Textdaten
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Autor: Hermann Cohn
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Titel: Die Bakterien des Auges
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 362–364
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Bakterien des Auges.

Von Professor Dr. Hermann Cohn in Breslau.

Es ist bekannt, daß die Bakterien, die kleinsten Lebewesen, den menschlichen Körper auf dreierlei Weise schädigen, indem sie ihn einmal mechanisch vollpfropfen, zweitens ihm die zu ihrem Leben nöthigen Nahrungsstoffe entziehen und endlich ihre eigenen Erzeugnisse in ihm ablagern. Das letzte ist das Schlimmste; die meisten Bakterien erzeugen nämlich selbst die giftigsten Produkte, sogenannte Ptomaine oder Toxine, die Professor Brieger in Berlin direkt chemisch dargestellt hat und von denen er nachwies, daß die allerkleinsten Mengen genügen, um große Thiere in kürzester Zeit zu tödten.

Das Auge ist nun ein ganz besonders guter Nährboden für Bakterien, und da sie sich durch Theilung so riesig schnell vermehren, daß aus einem einzigen winzigen Pflänzchen in 24 Stunden über 17 Millionen entstehen, so sieht man leicht ein, daß das edle Organ dem Ansturm dieser grimmigen Feinde meist schnell erliegt.

Eine große Anzahl von Augenkrankheiten verdankt ihre Entstehung erwiesenermaßen den Bakterien; die Tuberkulose, die Diphtherie, die Wundrose, der Milzbrand kommen am Auge wie an anderen Theilen des menschlichen Körpers vor. Ich will hier nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf drei Bakterienarten lenken, die dem Auge besonders große Gefahren bringen und bei deren Besprechung sich allgemeine Rathschläge für die Verhütung der Krankheiten geben lassen.

Fig. 1.   Fig. 2.

Die Augenlider (Fig. 1 und 2) sind bekanntlich mit dem Augapfel beweglich verbunden durch eine zarte Schleimhaut, die man „Bindehaut“ nennt, weil sie eben den Augapfel mit dem Lide verbindet (b). Der vordere mittlere Theil des Augapfels aber hat keine Bindehaut, sondern eine wasserklare, sehr feste, durchsichtige sogenannte Hornhaut (h), durch welche das Licht ins Auge gelangen kann, die aber rein und spiegelnd sein muß, wenn scharf gesehen werden soll.

Seit Jahrhunderten kannten Aerzte und Publikum eine überaus gefürchtete Augenkrankheit, die sogenannte „Augenentzündung der Neugeborenen“. Am zweiten oder dritten Lebenstage beginnen nämlich öfters bei Neugeborenen die Augenlider mehr oder weniger anzuschwellen, einen dicken gelben Eiter abzusondern, zu verkleben; der Eiter, der von der innern Fläche der Schleimhaut der Lider ausgeht, kommt bald auf die Hornhaut und erzeugt daselbst ein Geschwür (Fig. 2, h); dieses platzt entweder und der Inhalt des Auges läuft aus, oder es heilt vielleicht nach wochenlanger Krankheit, aber statt der durchsichtigen klaren Hornhaut bleibt eine ganz weiß gefärbte, undurchsichtige zurück, durch welche das Sehen unmöglich gemacht oder doch überaus geschwächt wird.

Man wußte schon seit langen Zeiten, daß dieser Eiter fürchterlich ansteckend ist; wenn einem Erwachsenen nur die kleinste Spur davon ins Auge kam, war dieses gewöhnlich in drei Tagen verloren; haben doch manche Augenärzte bei der Reinigung solcher Kinderaugen selbst ein Auge durch hereingespritzten Eiter eingebüßt!

In den Blindenanstalten Deutschlands haben statistische Zählungen ergeben, daß bis vor kurzem mehr als ein Drittel aller blinden Kinder ihr Augenlicht durch diese „Blennorrhoe“ (Eiterfluß) verloren hatten. Im ganzen machen die auf diese Weise Erblindeten sicher mehr als den zehnten Theil aller lebenden Blinden aus.

Die Zahl der Blinden in Europa wird auf über 300 000 geschätzt; also 30 000 haben durch diese Krankheit beide Augen gänzlich eingebüßt; wie viele durch sie nur ein Auge verloren haben oder mit geschwächter Sehkraft daraus hervorgegangen sind, läßt sich nicht bestimmen, mindestens aber beläuft sich ihre Anzahl auf das Dreifache, also auf rund hunderttausend.

