über Rößler’s Glück oder Unglück entscheiden sollte. Ehe ich mich in die Einzelheiten vertiefe, wird es angemessen sein, den Schauplatz derselben etwas näher zu betrachten. Es ist dies die östliche Seite des Walles und der Umfassungsmauern, denn auf diesen Raum von 200 Schritten Länge und 15 Schritten Breite drängt sich der letzte Abschnitt unserer kurzen Geschichte zusammen.

Wenn man durch das auf der Westseite befindliche einzige Thor der Veste eintritt, so erblickt man gerade gegenüber eine Auffahrt, welche zwischen den den freien Platz umschließenden Gebäuden auf den Wall führt, und zugleich hat man die Aussicht auf einen Vorsprung der innern Mauer, welcher diese mit der mittleren Umfassungsmauer verbindet, und von welchem aus man unmittelbar in den Festungsgraben hinab sieht. Der Raum zwischen der mittleren und inneren Umfassungsmauer, ursprünglich zu wirksamerer Vertheidigung gegen Angriffe von außen bestimmt, ist jetzt friedlicherem Zwecke gewidmet: er ist in Gärtchen umgeschaffen, in welchen die Frauen der Festungsbeamten ihren Küchenbedarf pflanzen, und wo deren Eheherren ein lohnendes Feld für ihre Blumenzucht finden. Diese Gärtchen bilden zugleich die mittlere Terrasse, während der Wall die obere und der Festungsgraben die untere vorstellen. Von diesem letzten sind die Gärten durch eine kaum sechs Schuh hohe Mauer geschieden, welche gegen den Graben hinaus 16 bis 18 Schuh tief abfällt. Auf dieser Mauer und hart an dem erwähnten Vorsprung steht auf einer kleinen Plattform ein Gartenhäuschen, zu welchem 4 bis 6 Stufen emporführen, und von welchem man bequem in den äußern Festungsgraben hinabsehen kann, da die Mauer sich dort nur wenige Fuß über die Plattform erhebt. Von dem Vorsprunge selbst fuhrt eine steinerne Treppe in das Gärtchen links hinunter; durch einen gewölbten Gang unter dem Vorsprung hindurch gelangt man in das Gärtchen rechts von demselben, von welchem aus gleich vorn die schon genannten Stufen auf die Plattform, und also beinahe bis zur Höhe der Mauer führen. Wenn wir uns zu diesen sämmtlichen Localitäten noch den gegenüber auf dem Walle stehenden Gefangenenbau denken, zu dem man auf einer mit Geländer versehenen Treppe gelangt, so haben wir den ganzen Schauplatz vor Augen, auf welchem sich die nachfolgende Episode, äußerlich so ruhig, aber unter mächtigem Herzklopfen der Eingeweihten, überraschend schnell abwickelt.

Es war ein heller, milder Tag, wie man sie nach gebrochener Winterkälte oft erlebt, aber ein heftiger Wind stürmte über die noch kahlen Felder und trieb hier oben ein desto tolleres Spiel, da ihm von allen Seiten der Zugang offen stand. Die Gattin des Reichs-Canarienvogels, ein ebenso entschiedenes als entschlossenes Frauchen, die hier wirklich Heldenstärke zeigte, ist, wie schon oft, auch heute zum Besuch ihres Mannes von Ludwigsburg heraufgekommen und wartet auf der Staffel des Gefangenenbaues der Stunde, in welcher die Reihe des Spazierganges an Rößler kommt, um sich während desselben mit ihrem Gatten zu unterhalten. Endlich schlägt es elf Uhr, der dienstthuende Unterofficier erscheint, und die Thüre des Gemachs öffnet sich, um die beiden Gefangenen herauszulassen.

Rau und Rößler erscheinen oben auf der Treppe des Gefangenenbaues, wo Letzterer seine Gattin freudig bewillkommnet, welche eine „Halbe“ Bier neben sich auf der Treppe stehen hat, an welcher sich der Reichs-Canarienvogel hin und wieder labt und dadurch Gelegenheit findet, sich der unmittelbaren Aufsicht des begleitenden Obermanns zu entziehen. Dieser muß Rau folgen, der seinen Spaziergang heute unermüdet von einem Ende seines erlaubten Raumes bis zum entgegengesetzten wiederholt und dadurch den Unterofficier hinter sich herzieht, der seinen andern Gefangenen unter der Aufsicht seiner Frau und der unweit postirten Schildwache ganz in Sicherheit weiß. Aber der Reichs-Canarienvogel späht ängstlich in die Ferne, um das erwartete Zeichen zu erblicken; – ich sehe ihn noch heute, wie er dastand an der Mauer des Vorsprungs, in seiner hohen Gestalt sich deutlich vom hellen Horizonte abzeichnend, in flatterndem Schlafrocke (denn kein Zeichen durfte auf irgend eine besondere Absicht schließen lassen) und den Ausgucker vor dem Auge, die Gegend überblickend, ob das erwartete Signal sich zeige. – Jetzt erblickt er unten im Thale etwas Weißes – das Zeichen! Er sieht nicht um sich; in hastiger Flucht eilt er die Stufen zum Gärtchen hinunter, durch den gewölbten Gang des Vorsprunges und hinauf auf die Plattform. – Welche Enttäuschung! keine reitende Leiter streckt ihm ihre Arme entgegen, und weit und breit erblickt er kein helfendes Wesen; sein kurzes Gesicht hat ihm einen Streich gespielt und ihn vielleicht eine fliegende weiße Taube für das ersehnte Zeichen ansehen lassen. Er eilt jetzt eben so schnell wieder zurück, ehe er noch vermißt wird, aber wie er die Treppe zum Wall emporsteigt, kommt ihm auch schon der Wachposten entgegen, mit der scharfen Frage, was er da unten im Gärtchen zu schaffen habe? Der heftige Wind erleichtert ihm eine Ausrede: „sein Hut ist hinunter geweht worden, und er hat ihn so eben wieder heraufgeholt.“ Die Wache läßt den Grund gelten, aber die Sache scheint ihr doch nicht ganz geheuer, denn sie bedeutet den Gefangenen, sich nicht mehr vom Walle zu entfernen, und ermahnt den begleitenden Unterofficier, ein wachsameres Auge auf seinen Gefangenen zu haben.

Aber Freund Rau hat das Ohr des Begleiters in Anspruch genommen, er lauscht begierig dessen Mittheilungen, der heute zugleich einen unwiderstehlichen Hang hat, die ganze Länge des zum Spaziergang angewiesenen Raumes immer wieder zu durchschreiten, und der Reichs-Canarienvogel kann mit seinem Weibchen schwatzen oder nach den vier Weltgegenden ausschauen – Rau und der Unterofficier sind bereits wieder dort oben bei dem Belvedere, und die Schildwache hat wieder ihren einförmigen Gang vor ihrem Schilderhause hin und zurück begonnen. – Da – jetzt flattert wirklich das Signal! Der Obermann geht gemüthlich mit Rau den Wall hinauf, die Schildwache wendet gerade den Rücken – keine Secunde darf gezögert werden. Windschnell eilt Rößler in das Gärtchen hinunter, durch den gewölbten Gang auf die Plattform – o Glück! – die Leiter wird so eben an der Mauer angelehnt, und er kann sie mit den Füßen erreichen, während sie unten von vier kräftigen Armen gehalten wird. Ohne Zögern besteigt er die Sprossen, und rasch die Leiter abwärts – halt, sein Schlafrock ist zwischen der Mauer und einem Leiterarm eingezwängt, und er muß wieder hinauf, um ihn zu befreien! Jetzt ist es geschehen, er erreicht den Boden, die Leiter wird umgeworfen, damit sie den Nachsetzenden nicht zum Niedersteigen dienen kann, und nun geht es eilenden Laufes am Fuße der Mauer entlang, um vom Walle aus [778] nicht gesehen zu werden, der südöstlichen Ecke des Grabens zu, wo eine zweite Leiter bereit ist, sie aus dem Graben heraus in’s Freie zu bringen. Ein runder ausspringender Thurm und ein daneben stehendes Wohnhäuschen verwehren die Aussicht auf diesen Theil des Grabens, und ein Fluchtversuch am hellen Tage ist wirklich nur auf diesem Wege ausführbar. Auch begünstigt das Glück diesen Versuch – schon ist die äußere Wand des Grabens erstiegen, und sie eilen durch die Weinberge hinunter, um zu dem wartenden Wagen zu gelangen. Aber bereits ist auch die Flucht entdeckt! Die Patrouille, welche jede Stunde den Wall begeht, erblickt nur einen der beiden Gefangenen, und vergebens späht der Blick nach dem Andern. Da er nirgends zu sehen ist, dämmert ein Gefühl der Wahrheit auf, man eilt durch das noch offene Gartenpförtchen hinunter auf die Plattform und sieht über die Mauer in den äußern Graben. Jetzt ist Alles klar, dort unten liegt die Leiter, und der Reichs-Canarienvogel ist ausgeflogen!

