Deutschlands Kolonialbestrebungen: Ein Besuch in einem Papuadorfe auf Neu-Guinea

Textdaten
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Autor: Otto Finsch
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Titel: Deutschlands Kolonialbestrebungen. Ein Besuch in einem Papuadorfe auf Neu-Guinea
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 48–51
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht von Otto Finsch
s. auch Deutschlands Colonialbestrebungen: Ruine Groß-Friedrichsburg, Deutschlands Colonialbestrebungen: Deutsche an der Westküste von Afrika und Deutschlands Kolonialbestrebungen: Sansibar
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Deutschlands Kolonialbestrebungen.

Ein Besuch in einem Papuadorfe auf Neu-Guinea.
Für die Gartenlaube mitgetheilt von Dr. O. Finsch.[1]

Die Zahl unsrer farbigen Schützlinge wächst unaufhörlich und hat neuerdings durch die Menschenfresser der Südsee-Inseln eine interessante Bereicherung erfahren. Die deutschen Kolonialpolitiker, die vor einigen Jahren für die Kolonisation jener Inseln in Feuer und Flammen standen, sehen jetzt ihre Wünsche, zum Theil wenigstens, verwirklicht. Wenn nicht auf Samoa, so weht doch wenigstens auf einem Theil von Neu-Guinea, auf Neu-Britannien und Neu-Irland die deutsche Flagge. Für die gelehrte Welt bildeten jene „paradiesischen Eilande“ seit Jahren ein höchst anziehendes Forschungsgebiet; Zoologen, wie Darwin und Wallace, brachten von ihnen eine Fülle neuer wunderbarer Berichte, und Anthropologen und Ethnographen haben bis jetzt das interessante Menschenmaterial, das sich dort darbietet, kaum bewältigen können. Aber aus diesen Gründen ist das deutsche Protektorat über jene Inseln nicht verkündigt worden. Dies geschah im wohlverstandenen Interesse derjenigen deutschen Kaufleute, die dort im Wettstreite mit anderen seefahrenden Nationen eine angesehene Stellung sich zu erringen gewußt und die einen wichtigen Theil des dortigen Handels in ihren Händen haben.

Die Auswahl jener Produkte ist hier allerdings nicht groß, und im Grunde genommen giebt es nur einen Handelsartikel, der von der Südsee in großen Massen nach Europa gebracht wird: die Kopra, das heißt den in Streifen geschnittenen und in der Sonne getrockneten Kern der Kokosnuß. Diese Waare wird jedoch erst seit neuerer Zeit gehandelt, früher kaufte man statt derselben von den Eingeborenen fertiges Kokosnußöl. Das Geschäft war aber nicht besonders lohnend, der Transport in Fässern unbequem und außerdem gelangte das Oel in verdorbenem Zustande nach Europa. Da beschloß die Hamburger Firma Godeffroy, bei den Südsee-Insulanern die Kopra aufzukaufen, die jetzt in Europa ausgepreßt wird. Das Geschäft erwies sich lohnender, namentlich als die Fabrikation des Kopra-Oels solche Fortschritte gemacht hatte, daß man Kokosnußöl von der Güte des echten Olivenöles auf dem europäischen Markte verkaufen konnte. Ohne Kopra wären die Südsee-Inseln für den Kaufmann ziemlich werthlos, da in den andern Artikeln, wie Schildkrot, Perlmuscheln, Wachsnüssen etc. ein namhafter Umsatz nicht erlangt wird und die spärlichen Plantagen der Weißen zu einer besonderen Blüthe noch nicht gereift ist.

So ist dort das Geschäft ziemlich einfach. Zerstreut auf den einzelnen Inseln wohnen die weißen Händler in einfachen Häusern, die mit Palissaden aus starkem Bambus umgeben sind. Hier empfangen sie die Eingeborenen, welche die Kopra in kleinen oder größeren Körben bringen und für ein Pfund dieser Waare etwa einen Fingerhut Perlen verlangen. Oder sie fahren in starken Böten von Dorf zu Dorf, um die Kopra an Ort und Stelle aufzukaufen. Diese Händler betreiben das Geschäft in der Regel für irgend eine Firma, deren Schiffe von Zeit zu Zeit die betreffende Insel anlaufen, die Kopravorräthe mitnehmen und den Händler von Neuem mit europäischen Waaren versorgen. Das ist der gleichartige Kreislauf, in dem sich der Südseehandel bewegt, und der nur durch Streitigkeiten und Kämpfe mit den wilden Eingeborenen unterbrochen wird.

