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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[79]

No. 8. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Novelle von O. M.
(Schluß.)

„Nicht wahr, dieses Leben gefällt Dir?“ flüsterte der Sergeant. „Nun, wenn Du ein vernünftiger Bursche bist, sollst Du es auch so gut haben wie ich.“ Mit diesen Worten griff der Räuber nach seinem Hute und erhob sich – und jetzt, als derselbe einige Schritte vor ihm nach dem Ausgange des Ladens hinging, faßte François zitternd in die Tasche, zog das Billet hervor, und drückte es einem der Offiziere in die Hand. Erstaunt blickte dieser auf, aber François war wie ein Blitz an der Seite des Sergeanten, und einen Augenblick später mit diesem in dem lebbaften Gewühle der Straße verschwunden. Die Beiden kehrten nach der Diebsherberge zurück, und François, erfreut, daß sein Plan geglückt war, äußerte eine Heiterkeit, die dem Sergeanten Hoffnung machte, das lockere Leben werde dem jungen, hübschen Landmann gefallen, und er bald einer der Spitzbuben sein. Der ganze Tag verging in Jubel und Schwelgerei, als aber die Thürme der Stadt die neunte Abendstunde verkündeten, wurde es still in der Diebshöhle. Der Sergeant selbst brachte François nach seiner Stube, die er sorgfältig verschloß, und bald darauf hörte dieser, wie der Galeerensclave mit seinem Genossen, dem Leichenfinger, das Haus verließ, um sein entsetzliches Werk auszuführen.

Kaum waren die Schritte der Räuber in der engen Gasse nicht mehr hörbar, als François sich nach einem Wege umsah, auf dem er seine Flucht bewerkstelligen konnte. Die Fenster der Stube waren so klein, daß es unmöglich schien, durch ein solches zu entkommen, und die feste Thür hatte der Sergeant verschlossen, auch durfte der Flüchtling keinen Lärm machen, denn der Todtengräber und Blutauge befanden sich noch in der Diebshöhle.

In dem Zimmer, oder vielmehr Gefängniß François’ befand sich ein mächtiger deutscher Ofen, der wohl durch einen Zufall oder die Laune eines vormaligen Besitzers des Hauses hierher gekommen sein mochte. Der Jüngling bemerkte, daß der Canal des Ofens, welcher nach dem Vorsaal führte, weit genug sein würde, ihn durchzulassen, und so begann er denn mit großer Vorsicht die einzelnen Theile des Ofens abzuheben, und sich endlich durch den schmalen Feuerheerd drängend, gelangte er glücklich auf den Vorsaal. Hier öffnete François ein Fenster, glitt an dem Fallrohre hinab in den schmalen Hof, entriegelte die Hausthür, und rannte einen Augenblick später frei – aber vom Kopf bis zum Fuße mit Ofenruß überzogen – die Straße hinab.

Voller Freude, aus der Diebskneipe entkommen zu sein, aber zugleich auch in Verlegenheit, wo er für diese Nacht eine Herberge finden solle, wanderte François planlos in die Nacht hinein. Zwar hatte er noch einige Franken in der Tasche, aber da er das Bündel mit seinen Habseligkeiten in der Spelunke zurücklassen mußte, so fürchtete er in seinem Zustande, mit Ruß überzogen, nirgends Aufnahme zu finden.

Indem also François nachdenkend eine schöne, breite Straße hinwanderte, hatte er das Unglück, an eine weißgekleidete Dame anzustoßen, welche am Arme eines breitschultrigen Kürassiers dahinschwebte. Man denke sich den Schreck der Grisette, als sie ihr elegantes Kleid durch den Anstoß mit Ruß geschwärzt sah.

„Sieh nur, Charles, wie mich dieses Thier besudelt hat!“ rief weinend das Mädchen, indem sie dem Kürassier die gefärbte Stelle ihres Kleides zeigte. „Wir können nun nicht nach dem Theater gehen – führe mich zurück nach meiner Wohnung.“

„Nicht eher, als bis ich diesem Schlingel seine Tölpelhaftigkeit bezahlt habe,“ donnerte der Panzerreiter, und damit faßte er den armen François beim Kragen und prügelte ihn weidlich durch. Alle Versuche des Unglücklichen, sich aus den Händen des Reiters frei zu machen, oder ihm wenigstens auch einige Püffe zu appliciren, scheiterten an der riesigen Stärke seines Gegners, der ihn wie mit einer Eisenzange gefaßt hielt, daß er sich nicht rühren konnte.

Als der Kürassier seine Wuth an dem armen François gekühlt hatte, schleuderte er ihn in den offenen, hellerleuchteten Thorweg eines Hauses und entfernte sich mit seiner noch immer jammernden Geliebten. François taumelte hier an die stattliche Gestalt eines Portiers, der mit einem dreieckigen Hute auf dem Kopfe und dem Stabe mit dem mächtigen Metallknopfe in der Hand die Prügelei lachend angesehen hatte.

Schon hob der Portier die Faust, um auch seinerseits den schmutzigen Landmann abzustrafen, als dieser plötzlich erfreut ausrief: „Onkel Brassin, kennt Ihr François Duprès, Euren Verwandten, nicht?“

„François Duprès! Beim heiligen Erzengel. Du bist es, Herzensjunge; aber sage mir um Gottes Willen. Du siehst ja unreinlicher aus wie ein Kohlengräber?“

„Onkel, mein guter Onkel, ich habe schon viel erlebt in Paris, obgleich ich erst kurze Zeit hier bin.“

„Daß Du in Paris seist, wußte ich,“ sagte der Portier, „es hat bereits ein Polizeiagent nach Dir gefragt.“

„Gott sei gedankt!“ rief der entzückte François, „so ist meine Absicht gelungen, und die Unglücklichen werden nicht unter den Händen der Mörder sterben.“

„Was faselst Du da?“ fragte der erstaunte Portier.

[80] „Ich bitte Euch, Onkel, laßt uns nach Eurem Zimmer gehen, damit ich mich und meine Kleider reinige, dann will ich Euch die Geschichte meiner Abenteuer erzählen, so daß Ihr vor Verwunderung erstarren sollt.“

Onkel Brassin schloß seine Loge auf und schob den Vetter hinein. „In einem Stündchen werde ich dienstfrei sein,“ sagte er, „und dann magst Du mir erzählen. Jetzt bringe Deinen äußeren Menschen in Ordnung, François, und gelüstet es Dir nach einigen Bissen Speise und einem Glase Wein, so findest Du Beides in jenem kleinen Schranke.“ Damit schulterte der wackere Portier seinen Stab, und pflanzte sich wieder vor dem Thorwege des Hotels Garnier auf.

Am folgenden Tage stellte Brassin seinen Neffen der Besitzerin des Hotels vor. Diese war eine dicke Dame mit rothen Hängebacken, und ihre Feinde behaupteten, die bläuliche Farbe ihrer Nase rühre von einiger Vorliebe zu Chambertin her. Dabei stand Madame Garnier in dem Rufe, ebenso reich als geizig zu sein, doch ließ man ihr die Gerechtigkeit wiederfahren, daß das Hotel eines der wohleingerichtetsten sei. Wohlgefällig betrachtete die Dame den hübschen, frischen Burschen, und engagirte ihn sofort mit einem Gehalte von hundert Franken jährlich als Garçon für ihr Etablissement. Noch hatte der neue Kellner das Zimmer seiner Gebieterin nicht verlassen, als ein Polizeicommissar angemeldet wurde und bei Madame Garnier eintrat.

„Befindet sich in Ihrem Hause François Duprès, Neffe Ihres Portiers Brassin, Madame?“ fragte der Beamte.

Die erstaunte Dame wies auf den Jüngling, dessen Augen vor Freude strahlten.

„Haben Sie dieses Billet geschrieben, Duprès?“ fuhr der Commissar fort, indem er diesem ein solches vorhielt.

„Das habe ich, mein Herr! Sind die Schurken gefangen worden?“

„Wir haben das ganze Nest ausgenommen, mein Freund, durch Ihre Benachrichtigung sind vier der gefährlichsten Verbrecher in die Hand der Gerechtigkeit gefallen. Jetzt habe ich ein Protocoll aufzunehmen, wie Sie zur Kenntniß des beabsichtigten Raubmordes gekommen sind.

Der Beamte zog sein Schreibgeräthe hervor, und nahm an einem Tische Platz. François erzählte seine Erlebnisse der letzten Tage und mit Entsetzen vernahm Dame Garnier, daß auch ihr ein Besuch der Räuber zugedacht gewesen war.

„Dich hat Gott nach Paris geführt, mein Sohn,“ rief die erschrockene Dame, „und damit Du siehst, daß ich die Wichtigkeit Deiner That anerkenne, sollst Du eine jährliche Gehaltszulage von fünfundzwanzig Franken haben.“

„Die Räuber waren bis an die Zähne bewaffnet,“ sagte der Commissar, „und wehrten sich auf’s Heftigste. In Folge dieser Verwegenheit wurde einer der Kerle, mit dem Diebsnamen Leichenfinger, getödtet und ein anderer, der erst kürzlich von den Galeeren entwichene Mörder Piston, der Sergeant genannt, stark verwundet.“

„Und die Bewohner des Hauses Nr. 27, wurden sie gerettet?“

„Wir kamen im entscheidenden Augenblick, als schon die Schlinge um Herrn d’Alignes Hals gelegt war,“ erwiederte der Commissar. „Uebrigens, François Duprès, werden Sie morgen drei Uhr auf das Stadthaus kommen, Sie finden dort alle Ihre Bekannten aus dem Hause der alten Mabel, und haben Ihre Aussage zu wiederholen. Dabei können Sie sogleich dreitausend Franken in Empfang nehmen, welche Herr d’Alignes für den Retter seines Lebens deponirt hat, sowie tausend Franken für Ihre Mitwirkung zur Verhaftung eines entsprungenen Galeerensklaven.“

Wer war fröhlicher als François. – Während Madame Garnier den Commissar einlud, ein Glas Chambertin mit ihr zu trinken, lief der neue Garçon zu seinem Onkel und erzählte ihm sein Glück. – –

Der Proceß der gefangenen Diebsbande war bald beendigt. Der Sergeant, Blutauge und der Todtengräber starben unter dem Beile der Guillotine, die Weiber aus der pvelunke wanderten in’s Zuchthaus.


Es war wohl ein Jahr vergangen nach den eben erzählten Ereignissen. François war ein hübscher, stattlicher Garçon geworden, sein bäuerisches Wesen hatte einer zierlichen Gewandtheit Platz gemacht, und er stand in großer Gunst bei Dame Garnier, die seine unermüdliche Thätigkeit für ihr Geschäft, sowie seine geprüfte Ehrlichkeit hoch zu schätzen wußte. Da traten spät Abends, als eben ein heftiges Schneewetter durch die Straßen tobte, zwei Herren in den Salon, und nahmen an einem Tischchen im Halbdunkel einer Saalecke Platz.

„Wahrhaftig!“ rief der Kleinere der beiden Angekommenen, indem er mit dem Taschentuche den Schnee von seinem grauen, bis an den Hals zugeknöpften Oberrocke klopfte – „wahrhaftig, mein Freund Giafar, es war ein Glück, daß dieses Wetter erst in der Nähe den Hotels über uns herfiel. Bei allen Abenteuern, die er erlebt, ist Harun al Raschid wenigstens durch keinen Schneesturm von Bagdads Straßen vertrieben worden, wie wir aus denen unseres guten Paris!“

„Es ist das ein ganz ergötzliches Abenteuer, Sir, wir werden heute bei Madame Garnier soupiren, deren Küche für eine vortreffliche gilt. Garçon!“

„Meine Herren!“

„Bestellen Sie rasch ein Souper für zwei Personen, und bringen Sie Champagner,“ rief der kleinere Herr. „Wahrhaftig, ein Schneewetter kann mich immer heiter stimmen, es erinnert mich stets an die frohen Jugendjahre in Brienne. Wir bauten dort unsere Schanzen von Schnee, und Schneeballen waren unsere Kugeln. Ach, ich war ein munterer Knabe in Brienne!“

François brachte den Wein. Während er die Flasche öffnete, wandte sich der kleine Herr nach ihm, und faßte ihn am Ohre.

„Hübscher Bursche das,“ rief er lächelnd, „gäbe einen tüchtigen Voltigeur. Hast Du nicht Lust, Soldat zu werden, Kind?“

„Schönsten Dank, mein Herr! Die Conskription ist glücklich an mir vorübergegangen!“ entgegnete François.

