Die Franzosen drei Tage auf deutscher Erde

Textdaten
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Autor: Conrad Herrmann
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Titel: Die Franzosen drei Tage auf deutscher Erde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 585–588
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[585]
Die Franzosen drei Tage auf deutscher Erde.[1]
Von Conrad Herrmann in Saarbrücken.

Am 16. Juli kam von Paris die Nachricht, daß Frankreich an Preußen den Krieg erklärt habe. Sie können sich denken, daß diese obgleich lange befürchtete, dennoch ganz unerwartete Kunde große Bestürzung in dem gewerbe- und industriereichen Saarbrücken hervorrief. Man wußte hier, daß schon vor der Kriegserklärung alle der Grenze naheliegenden Städte und Ortschaften voll von Franzosen waren, und daß es denselben eine Kleinigkeit sein würde, eine offene Stadt zu überrumpeln, in welcher sich nur eine kleine Friedensgarnison befand.


Mit Befremden sah man, daß auch diese, bestehend aus einem Bataillon des neunundsechszigsten Infanterieregiments und zwei Escadronen des siebenten Ulanenregiments, in aller Eile packen ließ und alsdann selbst ohne Sang und Klang abzog. „Sollen wir dem Feinde ohne Schwertstreich preisgegeben werden?“ fragten sich die patriotischen Bürger Saarbrückens, – „soll sich die schmachvolle Zeit der ersten französischen Revolution, die hier so grausame Spuren und Erinnerungen zurückgelassen hat, wiederholen? Nein, nein! das dulden sie in Berlin sicherlich nicht!“ So und ähnlich sprachen sich die beklommenen Herzen aus, und erst als unsere Ulanen wieder einzogen und mit ihnen drei Compagnieen des vierzigsten Füsilierregiments, [586] da athmeten wir wieder etwas leichter, denn wir wußten ja, daß nach ausgesprochener Mobilmachung des Heeres noch mehr hinter diesen stehen würden.

Die Infanterie und Cavallerie stellten überall ihre Vorposten auf, in und außerhalb der Stadt, und für die wackeren Truppen begann ein schwerer und gefährlicher Dienst. Ihnen war die ehrenvolle Rolle geworden, in dem heiligen Kriege des zum ersten Male vereint kämpfenden deutschen Volkes den Reigen zu eröffnen. Spichern und seine Höhen, die „goldene Bremm“ und die ganze weite Umgegend über die preußische Grenze hinaus waren mit Feindestruppen aller Waffengattungen besetzt, und von einer eine Viertelstunde von hier gelegenen Hochebene, der sogenannten „Bellevue“, konnte man mit unbewaffnetem Auge ganz deutlich die Bewegungen und Zelte der Infanterie und das beständige Kreisreiten eines links dem Wege nach Forbach zu, am Fuße des Spicherer Berges aufgestellten Vorpostens der französischen Chasseurs à Cheval wahrnehmen. Nach und nach wurden die Vorpostenplänkeleien immer häufiger und ernster; als aber die Franzosen auf das preußische Grenzzollhaus zur Vollster Höhe eindrangen, die beiden Zollwächter mit sich fortschleppten, nebst dem kleinen Cassenbestand, da ließen sich unsere wackeren rheinischen Jungen auch nicht mehr halten. Ihre verdoppelten Anstrengungen machten sich sehr bald bemerkbar: gefangene Franzosen wurden eingebracht, und der Jubel war groß, als der Füsilier Krause vom vierzigsten Regiment den ersten Todten auf die französische Verlustliste besorgte. Dem ersten Gefangenen und dem ersten Todten, ach, wie viele Tausende schon sind ihnen bis heute nachgefolgt!

So ging es fort bis zum Morgen des zweiten August, und auch auf preußischer Seite gab es einige Verwundete und einen Todten. Der Letztere gehörte dem siebenten Ulanenregimente an und war ein Hohenzoller, der erst sechs Monate im Heere stand und zum ersten Male vor den Feind kam, eine Gunst, die er sich von seinem Rittmeister, Herrn von Luck, erbeten hatte. Kaum in die Vorpostenkette eingeritten, traf ihn auch schon die feindliche Chassepotkugel, und der blühende Jüngling mußte es erfahren, was das Lied:

„Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.“

sagen will. Wohl ihm, dem ersten Opfer unseres heiligen Krieges; er hat den Schmerz nicht erlebt, so viele Tausend Herzen brechen, so viele Tausend edle Menschengestalten zerfetzt und verkrüppelt zu sehen!