Schon oft wurde früher in populären Mittheilungen das Publikum vor der Gefahr dieser Blennorrhoe gewarnt, weil nur bei schnellster Behandlung, und auch da nicht immer sicher, Hilfe gebracht werden kann und jede Stunde der Vernachlässigung sich bitter rächt. Diese Thatsache ist allerdings auch heute noch richtig. Aber wie ganz anders sind heute unsere Anschauungen über die Entstehung der Krankheit, wie großartig ist der Triumph der Vorbeugung geworden, und zwar wesentlich durch die Kenntniß der Bakterien!

Früher glaubte man, daß ein Kind die Entzündung bekomme, wenn es zu früh an das Tageslicht gebracht worden sei; man machte daher die Wochenstuben recht dunkel. Jetzt weiß man ganz bestimmt, daß das Licht keinerlei Einfluß auf diese Krankheit hat.

Fig. 3.

Im Jahre 1879 entdeckte Professor Neisser in Breslau in dem Eiter, der aus den kranken Augen dieser Kinder kommt, eigenthümliche Bakterien, Coccen, die er „Gonococcen“ nannte (Fig. 3, g) und die sich von andern durch ihre Gestalt ziemlich sicher unterscheiden. Es sind runde Gebilde, die fast stets zu zweien verbunden auftreten, also Doppelcoccen. Ihre Berührungsflächen sind gewöhnlich ziemlich stark abgeplattet, so daß ein Paar solcher Coccen wie ein Paar Semmeln aussieht. Sie färben sich unter dem Mikroskop mit Methylenblau prachtvoll blau. Sie finden sich theils frei, theils dringen sie in Massen in den Leib der Eiterzellen ein. Diese Coccen kommen in allerkleinsten Spuren, sobald das Kind zum ersten Male die Augen aufschlägt, von seinen Augenlidern ins Auge selbst, brechen dann in die Zellen der Bindehaut ein und sind die Ursache der Blennorrhoe.

Man hat schon wiederholt versucht, diese Bakterien auf Thiere überzuimpfen, aber vergeblich; die Coccen sind die eingefleischtesten Parasiten des menschlichen Körpers und finden außerhalb desselben kaum die Bedingungen für ihr Fortkommen. Aber dennoch ist es gelungen, Reinzüchtungen zu erzeugen und zu übertragen.

Was nun den Kampf gegen diesen gefährlichen Feind des menschlichen Augenlichts betrifft, so spielt in ihm die Vorbeugung die größte Rolle, hier ist sie dankbarer als bei allen andern Krankheiten.

Die Krankheit könnte nämlich ganz und gar zum Verschwinden gebracht werden, wenn vor der Geburt die nöthigen Maßregeln ergriffen würden. In dieser Beziehung kann der Hausarzt nicht früh genug um Rath gefragt werden, zumal in Familien, wo bereits ein Kind mit diesem Leiden geboren worden ist.

Wenn dies aber versäumt worden ist, so giebt es doch Mittel und Wege, die Krankheit unmittelbar nach der Geburt sicher zu beseitigen. Professor Credé in Leipzig machte nämlich 1880 die glänzende Entdeckung, daß ein einziger Tropfen einer ganz schwachen Höllensteinlösung, unmittelbar nach der Geburt dem Kinde ins Auge gegossen, alle jene von Neisser entdeckten Gonococcen vollkommen zerstörte.

Diese herrliche Beobachtung hat bereits die schönsten Erfolge gezeitigt. Während früher nämlich in den Entbindungsanstalten zehn Prozent der Kinder von dieser Entzündung befallen wurden, erkrankt jetzt daselbst kaum mehr ein Zehntel Prozent daran. Jedes Kind erblickt also jetzt in den meisten Anstalten nicht das Licht der Welt, sondern einen Tropfen Höllensteinlösung, der sein Auge in jedem Falle vor der gefährlichen Krankheit schützt, ohne ihm im geringsten zu schaden.

