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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Lob der Vaterstadt
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zwölftes Bändchen, Seite 1512–1517
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Πατρίδος Ἐγκώμιον
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1512]
Lob der Vaterstadt.

1. „Nichts geht doch über die Vaterstadt!“[1] ist längst schon ein allbekannter Spruch. Und nicht das Liebste blos, sondern auch das Ehrwürdigste und Heiligste soll uns die Vaterstadt seyn. Denn was wir Menschen Ehrwürdiges und Heiliges kennen, gewährte und lehrte uns die Vaterstadt: sie ist unsere Erzeugerin, Erzieherin und Bildnerin. Während wir oft die Größe und Pracht anderer Städte, und die Kostbarkeit ihrer Gebäude und Kunstwerke bewundern, lieben wir alle doch nur die Vaterstadt. Und wie groß auch die Gewalt ist, welche der Genuß eines schönen Anblicks über Manche ausübt, so hat sich doch wohl Keiner von den Wundern der Fremde so sehr bestechen lassen, daß er darüber die Vaterstadt vergessen hätte.

2. Wenn ein Bürger auf seine Vaterstadt nur darum stolz ist, weil sie eine schöne und wohlhabende Stadt ist, so scheint er die wahre Achtung nicht zu kennen, welche der Vaterstadt gebührt. Ein Solcher würde es unfehlbar mit Verdruß empfinden, wenn ihm das Schicksal einen unbedeutenderen Ort zur Heimath angewiesen hätte. Ich denke aber, [1513] es ist schöner, die Vaterstadt schon um deßwillen zu ehren, weil sie Vaterstadt heißt. Allerdings kommen, wenn man eine Stadt mit einer andern (an und für sich) vergleichen will, die Vorzüge der Größe, der Schönheit, der Leichtigkeit, sich alles Käufliche zu verschaffen, in Betracht: fragt sich aber, welche Stadt wir uns zur Vaterstadt wünschten, so wird wohl Niemand, mit Hintansetzung der seinigen, die glänzendere wählen. Er wird zwar wünschen, daß sie den Vorzügen der glücklicheren Städte so nahe als möglich kommen möchte; nichts desto weniger aber wird er sie vorziehen, sie sey wie sie wolle.

3. Dasselbe thun auch rechtschaffene Söhne und gute Väter. Ein sittlich guter Jüngling wird Keinen höher achten als seinen Vater, und ein Vater wird den eigenen Sohn nicht vernachläßigen und einen fremden lieben. Die älterliche Liebe ist im Gegentheile so stark, daß sie den Vater alle Vorzüge an seinem Sohne finden läßt, daß in seinen Augen keiner so schön, so groß, so ausgezeichnet ist: und ich glaube wirklich, Wer nicht ein solcher Beurtheiler seines Sohnes ist, sieht ihn nicht mit den Augen eines Vaters an.

4. Schon der Name Vaterstadt besagt, daß sie uns vor Allem zunächst angeht. Denn was ist uns verwandter als der Vater? Wer also dem Vater die verdiente Ehre erweist, wie Gesetz und Natur es verlangen, wird in Uebereinstimmung damit auch die Vaterstadt über Alles werth halten. Denn der Vater selbst, und des Vaters Vater, und so weiterhin alle unsere Vorältern, gehören ja der Vaterstadt an; und endlich führt uns dieser Name hinauf bis zu den väterlichen Göttern.

[1514] 5. Auch die Götter freuen sich ihrer Heimathsorte. Wiewohl sie über allen menschlichen Dingen walten und alle Länder und Meere als ihnen angehörig betrachten, so ist es die Stadt seiner Geburt, die Jedem mehr als alle anderen werth ist. Die Städte, welche Heimathsorte von Göttern sind, sind heiliger; die Inseln, wo eines Gottes Geburtsfest gefeiert wird, sind ehrwürdiger als alle übrigen. Und kein Opfer, glaubt man, finde bei den Göttern günstigere Aufnahme, als welches man an solchen Orten darbringt, die ihnen die befreundetsten sind. Wenn also schon die Götter der Vaterstadt Namen so hoch achten, wie viel mehr sollten es nicht die Menschen?

6. In seiner Vaterstadt hat Jeder das Licht der Sonne zuerst erblickt, und so betrachtet Jeder sogar auch diese Gottheit, so allgemein sie ist, doch als eine heimathliche, weil er von hier aus sie zum erstenmale gesehen hat. Hier gab er seine erste Stimme von sich; in der Mundart der Heimath lernte er seine ersten Worte sprechen; hier lernte er die Götter kennen. Wenn auch zu seiner höheren Ausbildung die Heimath ihm nicht genügte, sondern er genöthigt war, eine andere Stadt aufzusuchen, so dankt er ihr wenigstens die Grundlage seiner Bildung: denn wenn er nicht in der Vaterstadt gelernt hätte, welche andere Städte es noch gibt, würde er ja auch den Namen jener nicht erfahren haben.

