Der Einsiedler bei Dippoldiswalde

Textdaten
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Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Der Einsiedler bei Dippoldiswalde
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 187–198
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
Übersetzer:
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[187]
21.
Der Einsiedler

bei
Dippoldiswalde.

[188] In der Dippoldiswalder Heide, eine halbe Stunde nördlich von der Stadt, steht ein großer Sandsteinfelsen mit einer wenig bedeutenden Höhle, welcher der Einsiedler heißt. Die auf demselben befindlichen Spuren von Gemäuer heißt die Dippoldsklause, und der nahe Quell der Einsiedlerbrunnen. Ohnweit davon stehen die Trümmer einer alten Kapelle. Die Sage selbst beginnt in den letzten Regierungsjahren Kaiser Heinrichs I., des Finklers, etwa um 933, und endet um 960. Der in derselben erwähnte Boleslav ist Boleslav II., der Fromme, welcher, seit 967 Herzog von Böhmen, 971 das Christenthum in Böhmen einführte, das Erzbisthum Prag und mehrere Kirchen stiftete.




[189]

Müde, nur der Welt zu leben,
     barg zu Kaiser Heinrichs Zeit
sich der alte fromme Dippold
     in des Waldes Einsamkeit.

5
Eine Klause ward die Stätte

seines Wohnens und sein Bette
     dürres Moos und Farrenkraut,
Früchte dienten ihm zu Speise,
die nach frommer Klausner Weise

10
     er im Gärtchen sich erbaut.


Rings vor seiner Felsenklause
     hatte sich der fromme Greis
eingezäunt ein kleines Gärtchen
     und bebaut mit regem Fleiß.

15
Drinnen zog er süße Beeren,

weiße Rüben, rothe Möhren,
     sorglich gärtnernd, und begoß
sie aus dem krystallnen Quelle,
dessen schmale Silberwelle

20
     längst am Zaun vorüberfloß.


Auch vergaß er nie die größ’re
     Pflicht getreulich zu verseh’n,
und an die geweihte Stätte
     täglich zum Gebet zu geh’n.

25
Nahe seiner Felsenzelle

stand im Walde die Kapelle
     der hochheil’gen Barbara,
wo der Klausner voller Freuden
treulich die Obliegenheiten

30
     eines Kapellan versah.


[190]

Wandrer, die den Wald durchzogen,
     sprachen bei Dippolden ein,
ließen sich von ihm mit Freuden
     für die Christuslehre weih’n.

35
Denn in ungeschminkter Klarheit

floß die heil’ge Gotteswahrheit
     von des frommen Greises Mund,
und was ihm die Lippe wehrte,
gab des Lehrenden Geberde

40
     und sein Blick dem Schüler kund.


Keiner durfte ungetröstet,
     keiner zweifelnd von ihm zieh’n,
alle dankten ihm mit Thränen,
     segneten und priesen ihn,

45
trugen mit entzücktem Munde

von dem frommen Greis die Kunde
     fernhin in das Böhmerland;
auch des Herzogs edlem Sohne,
Erben einst der böhm’schen Krone,

50
     ward des Klausners Lob bekannt.


Längst schon war der bied’re Jüngling
     allem Götzenopfer feind,
und der heil’gen Christuslehre,
     wie er solche kannte, freund.

55
Jetzt, als er von Pilgern hörte,

wie und wo der Klausner lehrte,
     hatt’ er nimmer länger Ruh,
schied vom väterlichen Schlosse
still, und ritt auf schnellem Rosse

60
     stracks nach Dippolds Haide zu.


[191]

Nach drei Tagereisen kam er
     bei der Felsenklause an;
jätend kniet’ in seinem Gärtchen
     just der alte fromme Mann,

65
doch als er den Fremdling nahe

vor dem Zaune halten sahe,
     stand er eilends auf, und sprach:
„Edler Ritter, seyd gegrüßet,
und so’s euch gefällt, genießet

70
     bei mir einen Ruhetag.“


Boleslav ¹) – so hieß der Böhme –
     stieg vom Rosse flink, und band
es am Pförtchen fest, und reichte
     ihm zum Gegengruß die Hand:

75
„„Ja, gern will ich bei euch rasten,

und ihr werdet von den Lasten
     banger Zweifel mich befrei’n;
von euch will ich all’ die Lehren
eures heil’gen Jesu hören,

80
     und ein frommer Schüler seyn!““


Freudig glänzte Dippolds Auge:
     „Heil euch, Heil! wer ihr auch seyd,
euer guter Engel führte
     euch in diese Einsamkeit.

