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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1857
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 33. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


In guter und böser Zeit.
Dorfgeschichte aus Franken von H. Nordheim.
(Schluß.)

„Ich weiß nicht, wie’s zugegangen ist, aber wie sie aufgehört hatte, schon lang’, lief mir das Wasser immer noch die Backen herunter, daß meine Hände und meine Kappe pudel-patsch-naß waren. Das ist gut, wenn einem in der innerlichen Brunnenstube einmal das Wasser bis an den Hals steigt. Nichts macht den Menschen so rein, als so eine Wäsche mit Salzwasser. Ich meine damit aber nicht die Sorte, die wie die Muscheln immer im Salzwasser liegen; die werden nur fett oder hart davon, aber nicht gesund. Mir war der Anne ihr Salzwasser gesund. Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren und vergaß Alles um mich her. Nur an eins mußte ich denken, und das waren in meinen Gedanken die Ricke und die Anne neben einander; die Eine, wie sie half den Tempel Gottes schänden, die Andere, wie sie in einer elenden Bauernstube den Tempel Gottes aufbaute. Ich stand und stand, da war die Stubenthür schon eine ganze Weile aufgegangen, ehe ich’s merkte; meine Eltern standen vor mir und hinter ihnen die Anne. Mein Vater hatte schon lang’ gesagt, er könnte die Ricke nimmer ersehn, aber ich hatte immer noch nicht von ihr lassen können, wenn ich mir’s auch sagen mußte, daß sie in Grund und Boden hinein nichts taugte.“

„Habt Ihr denn aber,“ fragte der Pfarrer, „nicht schon früher gemerkt, daß nichts an ihr war?“

„Ach, Herr Pfarr, merkt denn Einer so was, wenn er sein Herz und sein Bißle Vernunft nur in seine verliebten Augen gelegt hat? Die Ricke war eine Blitzhexe und wenn nicht endlich der Spielsatan verrathen hätte, was hinter der schönen Fratze steckte, so wär’ ich in’s Unglück hinein gerennt. Es geht Manchem nicht anders. Ich ging aber von da an nimmer zu ihr und Abends, wenn das Gebet läutete, rannte ich heim. Die ersten Male traute ich mich nicht in die Stube zu treten, ich blieb davor stehen; aber endlich ging ich dazu und zuletzt war mir’s, als könnte ich keine Ruh’ finden, wenn ich nicht den Spruch gehört hatte.

„Wie’s die Ricke merkte, daß ich im Ernst von ihr blieb, machte sie sich noch mehr mit dem Wehner zu schaffen und der war froh. Er dachte, ich wäre ein rechter Narr, daß ich das Glückskind aufgab, und griff mit allen Händen zu. Sie waren bald einig; ich war ihr schon lang nimmer recht, weil ich nicht in ihr Horn blies. Sie hat ein paar Jahre darauf den Wehner genommen, und sie sind nach Waldeck gezogen, dort hatte er sein Gütle. Sie hatten noch lang Glück im Spiel; aber mit Eins schlug’s um; wie sie erst gewonnen hatten, so verloren sie nun. Je mehr sie aber verloren, je toller spielten sie. So geht’s immer, man denkt, man müßte, was verloren ist, wieder gewinnen. Wie die Alten hier kurz nach einander starben, war schon das hiesige Hab und Gut zum Guckuck. So ging’s auch bald in Waldeck. So trieben allerhand anrüchiges Gewerbe – und heute – hat sich nun der Wehner davon gemacht.“

„Haben denn die Kirchenschänder ihre Strafe bekommen?“ fragte der Pfarrer.

„Ja wohl, haben sie das, nur der Wehner wischte durch; es ging wie immer, die Kleinen hängt man und die Großen läßt man laufen. Nun, es ist ihm doch zu Haus und Hof gekommen, wir haben’s ja gehört. Er log sich damals heraus; die Andern kamen auf zwei Jahre in’s Zuchthaus.“

„Nun, Valt, müßt Ihr mir aber auch noch erzählen, wie Ihr endlich mit der Anne zusammen gekommen seid.“

„Ja, Herr Pfarr, das soll ein Wort sein, aber heut nicht, ich bin müd’; die alten Zeiten haben mich ordentlich wirbelig im Kopf gemacht; aber morgen erzähl ich’s Ihnen, und der Martin soll die Kätter dazu holen; weil sie doch in’s Haus kommt, so soll sie auch wissen, wie’s die Alte vor ihr gemacht hat.“

Es wurde so fest gemacht, und der Pfarrer ging heim. Wie er am Sonntag Abend wieder kam, war die Kätter da. Sie und der Martin hatten sich gern, aber ihr Vater wollte nicht eher leiden, daß sie ihn nähme, bis er sein sechsundzwanzigstes Jahr hinter sich hätte, weil da sein Vater und auch sein Großvater schon blind geworden waren. Der Martin hatte aber sein Lebtag nichts an den Augen gehabt, und es war eigentlich närrisch vom Claus, denn sonst hatte er nichts gegen ihn. Die Kätter hatte den Martin so gern, daß sie keinen andern genommen hätte; er war erst fünfundzwanzig, sie erst zwanzig Jahre alt, da konnten sie dem Vater seinen Willen thun.

Wie die Valt’s am Sonntag zu Nacht gegessen, sagte der Veit zur Anne:

„Nu, Mutter, nun fang’ ich an, über Dich zu schimpfen, willst Du nicht wieder die Thür hinter Dir lassen?“

„Ich werd’ mich hüten,“ sagte die Frau und lachte, „ich mein’s zu gut mit mir.“

„Nun, Herr Pfarr, so will ich’s Ihnen erzählen: Ehr ich mich’s versah, ich weiß selber nicht, wenn’s zuerst angefangen hat, war ich närrisch in meine Alte da verschossen, und ich war der ordentlichste Bursche im Dorfe geworden, denn – ich blieb immer daheim. Bei ihr ging’s nicht so hurtig, es sah wenigstens so aus. Aber wie ich sie einmal Abends in den Stall hatte gehen sehen, um die Küh’ zu melken, ging ich ihr nach. Der eine Eimer war [450] schon voll, und ich wollte ihr den andern helfen zurecht setzen, da war mir’s doch, als wär’s bei ihr auch nicht richtig; sie that so scheu, und als traue sie sich selber nicht recht. Ich weiß nicht, wie’s zuging, sie hatte aber einen Schmatz auf dem Backen, daß es nur so ein Spaß war. Die Anne war so erschrocken, daß sie den ganzen Eimer voll Milch hinwarf, und sah so weiß aus, wie die Milch, die herum lief. Mir war’s auch nicht einerlei, wie die Milchstraße durch den Stall ging, die bald so breit aussah, wie die am Himmel oben, und wir standen alle Beide da und wußten nicht, was anfangen. Es sah Eins so einfältig aus wie’s Andere; da fuhr auf einmal eine Hand zwischen uns durch, und nahm den Eimer auf. Es war meine Mutter; sie lachte und sagte:

„Justament wie die Ochsen immer am Berg stehn, so steht Ihr auch da.“ Und wie wir immer noch nicht wußten, was sagen:

„Geh zum Vater, Veit, für die Anne kannst Du zehn Eimer in den Stall laufen lassen, so hat er nichts dagegen.“

„Nun hättet Ihr aber einmal sehen sollen, wie die Anne mir um den Hals flog.“

„Ho ho, Alter, so toll war’s doch noch nicht; aber freilich, so recht wie’s kam, weiß ich auch nicht, nur daß wir einander am Hals hingen, mitten in der Milchsuppe drin, ja, das ist wahr!“

„Ja, das ist wahr, und wir gingen mit der Mutter zum Vater und der war so lustig, als hätt’ ihn ein Haas geleckt. Da, ich sah der Anne gerade so recht in die Augen, ich glaub’, ich wollte ihr wieder einen Schmatz geben, aber auf die andere Backe, und sagte: „eine Schönere wie Dich gibt’s halt doch auf Gottes Erdboden nicht“ — da, ja da schloß mir unser lieber Vater im Himmel die Augen zu. Seitdem habe ich auch nichts, keinen Funken Licht, keinen Tropfen Wasser, nichts, gar nichts mehr gesehen.

„Ich dachte im ersten Augenblick und hernach noch manche Stunde und manchen Tag, ich müßte verzweifeln, aber wenn so Zeiten kamen, da nahm mich allemal meine Anne bei der Hand, und wenn es doch noch nicht ganz vorüber wollte gehen, da holte sie mir den Feldmann, und der hatte allemal den ganzen Sack voll Trost bei sich. Besonders half es aber immer, wenn er damit kam, daß unser Herr Gott mir das Unglück gerade geschickt habe in dem Augenblick, wo er mir das größte Glück schenkte, damit ich mich an dem Einen für das Andere aufrichten könne.

„Ja, ja, Herr Pfarr, Sie wissen’s ja auch schon lange, bei all der schweren Last, die’s mit sich bringt, wenn man Jahr aus und ein im Dunkeln geht, bin ich doch ein glücklicher Mann, und meine Anne, wenn auch viel auf ihr liegt, was ein Anderer ihr hätte können tragen helfen, gäbe mich armen Krüppel doch um keinen Andern her. Drum sag’ ich’s auch immer, wie der Mensch trägt, das macht’s aus, nicht was er trägt.“

Die Kätter saß zwischen der Mutter und dem Martin; sie hatte von Jedem eine Hand genommen, und das Wasser lief ihr die Backen herunter stromweis, da machte auf einmal der Martin seine Hand von ihr los, und hielt sie vor das Licht; dann fuhr er damit an die Augen und sagte:

„Brennt das Licht? Hat Eins das Licht ausgelöscht?“

Die Mutter stand auf, bog sich über ihn und sah ihm fest in die Augen. Er sah sie wohl an, aber es war, als wüßte er nichts davon und sagte, aber die Stimme stockte ihm:

„Mutter, brennt das Licht?“

Da fuhr aus dem Munde der Mutter ein geller Schrei heraus; sie schlug ihre Arme um den Sohn und rief:

„Ja, es brennt, es brennt lichterloh!“

Der Martin legte die Hände in einander, und wo er saß, blieb er sitzen; kein Wort kam über seine Zunge; gerade so machte es der Veit. Die Kätter wußte im ersten Augenblick nicht, wie ihr geschah, aber sie wurde es bald inne, denn die ganze Last von der Anne lag mit einem Mal auf ihr. Die Anne hatte Alles standhaft getragen, was ihr der liebe Gott auferlegte, aber das kam zu unverhofft und traf den weichsten Fleck. Wie’s ihr so mit einem Mal gewiß war, daß ihr Veit nicht allein, daß auch ihr Martin, den sie unter dem Herzen getragen, dunkel durch das Leben gehen sollte, da brach’s mit ihr zusammen, sie fiel der Kätter wie todt in den Arm. Sie kam freilich wieder zu sich und mußte es auch hinnehmen, still hinnehmen, wie’s aus Gottes Hand kam, aber es war doch recht schwer zu tragen.

Der Pfarrer war der erste, der gleich Rath schaffte, wie der erste Schreck vorüber. Nachdem die Anne wieder bei sich war, schickte er noch am Abend einen Boten in die Stadt und ließ den Arzt kommen. Es wurden, um ja nichts zu versäumen, allerlei Mittel angewandt, Blutegel gesetzt und Pflaster gelegt, aber der Doctor gab wenig Hoffnung. Er sagte, es hätten schon als Kind die Mittel angewendet werden müssen, jetzt wäre das Uebel schon ausgebildet; es hülfe Alles nichts, der Martin wäre und bliebe blind.

Der Vater von der Kätter that sich was darauf zu gut, daß er so klug gewesen war; er war ja klüger gewesen, wie alle die Andern. Man glaubt nicht, was manche Menschen einfältig werden können, wenn sie denken, sie wären klüger, wie Andere. Er meinte, es könnte ja nun keine Rede mehr vom Heirathen zwischen dem Martin und der Kätter sein. Die Valt’s sahen es auch so an, das heißt, ein Jedes still für sich, denn davon zu sprechen, hatte Keins den Muth. Der Martin meinte aber in seinem Herzen, das Blindsein wäre nicht sein größtes Unglück. Die Kätter kam aber nun alle Tage, wenn sie nur los kommen konnte, zu Valt’s; sie half der Anne den Zweien die Zeit vertreiben und ging ihr an die Hand, als dächte sie, nun gehörte sie erst recht zu ihnen. Der Pfarrer kam auch noch öfter wie sonst.

Es hilft dem Menschen nichts, wenn es einmal ausgesprochen ist, so viel und mehr nicht ist Glück auf dein Theil gemessen, so muß er sich hinein finden, er darf nicht mehr verlangen; der Gehorsam muß ihn lehren, sich hinein ergeben; die Gewohnheit hilft ihm dazu. So ging’s bei Valt’s und es dauerte nicht gar lange, so vergingen ihnen die Tage schier wie sonst. Der Martin fing auch an, Mancherlei blind zu thun, was er sonst sehend gethan hatte; besonders schnitzte er Alles, was in’s Haus gebraucht wurde. Die Anne, der Pfarrer oder die Kätter lasen den Beiden viel vor. Es mußte gehen – und es ging.

An einem Sonntag Nachmittag, es war im Herbst, saß der Pfarrer in seiner Stube und las; da klopfte es leis an die Stubenthüre und auf sein „Herein!“ trat die Kätter ein. Sie hatte die Augen verschwollen, man sah’s, vom Weinen.

„Nun, Kätter, was bringst Du?“ sagte der Pfarrer so recht besonders freundlich, denn er hatte sie gern, und sah’s gleich, daß sie was drückte.

