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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1861
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: commons
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[193]

Der schwarzweiße Storch.

Ein Bild von der Grenze.
Von J. D. H. Temme.
(Schluß.)

Ich klopfte leise an die Thür des Grafen Tomborski. Der Diener öffnete. Als er mich sah, nickte er mir zu; dann ging er zurück. Im Augenblicke nachher stand der Graf bei mir im Gange; wir sprachen leise mit einander.

„Mein Herr, die Russen werden in einer Viertelstunde hier sein.“

„Also doch!“

„Aber hoffentlich sind Sie gerettet.“

„Ich? Nie werde ich mein Weib, mein Kind verlassen.“

„Sie sollen es nicht. Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin in dem Augenblicke?“

„Sie schläft. Das Fieber scheint etwas nachgelassen zu haben.“

„Würden Sie sie wecken dürfen?“

„Wenn es sein müßte.“

„Würde sie ohne Gefahr aus ihrem Bette hier oben in ein Bett nach unten im Hause gebracht werden können?“

„Muß es sein?“

„Es muß sein.“

„So werden mein Diener und ich, sie hinuntertragen.“

„Das Kind kann nachgebracht werden. Darf ich nur bitten, sich zu beeilen!“

„Es soll geschehen.“

„Ich werde Sie unten erwarten.“

Ich kehrte nach unten zurück. Vorher lauschte ich noch einmal an den Thüren des Assessors und der Harfenistin; sie schnarchten Beide ungestört. Der Krüger hatte in der Krugstube zwei Lager bereitet, für mich und den Dolmetscher.

„Schlafen Ihre Frau und Kinder schon?“ fragte ich ihn.

„Meine Frau ist noch auf.“

„Wo?“

„In unserer Stube hier nebenan.“

„Lassen Sie sie zu den Kindern in die Kammer gehen. Dort bleibt sie; Sie kehren hierher zurück.“

„Er ging in seine Stube, der Frau den Befehl zu überbringen. Ich hörte schon Tritte die Treppe herunter kommen und ging ihnen in den Hausflur entgegen; es waren der Graf und sein Diener. Sie trugen die Gräfin in ihren Bettstücken; ich ließ sie in die Krugstube, dann in die Stube des Krügers treten und wies ihnen das Himmelbett der Krügersleute an. Sie legten die Kranke hinein. Der Diener kehrte zurück, die Wiege mit dem Kinde zu holen; er brachte sie bald und trug sie gleichfalls in die Stube.

„Jetzt rasch nach oben zurück,“ ließ ich ihm durch den Dolmetscher befehlen, „um jede Spur zu vertilgen, daß heute jemand in dem Zimmer verweilt habe.“

Er eilte zurück, der Dolmetscher begleitete ihn. Nach wenigen Minuten brachten sie den Rest der Bettstücken von oben, welche in die Stube des Krügers getragen wurden.

„Schnarchen die Beiden oben noch?“ fragte ich den Dolmetscher.

„Es hört sich in dem Gange wie ein Kreuzfeuer an,“ antwortete er.

Der Graf kam in die Krugstube, um mich zu fragen ob ich noch etwas anzuordnen habe.

„Nichts, mein Herr,“ sagte ich ihm. „Bleiben Sie nur mit Ihrem Diener bei der Kranken und dem Kinde. Ganz ruhig, was Sie auch hören mögen.“

„Sie haben Hoffnung?“

„Vertrauen und Hoffnung.“

Er kehrte zu der Kranken zurück; der Diener war bei ihr geblieben. Es schlug Mitternacht auf der Wanduhr in der Krugstube. Der Dolmetscher, der Krüger und ich waren allein in dem Zimmer; der Dolmetscher hatte sich auf die Bank am Ofen gesetzt[ws 1], und der Krüger ging unruhig in der Stube umher. In mir war es gleichfalls unruhig genug. Aber ich war auch ermüdet. Ich setzte mich zu dem Dolmetscher. Ich hatte gethan, was ich konnte; mich wollte darnach auf einmal eine große Angst befallen. Nicht um den Assessor, der die Milde der russischen Regierung nicht genug hatte loben können; er bekam jetzt Gelegenheit, sie näher kennen zu lernen. Auch nicht um Laura Lautenschlag, sie kam ungehinderter an ihr Reiseziel. Daß Beide Sibirien nicht sehen würden, darüber war ich unbesorgt, da konnte eine kleine Angst sie nur zu einem wohlthuenden Nachdenken bringen. Ich muß es leider gestehen, ich hatte kein Mitleiden für sie.

Aber wenn von den Russen da oben die Verwechselung erkannt wurde? Dann war all mein Mühen vergeblich, und die unglücklichen Verfolgten waren nur neuen Grausamkeiten der um so mehr erbitterten Russen ausgesetzt. Und wie leicht war die Erkennung! Der Assessor und die Harfenspielerin wurden zwar im ersten, tiefen Schlafe und zwar in jenem festen Schlafe des Rausches überfallen. Die Russen hatten Veranlassung und liebten es, bei solchen Gelegenheiten jedes Geräusch zu vermeiden, und gaben daher gewiß dem Einen nicht lange Zeit zum Reden und der Andern nicht zum Schreien. Zudem verstanden Beide nicht Polnisch und nicht Russisch. Aber schon die Veränderung der Zimmer konnte ein Mißlingen befürchten lassen; dann das Fehlen des

[194] Kindes! Wie unendlich leicht konnte irgend ein anderer unglücklicher Zufall hinzutreten!

Aber was halfen diese und ähnliche Gedanken und Befürchtungen? Es mußten vielmehr Besonnenheit und Muth zusammengenommen werden. Es konnte noch zu handeln geben. Ich schlug mir alle Furcht aus dem Sinne. Dem Dolmetscher sah ich ebenfalls die Entschlossenheit an, und nur der Wirth ging bleich wie ein Gespenst, auf jeden Laut horchend, in der Stube umher. Seine Angst war mir lieb, denn um so weniger war seine natürliche Falschheit zu fürchten. In der Stube nebenan, in der die Verfolgten sich befanden, hörte man nichts; auch draußen war es still. Der Regen hatte nachgelassen, ein leichter Wind strich schwirrend durch ein paar Fichten, die seitab vom Kruge standen. Dichte Regenwolken hingen noch immer am Himmel, und die Finsterniß draußen war eine fast undurchdringliche.

Die Wanduhr zeigte zehn Minuten über Mitternacht. Durch die Stille der Nacht wurde ein Laut hörbar, von der entgegengesetzten Seite des Dorfes her. Dort war die polnische Grenze. Der Krüger zuckte zusammen und stellte seinen Spaziergang durch die Stube ein.

„Das sind sie, Krüger?“ sagte ich.

„Ich glaube.“

„Ja, ja,“ sagte er gleich darauf bestimmt.

„Dürfen sie das Licht hier in der Stube sehen?“

„Es war nicht davon gesprochen. Aber besser, wir machen es aus; wir können es ja jeden Augenblick wieder anzünden.“

Ich blies die Lampe aus, die auf dem Tische stand. Es war das einzige Licht in der Stube.

„Ist die Hausthür offen?“

„Sie ist nur angelehnt.“

„So war wohl die Abrede?“

„Ja.“

„Und Niemand soll sich hören oder sehen lassen?“

„Kein Mensch.“

„Wollte man hier in die Krugstube kommen?“

„Nein. Sie wollen gleich nach oben und dann auf der Stelle zurück.“

„Wer führt sie an?“

„Der Officier, der hier war. Er war von Marianopel gekommen.“

Ich fragte nicht weiter. Jener Laut war näher gekommen. Es war noch immer ein unbestimmtes Geräusch; erst als es aus dreißig bis vierzig Schritte näher gekommen sein mochte, unterschied man leises Klirren von Waffen und das Schnauben von Pferden. Den Tritt vernahm man auch jetzt kaum, denn der Weg war von tiefem Sand, und die Hufe der Thiere mußten ohne Eisen sein, denn die Russen reiten so. Sie kamen im Schritt näher. Ich trat in die Nähe eines Fensters, das nach der Straße hinführte, und durfte es bei der völligen Dunkelheit, die in der Stube wie auf der Straße herrschte. Eine dunkle, in der Straße wogende Masse langte gerade vor dem Hause an; auf ein leises Commandowort machten sie Halt. In dem Momente herrschte die tiefste Stille, kein Rasseln oder Klirren eines Säbels mehr, keine Menschenstimme, selbst kaum noch ein leichtes Schnauben eines Pferdes. Ich überzählte die Masse rasch, ich schätzte sie mir in Gedanken, es konnten an vierzig Mann im Wege halten. Dunkle Gestalten auf dunklen Pferden, weiter konnte ich nichts erkennen. Sie vertheilten sich ohne ein neues Commando, Jedem mußte schon vorher seine Bestimmung angewiesen sein. Die Localität war dem Anführer, wie wohl manchem Anderen der Truppe bekannt. Sie ritten still auseinander. Man hörte jetzt in der nächsten Nähe kaum den Tritt der Pferde, man hörte kein Athmen; es war als wenn die Reiter den Thieren zugeredet und diese sie verstanden hätten. Sie ritten in kleinen Trupps auseinander in verschiedenen Richtungen; unzweifelhaft besetzten sie das Haus von allen Seiten; etwa die Hälfte war auf der Straße vor der Thür zurückgeblieben.

Als sie sich vertheilt hatten und es in der Straße lichter geworden war, entdeckte ich einen niedrigen bedeckten Wagen, den sie umgeben hatten; er hielt jetzt frei mitten auf der Straße. Solcher „Kibitken“ pflegten die Russen zu solchen Executionen sich zu bedienen. Von den vor dem Hause Zurückgebliebenen verließ die Hälfte die Pferde; sie gingen auf das Haus zu. In demselben Augenblicke drehte der Wagen auf der Straße um.

Ich trat von dem Fenster zurück und eilte an die Thür der Krugstube. Konnte ich auch nicht sehen, was im Hause vorging, hören mußte ich es so deutlich wie möglich. Ich hob fast unbörbar die Klinke der Hausthür auf; so war sie nur angelehnt, ich konnte sie jeden Augenblick völlig geräuschlos weiter öffnen. Was sich auf dem Flur zutrug, konnte ich schon jetzt besser hören. Den Dolmetscher winkte ich zu mir heran; er sprach russisch und polnisch und sollte mir die Worte übersetzen, die ich nicht verstand.

Die nur angelehnte Hausthür wurde leise geöffnet; zehn bis zwölf Mann traten eben so leise in den Hausflur; die meisten schritten tiefer in ihn hinein, und eine Anzahl stieg dann die Treppe hinauf. Alles geschah fast unhörbar; gesprochen wurde kein Wort, und auch hier mußte Jeder schon vorher seine bestimmte Ordre erhalten haben. Unten im Flur schienen zwei Mann zurückgeblieben zu sein. Ich hörte ein Knistern von Sand unmittelbar vor der Stubenthür, hinter der ich mit dem Dolmetscher stand, und einen leisen Schritt hinten am Fuße der Treppe. Der Dolmetscher und ich durften nicht wagen, laut aufzuathmen; desto schärfer konnten wir horchen. Die, welche die Treppe hinaufgestiegen waren, waren oben angelangt, man hörte nichts mehr. Sie suchten sich wohl erst zu orientiren.

Nach einer Minute wurde leise eine Thür geöffnet, dann war Alles still. Nur die Thür der Stube, in der die Verfolgten sich befunden hatten, konnte geöffnet sein; sie mußten die Stube leer finden. Was dann? Ein entscheidender Moment war eingetreten; der erste. Ich horchte mit tiefangehaltenem Athem, nicht aus Furcht vor dem Russen, der keine drei Schritt von mir stand, nur um keinen Laut da oben zu verlieren. Aber dem Pochen meines Herzens konnte ich nicht gebieten, denn es pochte in mir, daß ich meinte, der Russe müsse es jeden Augenblick hören. Sie kamen aus der Stube zurück. Im Gange oben erhob sich ein dumpfes Gemurmel. Sie hielten wohl Rath, wohin nun; sie mußten sich in dem Gange zuvor von Neuem orientiren.

Der Posten vor unserer Thür murmelte auch etwas in sich hinein; einen Fluch, wie mir der Dolmetscher nachher sagte. Dann ging er nach dem Fuße der Treppe zu. Dort sprach er leise mit seinem Cameraden. Wir konnten die Thür ein wenig mehr öffnen und freier athmen. Oben wurde wieder eine Thür aufgemacht, sehr leise.

„Welche ist es?“ fragte ich den Dolmetscher.

„Sie scheint mir links von der Treppe zu sein.“

„Also die des Assessors?“

„Ich glaube.“

Sie waren in der Stube des Assessors. Der Athem wollte mir vergehen vor Spannung. Es war wieder Alles still. Auf einmal durchfuhr ein lauter Schrei die Luft. Der Dolmetscher und ich flogen in die Höhe. Der Assessor schrie: „Hülfe! Mordio!“ Mehr konnte er nicht rufen. Was nun? Es war der zweite entscheidende Moment. Der erste war glücklich vorübergegangen. Aber die deutschen Laute! Die Russen waren in der Tbat stutzig geworden. Einer redete, wie es schien, mit dem Assessor.

„Was spricht er?“ fragte ich den Dolmetscher.

„Er fragt ihn, wo seine Frau sei, ermahnt ihn aber nicht zu schreien, er werde sonst auf der Stelle geknebelt werden.“

Der Assessor antwortete dumpf, heiser. Die Hand, die ihm den Hals zugehalten, mußte sich nur halb geöffnet haben.

„Ich bin Assessor bei der königlichen Regierung zu Gumbinnen,“ sagte er.

Er hatte ihre Frage nicht verstanden. Der arme Assessor verstand nicht polnisch und nicht russisch, und die Russen verstanden kein Deutsch. Der Russe sprach wieder mit ihm. „Er fordert ihn auf, sich nicht zu verstellen,“ dolmetschte mir der Dolmetscher. Und der Assessor? Er antwortete würdevoll: „Ich habe das Polizeidepartement hier an der Grenze. Ich werde mich über diesen Grenzexceß am geeigneten Orte zu beschweren wissen, lassen Sie mich auf der Stelle los.“

Aber der Russe polterte drauf: „Verdammter Sohn einer Hündin,“ wie der Dolmetscher übersetzte. „Du verstellst Dich. Du willst kein Polnisch verstehen, Du gottvergessener Verschwörer und Hochverräther?“

Wenn der arme, brave, loyale Assessor die Worte verstanden hätte! Er fing an zu lamentiren. Er bat, er beschwor die Russen, ihn loszulassen. Er hatte gut bitten. Sie hatten Alle gut [195] reden. Keiner verstand den Anderen. Aber sein Lamentiren verstanden sie. Und –

„Bei dem heiligen Georg,“ sagte der Russe auf einmal wieder stutzend, „wenn es doch nicht der Rechte wäre! Der stolze Pole würde nicht so heulen.“

Mir bebte das Herz im Leibe. Aber ein anderer der Russen bemerkte: „Er muß es doch sein. Der lange Körper stimmt. Er ist betrunken und darum weint er wie ein Weib.“

„Ja, so ist es.“

Wie segnete ich die langen Beine des Assessors und seinen ausgezeichneten Punsch! Sie sprachen nicht mehr mit ihm. Auch seine Stimme wurde nicht wieder laut. Sie mußten ihn kurz und gut geknebelt haben. Kurz und gut. Man hatte keine Bewegung weiter gehört. Er mußte sich nicht einmal gewehrt haben. Sie sprachen unter sich wieder, und mein Dolmetscher übersetzte mir weiter: „Wo werden wir nun die Frau mit dem Kinde finden?“

„Sie muß in dem Zimmer auf der andern Seite des Ganges sein.“

„Ist das Zimmer besetzt?“

„Ja, sie kann nicht entkommen.“

„Hinein.“

Wieder wurde leise eine Thür geöffnet. Sie verfuhren nach wie vor so geräuschlos wie möglich. Aber was half ihr leises Auftreten gegen die helle, klare Stimme der Harfenistin und Sängerin Laura Lautenschlag?

„Herr Assessor, es ist schändlich von Ihnen, Einen so im Schlafe zu überfallen.“ So kreischte sie wüthend auf. Der arme Assessor! Er selbst war überfallen, gebunden und geknebelt dazu. So lag er draußen im Gange vor der Thür. Und er sollte schändlicherweise eine so tugendhafte Dame überfallen haben! Und er hörte das, er konnte sich nicht wehren, er mußte die Anklage des schmachvollen Attentats über sich ergehen lassen! Ich hätte lachen mögen und konnte es doch nicht, vor ungeheurer innerer Angst. Der letzte entscheidende Moment war da. Auch die Harfenistin war groß, vielleicht noch größer als die Polin. Aber sie war blühend, stark und hatte viel Punsch getrunken. Dazu war das Kind nicht da.

