Ein kleiner Streit mit Hesiod

Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Ein kleiner Streit mit Hesiod
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zwölftes Bändchen, Seite 1523–1528
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Διάλογος πρὸς Ἡσίοδον
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1523]
Ein kleiner Streit mit Hesiod.

1. Lycinus. Nun, Hesiod, daß du ein vortrefflicher Dichter bist, und daß du diese Gabe sammt deinem Lorber von den Musen erhalten hast, davon liefern deine Gedichte selbst den Beweis; und die ehrfurchtgebietende Begeisterung, welche aus ihnen allen spricht, läßt uns daran nicht zweifeln. Nur Eins fragt sich dabei noch und verdient besprochen zu werden. Du sagst im Eingang deiner Werke,[1] du habest den göttlichen Gesang von den Musen empfangen, um zu rühmen und zu besingen das Vergangene, und zu verkünden das Zukünftige. Nun hast du zwar das Erstere auf eine vollkommen befriedigende Art geleistet; du hast uns die Generationen der Götter bis hinauf zu den Urwesen, dem Chaos, der Erde, dem Himmel und der Liebe, ferner die Tugenden der Frauen, die Regeln des Ackerbaues, und was zu wissen ist von dem Siebengestirn, der rechten Zeit zu säen, zu ernten, zu schiffen und allem Andern dieser Art, vorgetragen: das Zweite aber, für die Welt weit Wichtigere, was weit mehr einer göttlichen Gabe gleich gesehen hätte, ich meine die Offenbarung der zukünftigen Dinge, hast du nicht [1524] von dir gegeben, sondern hast diesen zweiten Theil in Vergessenheit gestellt, und nirgends in deinen Gedichten einen Kalchas, Telephus, Polyidus oder Phineus nachgeahmt, welche doch, ohne von den Musen dieses Talent erhalten zu haben, die Zukunft voraussagten, und sich nicht verdrießen ließen, Allen, die sie darum baten, ihre Orakel zu ertheilen.

2. Also trifft dich unvermeidlich von drei Vorwürfen Einer. Entweder hast du – so hart es klingen mag – gelogen, und die Musen haben dir die Gabe, auch das Künftige vorauszusagen, gar nicht versprochen: oder sie haben sie dir versprochen und ertheilt, du aber hast dieses Geschenk aus Mißgunst in deinem Busen verschlossen, ohne den armen Sterblichen etwas davon mitzutheilen: oder du hast zwar wirklich Gesänge dieser Art geschrieben, hast sie hingegen nicht unter die Leute kommen lassen, sondern sparst den Gebrauch derselben auf irgend eine spätere Zeit auf. Den das möchte ich nicht anzunehmen wagen, daß die Musen ihr Versprechen einer gedoppelten Gabe nur zur einen Hälfte erfüllt, zur andern zurückgenommen hätten, da sie doch diese letztere, die Gabe der Weissagung, in jenem Verse zuerst genannt hatten.

3. Wer könnte uns nun hierüber bessere Auskunft ertheilen, als du selbst, Hesiod? Denn wie die Götter „die Geber alles Guten“ sind,[2] so läßt sich auch von Euch, ihren Lieblingen und Schülern, erwarten, daß ihr uns die Wahrheit offenbaret von Allem was ihr wißt, und unsere Zweifel löset.

[1525] 4. Hesiod. Ich könnte mir zwar, mein Freund, die Antwort auf das Alles sehr leicht machen, wenn ich dir bloß sagte, das Alles, was ich gesungen, nicht aus mir ist, sondern den Musen angehört: du müßtest dir also von diesen die Gründe erbitten, warum sie Dieses gesagt und Jenes übergangen haben. Ich könnte zwar mit Recht für Alles verantwortlich gemacht werden, was ich aus eigener Wissenschaft geschrieben, z. B. vom Aus- und Eintreiben und Weiden des Viehes, vom Melken und anderen Hirtengeschäften und Hirtenkenntnissen: die Musen hingegen theilen ihre Gaben nur Wem und wie weit sie es für gut finden, mit.