„Ach, Herr Pfarr,“ sagte das Mädchen, und es schoß wieder ein dicker Strom ihr aus den Augen, „ich kann, ach, ich kann nicht vom Martin lassen.“

Ueber das Gesicht des Pfarres flog es, wie wenn ein Sonnenstrahl darüber hingegangen wäre, und er sagte:

„Kannst nicht, Kätter, kannst wirklich nicht? Nun sieh, das freut mich herzlich, Kätter, denn jetzt thust Du dem Martin bei Weitem mehr Noth, als wie er gesund war; das freut mich, Kätter. Aber was sagt denn Dein Vater dazu?“

„Ach, das ist’s ja eben, der Vater will’s nicht haben, er spricht ich sollte keine Pflegerin sein und“ –

„Und es wäre genug an Blinden durch drei Geschlechter, nicht war, das spricht er?“ sagte der Pfarrer.

„Ja, das spricht er,“ nickte die Kätter leicht vor sich hin.

„Der Vater hat wohl recht, daß er so denkt, aber Du, Kätter, hast auch recht. Es muß ein Jedes von dem Fleck aus sehen, wo der liebe Gott ihn hingestellt hat. Geh’ Du jetzt nach wie vor zu Valt’s; ich will mit dem Vater sprechen.“

Die Kätter ging leichter vom Pfarrer heimwärts. Der Pfarrer aber hielt Wort und that sein Möglichstes beim Vater. Er hatte seine Hoffnung darauf gestellt, daß wenigstens, wenn der Martin einmal selbst Söhne hätte, sie vor dem Unglück ihrer Väter bewahrt bleiben könnten, weil der Arzt gesagt hatte, es hätte in der Jugend dagegen können gethan werden. Der alte Claus blieb aber fest und die Kätter ging herum, daß sie alle Leute dauerte. Aber sie hatte immer mit dem Pfarrer zu thun und der schrieb jetzt alle paar Tage nach Berlin. Kein Mensch wußte, was er nur dort zu thun hatte. Er war nun zwanzig Jahre im Dorf und hatte sein Lebtag nicht nach Berlin geschrieben. Aber man erfuhr’s bald.

Es war in der Mitte December Nachmittags. Alles war schon hart gefroren und es lag viel Schnee, da kam ein Schlitten zum Dorf herein gefahren. Ein freundlicher Herr, er mochte in den Vierzigen sein, mit einem Bedienten neben sich, saß darin. Sie waren in Pelze eingewickelt. Der Kutscher fragte nach dem Pfarrhaus und hielt davor an. Auf dem Dorfe machte so etwas Aufsehen und darum standen zugleich mit dem Schlitten auch schon mehrere Leute da und hörten’s mit an, wie der Herr Pfarrer, der gleich aus seiner Thüre stürzte, den Fremden mit „Herr Geheimer Rath“ betitulirte, und daß er eine rechte Freude hatte; denn sein [451] Gesicht lachte nur so vor purer, heller Freude. Der Kutscher mußte ausspannen und der Fremde mit dem Bedienten kehrte im Pfarrhof ein. Die Magd erzählte hinterher, sie hätte schon früh die Gaststube und die Kammer darneben herrichten müssen; der fremde Rath war also erwartet gewesen.

Bis er sich von der Kälte erholt und auch etwas Warmes zu sich genommen hatte, war’s dunkel geworden und die Kätter klopfte an die Stubenthüre. Sie sah leichenblaß aus, wie der Pfarrer zu dem fremden Rath sagte:

„Das ist die Katharine Clausin.“

Der Fremde nahm sie bei der Hand, sah ihr freundlich, aber ernst in die Augen und sagte:

„Unter Gottes Beistand wollen wir das Beste hoffen.“

Da stürzte ein Thränenstrom, den sie mit Gewalt zurück gehalten hatte, es war aber kein Haltens mehr, ihr aus den Augen und sie schluchzte und zitterte, daß ihr lang kein Wort über die Lippen ging. Die zwei Männer sahen sich auch nur stumm an. Nach einer Weile sagte der Pfarrer:

„Es ist nun die Zeit, wo ich jeden Abend zu Valt’s gehe; nimm Dich zusammen, Kätter, daß Du heut’ nicht auszubleiben brauchst. Es darf dort nicht geweint werden, nicht einmal die Stimme darf zittern, denn der Medicinalrath will dem Martin seine Augen heut’ schon beobachten und weder er noch der Alte darf es merken.“

Die Kätter wischte hurtig ihre Augen ab und nachdem sie eine Weile mit sich gekämpft hatte, trat sie vor die Beiden hin und sagte:

„An mir, da sei Gott vor, soll Keins was merken.“

Alle drei gingen zusammen fort, aber das Mädchen ließ die Andern doch eine große Weile voraus.

Valt’s waren gewaltig stolz darauf, wie der Herr Pfarrer ihnen sagte, sie sollten seinen Gast auch kennen lernen, darum käme er zu ihnen, wie jeden Abend. Der Herr Geheime Rath Welker sei ein alter Freund von ihm und auf einer Reise habe er ihn besucht.

Es wurde an dem Abend viel gesprochen und erzählt. Die beiden Herren machten einen Spaß nach dem andern. Dem Valt lachte das ganze Gesicht. „Gerade so hatte er’s gern.“ Die Kätter war unvermerkt auch gekommen und sprach zuerst heimlich mit der Anne in der Ofenecke. Zwischen durch, aber der Valt und sein Sohn konnten es nicht merken, trat der Fremde so nah an den Martin, als es ging, und sah ihm in die Augen. An seinem Gesicht war aber nichts zu sehen, was er drin gefunden. Einmal sah er auch in die vom Vater, aber nur einen Augenblick; er warf dem Pfarrer einen raschen Blick zu und schüttelte mit dem Kopfe und einer Hand, als wollte sagen: „Da ist kein Gedanke mehr daran.“

Nach ein paar Augenblicken ging es über das Gesicht von der Mutter wie ein Freudenstrahl. Die Anne war klug von Haus aus; aber alle Klugheit ist nichts dagegen, wenn die Mutterliebe den Blick schärft. „Wie der Fremde in die Augen vom Martin sah, da schüttelte er nicht mit Kopf und Hand“ — und die Anne war voll Hoffnung. Daß es für den Veit längst keine mehr gab, wußte sie ja lang.

Sie lag auch, nachdem Alle auseinander und zur Ruh’ gegangen waren, in ihrem Bett. Der Valt schlief schon lang neben ihr, aber sie fand keine Ruh! Sie setzte sich aufrecht und betete; sie legte sich und weinte und wieder betete sie, daß der Herr ihr gnädig sein möge. Endlich, wie immer keine Ruh’ über sie kommen wollte, stand sie auf, zog sich an und schlich die Bodentreppe hinauf. Dort schlief der Martin. Die Thür von seiner Kammer war nur angelehnt und sie ging hinein. Dort horchte sie nach dem ihres Sohnes hin. Da hoben sich die Athemzüge so leicht und gleich aus der Brust, daß sie wohl hörte, er schlief. Aber sie konnte es doch nicht lassen, sie ging bis dicht an das Bett heran, legte ihre beiden Hände darauf und sagte leise vor sich hin:

„Bleib’ bei uns. Herr Jesu Christ,
„Weil es nun Abend worden ist;
„In dieser letzten betrübten Zeit,
Verleih’ uns, Herr, Beständigkeit.

Nun war’s ihr leichter; sie ging aus der Kammer und so leise wie herauf, die Treppe wieder hinab, in ihr Bett zurück. Da krähte der Hahn im Stall und es schlug vier Uhr. Sie dankte Gott dafür, denn sie hatte gedacht, die Nacht nähme kein Ende. Vor Freude darüber merkte sie’s nicht, wie der Schlaf über sie kam, und wurde früh um sieben Uhr tüchtig ausgelacht, denn es war noch nicht da gewesen, daß es die „Mutter“ verschlafen hatte.

Es war noch nicht acht Uhr, da kam die Kätter und der Martin ging mit ihr in’s Pfarrhaus. Dem Alten sagten sie nichts davon; aber sie waren noch keine Stunde fort, so traten sie schon wieder bei den Eltern in die Stube. Die Anne sah’s im Augenblick, daß sie Gutes erfahren hatten. Hinter ihnen trat auch der Pfarrer herein. Ihm schimmerten Thränen in den Augen, aber die Anne wußte, daß es Freudenthränen waren, wie er ihr die Hand entgegen hielt. Er wollte sich sogleich neben den Valt setzen und ihm erzählen, welch’ ein Glück ihnen Allen verheißen sei, da wendete er sich selbst zu ihm, reichte ihm die Hände entgegen und sagte:

„Herr Pfarr, Sie brauchen mir nichts zu sagen, ich weiß, was Sie mir bringen; es ist der Sonnenschein für meinen Martin.“

Der Pfarrer und die drei Anderen sahen sich betroffen an und fanden nicht gleich Worte, da sagte der Valt und lächelte dazu, wie er’s manchmal that, wenn er einen Spaß machte, aber die Augen waren ihm roth dabei:

„Ja, ja, ich seh's schon eine ganze Weile mit an, was Ihr so klug gefabricirt habt. Weiß selber nicht, wie’s zuging, daß ich mir aus wie so viel winzig kleinen Sandkörnchen, die Ihr da oder dort habt fallen lassen, endlich in meinen Gedanken einen Tempel hab’ aufbauen können, in dem ich Gott für die Hoffnung danke, die er mir geschenkt hat. Aber nun weiß ich’s, nun ist’s gewiß, mein Martin wird wieder gesund.“

Er schluckte die Thränen hinab, die sich doch weiter heraufgedrängt hatten, als er sie sonst kommen ließ, wieder trat das Lächeln auf seine Lippen und mit dem Kopfe freundlich nickend sagte er:

„Ja, ja, könnt mir’s glauben, bin noch lang nicht so dumm, wie ich aussehe, werde auch so bald noch nicht dümmer; wenn ich auch mein Lebtag nichts mehr sehe.“

Halb mit Weinen und halb mit Lachen, wie’s der Alte selbst gethan, kam die Freude und Verwunderung der Anderen zu Tage. Der Pfarrer erzählte nun, daß der Arzt aus Berlin den Martin im Frühjahr operiren könne und gesagt habe, Mancher könne seiner gesunden Augen nicht so sicher sein, wie der Martin, daß er die seinigen wieder bekäme. Noch einmal blitzte im Gesicht vom Valt das närrische Lächeln auf und er sagte:

„Kätter, komm einmal zu mir.“ Und wie sie vor ihm stand, faßte er sie fest an der Hand: „Weißt Du’s nicht, Kätter, wie viel wohl so eine Reis’ von Berlin nach Heubach kostet?“

Das Mädchen wurde feuerroth und der Alte lachte, daß er sich schüttelte. Da trat der Pfarrer herzu und sagte:

„Valt, Ihr wißt wohl Alles?“

„Ja, Herr Pfarr, ich weiß Alles, aber der Martin weiß es nicht und dem muß ich’s sagen, daß das Mädchen ihre Granatschnur und ihren Henkelducaten und ihre Sparbüchs dran gewend’t hat, damit der Doctor aus Berlin herkäme.“

Der Martin streckte die eine Hand nach der Kätter aus, die andere hielt er vor seine Augen, da rief ihn der Alte zu sich:

„Reich mir Deine Hand, Martin, ich leg’ Dir was hinein, das sollst Du der Kätter schenken.“ Er that es und fühlte, die Andern sahen aber darin eine Granatschnur und einen Henkelducaten. Es waren der Kätter ihre. Der Alte aber klapperte mit einer blechernen Büchse und sagte:

„Davon kaufen wir eine Kuh, wenn Ihr beisammen seid. Der Martin muß sie aber selbst aussuchen.“

Wenn das Glück einkehrt, oder zwei Leute, die sich gern haben, zusammen kommen, gewöhnlich ist das einerlei, so hört das Erzählen auf. Bei Valt’s kehrte das Glück ein, mit ihm der Dank gegen Gott, der jedem Glück erst den Kranz aufsetzt. Der Geheime Rath Welker hatte selbst den alten Claus aufgesucht und er versprach, wenn der Martin curirt würde, wolle er nichts gegen die Heirath haben. Und der Martin wurde curirt.

Im April brachte ihn der Pfarrer Butzer nach Berlin und im Mai holte er ihn wieder ab. Sie kamen alle zwei auf dem Herrn Pfarrer seinem einspännigen „Wägele“ in Heubach an einem prächtigen Nachmittag angefahren. Die Sonne schien, die Vögel sangen, die Bäume standen in voller Blüthe und aus jedem Fenster, wo sie vorbeifuhren, lachte ihnen ein freundliches Gesicht entgegen, das aussah wie Willkomm!

[452] Vor dem Haus der Eltern auf der Bank saß der alte Valt, die Sonne schien auf seinen glänzenden Scheitel, denn er hielt seine Kappe zwischen seinen bebenden Händen. Daneben standen die Anne und die Kätter. Der Frühling der Freunde lag strahlend auf Aller Angesicht. Das Glück zog bei ihnen ein.

Wie der Martin an der Hand von seiner Mutter in die Stube eintreten wollte, sah er über dem Astloch in der Thüre mit blauen und rothen Buchstaben einen Spruch eingegraben; derweil er ihn sah, that er seine Kappe ab und faltete die Hände:

Bleib bei uns, Herr Jesu Christ,
Ob’s Abend, ob es Morgen ist.
Dein göttlich Wort, das helle Licht,
Laß ja bei uns verlöschen nicht.
In guter und in böser Zeit,
Verleih’ uns, Herr, Beständigkeit.




Indien, seine Revolution und sein Militair.