Am zweiten August kamen die ersten zwei Geschütze hier an, von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt. In einer Mulde des Rastpfuhler Waldes hatten gleichfalls noch das erste und das dritte Bataillon der Vierziger das Bivouac bezogen, und dieses zu besuchen hatten viele Einwohner schon am frühen Morgen des genannten Tages die Stadt verlassen, nicht ahnend, daß bei ihrer Rückkehr wälsche Gäste sich bei uns zu Gast geladen hätten.

Es war gegen zehn Uhr. Major, jetzt Oberstlieutenant, Pessel hatte als Commandeur sein Hauptquartier im Gasthof zur „Post“ aufgeschlagen, Ordonnanz um Ordonnanz kam hereingesprengt; das Gewehrfeuer ward immer heftiger, es kam immer näher, und nur zu bald erfuhren wir, daß der Feind große Streitkräfte entwickele, dreißig Mal unsern braven Truppen überlegen, und daß er Miene mache, ernstlich hervorzubrechen. Um zwölf Uhr rückte das Vorposten- und Tirailleurgefecht immer näher der Stadt, massenhaft pfiffen die Feindeskugeln über deren Häuser und bald hatten die Straßen das Aussehen, als hätte ein fleißiger Ziegeldecker auf den Dächern gehaust. Die Mitrailleuse fängt an zu pfeifen, der Donner der Kanonen dröhnt zwischendrein, und die ziel- und zwecklos vom Feinde geworfenen Granaten lassen ihre unheimliche Musik hören, daß uns anfänglich ganz sonderbar zu Muth ward. Frauen und Kinder flüchteten ängstlich in die Kellerräume; ein Theil der jüngeren männlichen Jugend aber eilte mit den Schützen der heldenmüthigen Vierziger bis vor in die gefährlichsten Stellungen und sorgte, daß die Tapferen in ihrer heißen Arbeit keinen Durst litten.

Indeß auch die bewunderungswürdigste Tapferkeit konnte nicht abwenden, daß der immer massenhafter hervorbrechende Feind Terrain um Terrain gewann; doch jeder Fuß deutscher Erde ist mit Franzosenblut bezahlt worden. Ich kann es bezeugen. Nachdem schon längst die Füsiliere sich nach St. Johann zurückgezogen hatten, um von hier aus gegen die Saarbrücker Höhen und gegen die vom Triller und Winterberg herabsteigenden Franzosen ein lebhaftes Feuer zu unterhalten, sah ich noch vier wackere Füsiliere, welche vorsichtig auf dem Saarquai und Canalleinpfade vorgingen und sich auf Saarbrücker Seite der alten Brücke näherten. Einer der Unerschrockenen wollte schießen.

„Schieß’ noch nicht, ’s ist zu früh,“ rief ihm ein älterer Camerad zu, „ich will mir erst die Cigarre wieder anbrennen.“

Und unter dem dicksten Regen von Chassepotkugeln reibt er ein Streichhölzchen an, hält es kaltblütig an die Cigarre und dann – geht es weiter, und noch mancher Franzose fiel den Kernschüssen seiner Zündnadel zum Opfer.

Gegen vier Uhr ward das Feuer allmählich schwächer, und als endlich von St. Johann aus das Signal „Schütze zurück!“ auch die Letzten aus dem Kampfe rief, folgten viele nur auf dringendes Bitten der Bürger und dann mit Thränen in den Augen.

„Ich hätte auch nicht mehr gekonnt; meine achtzig Patronen hat der Teufel und dieser hat mit ihnen die Franzosen geholt,“ sprach Einer zu mir und ging müde, die Büchse über die Schulter geworfen, hinüber auf das rechte Ufer der Saar und dann weiter in’s Land hinein, wo schon eine Masse von Truppen Bivouacs aufgeschlagen hatten. Noch folgten die traurigen Blicke der Saarbrücker dem Scheidenden, da zeigten sich schon die Franzosen in allen Hauptstraßen der Stadt, Infanterie, auch vom vierzigsten Regiment, Jäger zu Fuß, Zweiundsiebenziger und Soldaten verschiedener anderer Nummern.