Im Dauerlaufe eilt die Patrouille über den Hof hinüber der Hauptwache zu, um Lärm zu machen und die Soldaten der Garnison zur Verfolgung des Flüchtlings aufzubieten, der unmöglich weit entfernt sein kann, ja wohl noch im äußern Festungsgraben verborgen steckt. Plötzlich füllt sich der Wall mit Bewaffneten, die unglückliche Schildwache und der begleitende Obermann werden verhaftet, und einige Dutzend Unterofficiere und Soldaten eilen durch das Thor, um dem Flüchtling den Weg aus dem Graben von außen abzuschneiden. Wie der Wind sind sie da, sie umkreisen den Festungsgraben als eifrige Jäger und werfen in jeden Winkel ihre spähenden Blicke, um den Vogel zu entdecken. Vergebens ist ihre Mühe – unten im Graben liegen die beiden Leitern, still zufrieden mit ihrer erfüllten Pflicht, aber ein lebendes Wesen ist nirgends zu erblicken. Da wendet zufällig einer der Späher seine Augen nach der Außenwelt und läßt sie in’s Thal hinab schweifen. O weh! Dort unten auf den Wiesen, jede Verfolgung weit hinter sich lassend, eilt der fliehende Reichs-Canarienvogel, von seinen beiden Helfern gefolgt, dem harrenden Wagen zu – er erreicht ihn, sie helfen ihm hinein, und fort in sausendem Galopp geht es auf der Chaussee nach Eglosheim, über Ludwigsburg nach Waiblingen, wo frische Pferde vorgelegt werden; jetzt das Remsthal hinaus nach Schorndorf, und hier erst gönnt sich der Flüchtling so viele Rast, um seinen kennzeichnenden rothen Bart abnehmen zu lassen; dann weiter über Gmünd, Aalen, nach Nördlingen, von da über Augsburg nach Lindau, und in einem Fischernachen hinüber zum sichern Ufer der Schweiz, wo der so lang Gefährdete zum ersten Mal frei aufathmen und seiner vollständigen Sicherheit sich erfreuen durfte.

Und wie sah es indessen auf der Festung Hohenasperg aus? Der Schlag war so unerwartet gekommen und so keck ausgeführt worden, daß man sich von der Ueberraschung nicht so schnell erholen konnte. Alles, was nicht hinter Schloß und Riegel schmachtete, stand auf dem Walle und starrte lautlos in die Ferne, indeß hin und wieder Einer dem Andern leise seine Bemerkungen zuflüsterte. Das corpus delicti, die beiden unschuldigen Leitern, wurde in Gewahrsam genommen, und Rößler’s Frau strenge verhört. Es war sogar davon die Rede, dieselbe wegen ihrer unzweifelhaften Mithülfe hier oben zu behalten, aber die Frau hat ein säugendes Kind in Ludwigsburg, und man entläßt sie Nachmittags 4 Uhr, denn gegen eine Frau, die ihren Gatten befreit, kann und will man wohl nicht strafend einschreiten. Ihres Bleibens ist auch nicht lange mehr im Lande Würtemberg; sobald sie Nachricht von der glücklichen Ankunft ihres Mannes auf freiem Boden hat, eilt sie zu ihm; an den Ufern des Rheins treffen die so hart geprüften Gatten zusammen und eilen mit einander der neuen Welt zu. – Ihr wahrer Befreier und Postillon, der wackere Dr.l) R., wurde später ebenfalls verhaftet, entkam jedoch auf dem Transport von der verhaftenden zu der zuständigen Behörde seinem Civilconducteur auf so ergötzliche Weise, daß das ganze Land vier Wochen lang zu lachen hatte.

Der gute Reichs-Canarienvogel hat seinen Pilgerlauf schon lange vollendet, nur wenige Jahre durfte er sich seiner wieder errungenen Freiheit freuen. Ihm war es nicht vergönnt, den Anfang der erneuerten Bewegung für die Einheit und das Glück Deutschlands zu erleben, aber sein Geist wird unter uns weilen, und die Erinnerung an seine treue Liebe zum Vaterlande wird uns anspornen, unser Ziel fest zu verfolgen und durch Nichts uns abhalten zu lassen von dem betretenen Wege, der, wenn auch langsamer, doch desto gewisser zum Siege führt.




Ein Schweizer Staatsmann.

Von Johannes Scherr.

Donnerstags, den 25. Juli vor. J., um die achte Morgenstunde, hat im „Hof Ragaz“ an der rauschend dem Rheine zuschießenden Tamina, ein leidender Mann seinen letzten Athem verhaucht. Im Verlaufe des Vormittags trug der Telegraph die Todespost über die Berge und durch die Thäler der Schweiz. Am Nachmittag und Abend des Tages ist überall im Umfange der Eidgenossenschaft die herzliche Klage laut geworden: „Jonas Furrer ist todt!“ Selten mag ein Mensch so allgemein und aufrichtig betrauert worden sein. In das „Leicht sei ihm die Erde!“ welches diesem Todten nachgerufen ward, hat sich nicht ein Mißton gemischt. Beim Fahnenschwenkern über diesem Grabe haben auch die politischen Gegner nicht gefehlt; denn Niemand mochte, wollte, konnte dem Gefühle sich entziehen, daß in Furrer nicht nur der geachtetste und populärste Staatsmann der Schweiz hingegangen, sondern auch ein seltener, guter, treuer, wahrhaft humaner Mensch, brav bis ins Mark.

Wenn ich im Nachstehenden ein Lebens- und Charakterbild des Verewigten zu geben versuche, muß ich mich gegen die etwaige Unterstellung verwahren, mehr als eine flüchtige Skizze liefern zu wollen. Sie nimmt nur das eine Verdienst in Anspruch, auf Materialien zu beruhen, deren Zuverlässigkeit ich verbürgen kann und hier um so mehr betone, als in Betreff der Persönlichkeit Furrer’s manches Irrthümliche in der schweizerischen Presse laut geworden und in die deutsche übergegangen ist.

Jonas Furrer wurde am 3. März 1805 zu Winterthur im Canton Zürich geboren, der Sohn eines wackern Schlossermeisters, der zwar nur für sein Handwerk gebildet, aber voll gesunden Menschenverstandes und dabei durch seinen Fleiß in den Stand gesetzt war, seinen talentvollen Sohn tüchtig „schulen“ zu lassen. Eine Gunst des Geschickes, welche ungewöhnlichen Menschen selten abgeht, ward auch Furrer zu Theil: eine vortreffliche Mutter. Nur eine schlichte Bürgersfrau, aber doch eine Mutter von der Gattung jener, deren eine z. B. die Kindheit Schiller’s behütet und geleitet hat. In den mir freundlich zugestellten Aufzeichnungen eines vertrauten Jugendfreundes Furrer’s heißt es: „Den weitaus größten, ja wohl ausschließlichen Einfluß aus die Bildung des Gemüths und Charakters des Knaben hatte unstreitig seine Mutter, eine sehr bescheidene, einfache, jedoch sehr verständige, dabei äußerst gutmüthige Frau, die ihre ungeteilte mütterliche Liebe und Aufmerksamkeit der Erziehung ihres Lieblings widmete. Ihrem milden, wohlthuenden Einflüsse dankte Furrer ganz gewiß einerseits alle die edlen, liebenswürdigen Eigenschaften seines Charakters, durch die seine geistigen Vorzüge erst die wahre Weihe erhielten, so wie andererseits seinen vorherrschenden Sinn für trauliches Familienleben und häusliches Glück …“ Und wie für die Entwicklung Furrer’s als Menschen die Verhältnisse des Vaterhauses günstig lagen, so nicht weniger günstig die Verhältnisse der Vaterstadt für seine Entwicklung als Bürger. Wie ein wohlgeordnetes Elternhaus im Menschen die privatlichen Anlagen und Tugenden weckt und bildet, so ein wohlgeordnetes Heimathgemeinwesen die bürgerlichen. Ich stehe daher nicht an, den festen Ordnungssinn, die rastlose, aber stets maßvolle Thätigkeit, eine gewisse Bonhomie, Sauberkeit und Reinlichkeit, lauter Eigenschaften, die Furrer’s öffentlichem Charakter zukommen, auf den Umstand zurückzuführen, daß er in Winterthur aufgewachsen ist, – einer Stadtgemeinde, die hinlänglich charakterisirt wird durch die Thatsache, daß sie bei einer Anzahl von 7000 Einwohnern jährlich von Gemeindewegen an 100,000 Franken auf ihre Unterrichtsanstalten verwendet. Daneben ist die kleine Stadt der Sitz einer industriellen und commerciellen Thätigkeit, deren [779] directe Beziehungen nach allen Ecken und Enden der Welt reichen. Das sind so Resultate von politischen Zuständen, welche von deutschen Hofräthen und französischen Lakaien „anarchische“ genannt werden.

In den Gymnasialclassen der vaterstädtischen Bürgerschule legte Furrer den soliden Grund seiner wissenschaftlichen Bildung. Seine ungemeine und vielseitige Begabung offenbarte sich frühzeitig. In seinen Studentenjahren hat er studentische Bräuche fröhlich mitgemacht, als junger Advocat manche Nacht durchgetanzt, aber freilich den Morgen im Gerichtssaal so trefflich plaidirt, daß man ihm nicht anmerkte, er sei aus dem Ballsaal in die Schranken getreten. Er gab sich, wie er war, und, fürwahr, er durfte sich so geben; denn er gehörte, wenn der Ausdruck gestattet ist, zu den Menschen, deren Seele stets reine Wäsche trägt. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, das Glück hatte, Furrer in seinen besten Jahren im Oberstübchen der „Häselei“ in Zürich oder in Ferientagen im „Staadhof“ zu Baden im engeren Freundeskreise zu sehen, der wird nie der zwanglosen Anmuth seiner Haltung und Rede, seines geistvollen Humors, seines beflügelten und schlagfertigen, aber stets gutmüthigen Witzes, seines herzlichen Lachens vergessen, um so weniger, da dies Alles mit einem natürlichen Takte vereint war, der das Gemeine fernhielt. Er war einer der liebenswürdigsten Menschen, denen ich auf meiner Lebensbahn begegnet bin, und Jeder, der ihm näher trat, wird dasselbe sagen. Der schweizerische Republikanismus, im besten Sinne des Wortes, dürfte kaum jemals durch eine anziehendere Persönlichkeit repräsentirt worden sein, als die Furrer’s gewesen ist.