Malcolm Lewin, ein mit den indischen Verhältnissen sehr vertrauter Engländer, der aus langer Erfahrung in Indien die Revolution vorher verkündigte, sagt in einem kürzlich erschienenen Buche: „Grausamkeit, die Frucht feiger Furcht, wird auf uns selbst zurückprallen. Der Indier ist sehr leicht zu regieren — durch Gerechtigkeit und Güte. Das sind die Gewalten, welche Liebe und Achtung erzeugen. Deren Vorenthaltung hat unser indisches Reich erschüttert.“

An einer andern Stelle seines Buches führt er einen Indier redend ein: „Erst gestern (im vorigen April) vernahm ich den bittersten Haß gegen die Engländer in den schärfsten Ausdrücken der Verachtung und Erbitterung aus dem Munde eines der gebildetsten Hindus. Er ist ein Mann von auffallender Kraft der Intelligenz; er spricht und schreibt mehrere Sprachen mit gleicher Fertigkeit. „Das Wort des Engländers,“ sagte er, „war früher in Granit eingegraben, jetzt wird’s auf Wasser geschrieben. Als das Land noch nicht euer war, wer konnte gerechter und treuer sein seinem Worte, als ihr? Jetzt, da ihr das Land zu euren Füßen habt, ist die Maske abgeworfen. Jetzt schwör’ ich, und glaubt es mir, daß ich meinen Kopf diese Minute verlieren möchte (mit einer entsprechenden Gesticulation) wenn ich meine Landsleute aus ihrer jetzigen Lage damit erheben könnte. Es ist die Ruhe eines Leichnams, todt, entwürdigt. Ich verhehle es nicht: Wir hassen euch und ihr verdient es.“ — „Das ist,“ setzt Lewin hinzu, „die Stimmung des ganzen Landes gegen uns, und ich muß ihnen recht geben: wir verdienen es.“

In Bezug auf die Sepoys sagt er, wie schon erwähnt, vor dem Ausbruche der jetzigen Revolution: „Die Unzufriedenheit in unserer indischen Armee wird viel weniger beachtet, als sie verdient. Man wähnt, daß der indische Soldat in englischen Diensten sich so sehr von seinem Volke trennt, daß er ganz in der Treue für seinen rothen Rock aufgehe. Dieser Wahn ist nicht nur sehr leer, sondern auch sehr absurd. Die Armee ist aus Leuten aller Gegenden, Kasten, Stämme und Confessionen zusammengesetzt. Wenn dieses Band zuweilen vom Soldaten unbeachtet bleibt, verliert er es doch nicht. Er verliert nie das Ende seines Dienstes, seine Befreiung, seine Pension aus den Augen, die Zeit, wenn er zu den Seinigen, in die Hütte seiner Vorfahren zurückkehren wird. In keiner Nation sind die Bande der Blutsverwandtschaft so fest, als bei den Hindus; in keiner wurzelt die Liebe zu dem väterlichen Heerde so tief. Der Soldat und der Bürgerliche sind fest und heilig verbunden: das Einem angethane Unrecht wird gerächt von dem Andern. Unzufriedenheit und Haß gegen uns beschränken sich durchaus nicht auf das Militair und die Dienstbedingungen: es ist allgemeine, durchgehende Stimmung. Nichts als englische Eitelkeit und englische Ignoranz, von der Anhänglichkeit des Hindus zu sprechen. Unter der Herrschaft der ostindischen Compagnie ist die Lage aller Classen und Kasten hoffnungslos. Der Officier von indischer Abkunft kann es mit den höchsten Verdiensten und Talenten nie zum Range eines unabhängigen Mannes bringen: er ist und bleibt stets ein Untergeordneter des englischen Officiers. Eine plötzliche Laune englischer Willkür kann Rang, Stellung, Ehre, Pension und Zukunft abschneiden, und ihn der Schande und Bettelarmuth überweisen. Mit solchen Dienstverhältnissen ist keine Art von Anhänglichkeit vertraglich.“

So und noch mehr sagt Lewin, der viele Jahre englischer Advocat in Indien war. So sprachen und sprechen alle Engländer von Kenntniß und Erfahrung über Indien. In einem erlebten Werke über Madras weist z. B. Norton sehr scharf nach, daß „unser Beruf in Indien nichts war, als möglichst viel Geld auszuschrauben, ohne den Gemarterten nur die Fähigkeit zu lassen, ihnen auch künftig noch Geld auszuschrauben. Lewin schließt seinen „Weg zum Verluste Indiens“ mit folgenden Worten:

„Wir haben im Innern uns einen Feind erzogen, mächtiger und gefährlicher, als die Fürsten, die wir entthronten und ausplünderten. Statt der Feinde von außerhalb haben wir alle Eingebornen Indiens zu unsern Feinden. Wir haben zu kämpfen mit der Frucht und Folge der Massenarmuth und unserer verbrecherischen Verwaltung, der socialen Entwürdigung und Verwahrlosung aller Classen, mit Haß und Erbitterung, den unausbleiblichen Folgen aller brutalen Gewalt und Unterdrückung.“

Sie kämpfen jetzt gegen diese nun nicht ausgebliebenen Folgen. Wie sehen diese aus? Sechsunddreißig Regimenter — volle 36,000 Mann — im wüthendsten Aufruhr, mordend und brennend im glühendsten Wahnsinn der Rache. Engländer mit Weibern und Kindern niedergemetzelt, wo man sie fand, übermüthige, über „angeblich“ drohende Gefahren spottende Commandanten und Präsidenten in Dschungeln versteckt und durch Sumpf und Dickicht kriechend für ihr verwirktes Leben, alte indisch-heilige Flüsse voller stromabwärts getriebener Leichen, die im Wasser bewegt und geschaukelt, sich zu bewegen und zu leben scheinen — alles Englische todt oder im bleichen Zittern versteckt, oder in der um ihr Leben kämpfenden Armee Rettung suchend, 14,000 englische Soldaten nach Indien unterwegs, Birmanien, das unlängst um seine Provinz beraubte, sich aufraffend zu einem Freiheitskriege gegen die Engländer, die Afghanen, die Perser und ungekannte, England hassende Racen und Stämme Central-Asiens mit auflebender Rache gegen England. England wird, wie man ihm allgemein zutraut, die Revolution in Indien wieder morden und „Ruhe und Ordnung“ wieder herstellen. Vielleicht gelingt es ihnen auch, da Napoleon versprochen hat, sich auch in dieser Noth ihrer anzunehmen. Wir nehmen’s als ausgemacht an. Aber welch ein elender Sieg! Welch eine Verwüstung von englischen Köpfen und Capitalien, um einer patentirten, gelderpressenden Gesellschaft das alte Geschäft wieder einzurichten, das Geschäft, das schon so lange an Englands materiellem und moralischem Reichthume zehrte, um mit der nationalen Auslage von Millionen die Tausende für patentirte Privatgesellschaft zu erkaufen.


Da die Revolution bis jetzt hauptsächlich eine militairische ist, obwohl neuern Nachrichten zufolge auch die Bevölkerung anfängt, die Waffen zu ergreifen, so dürfte es unsere Leser interessiren, etwas Näheres über die militairischen Zustände dieses unglücklichen Landes zu erfahren. Die nachfolgende Mittheilung rührt nicht von unserem gewöhnlichen englischen Mitarbeiter her und ist deshalb auch in der Auffassung des Ganzen etwas anderer Meinung.

Die in Britisch-Indien befindlichen und im Sold der Compagnie stehenden Truppen zerfallen in zwei wesentlich verschiedene Theile: in königl. Truppen, welche von der Regierung dahin geschickt und der Compagnie zur Verfügung gestellt sind, und in die Truppen der Compagnie selbst, welche lediglich zu dem Dienst in Indien geworben sind, und nur dort verwendet werden.

Die königlichen Truppen bestehen regelmäßig aus 20 Regimentern Infanterie und 4 Regimentern Cavallerie, zusammen etwa 30,000 Mann. (Dabei sind vier Regimenter Fußvolk, welche in Ceylon stehen, nicht gerechnet). Diese königl. Truppen bilden den eigentlichen Kern des Heeres, eine Art von Garde; sie werden im gewöhnlichen Dienst und auf Märschen außerordentlich geschont, dagegen vor dem Feind als Stütze und zu den entscheidenden Schlägen verwendet. Es ist viele Eifersucht von Seiten der Generale der Compagnie gegen die königlichen mit den Truppen geschickten Führer, weil diese ihnen bei gleichem Rang im Befehl vorgehen, und überdies, der Meinung der ersteren nach, auf ungerechte Weise begünstigt werden.

Die eigene Streitmacht der Compagnie zerfällt in drei ganz getrennte Heere (Establishments): das von Bengalen, das von Madras und das von Bombay. Jedes derselben hat an dem

[453]

Indische Sepoy’s.

Sitz der betreffenden Präsidentschaft ein eigenes, in verschiedene Abtheilungen zerfallendes Kriegsministerium und einen eigenen Oberbefehlshaber, jedoch so, daß der in Bengalen befehligende an der Spitze des gesammten Heerwesens steht. Die früher sehr bedeutend gewesenen Verschiedenheiten in der Einrichtung, Ausbildung und Bezahlung dieser drei Heere sind allmählich ziemlich ausgeglichen worden, in allen ist immer noch genug übrig geblieben, um Unzuträglichkeiten bei dem Zusammendienen von Truppen aus verschiedenen Heeren herbeizuführen. Der Grund dieser, offenbar an sich widersinnigen, Einrichtung ist lediglich ein geschichtlicher, indem bei den ersten Anfängen der englischen Herrschaft die drei Präsidentschaften vollkommen getrennt waren, und somit jede auch ihre eigene bewaffnete Macht hatte, und diese nach ihrem Gutfinden einrichtete.

Die Truppen der Compagnie bestehen theils aus Europäern, theils, und zwar in größter Mehrheit, aus Eingebornen. Europäer sind vor allem die sämmtlichen Officiere bei den regelmäßigen Truppen jeder Art und Nationalität. Bei diesen kann es der Eingeborne niemals zum Officier bringen, sondern es besteht nur ein höher heraufgehendes Unterofficiercorps, dessen oberste Chargen aber dem jüngsten europäischen Fähndrich nachstehen. Nur bei den Unregelmäßigen und Hülfstruppen (von welchen sogleich weiter unten) stehen Eingeborne noch als Officiere, indem diesen Regimentern nur je zwei bis drei europäische Officiere beigegeben sind. Zweitens bestehen aus Europäern in jeder der drei Präsidentschaften je drei Infanterieregimenter, jedes zu zwölf Compagnien, also von doppelter Stärke der gewöhnlichen englischen Regimenter. Diese werden in England von der Compagnie geworben und gehören nicht zum königlichen Heer. Endlich ist die Artillerie zur stärkeren Hälfte europäisch, und zwar so, daß die Europäer und die Eingebornen getrennte reitende Batterien und Fußbatterien bilden.

Die Eingebornen bilden, wie gesagt, die übergroße Mehrzahl des Heeres, nämlich Unterofficiere und Soldaten bei den regelmäßigen Cavallerie- und Infanterieregimentern (Sepoys – eine englische Corruptel des persischen Sipahi, d. h. Reiter, was das türkische Spahi noch bedeutet. Sipahi heißt jetzt Soldat überhaupt. Das Wort ist wahrscheinlich durch die persischen Eroberungszüge in die neueren indischen Sprachen gedrungen) und bei einem Theil der Artillerie; Officiere und Mannschaft aber bei den unregelmäßigen und den verschiedenen Arten von Hülfstruppen. Die [454] Mannschaft der regelmäßigen Regimenter zu Fuß und zu Pferd wird durch Werbung zusammengebracht, und gehört allen Stämmen und Religionen Indiens an. Da einerseits der Sold, nach Landesart bemessen, sehr gut ist, und überdieß nach langer und treuer Dienstzeit eine ganz anständige Pension gegeben wird, andererseits aber dem Eingebornen je länger je weniger Möglichkeit bleibt, bei einheimischen Fürsten in Kriegsdienst zu treten, so haben die Engländer die Auswahl unter der kriegslustigen Mannschaft des Landes. Sowohl der größern Zuverlässigkeit der Leute, als des allgemeinen Ansehens des Heeres wegen sucht man jedoch so viel als möglich nur Männer aus den höheren Kasten und Ständen anzuwerben, und es dienen in den Reihen der Sepoys sowohl Brahmanen und Leute vom Kriegeradel, als Muhamedaner von guter Familie. Die regelmäßigen einheimischen Truppen sind vollkommen auf europäische Art eingerichtet und eingeübt, doch erfordert ihre Behandlung große Umsicht und genaue Kenntniß der Sitten. Während der Eingeborne im Allgemeinen außerordentlich folgsam und geduldig ist, darf eine Verletzung namentlich seiner religiösen Gewohnheiten und Vorurtheile nicht stattfinden, bei Gefahr höchst gefährlichen Aufruhrs oder einzelner Rachehandlungen. Auch macht es natürlich viele Schwierigkeiten, daß die Sepoys sämmtlich verheirathet sind und daß ein Mann aus einer höheren Kaste nur mit seines Gleichen speist, oder das von einem solchen Bereitete ißt.

