Die „Gartenlaube“ und der deutsche Lehrerstand

Textdaten
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Autor: Die Redaktion
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Titel: Die „Gartenlaube“ und der deutsche Lehrerstand
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 387–388
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Redaktion wehrt sich gegen Kritik an einem Roman von Victor Blüthgen, den sie abgedruckt hat. Siehe auch die Reaktion in „Die ‚Gartenlaube‘ und der deutsche Lehrerstand“
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[387] Die „Gartenlaube“ und der deutsche Lehrerstand. Seit ihrem Bestehen hat die „Gartenlaube“ sich einer Reihe von Widersachern und Angriffen – wir sagen mit vollem Ernste –: zu erfreuen gehabt; denn gerade sie stellten uns unsern Lesern gegenüber das Zeugniß aus, daß wir mit unserem Streben auf dem rechten Wege seien. Da werden in jüngster Zeit brieflich und in der Presse Stimmen aus einem Berufskreise gegen uns laut, den wir vorher nur auf unserer Seite sahen und den die „Gartenlaube“ seit nun fast einem Menschenalter in allen seinen Bestrebungen unablässig unterstützt hat: Stimmen aus dem deutschen Lehrerkreise!

Und warum? Warum dieser plötzliche Wandel? Warum diese offen und schroff ausgesprochene Feindseligkeit gegen unser Blatt? – Weil die „Gartenlaube“ eine humoristische Erzählung abgedruckt hat, in welcher ein Mitglied des Lehrerstandes eine komische Rolle spielt: die Erzählung, „Ein Friedensstörer“ von Victor Blüthgen[1], im Jahrgang 1881.

Wir wollen nicht des Breiteren die am nächsten liegende Frage erörtern: wie man sich die Möglichkeit einer humoristischen Literatur vorstellen könne, wenn aus keinem Stande eine Figur genommen werden dürfte, welche die besonderen komischen Seiten, an denen es bekanntlich keinem Stande fehlt, zur Darstellung bringt. Man nenne uns einen Stand, der dazu nicht seine Opfer für den Volkswitz wie für die mannigfache poetische Gestaltung zu liefern hätte! Und wird ein Stand dadurch an seiner Ehre verletzt, dadurch in der wahren Würdigkeit der ganzen Berufsclasse herabgesetzt, wenn man einer ihm entnommenen Romanfigur eine komische Rolle anweist? Die Verständigen aller Classen gönnen der Heiterkeit ihren Spielraum, wenn es auch auf Kosten ihres Standes geschieht, und die Klugen lachen mit.

Oder halten die Lehrer ihre Ehre für so besonders leicht verletzbar, daß der harmloseste Scherz einer Erzählung sofort die Würde des ganzen Standes beeinträchtigt, das Ansehen desselben im ganzen Volke gefährdet? Unglaublich! Und doch stellt der von einer Lehrerzeitung zur andern wandernde Anklage-Artikel „Die ‚Gartenlaube‘ und der Dichter Victor Blüthgen“ dieser Annahme ein offenkundiges Zeugniß aus. Da steht mit dürren Worten: „mit solchen Veröffentlichungen verleumdet man einen ehrenwerthen, gebildeten Stand und schädigt mit dessen Ansehen die hohe Sache der Volksbildung.“

Und so etwas thut die „Gartenlaube“, die seit nun fast dreißig Jahren unablässig und oft zu ihrer eigenen Gefahr und mit manchen Opfern für diese hohe Sache der Volksbildung gearbeitet! Gewiß wohl auch unglaublich! – Wir enthalten uns jedes Wortes über und gegen diese Behauptung eines Lehrers; wir können das Urtheil darüber unserm Leserkreise innerhalb und außerhalb des Vaterlandes ruhig anvertrauen. Dagegen dürfen wir eine andere Stelle der Anklage nicht ohne Anmerkung lassen. Bezüglich des unterthänigen und unterwürfigen Gebahrens des in der Erzählung geschilderten Dorfschullehrers behauptet der Verfasser:

„Wer vor hundert Jahren so etwas schrieb, hatte dazu eine gewisse Berechtigung; denn er war nicht weit neben die Wahrheit gerathen und erreichte einen sittlichen Zweck, wenn er die Sonde an die socialen Schäden seiner Zeit legte. Beide Momente jedoch müssen solchen Veröffentlichungen heutzutage abgesprochen werden.“

Dieser stolze Satz ist leider nicht ganz richtig. Allerdings ist es durch die Hebung der Allgemeinbildung der Nation seit hundert Jahren in allen Ständen besser geworden und haben namentlich die Riesenfortschritte auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit in den letzten Jahrzehnten viele alte Schwächen und Mängel der einzelnen Stände beseitigt. Trotzdem ist auch diese Regel nicht ohne Ausnahmen und kann kein Stand behaupten, daß er in allen seinen Gliedern nun unantastbar dastehe, und das gilt auch für den Lehrerstand. Wir bitten unsere ehemaligen Freunde und jetzigen [388] Feinde dringend, die folgende Mittheilung nicht mit dem schiefen Blicke der Gehässigkeit, sondern mit dem geraden der theilnehmenden Einsicht zu betrachten. Ihre Widersacherschaft zwingt uns, das, was wir soeben aufgestellt haben, auch zu beweisen.