Auf den Inseln, die jetzt zum Theil unter das deutsche Protektorat gestellt worden sind, gehören die Einwohner dem Papuastamme an. Ihre Sitten und Lebensgewohnheiten werden in dem hier folgenden Artikel von Dr. O. Finsch, der jetzt im Auftrage der Reichsregierung sich in der Südsee aufhält, ausführlich und lebenswahr nach eigener Anschauung geschildert. Der interessante Bericht sowie die ihn begleitende Illustration sind von dem berühmten Reisenden an Ort und Stelle für die „Gartenlaube“ entworfen worden, und wir freuen uns, dieselben gerade in diesem Augenblick unseren Lesern bieten zu können.

*     *     *

An der Südostküste Neu-Guineas liegt Aroma, eine der fruchtbarsten und reichsten Landschaften. Sie erstreckt sich längs Kepel-Bai und zählt auf einer Entfernung von nur 12 bis 15 Seemeilen an 32 Dörfer und Siedelungen. Von See aus sieht man wenig von denselben, da sie meist durch einen dichten Gürtel hoher Pandanusbäume, welcher die niedrigen Dünen des breiten ebenen Sandstrandes bekleidet, verdeckt werden. Hinter diesen Dünen ist äußerst fruchtbarer Boden, mit wahren Wäldern [49] von Kokospalmen, und in der Nähe derselben, in reichen Plantagen von Bananen, Jams, Taro, Zuckerrohr und dergleichen liegen die Siedelungen der Eingeborenen versteckt. Die Bevölkerung ist also eine sehr zahlreiche und mag leicht etliche Tausende betragen, wobei nur der Küstenstrich in Betracht kommt. Weiter im Innern der Insel, deren schön gegliederte namenlose Gebirge aus der Ferne sichtbar sind, leben andere rassenverwandte Stämme, die indeß eine ganz verschiedene Sprache sprechen und mit den Küstenbewohnern nur zum Theil in Tauschverkehr stehen, mehr aber mit ihnen kämpfen.

Maupa auf Neu-Guinea.
Nach der Natur für die „Gartenlaube“ gezeichnet von Dr. O. Finsch.

Die Papuas von Aroma sind ein schöner Menschenschlag von hohem Wuchse, gut gebaut, mit fleischigvollen Gliedern und machen den Eindruck heller Menschen. In der That ist die lichtkupferbraune Farbenvarietät, wie ich sie allenthalben in Melanesien antraf, ziemlich häufig, ja vielleicht zahlreicher als anderwärts, doch herrscht auch hier, wie überall an der Südostküste Neu-Guineas, ein dunkles Kupferbraun vor. Schwarze Menschen, wie man sich gewöhnlich die Papuas vorstellt, sah ich nirgends. Die Bekleidung, soweit überhaupt von solcher die Rede sein kann, ist die allgemein übliche, das heißt die Männer tragen ein ein bis zwei Zoll breites Band aus Baumbast (Tapa) oder meist nur einen dünnen Baststrick kreuzförmig um den Leib geschlungen, die Weiber einen Rock aus mehr oder minder feingespaltenen Blättern der Sagopalme oder Pandanus, der von den Hüften bis etwa zum Knie reicht. Außerdem giebt es sehr mannigfachen Schmuck für Arme, Brust, Hals und Haar, welches letztere nach Papuaweise in Gestalt einer hohen kräuslich-flockigen Wolke den ganzen Kopf bedeckt und die am meisten gepflegte Zier für Männer und Mädchen bildet. Verheirathete Frauen scheeren das Haar kurz oder rasiren es wohl ganz; doch kommt beim weiblichen Geschlecht noch eine andere Ausschmückung des Körpers hinzu, die Tätowirung. Sie erstreckt sich zuweilen über alle Körpertheile und hat, wie überall, den Zweck der Verschönerung, gleichsam als Ersatz für unsere Kleider.

Wie an manchen anderen Orten in Neu-Guinea herrscht auch in Aroma eine Theilung des Erwerbes. Während das eine Dorf sich fast nur mit Fischfang beschäftigt, ist ein anderes in der Anfertigung von Canoes berühmt und ein drittes liefert den beiden ersteren im Austausch die Erzeugnisse des Bodens. Dieses Verhältniß findet sich auch in Maupa, dem größten Dorfe der Aroma-Landschaft, indem es ein eigenes Fischerdorf besitzt, dessen circa 200 Einwohner nur dieses Gewerbe betreiben und das landbauende Maupa mit den Erzeugnissen des Meeres versorgen.