85
Kommt, ihr sollt den Gott erkennen,

den wir Christen Vater nennen,
     sollt euch des Erlösers freu’n.
Kommt!“ Mit freudig raschem Schritte
führte Dippold in die Hütte

90
     seinen neuen Schüler ein.


[192]

Stundenlang oft saßen Beide
     in der Laube frischem Grün;
Boleslav ließ keine Lehre
     spurlos seinem Ohr entflieh’n.

95
Alles schien nach seinem Meinen

ihm genehm, und hatt’ er keinen
     Zweifel jemals sich erlaubt;
aber bei der großen Lehre,
daß sich rächen Sünde wäre,

100
     schüttelt’ er sein lockigt Haupt.


„„Aber seht, ehrwürd’ger Vater,
     – unterbrach er sanft den Greis –
warum, wenn ich Böses sehe,
     wird’s im Herzen mir so heiß?

105
Warum soll ich mit dem Schlechten,

wenn ich besser bin, nicht rechten?
     Habt ihr mir doch selbst gesagt:
Wehe, wer durch Uebelthaten
seinem Nächsten Leid und Schaden

110
     boshaft zuzufügen wagt!““


„Weh dem Bösen! – rief der Klausner –
     weh ihm, wehe! Aber wißt,
daß, das Rächeramt zu üben,
     ein Alleinrecht Gottes ist!

115
Kann der Mensch ja nie auf Erden

allen Makels ledig werden,
     daß er könnte Richter seyn;
darum soll er ohne Klagen
seines Nächsten Fehler tragen,

120
     und den Irrenden verzeih’n.“


[193]

„Doch genug jetzt! Zur Kapelle
     ruft mich meine heil’ge Pflicht.
Gießt indeß die Rübenbeete,
     auch versäumt das Jäten nicht!“

125
Rasch, als ob er Eile habe,

griff der Greis zu seinem Stabe,
     eilte in den Wald hinein,
Boleslav ging mit den Kannen
an den Quell. Die Wässer rannen

130
     lustig über Stock und Stein.


„Gutes Brünnlein, bist der Reinheit
     und der Freiheit treues Bild,
ein Crystall ist jeder Tropfen,
     der aus deiner Tiefe quillt!

135
Ob dich Steine rings umdrängen,

und dein Kieselbett verengen,
     suchst dich friedlich zu befrei’n;
rächst dich nicht an diesen Steinen,
ja du wäschst sie noch mit deinen

140
     klaren Wellen hell und rein!“


Tiefbewegt in inn’rer Seele
     schöpft er seine Kannen voll,
und begießt die Rübenbeete,
     hackt und jätet, was er soll;

145
und wie Alles ist vollendet,

tritt er an den Zaun, und wendet
     seine Blicke auf den Quell.
Lange schaut er in die Wässer –
seines Zweifels Nacht wird blässer

150
     und Erkenntniß dämmert hell.


[194]

Nur der Fichten Wipfel glühten
     noch im goldnen Abendschein;
immer schaute noch der Jüngling
     sinnend in den Quell hinein.

155
Immer sanfter, immer milder

lächelten der Zukunft Bilder
     aus dem Quell in seinen Blick,
da vernahm er nahe Tritte;
durch der Fichten dunkle Mitte

160
     kam der fromme Greis zurück.


Wohlzufrieden flog sein Auge
     durch der Beete saubern Kreis,
und mit freudigmildem Blicke
     lobt’ er seines Schülers Fleiß,

165
brach zum Nachtmahl dann die besten

reifsten Aepfel von den Aesten,
     pflückte Schoten noch dazu,
und als solches war genossen,
und die Gartenthür verschlossen,

170
     gingen Beide still zur Ruh.


Mitternacht war schon vorüber;
     auf der Lagerstatt von Moos
schliefen, noch im ersten Schlafe,
     Beide sanft und sorgenlos.

175
Da ward’s draußen plötzlich rege,

just, als ob der Zaun zerbräche,
     und der Klausner wurde wach.
Aengstlich lauscht’ er, was es werde –
still war Alles, und er hörte

180
     nur ein tiefes dumpfes Ach.


[195]

Rüttelnd weckt er seinen Schüler,
     und erzählt, was er gehört;
aufspringt Boleslav, und zündet
     rasch das Windlicht, und bewehrt

185
sich mit seinem Schwert. Drauf gehen,

um zu seh’n, was wohl geschehen,
     Beide in des Gärtchens Flur;
unter einem Apfelbaume
lag auf blutgetränktem Raume

190
     eine menschliche Figur.