„Zum Teufel, die schreit!“ übersetzte mir der Dolmetscher den Fluch der Russen. „Knebelt sie.“

Aber mit ihr konnten sie nicht so kurz und gut fertig werden, wie mit dem langen Assessor. Man hörte ein Wehren, Balgen, Stoßen. „Hülfe, Herr Assessor!“ rief sie dazwischen. „Ich bin hier überfallen.“

Sie hatte wohl erkannt, daß der brave Assessor es nicht war, der ein Attentat gegen sie machte. Der Arme konnte auch ihrem Hülferufe nicht entgegenkommen, trotzdem er das Polizeidepartement hier an der Grenze hatte. Die Harfenistin hatte nicht weiter rufen können. Sie war überwältigt. Nach ihrem Kinde fragte man sie noch. Sie verstand die Frage nicht.

„Ei, was geht uns am Ende das Kind an?“ meinte einer der Russen. „Des Krügers Weib wird sich des Wurms erbarmt haben. Die Weiber sind mitleidige Thörinnen. Lassen wir es ihr.“

Sie waren fertig. Eine tiefe Stille herrschte. Sie schienen zu horchen, ob es in den übrigen Theilen des Hauses ruhig geblieben sei. Dann kamen sie die Treppe herunter, langsam und leise, wie sie hinaufgegangen waren. Das Herz klopfte mir noch. Der geringste Zufall konnte noch immer Alles wenden. Sie kamen an der Thür vorbei, an der ich in dem angstvollen Harren stand. Wenn sie Einlaß begehrten, dann Licht, dann sahen, verglichen–! Sie gingen an der Thür vorüber. Die Hausthür wurde geöffnet, und sie schritten aus dem Hause. Kein Wort war gesprochen. Die Schritte waren langsam, regelmäßig. Die Gefangenen schienen getragen zu werden. So war es.

Das Herz klopfte mir nicht mehr ängstlich. Aber ganz frei ausathmen konnte ich noch nicht. Ich trat an das Fenster zurück und sah sie aus dem Hause kommen. Zwei Personen – die beiden Gefangenen – wurden von je zwei Mann getragen, zu der Kibitke hin, die noch im Wege hielt. Dann bestieg Alles wieder die Pferde. Ein leises Zeichen hatte die detachirten Trupps zurückberufen. Sie setzten sich wieder nach der Grenze hin in Bewegung. Alles war wieder schweigend, geräuschlos, in der musterhaftesten Ordnung geschehen. Sie kehrten in ihr Rußland zurück, in den unglücklichsten Theil ihres großen und heiligen Rußlands. Das Herz wurde mir ganz leicht.

Aus der Stube nebenan kam der Pole hervor, der Graf Tomborski. Er ergriff meine Hand und fiel mir weinend um den Hals. Sprechen konnte er nicht. Ich führte ihn zu der Stube zurück.

„Sie bedürfen der Ruhe. Wird die Kranke morgen früh weiter reisen können? Mein Wagen wird fertig sein.“

„Ich hoffe es. Sie schläft noch immer.“

Auch ich legte mich zur Ruhe, mit dem Dolmetscher und dem Krüger, den ich auch jetzt nicht von mir ließ. Wir bedurften Alle der Ruhe. Ich fand sie lange nicht. Kosaken und Straßniks, schwarzweiße Störche und arme Polen tanzten wirr vor meinen Augen umher. Eine lange Harfenistin spielte ihre Harfe dazu und sang dazwischen, daß sie eine tugendhafte Person sei und kein Kind habe. Dann wollte es mich aber wieder heiß überlaufen. Wenn drüben an der Grenze Jemand wäre, der den Grafen Tomborski kannte! Wenn sie dann nochmals zurückkehrten, geführt von dem wüthenden Assessor selbst! Die Nacht war noch lang und die Grenze war nahe. Aber eben der Assessor war mir eine Bürgschaft dafür, daß sie nicht zurückkamen.

Es ist ein eigen Ding um einen echten preußischen Beamten. Die Pflicht seines Amtes geht ihm über Alles, sie ist seine Ehre, sein Leben. So war es wenigstens früher, vor jenem zehnjährigen Regiment, als man an die Stelle der Ehre und der Pflicht den blindesten Gehorsam gegen den Vorgesetzten stellte und durch die Erfindung der Disciplinargesetze vollends der Ehre und der Pflicht der Beamten den Boden auszuschlagen suchte. Der Assessor hätte sich mit Hand und Fuß, mit Kopf und Herz gegen einen Grenzexceß gewehrt. Und dem preußischen Beamten gegenüber, also offen, hätten die Russen ihn nicht gewagt. Ich schlief zuletzt ebenfalls ein.

Als ich früh am Morgen erwachte, stand der Graf Tomborski schon an meinem Lager.

„Mein Herr, Sie hatten die Güte, mir Ihren Wagen anzubieten.“

„Er steht zu Ihren Diensten, mein Herr.“

„Meine Frau fühlt sich wohler. Die Ruhe der Nacht hat sie gestärkt. Wir können reisen.“

„Sie sollen es auf der Stelle.“

Ich sprang auf und rief selbst meinen Kutscher, der im Stalle bei den Pferden geschlafen hatte. Er spannte an, und eine Viertelstunde später saß der Graf mit Frau und Kind im Wagen. Von ihrem Danke spreche ich nicht. Die arme Frau war fast aufgelöst in Thränen des Dankes, der Freude. Wohin sie wollten, ich erkundigte mich nicht danach.

„Sie haben über meinen Kutscher zu befehlen,“ sagte ich zu dem Grafen.

„Ich bedarf seiner,“ erwiderte er mir, „nur wenige Stunden. Zwei Meilen von hier warten Freunde auf mich. Sie durften sich in größerer Nähe der Grenze vorher nicht aufstellen, um nicht die russischen Beamten aufmerksam zu machen, die auch auf dieser Seite der Grenze, gerade auf dieser Seite, überall ihre Spione haben.“

Sie fuhren davon. Sie waren gerettet und blieben es, wie ich später erfuhr. Der Assessor Häring aber? Und die Harfenistin Laura Lautenschlag? Die Knechte des Kruges und die fremden Kutscher hatten im Stalle geschlafen; die Mägde des Hauses in einem Verschlage daneben. Ihrer Aller Schlaf war in der Nacht keinen Augenblick gestört worden. Der Kutscher des Assessors fragte am Morgen zuerst nach seinem Herrn. Niemand hatte ihn gesehen. Er schlafe wohl noch, hieß es. Der Kutscher wartete. Aber sein Herr hatte ihm befohlen, sich früh zur Reise nach der Grenze fertig zu machen. Das Warten wurde ihm zu lang. Er ging zu der Stube seines Herrn hinauf und kam mit einem leichenblassen Gesichte zurück. Der Assessor war fort. Nur seine Stiefeln waren da, seine weiße Halsbinde und seine Acten.

„Er hat sich ein Leid angethan, der arme Herr,“ sagte der Kutscher. „Ich habe es immer gedacht, daß es nicht ganz richtig mit ihm sei. Er zog die Beine immer so hoch, und sie waren doch schon lang genug. Und wenn er allein fuhr, sprach er immer laut mit sich: Regierungsrath, Geheimer Rath, Präsident, Rother Adler. Und dann sprang er auf einmal auf, daß er oben die Decke des Wagens beinahe eingestoßen hätte. Der arme Herr! Wo man ihn nur finden wird?“

Nach dem armen Assessor wurde die Harfenistin vermißt. Eine Magd, die zu ihr gewollt hatte, stürzte mit einem fürchterlichen Geschrei die Treppe herunter.

[196] „Die Person ist auch fort. Nur ihre Harfe und ihr Hut sind da.“

Und nun hieß es auf einmal: „Sie sind zusammen fort.“ Und die Leute wurden still, und die Gesichter bekamen wieder Farbe und sahen einander klug und geheimnißvoll an. „Die schlechte Person!“ sagten nur die Mägde.

Der Kutscher des Assessors aber schüttelte nachdenklich den Kopf und meinte: „Wer hätte das von dem ehrenfesten langen Herrn, einem königlichen Regierungsassessor, gedacht? Mit einer Harfenistin durchzugehen!“

Der Krüger und seine Frau, der Dolmetscher und ich, wir sprachen kein Wort. Und kein Anderer wußte von dem Ueberfall der Russen. Ich mußte des Morgens um acht Uhr mit den russischen Beamten an der Grenze zusammentreffen.

„Sie fahren mich wohl hin?“ sagte ich zu dem Kutscher des Assessors.

Er fuhr mich hin. Der Ort des Zusammentreffens war das nächste Grenzcordonhaus. Ich war schon erwartet. Der russisch polnische Schlagbaum öffnete sich ohne Hinderniß, und der Wagen hielt vor dem Cordonhause, dort wurden auch die ersten Verhandlungen aufgenommen. Während derselben kam auf einmal der Kutscher des Assessors zu mir; sein Gesicht war leichenblaß, er zog mich auf die Seite.

„Herr Director, der Assessor ist hier.“

„Was! Der Assessor hier?“

„Und die Harfenistin auch.“

„Wo sind sie?“

„Hinten an dem Cordonhause ist ein kleiner Anbau, halb unter der Erde, er sieht aus wie ein Schweinestall. Ich wollte mir ihn besehen; auf einmal sah ich hinter einem kleinen grünen Fenster ein Gesicht, es war schrecklich blaß. Großer Gott, wollte ich rufen, ist das nicht der Herr Regierungsassessor Häring? Da hatte auch er mich gesehen. Christian Dahlmann! rief er. Braver Dahl – Er konnte den Namen nicht nochmals aussprechen. Er wurde von hinten von dem Fenster zurückgerissen. Aber da erschien wieder ein anderes Gesicht an dem Fenster, ein Frauengesicht, es war die Harfenistin. Retten Sie uns, Bester! rief sie. Auch sie wurde zurückgerissen. Der Schreck hatte mich beinahe lahm gemacht, ich lief fort; die Person hörte ich noch in dem Loche schreien; den armen Herrn hörte ich nicht mehr. Aber wie konnte er auch mit der Person durchgehen und gar hierher nach Polen? Das kommt dann von solchen dummen Streichen.“

Ich suchte ihn zu beruhigen. Dann sprach ich mit dem Chef der russischen Untersuchungscommission. Er hörte mir sehr aufmerksam zu; als ich ausgeredet hatte, sagte er sehr verständlich: „Ich bedauere sehr, das ist eine Angelegenheit, in die ich mich nicht mischen kann; sie geht eine andere Behörde an. Die beiden Personen werden indeß vielleicht nach Warschau gebracht werden, und dort wird sich Alles aufklären.“

Mir wurde doch angst. Wer war der eigentliche Schmied des Schicksals der beiden Gefangenen? Den Krüger hatte ich als Seelenverkäufer, als Menschenräuber verfolgen wollen. Und ich –? Mich überlief es heiß. Der russische Beamte blieb taub für alle Gründe, Vorstellungen und Bitten. Aber sein Schreiber war wenigstens nicht taub für klingende Argumente; für einige Silberrubel versprach er mir die Befreiung der beiden Gefangenen. Ein paar Silberrubel! mehr war der preußische Regierungsassessor, der königliche Geheimrath, Präsident, Ritter des rothen Adler und anderer hohen Orden, dem Russen nicht werth, er sammt der Harfenistin nicht. Sie mußten auf ihre Erlösung nur bis zum Dunkel des Abends warten. Als ich nach Beendigung meiner Geschäfte spät Abends mit meinem Dolmetscher zurückkehren wollte, war der Wagen nicht mehr da. Wir gingen zu Fuße an den Schlagbaum; der Grenzbeamte sah uns verwundert an.

„Die beiden Herren sind noch da?“

„Wie Sie sehen.“

„Aber Sie sind ja schon vor ein paar Stunden in Ihrem Wagen zurückgefahren.“

„Dann könnten wir jetzt nicht hier sein.“

Das war eine Logik, die er begriff. Ob ihm zugleich etwas Anderes klar wurde, weiß ich nicht; er ließ uns ungehindert die Grenze passiren. Im Kruge war der Assessor zwei Stunden vor uns mit der Harfenistin angekommen; sie waren aber Beide bei unserer Ankunft nicht mehr da. Der Assessor hatte kein Wort gesprochen, er hatte seine Zeche bezahlt und war dann nach Gumbinnen zurückgefahren; sein Kutscher hatte nur stumm und bedenklich den Kopf geschüttelt.

Die große Harfenistin, der die Mägde auf den Kopf zugesagt hatten, sie sei eine schlechte Person, die den Krug in Verruf bringe, hatte sich vertheidigen wollen und erzählte, wie sie in der Nacht sammt dem Assessor von den Russen gewaltsam entführt und über die Grenze geschleppt worden sei. Da wurde man wegen solcher frechen und handgreiflichen Lügen erst recht entrüstet über sie, und sie mußte machen, daß sie aus dem Kruge und aus dem Dorfe kam.

Zum Unglück für Beide, den Assessor und die Harfenistin, blieb die Sache auch ferner unaufgeklärt. Ihr glaubte man auch anderswo nicht. Und dem armen Assessor, als er, nach Hause zurückgekehrt, seinem Collegium über den empörenden Grenzexceß und das gegen ihn verübte Attentat Vortrag halten wollte, wurde der freundliche Rath ertheilt, über die Angelegenheit das tiefste Schweigen zu beobachten; höheren Orts sehe man die Grenzexcesse nicht gern. Für eine Belohnung seiner Discretion werde gesorgt werden.

In der That wurde er bald Regierungsrath; dann erhielt er den rothen Adlerorden; später wurde er Geheimrath. Daß er auch Präsident geworden sei, habe ich bis jetzt nicht erfahren. Vielleicht trägt diese Erzählung zu seiner weiteren Beförderung bei. Hoffentlich hat sie auch noch ein anderes Verdienst. An der polnischen Grenze erzählt man noch immer von einem Assessor aus Gumbinnen, der mit einer Königsberger Harfenistin nach Polen durchgegangen, aber von den Russen zurückgeschickt sei. Die guten Leute werden sich jetzt eines Besseren belehren lassen.




Mein liebes Kind, Ade!

Dort unten ist tiefer Schatten,
Du schläfst in guter Ruh,
Es deckt mit grünen Matten
Der liebe Gott Dich zu.

Die alten Weiden neigen
Sich auf Dein Bett herein,
Die Vöglein in den Zweigen.
Sie singen treu Dich ein.

Und wie in goldnen Träumen
Geht linder Frühlingswind
Rings in den stillen Bäumen –
Schlaf’ wohl, mein süßes Kind!

Mein liebes Kind, Ade!
Ich konnt’ Ade nicht sagen,
Als sie Dich fortgetragen,
Vor tiefem, tiefem Weh.

[197]

Jetzt auf lichtgrünem Plan
Stehst Du im Myrthenkranze
Und lächelst aus dem Glanze
Mich still vor Mitleid an.

Und Jahre nahn und gehn,
Wie bald bin ich verstoben –
O bitt’ für mich da droben,
Daß wir uns wiedersehn!

J. v. E.




Das Wupperthal und seine religiösen Erweckungen.

Von einem Elberfelder Kinde.