„Sie kann wiederkommen – aber rasch, Garçon, bringe zu essen, ich habe Hunger!“

„Es ist Schade um solche hübsche Leute, Duroc,“ fuhr der Kleine fort. „Die Aushebungscommissionen sind nicht aufmerksam, sie sind wohl gar bestechlich – man muß ihnen auf die Finger sehen – das Heer verliert durch solche Nachlässigkeiten die brauchbarsten Leute!“

„Befehlen Ew. Majestät, daß der Kellner in ein Voltigeurregiment trete?“ fragte Duroc, indem ein finsterer Zug seine Stirn umschattete.

„Nein, mein Freund, lassen Sie ihn, wo er ist, ich will Sie nicht verdrießlich machen, Duroc! Ha! wenn uns jetzt die Kaiserin sähe, Champagner trinkend und Rindfleisch essend wie zwei Pächter aus der Normandie.“ Der Kaiser rieb sich die Hände und lachte fröhlich vor sich hin.

„Wissen Sie, Duroc, daß der Champagner vortrefflich ist? Wahrhaftig! ich werde heute ausarten und noch einige Gläser trinken.“ Napoleon ergriff die Klingel und schellte dem Kellner.

Keiner von den Anwesenden hatte eine Ahnung, daß der Kaiser mit dem Großmarschall von Frankreich an einem bescheidenen Ecktischchen soupire. Napoleon war äußerst heiter, er neckte Duroc und lachte dabei aus vollem Herzen. Die zweite Flasche Champagner war endlich ziemlich geleert, der Kaiser stand auf und griff nach seiner Mütze.

„Duroc, bezahlen Sie!“

Der Großmarschall von Frankreich wurde außerordentlich verlegen. Er schob die Hände suchend in die Taschen und rief mit unterdrückter Verzweiflung: „Sir, ich habe die Börse vergessen!“

„Dann compromittiren wir uns,“ erwiederte der Kaiser unmuthig. „Sehen Sie wie Sie fertig werden!“

Duroc stand einige Augenblicke in voller Verlegenheit. „Sir,“ sagte er dann, „ich werde mit der Garnier reden!“

„Aber nicht das Incognito verrathen, mein Herr!“ befahl der Kaiser.

Madame Garnier saß in ihrem Büffet auf einem eleganten Lehnsessel, von wo aus sie den ganzen Salon übersehen konnte. Der Großmarschall näherte sich der Dame, und fragte kleinlaut: „Madame, mein Freund und ich haben ein Souper eingenommen, was ist dafür zu entrichten?“ – „François!“ rief die Dame, „dieser Herr wünscht zu zahlen!“

„Ich bitte um dreißig Franken, mein Herr!“ sagte der Kellner.

„Werden Sie mir wohl auf einige Stunden Credit geben?“ versetzte der Großmarschall. „Sowohl mein Freund wie auch ich haben die Börsen vergessen, und erst nach dem Souper diese Nachlässigkeit bemerkt.“

[81] „Sie haben Beide die Börsen vergessen? Das ist in der That ein eigener Zufall. Da es nun aber oft vorkommt, daß Herren, die wir nicht kennen, in gleicher Verlegenheit sich an mich wenden, wodurch ich, ohne Ihnen eine Sottise sagen zu wollen, mein Herr – schon um vieles Geld gekommen bin, da die Herren später zu zahlen vergaßen, so bitte ich – aus Grundsatz – mich auf irgend eine Art sicher zu stellen, vielleicht durch einen Gegenstand von Werth, der als Pfandstück hierbleiben kann,“ sagte Dame Garnier.

Duroc war in schrecklicher Verlegenheit. Er wandte sich von der Garnier ab, und bemerkte nahe beim Büffet den Kaiser, welcher mit kurzen Schritten hin und herging, und die Hände auf den Rücken gelegt, leise einen Kriegsmarsch vor sich hinpfiff. Der Großmarschall sah, daß der Kaiser, der jedes Wort, was zwischen ihm und der Hotelbesitzerin gewechselt wurde, gehört hatte, sich über seine, des Großmarschalls, peinliche Lage köstlich amüsirte.

„Aber Madame, ich versichere Ihnen, daß wir ehrliche Leute sind, die blos eine Unvorsichtigkeit in diese Verlegenheit gebracht hat – Sie werden uns doch nicht compromittiren wollen?“ rief der unglückliche Duroc.

„Gut, mein Herr! So mag denn einer meiner Garçons Sie nach Ihrer Wohnung begleiten und dort das Geld in Empfang nehmen – nicht so?“

„Das geht auch nicht!“ rief der Großmarschall.

„S–o? Auch nicht? Nun, mein Herr, so bitte ich ein für allemal um ein Pfandstück oder genügende Bürgschaft!“

„Mein Herr,“ sagte François. „ich sah Sie noch nie in diesem Hotel, aber ich glaube, Sie sind Offizier des französischen Heeres?“

„Und was weiter?“ fragte Duroc.

„Wenn ich mich nun bei Madame Garnier für Ihre Redlichkeit verbürgen wollte, würden Sie einem armen Teufel von Garçon in den nächsten Tagen das Geld zurückerstatten?“

„Ganz gewiß, mein Freund!“ rief aufathmend der Großmarschall.

„Nun wohl, mein Herr,“ versetzte François, „ich halte Sie für einen braven Soldaten. Madame Garnier, ich bin Ihr Schuldner für dreißig Franken!“

„Ein Thor bist Du, François,“ sagte die Dame, laut genug, daß es Duroc hören konnte. „Für Offiziere hältst Du die Schlucker? Gauner sind es! Dort sitzt Major Duverrier und nicht weit von ihm Capitain Lasalle, erkundige Dich bei ihnen und Du wirst bald hören, daß die sauberen Vogel vielleicht Baumstämme, nie aber Epauletten auf den Schultern getragen haben.“

„Noch einmal, ich bürge für die Herren!“ erwiederte unmuthig der Kellner – „und ich zweifle nicht, daß durch diese kleine Gefälligkeit ich zwei Männer von Ehre aus einer peinlichen Lage befreit habe.“

„Braver Junge!“ rief der Kaiser, indem er rasch am Büffet vorüberschritt, gefolgt von Duroc, der sich den Angstschweiß von der Stirne trocknete.

Napoleon liebte es, von Duroc begleitet, des späten Abends bisweilen kleine Ausflüge durch die Straßen von Paris zu machen, wobei er sich scherzhaft Harun und Duroc Giafar zu nennen pflegte. Der Kaiser hatte zwar manches kleine Abenteuer bei diesen Spaziergängen gehabt, aber keines, was ihm so viel Vergnügen gemacht, wie der Auftritt im Hotel Garnier, so daß er selbst der Kaiserin Josephine davon erzählt hatte.

Es waren seit jenem Erlebniß bereits einige Monate vergangen, als der Kaiser an der Seite des Großmarschalls die Straße Richelieu, in der sich das Hotel der Madame Garnier befand, herabkam, und lachend vor dem erleuchteten Hause stehen blieb.

„Nun, Giafar, wollen wir ein Glas Champagner trinken?“ rief Napoleon.

„Wenn Sie befehlen, Sir?“

„Apropos, Duroc, wie haben Sie denn unsern Bürgen, unsern Freund in der Noth belohnt?“

„Den Garçon – wahrhaftig, Sir, es ist nachlässig von mir, ich habe dem armen Teufel noch nicht einmal die Bürgschaftssumme zurückgegeben. Doch soll er morgen sogleich – –“

„Nein, Herr Großmarschall von Frankreich, sogleich soll der brave Mann bezahlt werden! Nicht blos Ihre Ehre, auch die Ihres Kaisers ist an den Burschen verpfändet. Wie viel Geld tragen Sie bei sich, mein Herr!“ rief streng der Kaiser.

„Einiges Gold und etwa dreitausend Franken in Bankscheinen.“

„Wir werden heute bei der Garnier soupiren, und alles Geld, was Sie bei sich tragen, soll des Garçons Bezahlung sein; der Bursche soll an den Hof, Lacroix ist gestorben, ich will den jungen Mann zum Kammerdiener der Kaiserin machen, sorgen Sie dafür, Duroc, daß er mir in den Tuilerien vorgestellt werde.“ –

Der Salon war heute zahlreich besetzt, doch gelang es den beiden Ankömmlingen, Platz an dem kleinen Ecktische zu finden, woran sie bei ihrem letzten Besuche soupirt hatten.

Duroc klingelte. „Der Garçon François soll kommen!“

Der Garçon erschien, und lachte seinen Schuldnern freundlich entgegen.

„Durch meine Vergeßlichkeit haben Sie Ihr Geld noch nicht empfangen, ich werde es Ihnen sogleich mit Zinsen zurückzahlen – wir wollen speisen, François – bringen Sie Champagner!“

François ging nach dem Büffet. „Die Offiziere, für welche ich bürgte, sind eben gekommen, Madame,“ rief er triumphirend, „Sie sehen, daß ich nicht irrte, als ich die Herren für Männer von Ehre hielt.“

„Hast Du Dein Geld schon, François?“ fragte die Dame, ärgerlich, daß der Kellner mehr Menschenkenntniß gezeigt hatte als sie, die erfahrene Wirthin.

„Noch nicht, der Herr hat mir aber die Zahlung bereits zugesagt!“

„Nimm Dich vor den Schwindlern in Acht, François – sie werden schon wieder die Börsen vergessen haben, und ehe Du Dich umsiehst, aus dem Salon verschwunden sein.“

Madame Garnier war äußerst neugierig, zu erfahren, wer die beiden Gäste wären; sie erhob sich also aus ihrem Lehnsessel und watschelte nach dem Tische, an welchem Major Duverrier und Capitain Lasalle saßen.

„Bitte, lieber Major, werfen Sie einen Blick nach jener Ecke – dort soupiren zwei Herren – ich möchte wissen, ob es Offiziere unserer tapferen Armee sind?“

Die beiden Offiziere sahen nach dem bezeichneten Tische, und eine ungeheure Ueberraschung malte sich auf ihren Gesichtern. „Mein Gott!“ rief der Capitain, „ist es Wahrheit oder trügen mich meine Augen?“

„Er ist es!“ sprach halblaut der Major.

„Sie kennen die Herren, Major?“

„Aber liebe Garnier, haben Sie wirklich keine Ahnung von dem Glück, was Ihnen heute zu Theil geworden?“

„Um Gottes Willen, sprechen Sie deutlicher!“ bat bestürzt die Dame.

Major Duverrier zog ein Fünffrankenstück aus der Börse und zeigte auf das Gepräge. „Finden Sie keine Aehnlichkeit zwischen diesem Portrait und dem Kopfe des kleinen Herrn am Ecktische?“ fragte er die leichenblasse Madame Garnier.

Madame Garnier taumelte entsetzt auf einen Stuhl, ihre Lippen schnappten nach Luft, und aus tiefer Brust keuchte sie endlich: „Der Kai– der Kaiser!“

„Es ist der Kaiser!“ flüsterte der Major.

Der ungeheure Schreck der Madame Garnier und ihr Ausruf war nicht unbemerkt geblieben – im Nu war durch den ganzen Salon die Kunde gedrungen, daß Napoleon mit dem Großmarschall gegenwärtig sei. Alles erhob sich, und ein jubelndes „vive l’empereur!“ tönte aus Aller Munde.

Der Kaiser verließ freundlich grüßend den Saal, vorher aber drückte der Großmarschall dem erschrockenen François eine Börse und ein kleines Portefeuille in die Hand. „Hier ist Zahlung, François,“ sagte er, „Alles gehört Ihnen, und Se. Majestät der Kaiser befiehlt, daß Sie sich morgen in den Tuilerien melden lassen.“

Nach einiger Zeit erst gelangte Madame Garnier wieder in den Besitz ihrer Sprache und Bewegungen. „Der Kaiser!“ rief sie – „heilige Maria, wie konnte ich mich so weit vergessen! Major, Sie haben Verbindungen am Hofe, Sie müssen mir eine Audienz bei Sr. Majestät vermitteln – ich werde durch einen Fußfall – François! es ist der Kaiser gewesen, für den Du gebürgt hast, und der andere Herr war der Großmarschall Duroc, Herzog von Friaul!“

„Dreitausend Franken, Madame!“ jubelte François, indem er die Geschenke Duroc’s emporhielt, „und morgen will mich der Kaiser in den Tuilerien sehen!“

[82] „Dann fahren wir Beide nach den Tuilerien, mein Sohn – Gott sei gedankt, so geht es, nicht wahr, Major? Guter François, ich bin entsetzlich aufgeregt, bringe mir ein Glas Chambertin!“ –

Als am andern Tage François in Begleitung der Dame Garnier in den Tuilerien erschien, wurden die Beiden von dem Großmarschall selbst nach den Zimmern des Kaisers geführt. Napoleon saß lesend auf einem kleinen Sopha, und trat der dicken Dame, die sich eben zu einem Fußfalle vorbereitete, rasch entgegen.

