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Autor: Adolf Ebeling
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Titel: Die Cholera in Aegypten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33–34, S. 534–536
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Cholera in Aegypten.

Von Adolf Ebeling.

Schwerer und mitleidswerther ist wohl selten ein Land heimgesucht worden, als in jüngster Zeit Aegypten, das „gesegnete Nilland“, das Alles daran zu setzen scheint, um diesen schönen Titel nicht mehr zu verdienen.

Man vergegenwärtige sich nur kurz die „ägyptischen Plagen“ der letzten Jahre: Ungenügende Nilüberschwemmung und in Folge derselben mangelhaft oder gar nicht bestellte Felder und deshalb geringe Ernten; dazu Pferde- und Rinderseuchen, alsdann Unruhen im Lande, die später zur förmlichen Revolution wurden und die jede Gewerbthätigkeit und alle Handelsverbindungen schädigten, wo nicht ganz hemmten; darauf Krieg und, mit der Beschießung Alexandriens, die Gräuel des massenhaften Raubmordes und der Brandstiftung, alsdann zu den alten noch neue unerschwingliche Steuern an Contributionen und Naturallieferungen aller Art und schließlich, was schwer in die moralische Wage fällt, die bittere Verletzung des Nationalbewußtseins durch die englische Occupation – und jetzt, wo endlich nach so harten Prüfungen bessere Tage anzubrechen schienen, weil man anfing, sich in die Nothwendigkeit zu fügen, und wo Handel und Wandel, einigermaßen wenigstens, wieder aufzublühen begannen, weil mit dem Gefühl der gesicherten Zustände auch das Vertrauen nach und nach zurückkehrte … jetzt ist die schrecklichste aller Geißeln, mit denen der Herr in seinem Zorn die Völker schlägt, über das unglückliche Land hereingebrochen: die Cholera, die furchtbare Schwester der Pest und fast gleich unerbittlich und verheerend wie diese.

Der düstere Todesengel schreitet durch Aegyptenland und schlägt nicht nur, wie einst zu Mosis Zeit, die Erstgeburt, sondern alle ohne Unterschied des Geschlechts, des Alters und des Standes, obwohl in letzter Beziehung, wie stets, so auch hier, die unteren Volksclassen die meisten Opfer liefern. Und diese Opfer zählen bereits jetzt, nach kaum zweimonatlichem Erscheinen der Epidemie, nach Tausenden, und noch immer wird eine erschreckende Zunahme gemeldet.

Dies alles ist übrigens unseren Lesern längst bekannt, denn „Die Cholera in Aegypten“ nimmt ja schon seit vielen Wochen eine stehende Rubrik in den Zeitungen ein, und man erfährt [535] durch tägliche Telegramme alles Nähere über ihre Zu- und Abnahme in den einzelnen Städten und Ortschaften. Ebenso fehlt es nicht an Schilderungen, die im Allgemeinen und so weit dies überhaupt durch kurze Zeitungsberichte möglich ist, ein ganz getreues Bild der augenblicklich dort herrschenden Zustände geben, leider ein Bild heilloser Verwirrung und Verkommenheit, physisch sowohl wie moralisch – in dieser Beziehung könnten wir also höchstens nur weiter ausmalen und zu dem bereits bekannten Tableau noch einige andere, ähnliche hinzufügen.

Wir bezwecken aber mit unserem heutigen Artikel etwas Anderes. Wir wollen nämlich einen Blick auf die Epidemie selbst werfen, und zwar mit directem Hinweis auf Sitten und Gebräuche, auf Lebens- und Anschauungsweise, kurz auf den ganzen Culturzustand der ägyptischen Bevölkerung, wie wir dieselbe während eines mehrjährigen Aufenthaltes im Pharaonenlande aus eigener Anschauung kennen gelernt und vielfach eingehend studirt haben. Vielleicht würde dies zu einer noch besseren und richtigeren Beurtheilung der Sachlage Einiges beitragen.

Wie im ganzen Orient, so ist auch streng genommen die Cholera in Aegypten endemisch. das heißt einheimisch, also eine Landeskrankheit; sie tritt auch in jedem Jahre während der heißen Monate vereinzelt auf, wird im Volke die „leichte Cholera“ genannt, als Cholerine und Dysenterie behandelt und erregt auch kein weiteres Aufsehen, obwohl die schwachen davon ergriffenen Constitutionen und namentlich die Kinder, vielfach daran sterben. Bei den alljährlichen Pilgerkarawanen, die durch die arabische Wüste oder auch über Suez nach Mekka ziehen, kommen schon ernstere und weit häufigere Fälle von wirklicher asiatischer Cholera vor, weshalb die nach Aegypten zurückkehrenden Pilger schon seit Jahren einer längeren oder kürzeren Quarantaine in Tor auf der Sinai-Halbinsel unterworfen werden. Auch ist den Pilgern längst nicht mehr gestattet, in einem großen, nach vielen Tausenden zählenden allgemeinen Zuge, wie dies früher stets der Fall war, in Kairo feierlich einzuziehen, sondern sie müssen sich jetzt immer einige Meilen ober- und unterhalb der Hauptstadt auflösen und vertheilen, sodaß nur die in Kairo Ansässigen dahin zurückkehren. Die sehr verständige Maßregel, die auch von den Behörden im Ganzen recht gut durchgeführt wird, hat stets die besten Folgen gehabt.