Nachdem er sich entschieden, die Laufbahn eines Juristen zu betreten, begann er zu Ende des Jahres 1821 seine akademischen Studien am damaligen sogenannten „politischen Institut“ in Zürich. Hier erweiterte er auch seine sprachlichen und literarischen Kenntnisse unter der Leitung von Johann Kaspar Orelli, der herrlichsten Seele, welche jemals im Körper eines Philologen gewohnt hat. Sein Leben lang bewahrte Furrer eine innige Vorliebe für die classische Literatur. Horaz blieb sein Liebling, zu dem er immer wieder zurückkehrte. Und nicht umsonst: es war in Furrer’s ganzer Art, das Leben zu nehmen und zu führen, ein Hauch horazischer Philosophie. Daher war er himmelweit entfernt von jener ordinären Großmannssucht, welcher man heutzutage auf Schritt und Tritt begegnet, von jener kindischen Eitelkeit, welche stets ein paar gute Freunde und willige Fartcatchers parat hält, zu ihrem Preise die Zeitungspauke zu rühren. Wie allen wahrhaft tüchtigen Menschen, war auch Furrer das Bewußtsein eigen, daß man nie auslerne. Den lebhaften Bildungstrieb, der ihn als Jüngling beseelte, hat er auch als Mann bethätigt, indem er unter all der Last seiner Geschäfte fortfuhr, den Schatz seiner vielseitigen Kenntnisse zu mehren. So gewann z. B. der mächtige Aufschwung der Naturwissenschaften in unsern Tagen seine volle Theilnahme: noch als Mitglied der obersten Behörde der Eidgenossenschaft hat er in Bern naturwissenschaftliche Vorlesungen fleißig gehört.

Zu Ostern 1824 ging Furrer nach Deutschland, um an dortigen Hochschulen seine Studien zu vollenden. Drei Semester brachte er in Heidelberg zu, zwei weitere in Göttingen. Im Herbst 1826 reiste er über Berlin in seine Heimath zurück, wo er zunächst noch für einige Zeit nach der welschen Schweiz ging, sein Französisch zu vervollkommen. Dann ließ er sich in seiner Vaterstadt als Rechtsanwalt nieder und errang sich als solcher rasch Vertrauen und Ruf. Neben seinem Eifer und seiner Beredsamkeit gewann dem jungen Anwalt auch der Umstand die öffentliche Achtung, daß er durchaus objectiv verfuhr, sich an die Sachen hielt und ohne die alleräußerste Nothwendigkeit die Persönlichkeit der Gegner nicht angriff, – eine Eigenheit, die er aus der advocatischen Laufbahn in die staatsmännische hinübergenommen hat. Zu jener Zeit hat er auch seinen Hausstand gegründet, der ein sehr glücklicher geworden ist.

Die Betheiligung am Selfgovernment der Gemeinde ist in der Schweiz die treffliche Vorschule für die Betheiligung an Staatsgeschäften. Der angehende Politiker lernt, indem er sich zuvörderst mit Gemeindesachen befaßt, die Dinge ansehen, wie sie sind. Statt ein idealistischer Wolkenwandler zu werden, wird er ein praktischer Realist, der die „Thatsachen“ sehr respectirt, nicht selten vielleicht allzu sehr, und sich gewöhnt und bescheidet, das Nächstliegende, Mögliche, Erreichbare anzustreben. Diese Anschauungs- und Handlungsweise überträgt der schweizerische Politiker von den Geschäften der Gemeinde auch auf die des Staats, und daher das durchaus praktische Sichbescheiden schweizerischer Staatsmänner, die Interessen ihres Landes zu fördern und die „Weltverbesserung“, die „hohe Politik“ andern Leuten zu überlassen, etwa uns Deutschen, welche ja stets bereit sind, draußen aller Welt politischen Idealismus vorzudociren, während wir daheim Hassenpflug’sche und ähnliche Wirklichkeit treugehorsamst uns gefallen lassen. Man wirft den Staatsmännern der Schweiz vor, ihr Horizont sei ein enger. Nun ja, er mag nicht über die Grenzen der Eidgenossenschaft hinausreichen; aber innerhalb dieser Grenzen haben sie es verstanden, ihr Land zum blühendsten und glücklichsten Europas zu machen.

Der im Vorstehenden angedeutete politische Bildungsgang war auch der Furrer’s. Mit dem Jahr 1831 begann er in der Behandlung der Gemeindeangelegenheiten seiner Vaterstadt sich bemerkbar zu machen. Es handelte sich um eine durchgreifende Umgestaltung der Stadtverfassung, und da ist es Furrer gewesen, welcher die Grundsätze und Forderungen der neuen Zeit siegreich zur Geltung brachte. Die neue, im liberalen Geist entworfene Verfassung seiner Heimathgemeinde war vorzugsweise das Werk Furrer’s, dessen Name von da an in weiteren Kreisen guten Klang bekam. Er übersiedelte nach Zürich, wo seine Praxis als „Fürsprech“ rasch eine sehr glänzende, aber auch höchst beschwerliche wurde und wo er als ein Ebenbürtiger und sehr Willkommener in den Kreis der Männer eintrat, welche damals das ruhmvolle Werk der Regeneration des Cantons Zürich vollbrachten und in Verbindung mit ihren Gesinnungs- und Parteigenossen in den übrigen Cantonen das Werk der Regeneration der Eidgenossenschaft vorbereiteten. Es war eine hoffnungsreiche, schöpfungsfreudige, thatkräftige Zeit, welche, wenngleich nicht „alle Blüthenträume reiften“, für die Schweiz unendlich fruchtbar geworden ist. Furrer hatte an diesem Reformwerke seinen redlichen Antheil. Im Jahre 1834 in den Großen Rath (die gesetzgebende Behörde) und drei Jahre später in den Erziehungsrath gewählt, hat er in beiden Behörden viel und erfolgreich gearbeitet. Die Spuren seiner Thätigkeit kann der Kundige in den gesetzgeberischen Acten jener Zeit leicht verfolgen.

Die „Straußiade“ von 1839 stürzte bekanntlich das liberale Regiment in Zürich und brachte für etliche Jahre die Reactionäre an’s Ruder. Furrer hatte als Mitglied des Erziehungsrathes mit für die Berufung des berühmten Kritikers gestimmt. Die Katastrophe traf ihn auf dem Präsidentenstuhl des Großen Raths, von wo er bei Nacht und Nebel entweichen mußte, um im benachbarten Aargau ein zeitweiliges Asyl zu suchen … Die Achtung vor dem frischen Grab eines edlen Todten verbietet mir, Angesichts desselben den Schmutz dieser „hehren Bewegung“ von Neuem aufzuwühlen. Genug, im September von 1839 wurde in Zürich die „Religion gerettet“, gerade so, wie, nur in größerem Style, im December 1851 in Paris die „Gesellschaft gerettet“ ward. Man kennt das … Die gewaltsame Unterbrechung des naturgemäßen Entwicklungsganges der Dinge hielt indessen nicht lange vor. Selbst die zu Hülfe gerufene „Weltwissenschaft“ eines publicistischen Cagliostro oder vielmehr „Schröpfer“ konnte das Fiasco der „hehren Bewegung“ nicht verhindern. Schon die Maiwahlen von 1842 führten Furrer in den großen Rath von Zürich zurück, wo er jetzt als anerkannter Führer der liberalen Partei die Opposition gegen die Septemberregierung leitete. Zwei Jahre später nahm er wieder den Präsidentenstuhl ein; die Reaction war beseitigt.

Von da an gewann Furrer’s politische Thätigkeit und Stellung mit jedem Tage größere Dimensionen; der cantonale Parteiführer erhob sich zur Bedeutung eines eidgenössischen Staatsmanns. Die große schweizerische Krisis, deren Eintreten der Aargauer Klosterhandel bezeichnete, hob an. Der Kampf zwischen Altem und Neuem, zwischen Stabilität und Fortschritt, zwischen Verrottung und Wiedergeburt, welcher in den dreißiger Jahren innerhalb der einzelnen Cantone gefochten worden, war jetzt auf eidgenössischen Boden verlegt. Der Siegespreis, welchen die Liberalen im Auge hatten, war eine zeitgemäße Umgestaltung der Bundesverfassung. Zur Erstrebung oder Abwehr dieses Ziels hatten sich in der Schweiz zwei große Parteien organisirt: hier die liberale, wohl auch die radicale genannt, dort die ultramontane, mit anderen Worten: eine Rückschritts- und eine Fortschrittspartei. In die Wagschale der letztern legte der Canton Zürich das ganze Gewicht seines Ansehens und Einflusses und zwar von dem 26. Januar 1845 an, wo Furrer der denkwürdigen großen Volksversammlung in Unterstraß vorsaß. Seine bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede und die [780] darauf basirten Resolutionen der Versammlung zeigten die Richtung, wie die Eidgenossenschaft auf friedlichem und gesetzlichem Wege aus der über sie hereingebrochenen Krisis herauskommen und aus einem Staatenbunde ein Bundesstaat werden könnte. Es sollte freilich anders kommen; denn so, wie die Menschen einmal sind, ist es nur ein gutmüthiger Traum, zu glauben, daß große und wohlthätige Umgestaltungen auf friedlich gesetzlichem Wege sich bewerkstelligen ließen. Wir Deutsche werden das eines Tages erfahren, wie die Schweizer es erfahren haben. Jonas Furrer war aber durch und durch eine gesetzmäßige Natur, ganz und gar ein Mann des Rechts. Er lebte der Ueberzeugung, daß die Rechtsidee mächtig genug sei, ohne Anwendung von Gewaltmitteln durchzuschlagen und zu siegen, und es hat ihn, wir wissen es, heftigste Seelenkämpfe, schmerzlichste Selbstüberwindung gekostet, um sich zu der Ansicht zu bekehren, daß das Dumme, Unnütze, Abgelebte keineswegs Vernunftgründen und Rechtsworten weiche, sondern nur handgreiflicheren Motiven.

Jonas Furrer.