Wenn man von Düsseldorf, der Stadt der Künstler und Rentner, vom Dampfwagen sich ostwärts tragen läßt, gelangt man nach kaum einstündiger Fahrt mit einer raschen Wendung um das unweit Elberfeld’s in den Weg sich stellende mäßig hohe Gebirge, den sogenannten Kiesberg. Derselbe giebt mit dem gegenüber liegenden, durch den Fluß gesonderten Stützenberg einen interessanten landschaftlichen Anblick, dem der vielgenannten Porta Westphalica ähnelnd. Weit interessanter aber ist der Blick, der sich uns eröffnet, wenn wir die Wendung gemacht haben. Ein lachendes, mit Häusern bedecktes Thal breitet sich aus; mächtige Schornsteine erheben sich nebeneinander, in die frische Gottesluft den Qualm entsendend, der dem Aesthetiker ein Gräuel, dem Manne aber mit dem „linien-tätowirten Götzen“, wie ein Dichter das „Hauptbuch“ nennt, eine Quelle unauslöschlichen Ergötzens und der Maßstab seines Wohlergehens ist. Ja, es ist ein seltenes, in seiner Art großes Bild, das sich hier entrollt. Mehr denn eine Meile hin zieht sich die lange Häuserzeile, an die zu beiden Seiten sich die Reihen stattlicher Gebäude anschließen, und überall gewahrt ihr die Spuren eines nicht rastenden Fleißes, der selbst die Nacht zum Tage erhebt; von Jahr zu Jahr dehnen sich die Fabrikräume aus und nehmen theilweise den Umfang ganzer Stadtviertel an. Da wird gespult, gewebt, gebleicht, gefärbt; „die Werke rasseln Tag und Nacht“. Und der Baum läßt auf seine Frucht nicht warten. In den Straßen die soliden Quaderhäuser und in den Häusern die soliden Einrichtungen, Alles vom Besten; kein übertriebener Luxus, aber nur die theuersten Stoffe. Diese Damastvorhänge, diese Tische und Spiegel von sauberster Schnitzarbeit, diese kostbaren Teppiche verrathen, welche Bilanzen der Insasse des Hauses jährlich zieht. Und seht nur die wohlgenährten Pferde vor ihren Wagen und die blanken Carrossen, besucht ihre – freilich seltenen – Gastmahle, wo die Gartenerzeugnisse Afrika’s, die süßen Früchte der Hesperiden, alle Leckereien der Pariser Küchen, die Confitüren Brüssel’s sich ausbreiten! Da habt ihr die Ernten des Fleißes, und ihr seid versucht auszurufen: Hier müssen glückliche Menschen wohnen!

Ja, dem Fleiße haben die Bewohner dieses Thals ihren Wohlstand zu verdanken. Es ist kein Ort für Nichtsthuer. Die wenigen Rentner, die hier leben – Jeder kennt sie – gemahnen uns wie Fische, die die hohe Fluth auf’s Land geworfen und dort in einer Gesellschaft, in die sie gar nicht hinein gehören, zurückgelassen hat.

Und diese Reichen, die so stolz auf das Gewimmel der Proletarier zu ihren Füßen herabsehen, waren vor noch kurzer Zeit eben solche Proletarier; sie haben an dem sich drehenden Glücksrad eine [198] Speiche ergriffen, sich hinaufwinden lassen und – sitzen jetzt oben. Wer weiß, wie rasch sie wieder unten sind?

Eines muß euch Wunder nehmen, wenn ihr eine Weile beobachtet. Fleiß, habt ihr immer gehört und durch eigne Wahrnehmung bestätigt gefunden, macht heiter. Aber hier findet ihr vielfach die entgegengesetzte Wirkung. Die ganze Stadt macht einen ungemein ernsten Eindruck. Ihr begegnet so vielen Gesichtern, die der Abdruck eines sorgenvollen Lebens zu sein scheinen. Wie erklären wir uns das? Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das thut der Himmel. Bei dem Menschen sorgt der Mensch selbst, daß sein Glück nicht übergroß werde. Da, wo die Freude am hellsten ist, wirft er selbst die düstern Schatten hinein; da, wo von außen alle Bedingungen eines behaglichen Lebens ihm zugeführt werden, legt er von innen die zerstörende Hand an und vernichtet sein eigenes Werk.

Giebt es eine größere Segnung für die Menschheit im Allgemeinen, als die Religion? Ist sie nicht die Trösterin im Leide, giebt sie nicht dem Unterdrückten die gewisse Hoffnung auf glücklichere Zeiten, flüstert sie dem Kranken nicht Träume von blühend gesunden Tagen zu? Ich will hier nicht von Confessionen reden, den einzelnen, zum Theil so verdorrten Abzweigungen des großen Stammes. Nein, ich rede von der einen, alle Confessionen durchdringenden Religion des Gemüthes, die in dem christlichen Gebot der Liebe zu allen Menschen ihren Abschluß und ihre Vollendung gefunden hat. Und gerade das Christenthum, der lichte Gedanke, der die Schlacken der Vorurtheile zertrümmerte, die den Menschen vom Menschen trennten, der der Vorläufer und Entwickler des freien, geistigen Fortschreitens des Menschengeschlechts gewesen ist, gerade das Christenthum hat theils durch die Schlechtigkeit, theils durch die Bornirtheit der Menschen den Vorwand zur Verfinsterung des Menschengeistes hergeben müssen. Liebe ist in Haß, Licht in Dunkel verkehrt worden.

Eben dies ist der Fluch, der seit vielen Jahrzehnten auf den rührigen, gewissenhaften Bewohnern des Wupperthales gelastet hat. Nicht ein Truggebilde sind die Gerüchte, die draußen über diesen schönen Strich Landes verbreitet sind, nicht ein Wahn ist es, daß Obscurantismus und Pietismus mit ihrem schlimmen Gefolge hier ihren Thron errichtet haben. Kaum zu glauben ist es, in welchem Maße das Gift einer heuchlerischen, despotischen, alle Forderungen der Vernunft als Ketzerei verdammenden Frömmelei sich in die Herzen dieser Menschen eingefressen hat, wie die Familienverhältnisse dadurch zersetzt und Solche, die einander warme Freunde sein könnten, in Parteiungen zerrissen und um unseliger Täuschungen willen erbitterte, der Versöhnung unzugängliche Feinde geworden sind.

Religiöse Sectirerei war von jeher in diesen Gegenden einheimisch. Da sind Alt- und Neulutherische, Reformirte, Niederländisch-Reformirte, Baptisten, Anabaptisten, daneben namenlose Separatisten, welche ganz die Form der ältesten christlichen Gemeinden anstreben, in deren Versammlungen jeder Laie, wenn er sich „vom Geiste ergriffen“ fühlt, das Wort des Herrn predigt. Ein nicht seltenes Ereigniß ist es, daß Geistliche aus ihrer Landeskirche austreten und einer dieser Secten sich zugesellen, um ihr als Führer zu dienen. Wie viel Hader dies erzeugen muß, liegt auf der Hand.

Vor einer längeren Reihe von Jahren ereignete sich in dem benachbarten, auf der Höhe gelegenen Städtchen Ronsdorf ein nicht unmerkwürdiger Fall. Es bestand hier eine Gemeinde von „Zioniten“. Sie hatten den Glauben, daß der Heiland noch geboren werden sollte, und belegten sich, von diesem Glauben ausgehend, mit altjüdischen Namen: Sebulon, Isaschar, Zedekiah, Manasse etc. Ja, aus ihrer Mitte sollte der Heiland der Welt erstehn. Die Vorzeichen dazu stellten sich ein; aber siehe! an einem schönen Morgen war der Christus ein Märchen, und die Polizei des Orts fand sich bewogen, die ganze Genossenschaft aufzuheben. Noch immer aber tragen die Angehörigen des Orts die alttestamentarischen Namen.

Der große Nachtheil liegt aber nicht in solchen einzelnen Auswüchsen, die leicht ausgeschnitten werden können. Er liegt vielmehr wesentlich in der trüben, jede, auch die harmloseste Freude als etwas Verderbliches verbannenden Ansicht vom Leben, von den Pflichten des Menschen und seiner Unterwerfung unter den göttlichen Willen.

Diese „Frommen“ verlangen von denen, die zu ihnen stehen wollen, daß sie nur „beten und arbeiten“ sollen. Für sie ist die Kunst und alles Göttliche, was sie geschaffen, nur ein Werk des Teufels. Es ist sündhaft, in die Schöpfungen der Dichtkunst sich zu vertiefen und, von dem Schwunge poetischen Empfindens getragen, sich eine lichtere, höhere Welt aufzubauen; sündhaft, den Klängen fröhlicher Musik zu lauschen und von Tönen sich Trost im Leide bereiten zu lassen; sündhaft, den Wein, die edle Gottesgabe, in fröhlichem Kreise zu genießen; es ist ein Gräuel, das Bild des Lebens auf den „Bretern, die die Welt bedeuten“, zu belauschen, und ein unsäglicher Frevel, im elastischen Rhythmus sich drehend der leichtgeschürzten Terpsichore ein Opfer zu bringen.

Blieben die Eiferer bei sich selber stehen und thäten Buße in Sack und Asche, wir wollten nicht viel dagegen haben und müßten für das Entbehren ihrer Gesellschaft uns zu entschädigen suchen. Im Ganzen liegt nicht viel an ihnen; und da sie, die das Geschäft, der Drang nach dem so „verächtlichen“ irdischen Gut beständig in die Weite entführt, draußen die gefaltete Stirn glätten, mit der Zunge schnalzend von der verbotenen Frucht kosten und doppelt und dreifach das Versäumte nachholen: so entbehren sie selbst nichts. Sie haben eben einen doppelten Vortheil.

Aber unheilbringend und verderblich ist ihr Einfluß auf die große Masse des ungebildeten Volks. Vermöge ihres Reichthums und ihrer Stellung beherrschen sie Tausende, die von der Hand in den Mund leben. Gebieterisch zwingen sie ihnen ihre Moral-Edicte auf, und wehe dem, der nicht gehorsam den Rücken beugt! Arbeitsentziehung, Wegfall der Unterstützungen, Verdächtigungen und im Gefolge hiervon Noth des Unglücklichen und seines Weibes, seiner Kinder, das bleiche, nagende Gespenst des Hungers – das ist das Loos des Frechen! So bleibt dem Abhängigen nichts übrig, als Heuchler zu werden oder sich in jene Ueberzeugung hineinzuleben, welche ihm vom Leben nichts als ein dürres, farb- und saftloses Blatt übrig läßt, ein Leben, das nicht lebenswerth ist. Der Arme, der sechs bittere Tage im Schweiße seines Angesichts gearbeitet hat, hat keinen Sabbath; geht er in’s Wirthshaus, um eine kurze Spanne Zeit seines Elends zu vergessen; will er dahin, wo Musik schallt, die sich schmeichelnd und lind an sein sorgengedrücktes Herz legen könnte; wandelt er zum Theater, wo er etwas Besseres lernen kann, als was ihm sein Webstuhl und die verpesteten Räume, in denen er Tag für Tag färben und immer wieder färben und nichts als färben muß, sagen; tanzt gar der Gottvergessene: so ist er dem Banne verfallen. Ja, noch weiter: er darf sich auch nicht einmal des mit unsäglichen Mühen Erworbenen freuen. Ihm ist es nicht erlaubt, sein weniges Mobiliar, sein winziges Häuschen (Alles, was er besitzt) gegen den Grimm des tückischen Feuers zu schützen; denn gepredigt wird ihm, daß, wer seine Habe versichern läßt, in die göttliche Fügung eingreift und wider die Vorsehung frevelt! In dieser Schilderung ist nichts Uebertriebenes. Ist es doch vorgekommen, daß ein sehr geachteter Mann aus einer der angesehensten Familien wegen Besuchs eines Concerts, in dem ein geistliches Oratorium aufgeführt wurde, mit der kleinen Interdiction belegt worden ist!

Den letzten Wochen des Februars im Jahre des Heils eintausend achthundert und einundsechzig war es aber vorbehalten, Enthüllungen zu bringen, die alles Frühere überbieten und eine Gefahr aufdecken sollten, der nicht ernst und entschieden genug begegnet werden kann. Hatte das Zelotenthum bisher seine Opfer unter den Erwachsenen, den Urtheilsfähigen gesucht, so trat es jetzt mit demaskirtem Cynismus in den Kreis der harm- und achtlosen, jeder fremden Einwirkung schutzlos preisgegebenen Kindheit, und Diejenigen, die ihre Hüter, Lehrer und Schirmer sein sollten, offenbarten sich als die schlimmsten Feinde und Zerstörer ihres körperlichen und geistigen Wohls.

Du hast, lieber Leser, schon mehrfach von den Methodisten Englands und Nordamerika’s gehört, die fast nur in den äußeren Werken der Religionsübung, dem Beten, Fasten und Singen die Religiosität suchen und ihren Namen daher haben, daß sie diese in eine Methode bringen. Bei ihren Versammlungen lassen sie den Einen und Andern vom heiligen Geist ergriffen werden, der nun urplötzlich beginnt, Reden der Buße und Bekehrung ausströmen zu lassen. Der nüchterne, durch philosophische Bildung gezeitigte Geist der Deutschen hat – zu unserm Heil – solche Verirrungen uns ziemlich fern gehalten. Aber selbst jene Exaltirten gestatteten es doch nicht, daß auch das unmündige Alter in solch’ ekstatische Zustände hineingezogen wurde; die unschuldigen Kindlein ließ man nicht durch höhere Eingebung in fremden Zungen reden.

[199] In der zweiten Hälfte des Februars l. J. hörte man aber zum ersten Mal von solchen Dingen in Elberfeld reden. Mit unglaublicher Schnelle wuchs das leise Geflüster zur lauten allgemeinen Rede an; die Stadt verschloß sich bald jedem anderen Interesse. Man traute seinen Ohren nicht, als man von „Erweckungen“ der Kinder des Waisenhauses reden hörte, die Tag und Nacht in allen Winkeln, sogar in den Kellern des Gebäudes im Gebete lägen, jammerten und schrieen, in heftigen Krämpfen sich wänden, predigten, sängen, den Teufel in den „nicht ergriffenen“ Kindern beschwörten!

Aber man traute noch weniger seinen Augen, als man an demselben Tage, an dem diese Erzählungen in bestimmterer Gestalt umliefen, die authentische Bestätigung von alle diesem Unfug in dem frohlockenden, siegesstolzen Bericht las, den der Vorsteher des Waisenhauses, Grafe, in dem kirchlichen Blatte „der Säemann“ der Beurtheilung der Welt preisgegeben hatte!

Nur wer hier zu dieser Zeit gewohnt hat, kann sich einen Begriff von dem Grade und Umfange des Unwillens machen, der wie ein Geschwür aufbrach und in allen Kreisen der Stadt sich kundgab. Hätte eine große Feuersbrunst namenloses Elend angerichtet, so hätte den, der sie angefacht, ein allgemeinerer Zorn nicht treffen können. Man fragte sich, da man erfuhr, daß seit mindestens 14 Tagen das Unwesen getrieben worden war, wie es komme, daß die städtischen Behörden nicht schon eingegriffen hätten, und erfuhr nun, daß zur Zeit der Oberbürgermeister auf Reisen gewesen sei, in Bonn, wo in der dortigen englischen Gemeinde in Folge einer von England ausgegangenen Anregung eine Gebetswoche auf den 6. bis 13. Januar ausgeschrieben war, von den Vorgängen im Waisenhause gehört habe und nun hierher geeilt sei, um seine Pflicht zu thun. Wir wollen dies glauben, weil seitdem dieser Ehrenmann mit Energie und Consequenz gegen die Urheber des Uebels aufgetreten ist.

Da es meine Absicht ist, mich streng an die Thatsachen zu halten, so lasse ich hier die Worte des Vorstehers des Waisenhauses in kurzem Auszuge folgen. Sie kündigen sich in der Überschrift als „vorläufige Mittheilungen über die in den letzten Wochen unter den Waisenkindern des städtischen Waisenhauses zu Elberfeld stattgefundene Erweckung“ an. Durch die vom evangelischen Bunde in England ergangene Aufforderung zum gemeinsamen Gebet hätten die Angehörigen des Hauses sich veranlaßt gefunden, auch ihrerseits in gemeinsamen Gebetsstunden zusammenzutreten und den Herrn außer in den vom Bunde vorgeschriebenen allgemeinen Reichsangelegenheiten vorzugsweise um Bekehrung ihrer Pfleglinge anzurufen.