In Syrien und Mesopotamien dagegen, und speciell in den beiden Hauptstädten Damaskus und Bagdad ist die Cholera vollends einheimisch, und weit mehr noch als in Aegypten; ganz wie in anderen Ländern das gelbe Fieber, die Malaria, die Blattern und ähnliche endemische Krankheiten, und zwar mit meist tödtlichem Ausgang.

Epidemisch, das heißt sich weiter verbreitend und ganze Länderstrecken durchwandernd und schrecklich heimsuchend, tritt sie von den eben genannten Ausgangspunkten gottlob weit seltener auf; nach den neuesten Beobachtungen etwa alle zehn bis fünfzehn Jahre, obwohl auch dafür kein fester Anhalt gegeben ist.

Aehnlich war es in früheren Jahrhunderten und noch zu Anfang des jetzigen mit der Pest, die auch immer nur in gewissen Zeiträumen erschien und furchtbar verheerend durch die Länder zog. Das letzte große Pestjahr, das namentlich Aegypten heimsuchte, welches von jeher, wenn auch nicht erwiesen, als der eigentliche Herd der Pest angesehen wurde, ist das Jahr 1835, und wir haben von dem bekannten Afrikareisenden Baron Wrede, der sich zu jener Zeit in Kairo aufhielt, eine ergreifende Schilderung jener furchtbaren Krankheit.

„Erschütternd und Entsetzen erregend,“ so berichtet er, „ist der Anblick der von dieser schrecklichsten aller Epidemien heimgesuchten Stadt. Die Kaufläden sind sämmtlich geschlossen, die Bazare verödet, einzelne Straßen wie ausgestorben. Lange Reihen von Särgen mit den Leichen der Wohlhabenderen und nicht minder lange Züge von Kameelen, die mit den nackten Leichnamen der Armen beladen sind, ersetzen das Gewühl, welches in gesunden Tagen die Straßen belebt, und die eintönigen Weisen der Klagesänger und das Wehgeheul der Klageweiber und weiblichen Verwandten der Gestorbenen bilden dazu einen Herz und Ohr zerreißenden Chorus. Furchtbar durch die Unerbittlichkeit, mit der die Pest ihre Opfer ergreift, wird sie noch um so schrecklicher durch ihren detmoralisirenden Einfluß, den sie auf die heimgesuchte Bevölkerung ausübt: das Entsetzen und die stete Todesangst ersticken alle sanfteren Regungen des Herzens, Eltern verlassen ihre Kinder, Brüder ihre Schwestern, die Gattin überläßt den Gatten seinem Schicksale, und kein Freund schließt dem anderen das brechende Auge zu.“

Das war die letzte sogenannte „Große Pest“ in Aegypten[1] und überhaupt im Orient, und es scheint, als ob die tausendjährige Völkergeisel (denn man kannte sie bereits im Alterthum und auch im Alten Testament ist von ihr die Rede) jedenfalls in ihrer länderverheerenden Ausdehnung so gut wie gelähmt und vernichtet ist.

Wenn wir aber soeben über die Pest in Aegypten das Citat eines Augenzeugen brachten, so geschah es zumeist deswegen, weil dasselbe zugleich ein getreues Bild von den Zuständen in Kairo liefert, wenn dort, anstatt der Pest, die Cholera eingezogen ist und ihre fürchterliche Ernte hält. Sie erschien in Aegypten zuletzt im Jahre 1865, und noch heute denken alle Diejenigen, die jene Schreckenszeit erlebt haben, mit Angst und Grausen daran zurück.

Der jüngst abgesetzte Khedive Ismail hatte erst kurz vorher die Regierung angetreten, und von allen Reformen, die er so überlaut verheißen, standen die meisten noch auf dem Papier. Viele von ihnen (nebenbei bemerkt) haben überhaupt kein anderes Schicksal gehabt, aber um die bessere Organisation der Gesundheitspolizei in den größeren Städten hat er sich unbestreitbare Verdienste erworben.

Dies gilt vorzugsweise von Kairo, das in zwölf „Districte“ eingetheilt wurde, deren jeder einen amtlich angestellten und gut besoldeten europäischen Arzt erhielt, der verpflichtet war, Gratis-Consultationen zu geben und die ärmeren Kranken in ihren Wohnungen zu besuchen. Mehrere von diesen Doctoren, unter denen sich auch einige Deutsche befanden, bekamen bald eine einträgliche Privatpraxis und haben eine gute Carrière gemacht. Leider war dies Institut in dem eben erwähnten Cholerajahre 1865 noch nicht ins Leben getreten, es hätte sich sonst vielleicht sehr nützlich in der Bekämpfung der Epidemie erweisen können – vielleicht aber auch nicht, denn der Widerwille der arabischen Bevölkerung und überhaupt der Mohammedaner gegen christliche Aerzte ist sehr groß und schwer auszurotten.