In diesem Fischerdorfe erschien Goapäna, der Häuptling von Maupa und zugleich der mächtigste Mann der ganzen Gegend, mich zu begrüßen. Er war eine hohe, athletenhafte Erscheinung, der meine Körperhöhe (1,80 m) noch um Etwas übertraf, dabei [50] von breiter Brust und mächtigem Gliederbau, und konnte als schön gelten, hätten nicht Pockennarben sein Gesicht verunziert. Jedenfalls war Goapäna nicht nur der kräftigste und am besten gebaute Mann, den ich in der Südsee gesehen, sondern in ihm erblickte ich zum ersten Mal einen Häuptling, wie man ihn sich gewöhnlich vorstellt. Seine aufrechte Haltung, mit hochgehobenem Kopfe, sein elastischer, graziöser, fast theatralischer Gang hatten etwas ungemein Imponirendes. Eine bessere Feder als die meine würde in diesem Manne selbst den Helden der letzten Mohikaner in den Schatten stellen, an den mich die indianerhafte Gesichtsbildung, mit der gekrümmten Nase und den blitzend schwarzen Augen lebhaft erinnerte. Sein Ausputz war geringer als der jedes gewöhnlichen Papua-Stutzers, aber die beiden langen Wedel aus Papageienfedern auf seinem Vorderkopfe und die Kette aus Muschelringen mit einem mächtigen, fast zirkelrunden Schweinshauer auf der Brust vollendeten den Häuptling vom Scheitel bis zur Sohle.

Wir gingen nach seinem Dorfe, und Goapäna schulterte meine Vogelflinte, mit der ich zu seiner großen Ueberraschung einen Milan aus ziemlicher Höhe im Fluge herabschoß. Er forderte mich nun auf, mehr Vögel zu schießen, selbst wenn sie mehrere hundert Schritt entfernt waren, und wollte es nicht einsehen, daß die Tragkraft einer Feuerwaffe ebenfalls ihre Grenze hat. Irgend ein Weißer hatte ihm aufgebunden, die Kugel reiche bis über die nächsten Berge, wie es überhaupt so häufig die falsche Art des Europäers Eingeborenen gegenüber ist, ihnen Wunderdinge vorzuflunkern.

Wir waren kaum eine halbe Stunde längs dem Strande hingegangen, als Goapäna links abbog, und nachdem wir eine niedrige Dünenkette überschritten, lag seine Residenz, Maupa, umrahmt von einem Kokospalmenwalde, vor uns. Der Anblick war überraschend, denn nirgends bisher hatte ich in der Südsee eine so große Ansiedelung Eingeborener gesehen. Das war kein Dorf mit im Gelaube versteckten, von einander entfernt stehenden Häusern, wie in Neu-Britannien, sondern diesen Häuserkomplex, Giebel an Giebel, Straßen bildend, konnte man eine Stadt nennen. Von Weitem gesehen erinnerte der Ort mit seinen hohen, spitzen, grasbedeckten Dächern gar sehr an gewisse Landstädtchen bei uns, und es fehlte nur ein alter wettergebräunter Kirchthurm, um das Bild zu vervollständigen. Freilich müßte man sich statt der Kokospalmen Kiefern oder Fichten, statt der Bananenplantagen Korn- oder Kartoffelfelder dazudenken. Wir waren eben in den Tropen, wie dies auch die Hitze von 28° R. bewies, und recht froh, in Goapäna’s Haus ein schattiges Unterkommen zu finden. Dasselbe unterschied sich übrigens weder durch Größe noch Ausschmückung von allen übrigen. Der Baustil in Aroma weicht in vielen Stücken von dem sonst in Neu-Guinea herrschenden ab und zeichnet sich besonders durch das hohe, spitzbogige Dach aus, dessen senkrechter Giebel an der Vorderfront höher ist als an der hinteren, sodaß die Dachfirste eingebogen verläuft. Dieses hohe Dach aus Riedgras oder Pandanusblatt ruht auf behauenen an zehn Fuß hohen Baumstämmen, die in etwa vier Fuß Höhe die Hausdiele tragen, zu der ein schräg angelehnter Baumstamm den Aufgang bildet. Dem Gebäude fehlen nur die Seitenwände, um es zu einem regelrechten Hause von etwa 30 Fuß Länge und 10 Fuß Breite zu machen, aber dieser offene luftige Raum entspricht dem Klima am besten. Die Diele besteht aus dicken, zwei Fuß breiten Planken, wie die Decke, welche zugleich die Diele des Bodens bildet. Die Deckplanken sind auf der Unterseite mit erhabener Schnitzarbeit, meist breite Sägezähne darstellend, versehen und müssen unendliche Mühe und Zeit gekostet haben, wenn man bedenkt, daß dieselben, wie das ganze Gebäude, nur mit Steinäxten hergestellt werden. Wer diese einfachen Werkzeuge bisher nur in Museen mit verächtlichen Augen angesehen, würde beim Anblick dieser kunstgerecht aufgebauten Häuser gewiß, wie ich, in Erstaunen ausbrechen und diesen sogenannten Wilden seine Bewunderung nicht versagen. Freilich haben sie Zeit, viel Zeit; Zeit ist noch nicht Geld bei ihnen, denn die Herstellung einer Planke erfordert allein mehrere Tage Arbeit, da ein großer Baumstamm nur zwei Planken liefert. Solcher Häuser zählt Maupa an 250, welche 1200 bis 1500 Menschen ein Obdach gewähren, wie es nicht alle bei uns daheim besitzen. Und in einem solchen Orte giebt es keinen Gendarm, keinen Steuereinnehmer, keinen Zöllner oder Exekutor, und es geht doch, ohne daß sich die Menschen einander todtschlagen und berauben. Denn Diebstahl muß sehr selten sein, da in den offenen Häusern Alles frei und offen umherhängt, auch die Lebensmittel; es giebt auch keine wirklich Armen.