Er hatte ausreichende Gelegenheit, dies zu erkennen, als er, im April 1845, zum Bürgermeister des Cantons Zürich gewählt, der damals bestehenden Bundesverfassung gemäß zugleich – Zürich war eidgenössischer „Vorort“ – das Präsidium der Tagessatzung übernehmen mußte. Dies war die herbe Lehrzeit des künftigen Bundespräsidenten der regenerirten Eidgenossenschaft, und fürwahr, er hat sie mit Ehren bestanden. Wenn das Staatsschiff der Schweiz, schwankend auf heftigster Parteikämpfe Sturmfluth, deren Wogen die Herren Metternich und Guizot „im conservativen Interesse“ noch mehr zu erregen brüderlichst wetteiferten, in jenen Tagen glücklich durch die zahllosen Riffe und Sandbänke auf seiner Bahn sich durchwand, so verdankte man das vorzugsweise dem Umstand, daß ein so bedächtiger, maßhaltender Mann wie Furrer am Steuer stand. Die Verhältnisse drängten einer Entscheidung zu … Sie herbeizuführen hat Furrer im Jahr 1847 in seiner Eigenschaft als Züricher Tagsatzungsgesandter in erster Reihe mitgewirkt. Nach Besiegung des Sonderbunds war sodann Furrer eines der thätigsten und einflußreichsten Mitglieder der Commission, welcher die Ausarbeitung der neuen Bundesverfassung übertragen wurde, und diese Verfassung, unbedingt die gelungenste des Jahrhunderts, klar, handlich, praktisch, gerecht und billig, dabei eine höchst glückliche Vermittlung von Föderation und Centralisation, muß zu einem guten Theile als eine Schöpfung Furrer’s anerkannt werden, der außerdem nachmals als der eigentliche wissenschaftliche Träger und Entwickler des neuen schweizerischen Staatsrechts eine sehr bedeutende Wirksamkeit entfaltete.

Als im September 1848 – im großen Glücksjahr der Schweiz – die neue Bundesverfassung feierlich verkündigt ward, verstand es sich so zu sagen von selbst, daß Furrer in das eidgenössische Ministerium (Bundesrath) gewählt wurde. Noch mehr, die Bundesversammlung (Nationalrath und Ständerath) gab nur dem Willen der ungeheuren Mehrzahl des Schweizervolks Ausdruck, als sie den Jonas Furrer zum ersten Bundespräsidenten der wiedergeborenen Eidgenossenschaft bestellte. Es liegt auf der Hand, daß von der Persönlichkeit des ersten Magistrats des neuen Schweizerbundes unberechenbar viel abhing. Es galt, der Neugestaltung der Eidgenossenschaft im Innern Bestand, nach außen Achtung zu schaffen. Ein so klar denkender und zugleich so gewissenhafter Mann, wie Furrer war, konnte sich die Größe und Schwierigkeit der Aufgabe nicht verhehlen, und es ist daher kein kokettes Komödienspiel mit sich selbst und Andern gewesen, sondern die ernste Selbstprüfung eines durch und durch redlichen Mannes und Patrioten, wenn Furrer, als er zum ersten Bundespräsidenten gewählt war, die Länge einer Nacht hindurch ruhelos in seinem Zimmer auf- und abschritt, bis er in der Reinheit seines Bewußtseins und in der Innigkeit seiner Vaterlandsliebe den Muth und den Entschluß fand, der großen Aufgabe sich zu unterziehen. Daß er dabei auch persönliche und pecuniäre Opfer zu bringen hatte – er ging höchst ungern von Zürich weg und er war der gesuchteste Advocat der Schweiz – konnte bei einem Manne von Furrer’s Schlag kaum in Betracht kommen. Wie sehr er dann die ihm gewordene Aufgabe im Sinne und zur Zufriedenheit seiner Landsleute gelöst, hierfür giebt einen unwidersprechlichen Beweis, daß er nach Ablauf seiner ersten Amtsdauer zu wiederholten Malen zur Bundespräsidentschaft berufen wurde. Sein Hauptverdienst in dieser Stellung war, wenn ich recht erwäge, ein doppeltes. Er hat nach innen unendlich viel für die Versöhnung der Parteien und damit für die Befestigung des neuen Bundes gethan, und ebenso hat er den auswärtigen Mächten gegenüber zur Geltendmachung und Anerkennung der Neugestaltung der Eidgenossenschaft ganz wesentlich mitgewirkt.

Man darf, falls man Furrer gerecht werden will, seine politische Anschauungs- und Handlungsweise schlechterdings nicht aus dem Gesichtspunkt kosmopolitischer Träumerei oder gar der Erbitterung und Verbitterung eines Flüchtlings ansehen. Man muß seine Politik vielmehr vom schweizerischen Standpunkt aus betrachten und beurtheilen. Für weltbürgerliche Revolutionsmacherei, Völkersolidarität und dergleichen Phantasmen mehr hatte er gar kein Organ. Er kannte die Menschen und war ein praktischer Schweizer. Unbedingt hielt er fest an dem Recht der Schweiz, ihren Haushalt nach Gutdünken zu bestellen; nicht weniger aber auch an der Verpflichtung [781] der Schweiz, sich jeder Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten zu enthalten. Der „unentwegliche“ Fundamentalsatz von Furrer’s Politik mußte demzufolge die Neutralität sein, ein Fundamentalsatz, dessen Richtigkeit nur Solche anzweifeln können, welche die Schweiz und die Schweizer nicht kennen.

Wie in seinem Denken, Reden und Handeln, so ist Furrer auch in seiner Lebensführung ein Republikaner jeder Zoll gewesen. Nichts Gemachtes an ihm, keine Spur von Affectation oder Prätension. Der Bundespräsident Furrer war noch immer der schlichte Dr. Furrer von ehemals. Selten wohl hat ein Mensch Popularität, Erfolg und Ruhm mit solcher Gelassenheit hingenommen wie der Verewigte. Es war etwas Washington’sches in ihm. Der Bundespräsident führte den einfachen Haushalt fort, welchen der Advocat geführt hatte, und es mochte ihm, falls er überhaupt Notiz davon nahm, wunderlich vorkommen, wenn die Damen des Berner Patriciats sich darüber wunderten, daß die Frau des Staatsoberhaupts der Eidgenossenschaft ihren Hausgeschäften nachging, wie andere bürgerliche Hausfrauen auch. In unseren Tagen, wo so Vieles auf den bloßen Schein, auf die jämmerlichste Großthuerei und Eitelkeit angelegt ist, da ist es wahrlich eine doppelte Freude, das Bild der stillumfriedeten, prunklosen Häuslichkeit eines solchen ersten Bürgers einer Republik sich zu vergegenwärtigen. Da ist kein Tand und Flitter, sondern Wesenheit und Wahrheit … Und glaube man nur nicht, daß der schlichte, urbane, milde Furrer bei Gelegenheit seine und seines Landes Würde nicht zu wahren gewußt habe. Ich bin im Falle einen einschlägigen Zug beizubringen, der meines Wissens noch nicht bekannt geworden. Im Jahre 1856, zur Zeit, als die Neuenburger Frage in ihre bedrohlichste Phase getreten war, ging Furrer in diplomatischer Mission an die süddeutschen Höfe. Er wurde überall und von Jedermann mit der ihm gebührenden Achtung aufgenommen, einen Ort und eine Person ausgenommen, einen Minister, der seither die Treppe hinaufgeworfen, d. h. von seiner Ministerpräsidentschaft in’s Taxis’sche Palais in der Eschenheimer Gasse befördert worden ist. Dieser Herr läßt sich beikommen, dem schweizerischen Staatsmann gegenüber großartige Airs anzunehmen, ja denselben, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit, förmlich zu schulmeistern und im reinsten Kreuzzeitungsstyl über die Schweiz zu raisonniren. Da hat aber der Jonas Furrer solcher Tölpelhaftigkeit nach Gebühr heimgeleuchtet, hat mit der Faust auf den Tisch geschlagen und die Excellenz mit einem Compliment verlassen, welches die Excellenz wohlweislich für sich behielt.

Es war ein tiefergreifender Anblick, einen solchen Mann auf der Höhe seiner Bahn von einem unerbittlichen Uebel, der Bright’schen Nierenkrankheit, ergriffen und vergeblich dagegen ankämpfen zu sehen. Mehrmals hatte ihm die Pfäferser Therme Linderung und Erfrischung verschafft. Als er, schon sehr leidend, auch voriges Jahr zu ihrem Gebrauche nach Ragaz sich begab, fand er daselbst am Fuße des Tabor Genesung von allen Lasten und Leiden des Lebens. Am 28. Juli empfing der Friedhof seiner Vaterstadt die Hülle ihres berühmtesten Sohns. Es war ein Tag der Trauer für die gesammte Eidgenossenschaft. Am folgenden Tage beschloß die Bürgerversammlung von Winterthur, von Gemeindewegen dem Verewigten ein Denkmal zu errichten.