Dippold bebt. Der Jüngling leuchtet
     mit dem Lichte näher hin:
„„Ha, ein Dieb! Seht da, das Körbchen!
     die gestohl’nen Aepfel drin!

195
Seht, wie da die Aeste liegen!

Der ist auf den Baum gestiegen,
     und wohl hoch herabgestürzt.
Wimm’re, sollst nicht lange wimmern!
Will den Schädel dir zertrümmern,

200
     daß dein Leiden sich verkürzt!““


Zornig zuckt er mit dem Schwerte,
     doch der greise Klausner hält
ihm den Arm: „Halt ein, Verwegner!
     Bist zum Richter du bestellt? –

205
Weg das Schwert, und laßt uns eilen,

daß wir ihn vielleicht noch heilen!
     Faßt ihn nur behutsam an!“
Boleslav gehorcht. Sie schlagen
in die Mäntel ihn, und tragen

210
     in die Klause ihn hinan.


[196]

Dippold wäscht ihm seine Wunden,
     legt ihm Spinnewebe drauf,
und der Kranke regt sich wieder,
     schlägt die stieren Augen auf.

215
Boleslav, der nie an Dieben

solche Großmuth sahe üben,
     schüttelte sein lockigt Haupt,
und begann: „„Könnt ihr verwetten,
daß der, den wir heute retten,

220
     nicht schon morgen wieder raubt?““


Strafend da mit finsterm Auge
     sprach der Greis: „Das weiß ich nicht!
Aber wär’s auch; ihm zu helfen,
     das ist heute meine Pflicht!

225
Ein Gebot ist uns geschrieben,

Großmuth auch am Feind zu üben,
     wie sie Christus einst geübt!
Alle Menschen sind ja Brüder.
Darum, so frag’ niemals wieder,

230
     wenn ihr irgend mich noch liebt!“


Durch das ernste Wort erschüttert,
     schweigt der Jüngling still dazu,
und begiebt sich, da der Klausner
     sein nicht mehr bedarf, zur Ruh.

235
Aber Dippold wacht mit Sorgen

bei dem Kranken bis zum Morgen,
     hülfreich stets um ihn bemüht,
so daß früh vom Schlaf ermuntert
Boleslav ihn hochverwundert

240
     noch bei selbem sitzen sieht.


[197]

Da erwachte auch der Kranke,
     wie aus langem Todesschlaf,
und erschrack in tiefster Seele,
     als sein Blick den Klausner traf.

245
Lange lag er ohne Regen,

bis er, über sein Vermögen
     hastig, auf vom Lager sprang,
und, vom Ungestüm der Schmerzen
und der Scham zerknirscht im Herzen,

250
     schluchzend Dippolds Knie umschlang.


Doch er hob ihn auf voll Güte,
     und begann: „Was du gethan,
rechne dir’s der Herr des Himmels
     im Gericht dereinst nicht an.

255
Wasche dich von deinen Sünden,

daß du Gnade mögest finden!“
     So der Greis mit ernstem Ton,
Als ob’s ihm das Herz zerreiße,
stand der Sünder vor dem Greise,

260
     und zerknirscht ging er davon.


Da ergreift’s den Jüngling plötzlich,
     wie mit himmlischer Gewalt,
auf die Kniee stürzt er nieder
     vor des Greises Hochgestalt:

265
„Tauft mich, Vater! hört mein Flehen!

tauft mich! Jetzt hab’ ich gesehen,
     wie’s so schön ist zu verzeih’n!
Tauft mich! Gern will ich versprechen,
nur durch Liebe mich zu rächen;

270
     weiht mich, Vater, weiht mich ein!“


[198]

Dippold preßt mit feuchtem Auge
     seinen Schüler an die Brust;
der Triumph des Glaubens ist ja
     seinem Herzen Himmelslust.

275
Freudig tauft’ er ihn am Quelle,

führt’ ihn dann in die Kapelle,
     und noch manches fromme Wort,
gab er ihm mit auf die Reise.
Reich im Herzen ritt vom Greise

280
     Tags darauf der Jüngling fort.




Viele fromme Wandrer sprachen
     bei dem greisen Klausner ein.
ließen sich an seinem Quelle
     für die neue Lehre weih’n,

285
bauten in des Waldes Mitten

nah der Klausnerei sich Hütten,
     und so allgemach entstand
eine Stadt, die frommer Weise,
zum Gedächtniß jenem Greise,

290
     Dippoldswalde ward genannt.