„Ah, Madame Garnier, unsere vortreffliche Wirthin!“

„Sir, die unglücklichste Frau in Frankreich, welche durch das Incognito - - Ew. Majestät - -

„Lassen Sie das, Madame,“ lächelte der Kaiser – „Sie waren ganz in Ihrem Rechte, als Sie zwei Abenteuern, die ihre Börsen vergessen hatten, nicht creditiren wollten.“

„Sir, vergeben Sie einer armen elenden Frau“ und Madame Garnier weinte heiße Thränen.

„Genug, Madame, ich vergebe Ihnen aus vollem Herzen – wollen Sie mir aber auch eine Bitte gewähren?“

„Mein Leben, Sir, wenn es Ew. Majestät verlangen.“

„Ueberlassen Sie mir den Garçon François - - er wird heute nach den Tuilerien kommen, Großmarschall?“

„Er ist bereits im Vorzimmer, Sir!“

Napoleon schellte. „François Duprès!“ rief er dem eintretenden Kammerdiener zu.

Der Garçon trat ein.

„Duprès,“ sagte der Kaiser, „Sie werden Ihre Stellung bei Madame Garnier aufgeben. Durch Ihr Betragen im Hotel dieser Dame bin ich Ihnen eine Verpflichtung schuldig. François, ich ernenne Sie zum ersten Kammerdiener der Kaiserin Josephine – Sie treten Ihren Dienst sofort an. Melden Sie sich bei dem Hofmarschall! – Die Kaiserin interessirt sich bereits für Sie!“ –

Halb betäubt von seinem Glück kam François nach Hause. Zwei Jahre war er jetzt in Paris, und hatte schon durch die Gunst des Schicksals eine Stellung erlangt, die seine kühnsten Hoffnungen übertraf. Auch der alte Onkel Brassin war hoch erfreut, und stolz auf seine Verwandtschaft mit François schulterte er jetzt den Portierstab mit ungleich mehr Würde als früher. François aber versah seinen Dienst mit aller Treue eines Mannes, der die ihm wiederfahrenen Wohlthaten dankbar anerkennt, und manches freundliche Wort der engelguten Kaiserin Josephine war sein Lohn. So ging denn das dritte Jahr seines Aufenthaltes in Paris zu Ende, und die Erinnerung an Alice und das gegebene Versprechen trat mit aller Stärke vor seine Seele. Eines Morgens näherte er sich der Kaiserin, und beugte das Knie.

„Ah, sieh da, Duprès, haben Sie endlich auch einmal eine Bitte? Was ist es? Gewiß wünschen Sie Anstellung für einen Verwandten?“

„Nein, Ew. Majestät, ich bitte nur um einen kurzen Urlaub nach meiner Heimath.“

„Sie sollen ihn erhalten, Duprès. Leben Ihre Aeltern noch?“

„Alle meine Verwandten in dem Dörfchen Carillon sind todt – es ist ein Versprechen, was mich nach der Heimath zieht, ein Versprechen, das ich vor drei Jahren einem jungen Mädchen gab“ – und François erzählte der Kaiserin dir Geschichte seiner Liebe zu Alice Meunier.

„Sie ist Ihnen treu geblieben, Duprès, ein Weib, das wahrhaft liebt, wird nie untreu!“ rief Josephine mit einiger Aufregung. „Reisen Sie unverzüglich nach Carillon, ich ehre Ihre redlichen Gesinnungen, und nehmen Sie diese Rolle mit Napoleonsd’ors als Beitrag zu den Reisekosten. Ich werde mit dem Kaiser sprechen, daß er Ihnen die Erlaubniß zur Heirath ertheilt, und sagen Sie Alice Meunier, daß die Kaiserin für ihre Ausstattung sorgen werde.“

„Ach, Ew. Majestät, womit habe ich diese überschwengliche Gnade verdient?“

„Sie sind ein treuer, guter Mensch, Duprès, reisen Sie mit Gott, und hier,“ fuhr die Kaiserin fort, indem sie ein Fach ihres Schreibtisches hervorzog – „hier ist ein Armband – finden Sie Ihre Alice mit treuem, reinem Herzen – so geben Sie ihr das Band als Geschenk einer glücklichen Frau.“

In einem eleganten Reisewagen eilte François dem heimathlichen Dörfchen zu, und bald tauchte dieses mit seinen freundlichen Häusern und der altehrwürdigen Kirche aus der grünen Landschaft hervor. Thränen des Glücks und der Dankbarkeit drangen aus François’ Augen, als er auf der Anhöhe ausstieg, wo er, vor drei Jahren das letzte Mal nach dem Dörfchen zurücksah. Alle seine Hoffnungen waren zu herrlicher Ernte gereift – aber Alice, um deren Besitz er die Heimath verlassen, war sie ihm treu geblieben? - - Er schickte den Wagen voraus, und wanderte nach dem Pfarrhause von Carillon. François trat in das Studirzinmer des alten Pfarrherrn, der sich überrascht erhob und dem Ankömmling entgegenging.

„Was steht zu Befehl, mein Herr?“ fragte der Greis den gerührten François.

„Und Sie kennen mich wirklich nicht mehr, mein alter, theurer Lehrer?“

Wie? Was? François? Nein, ich irre mich nicht, das ist ja François Duprès“ versetzte der alte Pfarrer. „Willkommen in Carillon. François, oder vielmehr Herr Duprès, denn Sie sind ein stattlicher Herr geworden, der durchaus nicht mehr dem kleinen Bauerknaben gleicht, welcher vor nunmehr drei Jahren nach Paris ging.“

„Und wir geht es Alice Meunier?“ fragte mit bebender Stimme der Angekommene.

„Sie ist wohlauf, das wackere Kind, und hängt noch mit der alten Innigkeit an Ihnen. Jeder Bewerbung um ihre Hand hat sie Trotz geboten. Und dann noch eine herrliche Nachricht, François – der alte Meunier hat sich ernstlich entschlossen, Ihnen seine Tochter zur Ehe zu geben. Meunier wird alt, und die Bewirthschaftung seines nicht unbedeutenden Gutes kann er allein nicht mehr besorgen, da hat er denn meinen und Alice’s Bitten nachgegeben, und wollte nächstens selbst nach Paris, um Ihnen die frohe Kunde zu bringen, und Sie herzuholen. Aber Herr Duprès, Sie sehen nicht aus, als ob Sie in unserem kleinen Carillon leben wollten!“

„Gott hat mich gesegnet, mein theurer Lehrer, ich bin ein glücklicher und angesehener Mann geworden, und kann dem alten Meunier mehr als die verlangten zwölftausend Franken aufweisen.“

„Das kleine Vermögen, welches Sie in meiner Verwahrung ließen, hat auch Früchte getragen und sich um dreihundert Franken vermehrt,“ sagte der Pfarrer, „aber Herr Duprès, was sind Sie denn in Paris geworden?“

„Erster Kammerdiener der Kaiserin von Frankreich!“ sagte François, nicht ohne einen leichten Anflug von Selbstgefälligkeit in seinem hübschen, fröhlichen Gesicht.

„Kam – Kammerdiener der Kaiserin von Frankreich?“ rief der überraschte Pfarrer, indem er aufstand, und seine Hand das schwarzsammetne Käppchen lüftete. „Da haben Sie ja ein ungeheures Glück gehabt, Herr Duprès!“

„Der liebe Gott war mit mir, Herr Pfarrer, ich habe Ihre Lehren treulich befolgt, und der Segen ist nicht ausgeblieben.“ François erzählte dem Geistlichen seine Erlebnisse in Paris, und dem alten Herrn standen vor Freude und Rührung die Thränen in den Augen.

„Lassen Sie uns zu Meunier´s gehen – Babet, meinen Sonntagsrock und die neue Perrücke!“ rief der gute Priester. „Gott, welche Freude zieht in des Maire’s Hause ein, und mein altes Herz muß daran Theil nehmen! François Duprès, nicht wahr der alte Priester, der Sie und Alice getauft, er wird auch den Segen über Eure Ehe sprechen?“

„Gewiß Herr Pfarrer!“

„Nun kommen Sie, mein junger Freund, wir gehen hinter dem Dorfe weg, und durch Meunier’s Garten, damit die Nachricht nicht vor uns in die Familie kommt. Sie warten in der Jelängerjelieberlaube bis ich die Meunier’s auf Ihre Ankunft vorbereitet, und nach wenigen Minuten können Sie dann Ihre Braut in des alten Maire Gegenwart küssen.“

Der heitere Greis ging in Meunier’s Haus und François verbarg sich in der Laube, derselben Laube, worin er vor drei Jahren Abschied von Alice nahm. Die Sehnsucht nach dem geliebten Wesen trieb ihn aber schon nach wenigen Minuten hinaus in den Garten, dem Hause zu, worin der Geistliche verschwunden war. Da bemerkte er ein offenes, dicht von Weinlaub umzogenes Fenster – es ging nach Meunier’s Wohnzimmer – und leise hinantretend vernahm er die Stimme des alten Pfarrers.

„So ist es, mein lieber Maire, und Du, mein Kind! Ich habe Nachrichten über François Duprès, aber leider sind es nicht die günstigsten, und Eure Güte wird für ihn sehr wohlthätig sein,“ rief der Geistliche.

[83]

Justus Freiherr von Liebig.



„Ich durfte ihn nicht hinausziehen lassen in das wüste Paris,“ sagte Meunier, „aber ich war ein verblendeter Thor, der sein liebes Kind fast um Geld und Gut an einen alten, grauen Sünder verhandelt hätte. Sagt, Herr Pfarrer, wo befindet sich François, damit ich ohne Verzug nach Paris reise und den Schlingel hierher hole, vorausgesetzt, daß er ein redlicher Mensch geblieben ist.“

„Das ist er geblieben, Vater,“ schluchzte Alice, „François konnte nicht schlecht werden!“

„Was wissen Sie von François, Herr Pfarrer?“ fragte der Maire.

„Der arme Junge lebt mühselig von seiner Hände Arbeit. Alles, was er begann, ist ihm mißlungen, und jetzt beabsichtigt er in’s Heer zu treten, um bald den Tod in einer Schlacht zu finden.“

„Oho, das soll er nicht!“ schrie der alte Meunier. „Gott im Himmel, wie weit hat meine Härte den armen Teufel gebracht. Alice, morgen reise ich nach Paris. – Ihr wißt doch, wo der arme Mensch zu finden ist, Herr Pfarrer?“

„Ganz gewiß weiß ich das,“ lachte der Geistliche, „der François’ Augen durch die grünen Weinblätter leuchten sah. Ihr könnt ihn fast mit Händen greifen.“

„Er ist in Carillon, gesteht es nur, Herr!“ rief außer sich vor Freude Alice.

„Hier bin ich ja, Ihr guten Menschen!“ jauchzte der glückliche François, indem er mit dem Kopfe durch die Weinreben hindurch in’s Zimmer fuhr.

[84] „François! mein François!“ stammelte Alice, den Kopf des Geliebten mit beiden Händen fassend und unter Freudenthränen seine Lippen küssend.

„Nur herein, Junge, nur herein!“ rief der hocherfreute Maire. „Gott segne deinen Eingang – fort sollst Du nicht wieder, denn Du hast ein Vaterhaus gefunden!“

François’ Kopf verschwand und einen Augenblick später sprang ein junger, eleganter Mann in’s Zimmer und auf Alice zu, die er mit stürmischem Entzücken umfaßte. Alice schrie laut auf und der alte Maire riß verwundert die Augen auf.

„Kennt Ihr mich denn nicht? Ich bin ja François Duprès – Alice, Vater Meunier!“ und François umarmte jubelnd bald Alice, bald Meunier und den Pfarrer.

„Aber wie stattlich siehst Du denn aus?“ rief der Maire. „Herr Pfarrer, Ihr sagtet es ginge ihm schlecht, und doch ist er gekleidet wie ein Edelmann und trägt eine schwere goldene Kette!“

Der alte Geistliche lachte aus vollem Herzen.

„Was ist denn eigentlich aus – Ihnen geworden, Herr Duprès?“ fragte verdutzt der Maire.