Ihr Erstes war, in die Metzger- und Bäckerläden zu gehen um sich für Geld und auch für nichts Nahrung zu kaufen; ach, sie sahen nicht nur sehr schmutzig, nein, auch verhungert und verkümmert aus, diese häßlichen Gestalten, deren widerwärtigen Anblick wir drei Tage lang zu ertragen hatten. Bald kamen sie mit alten Kannen und sonstigen Gefäßen herbei und holten Wein oder Bier, was sie eben bekommen konnte; einen der Söhne der großen Nation sah ich, wie er ganz harmlos einige Flaschen Blittersdorfer mit einigen Flaschen Bier zusammen in die große Kanne fließen ließ und fröhlich schnalzend davonhüpfte. Andere der Napoleonischen Civilisationsarmee trugen ganze Brode auf den Bajonnetspitzen und hatten sich mit Wurstkränzen behangen wie die Indianer mit Muschelketten. Um das Bild vollkommen zu machen, hätte einem Jeden nur noch ein Ring durch die Nase gehört. Sie hatten vielleicht seit vierzehn Tagen zum ersten Male Gelegenheit sich wieder zu sättigen; denn als sie Abends hinauf auf den „Triller“ und „Exercierplatz“ zogen, wo sie in Zelten bivouakirten, geschah es mit vieler Munterkeit und unter Absingen der Marseillaise.

Wie sich die „Sieger“ betragen haben? Im Allgemeinen gut, daß aber viel Gesindel unter der „ersten Armee der Welt“ ist, können selbst die französischen Officiere nicht leugnen. Einem hiesigen Brauer stahlen und zerstörten sie ein Eigenthum von mehr als zweitausend Thalern; desgleichen einem Brauer in Arnuel; daß sie schutzlosen Frauen Broschen und Ringe, Portemonnaies vom Körper stahlen, ist auch nicht ritterlich, obwohl Bazaine und Graf Palikao nicht viel dagegen sagen können, denn – böse Beispiele verderben gute Sitte! Aber auch tapfer haben sie sich nicht erwiesen und heute noch lacht Alles, wenn des Braunschweiger Husaren gedacht wird, dem es offenbar nicht gefallen hat, daß die deutschen Patrouillen jedesmal nur bis auf die Hälfte der Saarbrücke vorgingen und sich dann wieder langsam auf das rechte Saarufer zurückzogen. Das war am 4. August. In gestrecktem Galopp reitet er deshalb über die Brücke nach Saarbrücken bis in die Gegend der Schloßkirche, schießt hier seinen Karabiner auf eine von einem Officier befehligte französische Truppe ab, wendet sich dann nach der Neugasse zu, schießt mit der schnell geladenen Waffe auch hier auf einige Franzosen und macht dann Kehrt, um über die Brücke zurückzusprengen. Vor derselben hat er das Unglück zu stürzen und kommt unter sein Pferd zu liegen; einige Männer helfen ihm hervor, er dankt ihnen ruhig, streichelt sein gutes Roß, führt es bis an die Brücke, dann hinauf und heida! über dieselbe, verfolgt von Hunderten von Kugeln der auf den Höhen stehenden Vorpostenkette. Von den in den Straßen befindlichen Franzosen hatte keiner die Geistesgegenwart, den Kühnen zu verfolgen; im Gegentheil, der Officier rief: „Sauve qui peut!“ und es war eine wahre Freude, zu sehen, wie die weißen Schöße auf den Hintersitz der rothen Hosen [587] anschlugen, als gelte es, in einer Minute ein Malter Korn zu dreschen. Der Angstruf: „Les Prussiens!“ trieb in der That alle Kinder Frankreichs aus den Häusern, und im Augenblick waren die Zugänge auf die Höhen so vollgestopft, daß mehrere Schlosserlehrlinge und Gesellen sich schon anschickten, den Flüchtigen etwas Eisen zur Beschleunigung zwischen die Beine zu werfen. Nur die Intervention einsichtigerer Bürger verhinderte dieses patriotische Vergnügen. Nachdem unser Braunschweiger vielleicht schon längst aus Freude über sein gelungenes Bravourstückchen einen guten Schoppen im „Nähkörbchen“ zu St. Johann geleert hatte, kamen nach und nach wieder einige Rothhosen zum Vorschein, begrüßt von dem Hohngelächter unserer Gassenjugend, in welches sie selbst einzustimmen nicht unterlassen konnten.

So hatten wir den Feind in unsern Mauern bis gegen Abend des 5. August, nachdem er in den drei vorhergehenden Nächten den Bahnhof und andere Gebäude in St. Johann mit Granaten beschossen und eine grenzenlose Verwüstung angerichtet hatte. An mehreren Stellen brannte es zu gleicher Zeit, und ist unter Anderm eins der ältesten Baudenkmale, das in der Nähe des „Exercierplatzes“ belegene „Deutschherrenhaus“ theilweise ein Raub der Flammen geworden. Glücklicherweise ist die schöne Kirche verschont geblieben.