7. Und wenn wir uns gelehrte Kenntnisse einsammeln, so geschieht es, denke ich, um der Vaterstadt damit nützlich werden zu können. Viele suchen reich zu werden, nur weil sie eine Ehre darein setzen, ihr Geld zum Besten der Vaterstadt aufzuwenden: und mit allem Recht, behaupte ich. Wie [1515] könnte man undankbar seyn, wenn man die größten Wohlthaten empfangen hat? Wenn man schon gegen Einzelne, von welchen man Gutes genossen, sich erkenntlich beweist, wie es recht und billig ist, so hat die Vaterstadt noch weit größeren Anspruch, daß wir ihr mit angemessenem Danke vergelten. Die Staaten haben Strafgesetze gegen Diejenigen, welche sich an ihren Eltern verfehlen: aber unser Aller Mutter ist die Vaterstadt, und ihr haben wir den Dank zu bezahlen, daß sie uns erzog und uns ihre Gesetze kennen lernen ließ.

8. Noch habe ich Keinen gefunden, der seiner Vaterstadt so ganz uneingedenk gewesen wäre, daß er in einer fremden sich ihrer nie erinnert hätte. Wem es schlecht geht in der Fremde, sagt immer, das beste Gut sey doch die Heimath. Und auch die Glücklichen, so sehr ihnen Alles nach Wunsch geht, meinen doch, das Wichtigste fehle noch zu ihrem Glück, daß sie nicht in der Vaterstadt, sondern in der Fremde leben sollen. Es ist immer etwas Gehässiges in diesem Wort. Und so sehen wir denn, daß Männer, welche im Auslande durch Gelderwerb, oder durch ansehnliche Staatsämter, oder durch den Ruf ihrer Gelehrsamkeit oder auch durch rühmliche Kriegsthaten zu Glanz und Ehren gekommen sind, mit großem Verlangen ihre Vaterstädte wieder aufsuchen, als ob es kein Ort besser verdiente, ihm ihr Glück zu zeigen. Und dieses Verlangen ist bei Jedem um so größer, je höherer Ehren er anderwärts gewürdigt worden.

9. So groß auch schon bei jungen Leuten die Anhänglichkeit an die Vaterstadt ist, so zeigt sie sich doch bei älteren Personen in demselben Verhältnisse stärker, in welchem [1516] ihr Verstand und ihre Einsicht gereifter ist, als bei jenen. Jeder zu höheren Jahren Gekommene wird mit Verlangen darauf bedacht seyn, sein Leben in der Vaterstadt, wo es begonnen, auch zu beschließen, seine Ueberreste dem Boden anzuvertrauen, der ihn ernährt hatte, und unter den Gräbern seiner Väter seinen Platz einzunehmen. Und Jedem bangt wohl vor dem Gedanken, vom Tode in der Fremde betroffen zu werden, und in fremder Erde begraben zu liegen.

10. Wie stark diese Liebe zur Heimath ist, welche allen ächten Bürgern inwohnt, läßt sich aus dem Unterschiede zwischen den Eingebornen und den Eingewanderten entnehmen. Diese Letztern, gleichsam nur die unächten Kinder, welche keine eigentliche Vaterstadt kennen und keine lieben, verändern mit Leichtigkeit wieder ihren Wohnsitz. Indem sie nur die Genüsse des Bauches zum Maßstabe ihrer Glückseligkeit machen, glauben sie überall zu finden, was sie brauchen. Wer aber in der Vaterstadt seine Mutter sieht, liebt den Boden, auf welchem er geboren und erzogen worden; und ob er beschränkt, rauh und karg sey, ob sich auch noch so wenige Vorzüge von ihm rühmen lassen, doch wird er nie um das Lob seiner Vaterstadt verlegen seyn. Mögen auch Andere sich viel wissen mit ihren reichen Fruchtgefilden, ihren mit Gewächsen aller Art bepflanzten Garten und Auen: auch er wird nicht vergessen, was er von seiner Heimath zu rühmen hat. Ist sie auch nicht die „rossenährende,“

– nähret sie doch frischblühende Männer –.[2]

[1517] 11. Ihn verlangt nach seiner Heimath, ob sie auch ein armes Eiland ist. Und so glücklich er anderwärts werden könnte, sogar die angebotene Unsterblichkeit schlägt er aus, und zieht ihr ein Grab im heimischen Boden vor. Ja der Rauch, den er aus der Heimath aufsteigen sieht, dünkt ihm heller als anderswo das Feuer.

12. Allenthalben ist die Vaterstadt so hochgeachtet, daß die Gesetzgeber in allen Staaten auf die schwersten Verbrechen als die härteste Strafe die Verbannung gesetzt haben. Und wie die Gesetzgeber, so urtheilen auch die Heerführer. Um in den Schlachten den Muth ihrer Streiter zu befeuern, wissen sie ihnen nichts Wirksameres zuzurufen, als daß es gelte für die Vaterstadt. Und Keiner ist, der dieß Wort hörte und noch feig seyn möchte: denn auch dem Zaghaften gibt Muth das Wort Vaterstadt.



  1. Hom. Odyss. IX, 34.
  2. Ulysses von Ithaca Odyss. IX, 27. Auch das Folgende ist Anspielung auf Denselben. S: Odyss. V, 203–224. I, 38.