„Alle fühlten sich neugestärkt,“ so heißt es in dem Bericht; „sie ahnten jedoch nicht, in welcher außerordentlichen Weise der Herr mit seiner Hülfe nahe war. Denn nicht lange mehr sollte es währen, daß der Herr ihnen unter Augen stellen wollte, wie er Gebet erhört … Schon am 13. Januar bemerkte man Nachmittags eines der größern Mädchen stille unter den andern sitzen und an ihren Spielen nicht Theil nehmen, sondern sichtbar innerlich ergriffen. Am Abend kam es zum Vorsteher des Hauses, klagte über Seelenangst und begehrte, ihm sein Herz auszuschütten. Dieser wies es auf den Heiland hin … Am folgenden Sonntag stellte dieselbe Unruhe sich wieder ein; aber der Herr erbarmte sich und schenkte ihm freudigen Glauben und Gottesfrieden. Bald nach dem 13. Januar kam ein zweites Mädchen zum Vorsteher, klagte über Angst und Sündennoth und wünschte jeden Abend in der Stille zu beten. Es bat um den Schlüssel zu einem freien Zimmer; dieser wurde ihm auch gegeben, übrigens aber die Sache geheim gehalten. So fanden sich noch mehrere Mädchen ein. Mit einigen betete der Vorsteher auch gemeinsam, ersuchte auch die schon „angefaßten“, für die andern mit zu beten … Am 28. Januar wurde der Vorsteher Abends durch einen Knaben vom Essen gerufen und ersucht, mit zu einem andern Knaben zu gehen, der in der Kellertreppe lag und mit lauter Stimme ausrief: „Lieber Heiland, vergieb mir alle meine Sünden!“ Er hatte einen heftigen Bußkampf. Den herzugelaufenen Knaben wurde der Wunsch ausgesprochen, auch sie müßten sich so vor dem Herrn hinwerfen. Der Vorsteher betete mit dem „angefochtenen“ Knaben und noch zwei anderen, von denen einer dem andern vorher den ersten Psalm erklärt hatte. Während dessen liefen vier andere Knaben ebenfalls „ergriffen“ in die Badeküche und schrieen zum Herrn um Erbarmen. Sieben Knaben waren jetzt so mächtig angefaßt, daß sie nicht schlafen konnten. Sie standen wieder auf und gingen in das Aufenthaltszimmer der Knaben, wo sie im Beisein des Aufsehers die ganze Nacht unter Bitten und Flehen zubrachten.

Am andern Morgen fühlten sie sich so an den Herrn gefesselt, daß sie Hohn, Spott und Verfolgung der Andern ruhig ertragen konnten. Sie vereinigten sich auch den Tag über in jeder freien Viertelstunde wieder zum Gebet, lasen Schriftabschnitte, erklärten sich dieselben, sangen geistliche Lieder. Diese Knabengemeinde wächst nun am folgenden Tage auf 16, die man auf dem freien Zimmer auf den Knieen oder gar auf dem Angesichte liegend findet; man hörte von ihnen ein gleichzeitiges Rufen um Gnade, um Erbarmen, um Vergebung der Sünden, um eine Ausgießung des heiligen Geistes für sie, für die andern Kinder und für das ganze Haus. Am 31. Januar füllt sich bereits das ganze Zimmer mit Knaben an, die gemeinschaftlich beten wollen. Ein Kind von zehn Jahren sagt zu den Andern: „Ihr wißt, daß die Heuchelei eine große Sünde ist. Es stehet geschrieben, daß die Heuchler nicht in das Himmelreich kommen. Wem es von Euch nicht Ernst ist, der gehe lieber von uns weg.“ Es geht aber Keiner. Dann Gebet eines vierzehnjährigen Knaben, aus dem man staunend den Geist reden hört. Einer liest Offenb. 21, der Zehnjährige hält darüber einen Vortrag, daß man sich fragt: Woher kommt dem Solches? Der Vorsteher wirft sich jetzt mit ihnen nieder, betend. Bald betet jeder, was ihm auf dem Herzen liegt. Abends kommen zur gemeinsamen Gebetsstunde schon 30 Knaben und 30 Mädchen.

Nach der Stunde gingen die angefaßten Kinder wieder in den Keller, warfen sich auf die Kniee und beteten. Ein vierzehnjähriger Knabe, der bis jetzt gespottet hatte: „Wenn sie alle selig werden, so will ich doch nicht selig werden,“ war zu Bett gegangen, um zu schlafen. Aber er kann nicht schlafen. Es war von den erweckten Kindern fortwährend für ihn gebetet worden. Erhört, daß sein liebster Freund, der zufällig im Waisenhause ist, der kleinen Betgemeinde sich angeschlossen hat, und sagt: „Jetzt ist meine Kraft halb gebrochen.“ Er steht auf und geht in den Keller. Er fällt augenblicklich nieder, schreit und liegt in den heftigsten Krämpfen, sodaß er wieder zu Bette getragen werden muß. Eine große Seelenangst hatte sich seiner bemächtigt. Die Krämpfe dauerten über drei Stunden. Er war während dieser Zeit sprachlos, hatte aber volles Bewußtsein. Am nächsten Morgen war sein Widerstand gebrochen, aber noch kein rechter Glaube verspürbar. Gegen elf Uhr stellten sich die Krämpfe wieder ein und dauerten bis ein Uhr. Um 4 Uhr äußerte er, daß er jetzt wieder glauben könne. Abends 7 Uhr verfiel er abermals in Krämpfe, die bis 11 Uhr dauerten. Er hatte in dieser Zeit einen gewaltigen Hunger nach Seelenspeise. Die Kinder und Erwachsenen mußten mit ihm singen, beten etc., auch suchte er sich mit seinen krampfhaft zitternden Händen solche Capitel in der Bibel selbst auf, die man ihm vorlesen sollte, unter andern auch Psalm 23. Auf einer ihm gebrachten Tafel stand ein Liedervers; er nahm sie, flog mit seinen Augen über die Schrift und machte den Eindruck, als hätte er die Schrift verschlingen wollen. Der Vers lautete:

Weg mit allen Schätzen,
Du bist mein Ergötzen,
Jesu, meine Lust etc.

Gegen 8 Uhr mußte der Vorsteher mit ihm beten. Nach einer Weile hörten die Krämpfe plötzlich auf; er faltete die Hände und sprach mit lauter, klarer Stimme:

Ach, was hör’ ich! Gnade, Gnade,
Gnade schallet in mein Ohr!
Ach, es hebt vom Sündenpfade
Mich ein sanfter Zug empor!
Gott spricht: Sünder, Du sollst leben;
Deine Schuld ist Dir vergeben.

Weiter kann er nicht; denn es stellten sich die Krämpfe plötzlich wieder ein. Gegen 11 Uhr wurde er ruhig, schlief bald ein und erwachte am andern Morgen mit einem stillen Frieden im Herzen, den er auch bis jetzt behalten hat. Diese wunderbare Gnadenthat des Herrn hatte auf alle Kinder den tiefsten Eindruck gemacht, und es fanden sich nun immer mehrere ein, die sich mit den schon erweckten ebenfalls vor dem Herrn niederwarfen und beteten. Nachmittags sahen wir ein Verzeichniß von 37 Knaben, die alle beteten. An der gemeinsamen Gebetsstunde am Abende nahmen über 60 Knaben und ebenso viele Mädchen Theil. Bei dem Aufstehen der Versammlung fing ein elfjähriger Knabe zu beten an, so inbrünstig und schriftgemäß, daß es Allen durch die Seele fuhr. Es ist dies [200] wohl das erste Mal gewesen, daß ein Kind im Waisenhause öffentlich frei aus dem Herzen gebetet hat. Nach ihm beteten noch etwa 4 oder 5 Knaben, zuletzt der, welcher am vorigen Abend noch in Krämpfen gelegen hatte. Er dankte dem Herrn für seine wunderbare Rettung, gerieth jedoch abermals in Krämpfe und mußte weggebracht werden. Bald jedoch wurde gemeldet, daß er mit den Knaben, welche auf der Krankenstube bei ihm waren, Loblieder singe. Als später einer der Erwachsenen herzliche Worte an die Kinder richtete und dann auch den Erwachsenen sagte, daß unter ihnen vielleicht der Eine oder Andere noch Buße thun müsse, mußten zwei Erwachsene und mehrere Kinder, von ihrem Sündengefühl überwältigt, hinausgebracht werden, später betete noch eine Reihe Knaben. Ueber die Zeit war man nicht mehr Herr; der Herr hatte ja selbst das Regiment ergriffen, und so konnte die Stunde erst um 10½ Uhr geschlossen werden. Man hörte dann das Haus aus allen Seiten von Dank- und Lobliedern widerhallen. In dieser Nacht wurden dem Herrn viele Kinder geboren. Das war der denkwürdigste Wochenschluß, der je im Waisenhause stattgefunden hat.

Am folgenden Sonntage, 3. Februar, war wieder Gebetsstunde. Die Betheiligung daran war größer, als zuvor. Sieben- bis achtjährige Kinder schrieen um Gnade, um Vergebung der Sünden, um ein reines Herz, um den heiligen Geist, auch für die Angestellten und den Hülfslehrer der Kleinen. Eines der Kinder fällt dabei wie todt nieder und bleibt eine Zeit lang in kalter Erstarrung. Gegen 11 Uhr kamen nach einander drei größere Mädchen zum Vorsteher, mit denen er einzeln beten mußte. Es wurde ihm gemeldet, daß die Mädchen aus einem der Schlafsäle nach ihm verlangten und daß er mit ihnen beten solle. Als er endlich kommen konnte, ach, wie wurde er da überrascht! Fast alle Mädchen von sämmtlichen Sälen waren zusammengekommen, weinten laut, lagen auf den Knieen, in den Betten, neben den Betten und in den Winkeln umher. Man hörte ein lautes Rufen um Gnade und Erbarmen. Je länger der Vorsteher betete, desto lauter wurde das Jammern und Stöhnen der Kinder, und als er schloß, hörte man bald von vielen Seiten her einzelne Mädchen in der brünstigsten Weise für alle andern laut beten. Hätte doch ein jeder Christenmensch diesen Anblick haben können! Nach Mitternacht kamen die Mädchen nach und nach wieder zur Ruhe und lagerten sich dann in großer Anzahl in eine der Treppen und den anstoßenden Gang und sangen: „Sieh, hier bin ich, Ehrenkönig, lege mich vor Deinen Thron“ etc., sowie andere geistliche Lieder. In der Morgenandacht am 4. Februar mußte wieder ein Knabe weggebracht werden, und eine Stunde später drei andere aus der Schule, die sehr über ihre Sünden jammerten.

Wiederholung des Früheren am Abend. Vier Kinder waren während der Stunde wieder hingefallen und mußten weggetragen werden; darunter ein auswärtiger Lehrling, den eine unsichtbare Gewalt in’s Waisenhaus geführt hatte. Er hat später erzählt, daß er auf dem Weg immer habe laufen müssen. Er hat mehrere Tage und Nächte heftig kämpfen müssen, mitunter war er förmlich am Brüllen (sic!); aber er hat jetzt lebendigen Glauben und Frieden. Am folgenden Tage, 5. Februar, wurde ein Kind nach dem andern von göttlicher Traurigkeit ergriffen, brach zusammen und mußte zu Bette gebracht werden. Im Laufe des Tages lagen sie zu Dutzenden da und jammerten in großer Angst, aber theilweise auch unter heftigen Schmerzen laut. Viele dieser Kinder hatten krampfhafte Anfälle, verloren die Sprache und schlugen fortwährend mit den Händen, gaben dabei aber immer das Verlangen kund, daß mit ihnen gebetet werden solle. Die Angstanfälle dauerten bei einzelnen Kindern fast fortwährend, bei andern Kindern kehrten sie in Zwischenräumen von einigen Stunden wieder. Am 6. Februar Abends war die durch die schreienden Kinder hervorgerufene Aufregung wieder sehr groß. Ein beim Abendessen ergriffener Knabe fand nach einer vielleicht nur eine halbe Stunde anhaltenden tiefen Erschütterung wieder Ruhe und wurde in die höchste Freude versetzt, in welcher er über seinen gnadenreichen Heiland laut jubelte. Der Vater desselben hatte vor vier Jahren, auf seinem Sterbelager zum Glauben gekommen, seinem Heiland die Kinder an’s Herz gelegt. Ein siebzehnjähriger Knabe von der Schusterei des Waisenhauses, bis dahin ein Spötter, sinkt, nachdem er geäußert: „er wolle, daß er auch in einen solchen Kampf fiele,“ plötzlich hin, tritt mit den Füßen, schlägt mit den Händen, schreit und stöhnt, wie ihn der Satan gepackt habe und ihm den Mund zuhalte, wenn er beten wolle. Später, da er einen unempfänglich gebliebenen Knaben umarmen wollte, trat dieser jenem, der grauenhaft aussah, nicht näher, sondern sagte: „Er kratzt mich.“ Da streckt ihm jener noch einmal die krampfhaft zusammengezogene Hand entgegen und sagt knirschend: „Th., bete, er kriegt Dich gewiß!“ Der Freund, den es kalt überlaufen mochte, entfernte sich. Am 7. Februar lagen 20 Knaben zu Bette, größtentheils unfähig zu sprechen; sie mußten durch Schreiben ihre Wünsche äußern, waren aber fortwährend bei vollem Bewußtsein, selbst unter den heftigsten Convulsionen. Waren sie ruhig, so riefen sie zum Herrn, auf daß sie von dem argen, bösen Feinde nicht noch länger angefochten würden. Am 13. Februar belief sich die Zahl der also angefochtenen Knaben auf 33; andere Miterweckte blieben ruhig, ebenso die meisten Mädchen.

Eines Abends hörten wir, unbemerkt, von einem zehnjährigen Knaben ungefähr folgendes Gebet: „lieber Herr, Du hast gesehen, daß wieder viele Knaben im Gebet lau geworden sind; auch ich bin lau geworden. Ich bekenne es Dir; ich will aber nicht wieder lau werden. Ich danke Dir auch, daß Du mich in dieses Haus geführt hast. Ich glaubte früher, ich hätte es hier schlecht; wir Alle glaubten das; aber jetzt sehen wir, daß wir es gut haben. Herr, es ist auch hier zu Hause lange nicht an die syrischen Christen gedacht worden. Hilf ihnen, aber auch ihren Verfolgern, den Muhamedanern. Sie haben ja eine falsche Religion. Sie verehren einen Propheten, der ein falscher Prophet ist. Aber sie sind treu in ihrer Religion. Sie gehen ja mit ihrem Koran treuer um als viele Christen mit der Bibel. Herr, hilf auch den armen Leuten in Holland, die jetzt durch die Ueberschwemmung in große Noth gekommen sind. Herr, erbarme Dich, über uns Alle“ etc. Der größte Theil der Kinder (es sind über 295 im Hause) ist jetzt schon erfaßt: alle stehen unter dem Eindrucke der gewaltigen Thaten Gottes. Wir bitten alle Gläubigen, des Waisenhauses fürbittend vor dem Herrn zu gedenken, auf daß er sein Feuer, das er auf Erden anzuzünden sich in dieser Zeit wieder mächtiger aufgemacht hat, heller und weiter brennen lasse zum Preise seines hochheiligen Namens. Elberfeld, den 13. Februar 1861.“




Es scheint unnöthig, an obige von der extremen Partei, die wir hier bekämpfen, selbst ausgegangene Darstellung den Maßstab der Kritik anzulegen; sie richtet sich selbst. Jeder, der dies mit gesunden Sinnen liest, muß Abscheu gegen das Gebahren von Erziehern fühlen, welche die ihnen anvertrauten Waisen geistigem und körperlichem Verderben überliefern. Noch bis heute 7. März sind die Spuren der Krampfanfälle nicht verwischt; noch liegt eine Reihe von Kindern krank darnieder. Die heftige Aufregung, in welche man diese zarten Seelen versetzt hat, reichte schon für sich allein hin, ihren Körpern einen schweren, vielleicht irreparabeln Schaden zuzufügen; nun hat man aber die in solche Ueberspannung getriebenen kleinen bei nächtlicher Weile im kalten Winter in den Gängen und Kellern auf dem bloßen Erdboden herumliegen lassen. Selbst wie die schrecklichen Folgen, stundenlange, sich wiederholende Krämpfe und epileptische Zufälle und zeitweiliger Verlust der Sprache, sich einstellen, haben diese Wärter der Kindheit kein Einsehen: sie finden vielmehr in alle dem eine Offenbarung des heiligen Geistes und freuen sich herzlich darüber!

Der draußen stehende Nüchterne wird unschwer auf die Vermuthung pfäffischer Arglist kommen. Wir können dem, wenn wir den ehrenwerthen Charakter der mit der Leitung des Waisenhauses Betrauten in Erwägung ziehen, nicht beitreten. Aber verhehlen dürfen wir es uns nicht, daß mittelalterliche Bornirtheit und heuchlerische Lüge hier in einem noch unentschiedenen und schwer zu entscheidenden Grenzstreit liegen.

Hören wir, was selbst die kirchliche Partei, d. h. diejenige, die nicht das schön Menschliche ertödten, sondern läutern und klären will und die sich hier entschieden den Frommen entgegenstellt, die frömmer und gottergebener sein wollen, als Gott selbst, über die Vorgänge des Waisenhauses urtheilt.