Bevor ich Ihnen ein schwaches Bild zu geben versuche von dem gigantischen Kampfe am 6. August, muß ich der Vollständigkeit halber erst noch einige andere Thatsachen erwähnen, welche gleichfalls in der Geschichte Saarbrückens verdienen verzeichnet zu sein.

Es war am 3. August, als unser würdiger Bürgermeister, Herr Carl Schmidborn, von dem in St. Arnuel auf dem Rothenhofe eingemietheten französischen Obersten ein Schreiben folgenden Inhalts erhielt: „Herr Maire! Der Unterzeichnete giebt sich die Ehre, Sie zu einem guten Gabelfrühstück auf morgen früh acht Uhr höflichst einzuladen; leider muß ich aber hinzufügen, daß Sie, Herr Maire, alles dazu Nöthige werden mitbringen müssen, denn bei uns hier außen herrscht vollständig leere Küche.“

Was war zu thun? Nun, Herr Schmidborn zog es vor, der Einladung nicht zu folgen, beauftragte jedoch den vielbekannten Restaurateur Fr. Walter, ein solennes Frühstück anzufertigen und in das französische Lager zu besorgen. Als nun ein junger Koch und das nothwendige Transportpersonal halbwegs des genannten Rothenhofs gekommen waren, erschienen Franzosen und nahmen den Nahenden den Speisekorb ab; Niemand außer dem Koch durfte hinauf. Während des Servirens frug der Oberst den jungen Saarbrücker, wie viel Preußen am 2. August den Franzosen gegenübergestanden hätten. Auf die Antwort: „Drei Compagnien vierziger Füsiliere, die an sechs Orten vertheilt waren,“ entfiel dem Commandanten die Gabel.

„Das ist unmöglich!“ rief er, „das kann nicht die Wahrheit sein!“

„Herr Commandant,“ entgegnete der junge Saarbrücker, der als Koch früher im Lager von Chalons thätig war und den Kopf auf dem richtigen Fleck sitzen hat, „Sie werden wahrscheinlich Gelegenheit haben, Herrn Schmidborn zu sprechen, und aus dessen Mund werden Sie ganz sicher dasselbe und nichts Anderes hören!“

„Nun, ich werde mich erkundigen; sollte es aber wahr sein, was Sie mir da sagen, dann – wehe unserer Armee!“

Dasselbe äußerte Nachmittags der Officier, als er Herrn Schmidborn seinen Besuch abstattete, diesem gegenüber und versicherte außerdem der Stadt seinen besonderen Schutz.

Nachmittags um drei Uhr kam der Obergeneral Frossard aus dem französischen Bivouac in die Stadt, begleitet von einem großen Gefolge und einer Abtheilung reitender Jäger sowie einer Compagnie Jäger von Vincennes zur Bedeckung. Er stattete ebenfalls unserm Bürgermeister einen Besuch ab, wollte es aber auch nicht glauben, daß den ganzen Divisionen, die er im Kampfe am 2. August sich entwickeln ließ, blos eine Handvoll Männer, aber Männer in des Wortes wahrer Bedeutung, entgegengestanden waren.

„C’est impossible!“ rief er ein über das andere Mal, und er mag wohl einen Vorgeschmack erhalten haben, mit welchem Feinde er es zu thun bekommen würde. Auf sein Ansinnen, wenigstens auf dem Rathhause die französische Tricolore aufzustecken, ging unser Bürgermeister nicht ein.

„Herr General, wir haben keine solche und sind darauf nicht eingerichtet!“ entgegnete der wackere Mann, und damit hatte es auch sein Bewenden.

Der General versprach, strenge Mannszucht halten zu wollen, und zog alsdann wieder ab, vorsichtig, wie er gekommen war; die vierziger Füsiliere, „les pieds du diable“, wie sie von den Franzosen genannt werden, mochten den General wohl zur Vorsicht mahnen, denn tausend Schritte vor ihm sprengten beständig zwei Hornisten und ein Officier, die erst das Terrain recognoscirten und in jeder Straße ein Signal gaben, ehe der General hineinritt. Gegen vier Uhr ritt er wieder zur Stadt hinaus, wohl nicht ahnend, daß es der letzte Gang sein würde, den er auf deutschem Boden machte.