Dies bringt uns auf einen Hauptpunkt unseres heutigen Artikels, nämlich auf die arabische Gesundheitspflege und Medicin an sich und auf ihre Stellung zur europäischen. Schroffer kann sich wohl kaum etwas in der Welt gegenüberstehen, als der arabische oder, was so ziemlich dasselbe bedeutet, der mohammedanische Arzt – der Hakihm – einem christlichen Doctor der Medicin.

Der Islam selbst steht mit seinen Grundlehren in keinem größeren Gegensatze zum Christenthum, als auf jenem Gebiete diese beiden „Gelehrten“, denn der Hakihm macht ganz ernsthaft Anspruch auf diesen Titel, wenn auch sein Wissen und Können bei Lichte besehen nach unseren Begriffen von Heilkunde und überhaupt von medizinischen Wissenschaften fast auf Null herabsinkt. „Ein deutscher Barbiergehülfe,“ hört man oft in Kairo sagen, „versteht mehr von der Heilkunde, als der renommirteste arabische Hakihm.“ Diese Aeußerung, so charakteristisch sie auch in mancher Beziehung sein mag, ist doch nicht zutreffend, denn die Verhältnisse liegen eben im Orient ganz anders. Der Koran ist bekanntlich für die Mohammedaner das Universalbuch aller Gelehrsamkeit und aller Wissenschaft. Wie die gesammte Gesetzgebung und Rechtspflege darauf fußen, so bildet er auch die Norm für jedes andere Gebiet des menschlichen Wissens, das stets direct oder indirect mit den eigentlichen Glaubenslehren zusammenhängt.

Das Wenige, was der Koran an ärztlichen oder darauf hinweisenden Vorschriften enthält, bezieht sich auf die allgemeine Gesundheitspflege; sie sind zumeist klimatischer, mithin rein örtlicher Natur, ähnlich wie im Alten Testament die Vorschriften der Körperwaschungen, der Reinhaltung verschiedener Gefäße, das Verbot gewisser Speisen und Sonstiges von ganz allgemeiner und untergeordneter Bedeutung.

In der el Azhar-Moschee zu Kairo, der ersten „Universität“ der mohammedanischen Welt, wird Krankenheilkunde, wenigstens nach unseren Begriffen, nicht gelehrt; wohl aber giebt es dort [536] einzelne Schechs, die nach selbstgeschriebenen und aus allerlei anderen Korancommentaren zusammengetragenen Compendien private medizinische Vorlesungen halten. Solche Compendien sind oft sehr drolliger Art und behandeln fast immer nur die Körperpflege in ihren primitivsten Anfängen. Das Schneiden der Nägel, das Rasiren des Kopfhaares, das Gelb- und Rothfärben der Nägel an Händen und Füßen und der inneren Handflächen mit Henneh, für Frauen außerdem noch das Schwarzfärben der Augenbrauen und Lider mit Khol (Antimon), das Blaupunktiren der Arme, der Handgelenke und Fußknöchel, alsdann der Einfluß der Sonne und vorzüglich des Mondes auf die Anwendung kleiner Hausmittel – solche Recepte und viele ähnliche Bagatellen spielen darin eine große Rolle. Man würde aber sehr irren, wenn man diese Art von „Wissenschaft“ mit der eigentlichen arabischen Heilkunde in Verbindung bringen wollte. Jene Dinge gehören auch dort in die Barbierstuben, und insofern ist das obige Citat ganz am Platze. Der wirkliche Hakihm ist ein völlig anderer Mann und bedient sich fast nur sympathetischer Mittel. Der Schwerpunkt seines Wissens, das A und O seiner Diagnose ist das „Kismet“, das unabänderliche Fatum, denn er ist, wie jeder gute Mohammedaner, ein Fatalist.

Nach dem Islam sind nämlich alle Ereignisse, die den einzelnen Menschen von seiner Geburt an bis zu seinem Tode treffen, ja sein gesantmtes Denken, Wollen und Empfinden von Allah nicht allein vorher gewußt, sondern auch vorher bestimmt; das Leben des Menschen ist mithin dieser Vorherbestimmung unterworfen und, er mag wollen oder nicht, er kann sich derselben nicht entziehen. Das ist der Fatalismus. Und darin (um dies gleich hier zu bemerken) liegt auch , und wohl mehr als in manchen anderen Punkten, der scharfe Unterschied zwischen der mohammedanischen und christlichen Religion, denn diese läßt dem Menschen völlig und ganz den freien Willen zu eigener Selbstbestimmung, wenn auch Gott die Willensrichtung und überhaupt die Zukunft des Menschen, kraft seiner Allwissenheit, vorher weiß.

Mit dem Fatalismus hängt nun logisch die stille und resignirte Ergebung in das unvermeidliche Schicksal, das „Kismet“, zusammen. Trifft den Mohammedaner ein Unglück, so ist dies nicht allein der Wille Allah’s, sondern der Getroffene kann nichts thun, als es ruhig über sich ergehen lassen. „Insch Allah“, wie Gott will, ist der allgemeine Ausruf eines jeden Mohammedaners, mit welchem er sich dem Kismet unterwirft. Das schöne christliche Wort: „hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen“, kennt er nicht und hat dafür kein Verständniß.

