Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Die Dipsaden
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zwölftes Bändchen, Seite 1517–1528
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Περὶ τῶν Διψάδων
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1517]
Die Dipsaden.

1. Der ganze Süden von Libyen ist ein ausgedörrter, mit tiefem Sande bedeckter Boden, eine ungeheure, öde Fläche, ohne Gras, ohne Baum, sogar ohne einen Tropfen Wasser, wenn sich nicht hie und da in einer Vertiefung etwas Regenwasser gesammelt hat, das übrigens schlammigt, übel riechend, und auch für den Durstigsten nicht trinkbar [1518] ist. Diese Gegend ist daher gänzlich unbewohnt. Denn Wer könnte auf dem dürren und gänzlich unfruchtbaren Boden und in der drückenden Hitze dieser Wüste leben? Die erstickende, den Feuerflammen ähnliche Luft und der durchglühte Sand machen sogar den Zugang unmöglich.

2. Die einzigen Anwohner sind die Garamanten, ein leicht gekleidetes, bewegliches Volk, das in Zelten wohnt und meist von der Jagd lebt. Bisweilen wagen sich diese der Jagd wegen in die Wüste, indem sie dazu die Regenzeit um die Winter-Sonnenwende abwarten, wo die größte Hitze abgekühlt, der Sand etwas angefeuchtet, und die Gegend einigermaßen zugänglich ist. Sie jagen alsdann wilde Esel, Strauße, hauptsächlich Affen, zuweilen auch Elephanten. Diese sind die einzigen Thiergattungen, welche in der wasserarmen Sandwüste ausdauern, und das Ungemach der stechenden Sonnenhitze in die Länge ertragen können. Uebrigens nehmen auch die Garamanten, sobald ihre mitgebrachten Lebensmittel aufgezehrt sind, eilig ihren Rückzug, aus Furcht, über den in kurzem wieder glühend werdenden Sand nur mit Mühe oder gar nicht kommen zu können, und alsdann, wie in einem Jagdnetze gefangen, sammt ihrer Beute umzukommen. Denn wenn die Sonne die Feuchtigkeit wegsaugt, und der plötzlich auftrocknende Boden auf’s neue erglüht, wo alsdann durch die feuchten Dünste die schwüle Hitze um so unerträglicher wird, so ist an kein Fortkommen zu denken.

3. Und gleichwohl wird alles Bisherige, die Hitze, die Trockenheit, der Mangel an Bewohnern, die Unmöglichkeit, irgend ein Mittel des Unterhaltes auf diesem Boden zu finden, als die geringere Schwierigkeit erscheinen gegen Dasjenige, [1519] wovon ich jetzt sprechen werde, und was diese Gegend gänzlich zu meiden gebietet. Sie ist nämlich von einer Unzahl mannichfaltiger, zum Theil sehr großer und seltsam gestalteter Kriechthiere bevölkert, gegen deren Gift es kein Mittel gibt. Einige dieser Arten bewohnen Höhlungen unter dem Sande: andere halten sich auf der Oberfläche auf, wie die Panskröten, Vipern, Ottern, Hornschlangen, Bupresten [giftige Käfer], Schießschlangen, Amphisbänen [zweiköpfige Schlangen], Drachen, und zweierlei Gattungen von Scorpionen. von welchen die eine ungemein groß ist, viele Gelenke hat und auf dem Boden bleibt, die andere mit Flügeln versehen ist, welche aus zarten Häutchen bestehen gleich denen der Heuschrecken, Grillen und Fledermäuse. Die zahllosen Schwärme dieser fliegenden Scorpionen machen es nicht wohl möglich, sich diesen Gegenden Libyens zu nähern.

4. Das furchtbarste Gewürm aber, welches diese Sandwüste nährt, ist die Dipsade [Durstschlange], eine Schlange, deren Größe nicht bedeutend, und deren Gestalt wenig von der Otter verschieden ist. Ihr Biß ist heftig und bringt ein verdicktes Gift in die Wunde, welches im Augenblicke unausstehliche Schmerzen verursacht. Die Wunde entzündet sich und geht in Fäulniß über, und theilt dem ganzen Körper eine so furchtbare Hitze mit, daß die Gebissenen brüllen, als ob sie auf einem brennenden Holzstoß lägen. Das schrecklichste Leiden aber, was die Unglücklichen quält und verzehrt, ist der unbeschreibliche Durst, wovon die Schlange auch ihren Namen hat. Und was das Seltsamste ist: je mehr sie trinken, desto brennender wird ihre Begierde [1520] darnach. Man könnte diesen Durst nicht löschen, auch wenn man ihnen alles Wasser des Nils und der Donau zu trinken böte; vielmehr entzündet alles Naß die Hitze auf’s Neue; es ist, als ob man Oehl in’s Feuer göße.