Die Stärke des indischen Heeres ist nicht immer dieselbe. Abgesehen von der Vermehrung, welche durch die Erwerbung neuer Gebiete oder durch Verträge mit einheimischen Fürsten von Zeit zu Zeit hervorgerufen wird, und wodurch namentlich die Zahl der unregelmäßigen und der Hülfsregimenter immer wächst, wird die Mannschaft in den regelmäßigen einheimischen Regimentern nach Bedürfniß vermehrt oder vermindert. Die Art und die Zahl ist nun nachstehende:

Das Heer von Bengalen besteht, außer den drei oben erwähnten europäischen Regimentern zu Fuß, aus 10 regelmäßigen Reiterregimentern, jedes zu 6 Compagnien (troops) oder 3 Schwadronen; aus 74 Regimentern regulären Fußvolks, zu 6 Compagnien, aus 3 Brigaden reitender und 9 Batterien Fußartillerie (von welchen 9 Compagnien der reitenden Artillerie Europäer und 4 Compagnien Eingeborne sind, von der Fußartillerie aber 24 Compagnien Europäer und 18 Compagnien Eingeborne); aus einem Ingenieurcorps von 125 Officieren und 8 Companien Sappeurs. Außerdem aber werden zu dem bengalischen Heer noch weiter gerechnet: 30 Regimenter unregelmäßige Reiterei[1]; 50 Regimenter oder Bataillone Fußvolk von Hülfstruppen und Unregelmäßigen aller Art; endlich noch 5 Legionen und Contingente, welche aus allen drei Waffengattungen zusammengesetzt sind. Die europäischen Officiere bestehen bei einem regelmäßigen Reiterregiment aus 1 Oberst, 1 Oberstlieutenant, 1 Major, 6 Rittmeistern, 8 Lieutenants, 4 Cornets und einem Mittelstab; bei einem regelmäßigen Fußregiment aus 1 Oberst, 1 Oberstlieutenant, 1 Major, 6 Hauptleuten, 10 Lieutenants, 5 Fähndrichen und dem Mittelstab; bei der Artillerie im Ganzen aus 12 Obersten, 12 Oberstlieutenants, 12 Majors, 72 Hauptleuten, 132 Oberlieutenants und 60 Lieutenants, außerdem aus einem Mittelstab von 49 Köpfen. Bei den unregelmäßigen Truppen ist die Zahl der europäischen Offfciere sehr viel kleiner, und sie besteht in der Regel nur aus 3 Subalternofficieren, von welchen einer den Befehl hat und einer Adjutant ist, und 1 Arzt. Die dem bengalischen Heer zugetheilte Generalität besteht aus 8 Generalen, 27 Generallieutenants und 28 Generalmajors, von welchen aber nur 10 wirklich in Indien im Dienst sind, die übrigen sich in Europa im Urlaub befinden.

Das Heer von Madras besteht, neben ebenfalls drei europäischen Regimentern zu Fuß, aus 8 Regimentern regelmäßiger Reiterei, 52 Regimentern regelmäßigen Fußvolks, 1 Brigade reitender Artillerie, von 4 europäischen und 2 einheimischen Compagnien, und 5 Bataillonen Fußartillerie, zusammen mit 16 Compagnien Europäer und 6 Compagnien Eingeborner, im Ganzen aber mit 7 Obersten, 7 Oberstlieutenants, 42 Hauptleuten, 70 Oberlieutenants, 35 Lieutenants und 29 Officieren des Mittelstabs; endlich aus einem Ingenieurcorps von 75 Officieren und 12 Compagnien Sappeurs. Die Generalität besteht aus 12 Generalen, 17 Generallieutenants, 14 Generalmajors, von welchen jedoch nur 4 in militairischen und 4 in Civildiensten in Indien stehen. Die Officiercorps bei den Regimentern sind dieselben wie in dem bengalischen Heer; unregelmäßige Truppen sind dem Heer von Madras keine zugetheilt.

Das Heer von Bombay besteht, neben den drei Fußregimentern Europäer, aus 3 regelmäßigen Reiterregimentern, 29 regelmäßigen Regimentern Fußvolk, 1 Brigade reitender Artillerie von 4 europäischen Compagnien und 4 Bataillonen Fußartillerie, zusammen mit 8 Compagnien Europäer und 12 Compagnien Eingeborner, im Ganzen aber mit 5 Obersten, 5 Oberstlieutenants, 5 Majoren, 25 Hauptleuten, 50 Oberlieutenants, 25 Lieutenants und 15 Mann Mittelstab, 2 Compagnien Sappeuren und 75 Ingenieurofficieren. Außerdem sind diesem Heere zugetheilt 5 verschiedene unregelmäßige Reitercorps, 1 Marinebataillon und 4 unregelmäßige Bataillone. Die Generalität besteht hier aus 5 Generalen, 13 Generallieutenants und 8 Generalmajors, welche aber sämmtlich im Urlaub sind.

Bei den Truppen der Compagnie ist der Stellenkauf nicht bekannt; das Vorrücken erfolgt, wie in den Armeen der übrigen civilisirten Welt, nach dem Dienstalter und dem Verdienst. Die Zahl der bei den Regimentern wirklich anwesenden Officiere ist durchweg eine viel kleinere als die etatsmäßige, und kann im Durchschnitt höchstens auf zwei Dritttheile der letzteren angenommen werden. Nicht nur sind die Obersten kaum je beim Regiment, indem sie, nach englischer Art, gewöhnlich Generale sind, und als solche dienen oder sich im Urlaub befinden: sondern auch von den übrigen Staats- und Subalternofficieren ist immer eine Anzahl vom Regiment abwesend. Theils sind auch sie beurlaubt nach Europa oder auf Gesundheitsstationen; theils aber werden sie vielfach anderwärts im Dienst verwendet. Das zahlreiche Personal der drei obersten Kriegsverwaltungen, die Adjutantur, vielfache diplomatische oder sonstige politische Beamte bei den einheimischen oder andern asiatischen Höfen, endlich noch gar manche rein bürgerliche Staatsdiener sind Officiere von der Linie, welche in ihren Regimentern bleiben, um vorzurücken und nöthigenfalls in dieselben zurückzutreten. Gerade aus diesen Officieren geht ein großer Theil der vortrefflichen Staatsmänner und Gelehrten der Engländer im Osten hervor. Bei der weiten Entfernung vom Hause und bei der großen Unzuträglichkeit des Klima’s für Europäer, muß die ostindische Compagnie natürlich bedeutende Vortheile bieten, um ein wenigstens 4000 Köpfe zählendes Officiercorps zu gewinnen und vollzählig zu erhalten, und dies vermag sie nur durch gute Bezahlung während des Dienstes, durch Bewilligung großer Urlaubszeiten und durch genügenden Ruhegehalt nach einer nicht allzulangen Dienstzeit. Diese Mittel sind denn nun auch angewendet. Die Bezahlung des indischen Heeres ist, verglichen mit dem europäischen Maßstab, sehr groß, obschon nicht übermäßig, wenn man die Bedürfnisse eines Europäers in Indien und seine gesellschaftliche Stellung in Anschlag bringt. So hat z. B. bei den reitenden Waffen ein Oberst etwa 21,500 fl. rheinisch jährlich, theils an Sold, theils an Zulage verschiedener Art; ein Rittmeister etwa 7500 fl.; ein Cornet über 4000 fl.; bei dem Fußvolk aber ein Oberst über 18,000 fl., ein Hauptmann etwa 5500 fl., ein Fähndrich 2600 fl. Fußartillerie und Geniecorps stehen in der Mitte zwischen beiden. Das Urlaubssystem ist sehr verwickelt; ohne allzu weitläufig zu sein, kann hier nur folgendes bemerkt werden: jeder Officier hat ein Recht auf Urlaub nach Europa, auch ohne daß er durch den Stand seiner Gesundheit dazu genöthigt wäre, und ohne daß die Abwesenheit ihm in seiner Dienststellung, z. B. im Vorrücken oder in der Berechnung der Dienstjahre, schadete – dies jedoch natürlich unter bestimmten Bedingungen und Beschränkungen. So muß z. B. ein Officier 10 Jahre in Indien gedient haben (Krankheitsfälle abgerechnet), ehe er ein Recht auf Urlaub hat. Die Dauer des Urlaubs von da an ist 3 Jahre; nach 20 Dienstjahren 2 weitere Jahre; eine Verlängerung kann von der Direction der Compagnie gewährt werden. Während des Urlaubs erhält der Officier eine hierfür ausgeworfene Bezahlung, welche zwar allerdings das Einkommen in Indien lange nicht erreicht, aber doch immerhin beträchtlich genug ist.

[455] Es erhält z. B. ein Oberst von der Reiterei 1 Pf. St. 12 Sh. 8 D.; bei dem Fußvolk 1 Pf. St. 5 Sh.; ein Hauptmann bei der Reiterei 14 Sh. 7 D.; bei dem Fußvolk 10 Sh. täglich. Nur wenn in 20 Dienstjahren mehr als 2 Jahre, in 25 Dienstjahren mehr als 3 Jahre, in 30 Dienstjahren mehr als 4 Jahre Urlaub genommen worden sind, wird der Ueberschuß an der Pensionszeit abgerechnet. Was endlich die Pension betrifft, so werden nicht nur solche Officiere, welche ihre Gesundheit in Indien verloren haben, je nach der Dienstzeit und Rang, mit Ruhegehalten bedacht, sondern es hat überhaupt ein Jeder das Recht, sich nach 22 Dienstjahren in Indien, unter welchen 3 Urlaubsjahre sein dürfen, mit dem vollen lebenslänglichen Gehalt seiner Stelle zurückziehen, wobei aber natürlich nur der Sold, nicht auch die Zulagen der verschiedenen Art berechnet werden.

Der Eintritt in den Dienst der Compagnie ist jetzt nicht mehr eine bloße Sache der Begünstigung, sondern muß durch Nachweis der Befähigung erreicht werden. Es sind aber zwei Wege dazu offen: entweder Eintritt in die Cadettenschule zu Addiscombe. in welcher der junge Mensch gegen eine Vergütung von 100 Pfund jährlich zwei Jahre lang bleiben kann, und dann, je nach dem Erfolg der Prüfung, in die begünstigteren Waffen oder in den gewöhnlichen Dienst eintritt, oder aber die Erstehung einer, freilich nicht sehr schwierigen, Prüfung ohne vorherigen Aufenthalt in der Anstalt. Nach L. v. Orlich bestand im Jahre 1843 die ganze reguläre indobritische Armee aus 264,100 Mann, unter 820 britischen Stabs- und 5500 Subalternofficieren, ungerechnet ungefähr 300,000 Mann, welche mit Luntenflinten, Schwertern und Schilden bewaffnet sind, und der Finanz-, Polizei- und Justizverwaltung dienen. Seit jener Zeit sind aber nach Einverleibung des Pendschab mehrere Sikh-Regimenter hinzugekommen, desgleichen einige Regimenter von dem Gebirgsstamme der Gurkas.




Ein hochherziger Mann aus dem Volke.
Von Ludwig Storch.
(Fortsetzung.)
Brief an Mozart’s Wittwe. – Stumpff besucht Beethoven. – Sein königliches Geschenk an Beethoven. – Karl Maria von Weber. – Beethoven’s Antwort. – Der letzte Brief an Beethoven. – Stumpff unterstützt Mozart’s Schwester. – Stumpff besucht noch einmal Goethe.


Stumpff’s Antwort auf den Brief von Mozart’s Wittwe:
Wien, 4. October 1824. 
An Frau von Nissen in Salzburg.
Madame!

Vor allem andern muß ich erst um Verzeihung bitten, daß ich Ihren Brief nicht eher beantwortet habe, und besonders, weil Sie mich ersuchten, solches mit umgehender Post zu thun, ist es um so weniger zu entschuldigen.

Ich könnte wohl manches angeben, das mich weniger schuldig erscheinen ließe, doch die Hauptsache war ein sehr empfindlicher Verlust, den ich durch den Bankerott der Bänker Marsh Fauntleroy[WS 1] u. Comp.
  1. Die irregular horse der indischen Armee sind disciplinirte und organisirte Regimenter, gleich den übrigen der Armee. Ihre Namen haben sie lediglich davon, daß sie die Kleidung der Eingebornen tragen. Es ist (heißt es in einem Artikel des „Preuß. Wochenblattes“) Thatsache, daß die irreguläre Cavallerie besser ist als die reguläre. Die Ausrüstung und Bewaffnung trägt einiges dazu bei: der einheimische Tulwar soll besser sein, als der britische Säbel; auch können sich die Eingebornen weder mit den europäischen Satteln, noch mit den langgeschnallten Steigbügeln befreunden: sie sind gewohnt, beim Kampfe in den Bügeln zu stehen. Den irregulären Truppen hat man ihre Sitte gelassen.
in London erlitten, bei welcher Firma ich vor meiner Abreise die Summe von 500 Pfund Sterling zur Bestreitung aller nöthigen Ausgaben, die mein Haus während meiner Abwesenheit erforderte, deponirt hatte. Dieser Unglücksfall ist für mich ein harter Schlag, den ich nicht leicht wieder zu verwinden vermögend sein werde.

Und nun danke ich Ihnen für Ihren vertrauensvollen Brief, worin Sie mich sowohl Ihrer Freundschaft als auch der Ihrer Frau Schwägerin, Mozart’s geliebter Schwester, und der des Herrn von Nissen versichern und solches sogar eigenhändig bekräftigen.

Sie können kaum glauben, wie sehr mich das erlebte Unglück verstimmt hat; es hat meinen Reiseplan geändert und nöthigt mich, ohne Verzug nach London zurückzukehren, ohne, wie ich hoffte, meine Freunde in Gotha wieder zu begrüßen. Nie werde ich vergessen können, was mir in dem so lieben Salzburg zu Theil geworden. Ich habe den Boden betreten, auf welchem der große Tondichter gewandelt; ich habe das Haus und die Kammer besucht, in welcher der Liebling der Musen zuerst das Licht der Welt erblickte. Nochmals danke ich Ihnen für alle Freundschaft, die Sie mir bei meiner Anwesenheit erwiesen, und nehme mir noch die Freiheit, eine schon damals geäußerte Bitte zu wiederholen, nämlich die kurze mit unsterblichen Werken bezeichnete Bahn Mozart’s mit Liebe zu beleuchten, wozu Sie einen Schatz von Briefen und andern Materialien in Händen haben. Ich und viele Tausende sehnen sich mit Ungeduld nach einer Biographie des Meteors Mozart. [1]

Mögen folgende Verse, die ich, von Mozart’s unsterblichem Genius begeistert, gedichtet und unter einen Kupferstich des großen Meisters geschrieben (er hängt in goldenem Rahmen in meinem Zimmer und ist mir ein Heiligthum), mögen diese Verse Sie, verehrte Frau, und Herrn von Nissen mahnen, bald mit Liebe an das Werk zu gehen; und wenn Sie meiner gereimten Herzensergießung die Ehre eines Plätzchens vergönnen wollten, so würde dies mir als Beweis dienen, daß mein Ersuchen nicht fruchtlos geblieben. Dem Unternehmen Heil und Segen wünschend, habe ich die Ehre etc.

