ADB:Wrede, Gustav Adolf von
[244] anwerben lassen, doch wurde er, noch ehe er die Stadt verlassen hatte, von seinem Vater entdeckt und nach Hause zurückgebracht. Kurz darauf unternahm er einen zweiten Fluchtversuch. Diesmal gelang es ihm, sich den Nachforschungen seiner Eltern zu entziehen und ein holländisches Schiff zu erreichen, auf dem er drei Jahre lang als Matrose in verschiedenen Weltgegenden umherfuhr. Jedoch vermochte ihn der Seedienst auf die Dauer nicht zu befriedigen. Vielmehr fühlte er sich durch die rohen Sitten des Schiffsvolkes derart abgestoßen, daß er im October 1826, während das Schiff im Hafen von Smyrna lag, heimlich die Flucht ergriff. Ein gutmüthiger Kaufmann, dem er seine Lage schilderte, nahm sich seiner an und hielt ihn bis nach der Abfahrt des Schiffes verborgen. Um dieselbe Zeit rüstete sich in Smyrna der in türkischen Diensten stehende Franzose Barras zu einer diplomatischen Expedition nach Bagdad aus. W. erhielt die Erlaubniß, ihn zu begleiten, und erfuhr von ihm, daß die türkische Regierung europäische Officiere zur Ausbildung ihrer Truppen suche. Da er durch seinen Vater hinlängliche Kenntnisse vom Militärwesen besaß, stellte er sich der Pforte zur Verfügung und diente während der Jahre 1827 und 1828 als Truppeninstructeur zunächst in Diarbekr, dann in Aleppo und Kaisarieh. Als 1828 der russisch-türkische Krieg ausbrach, wurde er mit den von ihm eingeübten Truppen nach der europäischen Türkei berufen und nahm an mehreren Gefechten theil. Nach Beendigung des Krieges erhielt er seinen Abschied. Da er keine andere seinen Fähigkeiten angemessene Stellung zu finden vermochte, gerieth er in drückende Noth und kehrte deshalb mit Unterstützung einiger Freunde 1830 zu seinen Eltern zurück. Doch schon nach wenigen Monaten wurde ihm das ruhige Leben in der Heimath unerträglich. Einem Wunsche seines Vaters folgend, der ihn noch immer für den Soldatenstand gewinnen wollte, trat er in ein preußisches Artillerieregiment ein, das in seiner Geburtsstadt Münster lag. Allein das einförmige Garnisonleben fesselte seinen unsteten Sinn nur kurze Zeit. Bereits im Sommer 1832 erbat er seinen Abschied, eilte nach Frankreich und ließ sich in Marseille für die Fremdenlegion anwerben, die in Algier gegen die noch nicht unterworfenen räuberischen Kabylen kämpfen sollte. Er nahm an zahlreichen Streifzügen und Gefechten theil, zeichnete sich durch todesmuthige Tapferkeit aus und wurde mehrfach verwundet, kam jedoch stets mit dem Leben davon. Endlich befiel ihn infolge übermäßiger Anstrengungen und Entbehrungen ein langandauerndes hitziges Fieber, das ihn für den weiteren Kriegsdienst untauglich machte, so daß er 1834 seine Entlassung nachsuchen mußte. Er wurde nach Toulon zurückbefördert, fand aber hier keine passende Beschäftigung und durchwanderte deshalb, ohne irgendwo längeren Aufenthalt zu nehmen, zu Fuße unter drückenden Nahrungssorgen Südfrankreich und die Schweiz. Im Herbst 1834 hörte er, daß die griechische Regierung deutsche Officiere als Truppeninstructeure suche. Er begab sich deshalb von Marseille nach Griechenland, fand aber keine Anstellung und reiste nunmehr im Januar 1835 nach Aegypten, wo damals Mehemed Ali eine Reorganisation des Heerwesens vornahm. Er erhielt nach vielen Bemühungen eine Officiersstelle und mußte noch in demselben Jahre an einem Feldzuge Mehemed Ali’s gegen einige aufständische Stämme Südarabiens theilnehmen. Er begab sich mit seinem Regiment nach Mochha, wurde aber nicht im Frontdienst verwendet, sondern nach dem Sennaar geschickt, um einige dort neugebildete Negerregimenter einzuexerciren und dann nach Yemen zu führen. Nach Erledigung dieses schwierigen Auftrags kehrte er mit längerem Urlaub nach Kairo zurück, gerieth aber hier in