Am deutlichsten, aber auch zugleich am betrübendsten, zeigt sich dies bei Krankheiten und vollends bei Epidemien, die der Bekenner des Islam nach einer, man möchte geradezu sagen, albernen Auslegung des Korans für eine directe Strafe und Züchtigung Allah’s ansieht. Und leider theilen auch die höheren, „gebildeten“ Classen diesen Wahn und handeln darnach, das heißt sie handeln so gut wie gar nicht. Daher die für uns Europäer unbegreifliche Lässigkeit, Gleichgültigkeit und Unthätigkeit in allen Schichten der Bevölkerung und die in den untern Classen an Stumpfsinn grenzende Ergebung in das Unvermeidliche bei irgend einem individuellen Unglück oder bei einer allgemeinen Calamität. „Steht im Himmelsbuche mein Tod geschrieben, so muß ich sterben, ich mag dagegen thun was ich will; wenn nicht, so wird mir auch ohne mein Zuthun geholfen. Was kann der Mensch gegen das Kismet?“

Wie oft haben wir selbst diese Worte gehört, sowohl bei einzelnen Unglücksfällen, als auch bei grassirenden Krankheiten, z. B. im Jahre 1875, wo die Blattern unter den Kindern in Kairo große Verwüstungen anrichteten.

„Was hat mir Dein deutscher Hakihm genützt,“ sagte mir mein Nachbar, ein bemittelter arabischer Kaufmann, der zwei kleine Töchter an einem Tage verlor und dem ich einen befreundeten deutschen Arzt gewissermaßen aufgenöthigt hatte, „meine Kinder mußten ja doch sterben, das wollte das Kismet; hätte ich nur den Mahmud-Abdallah gerufen, den großen Hakhihm der Achmedmoschee, der hätte vielleicht die Dschinnen noch zeitig beschworen.“

Diesen Mahmud–Abdallah sollte ich bald persönlich kennen lernen; zuvor nur noch eine Bemerkung, die das Obige näher erklärt. Man ist nämlich versucht, sich zu verwundern, daß der Mohammedaner, trotz seines Fatalismus, überhaupt noch einen Arzt zu Rathe zieht, „wenn es eben doch nichts hilft“; aber einestheils wird der Hakihm fast immer nur von den Angehörigen und selten von dem Kranken selbst verlangt, und anderntheils ist der Selbsterhaltungstrieb, auch bei dem strengsten Fatalisten, doch nicht so ganz zu unterdrücken, daß er nicht in den Stunden heftiger körperlicher Schmerzen und sonstiger großer Noth nach Linderung und Beistand rufen sollte. Der Glaube an die Dschinnen, die bösen Geister, kommt hinzu, die sich des Kranken bemächtigen wollen; sie sitzen gewöhnlich auf dem platten Dache des betreffenden Hauses, oder, wenn sie sehr böse sind, vor der Schwelle, und mancher gelehrte Schech oder Heilige und mancher große Hakihm hat sie mit eigenen Augen gesehen. Sie sind zu bannen und unschädlich zu machen, man muß es nur verstehen, was freilich nur Wenige können, und wenn es trotzdem nicht glückt, so hat der Beschwörer es eben nicht verstanden, oder mit anderen Worten: er war nicht „heilig“ genug. Der oben erwähnte Hakihm Mahmud-Abdallah hatte damals in Kairo einen großen Ruf als Banner und Beschwörer, und wir selbst, durch Oertlichkeit und sonstige Zufälligkeiten begünstigt, haben ihn einst operiren sehen. Im Nachbarhause war ein arabischer Beamter schwer an der Ruhr erkrankt, und die gewöhnlichen Mittel: Amulette, Besprechungen und Gebete waren erfolglos geblieben. Die Frauen schickten also zu Mahmud-Abdallah. Vorher hatte man den Hausflur möglichst gesäubert und mit Rosenwasser besprengt.

Der Hakihm ritt auf einem schönen syrischen Esel, den ein kleiner Neger am Zügel führte. Es war ein stattlicher, weißbärtiger, mithin schon bejahrter Mann in seinem türkischem Costüm, und der grüne Turban mit dem Goldstreifen bezeichnete einen Nachkommen des Propheten. Er wurde von dem Bruder des Kranken empfangen, den er sofort lebhaft anredete, indem er mit der Hand auf den Rundbogen des Eingangsthores wies. Dort hingen allerdings nach der Landessitte einige kleine Oellampen, die auch wegen des wichtigen Besuches angezündet waren, aber die Aloepflanze in der Mitte fehlte, die Beschützerin vor Krankheit und vor dem „bösen Blick“, und das war es, wie wir nachher erfuhren, was der Hakihm so mißfällig bemerkt hatte. Kein Wunder, wenn in ein so schlecht behütetes Haus Krankheit und Unglück eingezogen waren.