In Breslau macht sich die Abnahme der Krankheit schon ganz außerordentlich geltend. Während noch vor zehn Jahren in meiner Polikinik täglich mindestens ein halbes Dutzend Kinder mit dieser gefahrvollen Krankheit erschien, vergehen jetzt Wochen, ehe einmal ein Fall vorkommt, und dieser ist dann meist vom Lande, wo kein Arzt bei der Geburt zugegen war.

Würde diese Methode bei allen Neugeborenen auch in der Privatpraxis angewendet, so könnten wir hoffen, dreißigtausend völlig Blinde in Europa weniger zu haben, aus den Blindenanstalten ein Drittel der Blinden verschwinden zu sehen und [363] hunderttausend Menschen die gute Sehkraft eines Auges zu erhalten. –

Wir kommen nun zu einer zweiten Sorte von Bakterien. Seit vielen Jahrzehnten ist den Augenärzten bekannt, daß, wenn ein Auge infolge einer Verletzung eine schwere Entzündung der Regenbogenhaut (Fig. 1, i) davongetragen hat, namentlich wenn ein fremder Körper ins Innere des Augapfels eingedrungen ist, daß dann nach 3 bis 6 Wochen, oft auch erst nach langen Jahren, das andere nicht verletzte Auge sich entzündet und dann meist unrettbar verloren ist. Es ist dies die so gefürchtete „sympathische Augenentzündung“, so genannt, weil man annahm, daß das andere Auge aus Sympathie, aus Mitleidenschaft erkranke.

Auf welchem Wege das andere, soweit entfernte Auge in Mitleidenschaft gezogen wurde, während doch die übrigen in der Nähe liegenden Körpertheile von Erkrankung frei blieben, das war bis vor einiger Zeit ein großes Räthsel. Da brachte Prof. Deutschmann in Hamburg in die dunkle Frage Licht und erhielt für seine Arbeiten auch mit Recht den großen Gräfe-Preis.

Fig. 4.

Bereits im Jahre 1883 hatte Professor Rosenbach in Göttingen bei den meisten Eiterungen ein ganz bestimmtes Bakterium entdeckt, das er den „goldgelben Traubencoccus“ nannte (Fig. 4). Es sind dies völlig rundliche kleine Zellen, die sich niemals in Ketten, sondern in dichten unregelmäßigen Haufen ordnen; in ihrem Aussehen, namentlich in den Geweben, erinnern sie an dichtbeerige Trauben, daher der Name „Traubencoccus“. Dieser Coccus ist sehr widerstandsfähig; selbst wenn er zehn Tage auf einem Uhrglase eingetrocknet ist, ist er noch nicht vernichtet; aber Siedehitze natürlich zerstört ihn. In Gelatine hält er sich fast ein Jahr. Sticht man ihn in ein Röhrchen mit fester Gelatine, so erscheinen nach zwei Tagen auf dem Boden desselben (Fig. 5, tr) kleine weiße Pünktchen, welche die Umgebung verflüssigen und einen orangegelben Farbstoff erzeugen. Da die Gelatine verflüssigt wird, so sinken die Coccen in die Tiefe und bilden einen krümeligen Bodensatz. Um die Einstichstelle bildet also die Verflüssigung eine Art Strumpf.

Fig. 5.

Man kann diesen Coccus sehr erfolgreich übertragen. Dr. Garré prüfte dies an sich selbst. Wenn er etwas davon nur auf der gesunden Haut seines Vorderarms verrieb, so erzeugte er dadurch einen mächtigen Absceß, der Wochen zu seiner Heilung brauchte und große Narben hinterließ; in diesem Absceß waren wieder die Traubencoccen massenhaft vermehrt, und mit ihnen konnte er von neuem die Krankheit weiter impfen. Dieser Traubencoccus findet sich überall, wo es Eiter giebt.

Fig. 6.

Nun benutzte Deutschmann die Reinkultur dieses Traubencoccus und spritzte sie einem Thiere in ein Auge, und siehe da, nach einiger Zeit waren die Coccen aus dem Auge heraus entlang dem Sehnerven (Fig. 6, n) nach dem Gehirn gewandert, an dessen Basis (bei k) sie zum andern Sehnerven übergingen, um sodann diesem entlang bis zum andern gesunden Auge vorzukriechen. Hier erregten sie eine Entzündung, ähnlich derjenigen, die man beim Menschen nach Verletzungen als sympathische Augenentzündung kennt. Und nun konnte man die Traubencoccen aus dem zweiten Auge weiter züchten und anderwärts einimpfen. Die sympathische Augenentzündung beruht also auf einem Wanderprozeß der Bakterien durch die Bahn der Sehnerven, die sich im Gehirn überkreuzen, von einem Auge ins andere.

