Die Fuchsfamilie
[472] Die Fuchsfamilie. (Mit Illustration S. 461.) Der aufmerksame, aber mit dem Thierleben weniger vertraute Leser wird in unserem heutigen „Familienbilde“ gewiß etwas vermissen: es wird ihm unvollständig erscheinen, da auf ihm das Haupt des Hausstandes, der alte Fuchs, fehlt. Hat nicht Meister C. F. Deiker einen Fehler begangen, daß er in dem Vorhofe der Burg Malepartus den schlauen Reinecke nicht gezeichnet hat? Er würde wohl eine prächtige Figur abgegeben haben, denn seine Zärtlichkeit gegen Weib und Kind ist ja weit und breit bekannt und selbst durch Sage und Dichtung verherrlicht worden. Wer erinnert sich nicht der rührenden Abschiedsscene in Goethe’s epischem Gedichte, wo Herr Reinecke der Frau Ermelyn seine Kinder empfiehlt und so gefühlsinnig von „Rossel, dem Schelmchen“, und „Reinhart, dem Jüngsten“, spricht, dem die Zähnchen schon so hübsch um’s Mäulchen stehen und der dem Vater gleich werden wird? Nun, wir müssen nicht vergessen, daß die Burg Malepartus und die in ihr geschilderten Familienscenen nur ein Werk menschlicher Phantasie sind und daß die schönen Worte des Dichters mit der Wirklichkeit gar nicht harmoniren. Deiker ist ein vollendeter Meister in der Darstellung der Thiercharaktere, und er hat in der That das Wahre und Richtige getroffen, wenn er in seinem rührenden Familienbilde den „Alten“ nicht berücksichtigt hat.
Reinecke, der Mephisto unserer Wälder, ist, wie die vorzüglichen Kenner unserer heimischen Thierwelt, die Gebrüder Karl und Adolf Müller, mit Recht erklären, der „treuloseste Familienvater“ auf Gottes Erden. Mit den Liebeslauten „Grau“ und „Griau“ wirbt er wohl im Februar um die Huld der jugendlichen Ermelyn und verlebt auch die kurzen Flitterwochen in dem von ihr errichteten Bau. Wenn aber die Jungen zur Welt kommen, dann überläßt er die Sorge für die Kleinen den ganzen Sommer hindurch ausschließlich der Mutter. Wie unser Haushund ist auch er dem Eheleben gar nicht zugethan und findet kein Wohlgefallen an den heiteren und launigen Spielen seiner jungen Nachkommenschaft; er meidet geflissentlich den häuslichen Herd. Wenn wir also in Wirklichkeit eine Familienscene aus dem Fuchsleben belauschen, so kann uns in derselben höchstens die Mutterliebe und das Spiel der Jungen erquicken. So wußte in diesem Falle unser berühmter Thiermaler die Wahrheit von der Dichtung zu scheiden und nicht nur ein kunstvolles, sondern auch lebenswahres Bild zu schaffen.