Es hieße dem Andenken Furrer’s einen schlechten Dienst erweisen, es hieße seinen schlichten Bürgersinn noch im Grabe beleidigen, wollte man übertreibendes Lob auf seinen Namen häufen. Man braucht, scheint mir, nicht mehr aus ihm zu machen, als er war: er war genug. Nicht ein Alles überragender, Alles mit sich fortreißender, die Zeit mit seinem Gepräge stempelnder, leidenschaftliche Bewunderung und leidenschaftlichen Haß weckender, nein, nicht ein solcher Geist ist Jonas Furrer gewesen. Man kann ihm keine Genialität zutheilen. Aber er war ein seltenes Talent und, was mehr, ein so zu sagen providentielles Talent, d. h. ein solches, wie sein Vaterland es gerade brauchte. Jede Fiber in ihm war schweizerisch. Er ist der verkörperte Ausdruck des schweizerischen Liberalismus in dessen bestem Wollen und höchsten Zielen gewesen. Ein Mann der Ordnung, ein Schildhalter des Rechts, ich wiederhole es. Allem Plötzlichen, Unberechenbaren, allem gewagten Experimentiren abhold. Kein bahnbrechender Stürmer, aber ein Ordner, Organisirer, Ausbildner. Im Innern entschieden vorwärts auf der Bahn eines verständigen Demokratismus, aber nach außen vorsichtig, behutsam und neutral, neutral immer und immer! denn wir sind nun einmal keine Großmacht, und die Rolle des Frosches spielen, der sich zum Ochsen aufblasen möchte, dazu sind wir viel zu praktisch. So war Furrer’s Politik, und das Schweizervolk wußte, daß sich des Mannes Politik auf’s Innigste mit seinem Charakter, mit seinem Gewissen verschmolz. Daher Furrer’s außerordentliche und dauernde Popularität, auf welche gestützt er so Gutes, so Großes zu leisten vermochte. Sein Verhalten im Einzelnen und Ganzen bietet der Kritik Raum, keine Frage. Aber gewiß ist dies: auf einem reinsten und schönsten Blatt der Geschichte unsers Jahrhunderts steht unvergänglich der Name von Jonas Furrer.




Die deutsche Turnmacht!
Von Georg Hirth.


Deutschlands Turner eröffneten vor zwei Jahren jenen Reigen nationaler Feste, die seitdem von der größten Bedeutung für die Entwickelung des deutschen Volkslebens geworden sind. Die denkwürdigen Tage von Coburg (17–19. Juni 1860) zündeten wie ein Frühlingssonnenstrahl: Turnen und abermals Turnen ward die Losung des deutschen Jungthums, und was das Volk, gestützt auf die unabweisbaren Forderungen unserer vorwärtsschreitenden Zeit und auf dem Wege friedlicher Vorstellung, verlangte, konnten die Regierungen nicht mehr verwehren. Dem Turnen wurde wiederum seine Anerkennung, es wurde heimisch in Hunderten neuer Volksvereine; der Schule ward es, freilich nicht allerwärts und fast nirgends durchgreifend, als nothwendiger Erziehungstheil, dem Heere als unerläßliche Grundlage der Wehrtüchtigkeit beigeordnet; der Vereinszwang wurde in den meisten Staaten unseres zerklüfteten Vaterlandes aufgehoben, und so konnte sich ungehindert ein reges turnerisches Leben entfalten auf den Uebungsplätzen, auf Festen und Fahrten. Das zweite allgemeine deutsche Turnfest in Preußens Hauptstadt (10–12. August 1861) fand somit schon einen viel ergiebigeren Boden vor, zu dessen weiterer Bebauung es nicht wenig beitrug.

Ueberhaupt sind es die Feste, welche, gleich Brennpunkten die Strahlen der gesammten volksthümlichen Bestrebungen sammelnd und wiederausstrahlend, weit und breit befruchtend wirken. Wie im Kleinen die Hunderte von Gau- und Vereinsturnfesten die Sache fördern halfen, im engern Kreise anregten und Abschnitte in der Entwickelung einzelner Vereine und Vereinsgruppen bilden, so sind nun namentlich jene zwei größeren Feste zu Coburg und Berlin Abschnitte in der Geschichte des deutschen Turnwesens geworden. Ein Jahr vor dem Coburger Feste zählten wir in Deutschland 241 Turnvereine mit 23670 Mitgliedern. Im Winter nach dem Feste (1860/1861) bestanden schon 506 Vereinigungen mit etwa 50,000 Mitgliedern, während wir heute mehr als das Doppelte nachweisen können, nämlich 1309 Vereine mit etwa 120,000 Mitgliedern. Freilich ist das Turnen noch nicht in allen deutschen Gauen gleich heimisch. Verhältnißmäßig die meisten Vereine bestehen in Mitteldeutschland, im Königreich Sachsen allein 180.

Nur wenige von diesen Vereinen stammen also, wie aus den gegebenen Andeutungen hervorgeht, aus früheren Jahren, da fast alle, die sich zur Zeit Jahn’s im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts, sodann in den dreißiger und vierziger Jahren bildeten, wieder eingingen. Die ältesten der jetzt bestehenden Gemeinden sind die zu Friedland (1814), die Hamburger Turnerschaft und der Turnverein zu Neustrelitz (beide 1816). Vom Jahre 1828 her stammen noch München und Wolfenbüttel, vom Jahre 1832 die Schulturnvereine zu Hannover und Hildesheim, von 1833 die Vereine zu Frankfurt a. M. und Wismar, von 1838 Blankenburg i. H., von 1842 Königsberg i. Pr., Mainz und Parchim, von 1843 Neubrandenburg, Reutlingen, Schwerin. Von 1844 her haben sich 9, von 1845 5, von 1846 15, von 1847 8, von 1848 27 Vereine erhalten.

[782] Das nächste Streben jedes einzelnen Vereins liegt selbstverständlich im Turnen; es bildet die Grundidee, der sich alle nebensächlichen Interessen unterordnen. Der Turnplatz ist der regelmäßige, wenn nicht tägliche Sammelplatz der Vereins-Mitglieder, die nach ihrem Alter oder ihrer bürgerlichen Stellung entweder eigentliche, d. h. stimmfähige Mitglieder oder Zöglinge, nach ihrer Theilnahme an den Turnübungen Turner oder Turnfreunde sind – die letzteren den sogenannten passiven Mitgliedern der Gesangvereine entsprechend. Durch den einfachen Zweck der Turngemeinschaft ist der Begriff einer geschlossenen Gesellschaft von selbst aufgegeben; der Eintritt steht jedem Manne, Jüngling und Knaben offen, der mit dem redlichen Streben erfüllt ist, zu seinem und des Vaterlandes Nutz und Frommen zur echten Männlichkeit sich auszubilden. So kommt es, daß wir auf dem freien Turnplätze alle sonst im bürgerlichen Alltagsleben sich schroff trennenden Stände und Berufsarten vertreten sehen – den Gelehrten neben dem Handwerker, den Kaufherrn neben seinen Markthelfern, den Lehrer neben dem Schüler, den Meister neben seinen Gehülfen und Lehrlingen. Gleichwohl ist die Vertretung der verschiedenen Berufsarten in den Turnvereinen durchschnittlich noch eine ungleichmäßige. Grade die Stände, auf die das Turnen vor allen andern segnend wirken kann, nämlich Gelehrte, Künstler, Beamte etc., sind ihm gegen alle Erwartung immer noch nicht in dem Maße zugethan, wie der Stand der Arbeitenden. Großen Antheil am Turnen hat, namentlich in den größeren Städten, wie Leipzig, Hamburg etc., der Kaufmannsstand genommen.

Die Mitgliederzahl ist natürlich in den einzelnen Vereinen, je nachdem sie in größeren oder kleineren Orten sind, sehr verschieden. Während nicht wenige über 1000, ja nahe an 2000 Mitglieder (wir erinnern an den Turnverein Leipzigs!) zählen, haben andere wiederum blos 20, 40. Im Allgemeinen ist eine Durchschnittszahl von 95 – 100 anzunehmen. In vielen, namentlich größeren Orten bestehen mehrere Vereine neben einander, die meisten in Berlin, nämlich 44, deren Vertreter zusammen den um die Förderung des Turnwesens so verdienten „Berliner Turnrath“ bilden.

Regelmäßigkeit und Stetigkeit sind die hauptsächlichsten Erfordernisse des Turnbetriebs. Die Turnerei will deshalb, wenn Witterung und Jahreszeit die Uebungen im Freien nicht gestatten, unter Dach und Fach gebracht sein. Am besten erfüllen diesen Zweck Turnhallen, bei deren Bau und innerer Einrichtung gleich auf ihre Bestimmung Rücksicht genommen worden ist, und es wird, wo nur immer die Verhältnisse es gestatten, auf die Erlangung solcher Gebäude hingestrebt. Hie und da, wo das Turnen als obligatorischer Unterrichtsgegenstand in die Schulen aufgenommen wurde, haben staatliche oder städtische Behörden die zum Erbauen von Turnhallen nöthigen Summen verwilligt und den Turnvereinen ihre Mitbenutzung gestattet; anderwärts haben auch die Turngemeinden selbst den Bau von Hallen, meist auf Actien, unternommen. Wir erwähnen die bedeutenden staatlichen Turnhallen in Hannover, Berlin, Darmstadt, München, Stuttgart, Dresden; ferner die städtischen und Vereinshallen in Altona, Amberg, Bremen, Breslau, Annaberg, Danzig, Elberfeld, Elbing, Ellwangen, Essen, Frankfurt a. M, Gießen, Glauchau, Gmünd, Görlitz, Hall, Hamburg, Hanau, Heidelberg, Jena, Köln, Königsberg, Magdeburg, Meerane, Meißen, Mühlheim, Offenbach, Ulm, Zittau, Zwickau etc. Die neuerbaute Turnhalle in Stettin kostet 24,000 Thlr., die in Barmen 11,000, in Gera 6,000, in Altenburg 5,000 Thlr., in Nürnberg (Vereinseigenthum) 20,000 fl., die in Leipzig 40,000 Thlr., in Berlin sollen drei Hallen und zwar zunächst eine für 72,000 Thlr. (incl. Bauplatz etc.) errichtet werden etc. Daß auch kleinere Vereine bei ernstlichem Streben in den Besitz von eigenen Hallen kommen können, haben wir in Nordhausen, Frankenberg, Limbach, Mylau, Lindenau und Schönefeld (zwei Dörfer bei Leipzig) gesehen. – Wo eine besondere Turnhalle fehlt, wird der Mangel, wenn auch sehr unvollkommen, durch irgend einen anderen Raum (Tanzsäle etc.) ersetzt, und es sind wohl nur sehr wenige Vereine, die den Winter über das Turnen gänzlich einstellen – sei es auch, wie dies oft vorkommt, daß sie ihre Zuflucht zu einer Remise, Scheune, zu einem Stall oder einer improvisirten Breterbude nehmen müssen.