An das Bett des Kranken geführt, zog der Hakihm zuerst aus einer Ledertasche eine Handvoll Salz, das er rings umherstreute, um die Dschinnen zu bannen, dann nahm er ein Klümpchen Mekka-Erde und legte es auf die Brust des Kranken und ein anderes kleines Paket unter das Kopfkissen. Dies Paket enthielt verschiedene auf Pergamentstreifen geschriebene Citate aus dem Koran und, was die Hauptsache ausmachte, es war von einem rothen Seidenstoff umwickelt, das der Hakihm selbst von der Decke, welche die Kaaba in Mekka verhüllt, mitgebracht hatte.[2] Dann zog er eine flache silberne Schale aus dem Kaftan und ein Fläschchen mit sympathetischer Tinte, in welche er eine Rohrfeder eintauchte und nun die innere Fläche der Schale mit allerlei Figuren und Zeichen bemalte. Aus einem anderen Fläschchen, das mit Semsemwasser, dem heiligen Brunnen von Mekka, gefüllt war, goß er dann einen guten Löffel voll in die Schale, schwenke sie hin und her, um die Tinte aufzulösen, und hielt sie vor den Mund des Kranken, der das Wasser begierig ausschlürfte. Das war augenscheinlich der wichtigste Theil dieser, gelinde gesagt, eigenthümlichen ärztlichen Behandlung; das Weitere beschränke sich auf das Hersagen mehrerer Koranstellen und auf die Empfehlung an die männlichen Familienmitglieder (die weiblichen waren gar nicht zugegen), den arabischen Rosenkranz zu beten.[3]

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aus: Die Gartenlaube 1883, Heft 34, S. 558–560

[558] Als der Hakihm fortging, erinnerte er nochmals an die vergessene Aloepflanze, die auch schon nach einigen Tagen unter den Lampen des Portals hing; denn vierundzwanzig Stunden mußte sie vorher auf dem Grabe irgend eines Heiligen gelegen haben, um wirksam zu werden. Inzwischen war freilich der Kranke gestorben, obwohl ihn eine verständige ärztliche Behandlung, so hörten wir wenigstens von competenter Seite, sehr wahrscheinlich gerettet haben würde. Das Kismet war diesmal stärker als die Kunst und das Gebet des Hakihm gewesen.

Dies ist ein und überdies nur in kurzen Umrissen gezeichnetes Bild der arabischen Heilkunde von ihrer prakischen Seite; nur Eins von Hunderten, ja von Tausenden. In keinem Lande, wenigstens in keinem civilisirten, und dazu muß Aegypten doch wohl gerechnet werden, ist der Aberglaube so allgemein verbreitet wie dort, und er ist in seinen Folgen um so verderblicher, als er mit dem Fatalismus Hand in Hand geht; dieser ergänzt gewissermaßen jenen.

Als daher im Sommer des Jahres 1865 die Cholera in Aegypten auftrat, blieb man von oben her der Seuche gegenüber fast ganz unthätig, oder ergriff verkehrte Maßregeln, die noch dazu ganz kopflos oder auch gar nicht ausgeführt wurden. Allah hatte sie gesandt, und die Opfer und ihre Zahl waren ja vorher bestimmt. Was halfen also menschliche Vorkehrungen und Mittel gegen das unabänderliche Kismet! So wenigstens dachte und redete man im Volk.

In Kairo wie im ganzen Lande wüthete die Epidemie auf wahrhaft entsetzliche Weise. An manchen Tagen starben in vierundzwanzig Stunden zwischen zweitausend und dreitausend Menschen. Die Calamität und die allgemeine Verwirrung erreichten ihren Höhepunkt, als der Khedive Ismail, nachdem in seinem Palast zwei plötzliche Todesfälle vorgekommen waren, heimlich über Nacht Stadt und Land verließ und nach Europa flüchtete. Er war, dank seiner in Paris erhaltenen Bildung, viel zu „aufgeklärt“, um noch an das Kismet zu glauben. Hatte er sich doch sogar schon photographiren lassen, wie er auch mit dem Plane umging, seinem Großvater Mohammed-Ali und seinem Vater Ibrahim Denkmäler zu errichten – schwere Versündigungen gegen den Koran, der jedes menschliche Abbild streng verbietet, und mancher fanatische Ulema erklärte dies, im Verein mit sonstigen christlichen Neuerungen, als die eigentliche Ursache der Epidemie.

Die feige Flucht des Landesherrn, der sich selbst noch kurz vorher in seinen Proclamationen einen Landesvater genannt hatte, was die bezahlten französischen und italienischen Zeitungsschreiber begeistert als eine „neue Aera“ für Aegypten verkündet hatten, gab die Losung zu einem universellen „Rette sich, wer kann“, und während eines ganzen Monats herrschte fast vollständige Anarchie in der Khalifenstadt und im übrigen Aegypten.

Europäische Aerzte, darunter mehrere deutsche, und eine Anzahl europäischer Kaufleute, die den Muth hatten, zu bleiben, organisirten auf eigene Hand Ambulancen und eine Art von Sicherheitsdienst und retteten nicht wenige vom Tode, namentlich vom Hungertode, weil man unzählige Kranke ohne jeglichen Beistand gelassen, um nur sich selbst in Sicherheit zu bringen. Trotzdem hielt der „Schwarze Tod“ (denn für das ägyptische Volk sind noch heute Pest und Cholera gleichbedeutend) eine fürchterliche Ernte und raffte nach einer späteren oberflächlichen Schätzung mehr als ein Fünftheil der gesammten Bevölkerung hinweg.