J. A. Stumpff. 

Diese Reise führte unsern deutschen Gefühlsschwärmer auch in die bescheidene Wohnung Ludwig van Beethovens in Mödling bei Wien, und hier beugte er sich abermals, seine heiligen Empfindungen in Huldigungen ausströmend, vor der Größe des deutschen Genius. Wie theuer ihm der einsame große Tonschöpfer wurde, dessen Ohr sich dem Reiche der Töne verschlossen hatte, beweist, wie angelegentlich er sich bei der nächsten Umgebung des Meisters erkundigte, womit diesem wohl eine rechte Herzensfreude zu machen sei. Da erfuhr er denn: Beethoven habe längst den Wunsch gehegt, dessen Erfüllung aber bei der Seltenheit und Kostspieligkeit des Gegenstandes kaum je zu erwarten sein dürfte, Händels sämmtliche Werke zu besitzen. Kaum war Stumpff in seine Werkstatt zurückgekehrt, als er keine Mühe und keine Kosten scheuete, die berühmte Arnold’sche Prachtausgabe von Händel’s vollständigen Werken, deren Platten längst vernichtet waren, aufzutreiben. Es dauerte lange, eh’ es ihm gelang. Aber im Jahre 1826 sandte er diese Prachtausgabe in vierzig Foliobänden in kostbarem Einband an seinen Freund, den Pianofortefabrikanten H. Streicher Sohn in Wien mit der Bitte, „sie dem größten lebenden Tondichter, Herrn [456] Ludwig van Beethoven, als ein Zeichen tiefster Hochachtung und innigster Verehrung zu überreichen. Die Uebergabe geschah mit Feierlichkeit und warf auf die trüben Tage des gewaltigen Tondichters – er lag schon krank auf dem Schmerzenslager – den verklärenden Lichtstrahl der Freude. Dieses wahrhaft „königliche Geschenk“, wie Beethoven in seinem Dankbriefe es nennt, machte in Wien Aufsehen, so daß die Zeitungen davon sprachen. Einer Notiz in Stumpff’s Papieren, die mir bei der Ausarbeitung dieser Skizze zur Hand waren, zu Folge hat ihm dieses seltene Notenwerk mit Einband und Transport bis Wien, 62 Pfund Sterling gekostet. In Betracht, daß Stumpff nicht reich war, daß er erst kurze Zeit vorher durch den Fall seines Banquiers 500 Pfund verloren hatte, für ihn ein harter Schlag, wie er offen bekennt, daß seine unbegrenzte Wohlthätigkeit immer offene Hand hielt: setzt dieses dem deutschen Genius dargebrachte Huldigungsgeschenk in das größte Erstaunen. Welcher Fürst, welcher reiche Privatmann in Deutschland würde wohl dem armen kranken Beethoven ein Geschenk für vierhundert Thaler gemacht haben? Stumpff arbeitete und entbehrte, um dem Koryphäen der deutschen Kunst frohe Stunden zu bereiten. Mit seiner fleißigen Hand hat er erworben, was er mit der zartesten Aufmerksamkeit und der rührendsten Bescheidenheit auf den Altar des Vaterlandes als Opferspende niederlegte. Es war eine reine Gabe. Aber Stumpff ließ es dabei nicht bewenden; er that noch mehr für Beethoven, wie wir bald hören werden.

Wir dürfen nicht vom Jahre 1826 scheiden, ohne der trostreichen Liebesthat zu gedenken, womit Stumpff einem andern bedeutenden deutschen Tondichter die letzten Lebenslage schmückte. Eine mir darüber gemachte Mittheilung lautet:

„Ich hatte des genialen Karl Maria von Weber Bekanntschaft in Dresden gemacht, wo ich ihn 1824 aufgesucht, um ihm meine Ehrfurcht zu bezeigen. Als nun um diese Zeit der Schöpfer des „Freischütz“ von den Direktoren des Coventgardentheaters in London den Auftrag erhalten hatte, eine Oper zu componiren, wozu ihm das englische Textbuch eingesandt wurde, kam er im Februar 1826 mit seiner fast fertigen Oper „Oberon“ nach London, und suchte mich auf. Ja, er nahm seine Wohnung in Great Portlandstreet, dem Hause, welches ich bewohnte, gerade gegenüber, um, wie er sich gütig ausdrückte, mich desto öfter zu sehen und sich mit mir zu unterhalten. Er zeigte mir eine Freundschaft, die mich tief rührte, und mich nur noch mehr anspornte, ihm in aller Weise zu dienen und zu helfen, und in der That sind wir in diesen vier Monaten bis zu seinem Tode viel zusammen gewesen, und ich lernte Webern als Menschen eben so hoch verehren, wie ich ihn bereits als Künstler schätzte. Auf seine Anfrage, wie mir sein Freischütz gefallen, versprach ich schriftliche Antwort.

Wie nun meine tiefsten und schönsten Gefühle, wenn ich sie in Gedankenform von mir geben will, fast immer zu Gedichten werden, mögen diese nun so unbeholfen sein, wie sie wollen, so strömte ich auch jetzt die von Weber’s herrlicher romantischer Tondichtung empfangene Inspiration in gebundener Rede aus.“

Wiederum mit der zartesten Aufmerksamkeit legt Stumpff dem Gedichte und dem freundlichen aufmunternden Briefe ein werthvolles Geschenk bei, was sehr zur rechten Zeit kam, da sich Weber damals in Geldverlegenheit befand. Er verstand es, gebend zu erheben, wie wenig Menschen. Unter Stumpff’s Papieren fand ich Weber’s Antwort.

„Welch großes Vergnügen haben Sie mir gemacht, mein werther Herr und Freund, durch Ihre geist- und gemüthvollen Verse und Ihr freundliches Geschenk! Empfangen Sie meinen besten und herzlichsten Dank dafür!

Gewiß ist es der schönste Lohn des Künstlers, sich von rein empfindenden Menschen erkannt und verstanden zu wissen. Mögen Ihre guten Wünsche in Erfüllung gehen, und ich bald wieder die Meinigen umarmen! Gedenken Sie auch in der Ferne freundlichst Ihres herzlichst dankbaren und Ihnen ergebenen Freundes

Carl Maria von Weber.

London, 11. Mai 1826.

„Ach, nur vierundzwanzig Tage später,“ fährt Stumpff fort, „wurde Weber früh todt in seinem Bette gefunden. Die Trauerbotschaft wurde mir schnell hinterbracht, und ich eilte sogleich über die Straße in den Raum, wo ein deutscher Genius erloschen war. Mit Wehmuth betrachtete ich lange die edlen, gelassenen Züge, die immer noch die Spuren des Geistes trugen, der doch nicht mehr in ihnen wohnte. Im Namen Deutschlands sagte ich dem Geschiedenen ein „Fahrwohl!““

Stumpff’s Pietät gegen die schöpferischen Genien seines deutschen Vaterlandes sollte im folgenden Jahre einen noch weit schmerzlichern Verlust erleiden. Zu Anfang desselben erhielt er von Beethoven folgenden Brief:

„Sehr werther Freund!

Welches große Vergnügen mir die Uebersendung der Werke von Händel, die Sie mir zum Geschenk machten – für mich ein königliches Geschenk! – verursacht hat, dieses vermag meine Feder nicht zu beschreiben. Man hat es sogar in die Zeitungen gebracht, welches ich Ihnen hier mittheile. Leider liege ich schon seit dem 3. December an der Wassersucht darnieder. Sie können denken, in welche Lage mich dieses bringt. Ich lebe gewöhnlich nur von dem Ertrage meiner Geisteswerke, und muß für mich und meinen Karl[2] Alles davon beschaffen.

Leider seit drittehalb Monaten war ich nicht im Stande, eine Note zu schreiben. Mein Gehalt beträgt nur so viel, daß ich davon den halbjährigen Zins bestreiten kann. Dann bleiben einige hundert Gulden Wiener Währung übrig.[3] Bedenken Sie noch, daß sich das Ende meiner Krankheit noch gar nicht bestimmen läßt, und wann es endlich möglich sein wird, gleich wieder mit vollen Segeln auf dem Pegasus durch die Lüfte zu segeln! Arzt und Chirurgus, Alles muß bezahlt werden!!

Ich erinnere mich recht wohl, daß die philharmonische Gesellschaft in London vor mehreren Jahren ein Concert zu meinem Besten geben wollte. Es wäre für mich ein Glück, wenn sie diesen Vorsatz von Neuem fassen wollte; ich würde vielleicht aus aller meiner bevorstehenden Noth doch noch gerettet werden können. Ich schreibe daher an Herrn Smart[4], und können Sie, werther Freund, etwas zu diesem Zwecke beitragen, so bitte ich Sie nur, sich mit Herrn Smart zu vereinigen. Auch an Moscheles[5] wird deshalb geschrieben, und in Vereinigung aller meiner Freunde glaube ich doch, daß sich in dieser Sache etwas für mich wird thun lassen.

Rücksichtlich der Händel’schen Werke für Se. kaiserl. Hoheit Erzherzog Rudolf kann ich bis jetzt noch nichts Bestimmtes sagen, ich werde aber in wenig Tagen an ihn schreiben, und ihn darauf aufmerksam machen.

Indem ich Ihnen nochmals danke für das herrliche Geschenk, bitte ich zugleich mir zu befehlen; wo ich Ihnen hier in etwas dienen kann, thue ich’s von Herzen gern. Meine Ihnen hier geschilderte Lage lege ich Ihnen nochmals an ihr menschenfreundliches Herz, und indem ich alles Schöne und Gute wünsche, empfehle ich mich Ihnen bestens.

Hochachtungsvoll
Ihr Beethoven.

Wien. den 8. Februar 1827.

Stumpff an Beethoven.
London, 1. März 1827

Sehr verehrter Herr und Freund!

Wie sehr mich die Nachricht durchbebt und mit Schmerz durchdrungen, daß Sie an einer langwierigen Krankheit leiden, die Sie mir nun selbst mittheilen, kann ich mit Worten nicht ausdrücken. Schon seit der ersten Nachricht davon, die ich durch meinen Freund Streicher erhielt, vergingen wenige Tage, wo ich nicht mit dem größten Antheil an meinen kranken Freund in Wien gedacht. Oft stehe ich im Geiste in der Stube an des leidenden Freundes Krankenbette und frage ängstlich den Arzt, wie es mit dessen Besserung stehe, und möchte ihm so gern die Versicherung abnöthigen, daß die Krankheit nicht gefährlich sei und daß der Kranke bald wieder hergestellt sein werde.

Ja, mein innigst verehrter Freund, könnten herzliche und heiße Wünsche eines Freundes Ihre Genesung bewirken, es würden die Herzen ihrer Freunde und Verehrer bald einer neuen Symphonie sich [457] zu erfreuen haben, und heißer Dank würde von so vielen Zungen für die Genesung ihres so hochverehrten Tondichters gen Himmel steigen zu dem, der allein helfen kann und der seine Geschöpfe väterlich durch unerforschte Wege dem von ihm gesteckten Ziele entgegenführt.

Daß Ihnen die zugesandten Werke von Händel große Freude gemacht haben, ist Lohn genug für mich, weil es ja meine einzige Absicht war, eine solche zu bewirken.

Ihren Wünschen zufolge habe ich ohne den geringsten Zeitverlust die Herren Smart und Moscheles für die gute Sache gewonnen, als auch die Directoren der philharmonischen Gesellschaft davon benachrichtigt. Auf meine dringende Vorstellung wurde ohne Verzug darüber berathschlagt, und die Folge war (weil die Veranstaltung eines Concertes zu viel Zeit erfordere), daß für’s Erste eine Summe von hundert Pfund Sterling an Sie remittirt werden solle, und Moscheles erbot sich, solches durch das Rothschild’sche Haus hier an das Haus des Barons Ekeles in Wien zu spediren, durch welches Sie nach Bedürfniß Gebrauch machen können. Das ganze Geschäft ward von mir und Moscheles mit aller Emsigkeit besorgt.

Endlich danke ich Ihnen recht herzlich für ihr gütiges Anerbieten, mir in Wien nützlich sein zu wollen, und indem ich Sie an Ihr mündliches Versprechen, mich mit einigen von ihrer lieben Hand geschriebenen Noten zu beglücken, erinnere, habe ich die Ehre zu verharren mit dem herzlichsten Wunsche für ihre baldige Genesung

Ew. Wohlgeboren
treu ergebenster Freund und Diener
J. A. Stumpff.

Frau Wilhelmine Schröder-Devrient (jetzt Frau von Bock), die große Schülerin des großen Meisters, die als Fidelio seinen herrlichsten Gedanken mit einer der seinigen gleich kühnen Genialität und ergreifender Begeisterung verkörpert und der ich nach einer solchen Vorstellung Beethoven’s rührenden Brief und Stumpff’s herrliche Antwort darauf vorlas, versicherte mich, die Hülfe sei zu spät gekommen; Beethoven habe bereits mit dem Tode gerungen, als ihm der Baron Ekeles das Geld habe einhändigen wollen. Er starb am 26. März.

Stumpff fuhr auch nach dem Tode des hochverehrten Freundes fort, das Andenken desselben zu verherrlichen. Als er 1824 von ihm schied, schenkte Beethoven ihm sein lithographirtes Portrait. „Ah!“ rief Stumpff, „dieses Bild ist Ihrer unwürdig. Ich werde in London ein besseres machen lassen.“ Er hielt Wort, er ließ von einem der berühmtesten Lithographen Londons auf seine Kosten ein großes ausgezeichnet schönes Portrait des „Meisters der Töne“ anfertigen, welches 1835 erschien.