„Bei den Erweckungen im Waisenhause,“ sagt das von einem Geistlichen redigirte „Evangelische Gemeindeblatt für Rheinland“, „ist leider viel Gemachtes und also Fleischliches und Unberechtigtes untergelaufen, wobei dann zu erwägen, daß es namentlich in Anstalten christlicher Nächstenliebe, wo in beschränkten Räumen so viele Jüngere und Aeltere zusammenleben, nicht schwer sein mag, so etwas absichtlich [201] hervorzurufen, daß es unter Kindern bei ihrer geistigen Unreife doppelt leicht, darum aber eben doppelt unzulässig erscheinen muß, solche Dinge zu erregen, und daß bei dem allgemeinen Bildungsstandpunkte und der religiösen Stellung so mancher Anstaltsbrüder eine doppelt große Gefahr und Versuchung darin liegt, in solchen Erscheinungen in ihrer Anstalt eine besondere Auszeichnung und Verdienstlichkeit um das Reich Gottes suchen und finden zu wollen … Ein gemachtes, unrichtiges Wesen zeigt sich vom Januar an, an dessen Abend Klug, der Waisenhausvorsteher, den Knaben Schmitz auf der Treppe sitzend und laut um Vergebung seiner Sünden schreiend fand. Statt denselben sofort in aller Stille in sein Kämmerlein zu führen, ihn dort zu trösten und mit ihm zu beten, zeigte ihn Klug erst den andern Knaben als nachahmenswerthes Beispiel … Das war gefährlich und wirkte nur allzu rasch, indem selbigen Tags schon die Unordnung eintrat, als Verlegung des Schauspiels von der Treppe in den Keller, wo vier Knaben um Erbarmen schreiend gefunden wurden … Durch alle auffallenden Erscheinungen ließ sich Klug nur desto mehr im allabendlichen Halten außerordentlicher Gebetsversammlungen bestärken; … kurz alle Ordnung und Regel des Hauses war gestört, und Niemand scheint das für unschicklich gehalten und an ihre Herstellung gedacht zu haben … Am Dienstag, 5. Februar, ging nun die Sache in’s Große. Nachdem Klug mit Knaben und Mädchen gebetet hatte, traten die bisher einzeln vorgekommenen körperlichen Affectionen massenhaft auf; ein Kind nach dem andern wurde ergriffen von einer „göttlichen Traurigkeit“, wie der Bericht sagt, brach zusammen etc. 40 bis 50 Kinder wurden in kurzer Zeit von Krämpfen erfaßt, oft plötzlich ohne unmittelbare äußere Einwirkung, oft nachdem von andern Kindern gerade speciell für sie um den Geist gebetet worden … Mit Bewußtsein, aber sprachlos lagen dabei die Kinder da, schrieen, jammerten, wälzten sich umher und bewegten den Kopf so sehr, daß, um Verletzungen zu verhüten, die Kopfkissen in die Höhe gezogen werden mußten. Dieser Zustand, der wirklich mehr an die Besessenen zur Zeit Christi, als an ein Einwohnen und Einwirken des heiligen Geistes erinnert, war von verschiedener Dauer … Hiernach ist wohl klar, daß den Vorsteher Klug mit Recht der Vorwurf trifft, alle Hausordnung vergessen und die regellosesten, für Leib und Seele der Kinder bedenklichsten Erscheinungen und Zustände absichtlich befördert zu haben … Grafe scheint von Anfang an das Bedenkliche und Gefährliche, was in dem unordentlichen Wesen und den leiblichen Affectionen lag, nicht gespürt zu haben, sondern hat die Sache nur mit der größten Freude verfolgt. Selbst der Hausarzt ist erst in letzter Zeit, als am 23. Februar noch zwei Kinder von Krämpfen befallen wurden, darauf gekommen, die doch mindestens höchst überflüssige und gefährliche Affection zu hemmen durch das einfache Mittel, ihnen kaltes Wasser in’s Gesicht zu gießen. Auch in einer Elberfelder Elementarschule hat der Lehrer einen Knaben, der sich winselnd und klagend über das Pult legte und der Weisung, gerade zu sitzen, nicht folgte, indem er von heftigem Gebetsdrange sprach, mit entschiedener Züchtigung zur Ordnung gebracht.“

Rühmend muß es anerkannt werden, daß die städtischen Behörden gegen die Partei, deren unseligem Einflusse wir das Geschehene zu verdanken haben, mit Entschiedenheit Front machten und mit Ernst und Eifer den Kampf mit derselben aufnahmen. Der Oberbürgermeister der Stadt leitete die Untersuchung ein, vernahm die Angestellten und sonstigen Angehörigen des Waisenhauses. Er erstattete dem Gemeinderath hierüber umständlichen Bericht, welcher alles Obige in erhöhtem Maße bestätigte. Die Vorgänge, wenn ein Knabe den andern bekehrte, hatte Grafe dahin geschildert, daß der schon angefaßte Knabe ausrief: „Herr, fasse ihn, wirf ihn nieder, schlag ihn nieder!“ etc.; und Grafe fügte hinzu, daß, wenn dies ein- oder mehrere Mal geschehen sei, der betreffende Knabe wirklich, von Seelenangst ergriffen, niedergefallen sei. Der Zustand der in Krämpfen liegenden Kinder wurde von den Beamten genau so beschrieben, wie es oben dargestellt ist. Ein Knabe war in zwei Tagen nur eine Stunde lang der Sprache mächtig gewesen; manche Kinder wurden dann nur einmal, andere zwei oder drei Tage nach einander erfaßt. Einer der Knaben theilte dem Oberbürgermeister im Tone unnatürlicher Erregung und unaufgefordert mit, was sie gebetet hätten; es begann damit: „daß der Herr ihnen den Schild des Glaubens geben wolle, um damit die feurigen Pfeile des Satans auszulöschen“ etc. Kluge gestand ein, er habe der Bewegung gegenüber nichts gethan, was die Kinder wieder zu einem ruhigen, nüchternen, ordnungsmäßigen Wesen zurückführen konnte; in dem Hause sei eine unmittelbare That Gottes geschehen, welcher zu widerstreben er für ein Verbrechen gehalten haben würde; er habe die Vorgänge mit Freuden gesehen und freue sich noch jetzt daran; denn er sei überzeugt, daß dadurch vielen Kindern das Seelenheil erworben worden sei. Die körperlichen Krankheitszustände schlug er, in Anbetracht des Seelenfriedens, welcher darauf gefolgt und durch sie vermittelt sei, gering an. In der Unterstützung, die ihm das Hauspersonal lieh, erkannte er, welch ein Segen es sei, nur christliche Leute im Hause zu haben, da er dadurch der Nothwendigkeit enthoben worden sei, Gebethelfer von außen herbeizurufen. Die aus sogenannten „gebildeten Männern“ bestehende Direction des Waisenhauses erklärt in dem betreffenden Sitzungsprotokoll, sie seien zusammengekommen, um Ohren- und Augenzeugen des wunderbaren Gnadenwerks zu sein, welches der Herr nach seiner unendlichen Barmherzigkeit bei so vielen Kindern des Hauses in den letzten vierzehn Tagen angefangen habe. Es müsse nach den Mittheilungen des Klug angenommen werden, daß ohne Einwirkung durch Menschen eine außerordentliche Erweckung unter den Kindern stattfinde, wofür man dem Herrn nicht oft genug danken könne.[1] Der Hausarzt hat es nicht für der Mühe werth gehalten, vor der Einleitung der Untersuchung von der massenhaften Erkrankung der Kinder seiner vorgesetzten Behörde irgend eine Nachricht zu geben. Er ließ sich, ohne nach den Kindern zu sehen, von dem Klug mit der Bemerkung abspeisen, daß es sich hier lediglich um eine größere religiöse Erweckung der Kinder handle, und daß es nicht gut thue, nach ihnen zu sehen, da die Sache sonst ein ungerechtfertigtes Aufsehen machen werde.

Der Gemeinderath ging von einer andern Beurtheilung der Sache aus. Nachdem er bereits in einer frühern Sitzung den Klug provisorisch seiner Stellung enthoben, demselben jedoch freigestellt hatte, in einer gegebenen Frist um seine Entlassung einzukommen, nachdem ihm auch für diesen Fall sein Gehalt für das laufende Jahr belassen worden war, zeigte Klug der ihm vorgesetzten Behörde an, daß er sich in seinem Gewissen gebunden fühle, sein Amt nicht freiwillig aufzugeben. Grafe, der nach der von dem Vorsitzenden der Armenverwaltung, Daniel v. d. Heydt, gemachten Mittheilung diesem erklärt hatte, er trete von der Direction zurück, zeigte dem Oberbürgermeister an, „er habe zu dieser Erklärung Herrn v. d. Heydt nicht ermächtigt“ (was steht hier zwischen den Zeilen?). Hierauf erwidert Herr v. d. Heydt, daß, was er dem Oberbürgermeister berichtet habe, wirklich geschehen sei. In seiner Sitzung vom Februar hat darauf der Gemeinderath mit 23 gegen 3 Stimmen den Beschluß gefaßt, dem Grafe das ihm anvertraute Mandat als Mitglied und Vorsitzer der Direction des Waisenhauses zu entziehen, den Oberbürgermeister mit 23 gegen 2 Stimmen ersucht, mit der provisorischen Enthebung des Klug nunmehr ohne Verzug vorzuschreiten, und mit 19 gegen 8 Stimmen beschlossen, das Verhältniß des Hausarztes zum Waisenhause zu lösen.

Diesen Beschlüssen begegnete im Allgemeinen eine große Zufriedenheit. Zwar fanden auch hier ausschreitende Ausichten ihre Vertreter. Ihnen schien der Gemeinderath nicht energisch genug. Von diesem Theile der Bevölkerung gingen diejenigen Schilderungen aus, wonach brutale Gewaltmittel zur Bekehrung der Kinder angewandt sein sollten. Wir wenden uns von dieser Variante ab, da die Untersuchung in ihren Resultaten erst zeigen muß, ob irgend etwas Thatsächliches dieser Behauptung zu Grunde liegt.

Wir können es, wie die Sachen nun einmal liegen, der Partei, gegen die wir hier kämpfen, kaum verargen, wenn sie auch jetzt noch das Vorgefallene in Schutz nimmt. Unserm Standpunkte kann das nur nützen. Denn wenn zur Vertheidigung angeführt wird, wie so Mancher, der in Seelennoth gelegen, es schon erlebt habe, daß er, aufwachend, Magenschmerzen und allerlei körperliche Bedrängniß gehabt habe: so ist das eben nur die bekannte Beweistheorie das idem per idem; der Unsinn kann nie dadurch zum Sinn werden, daß der davon Befangene darauf sich steift und euch vordemonstrirt, es habe schon mehr solche Unsinnige gegeben, deshalb sei es kein Unsinn.

Zu bedauern aber ist es, daß, wie es scheint, ein großer Theil der kirchlich gesinnten Partei, als gelte der Streit der Kirche [202] und nicht blos den krankhaften Verirrungen der davon getrennten Einzelnen, sich aus die Seite der „Erweckten“ und „Angefaßten“ wirft und so dem großen, urtheilslosen Haufen die Meinung einflößt, auf dieser Seite sei wirklich die Wahrheit und das Recht und die Erleuchtung, und die darum verfolgt würden, seien Märtyrer und Glaubenshelden. Leider ist es so. Leider haben die Presbyterien beider evangelischer Gemeinden der Stadt Elberfeld Collectivschritte gethan zu Gunsten der abgesetzten Verwaltung des Waisenhauses, bei denen theils einstimmig, theils mit 22 gegen nur 5 Stimmen Beschlüsse in dieser Richtung gefaßt wurden. So droht eine verfinsterte und verfinsternde Ansicht weiter um sich zu greifen und argen Samen des Mißtrauens und der Zwietracht zwischen die Diener der Kirche und die Gemeinde und innerhalb der Gemeinde zu werfen, wahrlich nicht zum Heil der Kirche. Dieses Treiben kann nur die entgegengesetzte Frucht von derjenigen zeitigen, welche jene kurzsichtigen und von falschen Befürchtungen getriebenen Freunde der Kirche damit zu erzielen hoffen.

In verständigerer Weise behandelte der berühmte holländische Prediger Gerhard Kuypers die Erregungen, die in seinem Lande in der Mitte des vorigen Jahrhunderts großes Aufsehen erregten und von dem Orte, wo sie am meisten sich zeigten, den Namen der „Nykerker Erweckung“ erhalten haben. Obwohl gerade die Kraft seiner Reden diese Zustände vielfach erzeugt hatte, so sah er doch ein, daß es sich bei Vielen nicht sowohl um religiöse, als um leidenschaftliche körperliche Aufwallungen handelte; und da diese immer stärker wurden, den geregelten Gottesdienst beständig störten und fast unmöglich machten, und zumal die so Afficirten auf keinen guten Rath hören wollten, war er es gerade, der dem Kirchenrathe Vorschläge machte, dieser Unordnung zu steuern. Auf seine Veranlassung faßte dieser am 29. October 1750 den dreifachen Beschluß: daß Alle, die den Gottesdienst durch körperliche Aufregung störten, sofort aus der Kirche zu entfernen seien; daß die den Zufällen Unterworfenen nicht in der Mitte, sondern an den Thüren der Kirche Platz zu nehmen hätten, um im Nothfalle gleich entfernt werden zu können; endlich daß die Vorsteher der sogenannten Uebungen mit den Predigern für Herstellung der Ordnung wirken sollten, widrigenfalls ihnen die Erlaubniß zum Halten derartiger Versammlungen genommen werden würde. – Diese Beschlüsse bewährten sich so sehr, daß mit ihrer Publicirung die Aufregung in Nykerk selbst sich legte und bald ganz verschwand. Wenn die anfängliche religiöse Bewegung durch das Evangelium selbst zur Ruhe gebracht worden war, so wich die körperliche Aufregung, die sich außer in ganz epileptischen Zufällen besonders auch im Schiefziehen des Mundes, im Festklemmen des Daumens, im starken Athemholen gezeigt hatte, den passenden äußern Maßregeln. Aus Nykerk hatte sich bald die Bewegung auch anderswohin fortgepflanzt. Besonders leidenschaflliche Aufregung zeigte sich im Frühjahr 1751 in der Provinz Groeningen, wo ihr aber die weise Handlungsweise der meisten Prediger ein schnelles Ende bereitete.

Dem leidenschaftslos und abgesehen von jedem religiösen Parteigeist Urtheilenden muß die ganze Angelegenheit als eine äußerst einfache und deren Lösung als eine natürlich sich ergebende erscheinen. Auch die Religion ist Sache des Einzelnen, mag er gläubig oder prüfend und sichtend an den ihm überlieferten Stoff herangehen, die wahre Religiosität muß doch wieder etwas selbst Erlebtes, in ihm Erwachsenes, Gewordenes sein. Mag, was ihn dazu führt, Gefühl – Bedürfniß nach etwas Unbestimmtem, an das, als eine höhere Macht, er sich anlehne – mag es Erkennen sein: gleichviel – etwas individuelles ist sie, sonst ist sie eitel Flitterwerk. Von außen, von Dritten eingezwängt, eingeredet, durch welche Mittel immer aufgepfropft, gleicht sie der aus dem mütterlichen Boden gerissenen Pflanze, die, in fremdes Erdreich gesetzt, keine Kraft gewinnt und von jedem Sturme geknickt wird.

Man lasse also dem Kinde vor allem seine natürliche Entwickelung. Will man dasselbe in krankhafte Erregungen versetzen, ihm den Schlaf, die in diesem Alter so unentbehrliche ordentliche Lebensweise und Ruhe nehmen, es in Convulsionen fallen lassen und in diesem Zustande sein Gemüth mit religiösen, schwärmerischen Vorstellungen erfüllen, so zerstört man ihm Leib und Seele, erzeugt in ihm eine Fülle der unrichtigsten, zu den größten geistigen Ausschweifungen führenden Vorstellungen und entfremdet es schließlich der Religion, statt es derselben zuzuführen. – Der Umstand aber, daß so viele auf der Höhe der Bildung stehende Männer dennoch sich zu Verfechtern der Thorheit um ein mildes Wort zu gebrauchen – aufwerfen konnten, beweist die Größe der Gefahr. Die Bekämpfung derselben scheint uns daher eine Aufgabe der Presse zu sein. die der hohen Bestimmung derselben würdig ist. –




Zur Wurzenhütte am Spitzingsee.

(Schluß.)


Am Kühzaggl – Ein Asyl für Erdmolche – Der Spitzingsee und seine Vergiftung – Die Wurzenhütte und die Geschichte von der Burgl und dem Jörgl.