Eine so entsetzliche Katastrophe trug denn doch für die Folgezeit mehrere gute Früchte, und wenn dieselben auch vielfach hinter den gehegten Erwartungen zurückblieben, so lag es diesmal wirklich weniger an dem guten Willen der Regierung (vorzüglich unter der Präsidentschaft Nubar-Paschas) als an dem Starrsinn, der Faulheit und der Unwissenheit der großen Mehrheit des ägyptischen Volkes. Wer die letztere, bei der unbestreitbaren Bildungsfähigkeit der Aegypter, auf dem Gewissen hat, weiß Der am besten, der im Jahre 1879 von seinem sogenannten Thron herabsteigen und in’s Exil wandern mußte, nachdem er das aus den Händen seines Vorgängers so blühend erhaltene Land nicht an den Rand des Abgrundes, sondern geradezu in denselben hinein gebracht hatte.

Auch in Aegypten rächen sich die Sünden der Väter an den Kindern, vorzüglich wenn die Kinder so schwach und unselbstständig sind, wie der jetzige Khedive, der als Privatmann gewiß gute und lobenswerthe Eigenschaften hat, der aber der ihm gewordenen, allerdings auch sehr schweren Regentenaufgabe keineswegs gewachsen ist. Er hat dies wenigstens bis jetzt und vom Beginn seiner Regierung an gezeigt, und die Engländer haben eben deshalb um so leichteres Spiel im Lande. Mit einem Mohammed-Ali wären sie jedenfalls nicht so leichten Kaufs fertig geworden.

Als sich nun im Mai dieses Jahres die ersten Cholerafälle in Damiette zeigten, die schon nach einigen Wochen so bedenkliche Proportionen annahmen, stieg bei Allen, die mit den ägyptischen Verhältnissen, mit Land und Leuten und mit der dortigen Regierungsweise und Beamtenwelt näher bekannt sind, sofort die [559] ernste Befürchtung auf vor einer weiteren Verbreitung und vor einem Anwachsen der Seuche zu einer wirklichen Landesepidemie. Diese Befürchtungen sind leider nur zu sehr und zu bald eingetroffen.

Jetzt noch die Entstehung der Seuche näher zu untersuchen, ob sie spontan in Damiette entstanden, was immerhin möglich sein kann, oder ob sie, was wahrscheinlicher ist, durch englische Schiffe von Bombay, wo sie bekanntlich in noch höherem Grade als in Syrien und Mesopotamien endemisch ist, eingeschleppt wurde – das scheint, wenigstens hier für uns, eine müßige Frage. Die Aegypter selbst sind viel zu sehr Partei und möchten zu aller sonstigen Noth, die, nach ihrer Ansicht, die englische Occupation über sie gebracht hat, auch noch gar zu gern die Cholera auf Rechnung der Engländer setzen.

Die Nationalpartei, „Aegypten für die Aegypter!“, die mit dem Sturz Arabi Paschas keineswegs vernichtet ist, sondern (man täusche sich nicht!) unter der Asche fortglimmt und, wenn auch nicht bald, so doch jedenfalls dermaleinst wieder in Flammen aufschlagen wird, diese Partei bezeichnet schon jetzt offen und geheim die Engländer als die Urheber des neuen Unheils und vielleicht nicht mit Unrecht, denn in Europa und sogar in England selbst sind ja schon mehrfach Stimmen laut geworden, die ähnliche Anklagen wegen der aus Ostindien angekommenen und nicht controllirten englischen Dampfer erhoben, – die Grundgesetze der Gesundheitspflege sollen die Engländer verletzt haben, nur um dem „Geschäft“, das allerdings im vorliegenden Falle den Welthandel bedeutet, nicht zu schaden.

Als nun von Damiette aus sich die Epidemie weiter und weiter verbreitete, aber doch immer noch im nördlichen Delta blieb, also zu Anfang des Juli, da hätte man schon in Kairo die nöthigen und zwar die umfassendsten vorbeugenden Maßregeln treffen müssen, um sie, wie einen heranrückenden Feind, wohlgerüstet zu empfangen. Da war es vor Allem angezeigt, die Nilufer oberhalb Kairo und bis nach Minieh und Siut hinauf streng zu überwachen, um den Strom, die einzige Wasserquelle in ganz Aegypten, von allen Cadavern und von dem tausendfachen Unrath frei zu halten, der nach Landessitte seit Menschengedenken hineingeworfen wird, und eine gleiche Fürsorge und Aussicht für die Straßen der Städte und Dörfer anzuordnen. Das hat man aber nicht gethan, im Gegentheil, es ist nach durchaus glaubwürdigen Augenzeugen erwiesen, daß man sich in Mittelägypten an vielen Orten der Befolgung aller jener Vorschriften hartnäckig entzog und sich über das Erscheinen und Umsichgreifen der Cholera geradezu freute, vollends als es hieß, daß sie auch unter den englischen Truppen ausgebrochen sei, weil man hoffte, dadurch am schnellsten von der verhaßten Occupation befreit zu werden. Der Polizeipräfect von Kairo, ein fanatischer Feind der Engländer, mag ähnlich gefühlt und, wenll er geschichtskundig ist, vielleicht gar an Rostopschin gedacht haben, der Moskau lieber den Flammen preisgeben, als es in die Hände Napoleon’s fallen lassen wollte. Hier jedenfalls ein verdammenswerther Patriotismus.