„Erster Kammerdiener Ihrer Majestät der Kaiserin Josephine bin ich!“ erwiederte François – „und hier Vater Meunier sind zwölftausend Franken – jetzt haltet Wort und gebt mir Alice zur Frau!“

Dem alten Meunier gingen die Augen über. „Und wärest du arm und elend zurückgekommen, François Duprès, ich hätte Dir mein Kind auch nicht verweigert. Gott hat Deine Mühe gelohnt – sein Name sei gelobt!“

„Amen!“ sagte der Pfarrer – „und wann ist die Hochzeit?“

„Wenn die Ausstattung fertig ist,“ versetzte Meunier, „und die muß ich nun doch etwas nach Pariser Schnitt einrichten lassen?“

„Deshalb bemüht Euch nicht, Vater Meunier, Alice’s Ausstattung übernimmt Ihre Majestät, die Kaiserin, und hier, meine Alice ist ein Geschenk der Kaiserin, ich sollte Dir es einhändigen, wenn ich Dein Herz in alter Liebe und Treue für mich schlagen fände.“ Mit diesen Worten öffnete François ein Kästchen, und das goldene Armband blitzte dem entzückten Mädchen entgegen.

„Von der Kaiserin!“ schrie Meunier. „Ach, François, wie beschämst Du mich! Als Du arm warst, wies ich Dir die Thüre und jetzt, wo Du ein vornehmer Mann geworden, suchst Du das Haus des hartherzigen Bauers auf, um Glück und Ehre über dasselbe zu bringen.“

„Laßt das, Vater Meunier – Ihr wolltet ja auch den armen François aufnehmen und ihm die Hand seiner Tochter geben. Seid mir ein lieber Vater, ich will Euer treuer Sohn sein mein Leben lang!“

Die Kaiserin Josephine erlangte leicht Napoleon’s Erlaubniß zur Verheiratung Duprès mit Alice. Bis zum Tode seiner hohen Gebieterin blieb François ihr treuer Diener, dann verließ er den Hof und kaufte ein hübsches Gut, nicht weit von Carillon, wo er, ein rüstiger Greis, hochgeehrt von Alt und Jung an der Seite seiner Alice dem Ende seiner Tage heiter entgegen sieht. Obgleich die Zeit sein und Alicen’s Haar mit Silber durchflochten, so sind doch ihre Herzen jung und frisch geblieben, und umgeben von wohlgerathenen Kindern und blühenden Enkeln erhebt sich ihr Auge oft stilldankend zu Gott, der Alles so wohl gemacht. – – Otto Moser. 




Justus Freiherr von Liebig.


Unsere Zeit ist reich an solchen Männern, welche den langsamen Entwickelungsgang der Wissenschaften durch einen mächtigen Anstoß plötzlich um ein gutes Stück vorwärts brachten; und ihr gewaltiger Charakter bleibt sich also auch hierin gleich.

Daß dies ganz besonders auf dem Gebiete der Naturwissenschaft der Fall gewesen ist, ist schon so oft gesagt worden, daß man sich allgemach zu scheuen beginnt, es noch einmal auszusprechen, weil kaum noch Jemand ist, dem es noch neu sein könnte.

Unser umstehendes Bild zeigt uns die Züge eines Mannes, der vor vielen anderen zu den treibenden Kräften auf dem weiten Felde der Naturwissenschaft gehört. Die Chemie ist bekanntlich sein Fach; denn welcher Gebildete kennt „Liebig’s chemische Briefe“ nicht!

Aus der aberwitzigen Verlarvung der Alchemie längst herausgetreten, auch nicht mehr blos die Dienerin der Heilkunst und der Gewerbe, schwingt jetzt die Chemie mit vollster Berechtigung auf dem weiten Kampfplane, wo die Erforschung der Natur mit dem Aberglauben ringt, den sieghaften Herrscherstock.

Im Bunde mit der Physik, ihrer Zwillingsschwester, die ihr Waage und Mikroskop als Waffen leiht, dringt sie unaufhörlich in für unnahbar gehaltene Gebiete immer tiefer ein. Unheimliche Gespenster, welche bisher die Träume der Naturforschung bevölkerten, wie der nisus formativus (Bildungstrieb) und die Lebenskraft, zieht sie an das helle Licht ihrer Nähe, wo sie verschwinden und im Wesen der Siegerin aufgehen.

Wir nannten die Physik die Zwillingsschwester der Chemie. Aber auch diese Bezeichnung des allernächsten Verwandtschaftsgrades drückt die innigen Beziehungen zwischen beiden kaum hinreichend aus. Die Bewegung, welche bisher unangetastet als Gebietstheil der Physik galt, ist eben so sehr Eigenthum und Begleiterin jedes chemischen Vorganges. Die Lehre vom Leben und von der geistigen Seite der belebten Wesen, Physiologie und Psychologie, können fortan ohne Chemie in jener Verschwisterung mit der Physik nicht mehr gedacht werden.

Wenn gleich Liebig in seinen berühmten chemischen Briefen seiner erhabenen Wissenschaft nicht bis an die äußersten Grenzen ihrer Berechtigung gefolgt ist, so bleibt er darum nicht weniger der hervorragendste der lebenden Chemiker, gleichsam der Vertreter derselben.

Gießen, die kleine Universität seines Vaterlandes (Liebig ist am 12. Mai 1803 in Darmstadt geboren) machte er zu dem Sammelplatz aller Nationen, welche am Fortbau der Wissenschaft sich betheiligen. Mehr als ein Vierteljahrhundert hindurch, von 1824 bis 1852, machte er das kleine Gießen nach und nach zu einem Sterne ersten Glanzes. Ihm verdankt es Deutschland großentheils, daß es vor andern Ländern reich an ausgezeichneten Chemikern ist; denn sein Beispiel, seine Lehre, ja selbst sein Widerspruch herausforderndes Sein bilden die treibende Kraft, um hier den allseitigsten Wetteifer hervorzurufen.

Ohne die Arbeiten seiner Vorgänger verkennen zu wollen, darf man doch sagen, daß das mächtige Vorwärts, was in die Landwirthschaft gedrungen ist, wesentlich Liebig’s Werk ist. Sein berühmtestes, wenn auch vielleicht nicht sein bestes Werk: „die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur“ (1840) durchdrang alle Schichten des ackerbauenden Publikums, vom pflügenden Bauer an bis zu dem das Pflanzenleben studirenden Gelehrten. Es rief eine förmliche Liebigsliteratur hervor, in welcher vielerlei praktische und wissenschaftliche Interessen einen heißen Kampf führten. Sind auch gegen dieses Buch mit Grund manche Einreden erhoben worden, so beginnt doch mit ihm, wie mit Liebig überhaupt, die innige experimentirende Anwendung der Chemie auf die Erforschung und Pflege des Lebens der Pflanzen und der Thiere, denn bald (1842) ließ er jenem ein ähnliches Buch folgen: „die Thierchemie oder organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie.“

Glühende Begeisterung, rücksichtslose Geltendmachung seiner Ideen und Ergebnisse, wenigstens auf dem Gebiete seiner unmittelbaren Wissenschaft, und meist das Richtige treffende Genialität sind die Grundzüge von Liebig’s Charakter als Gelehrter.

Nachdem er kurz vorher einen Ruf nach Heidelberg abgelehnt hatte, nahm er 1852 einen solchen nach München an, wo er seitdem am Fortbau seiner großen Wissenschaft rüstig weiter arbeitet. Es steht zu hoffen, daß er nicht verabsäumen werde, derselben, wie wir uns oben ausdrückten, nun bis an die äußersten Grenzen ihrer Berechtigung zu folgen, wozu er vor zwei Jahren durch einen lauten Ruf aufgefordert wurde.

[85]

Spiegelbilder aus Persien.

Spitzbübereien der Perser. – Der Schach und sein Volk. – Zwei Feueranbeter. – Derwische als Betrüger und Heilige. – Die Armee und ihre Renommage. – Persien, das vormalige Paradies. – Zukunft Persiens bei einem Kriege zwischen England und Rußland.
(Schluß.)

Der Reisende, sagt Flandin, muß in Persien eine volle Börse und gute Waffen haben und darf nicht anstehen, diese zu gebrauchen, zuweilen genügt indessen auch die Anwendung der Peitsche. Flandin selbst lernte sie gebrauchen, ein so gutherziger Mann er auch war. Als er von Ispahan aus in’s Innere gereist war, kam er sehr bald mit dem Maulthiertreiber, den er gemiethet, in Streit. Nachdem dieser sich hatte vorausbezahlen lassen, brachte er schlechtere Maulthiere, als er verheißen, und als eins derselben unterwegs gefallen war, weigerte er sich ein Pferd zu kaufen, unter dem Vorgeben, er habe sein Geld in Ispahan gelassen. Flandin ließ ihn durchsuchen, man fand nichts. Nach einigen Peitschenhieben kam indessen die Börse zum Vorschein, der Maulthiertreiber kaufte das Pferd und wurde von da ab der böslichste Mann von der Welt. Als Flandin die Ruinen von Persepolis durchforschte, wollte der Vorsteher eines kleinen Dorfes ihn chikaniren und aus den Gärten vertreiben, wo er sein Lager aufgeschlagen hatte, obwohl der Firman des Sultans ihn dazu berechtigte. Flandin mußte förmlich mit ihm kämpfen und wurde dabei beinahe erschossen. Als dies ein höher stehender Beamter vernahm, ließ er dem Unverschämten sofort die Bastonade geben. Am andern Morgen erschien derselbe bei Flandin, leistete Abbitte und war die Höflichkeit selbst. Ein ander Mal verlangten die Wächter an der Landstraße, eine Art Landsoldaten, einen Tribut von ihm, da ritt sein Courier unter sie und hieb, den Firman zeigend, auf sie los. Da baten sie mit einem Male um Entschuldiguug. Dieser Courier hatte eine Forderung an den königlichen Schatz in Schiraz. Der Schach hatte selbst die Bezahlung angewiesen, sie wurde aber nicht geleistet und auch Flandin’s Verwendung konnte ihm nicht dazu verhelfen. Der Mann war in Verzweiflung. „Hätte ich nicht Weib und Kind,“ rief er aus, „ich bäte Euch, mich mit nach Frankreich zu nehmen.“ –

Solche Zustände können natürlich nur schlechte Folgen haben. Alles geht in Persien zurück und wird schlechter. Der Patriotismus erstirbt und der Funke von religiösem Fanatismus, der noch unter der Asche brennt, welche dieses unglückliche Land bedeckt, ist nicht mehr im Stande, die Herzen der Perser zu erwärmen. Einige plünderungssüchtige Khans bleiben so lange um den Thron, als noch Gold in dessen Umgebung glänzt, aber unter dem Volke giebt es sehr Viele, die den Schach und seine Veziere mit Verachtung ansehen und ihre Blicke auf die Fremden richten. So sehen die nördlichen Provinzen auf Rußland, die südlichen auf England. Nach Flandin’s Urtheil, das aber in diesem Punkt sehr einseitig ist, haben die Engländer seit vierzig Jahren alle Mittel angewandt, das persische Volk zu schwächen und herunterzubringen. Alle einflußreichen Männer des Landes sollen von England bezahlt sein und dieses soll überall seine Agenten haben. Es liegt auf der Hand, daß das Thorheit ist. Ein so demoralisirtes Volk wie die Perser, braucht man wahrlich weder herunterzubringen noch zu kaufen, es fällt dem stärkeren Nachbarn von selbst zu. Flandin selbst sieht sich überdies genöthigt, die in Persien beschäftigt gewesenen englischen Diplomaten Sir John Malcolm und Morier, den Verfasser des Hadji Baba wegen ihrer Verdienste um Persien zu rühmen.

Während Flandin die Ruinen von Persepolis durchforschte, begegnete er unter Anderm auch zwei Anbetern des alten persischen Feuerdienstes. Es waren alle Leute mit Turbanen statt der Kappen von Lammfell, die man sonst sieht, und langen weißen Bärten. Sie wechselten ein Paar Worte in einer Sprache mit einander, die Flandin nicht verstand, dann redeten sie ihn Persisch an und sagten ihm, sie seien Kaufleute aus Yerd, die von einer weiten Reise aus dem Norden zurückkehrten; als Feueranbeter könnten sie nicht vor dem Palast von Persepolis vorbeigehen, ohne ein frommes Gebet gesprochen zu haben. Damit häuften sie trocknes Laub und Holz auf dem Felsen, auf dem sie standen, zu einem Scheiterhaufen zusammen, zündeten ihn an und sprachen ein Gebet in der Zend-Sprache. Es überkam Flandin ein eignes Gefühl, als er diese lebendige Scene vor sich sah, die er so oft auf den Basreliefs des Palastes mit Inschriften derselben Sprache, die sie redeten, erblickt hatte. Seit zweitausend Jahren hatte sich also dieser Gottesdienst trotz aller Verfolgungen von Seiten der Mohamedaner erhalten! Es wurde ihm tief feierlich zu Muthe, als er die beiden Greise niederknien und die Flamme verehren sah, und noch lange blickte er der Rauchsäule nach. die über die mit Ruinen bedeckte lautlose Ebene emporstieg.