Was lernen wir daraus? Da es unmöglich ist, die Coccen in dem ersterkrankten Auge zu zerstören, so nehme man dieses in schweren Fällen, wo es ja immer vollkommen oder fast vollkommen erblindet ist, ganz heraus, damit ein Ueberwandern der Coccen in das gesunde Auge gar nicht erst möglich wird. Es ist gewiß ein ernster Entschluß, sich ein Auge fortnehmen zu lassen, und man hat immer lange Kämpfe mit den Kranken und ihren Angehörigen, ehe sie die Erlaubniß zu dieser Operation geben; aber wenn man wartet, so wandern eben die Coccen in das andere Auge und vernichten beide. Da ist es doch besser, gleich radikal vorzugehen, als Jahre lang die gänzliche Erblindung fürchten zu müssen und sich dann erst zu spät zu der Entfernung des ersterkrankten Auges zu entschließen. –

Fig. 7.

Ebenso gefährlich wie die Traubencoccen sind die „Kettencoccen“, die namentlich bei Thränensack-Entzündungen gefunden werden. Die Thränen laufen durch die Thränenpunkte (Fig. 7, pp) und Thränenröhrchen (rr) nach dem Thränensack (s) und von da nach der Nase durch den Thränennasengang (g). Wenn aber hartnäckiges Thränenträufeln vorhanden ist, so deutet das oft auf eine Eiterung im Thränensack. Es tritt dann Eiter aus demselben durch die Thränenröhrchen und Thränenpunkte auf den Augapfel zurück.

Solange nun die oberste Schicht der Hornhaut (h) gesund ist, schadet dieser Eiter nicht. Wenn aber nur das leiseste Stäubchen auf die Hornhaut fällt und sie ganz oberflächlich etwas ankratzt (was sonst ohne jeden Schaden geschieht), so entsteht durch eine Spur dieses Thränensackeiters die allergefährlichste Entzündung der Hornhaut, die schnell zur Zerstörung des Auges führen kann.

Dieser Eiter enthält nämlich meist die „Kettencoccen“. Sie sind den Traubencoccen ähnlich, kleine rundliche, kugelige Zellen, die aber niemals in Haufen wie die Traubencoccen liegen, sondern in lange Ketten auswachsen (Fig. 8), wie Perlschnüre, die 6 bis 10 bis 100 Glieder zeigen. Sie haben die Eigenthümlichkeit, die Gelatine nicht zu verflüssigen, wie man in dem Röhrchen k der Figur 5 zum Unterschied von den Traubencoccen beobachten kann. Die Gefahr, welche sie dem Auge bringen, ist eine sehr große. Daher lasse man also Thränenleiden niemals sich einnisten und frage bei Zeiten einen Arzt! Denn im Thränensack lassen sich die Kettencoccen sehr gut zerstören; sind sie aber erst auf das Auge gekommen, so ist das recht schwierig.

Fig. 8.

Wie die Erkenntniß, daß die Bakterien ausschließlich die Ursachen der Eiterung sind, von hervorragendem Einflusse auf die ganze neuere Chirurgie geworden ist, so feiert diese Lehre auch ihre Triumphe in der modernen Augenheilkunde. Alle Operateure haben sich früher den Kopf zerbrochen, warum trotz der elegantesten, saubersten und technisch vollkommensten Staaroperation doch ab und zu das ganze Auge am 2. oder 3. Tage durch Vereiterung zu Grunde ging. Ja, als der große Meister Albrecht v. Gräfe einmal 61 Staaroperationen hintereinander ohne jede Eiterung hatte heilen sehen, glaubte er in seiner Technik den Schlüssel für dieses glänzende Ergebniß gefunden zu haben. Allein als darauf die 62., 63. und 64. Staaroperation zur völligen Vereiterung der operirten Augen führte, schrieb er in seiner dadurch gedrückten Stimmung vor 20 Jahren: „Man sieht eben, daß die Fenster der Augenkliniken nicht alle nach der Glücksseite hingehen!“

Heutzutage sehen die Fenster der Augenkliniken allerdings bedeutend mehr nach der Glücksseite als damals; denn seit man die Entstehung der Bacillen kennt, ist eine völlige Vereiterung des Auges nach Operationen sehr selten geworden, falls das Auge nicht schon eiternd in Behandlung kam.