Für Bulak ferner, die eigentliche Hafenstadt von Kairo, geschah anfangs gar nichts, und doch lagen dort aus früheren Pest- und Cholerajahren die traurigsten Erfahrungen vor. Jedes mal, wenn eine Epidemie die Hauptstadt heimgesucht, war sie in Bulak zuerst ausgebrochen, und vereinzelte Cholerafälle mit tödtlichem Ausgang kommen dort alljährlich in den letzten zwanzig Jahren vor. Das Häusergewirr der dortigen engen, dichtbevölkerten und dazu grenzenlos schmutzigen Gassen hat von jeher alle Fremden und Touristen als Reisecuriosum angezogen, weil man dort ein Stück Orient finden und beobachten kann, gegen das die verrufensten und schlimmsten Quartiere von Kairo und Constantinopel zurücktreten müssen.

In Bulak brach denn auch diesmal die Seuche, soweit sie die Hauptstadt selbst betrifft, wieder zuerst aus, und es ist jetzt erwiesen, daß sie dort schon mehrere hundert Menschen hingerafft hatte, als man noch nicht die geringsten Maßregeln getroffen hatte; denn die ersten amtlichen Bekanntmachungen, die sich direct auf die Bevölkerung von Kairo beziehen, datiren vom 15. und 18. Juli. Und jetzt, wo wir dies schreiben (in den letzten Julitagen), tritt erst die eigentliche Sanitätscommission zusammen, die schon so lange auf dem Papier stand, und auch das nur, weil man endlich einige englische Persönlichkeiten als Mitglieder darin hat aufnehmen müssen, gegen die man sich bis dahin hartnäckig gesträubt hatte.

Noch weiß man nichts Näheres von der Wirksamkeit und den Erfolgen dieser Commission, die auch leider zur Bekämpfung der Seuche machtlos bleiben wird. Man kann ein ganzes Volk in seinen Sitten und Gebräuchen, in seiner ganzen Denk- und Anschauungsweise nicht im Handumdrehen ummodeln, und bei dieser Gelegenheit tritt der civilisatorische Fortschritt, mit welchem der Ex-Khedive sein Land zu beglücken vorgab und der so pomphaft in alle Winde hinausposaunt wurde, als klägliches, wesenloses Scheinding so recht zu Tage. Unten hätte er mit seinen Reformen anfangen müssen, das heißt dem eigentlichen Volke ein besseres Heim, eine menschenwürdigere Existenz nach Gesetz und nicht nach Willkür schaffen und dadurch den Sinn wecken für Ordnung, Sauberkeit, Regel und Maß - prosaische Dinge immerhin, aber im Staatshaushalt von hoher Bedeutung – dann hätte man schon früher während seiner Regentschaft und vollends jetzt bei dieser neuen entsetzlichen Calamität den Segen davon verspürt. Doch das sind utopische Bilder, die vor der ernsten, erschütternden Wirklichkeit in Dunst und Nebel zerfließen. Dieser jetzt mannhaft die Stirn zu bieten, um zu retten, was noch zu retten ist, bleibt die Aufgabet der genannten Commission und überhaupt der Regierung. Der jetzige Khedive, der junge Tewsik, tritt dabei gottlob nicht in die Fußstapfen seines Vaters. Er bleibt doch wenigstens in seiner Residenz, durchfährt täglich die Straßen und hat auch bereits die Cholerakranken in den verschiedenen Hospitälern besucht; nach europäischen Begriffen ganz gewöhnliche Dinge und im Grunde nichts als die Pflicht des Landesherrn, nach orientalischen aber wahrhafte Heldenthaten.

Den weiteren Verlauf der Epidemie vorherzusagen, ist natürlich unmöglich; man hat dafür als Anhalt nur die Erfahrungen früherer Cholerajahre, nach welchen sie mit dem fallenden Nil, also gegen Ende September, ebenso rapid abnahm, wie sie mit dem steigenden gewachsen war. Eine neue Erfahrung tritt diesmal hinzu, nämlich die von der fast vollständigen Nutzlosigkeit nicht der eigentlichen Quarantaine, sondern der Absperrung der bereits heimgesuchten Ortschaften. Die erstere mag, trotz ihrer Gegner, namentlich für Seehäfen, also im vorliegenden Falle für Triest, Marseille und hauptsächlich für die verschiedenen italienischen Häfen, von Erfolg sein, die zweite, die Absperrung, ist, wie gesagt, nicht allein zwecklos, sondern unter Umständen, wie diesmal in Damiette, Mansurah und Damanhur, erst recht gefährlich. Die Sperrgürtel wurden, trotz der scharfen militärischen Bewachung und des unmenschlichen Befehls, jeden Herankommenden niederzuschießen, fast überall durchbrochen und die Flüchtigen trugen den Ansteckungsstoff weiter, was in den südlicher gelegenen Städten Tantah, Zagasihk und Benha amtlich constatirt wurde, wie es gleichfalls officiell erwiesen ist, daß in Damiette Hunderte von Nichterkrankten aus Mangel an Nahrungsmitteln umgekommen sind, weil die Hineinschaffung derselben in die Stadt gleichfalls nicht gestattet wurde. Ein neuer Beweis von der Kopflosigkeit der ägyptischen Behörden, die sich nicht wenig auf die Idee einer „Localisirung der Seuche“ einbildeten.