Es ist Viel über die sogenannten „mit dem Turnen verbundenen Ideen“ gesprochen und geschrieben und – gestehen wir es offen – von den Turnvereinen selbst viel Mißbrauch mit ihnen getrieben worden. Unter diese Mißbräuche zählen wir z. B. das unzeitgemäße Princip der (gezwungenen) Brüderschaft, die Sucht vieler jüngeren im Turnen meist faulen Vereinsmitglieder, durch Abzeichen, Bänder und eigenthümliche Redensarten sich und der Turngemeinschaft eine Art von studentischem Corpsgeist aufzudrücken, der auf das größere Publicum den widerlichsten Eindruck machen muß und leider noch so Viele von der Theilnahme am Turnen abhält; doch finden sich diese Mißstände fast nur noch in jüngeren und kleineren Vereinen, in den meisten der bedeutenderen Vereine sind sogar die Auswüchse des specifischen „Urturnerthums“ streng verpönt. Freilich soll nun das Turnen nicht Selbstzweck bleiben, sondern durch den Einzelnen das Wohl der Gesammtheit fördern. Wo dieser Grundsatz sich auf wirklich praktische Bedürfnisse anwenden ließ, haben denn auch die Turnvereine eine segensreiche Wirksamkeit begonnen; wir erinnern vor Allem an die in den meisten und wohl in allen größeren Vereinen bestehenden Turner-Feuer-Wehren, welche in Augsburg, Leipzig, Pforzheim etc. zu wahren Musteranstalten ihrer Art geworden sind. Fraglicher ist die neuerdings oft angeregte Wehrhaftmachung der Turnvereine, die – weil sie eben unzeitgemäß und nicht aus einem wirklich gefühlten Bedürfniß hervorgegangen – bisher nicht über den Standpunkt eitler Spielerei hinweggekommen ist. Die tüchtigeren Turnvereine sind diesen Bestrebungen gänzlich fremd.

Was überhaupt der Sache des Turnens erst einen höheren ethischen und nationalen Werth verleiht, das ist der in allen Turnvereinen herrschende Geist der Zusammengehörigkeit und der Vaterlandsliebe. Von diesem Geiste, der vom Turnerthum ganz unzertrennlich, aber weit entfernt ist von der „politischen Agitation“, waren die Feste von Coburg und Berlin und alle anderen im weiten deutschen Vaterlande getragen; durch diesen Geist wurden die Turnfeste zu Volksfesten, die Turnsache zur Volkssache. In dem Bewußtsein des einen strebend auf dem einen vaterländischen Boden treten die deutschen Turner als einige deutsche Turnerschaft auf, als geschlossenes Ganzes. Wie im einzelnen Verein dem Bedürfniß gegenseitiger Anregung durch gemeinschaftliche Gesangübungen, Turnfahrten und Versammlungen zu ernsten und heiteren Zwecken nachgekommen wird, so leben die Vereine unter einander in regem Verkehr. So sind zu den Turnfesten, an denen stilles Wirken anregend und werbend aus den engen Grenzen der Uebungsplätze heraustritt, nicht nur fremde Vereine herzlich eingeladen, sondern es haben sich, wo kein engherziges Landesgesetz im Wege stand, ganze Vereinsgruppen zu sogenannten „Gau-Turnverbänden“ zusammengethan, deren hauptsächlichster Zweck eben in der Regelung der Festangelegenheiten, bezüglich der Bestimmung eines jährlich wiederkehrenden Gaufestes, sodann in der Hinwirkung auf einen einheitlichen Turnbetrieb etc. besteht. Der Verein, welcher für das kommende Jahr das Fest übernimmt, erhält damit zugleich die Vorortschaft. So haben wir jetzt einen schwäbischen, einen bairischen, einen oberrheinischen, mittelrheinischen, niederrheinisch-westphälischen, einen nord-, süd- und ostthüringischen, einen Hennebergischen, niedersächsischen, einen Niederweser-Turnerbund und sieben schlesische Turngaue etc.

Wenn nun auch neuerdings auf den Turntagen zu Coburg und Berlin von der Gründung eines allgemeinen deutschen Turnerbundes (woraus man von gewisser Seite den Turnvereinen einen Vorwurf hat machen wollen) abgestanden wurde, so ist dies keineswegs ein Beweis für Mangel an einigem Geiste und einigem Handeln. Denn so schön der Gedanke an solchen Bund, dessen eigentliche Bedeutung schließlich doch nur in äußerlichem Satzungs- und Formenwesen bestehen würde, bei oberflächlicher Betrachtung erscheint, so wenig entspricht er dem wirklichen Bedürfniß. Diesem zu genügen, ernannten die zu Berlin versammelten Turner einen ständigen Ausschuß, dessen Mitglieder, 15 an der Zahl, aus den verschiedenen Theilen des Vaterlandes gewählt wurden und durch welchen die laufenden Angelegenheiten der deutschen Turnerschaft endgültig erledigt werden. Der Ausschuß hielt seine erste Berathung in Gotha am 27. und 28. December v. J., deren hauptsächliche Ergebnisse wir hier mittheilen wollen, da sie zugleich einen Einblick in die turnerischen Tagesfragen gewähren.

Das nächste allgemeine deutsche Turnfest wird im Sommer 1863 in Leipzig, das übernächste im Sommer 1865 in Nürnberg abgehalten werden. (Das Leipziger Comité hat die Tage des Festes auf 2. – 5. August 1863 festgesetzt und seine vorläufigen Bestimmungen nach der Größe der zu erwartenden Festgenossenschaft – etwa 12–14000 Turner – getroffen.)

[783] An das Comité zur Errichtung eines Jahndenkmals stellte der Ausschuß den Antrag: das Denkmal (zu dem beim Berliner Turnfest der Grundstein gelegt wurde) soll auf der Hasenhaide in Form eines Malhügels aus den von den Turnvereinen aus allen deutschen Gauen und selbst über’s Meer her eingesandten Steinen, geziert durch ein einfaches Brustbild oder eine Platte, ausgeführt werden.

Im Hinblick auf die mancherlei unrichtigen und unklaren Urtheile über die Stellung der Turnvereine im staatlichen Leben gab der Ausschuß die Erklärung ab: „Das Turnen kann nur dann seine reichen Früchte entfalten, wenn es als Mittel betrachtet wird, dem Vaterlande ganze tüchtige Männer zu erziehen; jedwede politische Parteistellung jedoch muß den Turnvereinen als solchen unbedingt fernbleiben, – die Bildung eines klaren politischen Urtheils ist Sache und Pflicht des einzelnen Mannes“ Mit der Frage der politischen Stellung der Turnvereine ist die der Wehrhaftmachung eng verknüpft. Der Ausschuß erklärte, und wohl in richtiger Erwägung der Verhältnisse und namentlich der den Turnvereinen zu Gebote stehenden Mittel: „Waffenübung mit Ausschluß aller Äußerlichkeiten kann der Ausschuß nur denjenigen Vereinen empfehlen, welche dazu genügende Lehrkräfte besitzen; der treue, regelrechte Betrieb eines Turnens, welches den Körper zu allen männlichen Leistungen befähigt, muß Hauptsache bleiben.“

Als alleiniges Organ der Turnerschaft wurde die von Dr. Goetz in Lindenau redigirte und seit 1856 bei Ernst Keil in Leipzig erscheinende „Deutsche Turnzeitung“ anerkannt. (Die deutschen Turnlehrer benutzen als Organ die wissenschaftlichen, von Dr. Moritz Kloss in Dresden herausgegebenen „Neuen Jahrbücher für die Turnkunst“.)

Dr. Lion (seit 1. October d. J. Director des gesammten Turnwesens in Leipzig) wurde mit der Veröffentlichung eines gemeinsamen Leitfadens der Frei- und Ordnungsübungen beauftragt; ferner wurden zunächst die Vereine zu Leipzig, Dresden, Köln, Königsberg, Stuttgart, München, Gera, Berlin, Stettin, Bielefeld u. a. aufgefordert, Gelegenheit zur Ausbildung von Vereins-Vorturnern und Turnlehrern zu geben.