Streitigkeiten mit der ägyptischen Regierung und erhielt deshalb seinen Abschied. Er versuchte nun durch Handelsgeschäfte ein Vermögen zu erwerben, mit dem er nach Deutschland überzusiedeln gedachte, doch mißglückten [245] seine Speculationen, so daß er wiederum in große Noth gerieth. In dieser Lage kam ihm 1842 eine Aufforderung des Grafen Salm-Reifferscheid sehr gelegen, den er auf einer Wanderung durch Palästina, Syrien und Kleinasien als Führer und Dolmetscher begleiten sollte. Während dieser Reise gelangte W. zu der Ueberzeugung, daß er infolge seiner genauen Kenntniß des orientalischen Lebens wohl im Stande sein würde, der Wissenschaft als Forschungsreisender in den Ländern türkischer und arabischer Zunge wesentliche Dienste zu leisten. Er wendete sich deshalb an die Londoner Geographische Gesellschaft mit dem Ansuchen, ihm die Mittel zu einer Entdeckungsreise nach dem Sudan zu gewähren. Da er aber noch keinerlei wissenschaftliche Leistungen aufweisen konnte, erhielt er eine ablehnende Antwort. Nunmehr beschloß er, auf eigene Hand eine Wanderung durch das südliche Arabien zu unternehmen. Da er Sprache und Sitte der Bewohner von seinem früheren Aufenthalte her hinlänglich kannte, bedurfte er keiner großen Vorbereitungen. Am 11. März 1843 brach er von Kairo auf und gelangte ohne wesentliche Zwischenfälle nach Aden. Hier legte er die Tracht eines ägyptischen Moslims an, nannte sich Abd-el-Hud und gab vor, er sei durch die Fürbitte des arabischen Propheten Hud von tödtlicher Krankheit gerettet worden und habe deshalb das Gelübde gethan, dessen Grab in Hadhramaut zu besuchen, wohin bisher wegen des Fanatismus der Bevölkerung kein Europäer gelangt war. Am 21. Juni verließ er Aden auf einem arabischen Küstenfahrer und erreichte nach wenigen Tagen das Hafenstädtchen Borum. Von hier aus zog er in Begleitung eines Beduinen zunächst an der Küste hin bis Makalla, dann in nordöstlicher Richtung durch eine wasserreiche, wohl angebaute Gegend nach dem Innern. Anfangs ging die Wanderung ohne Schwierigkeiten vor sich, bald aber erhoben sich steile Gebirgsterrassen, zu denen er durch enge, tief eingefurchte Wasserrinnen emporsteigen mußte. Auf der steinigen, pflanzenarmen Hochebene angelangt, wendete er sich nach Nordwesten und erreichte nach vielen Beschwerden das prangende, dicht mit Städten und Dörfern besetzte Thal des Wadi Doan. In Choraybe, dem Hauptort der Thallandschaft, beschloß er längere Zeit zu verweilen, um wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen. Als er Kunde von den weiter südlich am Wadi Obne gelegenen himyaritischen Ruinen erhielt, reiste er dorthin, schrieb eine merkwürdige Inschrift ab und begab sich dann wieder nach der Küste. An dieser zog er nun in westlicher Richtung bis zum Wadi Mayfaa, wendete sich dann wieder nach Norden und erreichte nach manchen Abenteuern abermals Choraybe. Von hier aus wollte er möglichst weit nach Norden vordringen, doch überzeugte er sich von der Unausführbarkeit dieses Planes, so daß er bereits bei der Stadt Cahwa unter 16° 12′ n. Br. umkehrte. Er suchte nun wieder die Küste zu erreichen, gerieth aber in der Nähe der Stadt Sayf unter einige tausend Beduinen, die zu einem Feste versammelt waren. Sie hielten ihn für einen fränkischen Spion, mißhandelten und plünderten ihn und hätten ihn gesteinigt, wenn sich nicht der Sultan der Stadt seiner erbarmt hätte. Er nahm ihm zwar sein Geld und einen Theil seiner Aufzeichnungen ab, sandte ihn dann aber unter sicherer Bedeckung direct durch die Wüste nach Makalla, wo er am 8. September 1843 eintraf. Nach kurzem Aufenthalte in Aden kehrte er gegen Ende des Jahres nach Kairo zurück. Hier begann er mit der Ausarbeitung seines Reisetagebuchs und fertigte auf Grund seiner an Ort