Die Amme zu Hirschstein (Ziehnert)

Textdaten
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Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Die Amme zu Hirschstein
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 173–178
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Indexseite
[173]
19.
Die Amme

zu
Hirschstein.

[174] Am Abhange des Felsens, worauf das Schloß Hirschstein an der Elbe steht, liegt eine, aus Stein gehauene, weibliche Figur mit einem Wickelkinde. Die Zeit der Begebenheit ist wahrscheinlich das 15. Jahrhundert.




[175]

Zu Hirschstein im festlich erleuchteten Saal,
da saßen die Ritter beim Kindtaufmahl.

Die Becher kreisten die Tafel entlang,
die Hörner tönten mit lustigem Klang.

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Der Burgherr füllte die Becher voll:

„Trinkt, edle Gäste! Des Kindes Wohl!“

Die Ritter erhoben die Becher geschwind:
„Lang’ lebe klein Hedchen, das liebliche Kind!“

Hoch sprützt aus den Bechern der funkelnde Wein,

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hell schmettern die silbernen Hörner darein.


Zur Burgfrau drängen die Gäste hinan:
„Auf’s Wohl eures Kindes stoßt mit uns an!“

„O Jesu Maria, was ist mit euch?
Eure Wange wird plötzlich so todtenbleich!“

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15
Die Burgfrau hält zitternd den Becher voll Wein,

und stiert mit erschrocknen Blicken hinein.

„Ha, seht doch! der Wein, wie wird er so roth! –
Barmherziger Gott! mein Kind ist todt!“

Ihr zwängte die Stimme der gräßliche Schreck,

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sie schleuderte schaudernd den Becher hinweg.


Sie schlug sich die Hand vor die Stirne mit Macht,
sie hatt’ auf die Fragen der Gäste nicht Acht.

Sie stürzt aus dem Saal mit verzweifelndem Sinn,
und rannte in’s Kindbettkämmerlein hin.

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Sie riß von der Wiege die Decke geschwind,

und fand nicht darinnen ihr liebes Kind.

Die sorglose Amme, berauscht von Wein,
war im Sessel am Fenster geschlafen ein.

Die faßt sie am Arme: „Sag’, Amme, geschwind,

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sag’, Amme, wo hast du mein liebes Kind?“


Die Amme zeigt trunken auf’s Fenster hin:
„„Hier liegt’s in der Wiege; süß schläft es darin!““

„O Jesu, du stürztest mein Kind in’s Grab!
So will ich dich schleudern auch wieder hinab!“

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Sie faßt wahnsinnig die Amme an,

da dringt ihr Gemahl mit den Gästen heran.

Sie zieht den Gemahl zum Fenster vor,
und raunt ihm verzweifelnd die Mähr in’s Ohr.

Da schrickt er zusammen, und faßt voll Wuth

40
die Amme am Arme: „Das büße dein Blut!“


Hinab in den Garten wohl zog er sie;
die Arme stürzte auf ihre Knie.

Er zückte sein Schwert: „Wo das Kindlein mein,
da soll auch die böse Amme nun seyn!“

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Die Amme fleht weinend: „Erbarmet Euch!“

Da wimmert der Knabe im Fliedergesträuch.

Der Ritter, wie hastig, zertheilt das Gesträuch,
da lag sein Kind auf schwankem Gezweig’.

Gott schützte den Säugling! Der Fliederstrauch stand

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grad’ unter dem Fenster am Mauerrand.


Es lebt! Er nimmt an sein Herz es auf,
und trägt es mit Thränen zur Mutter hinauf.

Die Mutter am Boden lag starr und bleich;
aufsprang sie bei der freudigen Mähr sogleich.

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Sie küßt und netzt mit Thränen und preßt

an den Busen ihr Kleines, und umklammert’s so fest.

Die Ritter voll Rührung holen drauf
die bewustlose Amme vom Garten herauf.

Dann schreiten sie wieder zum festlichen Saal

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und setzen sich wieder an’s frohe Mahl.


Sie saßen so still, kein Jubel erscholl;
sie hatten ja alle die Herzen so voll.

Die Amme hat gebetet die ganze Nacht,
und fürder den Säugling getreuer bewacht.

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Am Hirschsteiner Schlosse, da könnt ihr sie schau’n,

mit dem Kinde dort ist sie in Stein gehau’n.