Auf dem Repositorium unserer Redaction befindet sich auch eine „Zur Wohlthätigkeit“ überschriebene Abtheilung. Sie enthält je ein Fach für „Kriegs-Invaliden“, „Vermißte“, „Eisenbahnbedienstete und Subalternbeamte“, „Waisenversorgung“ und auch ein Fach mit der einfachen Ueberschrift: „Lehrernoth“. Hätte jener Verfasser einen Blick in diese Briefe, Zeugnisse und Actenstücke voll Klagen und Jammer geworfen, der Muth zu seiner Behauptung würde ihm geschwunden sein. Er würde erkannt haben, wie groß die Noth, wie gedrückt die Stellung noch vieler Dorfschullehrer in nicht wenigen Landstrichen des deutschen Reiches ist. Er würde aber auch mit Schrecken gesehen haben, wie Druck, Sorge und Entbehrung nicht selten das Mannesgefühl der Bittenden erstickt und sie zu Ausdrücken verleitet, welche dem „unterthänigen und unterwürfigen Geschrei“ jenes „Schulmeisters“ sehr nahe stehen. Aber auch diese „Enthüllung“ gereicht nicht den Lehrern zur Unehre; nicht Liebedienerei und Knechtssinn treibt die Unglücklichen soweit, sondern die bittere Noth, welche oft genug selbst die Kraft starker Charaktere nach und nach aufzehrt. – Da ist noch viel zu helfen, ehe man sich überhebt und den alten Mithelfer zur Seite stößt. – Nie ist eine Silbe darüber von uns verrathen; es ist so oft wie möglich den Beklagenswerthen still geholfen worden, oder wir schlugen die Angelegenheit an unser „Schwarzes Brett für die Volksschule“, das doch wahrhaftig auch nicht gegen die Ehre des Lehrerstandes von uns aufgestellt worden ist.

Lassen wir aber sogar das Hereinziehen gerade dieser Schulmeisterfigur in unsere Erzählung einen Mißgriff sein – die große Aufregung vieler Lehrer dagegen zeugt ja für eine solche Auffassung derselben –, berechtigt das den ganzen deutschen Lehrerstand, wie wenigstens die Lehrerzeitungen behaupten, im Handumdrehen aus dem Gedächtnisse der dermaligen Lehrergeneration Alles wegzuwischen, was die „Gartenlaube“ in so langer Zeit und bis zu ihren letzten Nummern für sie geleistet? Glauben die Lehrer, daß die deutschen Familien dies- und jenseits der Meere, in deren Besitz wir untrüglich über drei Millionen Bände der „Gartenlaube“ wissen, auch so rasch, wie die Herren Lehrer selbst, vergessen haben, daß unser Blatt wie kein zweites in Deutschland die Sache der Schule und der Lehrer in den schlimmsten Zeiten gegen oben und unten fest und treu vertreten hat? Und wie wollen sie sich nun die Frage beantworten, was ihre Ehre, ihr Ansehen beim Volke mehr schädigt, eine komische Schulmeisterfigur in einer humoristischen Erzählung, oder ein solches Beispiel von plötzlicher Gehässigkeit aus so kleinlichem Grunde gegen ein Blatt, das so oft in ihren eigenen Reihen „eine treue Freundin der Schule und der Lehrer“ genannt worden ist?

Uns schmerzt diese traurige Erfahrung bitter, aber wahrlich nur um der Lehrer willen. Uns wird sie von dem uns vorgezeichneten Wege nicht ablenken; wir werden auch ohne die Lehrer für sie und die freie Schule fortwirken, indem wir dem alten Banner treu bleiben, das uns in die Hand gegeben ist mit den Wahlsprüchen: „Alles für das Volk!“ und „Nur Bildung macht frei.“

D. Red.
  1. Die Angabe der „Mecklenburgischen Schulzeitung“, daß Victor Blüthgen „Mitredacteur der ‚Gartenlaube‘“ sei, beruht auf einem Irrthum. Herr Blüthgen war längst aus der Redaction freiwillig ausgeschieden, als er die Erzählung einsandte, die wir abdruckten.
    D. R.