Vom Enterrottacherhofe nach Nordosten führt ein Steig zur Höhe des fünftehalbtausend Fuß hohen Kuhzaggls, welcher das Thal von Schliersee vom Rottachthale scheidet; ein reichbewaldeter Bergrücken, der die Baumgarten- und die Bodenspitze verbindet und im hohen Winter dem nach Aeßung zu Thal steigenden Gemswild häufig als Uebergangspunkt dient. Am Felsenbette eines Giesbaches, rechts das wild geklüftete nördliche Gewände der Bodenspitze, zieht der Weg bergan; unfern dem Rücken ist in verborgener Einsamkeit in Mitte saftiger Wiesen eine Alme. Auch in die wasserreichen Gräben und Klüfte der Umgebung treiben die Dirnen ihre Kühe, denn dort ist gutes Futter. Oben am Höhensaum kreuzen sich die Ziehwege zu mehreren in den nächsten Bergen gelegenen Almen. Hier hatte einmal ein von dem Kirchweihfeste zu Egern, wo er all sein Geld verspielt hatte, auf dem Heimwege ins Thal nach Bairischzell begriffener Bursche den Einfall, seinem Verdrusse durch Aufhängen an einem Baume Luft zu machen, nachdem er zuvor das Motiv hierzu durch Umkehren sämmtlicher leeren Taschen dem redlichen Finder zu erkennen gegeben hatte. Fremde, welche zufällig vorbeipassirten, fanden den verzweifelten Humoristen entseelt und starr an einem Aste baumelnd. An jenem Tage wüthete ein Sturmwind in den Bergen, und die Bewohner schrieben ihn hintennach dem Selbstmörder zu, dessen arme Seele eben zur Unterwelt geführt würde. Heute noch bewahren die Sennerinnen ihr Vieh vor der Weide jener verrufenen Unheilsstätte, weil dort giftiges Gras wachse, und wenn je sich Eine gezwungen sieht, zur Dämmerzeit noch dort vorbeizukommen, so schlägt sie, die sonst muthige, ein Kreuz, beschleunigt ihre Schritte und betet laut ein Vaterunser für die schlechteste Seele im Jenseits. Das allein bannt den Geist des lockeren Vogels, der manchmal Felsbrocken von den Wänden löst und sie tückisch nach den Kühen schleudert. Mit Erhängten ist kein Spaß zu treiben, und sie sind schlimme Gesellschaft.

Im Winter, wenn viel Schnee gefallen, geht auf Handschlitten aus den Hochforsten des Kuhzaggls viel Holz zu Thal, denn es giebt noch reiche Wälder hier, obgleich sie seit zehn Jahren fortwährend unter der rastlosen Axt stehen. Hoffentlich hat in weiteren zehn Jahren die liebe Aufklärung schöne Erfolge dort erzielt, und die niedergefällten Wälder werden Oedungen sein!

Vom Enterrottacher gegen Osten geht es gleich hinter dem Gute hinan zum Wasserfall der Bodenalme und der Bodenspitze. Dieser Wasserfall, nur im Frühjahr beim Schneethauen und nach heftigen Regengüssen im Sommer einigermaßen mit Wasser versehen, imponirt mehr durch die Kühnheit der Felspartien, durch die und über welche hinab in’s Thal derselbe den Weg nimmt. Vom Wasserfall führt der Steig an der steilen Wand hinauf, und zwei Mal schreitet man, links eine Wand und rechts den Abgrund, über einen schon halbverfaulten, schwankenden Baum, um den festen Boden jenseits der jähe hinabfallenden Schluchten zu gewinnen. Schon mancher Fremde, der die Höhe von dieser Seite erreichen wollte, ist hier wieder umgekehrt. Da blüht kein Alpenröslein, kein Rhododendron, kein Vergißmeinnicht, – nur der Teufelsapfel stinkt, nur der giftigen Einbeere eckige Frucht, nur der blaue Eisenhut (Giftwurzel mit seinen giftathmenden schönen Blüthen, nur der Seidelbast mit seinen wie Hyacinthen riechenden schädlichen Blüthen oder der hochrothen Beere winkt, und außer verworrenem Geisblattgestrüppe, Schlehdorn- und Braunbeerhecken [203] steht nur vereinzelt ein Wachholderbüschlein, die gemeine Erle oder eine verkümmerte Tanne. Nur der Adler senkt hungrig sich hieher, um kriechendes Gewürm in seinen Horst zu tragen, selten daß ein Haselhuhn quiekt oder ein Wiedehopf schreit. Der Erdmolch haust hier in großer Zahl, dieser träge und zornmüthige Geselle, ungiftig zwar, wenn nicht gereizt, aber mit übelriechendem und Geschwüre erregendem Schaume sich überziehend, sobald der unachtsame Fuß des Kletterers auf ihn tritt. Hunderte dieser häßlichen Thiere trifft man da, denn sie sind fruchtbar wie der Sand am Meere. Den Bewohnern gilt der Molch für den verlässigsten Wetterpropheten; steigt er bergan, so wird es heiter, und wenn bergab, so regnet und stürmt es bald. Auch heißen sie ihn den Wegnarren, und auf mich hat er in der That immer den Eindruck eines vierfüßigen Narren gemacht, wenn er mit gespreizten Füßen, glotzenden Augen, aufgeblähtem Körper und aufgesperrtem Maule sich gegen den Wanderer kehrt, der ihn doch mit einem Fußtritt vernichten kann. Die Sennerinnen müssen das Vieh, wenn es manchmal in die Gräben weidend hinabsteigt, hüten, damit es nicht trinkt aus Pfützen, wo der Molch badet; denn leicht erkrankt das Thier von dem Genusse jenes Wassers.

In tausend Windungen und in ewigem Zickzack kommt der Steig endlich droben auf einer Wiesenfläche, etwa tausend Fuß unter dem Scheitel der Bodenspitze, an; es ist ein längliches viereckiges Plateau, etwa 600 Schritte lang und 200 Schritte breit. Am westlichen Rande desselben stehen vier Sennhütten, die triftige Weide zieht sich empor zu der links steil sich erhebenden Spitze des Berges, das ist die Bodenalme. Rings glockenläutende Kühe. Ein frischer Luftzug streicht von den Tyroler Schneebergen her, deren eisige Häupter herüber ragen. Schauen wir zurück in das verlassene Thal; da drunten liegt es wie ein grüner schöngestickter Teppich, die Rottach zieht sich durch dasselbe wie ein Silberstreifen. Eingerahmt von lieblichen Matten und grünen Wäldern ziert der südliche Theil des Tegernsee’s den Thalgrund. Auf der hier offenen südlichen Seite des kolossalen Wallberges zeigen sich lieblich grünende Abhänge, an denen Hütte an Hütte klebt und manches Stück Vieh behaglich weidet, dessen Schellengeläute durch die von keinem Laute gestörte feierliche Ruhe traulich herübertönt.

Stärken wir uns, indem wir in eine der Sennhütten treten und die freundlich gebotenen Gaben genießen. Die Dirne giebt uns, was sie hat, Milch, Butter und Käse, und uns mundet herrlich, was sie uns gab; denn wer nie im Thale den Hunger kennt, jenes freudige Begehren des Magens nach Speise, – sicher lernt er es nach Ersteigung der Bodenalme kennen, leider ist dieselbe wasserarm; die Sennerinnen müssen den nöthigen Wasserbedarf ziemlich weit von unten herauf in Schäffeln auf dem Kopfe herschleppen. Gehen wir weiter mitten durch die weidende, den seltenen Fremden anstaunende Heerde nach der Länge des Wiesenplateau’s gegen Ost einem Walde zu. Hundert Pfade, von den Kühen getreten und deshalb für Menschenfüße bedenklich und zur Vorsicht mahnend, führen durch den Wald um den Bergrücken herum. Nach einer Viertelstunde sind wir vor dem Gehölze angekommen, und wir stehen an dem mit Zwerggehölze besetzten Rande eines steilen, grünen Abhanges, im Kreise herum erheben Felskolosse ihre Häupter, links ragt die Brecherspitze himmelan, gerade vor uns drunten im grünen Thale ist eine Alme, die Fürstalme; ein weiter Steindamm soll die Hütten schützen gegen die Steinbrocken, welche von den Wänden abgelöst manchmal in die Tiefe poltern.

Und was ist denn das dort, was trübe schimmert zwischen den Bergen? Es zieht von der Fürstalm ein Bach hinunter das enge Thal entlang zwischen einem Spalier von Fichten, und dort verliert er sich. Das ist der Spitzingsee, nahe an 5000 Fuß über dem Meere; melancholisch blickt er zu uns herauf, und in seinem matten Glanze spiegeln sich die Berge, die ihn umgeben, in ihm beschaut sich das Rind, das von den zahlreichen Almen an seine Ufer niedersteigt, um dort zu tränken. Um von unserer Höhe gerade hinab zu gelangen, müssen wir vorsichtig steigen; denn der Abhang ist von Felstrümmern und Gerölle überschüttet, und diese sind wieder von langem, aus den Spalten reichlich wachsendem Grase überdeckt, so daß die Lücken verborgen sind und der Fuß nur mit Mühe vor Straucheln geschützt werden kann. Drunten angekommen eilen wir auf weichem Wiesenboden am brausenden Bache fort und stehen bald mitten im Sumpfe, der den Spitzingsee umgiebt.

Nur eine einsame Möve schwärmt über dem matten Wasserspiegel. Was sucht sie? Einen Frosch etwa, dessen Gequake aus der Pfütze tönt? Der See ist ja fischleer! Vor Zeiten war’s anders. In reicher Menge lebte der Karpfen im dunklen Gewässer, und selbst die Forelle rieb ihr schlüpfrig Gewand an den Binsen und am Röhricht des Ufers. Das Recht des Fischens gehörte den Fischern des Schliersee’s. Diese stiegen mit Netz und Reusen herauf, um für das Stift Tegernsee oder für die zahlreichen Sommerfrischgäste in der Gegend einen Fang zu thun. Einst trafen sie mehrere Tyroler, die aus der nahen Heimath über das Gebirge gestiegen waren, um sich im Spitzingsee wohlfeilen Fischbraten zu holen, weil nach ihrer Ansicht die Fische Eigenthum Aller sind. Es kam zu Streitigkeiten und zu Schlägereien, und von nun an kamen die unberechtigten Fischer öfter als früher. Endlich schritten die Behörden ein, und die Freifischer erlitten harte Bußen. Jetzt kam zwar kein Tyroler mehr zum Fischen, aber eines Tags erzählten zu Thal gekommene Leute, sie seien am Spitzingsee vorbeigegangen und hätten an seinen Ufern Tausende von Fischen und Krebsen todt gesehen, ja, das ganze Spitzingthal stinke von Fischaas. Sogleich eilten die Fischer hinauf und fanden die Hiobsmähre wahr. Man vermuthete, es sei Gift in den See geworfen worden: von wem aber, hat Niemand sagen können. Seitdem sieht man keinen Fisch im Spitzingsee, selbst der Wurzenjörgl sieht keinen mehr und seine Burgl auch nicht, von denen ich drunten mehr sagen will.

Der von Nord nach Süd und in einem Kessel nach Nordwest sich ausdehnende Spitzingsee mag eine Meile im Umfange haben; seinem westlichen Ufer entlang zieht sich ein Sträßchen, das von der Kaiserclause am Valeppflüßchen und von Brandenberg und Rattenberg her führt und durch das Hochthal des Spitzing nach Schliers und in das Flachland Baierns hinausgeht. Am nördlichen Ufer des Sees ist die Spitzingalm, und um hundert Schritte weiter gegen Norden eröffnet sich eine herrliche Rundschau ins Land hinaus, in die umliegenden Tiefthäler und auf die majestätischen Kolosse, welche sie umgürten, als König der kühn über alle hinausragende Wendelstein. Zu Füßen tief drunten der Schliersee mit seinen lieblichen Ufergeländen, den freundlichen spitzthürmigen Kirchen in Nord und Süd, mit seiner grünenden Insel, der schattigen bergigen Halbinsel im Osten und der Burgruine in Mitte schwarzer Waldungen im Westen. Drüber hinaus aber schweift der Blick in der offenen Runde über tausend Orte, über Wälder und Flüsse bis hinunter zur Trausnitz, deren Herren die Gegend einst unterthan gewesen.

Auf dem Sträßchen von Nord nach Süd, am westlichen Gestade fortgehend, gelangt man zur sogenannten „Wurzenhütte“. Hier haust seit vielen Decennien der alte Jörgl mit der getreuen Burgl. In ihrer Jugend war die Burgl eine rothwangige frische Sennerin, der Jörg ein stämmiger Holzknecht. In den Bergen hatte der Zufall sie einst zusammengeführt, und die Liebe ließ sie einen Bund knüpfen. Doch waren Beide zu arm, um sich nach den Gesetzen und in Ehren ihren Heerd zu begründen; und dennoch mochten sie nimmer von einander lassen. Da faßten sie vor fünfzig Jahren einen originellen Entschluß. Jörg verstand Etwas vom Schnapsbrennen und er erhielt die Erlaubniß, am Ausfluß des Spitzingsees ein Blockhaus zu bauen und dort aus der ungemein heilkräftigen Schwarzwurzel (Enzian) Branntwein zu brennen, den die Gebirgsleute als Lebens-Elixir schätzen. Jörg dehnte die Fabrikation auch auf die Brunnenkresse, Wachholderbeere, Kalmus und dergleichen aus, und schließlich suchte er den freien Besitz der Burgl damit zu verbinden. Man ließ ihn aber nicht heirathen, weil der Hausstand nicht gesichert sei. Die Burgl trat nunmehr als gebirgs- und wurzelkundige Dirne zu Jörgl in Dienst als Wurzensammlerin. Als die Burgl die Jugendblüthe abgestreift hatte und in’s canonische Alter getreten war, wagte es Jörgl, sie als Häuserin in das Blockhaus aufzunehmen; die nächsten Jahre aber brachten eine Reihe von polizeilichen Verfolgungen wegen verbotenen Zusammenlebens, heirathen aber durften sie doch nicht. „Was die Lieb’ zusammengefügt,“ sagte mir die Burgl hierüber, „konnte der Pfleger nit trennen!“ – So oft ein Gensd’arm oder ein Scherge von Amts wegen kam, um nachzuschauen wie es mit der Lieb’ Jörgl’s zur Burgl stehe, mußt’ die Häuserin in ein großes leeres Branntweinfaß kriechen und da drinnen bleiben, bis die Kerle wieder gingen, was oft verzweifelt lange anstund, da ihnen der Enzian oder der Kalmus trefflich schmeckte. „Später,“ sagte Jörgl [204] mir hierüber, „gab ich den Burschen schlechten Fusel zu trinken, Und da blieben sie nie mehr lange in der Wurzenhütten. Einmal war wieder Einer gekommen, und die Burgl hatte nur mit genauer Noth in’s Faß wischen können. Drinnen aber fing die dumme Dirne zu lachen an, weil ich kurz zuvor was Spaßiges gesagt hatte, und der Scherge merkte nun den Braten und fand die Burgl bald, denn das Faß stand dort, wo es heut’ noch ist, neben dem Heerde. Die Burgl sollte mit aufs Pflegamt folgen, aber sie war stark, stieß den Schergen von der Straße in den See und entlief in die Berge. Da kam denn der Pfleger bald selbst hernach, um mir das Geschäft zu sperren und die Hütte anzuzünden. Ich bat und bat, Alles umsonst; schon legten die mitgekommenen Schergen Hand an, um des Pflegers Willen zu thun, als dieser von heftigem Leibschmerz befallen wurde, welcher ihm schier den Leib zerriß. In diesem Elend verhieß ich den Pfleger zu heilen, wenn er mir die Hütte und die Burgl überlasse. Noth bricht Eisen, er willigte ein, und ich gab dem kranken Pfleger ein Glas vom echten schärfsten Enzian. So überfiel ihn starker Schweiß, und ich rieth ihm, diesen durch starke Bewegung zu fördern, und er befolgte den Rath und ging heim, wo er darnach gesünder war als heute. Seitdem ist kein Polizeimann mehr, nach der Burgl zu suchen, gekommen! O, was so ein Leibschmerz zur rechten Zeit vermag!“

Vielleicht hätten die schon im vorgerückten Alter stehenden Liebenden nunmehr auch heirathen dürfen; aber es schien ihnen nimmer nöthig zu sein. Jetzt zählen sie mitsammen etwa 160 Lebensjahre, ein Muster deutscher Treue und Anhänglichkeit; aber heute noch klettern sie zwischen den Klippen umher, nach Wurzeln und Kräutern suchend. Sowohl die Lage der kleinen im dichten Laubschatten am Abflusse des Sees befindlichen Hütte, die großartige Natur ringsum, als auch die beiden Alten selbst, an deren Liebe heute kein Mensch mehr sich ärgert, locken im Sommer gar viele Fremde hierher, und gewiß erinnert sich Jeder zeitlebens mit Vergnügen an den Gang zur Wurzenhütte. Im Hinblicke auf die durchlittene Liebezeit scheinen Jörgl und Burgl heute noch, nicht ferne vom Rande des Grabes, Mitleid und Nachsicht mit den Liebenden der Umgegend zu üben; nicht selten trifft man im Blockhause oder in der Laube vor demselben Sennerinnen von den zahlreichen Almen, welche an der Seite ihres Galans, eines gebräunten Holzknechtes, sich in Liebesgeflüster ein Branntweinräuschlein anduseln. Ob Dulcinea Burgl den Ritter Jörgl heute noch so zärtlich liebt wie vor etlichen Jahrzehnten, vermag ich nicht zu sagen. Als ich das jüngste Mal in der Wurzenhütte einkehrte, sprach die bekümmerte Burgl in etwas zornigem Tone: „Ja, ja, der alte Lump macht guten Schnaps und trinkt ihn selber! Schaut nur da hinaus in die Holzschupfe!“ – Und wirklich lag zur hellen Mittagszeit der eisgraue Jörgl auf Hobelspänen in den Armen des Schlafes.