Auch für weitere Kreise und namentlich das gesammte deutsche Vereinswesen (Schützen-, Gesang-, Bildungs-, Vorschußvereine etc.) von großem Interesse ist die vom Ausschuß unternommene „Statistik des deutschen Turnwesens“. Wenn auch der Gedanke an die Sache nicht ganz neu ist (schon vor zwei Jahren gab der Berliner Turnrath eine statistische Uebersicht der Turnvereine heraus, und Gutzkow sagt irgendwo: „Eine Vereinsstatistik unserer Zeit müßte außerordentlich lehrreich sein“), so ist die Anlage des heurigen Unternehmens doch so ursprünglich und den gegebenen Verhältnissen nach so vortrefflich, daß ein näheres Eingehen an dieser Stelle wohl gerechtfertigt erscheint. – Nur bei zweckmäßiger Vertheilung der statistischen Arbeiten war für diese Tüchtiges und Gediegenes zu erwarten; daher übertrug der Ausschuß jedem Einzelnen seiner Mitglieder einen bestimmt abgegrenzten Wirkungskreis, und es hat laut dieses Beschlusses, während der Schreiber dieses für die Gesammt-Redaction der Statistik verantwortlich ist, von den 15 Ausschußmitgliedern jeder Einzelne für die gewissenhafte Ausführung derselben in seinem Kreise zu haften. Die 15 deutschen Turnkreise deren Zusammensetzung nach politischen Gebieten und Vereinen aus Nr. 15 der Deutschen Turnzeitung hervorgeht) und ihre Vertreter im Ausschuß sind folgende:

1. Kreis Nordosten. (39 Vereine.) Dr. K. Friedländer in Elbing.
2. „ Schlesien und Südposen. (78 Vereine.) Oberturnlehrer Rödelius in Breslau.
3. „ Mark und Pommern. (185 Vereine.) Dr. Ed. Angerstein in Berlin.
4. „ Norden. (59 Vereine.) Kaufmann G. Jacobi in Hamburg.
5. „ Unterweser und Ems. (42 Vereine.) Dr. J. C. Lion, Turnlehrer, in Bremerhaven (jetzt in Leipzig).
6. „ Hannover. (50 Vereine.) H. Schäfer in Lüneburg.
7. „ Oberweser. (34 Vereine.) Turnlehrer E. Boppenhausen in Cassel.
8. „ Niederrhein und Westphalen. (97 Vereine.) W. Angerstein, Turnlehrer in Köln.
9. „ Mittelrhein. (168 Vereine.) F. Wilhelmi, Turnlehrer in Neustadt a. H.
10. „ Oberrhein. (28 Vereine.) Dr. med. Gißler in Pforzheim.
11. „ Schwaben. (64 Vereine.) Rechtsanwalt Th. Georgii in Eßlingen.
12. „ Baiern. (115 Vereine.) Inspector G. H. Weber in München.
13. „ Thüringen. (140 Vereine.) Reallehrer E. Hausmann in Neustadt a. D.
14. „ Sachsen. (180 Vereine.) Dr. med. Ferd. Goetz in Lindenau b. Leipzig. (Geschäftsführer des Ausschusses.)
15. „ Oesterreich. (30 Vereine.) Konr. Lecher in Wien.[2]

Jedes Ausschußmitglied bekam eine entsprechende Anzahl von gedruckten Fragebogen, die unterm 1. Juni dieses Jahres an die einzelnen Vereine zur Ausfüllung übersandt wurden. Die Ausfüllung von Seiten der Vereine geschah nach dem Thatbestand des 1. Juli und an diesem Tage. Die so mit einem getreuen Bilde des Turnwesens am Orte versehenen Bogen wurden dann unverzüglich an die Absender, bez. die einzelnen Ausschußmitglieder, zurückgeschickt, die nun aus dem vorliegenden Stoff einen vollendeten Bericht über ihre betreffenden Turnkreise zusammenstellten, so jedoch, daß alle diese Arbeiten nach einer gemeinsamen Anweisung, einem bestimmten Schema, gleichmäßig durchgeführt wurden. Bis Ende September d. J. sollten sämmtliche 15 Berichte zur Schlußredaction und Zusammenstellung in den Händen des Verfassers sein; das Ganze aber wird in Form eines „Jahrbuchs der deutschen Turnvereine auf 1863“ (Leipzig bei Ernst Keil) erscheinen.

Endlich heißt es in der Erklärung des Ausschusses: „Die Turnerschaft wird aufgefordert, in den einzelnen Staaten immer und immer wieder durch Petitionen an die Kammern und sonstige Mittel besonders für Hebung des Schulturnens und Errichtung von Turnlehrerbildungsanstalten nach deutschem System, auf Grundlage des Coburger Aufrufs von 1860 und unter wirklich praktischen Vorschlägen, zu wirken. Namentlich mögen die Turner allenthalben auch durch die Presse für das Turnen, besonders das der studirenden Jugend, wirken.“ Wir fügen Dem folgende Erläuterung bei, die zugleich unsere Mittheilungen passend abschließen möge: Trotz aller Anerkennung des Turnens als eines nothwendigen Erziehungs- und Bildungsmittels ist in der Mehrzahl der deutschen Staaten die Einführung desselben immer nur erst halbe Maßregel geblieben. Zwar ist neuerdings, z. B. von der königlich sächsischen, der würtembergischen und weimarischen Regierung, Umfangreiches für das Turnen auch in den Volksschulen gethan worden – aber grade die Länder, welche größere Bevölkerungen umfassen, haben bisher in der That nur für die Einführung in den höheren Unterrichtsanstalten gesorgt. Möge in Preußen das naturgemäße, vaterländische deutsche Turnen, für welches bekannterweise die heurige Volksvertretung so wacker eingestanden (Virchow, Techow u. A.), recht bald einen gründlichen Sieg über die importirte unnütze „schwedische Heilgymnastik“ feiern, wie sie leider noch in der Berliner Centralturnanstalt betrieben und von da dem ganzen Lande aufgedrungen wird; daß dieser Sieg kommen muß, steht über allem Zweifel, aber es muß dennoch von dem guten Willen der Regierung abhängen, dem deutschen Turnen durch energische Einführung in Schule und Heer die Anerkennung zu verschaffen, die es verdient. Soll das Turnen seine vollen Segnungen spenden, soll es mit einem Worte „eine neue kräftigere Generation heranbilden“, so muß es auf das ganze Volk, also vor Allem auf die Dorf- und städtischen Schulen sowie auf das Heer ausgedehnt und hier auch wirklich mit allem Ernste betrieben werden; als gerechte Folge hiervon aber erscheint die Forderung, daß von Seiten der Regierungen allen turnerisch Vorgebildeten eine Abkürzung der militärischen Dienstzeit gewährt werde.

So kann und wird es wahr werden, was Vater Jahn von der Turnerei prophezeit: „Das Turnen, aus kleiner Quelle entsprungen, wallt jetzt als freudiger Strom durch Deutschlands Gauen. Es wird künftig ein verbindender See werden, ein gewaltiges Meer, das schirmend die heilige Grenzmark des Vaterlandes umringt!“

[784]
Blätter und Blüthen.


Beitrag zu der Geschichte des „Wohlgeboren“ etc. Einer so lächerlichen Sitte, wie der in Nr. 46 der Gartenlaube von Fr. Gerstäcker angegriffenen des „Wohl-“ und „Hochwohlgeboren“, ist meines Erachtens am besten beizukommen, wenn sie in ihrer extremsten Erscheinung dargestellt wird. Es ist überflüssig, zu diesem Zwecke zu erdichten. Denn eine groteskere Verwendung der in Rede stehenden Höflichkeitsschnörkel, als deren in früherer Zeit thatsächlich in allem Ernste gemacht worden, läßt sich wohl kaum im Scherze erfinden. Nur ein Beispiel: Dr. E. von Lohenstein leitete seine bei dem Leichenbegängniß des „weiland Hoch-Edelgebornen, Gestrengen und Hochbenamten Herrn Christians von Hoffmannswaldau“, des bekannten schlesischen Dichters, gehaltene „Lobrede“ mit folgender Ansprache an die Trauerversammlung ein:

„Hochgeborner Graf, des heil. römischen Reichs Semper-Frey, hoch- und wohlgeborne Freiherren, hochedelgeborene, wohledle, gestrenge, hochbenamte, hochgelahrte, gnädige und hochgeehrte Herren; wie auch hochgeborenes, hoch- und wohlgeborenes, hochedelgeborenes, wohledles, hoch-, ehr- und tugendreiches, gnädiges und hochgeehrtes Frauenzimmer!“ Und dieser Unsinn wurde gesprochen!

Uebrigens sind die Prätensionen der einzelnen Stände auf die Zusätze „wohl“, „hochwohl“, und „hoch- und wohl“ mit der Zeit gestiegen. Ich habe ein vom Kaiser Karl VI. ausgestelltes Freiherrndiplom gesehen, worin dem Empfänger u. A. eröffnet wird, daß sich „fortan jedermänniglich gegen ihn des Prädicats Wohlgeboren zu bedienen habe.“

H. S.




Literarische Notizen. Des alten Turnvaters Jahn Selbstvertheidigung, auf der Festung Colberg im 5. Jahre seiner Haft (1824) geschrieben, existirt bekanntlich nur in zwei Exemplaren, wovon das eine sich in den Händen der preußischen Regierung befindet. Das zweite Exemplar, von Jahn eigenhändig mit einer Einleitung versehen, war längere Zeit verschwunden, und ist erst vor einigen Monaten durch die Anständigkeit eines deutschen Buchhändlers wieder in den Besitz der Wittwe des Alten im Barte gelangt. Der Verleger der Gartenlaube hat das interessante Manuscript an sich gekauft und wird es der Öffentlichkeit übergeben. Wir hoffen unsern Lesern noch vor der Ausgabe des Buches einige interessante Bruchstücke mittheilen zu können. – Von Schmidt-Weißenfels, unserm verehrten Mitarbeiter, sind in Breslau unter dem Titel: „Preußische Landtagsmänner, Beiträge zur Partei- und parlamentarischen Geschichte Preußens,“ Charakteristiken der hervorragendsten Mitglieder der preußischen Fortschrittspartei, der Liberalen und der Katholiken erschienen. Unsere Leser kennen die elegante und schwungvolle Darstellungsweise des Verfassers aus Beiträgen der Gartenlaube zu genau, als daß wir noch etwas zum Lobe des Buches hinzuzufügen hätten. – Von Otto Müller, dem vielgenannten Autor der „Charlotte Ackermann“, des „Tannenschützen“, „Stadtschultheiß von Frankfurt“ etc., ist so eben ein neuer zweibändiger Roman: „Eckhof und seine Schüler“ versandt worden. Wir kommen auf das interessante Buch später noch zurück.




Theodor Oelckers, dessen Uebersiedelung nach Brasilien wir im Laufe des vorigen Herbstes unsern Lesern mittheilten, ist Mitte August von Porto Alegre, wo er bekanntlich eine deutsche Zeitung redigirte, wieder zu Schiffe gegangen und vor einigen Tagen nach 75tagiger Fahrt in England (Falmouth) gelandet. Gesundheitsrücksichten zwangen ihn, seine dortige vortheilhafte Stellung aufzugeben. Ob er nach Sachsen zurückkehren und dableiben wird, ist noch unbestimmt.