Die übrigen Reisenden, welche Flandin dann und wann antraf, konnten nie begreifen, was er unter den alten Steinen mache. Einige meinten, er müsse wohl in seiner Heimath keine so schönen Denkmäler haben. Andere aber, die Schlauköpfe sein wollten, meinten, er grabe nach Schätzen. Daß er ein Interesse daran haben könnte, wenn die Ausgrabungen ein neues schönes Relief zu Tage brachten, kam ihnen nicht in den Sinn. Es erzeugte sich daher auch der Glaube, die Franken hätten Gold und Juwelen gefunden und besäßen eine Vase mit fünfzig Pfund goldner Münzen, von denen sie einen Theil dem Schach geschickt hätten.

Flandin mußte daher den Nachts stets auf seiner Hut sein, und er ließ zwei Soldaten Wache stehn und ein großes Feuer vor diesen unterhalten, damit sie Jeder sehen konnte.

Einmal, als er eben die fabelhaften Ungethüme auf den Basreliefs studirte, trat ihm ein Mann entgegen, der in ein Tigerfell gekleidet, aber an Beinen und Armen nackt war; über seine Brust hing ein langer Talisman und an seiner Seite eine Schaale von indianischer Cocusnuß. Diese enthielt etwas Honig, den er Flandin anbot, um ein Almosen dafür zu fordern. Es war ein Derwisch. Die Sonne hatte seine Haut geschwärzt und das Haar flatterte lang um seine Schultern. Diese Derwische oder Fakire bilden die Plage von Persien. Sehr oft sind es entlaufene Sträflinge oder Räuber, die sich für Heilige ausgeben. Unter dieser Maske durchstreifen sie das Land, lassen sich nieder, wo es ihnen gefällt, und bleiben dort so lange sie wollen. Niemand wagt es, ihnen Obdach zu verweigern. Mit den Worten: Ya, Ali! erhalten sie Alles, was sie verlangen. Sie stehen in dem Rufe, Mittel für alle Uebel zu besitzen und treiben damit den unverschämtesten Betrug. Der Schach selbst hielt sich einen Derwisch, der stets in seiner Residenz war und ihm folgte, wohin er zog. Dieser Derwisch war der größte Lump, ein Spieler, Trunkenbold und Gauner. Dies hinderte jedoch nicht, daß er als Heiliger verehrt und daß ihm nach seinem Tode ein Grab errichtet wird, auf dem er den Namen eines Iwan erhält und dem die tiefste Verehrung gewidmet wird. Nur wenige unter diesen Derwischen sind noch religiöse Fanatiker, die ihr Leben in Gebet und Fasten vollbringen.

Als Flandin zuerst Persien betrat, an der nördlichen Grenze, erfuhr er einen praktischen Beweis, wie sehr das persische Volk im Allgemeinen die Russen haßt. Als er den ersten Halteplatz skizzirte, wurde er von einem Steinhagel, Schimpfreden und dem Wort: „Moskowit“ begrüßt. Daß es noch andere Franken, als Unterthanen des Czaren gebe, davon hatten die Leute keine Ahnung. Der Verlust von Georgien und die Niederlage an den Ufern des Araxes lag ihnen noch im Sinn. Ebenso groß ist ihre Abneigung gegen die Türken, die aus religiösem Sectenhaß entspringt.

Dabei gaben sie die lächerlichste Eitelkeit kund. „Und wenn die Türkei noch einmal so groß,“ rief ein alter Mollah, der damalige Premierminister des Schachs aus, „für Persien wäre sie nur ein Frühstück.“ Bei dieser Rodomontade muß man nur an die Armee denken, wie Flandin sie beschreibt. Die Offiziere sind entweder Knaben, wie schon oben erwähnt wurde, oder von Ausschweifungen und Lastern entartete Menschen, in denen kein Funke Ehre und Vaterlandsgefühl lebt, und die nur für große Epauletten und Dekorationen Sinn haben. Die gemeinen Soldaten werden mit Gewalt zum Dienst gepreßt, dem sie zeitlebens angehören, und erhalten so kleine Rationen und so selten Sold, daß sie fortwährend dem Hunger preisgegeben sind. Der Schach giebt das Geld hierzu an seinen Premierminister und dieser giebt es weiter; bis es jedoch durch alle Beamtenhände hindurchgegangen ist, schwinden die 12 Tomauns (ungefähr 60 Thlr.), welche der Mann jährlich erhalten soll, auf die Hälfte zusammen. Flandin sah ein Regiment, das seit 2 Monaten keinen Sold erhalten hatte. Zuweilen treibt das Elend sie zur Meuterei, und sie erlangen dadurch [86] eine Abschlagszahlung, mitunter zieht man es aber auch vor, das Regiment aufzulösen und ein neues zu bilden. Die Beförderung hängt nicht von der Kenntniß, sondern von der Geburt, den Launen oder Intriguen ab. Prinzen und Khans, die nichts vom Militairwesen verstehen und nie gedient haben, erhalten die ersten Stellen und werden mit Kommandos betraut, von deren Ausführung sie keine Ahnung haben. Welcher Grad von Vertrauen hieraus erwächst, kann man sich vorstellen, und ebenso, welches Schicksal einer Armee mit solchen Führern wartet, sobald ihnen europäische Truppen oder kriegerischere asiatische Völker entgegentreten.

Die Artillerie ist so schlecht, daß bei der Belagerung von Herat alle Kugeln über die Stadt hinwegflogen und die Soldaten fortwährend um dieselbe herumliefen, um die kostbaren Geschosse wiederzuholen, von denen nur eine kleine Zahl vorhanden war. Dabei kommandirte Hadji Mirza Agassi, derselbe, der die Türken lebendig essen wollte. Man kann sich denken, wie sich der russische Gesandte General Simonitsch[WS 1], ein alter Offizier aus Napoleon’s Armee, dabei belustigt hat.

Vor der Stadt lag eine ganze Armee, die wie eine Kolonie aussah. Da war ein Bazar und allerlei Läden, das Zelt des Sultans sah allein wie eine kleine Stadt aus. Die Perser mußten auch wohl selbst kein Vertrauen zu ihrer Belagerungskunst haben, denn sie pflügten und besäten die Felder der Umgegend und brachten auch glücklich die Ernte ein.

Wenn auch englische oder französische Offiziere dann und wann Unterricht in der Armee ertheilt hatten, so verschwanden die Spuren desselben augenblicklich wieder, sobald sie fort waren.

Flandin sah[WS 2] 6000 Mann im Lager unter des Schachs eignem Befehl. Die Leinwandzelte standen ganz regelmäßig, die Kanonen waren in Ordnung und wurden von Schildwachen mit gezogenen Säbeln bewacht, auch die Pferde waren an ordentlichen Krippen angebunden. Bei der Parade oder im Felde sah es indessen anders aus. Da waren die Uniformen zerlumpt, das Riemenzeug schmutzig, die Musketen schlecht, oft ohne Schlösser, zuweilen hatten die Soldaten auch gar keine, und diese selbst sahen jämmerlich aus. Das waren die Elemente der Regimenter, die unter den glänzenden Bannern des Löwen und der Sonne standen!

So sieht es jetzt in dem Lande aus, in dem der Sage nach der Garten blühte, den die Stammältern der Menschen bewohnten, wo im Brudermord der erste Krieg geboren, die ersten Töne der menschlichen Stimme ertönten. Es geht mit Riesenschritten seinem Verderben und endlichem Untergange entgegen.

Wenn Rußland wirklich die Absicht hätte, das britische Indien anzugreifen, so würde ihm Persien kein Hinderniß in den Weg legen. Es hätte nur die Schwierigkeiten zu fürchten, die ihm die Natur in den weiten, unermeßlichen Wüsten entgegenstellt, in denen es weder Wasser noch eine Vegetation giebt. Dort könnten ihnen allenfalls die Angriffe der unregelmäßigen persischen Kavallerie, sowie die Kurden, Araber und Turkomannen gefährlich werden, die noch in der Weise der alten Parther kämpfen und sehr geschickt mit ihren Waffen umgehn, auch meistentheils gut beritten sind. Vor der geschlossenen russischen Armee würde sie freilich wie Spreu auseinander fliegen, sobald sie ihr aber auf einer langen Linie in einzelnen Abtheilungen begegneten, würden sie diesen sehr gefährlich werden. Es läßt sich daher nicht sobald erwarten, daß Rußland zu diesem Wagestück schreiten werde. England kann keine bessern Barrieren für seine Besitzungen im Osten haben als die Türkei, Afghanistan und Persien mit ihren Wüsten. So lange diese Länder nicht von dem Koloß des Nordens verschlungen sind, haben die Kosaken an den Grenzen Indiens wenig Aussicht. Anders würde freilich das Verhältniß, wenn Rußland sich Constantinopels bemächtigen dürfte. Würde das schwarze Meer sein Eigenthum und gelangte es dazu, eine Seemacht zu gründen, so würde es seine Macht so verstärken, daß es wohl an den Versuch gehen könnte, nach Asien vorzudringen. Denn dann würde ihm auch der Westen dienstbar werden müssen und Preußen und Oesterreich würden nur noch Provinzen an seinen Grenzen bilden.



Ein Stiergefecht in Barcelona.[1]

Von E. A. Roßmäßler.

In Zügen strömte das Volk nach der plaza de toros, welche alles Schmuckes baar aus Balken und Bretern fest aber roh zusammengefügt in eine Staubwolke gehüllt vor mir lag. Ich betrat nicht ohne das Gefühl einiger furchtsamen Scheu vor dem grausamen Schauspiel das Gebäude, welches von zahlreichen Kavalleriepikets umstellt war, woraus ich eine nicht unnöthige Vorsicht des Gobernadors abnahm. Schon mehrmals ist aus der furchtbaren Aufregung, worein das spanische Volk stets die Corridas[WS 3] versetzen, eine revolutionäre Bewegung geworden, zu denen besonders der Katalonier stets geneigt ist. Das Innere des ungeheuern Amphitheaters bot einen großartigen Anblick. In kurzer Zeit füllten sich die in sombra y sol (Schatten und Sonnenseite) getheilten Zuschauerräume, in deren Mitte die große Arena lag, umgeben von der barrera, die gerade hoch genug ist, um von den leichtfüßigen Toreadores oder, wie die Stierkämpfer auch heißen, Toreros im rettenden Sprunge überflogen werden zu können.