Das Jahr 1829 ist in Stumpff’s Leben bezüglich seiner Pietät für deutsche Größe wieder merkwürdig. In den ersten Monaten desselben erhielt er einen sehr freundschaftlichen Brief von der Frau Etatsräthin von Nissen in Salzburg, worin sie ihm eröffnete, daß Mozart’s geliebte achtundsiebenzigjährige Schwester Maria Anna, Frau von Sonnenburg, in gedrückten Verhältnissen lebe und ihn bat, etwas für die arme Greisin zu thun. Den Brief der Frau v. Nissen hat mir Stumpff nicht mitgetheilt. „Er ist zu schmerzlich für mich gewesen,“ schreibt er mir, „und darf auf keinen Fall veröffentlicht werden.“ Wie zart ist die Discretion des edlen Mannes! Dagegen erhielt ich eine Abschrift des Briefes, welchen er mit einem Wechsel von 63 Pfund Sterling an Frau von Sonnenburg schickte, nebst dem Antwort- und Dankschreiben der Frau von Nissen.

An Frau von Sonnenburg, Mozart’s einzige Schwester.

London, 24. Juni 1829.

Theuere Freundin!

Gott gebe, daß dieser Brief nebst Inlage Sie gesund antreffe und Ihnen erfreulich sein möge! Der Ueberbringer desselben ist Herr N., ein Tonkünstler, besonders stark auf der Orgel, und ein großer Verehrer der unsterblichen Schöpfungen des Lieblings der Musen, Wolfgang Amadeus Mozart’s. Er ist auf einer Kunstreise begriffen und wünscht die persönliche Bekanntschaft der lebenden Musikkünstler zu machen. Wenn Sie, Madame, ihn einer geneigten Aufnahme würdigen wollten, so würden Sie mich sehr verbinden.

Der kurze Aufenthalt in dem mir so lieben Salzburg wird mir stets im Gedächtniß bleiben. Oft rufe ich mir die so flüchtig enteilten Stunden in die Seele zurück, wo ich durch Ihre Güte das Haus und die Kammer betrat, wo der große Tonpoet geboren ward, und mir dadurch ein von Jugend an gehegter Wunsch verwirklicht wurde. Nicht ohne Rührung denke ich an den Empfang, mit dem Sie mich beehrten. Wie oft stelle ich mir Sie, Madame, im Geiste in der Gestalt eines durch Leiden geprüften Wesens vor, das nun bereit ist, vor seinem Schöpfer und liebenden Vater zu erscheinen und den schönen Lohn der Treue aus seiner Hand zu empfangen. Doch wohin gerathe ich? Der Zweck dieses Briefes ist ja nur, Sie zu ersuchen, den Betrag des eingeschlossenen Wechsels von 63 Pfund Sterling von mir und einigen meiner Freunde anzunehmen als ein Zeichen der besonderen Hochachtung, die wir für Sie und den unsterblichen Mozart hegen. Sollte diese kleine Gabe vermögend sein, Ihnen einige Stunden zu versüßen, so würde es für mich besonders erfreulich und ein hoher Genuß für mein Herz sein.

Würden Sie mich mit einer geneigten Antwort beehren, so würde es mich und meine Freunde sehr erfreuen. Indessen habe ich die Ehre etc.

J. A. Stumpff.
Frau von Nissen an Stumpff.
Salzburg, 31. Octbr. 1829.

Mein hochgeschätzter Freund!

Heute, am 31. October, am Namenstage meines unvergeßlichen Mozart, wurde meine geliebte Schwägerin begraben. Es war mir äußerst rührend, von ihr noch zwei Tage vor ihrem Tode den Auftrag zu bekommen, welchen sie mir mit so vielem Dankgefühle gab und der darin bestand, mich zu beeilen, Ihnen, mein theurer Freund, ihr Dahinscheiden alsbald zu melden, und Ihnen vielmals für die großmüthige Gabe, welche Ihr Freund, Herr N., überbrachte, ihren innigsten Dank abzustatten. Ach, sagte sie, wenn ich’s nur selbst thun könnte! Sag’ auch unserm edlen Freunde Stumpff, daß seine Großmuth mir die Demüthigung erspart hat, Schulden zu machen, und daß ich nun, ohne Schulden zu hinterlassen, ruhig sterben kann. Auch lasse ich meinen edlen Stumpff bitten, allen denjenigen, die er dazu bewegt hat, beizutragen, in meinem Namen aufs herzlichste zu danken.

Dies waren ihre Worte, die ich mit gerührtem Herzen und Thränen im Auge niederschreibe. Und ich bitte, diese Trauernachricht Ihrem Freunde N. mitzutheilen. Ich werde Ihnen bald von meinen eigenen Angelegenheiten schreiben etc.

Constanze von Nissen.

Diese Angelegenheiten der Frau Etatsräthin mögen eben auch nicht die erfreulichsten gewesen sein. Ihre ferneren Briefe hat mir deshalb Stumpff’s Zartsinn als nicht für die Veröffentlichung geeignet vorenthalten und wahrscheinlich ganz vernichtet. Genug, einer Andeutung zufolge waren sie neue indirekte Anweisungen an seine nie ermüdende Großmuth. Wie er, dessen Casse wohl, dessen Liebe aber nie versiechen konnte, sie honorirt hat, weiß ich freilich auch nicht anzugeben.

Während Stumpff’s Liebesgabe die letzten Freudenstrahlen auf das erbleichende Gesicht der würdigen Matrone zauberte, die einst als Kind an des berühmten Bruders, des Wunderknaben Wolfgang Amadeus, Seite am Clavier in Wien, Paris und London bewundert worden war, stand er selbst, der anspruchslose gottfreudige Geber, mit andern Huldigungsgeschenken, wie er sie darzubringen pflegte, wieder an der Schwelle des ihm so theuren Goethehauses in Weimar. Jetzt wird er endlich vom alten Dichterfürsten als Freund empfangen und behandelt. Jetzt steht Goethe nicht mehr mit jener Steifheit, die den Ritter Lang so aufbrachte, vor „seinem werthen Landsmann“; jetzt sitzen die beiden Herren auf dem Sopha, und Goethe nennt den glücklichen Stumpff mit Nachdruck „Freund“; jetzt bittet der alte Dichter den lieben Gemüthsmenschen, ihn, so lange er in Weimar verweilen werde, jeden Abend zu besuchen, mit der Versicherung, daß dies ihm sehr angenehm sein werde.

Unserm Stumpff konnte nichts erwünschter sein; er war eine Woche lang alle Abende bei Goethe.

(Schluß folgt.)
[458]
Aus meinem Bienengarten.
Von Moritz Kloß.
Nr. 2.

Im Bienenstocke ist die Königin stets von einem Gefolge umgeben, das sich ihren Winken und Befehlen hold und gewärtig beweiset. Sie ist so fruchtbar, daß sie in einem Jahre wohl an 40,000 Eier legt. Bei der fortwährenden Regeneration des Bienenvolkes hängt davon viel ab. Die Königin braucht ebenso ein starkes und gesundes Volk, wie dieses eine gesunde Königin. Die Verbindung beider ist so innig, daß sich ihr Leben gegenseitig bedingt. Stirbt die Königin, so bemächtigt sich des ganzen Volkes Angst und Schrecken; allgemeine Muthlosigkeit stellt sich ein und die Arbeit stockt. Ja sogar in eigenen Trauer- und Leichengesängen drücken die ihrer Führerin beraubten Thierchen ihre Stimmung aus; beim Anklopfen läßt der weiserlose Stock einen langen forthallenden ungewöhnlichen Klageton hören, während der gesunde Stock dabei ein sogleich wieder aufhörendes Aufbrausen von sich gibt. Sind noch frisch gelegte Eier von höchstens drei Tagen her vorhanden, so umbauen die klugen Bienen sofort einige derselben mit Königszellen und es wird der Stock wohl noch erhalten. Geschickte Bienenwirthe setzen auch wohl bereit gehaltene Königinnen künstlich ein. Sonst aber geht das verwaiste Volk rettungslos seinem Untergange entgegen, es arbeitet nicht mehr, stirbt ab und verfliegt sich nach und nach, wenn nicht schon früher die Raubbienen ihm den Garaus machten.

Die natürliche Vermehrung der Bienencolonieen geschieht durch einen interessanten Act, das sogenannte Schwärmen, welches dem Bienenvater die meiste Freude macht.

Die warme Witterung und die reiche Honigtracht haben auf das Ausbrüten junger Bienen günstig gewirkt, so daß die Colonie stark bevölkert wird. Etwa sechs Wochen nach Beginn der Honigtracht kommen auch die Drohnen zum Vorschein, denen beim Ausbrüten junger Bienen, wie junger Königinnen, wichtige Functionen zuzukommen scheinen. Sie übernehmen wahrscheinlich für die zur Arbeit nöthigen Arbeitsbienen das langweilige Geschäft des Erwärmens der Bienenbrut, denn außerdem werden sie als Schmarotzer angesehen, die sich an den wärmsten Stellen im Stocke zusammenhocken, den besten Honig verzehren und den Stock nur selten und auf kurze Zeit verlassen, jedoch nur zur wärmsten Tageszeit und nicht der Arbeit, sondern des Vergnügens wegen. Deshalb singt auch Hesiod von ihnen:

„Der ist Göttern verhaßt und Sterblichen, welcher ohn’ Arbeit
Fortlebt, gleich an Muthe den unbewaffneten Drohnen,
Die der emsigen Bienen Gewürk aufzehren in Trägheit,
Nur Mitesser.“

Wenn die Drohnen in volkreichen Stöcken sich zeigen, ist auch bald ein junger Schwarm zu erwarten. Bei der Masse der eingesammelten Vorräthe und der Bevölkerung, wird es den Bienen zu warm und zu eng im Haus; sie lagern oder hängen in großen Trauben stark brausend vor dem Flugloche, was der Bienenwirth „Vorliegen“ nennt.

„Es wachsen die Räume, es dehnt sich das Haus.“

Der schwarmlustige Stock hat schon 16–17 Tage vorher Königszellen angesetzt, und wenn die jungen Königinnen ausgeschlüpft sind, so kann der in gespannter Erwartung harrende Bienenvater am nächsten sonnenklaren warmen Tage um die Mittagszeit sicher auf Abzug eines Schwarmes rechnen. Je näher dieser Augenblick kommt, desto ruhiger werden die vorliegenden Bienen, die mit Höschen vom Felde Kommenden gehen nicht wie gewöhnlich eiligst in die Wohnung, sondern gesellen sich zu den vorliegenden. Auf einmal erheben sich einige und immer mehr und mehr, die in engen Kreisen hastig um das Flugloch schwärmen, bis der ganze Haufe sich erhebt und die übrigen gleich einem Wasserstrahle eiligst aus dem Flugloche herausstürzen, eine über die andere hinpurzelnd. Die abfliegenden Bienen erheben sich wie eine Wolke in die Luft, fast die Sonne verdunkelnd, und geben bei ihrem Hin- und Herschwärmen einen eigenthümlichen weithin hörbaren freudigen Ton, den Schwarmton oder Schwarmgesang von sich. Wohl acht Minuten lang dauert dieser fröhliche Aufzug von 10–15,000 Bienen; dann zeigt sich ein neues Schauspiel. Am Aste eines nahen Baumes oder Strauches bildet sich ein dichter faustgroßer Haufen von Bienen, denen sich immer mehr zugesellen, bis sich alle schwärmenden Bienen hier dicht in eine große schwarze sackartig herabhängende Traube zusammengezogen haben, still und ruhig ihr weiteres Geschick erwartend, ihre Königin mitten unter ihnen. Der Bienenvater ist bald, mit Bienenhaube und Handschuhen gewappnet, bei der Hand und besprengt den Schwarm mit einem Wasserwedel, damit er sich noch fester zusammenzieht. Dann holt er einen leeren Bienenkorb herbei, stellt ihn unter den Schwarm und kehrt mit geschickter Hand den Bienenknäuel schnell hinein; wenn dieser an einem freien Aste hängt, braucht er nur kräftig darauf zu schlagen und der ganze Schwall von Bienen fällt laut aufbrausend in sein neues Asyl, das auf eine Bank gestellt wird. Hier zeigt es sich bald, ob bei diesem Einschlagen die Königin mit gefaßt wurde, denn dann ziehen sich die aufgeregten Bienen bald zusammen und am Flugloche zeigen sich die bekannten Trommler. War die Königin nicht mit eingeschlagen, so zieht das ganze Volk bald wieder aus und setzt sich von Neuem an. Nach glücklich vollbrachtem Einfassen kann der neue Stock sogleich auf seinen neuen Standort gebracht werden, wo er ohne Weiteres seine gewohnte Arbeit aufnimmt. Wohlweislich nehmen die klugen Thierchen beim Schwärmen aus dem Mutterstocke auf drei Tage Proviant und soviel Material mit, daß sie davon den Grund zu ihrem neuen Hause legen können; nach drei Tagen schon sieht man vier bis sechs nagelneue hellblitzende Wachsscheiben.

Ohne menschliche Hülfe und Pflege würde der junge Schwarm nach einiger Zeit von seinem Sammelorte wieder aufbrechen, um selber in einer Baumhöhle der Wiesen oder Wälder sich ein neues Quartier einzurichten. Zu diesem Zwecke sind sogar vorher einige sogenannte Spurbienen als Fourier-Schützen ausgesandt worden, um eine passende Stelle auszumitteln. Dort geht er freilich oft schon im ersten Herbste oder Winter zu Grunde, oder wird aufgefunden und mit vieler Mühe aus dem occupirten Baumloche in einen Korb getrieben. Daß die Honigbienen bei uns wild in den Wäldern leben und sich vermehren, ist selten bemerkt worden.