Die Expedition zur Aufsuchung Dr. Ed. Vogel’s in Afrika. Seit wir den Aufsatz über Herrn Moritz von Beurmann in der Gartenlaube Nr. 43 gegeben, hat sich manches im Stand der deutschen Expedition geändert. Die Herren Munzinger und Kinzelbach haben von dem Beherrscher von Dar-Fur nicht die Erlaubniß erhalten, sein Land frei und ungefährdet zu durchreisen, und trotz der durch Munzinger in El-Obed eingezogenen Nachrichten, die den Tod Dr. Vogel’s so wahrscheinlich darstellten, treten immer wieder die alten Behauptungen von der Gefangenschaft des Reisenden in Wara oder Wadai auf. Munzinger und Kinzelbach sind, ohne etwas erreicht zu haben, zurückgegangen, und einer der Reisenden hatte schon vor mehreren Wochen seine Heimath Stuttgart erreicht.

Die ganze Hoffnung beruht nun noch auf Herrn von Beurmann. Englische Blätter brachten vor einiger Zeit das Gerücht: Herr v. Beurmann sei auf seiner Reise von Mursuk nach Bornu ausgeraubt, wenn nicht ermordet. Uns scheint diese Nachricht nicht glaubwürdig. Es sind aber Schritte gethan, um weitere Aufschlüsse über die Entstehung des Gerüchts zu erhalten.

Für die Fortsetzung der Expedition des Herrn von Beurmann gingen ein: von Freiherrn von Biedermann 2 Thlr., von Freiherrn von Teubner in Dresden 5 Thlr, P. N. S. F. (mit Poststempel: Waltershausen) 5 Thlr, W. von Hoenika aus Twer in Rußland 15 Thlr., F. A. N. 5 Thlr. Summa 32 Thlr.

Leipzig, den 18. November 1862.

Dr. Henry Lange.




Literarische Freibeuterei, oder eine Gutknechtiade in zweiter Ausgabe. Ein liberaler Luzerner schreibt uns: „Die jesuitenfreundliche „Schwyzer Zeitung“, eines jener reactionären Blätter, welche, bekannt durch ihre Schwärmereien für das bourbonisch-papistische Brigantenthum, zur Schande der freien Schweiz noch bestehen, beginnt in ihrem Feuilleton vom 4. November mit einer oberbairischen Geschichte von Hermann Schmid, welche in der Gartenlaube unter dem Titel „Blut um Blut“ unlängst erschienen ist; sie entblödet sich dabei nicht, dieselbe kurzweg „Am Schauerkreuz“ zu taufen und Herrn Herm. Schmid quasi als ihren Mitarbeiter dem Publicum vorzustellen, eine Ehre, nach welcher der geistvolle Feuilletonist schwerlich geizt. – – Das Drollige bei der ganzen Geschichte ist nur, daß die ultramontanen Skripsler, während sie die „Gartenlaube“ bei jedem Anlaß als „Organ der Ketzer“ verschreien und begeifern, nichtsdestoweniger mit den geistigen Producten derselben Geschäfte zu machen nicht erröthen. Diese frommen Heuchler trachten wahrscheinlich nur aus dem Grunde darnach, die „guten“ Katholiken von der „Gartenlaube“ fern zu halten, damit sie um so ungenirter stehlen und ihren Lesern das Gestohlene als eigenes Fabrikat auftischen können!“ – Die betreffende Nummer (Nr. 253) der Schwyzer Zeitung liegt vor uns, die auf S. 1006 beginnende Erzählung „Am Schauerkreuz“ ist der wörtliche Abdruck der „oberbaierischen Geschichte: Blut um Blut“ von H. Schmid. Wir haben somit, da die schweizerische Rechtspflege gegen solche Eingriffe in unser Eigenthum uns nicht schützt, weiter nichts zu thun, als abermals den Pranger aufzurichten und die Herren A. Eberle und Söhne in Schwyz als literarische Diebe denselben besteigen zu lassen.

Die Red. d. Gartenlaube.




Für Wilhelm Bauer’s „Deutsches Taucherwerk“

sind ferner (bis zum 23. November) eingegangen: 32 Thlr. 7 Ngr. gesammelt bei der von der Rettungscompagnie in Leipzig am 22. November veranstalteten geselligen Zusammenkunft der Feuerwehren von Leipzig und nächster Umgegend; – 22 Thlr. 8 Sgr. dritte Sendung der von der Expedition der Volkszeitung in Berlin veranstalteten Sammlung; – 2 Thlr. von Heinr. Lorentz, Gutsbes. in Schaderwitz bei Falkenberg in O./S.; 2 Thlr., ges. im Büchner’schen Locale zu Rudolstadt von einer kleinen gemüthlichen Gesellschaft junger Leute; – 76 Thlr. 5 Ngr. gesammelt auf dem Polytechnikum in Karlsruhe (Gesellschaft Wurstonia 14 fl. 15 Xr. rhn. – R. Rittner 2 fl. – Alb. Hirsch 1 fl. – Sigm. Kohn 1 fl. 24 Xr. – Gabelsberger Stenographen 5 fl. 18 Xr. – R. Lieben 1 fl. – Mehrere Polytechniker 5 fl. 18 Xr. – Burschenschaft Teutonia 30 fl. – Bei einer Allgemeinen Comment-Kneipe 26 fl. 49 Xr. – Dritter Ingenieur-Curs 20 fl. – Gesellschaft Hansa 10 fl. – Dritter Bau-Curs 1 fl. – Ueberschuß vom Fackelzug 16 fl. 10 Xr., Unkosten 2 fl., Summa 133 fl. 20 Xr. = 76 Thlr. 5 Ngr.), übermittelt durch Buchhändler Th. Ulrici in Karlsruhe; – 5 Thlr. ges. unter den Schülern der Secunda des königl. Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums zu Posen, durch A. Knebel, Primus der Ober-Secunda; – 1 Thlr. von Oekonom Rohkohl in Stangerode bei Mansfeld: „Für Bauer’s Werk, für Deutschlands schönen Stern – bringt man ein kleines Opfer gern.“ – 5 Thlr. 12 Ngr. ges. im Männer-Turnverein zu Creuzburg in O./S. bei Gelegenheit des Stiftungsfests, durch den Vors. Freund; – 1 Thlr. von Weilburg; – 3 fl. rhn. von einer kleinen Gesellschaft Heidelberger Studenten – „exempla trahunt“, durch A. Friedrich, Stud. d. Th. u. Ph.; – 10 Thlr. vom Handwerkerverein zu Pritzwalk, durch den Rendanten desselben, Kaufm. J. H. Kluth; 1 Thlr. von mehreren Gebern durch G. Schula in Pritzwalk; – 2 Thr. ges. von einer kleinen Gesellschaft junger Leute am 10. November im Gasthof zum Schwarzen Bären in Jena, durch O. Deistung; – 3 Thlr. von einer Whist-Partie aus Grünberg in Schl.; – 4 Thlr. vom Liederkranz zum goldenen Helm in Lichtenstein, ges. am Stiftungsfest, durch W. Schleicher; 3 Thlr. ges. im Dämmerungsclub zu Coswig; 2 Thlr. von dem kleinen Comptoir in Magdeburg; – 2 Thlr. ges. im Hof von Oldenburg von verschiedenen Reisenden, durch H. F. F. in Jever; 1 Thlr. von einem Turner aus „Einigkeit“, 15 Sgr. von einem Turner aus dem Turn- und Wehr-Verein „Werner“ in Berlin; – 23 Thlr. 5½ Ngr. Cassen-Ueberschuß der aufgelösten Männer-Turn-Gesellschaft zu Annaberg, durch O. Polemann; 1 Thlr. von einigen Stammgästen bei Ernst Dreßel und 1 Thlr. 15 Ngr. aus dem Liederkränzchen zu Eisfeld, durch Franklin Härtel; 2 Thlr. als Beitrag der Gesellschaft „Erholung“ zu Zeilitzheim bei Schweinfurt, durch Dr. M. Gr. Schmidt; – 53 Thlr. Ertrag einer Sammlung im Berliner Handwerkerverein, durch den Rechnungsführer desselben; 2 Thlr. von einigen Kaufleuten beim letzten Zunftessen in Süllbach an der Mard, durch W. H. Dörr in Spiegelberg; 2 Thlr. als Gewinn eines Familienspiels, aus P. in Ostpreußen, durch B…

(Fortsetzung dieser Quittung folgt in nächster Nummer.) Im Auftrag des Central-Comité’s: Ernst Keil.

Wir müssen Freunde und Förderer des Unternehmens daran erinnern, daß unfrankirte Einsendungen von Beiträgen das Porto vertheuern, folglich einen Theil der Gaben zu Gunsten der Post dem Unternehmen entziehen, und bitten, dies freundlichst beachten zu wollen.




Nicht zu übersehen!

Für diejenigen Abonnenten, welche sich die Gartenlaube einbinden lassen, sind durch uns auch zum Jahrgang 1862 höchst

geschmackvolle Decken mit Golddruck

nach eigens dazu angefertigter Zeichnung zu beziehen. Alle Buchhandlungen sind in den Stand gesetzt, dieselben zu dem billigen Preise von 13 Ngr. zu liefern. – Zu den Jahrgängen 1851 bis 1861 stehen ebenfalls Decken zu dem gleichen Preise zur Verfügung.

Die Verlagshandlung.


Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Corrumpirt von: Colonel, Oberst.
  2. Die Statistik besorgt für Thüringen E. Debes in Gotha, für Sachsen Ed. Strauch in Leipzig, für den Mittelrhein Dr. Weber in Gießen, für Baiern G. Hoffmann in Bayreuth.