Die bunte, schaulustige Menge flimmerte wie heiße Luft vor meinen Blicken, denn Tausende von Fächern und fächerähnlichen Luftwedeln, die man für 2 Cuartos zu jeder Corrida[WS 4] kauft, waren in fortwährender Bewegung. Der excelentisimo Señor el Gobernador führte den Vorsitz des Schauspiels, was in Madrid zuweilen die Königin selbst thut. Das Volk zitterte bereits vor Erwartung und Ungeduld, das jeden Sonntag gesehene Schauspiel auch heute wieder zu genießen. Er gab also das Zeichen zum Beginne. Ein Seitenthor wurde geöffnet und ließ in feierlichem Zuge die cuadrilla (Kämpfergesellschaft) ein, voran drei Alguacils zu Pferde in altspanischer schwarzer Tracht. Einer derselben erhielt aus der Hand des Gobernadors den Schlüssel zum Chiquero (Stierzwinger). Alle nicht zunächst am Kampfe Betheiligten verließen die Arena. Es blieben blos die stets drei berittenen Picadores[2] und acht Capoteros; alle in bunter Tracht aus Sammet und Seide und mit Goldtressen bedeckt. Jeder Picador nahm dem Gobernador gegenüber links vom Thore, durch welches der Stier hereinkommen sollte, in etwa acht bis zehn Schritt Abstand vom andern und etwa 4 Schritt von der Barrera seinen Platz ein. Wie Eisenmänner saßen sie auf ihren werthlosen alten mageren Pferden, denn diese gehen ja meistens drauf, fest im maurischen Bügel. Ihr rechtes Bein ist gepanzert, und das rechte Auge des Pferdes durch ein Tuch geblendet. Die unglücklichen Thiere dürfen den Feind nicht sehen, der ihnen das spitze Horn in die Eingeweide bohrt. Eine Todtenstille drückt die auf’s Höchste gespannte Erwartung der Zuschauer aus. Das Signal ertönt, das Thor öffnet sich und mit hoch erhobenem Schweife und gesenkten Hörnern stürmt der Stier herein, zwecklos über die Arena dahin brausend. Da erblickt er einen der einzeln vertheilten Capoteros und stürzt auf ihn ein. Wird er ihn aufspießen? Erst als der Stier sich seiner Beute gewiß glaubend, den Kopf zum tödtlichen Stoße senkte, hüpfte der Capotero, als gälte es einen Scherz, auf die Seite und der Stier rennt auf einen andern los. Der entfaltet seinen bunten seidenen Mantel (capa), seine einzige Waffe, vor den wüthenden Blicken des Stieres und lockt ihn damit nach einem Picador. Die lange feste Pika mit nur zwei Zoll langer Eisenspitze unter den eisernen Arm geklemmt, erwartet dieser das Anstürmen des Stieres, auf dessen Widerrist eine eingehakte bunte Bandschleife flattert, die Grenze bezeichnend, zwischen der und den Hörnern allein jener ihn treffen darf. Der Stoß sitzt. Der Stier, [87] den Schmerz nicht achtend, drängt nach dem Bauche des Pferdes, das stumpfe Ende der Pica verhindert ein tieferes Eindringen derselben, und so fest hat der Picador sie gepackt, und so fest sitzt er im Sattel – das Pferd wird wohl zehn Schritt weit seitwärts gedrängt. Der Stier läßt ab und stürzt auf den zweiten Picador. Dessen Pica gleitet ab und der Stier bohrt sein rechtes Horn tief in den Leib des Pferdes und hebt es sammt dem Reiter hoch empor. Es stürzt todt zusammen. Der Picador liegt unter ihm. Da fahren von allen Seiten, wie zuckende Blitze ihre verschiedenfarbigen Capas schwingend, die Capoteros herbei, um den Stier von dem Picador zu entfernen, der ja sonst verloren wäre. Wüthend stürzt das Thier, durch das tobende Bravo der Menge noch wüthender gemacht, auf den Schwarm der Capoteros los, die nach allen Seiten auseinanderstieben und sich zum Theil durch einen Schwung über die Barrera retten. Doch der Stier – mir erstarrte das Blut in den Adern – erhebt sich auch auf die Barrera und – es ist ihm gelungen, im schwerfälligen Sprunge jenen zu folgen. Ein Schrei des Entsetzens folgt der lautlosen Stimme. Der Stier ist nun in dem Callejon, einem schmalen Gange zwischen der Arena und der Contrabarrera, den ersten Zuschauerreihen. Wie Gedanken sind die Capoteros längst wieder hinüber in die Arena gehüpft und das schnaubende Thier rennt in der engen Gasse fort, denn hier fehlt seinem ungelenken Körper der Platz zum Anlauf, um die zweite Wand nach den Zuschauern zu überspringen. Es ist dies jedoch schon einige Male geschehen und es haben schon Zuschauer ihre grausame Lust mit dem Leben gebüßt. An eins der vier geöffneten Thore gelangt, stürmt er wieder in die Arena. Er theilt seine Wuth zwischen dem todten Pferde und den Toreros wieder. Doch das Volk verlangt nach Abwechselung. Die Picadores entfernen sich. Es erscheinen die 4 Banderilleros. Sie gleichen den Capoteros, doch haben sie keinen Mantel und als Waffe, mehr noch ein grausam neckendes Spielzeug, hat jeder zwei Banderillos. Das sind etwa drei Fuß lange Stäbe, mit bunten Bändern und Papier verziert und an einem Ende mit einem spitzen Widerhaken. Auch sie dürfen wie die Picadores den Stier nicht angreifen. Wenn der sie nicht freiwillig angreift, müssen ihnen wieder die Capoteros ihn zutreiben. Festen Fußes erwarten sie sein Anstürmen und wenn er vor ihnen den Kopf, um sie anzuspießen, senkt, stechen sie ihn beiderseits die Banderillos in den Nacken und mit einer gewandten Wendung gleiten sie aus der tödtlichen Nähe, wobei ihnen oft kein anderer Ausweg bleibt, als ein Sprung über den Stier selbst. So wird der Stier nach und nach mit zehn oder noch mehr Banderillos gespickt. Er schüttelt furchtbar schnaubend den Kopf, um die stechenden Bremsen los zu werden, daß die festsitzenden Stäbe an ihm herumflattern und seinen Schmerz nur vermehren. Sein Nacken ist mit Blut überströmt und das Jubeln des Volks steigt mit seiner Wuth und mit seiner Noth. Da ertönt der Ruf: „espada! espada“! Man will das Ende und einen neuen Stier. Es sollten heute ja acht getödtet werden.

Die Banderilleros mußten hinaus; der Espada mit dem langen Degen (espada) trat ein. In der Linken trägt er die Mulva, ein blutrothen Tuch, das an einer Seite durch einen Stab offen und flatternd gehalten wird. Während der Stier von den Capoteros beschäftigt wird, tritt er mit gespreitzter Großthuerei vor den Gobernador hin und hält eine prahlerische Rede, die mit einem eviva auf ihre Majestät la reyna Isabel segunda schließt. Dann wirft er seinen sombrero calañes (den spanischen Hut) hoch in die Luft und wendet sich zu dem Stiere. Die Capoteros treiben ihm diesen bald zu, wenn er den Espada nicht freiwillig angreift. Doch es ist Regel, daß der Espada in zwei oder drei Gängen mit der vorgehaltenen Muleta die Stöße des Stieres auffängt, um erst das Naturell desselben kennen zu lernen; erst beim dritten Angriffe bohrt er ihm den Degen in den Hals. Der Stoß gelang. Bis an das Heft drang er ein und der Stier rennt damit noch einmal durch die Arena. Das Blut strömt ihm aus Maul und Nase; er spreizt, um sich zu halten, die Beine und sinkt entseelt zu Boden. Doch nein. Er ist vielleicht noch nicht todt, und, wie mein guia del aficionado a las corridas de tores sagt, „um den Zuschauern“ – nicht dem armen Stiere – „den Anblick den Todeskampfes zu ersparen,“ stürzt nun der Cachetero[3] herbei und stößt dem gefallenen Stiere ein Messer (cachetero) in’s Genick. Noch ein letzten Todeszucken und – das Volk denkt schon mit Entzücken an den folgenden Stier. Es öffnet sich das erstgenannte Seitenthor und ein Gespann von drei feurigen, kaum zu bändigenden Mauleseln, mit blutrothen Quasten geputzt, werden bereingeführt. An einem Stricke, den man dem Stiere um die Hörner bindet, wird er im sausenden Galopp hinausgeschleift. Dann folgt ihm eben so die Leiche des Pferdes. Dann kamen die Mozos (Diener), um mit Rechen und Besen die Blutlachen zu beseitigen und ein zweiter Kampf begann; dem ersten gleich, nur noch mehr Pferde kostend. So wurden in zwei Stunden acht Stiere erlegt.

Man hat vielleicht unter den Kämpfern den Matador vermißt. Der Spanier kennt im Stiergefecht diese Benennung kaum; nur selten hört man sie und zwar nicht dem Espada, dem Hauptkämpfer, sondern dem Cachetero geben. Matador kommt von matar, tödten, her.

Nach dem fünften Stiere ging ich voll Ekel und Abscheu hinweg, und doch innerlich so aufgewühlt und zugleich abgestumpft, daß ich mit ziemlich kaltem Blute neben mir einen Menschenmord hätte begehen sehen können.

Man fühlt sich hier versucht, die sittliche Bedeutung der Stiergefechte und ihren Einfluß auf den Volkscharakter zu beleuchten. Doch ich überlasse dies dem Leser. Der Jähzorn des Spaniers findet hier seine Nahrung; dennoch aber glaube ich, von diesem absehend, den Spanier keineswegs roh und gemein nennen zu dürfen. Die Frauen bildeten mindestens die Hälfte der Zuschauer.

Am andern Tage las ich im Diario de Barcelona eine Kritik der Corrida, in welcher den Stieren Verse gewidmet waren, als wären es eben so viele Sänger oder Schauspieler gewesen. Bis zum nächsten Sonntag ist die Corrida Hauptgegenstand der Gespräche in den Cafés, in denen die Toreros, kenntlich an einem dünnen längeren Haarbüschel im Nacken, gesuchte Tischgenossen sind.

Drei von jenen acht Stieren wurden auf portugiesische Manier und von Asiaten bekämpft. Diesen noch viel gefährlicheren Kampf will ich in einer folgenden Nummer der Gartenlaube erzählen. Man fühlt sich auch hier gemüßigt, zur Erhöhung des Kitzels zu raffiniren. Zum folgenden Sonntage war ein gleichzeitig doppelter Kampf in der durch eine Scheidewand getheilten Arena angekündigt. Das muß die Gefahr für die Capoteros und Banderilleros wesentlich vermehren, indem sie, ihrem Stiere entspringend, leicht dem andern verfallen. Uebrigens ist der Erwerb der Lidiadores, auch so nennt man die Stierkämpfer, keineswegs ein bedeutender.

Die Regierung wird dem Volke die Stiergefechte nicht nehmen. Panem et Circenses!




Ein Königreich en Miniature.

Die Sandwich-Inseln und Bruder Jonathan. – Nichtsthun, die Lieblingsbeschäftigung der Eingeborenen. – Origineller Aufputz – Die Kinder und die Missionäre. – König Kamehameha III., der Billardspieler. – Der König amüsirt sich. – Hundefleisch, eine Delikatesse. – Cook’s Todesbaum. – Honolulu. – Das gute Leben der Missionäre. – Das Aussterben der Nation. – Zutodebeten. – Kamehameha als Präsident der Republik.

In den letztverflossenen Jahren begegnete man häufig in den Zeitungen einer Notiz über die Sandwichsinseln, welche jeden Leser frappiren mußte. Die Bewohner derselben, hieß es, seien gewillt, die republikanische Staatsform anzunehmen, und sich dem Verbande der vereinigten Staaten von Nordamerika anzuschließen. Der König derselben werde zu dem Zweck seine Krone niederlegen und künftig nur noch als Präsident der neuen Republik fungiren. Wie, mußte man sich hierbei sagen, hat sich die Bewegung des Jahres 48 bis zum stillen Ocean fortgesetzt und wird ihr Wellenschlag auch schon an den Ufern dieser Inseln verspürt, deren Bewohner bis dahin im paradiesischen Zustande politischer und socialer Unschuld gelebt haben?

[88] In der That, die Sache ist nicht zu leugnen. Diese Aenderung wird beabsichtigt und kann alle Tage vor sich gehen, aber die guten Sandwicher sind sehr unschuldig daran. Sie würden wahrscheinlich noch Jahrhunderte lang nicht auf diesen Einfall gekommen sein, denn sie leben auch jetzt noch in solcher Unschuld, daß sie nicht wissen, was gut oder böse ist, geschweige denn, daß sie die Monarchie von der Republik zu unterscheiden wüßten, aber Bruder Jonathan weiß, wozu ihm diese Inseln nützen können, und deshalb hat er sich aus christlicher Liebe über die bis dahin nackt umhergelaufenen Bewohner derselben erbarmt und sie rasch so weit civilisirt, daß er mit ihnen machen kann, was er will und daß es daher auch ein Leichtes für ihn ist, dort eine Republik zu etabliren.

Die Inseln haben eine vortreffliche Lage, und der Hafen der Hauptstadt derselben dient jetzt schon jährlich 200 Wallfischfahrern zur Station. Er ist 2800 Meilen von Mexico, 5000 von China, 2700 Meilen von den Freundschaftsinseln und 1700 von Californien entfernt. Durch die Verbindung des atlantischen Oceans mit dem stillen Meere würde er daher noch wichtiger werden, und es ist daher sehr natürlich, daß die Amerikaner darauf denken, sich alle Stationen zu sichern, welche für ihren Handel im Südmeere nach Californien und China von Wichtigkeit sind.

Die Kulturarbeit, welche sie mit den kindlichen Bewohnern der Sandwich-Inseln vorgenommen haben, ist aber so komisch ausgefallen, daß sie einen höchst humoristischen Anblick gewährt.

Honolulu. – Die Königin Kinan mit ihren Ehrendamen.

Ein englischer Reisender, der in den letzten drei Jahren zu seinem Vergnügen eine Reise um die Welt machte, Robert Elwes, hat auf dieser auch die Sandwich-Inseln berührt und eine sehr unterhaltende Schilderung ihrer Bewohner entworfen, und wir wollen unsern Lesern die Hauptsachen hieraus mittheilen, um sie über dieses Terrain der zu erwartenden neuen Republik zu belehren.

Die Sandwich-Inseln bestehen aus einer Gruppe von sechs größeren und vier kleineren Inseln, die nicht mehr ganz dieselben Namen tragen, welche ihnen Cook gab, als er sie im Jahre 1778 entdeckte und die noch meistentheils auf den Karten verzeichnet sind. Sie heißen vielmehr Hawaii, Mani, Molokai, Oahu, Kani und Nihan. Auf Oahu befindet sich die Hauptstadt derselben, Honolulu. Sie hat eine Bevölkerung von 5000 Eingeborenen und 400 Fremden. Unter diesen befinden sich 230 Amerikaner, 100 Engländer und 40 Chinesen. Die Eingeborenen gehören der malaiischen Race an und sind wahrscheinlich von Neu-Seeland und Tahiti auf diese Inseln verpflanzt worden, denn ihre Sprache ist dieselbe, welche dort gesprochen wird.