Der erste Schwarm oder Vorschwarm ist der beste und stärkste; drei, sieben oder neun Tage später folgen auch wohl noch kleinere Nachschwärme, die beim Ausziehen viel unruhiger sind und beim Einschlagen oft drei oder vier Mal wieder ausziehen. Die Bienen ziehen nämlich für alle Fälle mehrere Königinnen auf, die dann mit dem Nachschwarme ausziehen. Ehe sich aber das Volk für eine derselben entscheidet, entsteht eben jene schwankende Unruhe und das unstäte Wesen der Nachschwärme. Die nun überflüssigen Königinnen werden nun unbarmherzig verstoßen oder getödtet. Jungfernschwärme, d. h. solche, welche wieder von einem Schwarme in demselben Sommer ausgestoßen werden, sind sehr selten. Um Johanni ist bei uns die gewöhnliche Schwarmzeit. Die Bienenväter sehen ein zeitiges Schwärmen sehr gern, denn dann kann sich das junge Volk noch mit den nöthigen Wintervorräthen versehen, und man ist nicht genöthigt, mit künstlichem und kostspieligem Futter nachzuhelfen. Daher sagt auch ein alter Knittelvers:

Ein Schwarm im Mai,
Gilt ein Fuder Heu;
Ein Schwarm im Jun’,
Ein fettes Huhn;
Ein Schwarm im Jul’,
Kein’ Federspul’.

Je nach der reichen Flora einer Gegend gewährt auch die Bienenzucht reichere Vortheile. Wo im Frühjahr Raps- und Esparsett-Felder blühen, im Sommer viel Linden und im Spätsommer Haidekorn und Haide (Erica), da haben die Bienen ihr gutes Auskommen. Wo das aber nicht zutrifft, da suchen sich die Bienenwirthe durch die ganz zweckmäßige Methode einer wandernden Bienenzucht zu helfen. Die Thalbewohner bringen z. B. ihre Bienen nach der Heuernte in die Waldgegend, wo die Haide noch lange in Blüthe steht. So kann die Honigtracht um einen bis zwei Monate verlängert werden. Im Herbste holt man die honigschweren Stöcke, die oft 60 und 70 Pfund wiegen, wieder zurück. In gleicher Weise läßt der Berg- und Waldbewohner seine Bienen im zeitigen Frühjahre die Rapsblüthe in der Thalgegend genießen.

Nach der Schwarmzeit wird es stiller im Bienengarten. Die [459] wohlgeordneten Colonieen gehen ruhig ihrer Arbeit nach, und nur dann und wann geben sie auch der Freude Raum, indem sie förmliche Rund- und Freudentänze anstellen. Bei ruhiger warmer Witterung bemerkt man nämlich öfter, meist in den Nachmittagsstunden, vor dem Flugloche eine freudige Bewegung unter dem Bienenvolke. Viele tummeln sich unter munterem Gesumme, in größeren oder kleineren Kreisen schwärmend, wacker umher, während sich auch die Zahl der Freudentrommler am Flugloche selbst bedeutend vermehrt hat und lustig ihren Wirbel schlägt. Etwa zehn Minuten lang dauert diese Erscheinung, von den Bienenwirthen „Vorspielen“ genannt; dann wird es wieder still. Interessant ist es, wenn auf einem starken Bienenstande ein Stock nach dem andern dieses lustige Spiel beginnt, oder alle zugleich vorspielen. Diese auffällige Erscheinung mag Plinius gemeint haben, wenn er seinen Römern von den gymnastischen Uebungen der Bienen erzählte. Einige Neuere haben gemeint, daß während des Vorspielens die Königin ihren Ausflug halte; es scheint aber das Vorspielen keinem anderen Zwecke zu dienen, sondern als ein wirkliches Spiel um sein selbst willen zu bestehen, wie es bei den meisten gesellig lebenden Insecten vorkommt.

Am Schlusse der Herbsttracht zeigt unser Bienenstand noch eine merkwürdige Erscheinung, die der Drohnenschlacht. Die Drohnen werden entbehrlich, da das Brutgeschäft nicht mehr so umfänglich betrieben wird, die Arbeitsbienen auch nun selbst mehr Zeit haben, die junge Brut zu erwärmen. Deshalb treibt man die schmarotzenden Müßiggänger förmlich aus.

 „In Heerschaar
wehren sie ab die Drohnen, das träge Vieh, von den Krippen,“

heißt es ganz richtig bei Virgil, denn die Bienen verdrängen die Drohnen zunächst von den Honigwaben und suchen sie durch Hunger zu ermatten, bis ein allgemeines Schlachten und Würgen eintritt. Zwei oder drei Bienen fallen über eine Drohne her, beißen sie, häufig auf ihr reitend, zum Stocke hinaus oder tödten sie durch Stiche. Die armen gedrängten lautsummenden Drohnen, denen jedes Mittel der Vertheidigung fehlt, müssen so Alles über sich ergehen lassen; dicht geschaart liegen sie als Leichen auf dem Schlachtfelde vor dem Bienenhause.

Die Biene hat ihre argen Feinde, gegen die sie sich wacker mit Beißen und Stechen zu wehren weiß. In ihren eigenen vier Pfählen wird sie am gefährlichsten bedroht durch einen recht heimlichen und tückischen Feind, die Wachsmotte, einen kleinen Dämmerungsfalter mit graubrauner Färbung. Derselbe weiß unbemerkt in die Bienenwohnungen einzuschlüpfen und seine Eier in die Wachszellen zu legen, wo sie von der dort herrschenden Wärme ausgebrütet werden. Die ausgekrochene Larve oder Ringmade legt sich ihre Gänge auf dem Grunde der Wachszellen an, indem sie die untern Wände durchbeißt und ihre Minen in Kreuz und Quer über die ganzen Wachstafeln ausbreitet. Das Schlimmste dabei ist, daß sie ihre Gänge sofort mit ihrem Gespinnst ausfüttert, so daß ihr die Bienen nicht beikommen können. Denn so wie sie sich außerhalb ihres Versteckes sehen läßt, wird sie von den Kneipzangen der Bienen sogleich so zugedeckt, daß sie halbtodt liegen bleibt, und dann in’s Freie geschafft wird. Mit ihren Kneipzangen zerren die erbitterten Thierchen das Gespinnst wohl heraus; wenn sie es aber nicht bewältigen können, und die listigen Schmarotzer das Wachsgebäude förmlich verschroten und überspinnen, so ziehen sie lieber aus.

Viele Insecten fressende Vögel stellen den Bienen gleichfalls nach; z. B. der Rothschwanz, die Schwalbe, die graue Grasmücke, Meisen und Spechte etc.; wenn diese aber so keck sind, sich etwa vor das Flugloch der Bienen zu setzen, um diese hier wegzuschnappen, so fallen die Bienen massenhaft Über den Räuber her, der dann elend umkommen muß. Freilich büßt die Biene ihre Wuth mit dem Leben, denn der Stachel bleibt in der Haut stecken.

Uebrigens ergreifen die Bienen die Offensive nur im engeren Bereiche ihrer Wohnung, wo sie sich für berechtigt halten, Hausrecht zu üben. Wer dort in ihrer Flugbahn hastige Bewegungen machen wollte, würde bald von ihnen verfolgt werden, während sie den ruhig Vorübergehenden, wenn er sonst nicht etwa auffällige Parfümerien an sich hat, oder schnell athmet, ganz unangefochten passiren lassen. Zur Schwarmzeit nur stechen die Bienen auch außerhalb ihres Domicils, wenn ihnen störende Elemente in den Weg kommen. Ihr Stich ist wegen des aufgeregten Zustandes um so gefährlicher, und die Beispiele sind gar nicht selten, daß die erbitterten Thierchen Menschen und Thiere, z. B. einmal ein Pferdegespann, das nicht schnell genug befreit werden konnte, zu Tode stachen. Außer der Arbeitsbiene ist nur noch die Königin bewaffnet, die jedoch nur selten von ihrem Stachel Gebrauch macht.

Für einen rationellen Betrieb der Bienenzucht sind im Laufe der Zeit mancherlei Methoden aufgetaucht, von denen diejenige immer den Vorzug verdiente, welche auf eine richtige, naturgemäße Behandlung der Bienen, auf genaue Kenntniß ihrer Natur, ihrer Vermehrung, ihrer Triebe, Fähigkeiten und Bedürfnisse basirt war. Je einfacher, natürlicher und wohlfeiler die Methode war, desto besser. Noch vor etwa acht Jahren machte die Lüftungsmethode des Engländers Nutt viel Aufsehen; sie fand aber keine weitere Verbreitung, weil sie viel zu künstlich und kostspielig war, ein leerer Kasten dazu kostete allein 10 Thaler.

Dagegen ist die Bienenbehandlung à la Dzierzon gegenwärtig überall gang und gäbe geworden, weil sie einfach und wohlfeil ist. Bemerken wir noch Einiges darüber. Es beruht diese bekannte Methode des Pfarrers Dzierzon im Grunde darauf, daß der Bienenzüchter mit sorgfältiger Berücksichtigung der Bienennatur eine vollständige Herrschaft über seine Bienenvölker ausübt, und durch verschiedene künstliche Operationen ihren Instinct so benutzt, daß er sie vollständig in seine Gewalt bekommt.

Schon die Construction der Dzierzon’schen Bienenwohnungen ist darauf berechnet. Weil die Bienen ihren Bau von oben anfangen, und weil der Querbau der zweckmäßigste ist, hat Dzierzon die Decke seiner Bienenwohnungen mit regelmäßigen, wegnehmbaren zahlreichen Querhölzern versehen, die in der Breite einer Wachstafel von einander liegen. Dadurch schreibt er schon den Bienen ihre Bauart vor, und er hat das Bequeme, wenn er den obern Deckel öffnet, beliebig einzelne Honig- oder Bruttafeln wegnehmen zu können, um sie z. B. einem andern Stocke, der gerade Honig oder Brut braucht, einzusetzen. Zu diesem Zwecke müssen die Dzierzonstöcke nach gleichem Maße gearbeitet sein.

Mit Hülfe dieser wohlfeilen und einfach aus Holzbohlen zusammengesetzten Bienenwohnungen kann die Bienenzucht sehr vervollkommnet werden. So braucht man z. B. nicht zu warten, bis es den Bienen gefällig ist, zu schwärmen, was oft zu spät nach Ausgang der Tracht erfolgt, sondern es wird eine einfache Theilung des volkreichen Stockes zeitig vorgenommen, indem durch Trommeln der größte Theil des Volkes mit der Königin in eine neue mit Honig und Wachstafeln besetzte Wohnung getrieben wird, wo sie sofort ihren Neubau beginnen, während das zurückgebliebene Volk sich aus den vorhandenen Eiern eine neue Königin erzeugt. Wer die Fatalitäten kennt, welche beim Schwärmen durch Fortfliegen oder Zusammenfliegen der Bienenvölker eintreten können, der wird den Werth dieser künstlichen Vermehrung wohl zu schätzen wissen. Im Einzelnen kann man nun noch verschieden nachhelfen, um die Bienenökonomie zu fördern. Ist im Herbste ein Stock nicht mit hinreichendem Wintervorrath versehen, so setzt man einige Honigtafeln ein, welche der stärkere entbehren kann; zeigt es sich, daß ein Stock die Königin verloren hat, so erhält er eine Tafel mit frischgelegten Eiern, und er wird sich bald eine neue Königin herstellen. Weil die Bienen ihr Honigmagazin gern nach oben anlegen, so ist die Dzierzon’sche Bienenwohnung mit einem besondern Aufsatze versehen, in welchem die Bienen den reinen Honig ablegen. Dieser Honigaufsatz ist so appetitlich, daß er ohne Weiteres abgenommen und als Dessertschüssel auf die Tafel gesetzt werden kann.

Da bei dieser Behandlungsweise stets Bienenköniginnen als Reserve in einem eigenen Kästchen bereit gehalten werden, so kann man fast allen Eventualitäten begegnen, die in der Bienenwirthschaft vorkommen. Liegen z. B. Arbeitsbienen an den Stöcken zur Trachtzeit nutzlos vor, so werden sie nach Dzierzon ohne Weiteres in einen neuen Bienenkorb gekehrt, der vorher mit einer Königin und einigen Wachs- und Honigtafeln versehen war. Das zusammengepreßte Volk mit der octroyirten Königin stutzt zwar anfänglich; nachdem man es aber 24 Stunden lang an einem dunklen kühlen Orte stehen ließ, beginnt es schon seine neue Thätigkeit. Der aufmerksame Bienenvater erkennt sogleich, was in der Oekonomie seiner Bienenvölker künstlich zu ändern wäre; mit seinen Dzierzonstöcken kann er ihnen von allen Seiten beikommen und so seine Operationen auf das Vortheilhafteste auf Vermehrung der Bienenvölker wie des Honig- und Wachsvorrathes richten.

Diese Bienenbehandlung ist auch dem Städter zugänglich, selbst dem, der keinen Garten besitzt, wenn seine Wohnung nur nicht ganz inmitten großer Häusermassen liegt, sondern wenigstens einen freien Ausflug nach Gärten und Feldern gewährt. Ein trocknes Plätzchen [460] in einem Stuben- oder Alkoven-Fenster, auf einem Corridor oder Dachstübchen, reicht hin, um hier einen zierlichen Glasstock à la Dzierzon aufzustellen. Wie es jetzt Mode geworden ist, Aquarien in den Zimmern aufzustellen und sie mit allerlei Fischen und Amphibien zu bevölkern, so wäre auch die Möglichkeit geboten, dem städtischen Miethsbewohner durch solche Bienenstöcke Gelegenheit zu geben, die Natur in ihrer geheimsten Werkstatt zu belauschen und sich an dem wunderbaren Treiben der Bienen zu erfreuen. Das Dulce ließe sich hier mit dem Utile viel schöner verbinden, als bei den Aquarien. „Aber die Bienen stechen ja!“ wird man ängstlich diesem Vorschlage einwenden und sich solche gefährliche Nachbarschaft verbitten. Allein bei richtiger Behandlung ist die Biene ein so wohlgesittetes und artiges Thierchen, daß man sie sich nicht als stechende Barbaren vorzustellen braucht.