Als ich mit Goapäna etwas näher bekannt wurde, entdeckte ich in ihm zu meiner Ueberraschung einen doppelten Kollegen. Er war nicht allein ein „lohiapata“ (großer Häuptling), wie ich mit meinem kolossalen, leider immer mehr dahinschmelzenden Reichthume (an Tabak nämlich) als solcher allenthalben in Neu-Guinea gelte, sondern er machte auch in Anthropologie. Zunächst mußte ich Hemdsärmel und Beinkleid aufstreifen, um die Weiße meiner Haut zu zeigen, die im Allgemeinen gefiel, dann untersuchte er mein Haar, ganz wie ich es mit den Kanaka zu thun pflege. Er tadelte meinen Bart, da die Schönheiten Maupas einen solchen abscheulich finden, und riß sich, seinen Vortrag illustrirend, den schwachen Nachwuchs von Haaren an seinem Körper aus. Auch für europäische Ethnographie interessirte sich Goapäna. Nicht aber so, daß er meine Kleider, Waffen u. dergl. begehrte – solche Gegenstände erschienen überflüssig und lästig – er war vollständig mit meinem Tabak zufrieden, von dem ich ihm zur Besiegelung des Freundesbundes eine Stange verehrte. Er fand „meinen“ Tabak natürlich ausgezeichnet, denn es ist bei den meisten Kanaka herrschende Ansicht, daß der weiße Mann Alles, was er mit sich führt, vom Gewehr bis zur Stecknadel selbst gemacht hat, wie der Farbige seine Speere, Netze etc. Leider mußte ich es ablehnen, die Friedenspfeife mit ihm zu rauchen, da der papuanische „Baubau“, wie dieses unumgänglich nöthige Rauchgeräth heißt, mir zu umständlich ist, – hier sogar es zu beschreiben. Auch reizte mich die Tabakshülle, ein dickes Blatt, oder vielmehr dessen Rauch nicht sonderlich.

Ich schickte mich zu einem Gange in die Stadt an und forderte Goapäna auf, mich zu begleiten. „Werden sie Dich auch todtschlagen,“ war der trostreiche Ausspruch, mit welchem er mir zögernd voranschritt. Freilich hatte Maupa schon Weiße in seinen Straßen gesehen, aber doch nur höchst selten, und so war es kein Wunder, daß wir bald von einer mehr und mehr wachsenden Menschenmenge umringt wurden, unter der sich wie allenthalben die liebe Jugend hervorthat. Wahrscheinlich machten sie allerlei schlechte Bemerkungen, vielleicht über meinen abgeschabten Filzhut, den struppigen rothen Bart etc., aber die Menge betrug sich doch sehr zurückhaltend. Wäre ich mit Goapäna in seinem Federbusche unter den Linden Berlins Arm in Arm einhergegangen, wie er mit mir in Maupa, so würde es wohl einiger Schutzleute bedurft haben.

