Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Rîgsmâl

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Das Lied von Rigr
aus: Die Edda (Simrock 1876)
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Zusammenfassung: 15. Lied der Göttersagen in der „Älteren Edda“
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15. Rîgsmâl.
Das Lied von Rigr.

So wird gesagt in alten Sagen, daß Einer der Asen, der Heimdall hieß, auf seiner Fahrt zu einer Meeresküste kam. Da fand er ein Haus und nannte sich Rigr. Und nach dieser Sage wird dieß gesungen:


1
Einst, sagen sie, ging   auf grünen Wegen

Der kraftvolle, edle,   vielkundige As,
Der rüstige, rasche   Rigr einher.

2
Weiter wandelnd   des Weges inmitten

Traf er ein Haus   mit offener Thür.
Er ging hinein,   am Estrich glüht’ es;
Da saß ein Ehpaar,   ein altes, am Feuer,
Ai und Edda   in übelm Gewand.

3
Zu rathen wuste   Rigr den alten;

Er saß zu beiden   der Bank inmitten,
Die Eheleute   zur Linken und Rechten.

4
Da nahm Edda   einen Laib aus der Asche,

Schwer und klebricht,   der Kleien voll.
Mehr noch trug sie   auf den Tisch alsbald:
Schlemm in der Schüßel   ward aufgesetzt,
Und das beste Gericht   war ein Kalb in der Brühe.

5
Auf stand darnach   des Schlafes begierig

Rigr, der ihnen   wohl rathen konnte,
Legte zu beiden   ins Bett sich mitten,
Die Eheleute   zur Linken und Rechten.

[112]
6
Da blieb er drauf   drei Nächte lang,

Dann ging er und wanderte   des Wegs inmitten.
Darnach vergingen   der Monden neun.

7
Edda genas[WS 1],   genetzt ward das Kind,

Weil schwarz von Haut   geheißen Thräl.

8
Es begann zu wachsen   und wohl zu gedeihn.

Rauh an den Händen   war dem Rangen das Fell,
Die Gelenke knotig   (von Knorpelgeschwulst),
Die Finger feißt,   fratzig das Antlitz,
Der Rücken krumm,   vorragend die Hacken.

9
In Kurzem lernt’ er   die Kräfte brauchen,

Mit Bast binden   und Bürden schnüren.
Heim schleppt’ er Reiser   den heilen Tag.

10
Da kam in den Bau   die Gängelbeinige,

Schwären am Hohlfuß,   die Arme sonnverbrannt,
Gedrückt die Nase   Thyr die Dirne.

11
Breit auf der Bank   alsbald nahm sie Platz,

Ihr zur Seite   des Hauses Sohn.
Redeten, raunten,   ein Lager bereiteten,
Da der Abend einbrach,   der Enk und die Dirne.

12
Sie lebten knapp   und zeugten Kinder,

Geheißen, hört ich,   Hreimr und Fiosnir;
Klur und Kleggi,   Keffir, Fulnir,
Drumbr, Digraldi,   Dröttr und Höswir,
Lutr und Leggialdi.   Sie legten Hecken an,
Misteten Äcker,   mästeten Schweine,
Hüteten Geißen   und gruben Torf.

13
Die Töchter hießen   Trumba und Kumba,

Öckwinkalfa und Arinnefja;
Ysja und Ambatt,   Eikintiasna,
Tötrughypia   und Trönubenja,
Von ihnen entsprang   der Knechte Geschlecht.



[113]
14
Weiter ging Rigr   gerades Weges,

Kam an ein Haus,   halboffen die Thür.
Er ging hinein,   am Estrich glüht’ es;
Da saß ein Ehpaar   geschäftig am Werk.

15
Der Mann schälte   die Weberstange,

Gestrält[WS 2] war der Bart,   die Stirne frei.
Knapp lag das Kleid an,   die Kiste stand am Boden.

16
Das Weib daneben   bewand den Rocken

Und führte den Faden   zu feinem Gespinst.
Auf dem Haupt die Haube,   am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken,   Nesteln an der Achsel:
Afi und Amma   im eigenen Haus.

17
Rigr wuste   den Werthen zu rathen;

Auf stand er vom Tische   des Schlafs begierig.
Da legt’ er zu beiden   ins Bette sich mitten,
Die Eheleute   zur Linken und Rechten.

18
Da blieb er drauf   drei Nächte lang;

(Dann ging er und wanderte   des Wegs inmitten.)
Darnach vergingen   der Monden neun.
Amma genas,   genetzt ward das Kind
Und Karl geheißen;   das hüllte das Weib.
Roth wars und frisch   mit funkelnden Augen.

19
Er begann zu wachsen   und wohl zu gedeihn:

Da zähmt’ er Stiere,   zimmerte Pflüge,
Schlug Häuser auf,   erhöhte Scheuern,
Führte den Pflug   und fertigte Wagen.

20
Da fuhr in den Hof   mit Schlüßeln behängt

Im Ziegenkleid   die Verlobte Karls;
Snör (Schnur) geheißen   saß sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen   und wechselten Ringe,
Breiteten Betten   und bauten ein Haus.

[114]
21
Sie zeugten Kinder   und zogen sie froh:

Halr und Drengr,   Höldr, Degn und Smidr,
Breidrbondi,   Bundinskeggi,
Bui und Boddi,   Brattskeggr und Seggr.