Uebersiedelung der Besatzung des Forts Moultrie nach Fort Sumpter.

[205]

Eine Episode der nordamerikanischen Krisis.


Die öfteren Streitigkeiten mit England haben ein System nordamerikanischer Küstenbefestigungen ins Leben treten lassen. Die Handelshäfen, diese verwundbarsten Stellen, sind geschützt und an geeigneten Punkten Zufluchtsstätten geschaffen worden, in denen die Kauffahrer vor friedlichen Kreuzern völlig sicher sind. Allein auf die Sclavenstaaten des Südens kommen zwanzig Küstenfestungen, die von Baltimore bis zur Barentaria-Bucht in Louisiana reichen. Vollständig bewaffnet würden sie dreitausend Geschütze führen und mit 16,300 Mann besetzt werden müssen. Der wichtige südcarolinische Hafen Charleston hat zu seinem Schutze drei Festungswerke, die Forts Sumpter, Moultrie und Pinkney. Alle diese Festungen der Sclavenstaaten hatte der Kriegsminister Floyd, obgleich die Bewegungen und Pläne des Südens gerade ihm, dem Vertrauten der Sclavenhalter, aufs Allergenaueste bekannt sein mußten, in einer Weise vernachlässigt, die auf einen absichtlichen Verrath schließen läßt. Diese Werke, die im Frieden nie unter 3000 Mann Besatzung haben sollen, enthielten nicht ganz 1000 Soldaten, und diese waren so vertheilt, daß auf die Staaten, welche offen mit Abfall von der Union drohten, nur 320 Mann kamen.

Die Forts der Hafenbucht von Charleston waren in der Zeit der Bewegung, die in Nummer 10 geschildert ist, der Obhut des Majors Robert Anderson übergeben. Dieser Officier gehört zu den Kentucky-Männern, deren Muth und Entschlossenheit in der Union sprüchwörtlich ist. Von ausgezeichneter wissenschaftlicher Bildung, hatte er in den Kriegen gegen die unter dem Schwarzen Falken vereinigten Stämme der Winnebagoes, Fuchs- und Sack-Indianer, gegen die Seminolen und Creeks in Florida und gegen die Mexikaner seine kriegerischen Proben abgelegt. Die Kräfte, über die er zur Vertheidigung der drei Hafenforts verfügen konnte, beschränkten sich auf 9 Officiere, 55 Artilleristen und 15 Hornisten. Mit dieser Handvoll Menschen hielt er, einem ausdrücklichen Befehl des Kriegsministers gehorchend, Fort Moultrie besetzt. Im Fort Sumpter befanden sich blos die Arbeiter, welche die letzte Hand an die Werke legen sollten, und die Besatzung von Fort Pinkney bildeten die beiden Wächter des dortigen Leuchtthurms.

Von dem Augenblicke an, also Anfang December vorigen Jahres, wo die südlichen Feueresser eine Unabhängigkeitserklärung erließen und die Uebergabe aller Festungswerke ihrer Gebiete forderten, schrieb Anderson nach Washington um Verstärkungen. Auf alle seine Depeschen erhielt er immer nur die eine Antwort: „Bleiben Sie in Fort Moultrie und beobachten Sie eine rein vertheidigende Haltung.“ Das Fort, in dem er


WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [206] bleiben sollte, ist zwar ziemlich stark befestigt, aber einem Angriff vom Lande leicht ausgesetzt. Tag für Tag und Nacht für Nacht hörte man den Lärm der Demonstrationen und Feste der Südcaroliner. Palmettoflaggen, die Symbole des Abfalls, wehten über Charleston, wo dreitausend Milizen versammelt waren, um ununterbrochen Waffenübungen zu machen, zu trommeln, zu trompeten und zu schießen. Diese von Wuth und Wein berauschten Menschen konnten in jedem Augenblick einen Angriff machen, und dann war Fort Moultrie nicht zu halten. Anderson wußte, daß der zehn Fuß breite und eben so tiefe Graben, den er gegen die Angriffsseite hin ziehen ließ, daß die neuen Bastionen, durch die er die Lücken der Werke schloß, und die eisernen Spitzen, mit denen er den Kamm der Mauer versah, gegen einen Feind, der nur über zwei Batterien und eine Anzahl Scharfschützen verfüge, keine Schutzmittel sein würden. Seine Soldaten wußten es mit ihm und waren wie er entschlossen, bis auf den letzten Mann zu fallen, ehe sie ein ihnen anvertrautes Pfand in fremde Hände übergehen ließen.

Von Charleston aus wurde Fort Moultrie sorgsam überwacht. So oft Abends die Dunkelheit anbrach, legte ein Dampfschiff in der Nähe des Forts an, um jede Bewegung sofort melden zu können. Die Gewißheit, daß jeder Schritt der Besatzung auf der Stelle wahrgenommen werden würde und sich erforderlichen Falls verhindern lasse, scheint die Südcaroliner allein abgehalten zu haben, von dem unbesetzten Fort Sumpter Besitz zu nehmen. Wie leicht konnte ihnen aber dieser Gedanke kommen, und dann war die Einfahrt des Hafens, da sie von den Geschützen jenes Forts vollständig beherrscht wird, den Schiffen der Unionsregierung verschlossen und somit auch der Besitz des Hafens von Charleston von den Vereinigten Staaten an den Sonderbund übergegangen. Fort Moultrie, dessen Geschütze durch jene des Forts Sumpter leicht zum Schweigen gebracht werden können, würde dadurch nutzlos geworden sein.

Anderson erwog, ob die Pflicht des soldatischen Gehorsams oder die Pflicht, im Interesse des Vaterlandes eine vielleicht rettende That zu vollführen, die höhere sei. Verließ er Fort Moultrie, so wurde er gegen die gemessenen Befehle des Kriegsministers ungehorsam, erhielt aber der Union einen wichtigen Hafen. Daß er, wenn er so handelte, seinen Kopf aufs Spiel setzte, kam bei dem wackern Manne nicht in Betracht. Sein ernster Entschluß war gefaßt und nur die schwierige Ausführung beschäftigte ihn. Das Glück, der Beschützer des Muthigen, kam ihm zu Hülfe. Am 26. December traf in Fort Moultrie eine Einladung der rebellischen Behörden von Charleston an Major Anderson ein, an einem Weihnachtsfeste des Abends Theil zu nehmen. Anderson stellte sich ein und war unter den Gästen der heiterste. Er schien nicht zu bemerken, daß der Wein, der in Strömen floß, ein feuriger Südwein sei. Noch früh am Abend kam der Augenblick, wo seine aufmerksamen Wirthe es für nöthig hielten, ihn unter sicherm Geleit in das Fort zu schaffen. Das Boot, in dem der scheinbar bewußtlose Mann lag, kam dicht an dem wachehaltenden Dampfer vorbei. Wozu sollte die Mannschaft desselben ein Fort bewachen, dessen Befehlshaber im Zustande der höchsten Trunkenheit war? Zu nutzlosen Aufopferungen sind die Patrioten des Südens weder geneigt noch verpflichtet. Der Dampfer verließ also seinen Posten und legte in der Nähe einer Schenke an, wo die Besatzung bis in die Nacht hinein zechte.

In Fort Moultrie waren die Befehle vollzogen worden, die Anderson einem Officier hinterlassen hatte. Die Mannschaft hatte sich schweigend und geräuschlos im Innern aufgestellt. In Mitte dieser Getreuen ließ der Major die Maske der Betrunkenheit fallen, durch die er die Südcaroliner getäuscht hatte. Er unterrichtete sie in wenigen Worten, daß er diese Nacht zum Abzuge nach Fort Sumpter bestimmt habe, und daß in Fort Moultrie, ehe man es verlasse, die Geschütze vernagelt und die Kriegsvorräthe vernichtet werden müßten. In der nächsten Minute gingen die Soldaten an die Arbeit. In Gruppen vertheilten sie sich mit Bolzen und Hämmern an die schweren Geschütze, öffneten die Magazine und warfen die Munition ins Wasser. Vor allen Dingen wurde das Sternenbanner von seinem Flaggenstock geholt und der Stock selbst umgehauen, damit er durch die Palmettoflagge des Südens nicht beschimpft werden könne. Als Alles beendet war, bestieg die Besatzung zwei bereitstehende Boote. Die Bucht war leer, die Matrosen des wachehaltenden Dampfers hatten sich in ihr Gelage so vertieft, daß sie die Ruderschläge nicht hörten. Noch einmal konnten die Boote ihre Fahrt machen, um alles Gepäck nachzuholen, ohne daß Jemand ihrer gewahr wurde. Und doch war man nur zwei Tage vor dem Vollmond, und von Charleston hallte der laute Lärm zechender und jubelnder Nachtschwärmer herüber. Vielleicht galten die Jubelrufe, die in der Stille der Nacht weit hörbar waren, der Ueberwältigung desselben Forts, das eben eine Besatzung erhielt und so uneinnehmbar gemacht wurde.

Gegen Morgen kehrte das Wachtschiff auf seinen Posten zurück und gewahrte, daß Fort Moultrie geräumt sei. Es ließ Signalraketen steigen, denen die Lärmkanonen von Charleston antworteten. Es war zu spät. Alles Lärmen und Toben half nichts mehr, und die ohnmächtige Wuth konnte sich nur dadurch äußern, daß das leere Fort Moultrie schleunigst für den souverainen Staat Südcarolina in Besitz genommen wurde.

Der Congreß hat Anderson’s Handlung als heroische That anerkannt, in allen freien Staaten ist sie mit Kanonensalven gefeiert worden. Es liegt darin zugleich eine Anerkennung des Mannes und der Wichtigkeit seines kühnen Entschlusses für die Union. Mag Fort Sumpter blos zur Geltendmachung des Zollerhebungsrechts der Union benutzt werden, oder mag es dazu bestimmt sein, der Ausgangspunkt feindlicher Unternehmungen zu werden: so wie so wird diese Zwingburg, unter deren Kanonen Charleston liegt, in den Lauf der Begebenheiten stark eingreifen. Bis jetzt hofft der Norden noch, daß Fort Sumpter als Dämpfer der südcarolinischen Kriegslust wirken werde.




Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Reichard hatte seinen Violinkasten geschlossen, um zum ersten Male mit zur Tanzmusik auszuziehen. Trotz des kräftigen Entschlusses aber, das Beste aus dem sich bietenden Leben zu machen, zu welchen er sich bei der Ergreifung seines neuen Broderwerbs hinaufgearbeitet, konnte er sich doch eines eigenen Gefühls von Gedrücktsein nicht erwehren, als er in Gesellschaft seiner neuen fünf Collegen, deren Aeußeres mehr von Bier als Kunst erzählte, zu dem ersten Ausfluge aufbrach – und fast gewährte es ihm eine Art Trost, daß seine Begleiter sich in einer Weise von ihm fern hielten, als fühlten sie, daß weder seine Erscheinung noch sein Wesen unter sie passe. Nur der alte Dirigent raunte ihm hier und da eine vertrauliche Bemerkung zu, wie es dies Jahr so wenig unbeschäftigte Musiker in der Stadt gebe, wie er erst gestern das Engagement nach Saratoga bekommen und nun mit Mühe noch einen Mann für das Cornet aufgetrieben habe, damit sie noch etwas Ordentliches leisten könnten.

Es war gegen zwei Uhr, als die Gesellschaft an Congreß-Hall abstieg und zusammen nach einem durchhitzten Zimmer unter dem Dache gewiesen wurde – bald aber meinte Reichardt es bei der Ausdünstung der mit ihrem Reinigungsgeschäft begriffenen Collegen dort nicht mehr aushalten zu können, ordnete rasch sein Aeußeres und eilte dem Zimmer zu entkommen. Aus den Speisesälen klang ihm das Klappern der Teller und das Laufen der Aufwärter entgegen, an ihm vorüber rauschten einzelne Paare in glänzender Toilette, und unbewußt wollte ein neues Gefühl von Bitterkeit in ihm einziehen. Mit einer kräftigen Regung aber warf er den Kopf zurück und eilte hinaus ins Freie. Vor Abend wurde keine Musik bedurft, und bis dahin war er noch Gentleman und sein eigener Herr. Langsam durchschlenderte er die freien Räume um die drei großen Hotels, ohne sich um die einzelnen Begegnenden zu kümmern, und schlug endlich den Weg nach den Quellen ein. Es war wenig Geschmack in dem, was er sah, [207] Alles offen wie auf den Präsentirteller hingelegt, und langsam ging er endlich einer entfernteren Baumgruppe zu, die ihm wenigstens einen Platz verhieß, um ungestört eine Stunde ruhen und grübeln zu können. Die Stelle schien wenig betreten zu werden, dichter Graswuchs empfing ihn unter den Bäumen, und ohne sich lange zu bedenken, streckte er sich, eine hervorragende Wurzel zum Kopfkissen wählend, bequem auf dem Boden aus. Ein leiser Luftzug strich hier kühlend durch sein unbedecktes Haar, eine Stille lag um ihn, in welcher er jedes bewegte Blatt rauschen hörte, zugleich aber bot sich auch seinem Auge die volle Aussicht auf die Umgebungen der Hotels. Dort fing es jetzt an lebendig zu werden. Wagen auf Wagen wurde sichtbar, vom eleganten Phaeton bis zum einfachen Buggy, bald tauchten die hellen Kleider der einsteigenden Damen dazwischen auf, und in Kurzem rollte Gefährt auf Gefährt mit eleganter Gesellschaft besetzt auf der Straße heran, die sich kaum fünfzig Schritte von Reichardt’s Ruheplatze hinzog und die Lieblingsrichtung für Spazierfahrten zu bilden schien. Der Ruhende ließ die ganze Reihe lachender Gesichter, reicher Toiletten, courbettirender Reiter und eleganter Wagenlenker wie ein buntes Bild an sich vorüber ziehen; als aber das Geräusch des letzten Wagens verklungen war, schloß er die Augen und begann zu grübeln, wohin ihn denn wohl, selbst im glücklichsten Falle, sein jetzt ergriffenes Geschäft führen könne, ob ihm auf diesem Wege wohl jemals wieder der Eintritt in die Gesellschaft, zu welcher ihn Erziehung und Lebensgewohnheit zogen, ermöglicht werde. Wie ein Trost, an den er sich fest zu klammern beschloß, klangen ihm die Worte in Mathildens Brief aus seiner Erinnerung: „Und wenn Du jetzt mit der Trommel anfangen müßtest, so denke daran, daß den größten Männern in diesem außergewöhnlichen Lande selten ein besserer Anfang beschieden gewesen ist!“

Er bedeckte das Gesicht mit seinem Schnupftuche und überließ sich seinen Phantasiebildern, bald in ein halbwaches Träumen verfallend. – Schon seit einer Weile hatte er gemeint, zwei lachende, helle Stimmen seitwärts aus der Entfernung gehört zu haben; jetzt klang es plötzlich wie in gedämpftem Tone in seiner unmittelbaren Nähe: „Sieh hier, Margaret, wer ist das? Ist es das Eichhörnchen oder der Waschbär? Wir haben nur noch zwei junge Gentlemen von dieser Figur hier!“

Nur ein leises, mit hörbarer Macht unterdrücktes Kichern war die Antwort.