Das Land ist äußerst fruchtbar. Es erzeugt Zuckerrohr, süße Kartoffeln, Bananen, die in jüngster Zeit so berühmt gewordene Arrow-Wurzel und alle Arten tropischer Vegetabilien. Die Eingeborenen leben meistenstheils von Kalo oder Taro, einem Kraut, das große nahrhafte Wurzeln hat und wild an den Gewässern wächst. Die Amerikaner und die Chinesen bauen Zuckerrohr und Kartoffeln und ziehen daraus einen reichen Gewinn von den Wallfischfahrern, welche an den Küsten anlegen.

Die Eingeborenen lieben es vor Allem, nichts zu thun. Sie können dies allerdings auch durchführen, denn sie haben noch keine Bedürfnisse. Sie gehen nackt, leben in Grashütten und finden, was sie zu ihrer Existenz brauchen. Ihre Hauptbeschäftigung besteht darin, daß sie Vormittags an die See gehen, baden und sich nachher auf dem Rasen umhertreiben. Dabei sind natürlich beide Geschlechter ungenirt beisammen. Die Frauen haben nur eine Art der Bekleidung und des Schmuckes. Sie tragen große Kränze von gelben oder rothen Blumen, von Mimosen oder Rosen, die sie vor der Sonne schützen und ihnen, da sie nicht häßlich sind, ein höchst poetisches Ansehen geben. – Ueber dieses Heidenthum haben sich nun in jüngster Zeit die Missionäre erbarmt, und indem sie den Malaien das Christenthum predigten, haben sie ihnen vor Allem auseinanderzusetzen gesucht, daß sie nicht mehr nackt gehen dürften. Das ließen sich die guten Sandwicher auch gefallen, denn für den Putz ist jeder Mensch empfänglich. Es wurde also vor Allem für die Bekleidung der Frauen gesorgt. Da wollte es aber die Frau des Missionärs, die an der Spitze dieses großen Civilisationswerkes stand, recht gut machen. Sie schnitt den Frauen Kleider zu, die sie bis an den Hals verdeckten, und seitdem sieht man die Sandwich-Damen in den entsetzlichsten Nachtröcken umherspazieren. Sie bestehen aus ganz gerade geschnittenen Blousen, die am Halse zugeschnürt, lose herabhängen und bis auf die Fersen reichen, so daß sich die armen Geschöpfe kaum darin bewegen [89] können. Dabei sind die Stoffe der Kleider begreiflicher Weise von lebhaften Farben, und man sieht entweder hellfarbige seidene Kleider oder rothbaumwollene, die mit großen gelben Blumen bedeckt sind. Die Sternchen sehen gerade aus, als wären sie mit Tapetenstücken behängt. Nun waren sie aber auch daran gewöhnt, schrittlings, wie die Männer zu reiten. Wo sollten sie dabei mit ihren ungeschickten Kleidern bleiben? Sie wußten sich folgendermaßen zu helfen. Sie halbirten die Blouse und zogen sie wie Hosenbeine an. Diese fabriciren sie aber nicht selten aus verschiedenen Stoffen, so daß man sie halb roth und halb gelb gekleidet auf den Pferden sitzen sieht. Die Kleidertheile reichen bis zum Steigbügel und gewähren einen unendlich komischen Anblick.

Statt der Kränze sollten sie große Strohhüte tragen. Daran haben sie sich aber am wenigsten gewöhnen können. Wenn der Bursch seinem Mädchen begegnet, will er es in dem lieblichen Naturschmuck sehen, und auch dieses will nicht davon lassen, weil es weiß, daß es hübsch darin aussieht. Die Kränze machen daher immer wieder ihr Recht geltend. Der Blumenkultus läßt sich nicht ausrotten.

Höchst ärgerlich war den Missionären ferner das gemeinschaftliche Baden beider Geschlechter. Sie verboten es ihnen, aber nun fand sich, daß die guten Sandwicher die Kunst des Zuhausewaschens nicht verstanden. Sie hatten weder Wasser noch Waschschüsseln. Sie gingen also ungewaschen umher und wurden immer schmutziger und trauriger. Da mußten ihnen die Missionäre wohl die Seebäder wieder gestatten, verordneten aber, daß sie in Kleidern baden sollten.

Am übelsten sind die Kinder daran, da die Missionäre auf diese am meisten Acht haben, um sich eine neue sittsame Generation heranzuziehen. Ihnen verboten sie ihre gewohnten Spiele, weil diese heidnisch sind. Seitdem wagen sich die armen Knaben und Mädchen kaum noch zu regen, und die ersteren sehen so ernsthaft und verschlossen aus, wie alte Leute. Die Natur wird sich indessen auch da schon zu helfen wissen, und sie werden ihre alte Fröhlichkeit wieder zu erlangen suchen. Aus lauter Civilisationswuth sind die Missionäre in die abgeschmackteste Barbarei gefallen. Die Europäer, welche sich auf den Inseln ansiedeln, werden indessen schon dafür sorgen, daß sich vernünftigere und freiere Sitten erzeugen. In Honolulu giebt es vier Kirchen, zwei für die Eingeborenen, eine protestantische für die Engländer und Amerikaner und eine katholische, der ein französischer Geistlicher vorsteht. Man findet aber auch schon sechs Gasthöfe, sechs Billards, zehn Kegelbahnen und zwei Zeitungen auf Honolulu. Der König Kamehameha III. ist ein leidenschaftlicher Billardspieler und seine Hauptbeschäftigung besteht in der Ausübung dieser edlen Kunst. Sein Premierminister ist ein ehemaliger amerikanischer Missionär, Dr. Judd, sein Staatssekretär sowie sein Arzt sind Engländer. In ihrer Hand liegt die Regierung des Landes, und sie sind nach Kräften bemüht, es zu fördern. Der König versteht die englische Sprache, spricht sie jedoch nicht fließend. Als Elwes ihm vorgestellt wurde, trug er eine blaue Uniform mit Epauletten und ein breites, carmoisinrothes Band um die Hüften. Ihm zur Seite stand sein Neffe, Prinz Alexander, der muthmaßliche Thronerbe. Die Königin, welche Elwes auf einem Spaziergang sah und rasch in sein Skizzenbuch zeichnete, war ganz im europäischen Styl gekleidet, und hatte zwei Ehrendamen zur Seite.

Elwes begleitete den König auf einer Fahrt nach Havaii auf dessen in Baltimore gebautem Schoner von 120 Tonnen. Dabei war derselbe ungemein fröhlich. Er scherzte und lachte mit Jedermann und tauchte, wenn er Fleisch oder Fisch aß, seine Finger in dieselbe Kürbisschaale mit Brühe, aus der ein Dutzend Andre aßen. Von dem Messer- und Gabel-Luxus macht man auf den Sandwich-Inseln noch keinen Gebrauch. Abends kam er gern zu Elwes, trank mit diesem Grog und rauchte Cigarren. Dabei erzählte er von dem früheren kriegerischen Leben seines Volkes, ihrer Geschicklichkeit im Schwimmen, Fechten und im Erlegen der Haifische, und schien den Verlust der guten alten Zeiten zu beklagen.

Die Mahlzeit des Königs, zu der Elwes geladen wurde, war im einheimischen Style hergerichtet. Sie bestand aus verschiedenen Fischarten, die theils gekocht, theils geräuchert, theils roh waren, und einem großen Hundebraten, der als größte Delikatesse gilt. Elwes kostete denselben und fand ihn nicht übel. Er schmeckte wie Schweinefleisch. Die zum Schlachten bestimmten Hunde werden eigends dazu mit Kartoffeln, Cocoa-Nüssen und anderen Pflanzenstoffen gemästet. – Zu dem Essen wurde nur Thee getrunken, denn öffentlich folgt der König dem Tempemny-Gebot, das Dr. Judd eingeführt hat. Der König ist von mittlerem Wuchs, aber kräftig und von gutem Aussehen. Die Häuptlinge der einzelnen Inseln sind aber meist sehr groß, oft sechs Fuß hoch. Auch die Frauen sind groß und gewöhnlich sehr fett.

Elwes besuchte die Stelle der Kearakakua-Bai, wo Cook seinen Tod fand. Die Bai ist eine Meile tief und mit Lavaklippen umgeben. Die Ufer sind mit Cocoanußbäumen umgeben. Ein Eingeborener erzählte den Vorfall ziemlich so, wie er in Cook’s Reisen steht. Einige wollten sogar dabei zugegen gewesen sein, sagten dies aber offenbar nur, um sich wichtig zu machen. An dem Stumpf des Cocoanußbaumes, der der Stelle, an welcher Cook fiel, gegenüber steht, haben englische Offiziere eine Tafel, welche den traurigen Vorfall erzählt, angebracht. Die Krone dieses Baumes befindet sich im Hospitale von Greenwich. Sehr schön war die Ansicht der beiden mit Schnee bedeckten Berge von Havaii. Der Mouna Kea ist 13,764 Fuß, der Mouna Roa 13,430 Fuß hoch. Der letztere hat einen Krater, der fast in steter Bewegung ist und Feuer und Asche ausspeit. Er unterscheidet sich darin von allen andern. Die Lava ist in demselben in stets glühendem, kochendem Zustande, wird aber nicht ausgeworfen, sondern kommt nur als Asche zum Vorschein. Der Krater war ersichtlich früher weiter. Es scheint demnach, daß er in sich ausbrennt. Der des Mouna Kea ist schon erloschen.

Gleiche vulkanische Bildungen fand der Reisende auch auf der Insel Mani, die aus zwei durch einen Isthmus verbundenen Bergen besteht. Auf dieser liegt die Stadt Lahaina, die zwar nur größtentheils aus Grashütten besteht, aber mit ihren Gärten und Cocoanußbäumen einen recht hübschen Anblick gewährt. Auch dort wurde ein Haus für den König gebaut und ein Amerikaner hatte ein Hotel mit Billardzimmer und Kegelbahn errichtet, in dem man sehr gut speiset. Lahaina wird jährlich von zweihundert Wallfischfahrern besucht, die dort Gemüse einkaufen, das billiger ist, wie in Honolulu. Da sich kein Hafen dort befindet, müssen die Schiffe daselbst auf offener Rhede vor Anker gehen, wo die See der Korallenriffe wegen oft sehr hoch geht. Dort sieht man die Eingeborenen sich mit der größten Geschicklichkeit im Wasser bewegen. Die Frauen wie die Männer sind vorzügliche Schwimmer und können sehr lange im Wasser bleiben. Elwes wurde erzählt, daß die Frauen im Stande sind, zwölf Stunden darin auszuhalten.

Honolulu hat eine sehr romantische Lage. Die Stadt zieht sich an einem Bergrücken entlang, der sich vom Meeresufer allmälig erhebend, sechs englische Meilen weit erstreckt und die Höhe von 1100 Fuß erreicht. Die Thalebne, welche er bildet, ist vier Meilen breit und gewährt hinlänglichen Raum für die nach einem regelmäßigen Plan angelegte Stadt. Jetzt sieht sie zwar noch wie ein Dorf aus, weil sich große Zwischenräume zwischen den einzelnen Gebäuden befinden, die verschiedenen Hügel und Baumgruppen aber gewähren einen prächtigen Anblick.

Die Missionäre fand Elwes durchweg in sehr hübschen komfortablen Häusern, mit zahlreichen Familien umgeben, und in bestem Wohlstande. Unwillkürlich mußte er dabei immer lächeln, indem er der rührenden Phrasen gedachte, die man in London gebrauchte, wenn man von dem großherzigen Entschluß dieser Geistlichen sprach, die es unternähmen, 12,000 Meilen weit von der Heimath das Evangelium den wilden Bewohnern der Inseln des stillen Meeres zu predigen. „Ich weiß zwar nicht,“ sagt Elwes, „welche glänzende Stellungen diese Herren aufgegeben haben, aber die Unterschreiber zu den Beiträgen für ihre Unterstützung würden jedenfalls sehr erstaunen, wenn sie sie im besten Wohlleben fänden.“ Die Zahl der Einwohner hat sich nach und nach von 140,000 auf 110,000 verringert, so daß man hieraus den Schluß ziehen muß, daß die Race keine fruchtbare ist und allmälig aussterben wird. Der Leichtsinn, mit dem diese harmlosen Naturkinder dahinleben, hat sie auch zur Nachlässigkeit in der Erziehung der Kinder geführt. Sie sorgen für diese sehr schlecht und schenken sie sehr häufig weg, um der Last ihrer Erziehung überhoben zu sein. Dazu kommt, daß die von den Europäern zu ihnen gebrachten Krankheiten eine große Verheerung unter ihnen angerichtet haben. Die gewöhnlichsten Kinderkrankheiten, die Masern und der Keuchhusten, haben Hunderte von ihnen hinweggerafft. Sie sind [90] so weichlich und besitzen so wenig Widerstandskraft, daß sie sehr bald sterben, wenn sie erkranken. Während ihres Heidenthums war es bei ihnen Sitte, daß sie ihre Feinde todbeteten. Sobald der davon Betroffene dies erfuhr, erschrak oder grämte er sich gewöhnlich so sehr darüber, daß er bald darauf starb.