Nachdem am 5. August die Kunde hier angelangt war von dem Siege des Kronprinzen, wie strahlten da die Blicke der Saarbrücker! Die Franzosen wurden immer seltener in den Straßen, und so wie sie verschwanden, verschwand auch das lothringische Gesindel, das sich mit ihnen in unseren Städten eingefunden hatte. Die Zelte schwanden auf den Höhen „Winterberg“ und „Triller“ und man sah, wie die Rothhosen colonnenweise abzogen. Wohin? vielleicht die Preußen aufzusuchen, die in den Ortschaften und Wäldern des Köllerthales lagerten – oder gingen sie weiter fort über die Grenze zurück? so fragte man sich, aber erst der kommende Tag sollte blutige Antwort geben.

Am 6. des Morgens rückten die ersten preußischen Truppen durch Saarbrücken; es waren Mannschaften des siebenten Armeecorps, das mit seiner Avantgarde nordwestlich von hier bei Guichenbach stand; Artillerie und Infanterie, von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt, und gespeist und getränkt von Reich und Arm. Gegen Mittag rückte die Cavalleriedivision Rheinbaben durch, und kaum war ihre Avantgarde über die Hochebene und den Exercirplatz hinaus, so entwickelte sich auch schon der Kampf; der Feind hatte sich festgesetzt und verschanzt auf den Spicherer Höhen. Diese Höhen ziehen sich südwestlich und kaum eine Stunde von unserer Stadt links und nicht weit von der Chaussee von hier nach Forbach hin; sie überragen wohl an dreihundert Fuß das tiefe Thal, das sich westlich nach Frankreich hin erstreckt. Die Spicherer Höhen bilden in der That eine natürliche Festung, sie sind theilweise bewaldet und mit vier kluftartigen Einschnitten versehen, in welchen die Franzosen einen Hinterhalt hatten, aus dem vertrieben zu werden sie sicherlich nicht dachten. Sie entwickelten immer größere Massen und gaben ein mörderisches Feuer auf die tapfere Infanterie, welche ohne jede Deckung das Thal gewinnen mußte, um an den Fuß der verhängnißvollen Hügelkette zu gelangen, welche bastionsartig das Thal beherrscht. Außerdem hatte der Feind die Thalsenkung südwestlich des Exercirplatzes sowie die dahinterliegende Höhe, den „Galgenberg“, stark besetzt. Gegen Mittag griff die vierzehnte Division unter General v. Kamecke die Franzosen an, anfänglich mit Erfolg, bis der General Frossard immer neue Divisionen in den Kampf warf und so das Gefecht zum Stehen brachte. Furchtbar dröhnte der Kanonendonner, Schnellfeuer und ganze Bataillonssalven folgten ohne Unterbrechung, aber noch immer wich die einem zehnfach überlegenen und wohlgedeckten Feinde gegenüberstehende Schaar der Preußen nicht. Doch es war hohe Zeit, daß Truppen der sechszehnten Division und des dritten Armeecorps noch rechtzeitig eingriffen. Das wackere vierzigste Füsilierregiment, unterstützt von drei Escadrons und drei Batterien der sechszehnten Division, hatte schon zwei Mal auf dem ersten Hügelkopf festen Fuß gefaßt, mußte aber immer wieder vor der Uebermacht zurück, und erst als noch fünf Bataillone der fünften Division anlangten und auf dem linken Flügel der vierzehnten Division angriffen, da gelang es, die steilen waldbedeckten Höhen von Spichern zu gewinnen.

Noch einmal versuchte es der Feind, die Preußen zurückzuwerfen, allein vergebens, und als die fünfte Division nach und nach vollständig in die Gefechtslinie eintrat, drangen unsere braven Truppen immer weiter auf dem Hügelplateau vor. Da noch einmal erhielten die Franzosen bedeutende Verstärkungen und noch einmal wüthete der fürchterliche Kampf um die Spicherer Höhen, doch vergebens entwickelte der Feind eine in der That heldenmüthige Tapferkeit, die Preußen blieben Sieger und unter dem Schutz ihrer Artillerie zogen sich die Franzosen in wilder Flucht zurück, begünstigt von der Nacht, die ihren dunklen Schleier über das mit Todten und Verwundeten besäete Schlachtfeld ausbreitete.