Wenn ein solcher Glasstock mit seiner Flugseite an einem sonst nicht im Gebrauche befindlichen Fenster eingesetzt wird, so kann man ihm bequem zuschauen. Die fleißigen auf ihre Arbeit bedachten Thierchen incommodiren Niemanden, wenn man sie nicht reizt und beunruhigt, oder in ihre Flugbahn kommt. Unmittelbar bei den Städten gibt es viel Nahrung für die Bienen, namentlich aus den Pflanzen und Sträuchern der Ziergärten und Parkanlagen. Alle die verborgenen Schätze an Wachs und Honig kann der Städter haben, wenn er sich solche emsige Trabanten anschafft, deren Cultur ein so schönes und nützliches Vergnügen gewährt.




Blätter und Blüthen.

Ein Cypressenkranz. Vor einigen Tagen haben sie in Leipzig einen Mann hinausgetragen, dem viel Liebe in das offene Grab folgte. Der Mann war kein Held, kein Redner, keine politische Capacität und hatte weder Amt noch Würden, aber im ganzen deutschen Land und auch drüben in der Schweiz, in Frankreich und England und Amerika war er gekannt und genannt und Mancher, der noch jetzt da draußen der fernen Heimath denkt, wird das Andenken dieses Wackern segnen. Wo es galt eine Thränn zu trocknen, ein unverschuldetes Unglück zu mildern mit Gaben der Liebe, wo der Armuth beizuspringen war mit Herz und Handeln, da war „Vater Werner“ da, wie sie ihn überall nannten, der Wirth zum „Goldnen Hahn“ in Leipzig, der einfache Mann mit dem weichen Herzen, der so Vielen – Vielen ein Retter in der Noth ward. Zu keiner Zeit aber hat er mehr geholfen, als in den Jahren 1849 bis 1850, wo aus allen Herren Ländern die Flüchtlinge durch Leipzig zogen, fort nach der Fremde, nach Frankreich, England oder der Schweiz – da draußen, wo sie keinen „Vater Werner“ mehr fanden.

Ach, Vater Werner! Von ihm wissen, außer den Vielen in Leipzig, denen er geholfen, von ihm wissen alle die zu erzählen, die damals der Sturm durch Leipzig fort aus dem Vaterlande nach der Fremde jagte, zu ihm kamen sie alle, aus Preußen, Oesterreich, Sachsen und Schleswig-Holstein die ihrer Noth kein Ende, in ihren Börsen keinen Groschen fanden, und er hat sie sämmtlich aufgenommen, sämmtlich beherbergt und gepflegt ohne Unterschied des Standes und der Person. Für ihn war das Unglück der Freipaß, die beste Empfehlung, auf die er mehr gab, als auf gespickte Börsen. Und wie oft er auch in Anspruch genommen, wie viele auch kamen – er ist nie ermüdet, nie unwillig geworden und hat keinen abgewiesen.

Wenn dann der Abend kam und der Flüchtling müde und matt sein Lager gesucht, wenn draußen bei den Pferden und Knechten Alles besorgt war, dann und wann mit einigen kleinen Donnerwettern, dann setzte sich Vater Werner wohl auch an den Tisch zu seinen Stammgästen und erzählte von der Noth seines Schützlings und wie wieder einer arm und dürftig die Heimath verlassen müsse. Dabei schob er mit sehr verständlicher Miene den Teller hin und – sammelte. Was dann noch fehlte, legte er später heimlich aus seiner Tasche hinzu und am andern Morgen, wenn der Heimathlose mit dankenden Worten Abschied nehmen wollte, da rief ihn Vater Werner zu sich in seinen Comptoirverschlag, der in der Wirthsstube stand, und füllte ihm das Beutelchen erst mit dem „Gelde von gestern Abend“ und dann die Reisetasche mit einem „Fläschchen Guten“ und dem Besten, was seine Hausfrau in der Küche hatte. Wie dann der Glückliche auch seinen Gefühlen Worte verleihen wollte, er brach immer kurz ab mit den Worten: „Schon gut, schon gut – geleit’ Euch Gott und grüßt mir die Andern da draußen.“ –

Ja, es wäre eben nicht so viel Jammer und Elend in der Welt, wenn Jeder seinen Kräften gemäß so unermüdlich und reichlich, so uneigennützig und rasch gäbe, wir es Vater Werner gethan sein ganzes Leben hindurch, der doch kein reicher Mann war. So oft auch ein Hülferuf erscholl, so oft Einer kam, den das Elend zu Boden drückte, er gab immer, ganz im Stillen und ohne daß er davon sprach, aber immer reichlich und nicht selten mit Aufopferung.

„Sehen Sie,“ rief er voller Grimm, als ich eines Tages zu ihm kam und wieder für Einen bettelte, „sehen Sie, da war ich vor einigen Tagen in einer Gesellschaft, da wurden von Verschiedenen schöne Reden gehalten, wie wir für die Unglücklichen Alles opfern müßten, Geld und Gut und Alles, was wir haben. Und dabei soffen diese Leute Champagner, Champagner sage ich Ihnen, zehn, zwölf Flaschen, während unsere Brüder draußen kaum das liebe Brod haben. Und solche Kerls nennen sich Liberale!“

Vater Werner hatte Recht! Die Zeiten des Sturmes sind nun längst vorüber, schon seit Jahren traten keine Flüchtlinge mehr an das Comptoirgitter des Wirthszimmers, und Viele von denen da draußen, die damals flüchtig durch Leipzig zogen, sind wieder in die geliebte Heimath zurückgekehrt, aber Vater Werner ist sich immer gleich geblieben und wo es zu helfen gab in den nächsten Kreisen, da gab er mit vollen Händen oft reichlicher, als es seine Verhältnisse gestatteten, obwohl es ihm zu verschiedenen Malen auf die nichtswürdigste Weise gedankt wurde. Er gab, weil ihm das Geben Bedürfniß, weil ihm Wohlthun Herzenssache war.

Deshalb den Hut ab vor dem einfachen braven Manne und einen Kranz auf sein frisches Grab. Keiner von jenen Helden, die mit hohlen Phrasen und schönen Reden bei Versammlungen und hinter Flaschenbergen brilliren, war er einer jener Männer im einfachen Bürgerkleide, die so wenig sprechen und doch so kräftig handeln, ein Mensch im schönsten Sinne des Wortes, der sich mitten im Trubel eines thätigen Geschäftslebens ein fühlend Herz für das Elend und den Jammer des Lebens erhalten und dessen schönste Freude es war, ganz im Stillen Thränen zu trocknen, wo er sie fand. Solcher schlichter wackern Bürgersleute laufen heutzutage nicht viele auf der Straßn herum, und deshalb nochmals den Hut ab vor dem einfachen Wirth im Goldnen Hahn zu Leipzig, – einen frischen Kranz für Vater Werner!
E. K.




Silber aus Seewasser. Eine der letzten Nummern der „Household Words“ enthält einen interessanten Aufsatz über eine Reihe von Experimenten, welche französische Chemiker mit dem Seewasser angestellt haben und aus denen sich ergeben hat, daß dieses Wasser Silber enthält, welches sich durch ein geeignetes Verfahren daraus absondern läßt. Die Experimente wurden viele Male wiederholt und gaben stets dasselbe Resultat; – aber freilich waren die gewonnenen Silberkörner sehr winzig, und bezahlten die auf ihre Ausscheidung verwandten Kosten nicht. Eine auf Grund der erlangten Resultate angestellte Berechnung ergab, daß eine englische Kubikmeile Seewasser enthält 23/4 Pfd., eine deutsche oder geographische Kubikmeile also 2632/3 Pfd. und der ganze Ocean ungefähr 40 Millionen Centner Silber – bei welcher Berechnung es übrigens auf ein oder mehrere Dutzend Millionen nicht ankommen mag. Nach diesen Experimenten stellten die erwähnten Chemiker (mit üblichem angelsächsischem Dünkel verschweigen die Household Words die Namen derselben) einige weitere an, nämlich mit Seepflanzen und zwar mit den in der Botanik unter dem Namen „Fuci“ bekannten, die keine Wurzeln in das Erdreich schlagen und somit alle Nahrung aus dem Seewasser erhalten. Diese wurden sorgfältig analysirt und man fand, daß sie 26 mal so viel Silbergehalt hatten, als das Wasser selbst. – Diese Ermittelungen zogen die Aufmerksamkeit eines in der Münze zu Valparaiso (Chili) beschäftigten englischen Chemikers, Namens Field, auf sich, und dieser stellte jetzt eine Reihe von Experimenten mit den Kupferplatten von alten Schiffen an. Er verschaffte sich von einem Schiffe, das 7 Jahre in See gewesen war, einige Stücke der Verkupferung und fand unter 5000 Gran dieses Kupfers 2 Gran Silber. Das wäre auf 20 Centner Kupfer so viel wie ein Pfund und etwas über eine Unze Silber. Bei einem anderen Schiffe ergab sich, daß das Kupfer, welches beständig im Seewasser gewesen war, achtmal so viel Silber enthielt, als solches, das in der Cajüte war. Um nun diese Unternehmungen zu einem ganz genauen wissenschaftlichen Resultate zu führen, hat Herr Field eine Quantität ganz reinen Kupfers granulirt, eine Hälfte davon in einer luftdicht verschlossenen Flasche verwahrt und die andere Hälfte in einen durchlöcherten Kasten gethan, den er von einem Schiffe einige Fuß unter der Meeresfläche fortschleppen läßt – also so zu sagen eine Angel, womit er das Silber aus dem Meere wegfangen will. Nach einiger Zeit wird dann die Vergleichung dieses Kupferköders mit dem zurückbehaltenen reinen Kupfer das gewünschte Resultat ergehen. Die Zeitschrift, aus welcher wir diese Angaben nehmen, bemerkt dazu: „Die Erklärung dieser Naturerscheinung ist nicht schwer. Das schwefelsaure Silber kommt sehr häufig in der Natur vor; durch Salzwasser wird es in Chlorsilber verwandelt, das durch gewöhnliches Salz aufgelöst wird. Das im Fluß- und Quellwasser enthaltene Salz wirkt in Pflanzen auf die gleiche Weise und löst kleine Atome Metalle auf, die sodann in Pflanzen und von diesen mittelst der Nahrung in den menschlichen Körper übergehen. Ob und welchen Werth die Entdeckung hat, bleibt zu erwarten. Wird kein Versuch gemacht, Nutzen daraus zu ziehen, so wäre daraus entweder zu folgern, daß Silber nicht so selten ist, als Manche glauben machen möchten, oder daß wir es recht gut entbehren können.“ Uns scheint, daß es weder das eine noch das andere, sondern nur dies beweisen würde, daß die Kosten der Gewinnung des Silbers aus Seepflanzen größer sein würden, als der Werth des gewonnenen Silbers.




Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Stumpff’s dringende Bitte hatte die Folge, daß der königl. dänische Etatsrath G. N. v. Nissen eine Biographie Mozart’s erscheinen ließ (Leipzig 1828), die aber fast nur aus Material besteht. Daß St.’s Begeisterung für Mozart eine echte und wahre und kein Strohfeuer war, beweist, daß er schon dreizehn Jahre früher eine bedeutende Anzahl Mozart’scher Compositionen im Manuscript des Meisters mit großer Mühe und größeren Kosten zusammenkaufte. Er machte mir darüber folgende Mittheilung: „Im Jahre 1756 am 27. Januar erblickte Wolfgang Amadeus Mozart im romantischen, gebirgigen Salzburg das Licht der Welt. Dreizehn Jahre später, wiederum am 27. Januar, schwebte auch mein Lichtfunke in einem dichten Schneegestöber in das ebenfalls romantische Bergthal Ruhla m Thüringen herab. Das Auffallende dieses Zufalls ist, daß mich seit meiner frühesten Erinnerung die Schöpfungen des großen Gefühlsmalers Mozart mit den seligsten Empfindungen erfüllten und meinen Geist in Regionen erhoben, welche nur im Gehirn der begeistertsten Poeten ihren Wohnsitz haben. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, Ihnen noch zu bemerken, daß ich seit 1811 folgende von Mozart’s Compositionen, und zwar alle von seiner eigenen Hand geschrieben, käuflich an mich gebracht habe. Sie haben mich 150 Pfund Sterling gekostet. 6 Quartetten, Joseph Haydn gewidmet. – 4 Quartetten, dem König von Preußen gewidmet. – Quartetten in D minor. – Quintetten in Es minor. – Quartetten in D minor. – Quintett in C minor. – Fantasia & Sonata in C minor. – Favorit Sonata in As.Fuga in C minor. – 5 verschiedene Compositionen in einem Hefte. Nach dieser so einzigen Sammlung, worin Mozart so viele Stellen ausgestrichen und geändert hat, wodurch uns ein Blick in seine Seele vergönnt ist, können alle vorhandenen Editionen (und die meisten sind voller Fehler) verbessert werden. Ich wünschte sehr, daß diese Heiligthümer in einem würdigern Locale, als das meinige ist, nämlich in einer kaiserlichen, königlichen oder fürstlichen Bibliothek oder Kunstkammer deponirt würden, oder sonst ein angemessenes Unterkommen bei einem von den Musen begeisterten Liebling derselben, den auch die Göttin Fortuna mit ihrem goldenen Flügel gefächelt, finden möchte.“ Ich weiß nicht, was aus dieser merkwürdigen Sammlung Mozart’scher Compositionen nach Stumpff’s Tode geworden ist.
  2. Der Sohn seines Bruders, den Beethoven sehr liebte und erzog.
  3. 100 Gulden Wiener Währung sind nicht volle 27 Thaler!!
  4. Englischer Komponist.
  5. Dieser Komponist und Pianofortespieler hielt sich damals auf einer großen Kunstreise in London auf.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Founthlezroz