Das Pagenbette auf Königstein

Textdaten
<<< >>>
Autor: Widar Ziehnert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Pagenbette auf Königstein
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 179–186
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Annaberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[179]
20.
Das Pagenbette

auf
Königstein.

[180] Bei der Friedrichsburg auf Königstein ist außen von der Brustwehr herab das Pagenbette zu sehen, das ist ein Theil des kaum eine Elle breiten, mit Steintafeln belegten, abschüssigen Vorsprunges des Felsens. – Nachstehende Erzählung fällt den 12. Aug. 1665.




[181]

Was Schönes ist ein volles Glas,
nur darf man nicht das rechte Maaß
     im Trinken überspringen,
 sonst bringt der Wein uns in Gefahr;

5
das macht so manches Beispiel klar,

     und eins will ich jetzt singen.

Der Mond begoß mit bleichem Schein
die alte Festung Königstein,
     und fand beim Trinkgelage

10
sechs Pagen, die die halbe Nacht

mit Spiel und Zechen durchgebracht
     im traulichen Gemache.

Fünf lagen – ach, nicht jeder kennt
des Weines hitzig Temp’rament! –

15
     bewustlos unterm Tische;

der sechste1) folgte gern auch nach,
nur hält ihn die Besorgniß wach,
     daß sie der Herr erwische.

[182]

Er ruft, er schreit, er stößt, er zupft,

20
er tritt, er zerrt, er rauft, er rupft

     die traurigen Kollegen;
doch endlich reißt ihm die Geduld,
und lallt er: „Nun ist’s ihre Schuld,
     wenn sie nicht hören mögen.“

25
Er schlürft die letzten Neigen aus,

und taumelt heim und klopft an’s Haus,
     doch läßt sich Niemand blicken.
Er wartet lang’. „Nun, ’s muß nicht seyn!
läßt man auch hier mich nicht hinein,

30
     wird sich’s wo anders schicken!“


Ein Plätzchen, wo sich’s ruhig schlief,
zu suchen, wankt er, ziemlich schief,
     entlang der dicken Mauer,
und kommt an ein Kanonenloch:

35
„Ha ha, da ist ein Ausweg noch

     aus diesem Vogelbauer!“

„Da draußen kann mich Niemand seh’n,
dort kann ich keck zu Bette geh’n,
     und schlafen bis zum Morgen.

40
Hier kann ich herrlich ein und aus.“

Er denkt’s und steigt getrost hinaus,
     und schläft, Hans ohne Sorgen.

[183]

Er schlief gar lang’. Die andern fünf
Zechbrüder hatten schon den Schimpf

45
     zur Hälfte überstanden,

da suchte man ihn überall,
bis ihn kurz vor dem Mittagsmahl
     zwei Kanoniere fanden.

O Jerum, wie erschrecken die,

50
als den vermißten Pagen sie

     da draußen liegen sehen.
Er lag in schrecklichster Gefahr,
und rückte er sich um ein Haar,
     so war’s um ihn geschehen.

55
Denn hört! Die Festungsmauer stand

vier Spannen kaum vom Felsenrand,
     und auf dem schmalen Raume
lag Heinrich, aller Sorgen bar,
daß neben ihm der Abgrund war,

60
     im holden Zechertraume.


Der Churfürst2) hört’s, und eilt herbei,
und heißt der Kanoniere zwei
     rasch durch das Schießloch klettern,
und Seile um den Pagen zieh’n,

65
und drauf aus seinem Schlafe ihn

     mit drei Trompeten schmettern.

[184]

Den Spaß nun wollten Alle seh’n,
und kamen und bekickerten
     im Voraus Heinrichs Schrecken.

70
Jetzt! die Trompeter schmettern schon

durch’s Schießloch ihren grellen Ton,
     den Schläfer rauh zu wecken.

Der Page wird vom Lärmen wach,
und rafft sich auf so ganz gemach,

75
     als ob im Bett er schliefe,

blickt stolz erst auf der Lacher Chor,
beugt dann sich unerschrocken vor,
     und schaut keck in die Tiefe.

Und Niemand lacht, und Alt und Jung

80
steht schweigend voll Verwunderung,

     gelobt wird er von Allen.
Der Churfürst lächelt mild, und hat
am jugendlichen Inculpat3)
     sein stilles Wohlgefallen.

85
Der Page steigt herein geschwind,

fällt ihm zu Fuße, und beginnt:
     „Ich hab’ mich arg vergangen,
und bin zur Büßung gern bereit,
thut mir, wie die Gerechtigkeit

90
     und das Gesetz verlangen.“


[185]

Der güt’ge Churfürst faßte ihn
gar sanft am Kinn: „„Dir sey verzieh’n
     um deiner Jugend wegen.
Dich schützte Gott! er sey mit dir,

95
wie heute Nacht, so für und für

     mit seinem Schutz und Segen.““

Dies Wort traf ein. Der Himmel war
mit unserm Pagen immerdar4) . –
     Die schmale Felsenstätte,

100
wohin er einst zu Bette kroch,

heißt ihm zum Angedenken noch
     bis heut das Pagenbette.






[186]
Anmerkungen.

1) Sein Name war Karl Heinrich von Grünau.

2) Churfürst Johann Georg II., der von 1656 bis 1680 regierte.

3) Inculpat ist der eines Verbrechens Beschuldigte.

4) In mehrern Lebensgefahren schien eine unsichtbare Hand den von Grünau zu beschirmen. So setzte einst sein scheugewordenes Pferd von der Dresdner Brücke mit ihm hinab in die Elbe, aber auch hier ward er glücklich gerettet. Als August II. 1740 auf seiner Reise nach Polen durch Bischoffswerda kam, machte ihm Heinrich von Grünau daselbst als hoher Greis seine Aufwartung. Er lebte zu Schmölln bei Bischoffswerda bei seiner Schwester, einer Frau v. Staupitz, aber nach deren Tode mußte er zu einem Bauer, Namens Dreßler, ziehen, wo er bei der geringen Pension von 16 Thalern jährlich sehr dürftig leben mußte. Doch behielt er immer seine gute Laune bei, und erzählte den Bauern seine Schwänke und Possen, so daß ihn diese, als er am 9. Decbr. 1744 im 107. Lebensjahre starb, herzlich betrauerten.