Daß die Franzosen ihre Stellung für uneinnehmbar hielten, dafür liegt der Beweis auch darin, daß ganze Compagnien mit [588] zusammengestelltem Gewehr von den Preußen überrascht worden sind und ein vollständiges Zeltlager und das Gepäck einer ganzen Division und über tausend Gefangene in unsere Hände fielen. Während des ganzen Nachmittags zogen Männer und Frauen zu Fuß und zu Wagen mit Allem hinaus, was zur Labung und Linderung der Verwundeten dienen konnte, Jünglinge und Jungfrauen legten einen Heroismus an den Tag, der es verdient, mit goldenen Buchstaben in die Geschichte des deutschen Volkes eingeschrieben zu werden; ich will es heute unterlassen, Ihnen Scenen zu schildern, welche wohl die Schmerzensthränen in das Auge rufen, zugleich aber auch das Herz höher schlagen machen und die Gewißheit in unsere Seele rufen, daß ein solches Volk, daß das deutsche Volk nimmermehr zu Schanden werden wird!

Zwei Tage nach dem Kampfe habe ich das Schlachtfeld besucht – Gott, welch grauenhaftes Bild! Noch lagen Hunderte von Todten, Franzosen und Preußen, auf dem Plan, in der Bewaldung und dem Plateau der Spicherer Höhen; reihenweise lagen die Franzosen in den Bergeinschnitten, alle, alle in Stirn und Brust getroffen. Hier steckten sechs Zündnadelgewehre mit dem Bajonnet in dem Boden, sechs Helme, darunter der eines Officiers, lagen rundum und zeigten, wo die vierziger Braven den Tod und ihr Grab gefunden haben; dort drüben zeigen roh gearbeitete Kreuze an, daß an der Stelle siebzig Franzosen und einunddreißig Preußen gemeinsam ihre letzte Ruhestätte fanden, und so geht es fort und fort auch an beiden Seiten der Kaiserstraße entlang, die durch das Thal hin nach Forbach und Metz führt. Zerrissene und blutige französische Uniformen aller Waffengattungen, Tausende von Gewehren und Tornistern liegen zerstreut umher und schwarze Lachen zeigen, wo edles Menschenblut in Masse geflossen ist. Eine große Anzahl der längs zu beiden Seiten des Weges stehenden Bäume ist durch die Granaten zersplittert und die Aeste bedecken den sie umgebenden Raum. Hier und da hängt noch ein Feldkessel über der Vertiefung, die als Feuerheerd diente, und halbreife Kartoffeln zeugen von der Nahrung, mit welcher sich die Franzosen begnügen mußten. An einer andern Stelle graben Arbeiter weite Gräber für die zahlreich gefallenen Pferde und in dem sogenannten Molenthal birgt ein einziges Grab mehr als einhundertzwanzig gefallene Krieger. Vor diesem Riesengrab liegt der heldenmüthige General François und noch drei Officiere, für die man besondere Hügel gemacht hat. Einzelne Gräber sind auch schon mit Blumen und Strauchwerk geziert und ihre Inschriften nennen die Namen der Treuen, die hier den Heldentod fürs Vaterland gefunden haben. Sie mögen sanft ruhen im Mutterschooß der Erde – Gott aber möge die Thränen trocknen, die um die Gefallenen geweint werden, und Trost senden in die Herzen, die heute in Schmerz und Kummer schlagen; er möge Frieden bringen den Eltern, die vergeblich nach dem Liebling fragen, der erst vor wenigen Tagen noch frisch und froh in ihrer Mitte war, und möge ein Vater der Wittwen und Waisen sein, denen mit den gefallenen Kämpfern die einzige Stütze in’s Grab sank.


  1. Soeben, vierundzwanzig Stunden nach Schluß unseres Blattes, treffen Briefe vom Kriegsschauplatze ein. In aller Eile arrangiren wir noch eine Beilage, um wenigstens einen der eingetroffenen Berichte zu veröffentlichen. Auch Herr [[von Corvin hat geschrieben, nur wenige Zeilen und ohne Ortsangabe. Die nächste Nummer bringt ausführliche Schilderungen. Durch eine Bekanntmachung des preußischen Generalpostamts erfahren wir übrigens nachträglich, daß „auf militärischen Befehl die Absendung aller Correspondenzen aus dem Bereiche der operirenden Armeen mit Absicht bisweilen um einige Tage verzögert werde“. – Diese Maßregel kann sich aber doch unmöglich auf Wochenblätter erstrecken, die acht oder vierzehn Tage nach Eintreffen der Briefe erscheinen?
    D. Red.