Mehr als sonst hat sich übrigens die Cholera in Aegypten diesmal launisch und unberechenbar gezeigt; so sind namentlich in Kairo einzelne arabische Viertel bis jetzt ganz verschont geblieben, wo unter gleichen Vorbedingungen die nächstgelegenen schwer heimgesucht wurden. Im sogenannten Frankenviertel, den unter dem Ex-Khedive Ismall angelegten neuen Stadttheilen mit breiten Straßen und vielen Gärten, sind bis Ende Juli nur wenig einzelne Fälle vorgekommen, aber dafür ausnahmsweise in dem dicht bei Kairo, hart am Wüstenrande liegenden Gizeh. Sonst bot die Wüste immer das sicherste Asyl gegen die Epidemie, und die Wüstenbewohner selbst, die Beduinen, kennen weder Pest noch Cholera. Ein Gleiches gilt von der nur wenige Meilen südwestlich von Kairo liegenden herrlichen Oase Fajuhm, die stets von den Epidemien verschont geblieben ist und wohin auch diesmal wieder schon im Juni viele Hundert arabische und europäische Familien übersiedelten, die nun vielfach unter Zelten campiren und allen Comfort entbehren, dafür aber ihr Leben in Sicherheit gebracht haben.

Die große Masse des eigentlichen arabischen Volkes leidet aber unendlich schwer unter dieser neuen Zuchtruthe des unerbittlichen Schicksals, und es gehört der durch vielhundertjährige Knechtung sclavisch gewordene Charakter desselben und nicht minder die Furcht vor den englischen Truppen dazu, um es nicht trotz alledem zu einem Aufstand zu treiben, der in seinen Folgen nicht [560] unterschätzt werden dürfte. Heimliche Abgesandte des Mahdi (des sogenannten „falschen Propheten“, der nichts weniger als besiegt ist) treiben sich seit Monaten in Kairo umher, und auch aus Abessinien kommen beunruhigende Nachrichten wegen eines geplanten Handstreiches des Königs Johannes auf die Hafenstadt Massaua am Rothen Meere, dem alten Zankapfel zwischen Abessinien und Aegypten.

War also die Lage im Pharaonenlande seit den Ereignissen der letzten Jahre ohnehin schon sehr ernst, so ist sie es jetzt noch weit mehr geworden, und was das Schlimmste und zugleich das Betrübendste ist; sie bietet zur Zeit so gut wie gar keinen tröstlichen Lichtblick in die nächste Zukunft. Ganz lassen wir dennoch die Hoffnung auf bessere Tage für Aegypten nicht sinken, wenn wir auch für unseren heutigen Artikel kein anderes Schlußwort finden können, als den ägyptischen Trostspruch: Insch Allah! Wie Gott will!


  1. Sie trat freilich im Jahre 1841 noch einmal, aber weit schwächer auf und ist seitdem, wenigstens als Epidemie, in Aegypten ausgetrieben. Vor zwei Jahren zeigte sie sich in Damaskus, und man erinnert sich wohl noch der damaligen vorbeugenden Maßregeln, welche die ost- und mitteleuropäischen Regierungen ergriffen. Glücklicher Weise waren die Befürchtungen übertrieben, und selbst in Syrien, einzelne noch dazu zweifelhafte Fälle in Beyrut abgerechnet, kam die Epidemie nicht über den anfänglichen Herd hinaus.
  2. Diese Decke, von schwerem goldgesticktem Brokat und in der Regel ein Geschenk des Vicekönigs von Aegypten, wird alljährlich erneuert und die alte wird dann in große und kleine Stucke zerschnitten und an die vornehmsten Pilger vertheilt. Man schreibt ihr sehr heilkräftige und auch sonst viel wunderthätige Eigenschaften zu.
  3. Ein solcher Rosenkranz besteht aus einer Schnur von 99 Kugeln, welche die 99 Eigenschaften Allahs, Andere behaupten des Propheten, bedeuten und die, natürlich nur von Männern, die im Kreise mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzen, in singendem Tone und unter stetem Hin. und Herschwanken des Oberkörpers abgebetet werden. Es giebt auch kleinere Rosenkränze von 33 und sogar solche von nur 11 Kugeln, wo dann jede Kugel 3 oder 9 Eigenschaften bedeutet. Ein frommer Muslim, gleichviel welchem Stande er angehört, hat stets, wenn er öffentlich erscheint, einen solchen Rosenkranz in der Hand.