Auch diese Beschaffenheit giebt daher den Amerikanern die Aussicht, daß sie auch physisch binnen Kurzem vollständig Herren dieser Inseln sein werden, und dann bringt es die Natur der Sache mit sich, daß dieselben den vereinigten Staaten einverleibt werden. Wie aus der gegebenen Schilderung hervorgeht, brauchen sie indessen nicht darauf zu warten. Wenn Dr. Judd es für gut befindet, wird Kamehameha III. keinen Augenblick Anstand nehmen, seine Krone niederzulegen und sich als Präsident der Sandwichrepublik in den Schutz der Regierung von Washington begeben. Wird er doch dadurch in seinem Billardspiel in Honolulu nicht gestört, sondern erhält er vielmehr die Aussicht, dasselbe um so sicherer fortsetzen und sich auch für seine Häuser auf den übrigen Inseln recht schöne Billards aus New-York kommen lassen zu können!




Blätter und Blüthen.

Einer von der Garde. Villemain, dessen Memoiren soeben in Paris erscheinen, erzählt folgende Scene aus dem russischen Rückzug. Der Kaiser, den man oft, von eisigem Winde gebeugt, auf einen Stock gestützt, durch den Schnee zu Fuß gehen sah, hatte diese Nacht in seinem Wagen zugebracht, der an einige Trümmer einer hölzernen Scheune lehnte, worin sich eine kleine Zahl von Oberoffizieren und Grenadieren befand, die sich bei einem Bivouacfeuer, bald stehend bald liegend, in seinen letzten Wachen ablöste. Verlorene Schüsse fliegender Batterien fuhren über die Ebene und durchstrichen manchmal das Hauptquartier, dessen Herde nachts mit Asche bedeckt wurden, um dem Feinde keinen Zielpunkt zu gewähren.

Das Schneefeld war mit Ueberresten von Pferden und Menschen übersäet, als der Kaiser beim späten Anbruch des Tags, nachdem er sein Wagenfenster herabgelassen hatte, Narbonne zu sich berief und mit schwacher Stimme zu ihm sagte: „Welch eine Nacht, mein lieber General, sie war nicht härter für unsere Schildwachen als für mich, der sie schlaflos im Nachdenken verbrachte. Unterdessen sehen Sie ein wenig nach; man soll ablösen; kommen Sie zur Vertheilung und nehmen Sie dies zur Erquickung; denn bei 28 Grad Kälte hält der Mut allein nicht warm.“ Und zu gleicher Zeit gießt er aus einem mit Weingeist gewärmten Gefäß, das im Wagen war, eine kochende Mischung von Kaffee und Chocolade in eine Tasse.

Der Adjutant nahm ehrerbietig an, was ihm der Kaiser anbot und trat, nachdem er einige Schritte vom Wagen zurückgegangen war, beinahe auf einen Grenadier, der auf einem festgetretenen, Schneehügel lag, sein Gewehr krampfhaft mit seinen Händen umschloß und in der Energie seiner zusammengezogenen Züge einen unbeschreiblichen Ausdruck überwundenen Leidens hatte.

Er beugte sich zu ihm und sagte: „Nun, mein Tapferer das war eine schlimme Nacht; aber endlich haben wir Tag: stehen wir auf!“ Der Soldat machte mit mächtiger Willenskraft eine Anstrengung, schien jedoch an allen seinen gestreckten unbeweglichen Muskeln erstarrt.

„Nur zu, man muß sich einander ein wenig aushelfen,“ versetzte Narbonne und reichte ihm das noch warme Getränke hin; „nehmen Sie das, wir haben noch mehr im Hauptquartier.“ Der Soldat zögerte, legte mit einer Art ehrerbietigen Stolzes die Hand an seine schwarze Bärenmütze, nahm dann die Tasse an und machte, nachdem er sie geleert, von neuem eine kräftige Anstrengung, erhob sich und richtete sich, auf sein Gewehr gestützt, dessen Kolben in den gefrorenen Schnee drang, mit einem gewaltigen Anstoße in seiner ganzen Höhe auf und erschien nun als das, was er war, als einer der tapfersten Grenadiere der Kaisergarde.

„Ach,“ sagte er, „mein General, wie demoralisiren doch Hunger und Kälte wackere Menschen! Hätte ich das je von Ihnen annehmen dürfen, da Sie älter sind wie ich und es sich am Munde absparten? Ich bitte um Verzeihung, und, auf Wort, nun da ich den Magen warm habe, schäme ich mich ganz.“

„Ach, mein Braver, was ich that, ist sehr wenig, und wir müssen den Rest, der uns blieb, brüderlich theilen!“

Und als der Soldat ihm nun die goldene Schaale ehrerbietig zurückgab, sagte er: „Nein, nein, behalten Sie das für Ihre Reisekosten: das Aeußere gehört Ihnen wie das Innere und wird Ihnen in Polen, wohin wir nun bald gelangen, nicht minder nützlich sein.“ Aber der Soldat trat um einen Schritt zurück, salutirte wieder und sagte: „Davor behüte mich Gott! Mein General, ich habe niemals etwas genommen noch angenommen, als meinen Sold und meine Vertheilung, wenn es eine gab.“ Und er legte die Schaale auf den Schneehügel nieder, den er soeben verlassen hatte.

Als der General freundschaftlich in ihn drang und sich entschuldigte, daß er einem so tapfern Manne nichts anderes anzubieten habe, ergriff der Soldat die Schaale, drückte unter seiner eisernen Faust mit dem Daumen eine Ecke des Gefäßes ein und brach ein Stück davon ab: „Weil Sie befehlen. General,“ sagte er, „werde ich von dieser goldenen Tasse diesen kleinen Napoleon behalten. Das wird meine Medaille sein, die mich an die Ehre erinnern wird, die ich hatte, als ich hinter des Kaisers Wagen Wache stehen durfte und von Ihnen abgelöst wurde.“

Dann präsentirte er zum Zeichen des Abschieds vor dem General und schritt, gleich als ob er seine volle Kraft wieder erlangt hätte, mit großen Schritten dem Wagen des Kaisers voran, der soeben bespannt worden war und den Schnee mühsam durchfurchend durch die Ueberreste der Bivouacs und die Todten der Nacht hindurchwankte.

Später sah der General den Soldaten, ermattet und abgezehrt, in einem anderen Bivouac wieder, dann verlor er ihn aus den Augen. Vielleicht wurde er gefangen.

„Ich habe,“ sagte Narbonne zu Villemain, „mit dem Kaiser einmal über diesen Soldaten gesprochen; er wurde davon gerührt. Aber glauben Sie nicht, daß dieser Grenadier ein außergewöhnlicher Mann war: das war der Geist der alten Garde, der Geist der Aufopferung und Disciplin, der Geduld und selbst der Humanität: eine wahrhaft erlesene Schaar, im Kriegsfeuer gebildet und geläutert, die vor allen Garden oder Prätorianern in der Welt den unschätzbaren Vorzug hatte, nur auf den Schlachtfeldern oder in feindlichen Hauptstädten, niemals aber in den Straßen der unsrigen verwendet zu werden und nur zu erscheinen, um durch Ruhm den Thron zu unterstützen, dessen Kraft sie war.“




Eine Enttäuschung. Unsere praktische Zeit und die Wissenschaft zerstören den Romantikern eine Illusion nach der andern. Das schöne spanische Gedicht von „dem gar tugendhaften und tapfern Cid, dem berühmten Geliebten der Ximene“ wird den meisten unserer Leser bekannt sein. Fast alle Geschichtsschreiber hatten bis dato theils angenommen, theils nachgewiesen, daß der Cid ein tapfrer, edler Feldherr des Königs von Spanien gewesen und diesem große Dienste in den Kämpfen gegen die Mauren geleistet, bis er in Ungnade fiel und als Rebell triumphirend auftrat. Jetzt aber weist der Professor Dozy in Leyden durch christliche und maurische Documente nach, daß der edle Cid nichts als ein „treuloser Räuber war, der Verträge und Eide brach, seine Gefangenen durch langsames Feuer verbrennen oder durch Hunde zerreißen ließ und zwar nicht, wie die Inquisition zum größern Heil ihrer Seelen, sondern lediglich, um sie zu zwingen, ihre Schätze anzuzeigen.“ – Anfangs diente der edle Ritter, dieser Repräsentant der religiösen Begeisterung Spaniens, wie ein ächter Landsknecht, dem Erbfeind des Christenthums, den Mauren, die ihn in ihren jetzt aufgefundenen Manuscripten als „galicischen Bluthund“ bezeichnen, der die schönsten Landschaften der Halbinsel plünderte, die Heiligthümer entweihte, viele liebliche Jungfrauen (wenn sie sich das Gesicht mit Milch wuschen, hüpfte das Blut ihrer Wangen, die Koralle stritt mit den Perlen in ihrem Munde) mit seiner Lanze durchbohrte und sie wie die Blätter des Herbstes unter seinen Füßen zertrat.“ – Später diente er dem allerchristlichsten Herrn, und den Spaniern gilt er jetzt noch als der Inbegriff des Tapfern und Frommen.




Lebensgroße Daguerreotyp-Portraits. Zu den unzähligen industriellen und artistischen Dingen, worin uns die Amerikaner übertreffen, gehört besonders die Daguerreotypie, worin nun auch noch Herr Ransom im Universitätsgebäude, Washington Square, New-York, wie die „New-York-Times“ erzählt, eine Erfindung gemacht hat, die sich als sehr bedeutend ankündet. Herr Ransom läßt nämlich das Gesicht, welches sich portraitiren lassen will, in Lebensgröße von dem besten Zeichner der Welt, der Sonne, vermittelst des Daguerreotyp-Apparates unmittelbar auf die Leinwand fallen, wo die bis aufs Haar genauen Züge beliebig mit Oel vollendet werden können.




Chinesische Fischer in Californien. Auf der Südseite der Rincon-Spitze nahe der Mündung der Missions-Bucht (Mission Creek) blüht jetzt eine chinesische Fischer-Colonie rasch empor, da die Leute durch Fleiß, Pfiffigkeit und ergiebiges Wasser ungemein viel Geld verdienen. Sie besteht jetzt aus etwa 200 Personen, die fast alle Fischerei treiben. Sie haben 25 Boote, die immerwährend beladen zurückkommen und leer kühn in’s Meer hineinfahren. Ihre Wohnungen stehen nett in zwei Reihen sich gegenüber, und sehen sehr reinlich und anmuthig aus. Vor den Thüren sieht man Gruppen, die Netze ausbessern oder Fische ausnehmen und trennen und der Sonne zum Trocknen hinhängen. Sie fangen größtentheils Störe, Hechte, Haye und Heringe. Letztere werden ganz getrocknet, die andern in dünnen Streifen. Vollständig ausgetrocknet werden sie in Fässer, Kisten und Säcke geschichtet und für die Goldgräber oder lange Seereisen größtentheils an ihre Landsleute verkauft. Sie verdienten letztes Jahr im Durchschnitt täglich vier Dollars oder fünf Thaler auf jeden Kopf, ein Beweis, wie bedeutend der chinesische Verkehr mit Californien schon geworden ist, insofern fast alle ihre Ernten an Landsleute verkauft werden.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Als Seitenstück zu dem „Stiergefecht auf der Insel Madagaskar“ in Nr. 5 der Gartenlaube mag es erlaubt sein, hier ein spanisches Stiergefecht zu beschreiben, was ich am 17. [Juli] v. J. in Barcelona mit angesehen habe.
  2. Es sind fünf verschiedene Kämpfer: der Picador, zu Pferde, mit einer festen Lanze, pica, die an ihrem stumpfen Ende eine kurze Eisenspitze hat; der Capotero, ohne Waffen, blos mit einem großen, bunten seidenen Mantel, capa, zum Abwehren und Anlocken des Thieres versehen; der Banderillero mit zwei Banderillas bewaffnet; der Espada mit dem Degen und der Cachetero mit dem dolchartigen Messer.
  3. Sprich Catschetero.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Simonitch
  2. Vorlage: sahe
  3. Vorlage: Carridas
  4. Vorlage: Carrida