„O, es ist keine Gefahr,“ fuhr die erste Stimme wie als Beruhigung auf eine stumme Warnung fort, „er rührt sich nicht, ich beobachte ihn schon seit zwei Minuten; aber wissen muß ich, wer hier die Nachmittage verschläft und uns langweilen läßt, so gut wir können!“

Eine tiefe Stille folgte jetzt, dann fühlte Reichardt leise eine Ecke des Taschentuchs von seinem Gesichte gehoben – er hatte die Augen weit offen, und kaum wurde eins derselben frei, als er mit einem: „How do you do, Ladies?“ plötzlich aufrecht saß.

Ein doppelter Schrei, ein flüchtiges Davoneilen zweier schlanker, mit breiten Strohhüten versehener Gestalten war die einzige Antwort.

„O wie feig jetzt!“ rief Reichardt, sich rasch erhebend, und beim Klange der fremden Stimme hielt die Hinterste der Flüchtigen ihre Schritte an, drehte sich langsam um, und ließ wie in halber Scheu einen prüfenden Blick über die ganze Erscheinung des jungen Mannes laufen; dann stieg ein neckisches Lächeln in ihrem Gesichte auf und halb zögernd trat sie einige Schritte näher. „Wir glaubten nicht, daß wir jetzt noch einen Fremden hier treffen könnten!“ sagte sie, und es gewährte einen eigenen Reiz, den Kampf in diesen dunkeln, muthigen Augen gegen die noch nicht überwundene Befangenheit zu sehen.

„Da es nun aber so ist, Miß,“ erwiderte Reichardt, in welchem der ganze Humor seiner eigenthümlichen Lage erwachte, herantretend, „in welche Classe des Thierreichs würden Sie mich rangiren?“

Ein rasches Roth schoß in ihrem Gesichte auf. „O, das sind erhorchte Geheimnisse, Sir, die man ehrenhalber nicht einmal andeuten sollte!“ rief sie lachend: „übrigens habe ich nur um Entschuldigung bitten wollen –“ sie machte eine halbe Bewegung, um sich zurückzuziehen.

„Aber darf ich nicht helfen, Ihnen die Langeweile zu vertreiben?“ fuhr Reichardt in seinem frühern Tone fort, „oder meinen Sie, ich wollte mich wissentlich derselben Sünden schuldig machen, als Andere?“

Sie wandte sich zurück, und um ihren Mund zuckte die volle, kecke Laune. „Sie sind heute erst hier angekommen, Sir?“

„So ist es, Miß, und ich wohne in Congreß Hall.“

„In Congreß Hall, very well, das ändert die Sache!“

Sie ließ den Blick eine Secunde voll in seinem Gesichte ruhen.

„Ich denke, wir werden mit einander auskommen – zuerst aber lassen Sie uns einander anständig vorstellen. Miß Harriet Burton aus Tennessee.“

„Mr. Max Reichardt aus Preußen!“ ahmte der junge Mann lächelnd nach. Sie schüttelte den Kopf und bewegte die Lippen, als wolle sie versuchen den gehörten Laut nachzusprechen.

„Sonderbare Namen bei den Ausländern!“ sagte sie, während ihr Blick nochmals wie in einem neuen Interesse Reichardt’s Erscheinung überlief, „ich werde den Ihrigen erst noch lernen müssen! – Jetzt aber,“ fuhr sie um sich sehend sort, „ist es wohl Zeit nach dem Hotel zu gehen, Margaret scheint sich nicht einen Schritt haben aufhalten zu lassen!“

Er bot ihr den Arm und durch seinen Kopf schoß es, als er von der vollen schönen Büste des Mädchens zu dem stolz getragenen Kopfe aufsah, welchen Ausdruck wohl dieses Gesicht im ersten Augenblicke annehmen werde, wenn es ihn in Gesellschaft seiner Collegen zum Tanze aufspielen sehe. Es war indessen keine Bitterkeit mehr, welche der Gedanke in ihm erweckte; die Erinnerung an Mathildens Brief hatte eine wunderbar beruhigende Wirkung auf ihn geübt – blieb er denn nicht derselbe, wenn ihn auch jetzt die Verhältnisse zwangen, einem ungewohnten Lebenserwerbe nachzugehen? – es war eher ein frischer Humor, der ihn antrieb, seine jetzige Rolle bis zu ihrer Entwickelung durchzuspielen.

„Sie sind noch so jung,“ begann jetzt seine Begleiterin, halb zu ihm aufsehend, „waren Sie auch schon Politiker, daß Sie Ihr Vaterland haben verlassen müssen?“

„Es war wohl Jeder mehr oder weniger an den politischen Ereignissen betheiligt,“ erwiderte er lächelnd, „wenn Sie aber damit nach meiner Lebensstellung fragen wollten, so gebe ich Ihnen die Auswahl. Ich bin Kaufmann, wenn Sie wollen, aber auch Musiker – “

„Musiker, seien Sie Musiker!“ rief sie lebhaft. „Ich habe schon einige Ausländer, Ungarn glaube ich, in unserm Staate kennen lernen, und sie waren alle wie geborene Musiker. Wir haben hier einen prachtvollen Flügel im Versammlungszimmer, aber nicht einen ordentlichen Spieler, und ich liebe doch die Musik leidenschaftlich! Kommen Sie, jetzt wird es mir ganz hell im Herzen!“ Sie schob ihren vollen Arm wie unwillkürlich fest unter den seinen, ließ ihn in ihre dunkeln, aufstrahlenden Augen sehen und begann zu einem raschern Schritte zu drängen. Bald lag die Piazza des Hotels, noch eben so leer als früher, vor ihnen; zwischen den Schlinggewächsen aber blickte ihnen ein frisches blühendes Gesicht unter dem breiten Strohhute lachend entgegen. „Da ist sie!“ rief die Brünette, ihren Begleiter loslassend und ihm voraus die Stufen hinauf eilend, „jetzt sagen Sie, Sir, wer feig war!“

Reichard war gefolgt, und unwillkürlich blieb sein Blick in einem Paar warmer, dunkelblauer Augen hängen, die wie in halb scheuer Neugierde auf ihn geheftet wären. „Mr. Unaussprechlich, Kaufmann aus Preußen – er wird Dir seinen Namen selbst nennen, den Du jedenfalls besser verstehen wirst,“ begann Harriet vorstellend, „ein ausgezeichneter Musiker, der uns sogleich auf dem Piano entzücken wird – und hier Miß Margaret Frost aus Newyork, ein wahres Muster von Freundin, welche nur mir zu Liebe die Langeweile in Congreß-Hall bis jetzt ertragen hat!“

Reichardt hatte ein paar launige Worte aus den Lippen, aber diesem lieben, fast noch kindlichen Gesichte gegenüber, das ihm wunderbar warm zum Herzen sprach, verschwanden sie aus seinem Gedächtniß. „Ich heiße Max Reichardt, Miß,“ sagte er sich leicht verbeugend, „der Klang mag ungewohnt für die englische Zunge sein –“

„Aber nicht für mich!“ erwiderte sie lächelnd in so klarem, wohllautendem Deutsch, daß die Ueberraschung dem jungen Manne das Blut in die Backen trieb und in dem Gesichte der Sprechenden einen hellen Wiederschein hervorrief. „Vater ist selbst ein Deutscher und hat einen Bekannten Ihres Namens –“

[208] „Und hat darauf gehalten, daß die liebe Sprache in Ihrer Familie erhalten blieb!“ fiel ihr Reichardt erregt in’s Wort.

„O, da geht es schon los – preußisch oder was es sonst sein mag,“ rief die Brünette dazwischen, „aber ich muß dagegen protestiren. Wir gehen jetzt zum Piano, da ist eine Sprache, die Jeder versteht, sonst ist eine halbe Stunde später die ganze Gesellschaft uns wieder auf dem Halse!“

Reichardt warf noch einen Blick in die tiefblauen Augen, die jetzt doppeltes Interesse für ihn hatten, und verneigte sich, um die Mädchen vorangehen zu lassen, fast wirkte es aber wie ein Dämpfer auf seine augenblickliche Stimmung, als ihm hinterdreinschreitender Reichthum, welcher selbst die einfache Promenaden-Toilette seiner Begleiterinnen auszeichnete, in die Augen fiel.

Er wollte eben, den Letzteren nach, das Versammlungszimmer betreten, als ein lautes „Bst! Bst!“ in seine Ohren klang und er, sich umdrehend, den alten Musikdirigenten erblickte, der vom hintern Eingang der Halle aus ihm mit beiden Händen zuwinkte. Jetzt konnte Reichardt unmöglich gehen – übrigens begriff er auch nicht, was der Mann schon von ihm wollen konnte. Er wandte den Blick ab und folgte den jungen Damen, welche sich bereits Stühle in die unmittelbare Nähe des Flügels gezogen hatten. Kaum saß er indessen selbst vor der Claviatur und hatte prüfend eine rauschende Cadenz über die Tasten laufen lassen, als er, wie instinctmäßig, die Nähe des Alten fühlte. Er blickte auf, und da stand richtig die kleine Figur halb verborgen in der offenen Thür, energisch winkend und zur Verstärkung eine eindringliche Grimasse schneidend.

„Entschuldigung für einen Augenblick, Ladies!“ rief Reichardt, sich rasch erhebend, während das Gesicht von der Thür verschwand. Er eilte nach der Vorhalle, an deren hinterm Ausgange ihn der alte Musiker bereits erwartete. „Was giebt’s denn so Nothwendiges,“ fragte er, „daß Sie mich nicht die paar Minuten ungestört lassen können?“

„Der Donner! ich suche Sie schon seit zwei Stunden!“ war die ärgerliche Antwort, „Sie wissen doch wohl, daß Sie von den „Reels und Hornpipes“ noch keinen Begriff haben, und jede Viertelstunde benutzen sollten, um sie in die Finger zu kriegen? Bei der Art Musik hilft Ihnen all’ Ihr Blattspielen nichts; auswendig lernen heißt es, sonst thut es der miserabelste Nigger besser, und wir können uns heute Abend auslachen lassen!“

„Sie sollen nicht ausgelacht werden!“ erwiderte Reichardt mit einem halbverdrießlichen Lächeln, „zeigen Sie mir, was gespielt werden soll, und kümmern Sie sich dann um nichts weiter; aber kommen Sie rasch!“ Er sprang dem Alten, der ihm kopfschüttelnd folgte, voran die Treppe hinauf. Noch waren aber keine zehn Minuten vorüber, als er mit leichten Sprüngen wieder herabgeeilt kam und sich dem Versammlungszimmer zuwandte. Der Raum war leer; auf dem Flügel aber lagen noch die Strohhüte und Handschuhe der jungen Mädchen. Reichardt warf sich auf den Sessel vor das Instrument und ließ die geräuschvolle Einleitung eines modernen Salonstücks ertönen. Nach wenigen Minuten rauschten auch die beiden Verschwundenen wie zwei wilde Vögel in’s Zimmer. Ohne sich aber an sein Spiel zu kehren, rief ihm die Brünette schon von Weitem zu: „Was ist das, Sir? wir haben nach Ihrem Namen im Fremdenbuche gesucht und können keine Spur davon finden!“

Reichardt’s Finger erlahmten – er wußte, daß jetzt seine Rolle zu Ende war. Langsam erhob er sich. „Weshalb suchten Sie nach meinem Namen?“ fragte er und versuchte ein Lächeln, als belustige ihn die Scene, welche nun folgen werde, schon im Voraus.

„Ich wollte ihn geschrieben sehen, um ihn merken zu können – ganz einfach!“ erwiderte sie, während ihr Auge in einer Anspannung auf seinem Gesichte ruhte.

„Und ebenso einfach ist es, daß Sie ihn nicht im Fremdenbuche finden konnten, Miß. Ich bin heute Mittag mit den Musikern gekommen, werde die Ehre haben, Ihnen heute Abend zum Tanz zu geigen, und gehöre somit nicht unter die reiche, fashionable Gesellschaft, welche das Buch enthält!“ Er hatte die Worte leicht unlustig sprechen wollen, fast aber klang es wie Selbstverhöhnung dazwischen durch. Er sah, wie die Trägerin leicht erbleichte, wie dann ein plötzlicher Spott sich um ihre Lippen legte, und wartete nur auf die dazu gehörige Aeußerung, um seine Rolle mit dem nöthigen Effecte zu Ende zu bringen – nach den blauen Augen hinter der Sprecherin hatte er nicht den Muth zu blicken.

„Und wie lange treiben Sie schon das Geschäft?“ fragte die Brünette, deren Blick jetzt seine Erscheinung überflog, als betrachte sie eine Merkwürdigkeit.

„Mache erst heute den Anfang damit, Miß, hoffe aber trotzdem, daß Sie mit mir zufrieden sein werden!“

Sie schüttelte den Kopf, der Spott verschwand aus ihrem Gesichte, und die Hand auf den Flügel legend, trat sie einen raschen Schritt näher. „Sie werden das nicht thun und guten Rath annehmen, Sir,“ sagte sie bestimmt, „Sie werden es schon nicht thun, weil ich mich sonst schämen müßte, Sie als Gentleman behandelt zu haben – bei uns fiedelt nur der Neger zum Tanz, und Sie werden sich nicht selbst in eine Classe mit diesem setzen wollen!“

„Wird doch im Augenblicke nicht anders werden, Miß, so sehr ich auch begreife, wie unangenehm Ihnen jetzt unser Zusammentreffen sein muß,“ sagte er ruhig. „Ein junger Mann. der hier erst seinen Weg beginnt, hat meist nicht die Wahl, wie er seine Kenntnisse verwerthen möchte – von solchen Lagen wissen Sie allerdings nichts. Uebrigens sind wir hier nicht in Tennessee, und ich sehe nichts Entwürdigendes in der Beschäftigung –“

„Aber Sie können in anderer Weise Geld genug mit der Musik verdienen,“ unterbrach sie ihn eifrig, „warum denn gerade zu einem Wege greifen, auf dem man Sie nicht einmal kennen darf?“

„Habe’s nicht ändern können, Miß, und muß jetzt meinen eingegangenen Verpflichtungen nachkommen.“

Ihre Augen ruhten einige Secunden unruhig in den seinigen.

„Sie bleiben also dabei?“ fragte sie. Dann aber drehte sie sich wie im aufwallenden Zorne um und faßte die Hand ihrer Begleiterin. „Komm, Margaret, wir sollen nichts haben als unsere Menagerie, da belügen uns aber wenigstens die Gesichter doch nicht!“ rief sie und zog das junge Mädchen mit sich zur Thür hinaus. Reichardt’s Blicke aber waren bei ihrem Wegdrehen Margaret’s Augen begegnet, die mit einem Ausdrucke von so reger Theilnahme auf ihm ruhten, daß er den Blick warm bis in’s Herz zu fühlen meinte.

(Fortsetzung folgt.

Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.

In dem zweiten Quartal kommen außer den trefflichen Beiträgen eines Bock, Schulze-Delitzsch, B. Auerbach, Beta, Max Ring, Kossak, L. Storch, W. Hamm, Fr. Oetker, Temme, G. Hammer, Mor. Hartmann, etc. etc. noch weiter zum Abdruck:

Am Scheidewege. Letzte Novelle von Theodor Mügge – Ein Deutscher, Erzählung von Otto Ruppius (Fortsetzung) – Moderne Brunnenvergiftung – Aus den Zeiten der schweren Noth: Erinnerungen der Frau General-Lieutenantin J. von Gagern – Eine Hunde-Schau in London, von Beta – Erinnerungen aus dem schleswig-holsteinischen Kriege, von Graf A. Baudissin – Vorlesungen über verleumdete Thiere, von Carl Vogt in Genf – Eine Nachtwache im Cholera-Lazareth – Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient (Fortsetzung) – George Sand – Ein Manövertag aus den Zeiten Friedrich des Großen – Vom Hühnerhof, von Frau von Bissing Momente aus dem deutschen Befreiungskriege – Ein Ausgearteter. Bild aus dem Norden, von A. Brehm Erlebtes in Kriegs- und Friedensjahren, von Annecke, Buchhändler Palm, von Theodor Oelckers – Eine deutsche Bürgertochter. Mit Abbildung. – Reiseberichte von Dr. Gerstäcker – Zwei deutsche Märtyrer.

Auch die Deutschen Bilder – und – Scenen aus dem Leben deutscher Dichter, mit Illustrationen, werden fortgesetzt.

Leipzig, im März 1861.
Ernst Keil.  

  1. Liegt vielleicht ein Narrenhaus in der Nähe von Elberfeld?
    Anmerk. der Redact.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Original: gegesetzt