5. Als Grund geben die Söhne des Aesculap den Umstand an, daß der dicke giftige Saft, durch reichliches Zugießen von Getränke verdünnt, sich natürlich um so leichter dem ganzen Körper mittheile und dadurch um so wirksamer werde.

6. Ich habe nun zwar noch Keinen dieser Kranken mit eigenen Augen gesehen, und die Götter wollen verhüten, daß ich je einen Menschen zu Gesichte bekomme, der diese Pein leidet! Auch habe ich weislich nie einen Fuß in die Libysche Wüste gesetzt. Allein Einer meiner Freunde hat mir eine Grabschrift mitgetheilt, welche er selbst auf dem Leichenstein eines Mannes, der auf diese Art gestorben ist, gelesen zu haben versicherte. Auf einer Reise von Libyen nach Aegypten wäre er, so erzählte er mir, an der großen Syrte[1] vorbeigekommen (ein Umweg, der nicht zu vermeiden sey): ganz nahe am Ufer, fast unmittelbar an der Brandung sey ihm ein Grabmal mit einer Denksäule aufgestoßen, auf welcher die Todesart des Begrabenen vorgestellt war. Es war nämlich ein Mann auf derselben ausgehauen, wie man den Tantalus darzustellen pflegt: er steht im Wasser und schöpft mit der Hand um zu trinken, eine Dipsade hat sich um seinen Fuß geringelt und sich fest hineingebissen; viele Weiber laufen mit Wasserkrügen herbei, die sie über ihn [1521] ausgießen. Zur Seite liegen einige Straußeneier, wie die Garamanten auf ihren Jagden sie aufsuchen. In der Aufschrift war gesagt – doch ich will sie selbst mittheilen, so weit ich mich ihrer erinnere:

Tantalus Qualen sind dieß fürwahr. Des brennenden Giftes
     Gluth in den Adern – sie löscht nimmer ein labendes Naß!
Solch ein Gefäß erfüllten nicht Danaus Töchter; sie trugen
     Wasserfluthen herzu, doch mit vergeblicher Müh.

Noch folgen vier Verse, die ich vergessen habe: sie reden von den Straußeneiern und der Schlange, die ihn, während er jene aufheben wollte, gebissen habe.

7. Diese Eier werden nämlich von den Anwohnern der Wüste mit großem Fleiße gesammelt; sie dienen ihnen nicht bloß nur zur Nahrung, sondern ihre hohlen Schaalen lassen sich zu Trinkgeschirren und andern Gefäßen benützen. Denn weil jener Boden bloß aus Sand besteht, so ist es ihnen nicht möglich, Töpfergeschirr zu verfertigen. Wenn sie zuweilen welche von ungewöhnlicher Größe finden, so machen sie aus jedem Ei zwei Hüte: denn jede Hälfte ist geräumig genug, den Kopf zu bedecken.

8. Neben diesen Eiern nun lauert die Dipsade, und so wie sich ein Mensch nähert, kriecht sie aus dem Sande hervor und beißt den Unglücklichen. Die Folge ist, wie ich sie beschrieben habe, ein immerwährender Durst, der mit jedem Trunke um so heftiger wird, und sich nicht löschen läßt.

9. Bei dieser Schilderung hatte ich übrigens, bei’m Jupiter! nicht die ehrgeizige Absicht, mit dem Naturforscher und Dichter Nicander mich zu messen, noch auch Euch zu zeigen, daß ich der Naturgeschichte der Libyschen Kriechthiere [1522] einige Aufmerksamkeit gewidmet habe. Dieß wäre vielmehr nur dem Arzte zum Verdienste anzurechnen, welcher diese Dinge kennen muß, um ihnen mit der Hülfe seiner Kunst zu begegnen. Was mich betrifft – indessen, bei’m Gotte der Freundschaft! verübelt mir nicht die Vergleichung mit einem solchen Thiere – so scheint mir mein Verlangen nach Euch nicht unähnlich zu seyn dem Durste Derer, welche von einer Dipsade gebissen worden sind. Je häufiger ich vor Euch erscheine, desto mehr wächst mir die Lust darnach, desto unwiderstehlicher, ja brennender wird mein Durst (nach Eurem Beifall), und ich glaube dessen nicht satt werden zu können. Gleichwohl finde ich dieß sehr natürlich. Denn wo anders fände ich eine so lautere, so spiegelklare Quelle? Verarget es mir also nicht, wenn ich mit einem so süßen, so wohlthätigen Bisse an der Seele verwundet, mit dem Kopfe selbst unter den Born mich stelle und in vollen Zügen trinke. Möchte nur nie versiegen, was von Euch mir zuströmt; möchte Euer Verlangen, mich zu hören, nie sich erschöpfen und einem trostlosen Durste mich überlassen! Käme es nur auf mein Verlangen an, das mich zu Euch führt, Nichts sollte mich abhalten, ewig zu trinken. Denn wohl hat der weise Plato recht: „Des Schönen wird man nimmer satt!“



  1. Golfo die Sidra.