und Stelle gemachten Aufnahmen eine Karte der von ihm durchwanderten Gegenden des Hadhramaut an. Da er aber weder ein Vermögen noch eine feste Stellung besaß, gerieth er bald wieder in Noth. Nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, Unterstützungen für eine geplante Reise nach dem Sudan zu erhalten, begab er sich 1850 nach Deutschland, um hier eine ihm zusagende Beschäftigung zu suchen. Leider war ihm das Glück [246] nicht günstig. Da er nach 26jährigem Aufenthalt im Orient mit den Formen europäischer Höflichkeit nicht mehr genügend vertraut war, stieß er die meisten Personen ab, deren Umgang er suchte. Er vermochte deshalb in den Gelehrtenkreisen, durch deren Einfluß er seine Lage zu verbessern hoffte, keinen festen Fuß zu fassen. Auch machte ihm sein unsteter Sinn jede regelmäßige Thätigkeit unmöglich. Als sein Gesuch um Bewilligung der nöthigen Geldmittel für eine neue Reise nach Arabien, das er an den König Friedrich Wilhelm IV. richtete, mangels hinreichender Empfehlungen abgelehnt wurde, sah er sich gezwungen, um nur sein Leben zu fristen, im October 1853 eine Stellung als Forstinspector auf den Gütern des Freiherrn v. Haxthausen in Westfalen anzunehmen. Doch auch hier kam er nicht zur Ruhe. Er gerieth in Streitigkeiten mit dem Gutsherrn und wurde bereits im Sommer 1854 entlassen. Nachdem er sich fast ein Jahr lang in der kümmerlichsten Weise durch schriftliche Arbeiten aller Art ernährt hatte, hörte er, daß in Helgoland von der englischen Regierung eine Fremdenlegion zur Verwendung im Krimkriege angeworben würde. Er begab sich sofort nach der Insel, erhielt eine Stelle als Sergeant und wurde mit seinem Bataillon nach der Türkei geführt, ohne indeß auf dem Kriegsschauplatze Verwendung zu finden. Nach Beendigung des Krieges nahm er seinen Abschied und reiste nach Constantinopel, um der türkischen Heeresverwaltung seine Dienste anzubieten. Da man seiner nicht bedurfte, mußte er sich jahrelang mit ganz untergeordneten Stellungen begnügen. Erst 1858 glückte es ihm, in der Directionskanzlei der Donauregulirungscommission Beschäftigung zu finden. Ueber seine letzten Lebensjahre ist wenig bekannt. Er starb am 15. März 1863 im Hospital zu Constantinopel an den Folgen einer Verwundung, die er sich unvorsichtigerweise mit seinem Jagdgewehr zugezogen hatte. Wrede’s Reisewerk erschien erst nach seinem Tode. Eine englische Ausgabe, die er noch bei Lebzeiten veranstalten wollte, scheiterte durch den Selbstmord des Uebersetzers. Das deutsche Manuscript gab 1870 Heinrich v. Maltzan unter dem Titel „Adolf von Wrede’s Reise in Hadhramaut“ heraus. Mehrere kleinere Arbeiten Wrede’s erschienen im Journal der Londoner und in den Bulletins der Pariser Geographischen Gesellschaft, sowie in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und im Ausland.
Wrede: Gustav Adolf von W., Reisender, war geboren am 14. Octbr. 1807 zu Münster i. Westfalen. Sein Vater nahm als preußischer Officier an den Freiheitskriegen theil, trat dann in hannöversche Dienste und wurde der Garnison von Stade zugetheilt, wohin ihn seine Familie begleitete. Der rege Schiffsverkehr, welcher hier herrschte, machte solchen Eindruck auf die Phantasie des Knaben, daß er oft den Wunsch äußerte, Matrose zu werden und die Welt zu sehen. Sein Vater, der ihn für den Soldatenstand bestimmt hatte, wollte ihm die Neigung für den Seemannsberuf austreiben und behandelte ihn deshalb mit großer Strenge, sodaß dem Knaben das Leben im Elternhause als unerträgliche Fessel erschien. Im Alter von 15 Jahren benutzte er daher eine günstige Gelegenheit, um nach Hamburg zu entfliehen. Hier wollte er sich als Schiffsjunge- Koner, Adolf von Wrede (Berliner Zeitschrift für Erdkunde 1871, S. 248–272). – Ausland 1872, S. 651 f.