Man weiß, daß nur und ausschließlich nur, wenn Bakterien ins Auge gelangen, eine Eiterung stattfinden kann; man zerstört daher die Keime der Bakterien, die etwa aus der Luft auf die Instrumente gefallen sind, indem man vor dem Gebrauche alle Instrumente in strömenden Wasserdampf bringt; man „sterilisirt“ sie, wie man sich ausdrückt. Es ist eines der vielen unvergänglichen Verdienste des großen Bacillenforschers Robert Koch, den Nachweis geführt zu haben, daß alle Bakterien dem strömenden Wasserdampf erliegen.

[364] Während vor 50 Jahren immer das fünfte Auge, vor 20 Jahren noch das zwanzigste oder dreißigste Auge bei der Staaroperation vereiterte, gehört dieses Unglück heute zu den größten Seltenheiten; ja es ist so selten geworden, daß man seit einigen Jahren diese Krankheit den Studierenden der Medizin kaum mehr zeigen kann.

Sind die Coccen einmal ins Auge eingedrungen, so ist es bei der fabelhaft schnellen Vermehrung derselben kaum möglich, gegen sie zu kämpfen. Um so wichtiger und segensreicher ist die Verhütung ihres Eindringens ins Auge.

Fig. 9.

Gegen die Wundrose, gegen die Diphtherie, gegen den Milzbrand sind leider noch keine beim Menschen verwendbaren Mittel gefunden; gegen die Tuberkulose hat Robert Koch, wie bekannt, in neuester Zeit das „Tuberkulin“ empfohlen.

Am Auge kommen Tuberkelbacillen sehr selten vor, kaum jemals primär, meist erst in sehr vorgeschrittenen Stadien des Allgemeinleidens, dann gewöhnlich in der Iris, ferner in den allerletzten Tagen vor dem Ende in der Aderhaut bei der Miliartuberkulose. Hier wird also, da Koch selbst sein Mittel nur für den Beginn des Leidens empfiehlt, nicht viel zu hoffen sein.

Dagegen wird man es mit Nutzen anwenden können beim Lupus der Augenlider und der Bindehaut. Es ist ja jetzt wohl allgemein bekannt, daß die fressende Flechte, der Lupus, nichts anderes ist als Tuberkelbacillen in der Haut oder Schleimhaut (siehe Fig. 9, t). Lupus gehört freilich zu den seltensten Augenkrankheiten – unter 50 000 Augenkranken sah ich ihn nur zweimal – aber er ist ein furchtbares Leiden; ein General, dem der Lupus von den Wangen schließlich ins Auge stieg, griff trotz seiner 70 Jahre zur Pistole. Bisher stand man der Krankheit völlig hilflos gegenüber; vielleicht hat aber auch für diese Unglücklichen die Erlösungsstunde durch Kochs Tuberkulin geschlagen. –

Da die Skrophulose eine der Tuberkulose sehr verwandte Krankheit ist, hofften einzelne Aerzte, auch bei skrophulösen Augenleiden Heilung durch das Tuberkulin zu erzielen. Koch hat nichts davon gesagt. Ich selbst habe auch bei skrophulösen Kindern keine Heilung von Entzündungen der Bindehaut und Hornhaut infolge von Einspritzungen mit Tuberkulin gesehen; glücklicherweise haben wir gegen diese Krankheiten auch viele altbewährte andere Mittel, mit denen wir, ohne ein allgemeines Fieber zu erzeugen, örtlich vorgehen können.

Hier ist also der Wunsch nach neuen Mitteln nicht so rege als bei den oben besprochenen schweren Augenkrankheiten. Hoffen wir, daß es der mächtig vorwärtsschreitenden Bakterienforschung bald gelingen möge, Mittel zu finden, welche die bereits eingedrungenen Bacillen zerstören, ohne zugleich das zarte Auge selbst zu gefährden. Bis dahin behüte der Himmel die Augen unserer Leser vor Coccen und Bacillen!