22
Die Töchter nannten sie   mit diesen Namen:

Snot, Brudr, Swanni,   Swarri, Spracki,
Fliod, Sprund und Wif,   Feima, Ristil.
Von den Beiden entsprang   der Bauern Geschlecht.




23
Weiter ging Rigr   gerades Weges;

Kam er zum Saal   mit südlichem Thor.
Angelehnt wars,   mit leuchtendem Ring.

24
Er trat hinein,   bestreut war der Estrich.

Die Eheleute saßen   und sahen sich an,
Vater und Mutter   an den Fingern spielend.

25
Der Hausherr saß   die Sehne zu winden,

Den Bogen zu spannen,   Pfeile zu schäften;
Dieweil die Hausfrau   die Hände besah,
Die Falten ebnete,   am Ärmel zupfte.

26
Im Schleier saß sie   ein Geschmeid an der Brust,

Die Schleppe wallend   am blauen Gewand;
Die Braue glänzender,   die Brust weißer,
Lichter der Nacken   als leuchtender Schnee.

27
Rigr wuste   dem Paare zu rathen,

Zu beiden saß er   der Bank inmitten,
Die Eheleute   zur Linken und Rechten.

28
Da brachte die Mutter   geblümtes Gebild

Von schimmerndem Lein,   den Tisch zu spreiten.
Linde Semmel   legte sie dann
Von weißem Weizen   gewandt auf das Linnen.

[115]
29
Setzte nun silberne   Schüßeln auf

Mit Speck und Wildbrät   und gesottnen Vögeln;
In kostbaren Kelchen   und Kannen war Wein:
Sie tranken und sprachen   bis der Abend sank.

30
Rigr stand auf,   das Bett war bereit.

Da blieb er drauf   drei Nächte lang:
Dann ging er und wanderte   des Weges inmitten.
Darnach vergingen   der Monden neun.

31
Die Mutter gebar   und barg in Seide

Ein Kind, das genetzt   und genannt ward Jarl.
Licht war die Locke   und leuchtend die Wange,
Die Augen scharf   wie Schlangen blicken.

32
Daheim erwuchs   in der Halle der Jarl:

Den Schild lernt’ er schütteln,   Sehnen winden,
Bogen spannen   und Pfeile schäften,
Spieße werfen,   Lanzen schießen,
Hunde hetzen,   Hengste reiten,
Schwerter schwingen,   den Sund durchschwimmen.

33
Aus dem Walde kam der rasche   Rigr gegangen,

Rigr gegangen   ihn Runen zu lehren,
Nannte mit dem eignen   Namen den Sohn,
Hieß ihn zu Erb   und Eigen besitzen
Erb und Eigen   und Ahnenschlößer.

34
Da ritt er dannen   auf dunkelm Pfade

Durch feuchtes Gebirg   bis vor die Halle.
Da schwang er die Lanze,   den Lindenschild,
Spornte das Ross   und zog das Schwert.
Kampf ward erweckt,   die Wiese geröthet,
Der Feind gefällt,   erfochten das Land.

35
Nun saß er und herschte   in achtzehn Höfen,

Vertheilte die Schätze,   Alle beschenkend
Mit Schmuck und Geschmeide   und schlanken Pferden.
Er spendete Ringe,   hieb Spangen entzwei.

[116]
36
Da fuhren Edle   auf feuchten Wegen,

Kamen zur Halle   vom Hersir bewohnt.
Entgegen ging ihm   die Gürtelschlanke,
Adlige, artliche,   Erna geheißen.

37
Sie freiten und führten   dem Fürsten sie heim,

Des Jarls Verlobte   ging sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen   und waren sich hold,
Führten fort den Stamm   froh bis ins Alter.

38
Bur war der älteste,   Barn der andere,

Jod und Adal,   Arfi, Mögr,
Nidr und Nidjungr;   Spielen geneigt
Sonr und Swein,   sie schwammen und würfelten;
Kundr hieß Einer,   Konur der jüngste.

39
Da wuchsen auf   des Edeln Söhne,

Zähmten Hengste,   zierten Schilde,
Schälten den Eschenschaft,   schliffen Pfeile.

40
Konur der junge   kannte Runen,

Zeitrunen   und Zukunftrunen;
Zumal vermocht er   Menschen zu bergen,
Schwerter zu stumpfen,   die See zu stillen.

41
Vögel verstand er,   wuste Feuer zu löschen,

Den Sinn zu beschwichtigen,   Sorgen zu heilen.
Auch hatt er zumal   acht Männer Stärke.

42
Er stritt mit Rigr,   dem Jarl, in Runen,

In allerlei Wißen   erwarb er den Sieg.
Da ward ihm gewährt,   da war ihm gegönnt,
Selbst Rigr zu heißen   und runenkundig.

43
Jung Konur   ritt durch Rohr und Wald,

Warf das Geschoß   und stellte nach Vögeln.

[117]
44
Da sang vom einsamen   Ast die Krähe:

„Was willst du, Fürstensohn,   Vögel beizen?
Dir ziemte beßer — —
Hengste reiten   und Heere fällen!

45
„Dan hat und Danpr   nicht schönere Hallen,

Erb und Eigen   nicht reicher als Ihr.
Doch können sie wohl   auf Kielen reiten,
Schwerter prüfen   und Wunden hauen.


(Schluß scheint zu fehlen.)

Anmerkungen (Wikisource)

Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied

  1. genesen – hier entbinden, gebären (DWB)
  2. strählen – den Bart mit dem Kamm, der Bürste ordnen, kämmen (DWB)