5. Uebrigens bin ich doch nicht darum verlegen, mich gegen dich auch als Dichter zu rechtfertigen. Man darf es nämlich, denke ich, mit dem Dichter nicht so ängstlich genau nehmen; man darf nicht von ihm verlangen, daß bis auf die kleinste Sylbe hinaus Alles Stich halte, und es nicht mit Bitterkeit rügen, wenn ihm etwa in seinem poetischen Schwunge eine Kleinigkeit entwischt ist: man weiß ja, daß wir öfters bloß um des Silbenmaßes oder des Wohlklanges wegen Etwas einfügen. Zuweilen schlüpft auch dieses, jenes glatte Wörtchen wie von selbst in den Vers. Du aber willst uns um unser bestes Gut bringen, um unsere Freiheit und unsere poetischen Licenzen. Ueberhaupt siehst du nicht auf das eigentlich Schöne an der Poesie, sondern suchst nur Dornen und Splitter und Gelegenheit zum chikaniren. Nun freilich du bist nicht der Einzige, der es so macht, noch ich der Einzige, dem dergleichen widerfährt: wie viele Andere gibt es noch, welche meinen großen Kunstgenossen Homer bekritteln, und die erbärmlichsten Kleinigkeiten gegen ihn vorbringen!

[1526] 6. Um übrigens deiner Beschuldigung doch mit der bündigsten Rechtfertigung zu begegnen, so lies einmal mein Gedicht „Werke und Tage,“ und du wirst dort eine Menge ächt prophetischer Voraussagungen antreffen, indem ich ankündige, was erfolgen werde, wenn dieß oder jenes auf die rechte Art und zu rechter Zeit gethan wird, und welchen Schaden man davon haben werde, wenn man dieß und jenes zu beobachten unterläßt. Vernachläßige z. B. deine Feldgeschäfte, und deine ganze Ernte

Trägst du im Korbe davon, und Wenige werden dich neiden.[3]

Und wiederum findest du dort, welchen Segen Diejenigen zu erwarten haben, die ihre Felder nach der Regel behandeln. Gibt es für das menschliche Leben eine nützlichere Art von Prophezeiungen?

7. Lycinus. In der That, mein bewundernswürdiger Hesiod, da hast du wie ein ächter Hirt gesprochen. Nun muß wohl wahr seyn, daß deine Gedichte rein von den Musen eingegeben waren, da du ja zu ihrer Rechtfertigung nichts Eigenes vorzubringen weißt. Uebrigens haben wir von dir und den Musen nicht diese Art von Weissagung erwartet. In dieser Art sind unsere Bauern noch weit bessere Propheten: sie wissen auf ein Haar vorauszusagen, wenn es tüchtig regnen wird, werden wir schwere Garben bekommen; sollte aber die trockene Hitze andauern und unsere Felder durstig bleiben, so wird unfehlbar Hunger auf den Durst folgen; mitten im Sommer darf man nicht pflügen und säen, oder man wird vergebens gearbeitet und seine Saatfrucht umsonst [1527] ausgeworfen haben; auch darf man sein Getreide nicht schneiden, so lange es noch grün ist, oder man wird taube Aehren finden. Eben so braucht man keinen Propheten, um zu wissen, daß, wenn man seine Aussaat nicht mit der Egge zudecken läßt, die Vögel herzufliegen, und den ganzen gehofften Ertrag vorweg fressen werden.

8. Wer dergleichen Vorschriften und Warnungen ertheilt, kann sich freilich nicht irren, ist aber noch weit vom eigentlichen Propheten entfernt, dessen Sache es ist, gänzlich verborgene und nicht zu errathende Dinge voraus zu wissen, und z. B. dem Minos zu verkündigen, daß sein Sohn in der Honigtonne ersticken werde, oder den Achäern die Ursache vom Zorne des Apollo voraus anzudeuten, und ihnen zu sagen, daß Ilium im zehenten Jahre in ihre Hände fallen werde. Das nenne ich Weissagen. Wer hingegen Aussprüche, wie die obigen, dahin rechnet, wird nicht umhin können, auch mich für einen Propheten zu erklären, wenn ich, wiewohl ohne Kastalischen Trunk, ohne Lorber und Delphischen Dreifuß, folgendermaßen orakle und prophezeihe: „Wenn Einer bei kaltem Wetter, unter Regen, Schnee und Hagel nackt spazieren geht, so wird er von einem nicht geringen Fieberfrost befallen werden, und nach diesem wird sich unfehlbar eine starke Hitze einstellen – und was dergleichen Wunderdinge mehr sind.“

9. Kurz also, verzichte darauf, dich auf diese Art zu rechtfertigen und ein Prophet seyn zu wollen. Am ehesten noch ließe sich annehmen, was du Anfangs sagtest, daß du selbst nicht wüßtest, was du singest, sondern daß eine göttliche [1528] Inspiration die Verse dir eingegeben habe, die übrigens selbst nicht sehr zuverläßig war. Denn sonst hätte sie nicht wohl nur eine Hälfte ihres Versprechens erfüllt, die andere aber im Rückstand gelassen.



  1. Theogon. 30. ff.
  2. Hesiod. Theog. v. 46.
  3. Werke und Tage 480.