Maupa besitzt einige ziemlich gerade Straßen, eine Menge Querstraßen und Gäßchen, in denen es reinlich aussieht. Namentlich gefiel es mir, die lieben Schweine hier meist sorglich eingezäunt zu finden. Wie es einem Anthropologen gebührt, hatte Goapäna auch eine Sammlung angefangen. Sie ist öffentlich, kostet nichts, weder Entrée noch Trinkgeld an Aufwärter, ist im Mittelpunkte der Stadt, stets geöffnet, entspricht also ganz den Anforderungen, welche wir an ein solches Institut stellen, und interessirte mich natürlich ganz besonders. Als wir auf dem Tanzplatze des Ortes, einem großen von Giebelfronten der Häuser fast ganz umrahmten Viereck, anlangten, erblickte ich eine aus Baumstämmen gebaute etwa 3 Fuß hohe Plattform mit einer Art Galgen, an welchem 19 Menschenschädel, zierlich mit Bändern aus Bast und Blättern geschmückt, aufgehangen waren. Das war Goapäna’s Museum, in dessen Besitz ich mich natürlich gern gesetzt hätte. Aber ich sah wohl, daß dies nicht anging, denn die Sammlung war Kommunaleigenthum, und mein ganzes Vermögen würde nicht ausgereicht haben, um all die Partner in Tabak zu befriedigen, selbst wenn dieselben in den Kauf gewilligt hätten. So begnügte ich mich, den schauerlich schönen Tanzplatz zu zeichnen, sehr zum Verdruß meines Sancho, eines schwarzen Burschen aus Neu-Britannien, dem beim Anblick der vielen Schädel doch nicht recht wohl war. „Von wem rühren diese Schädel her?“ fragte er mich, und ich erwiderte ihm tröstend: „Alle von weißen Männern; bald kommen wir an die Reihe!“ „Geschieht Dir schon recht, warum hast Du meine Muskete und Deinen Revolver zurückgelassen! Diese Kannibalen werden uns aufessen wie Hühner“, gab er zurück und mochte dabei an die Gebräuche seiner Heimath denken. Hier hatte ich ihn vor mehr als Jahresfrist selbst bei einem Kannibalenfeste getroffen, das ich für die „Gartenlaube“ beschrieb und zeichnete, welcher Beitrag, wie ich seither erfuhr, [51] indeß keine Aufnahme fand, wegen des „gar zu schaurigen“ Bildes. Um einem ähnlichen Schicksale zu entgehen, lasse ich diesmal die Skizze des Schädelplatzes weg und gebe die eines friedlichen Stilllebens in der Dorftraße, wie ich es von Goapäna’s Hause aus skizzirt hatte. Der ersehnte Revolver würde mir übrigens selbst im schlimmsten Falle wenig genützt haben. Ich kannte ihn; er hatte mich schon einige Mal schmählich im Stich gelassen, wenn es sich darum handelte, den Eingebornen die Ueberlegenheit von Feuerwaffen zu demonstriren. Statt „bang“ machte er zuweilen nur „pink“, das heißt versagte. Uebrigens was nützt ein Revolver, selbst der beste, wenn man von ein paar hundert Kannibalen und mehr umringt ist? Gar nichts! denn nur ein Schuß und im nächsten Augenblick hat man soviel Speere im Leibe, daß man das Aufstehen vergißt. Ich kenne solche Fälle!

Auch an ein Tauschgeschäft war mit dem wackeren Goapäna nicht zu denken. Die Leute in Maupa haben nämlich die sonderbare Marotte, nur solche Schädel ihrem Museum einzuverleiben, deren Besitzer von ihnen erschlagen wurden. Andere Schädel als die ihrer sogenannten, übrigens häufig heimtückisch erschlagenen Feinde haben keinen Werth für sie. Außerdem hatte man bereits angefangen, Rassenschädel zu sammeln. Die kaukasische fehlte zwar noch, aber sieben Mongolen zierten bereits das luftige Gerüste und hatten sich dieses Schicksal selbst zuzuschreiben. Sie waren in einer Djunke weither gekommen, von Hongkong oder Kanton, und wollten Trepang fischen. Das wäre auch alles ganz gut gegangen, aber sie machten sich mehr um die Weiber von Maupa zu schaffen, als diesen und den Männern lieb war; man hieß sie also gehen. Statt dessen hetzten die Chinesen einen bösen Hund auf die Eingebornen, der Einen arg zurichtete. Das steigerte die Aufregung. Aber auch jetzt wäre es noch gut gegangen, hätte man das verlangte Beil und nicht blos ein paar Stückchen Tabak als Schmerzensgeld bezahlt. Aber die biederen Chinesen forderten das Schicksal heraus, denn statt sich einzuschiffen, kehrten sieben von Bord an Land zurück und feuerten auf die Eingebornen. Auch jetzt wäre es noch gut gegangen! Aber die Söhne des Reichs der Mitte verstanden nicht mit dem Gewehr umzugehen. Es kehrten nur drei der Chinesen an Bord der Djunke zurück, die nun schleunigst unter Segel ging, aber unglücklicher Weise bei Ebbe auf eine Bank lief. Die Eingebornen, durch ihre Erfolge kühn gemacht, stürmten nun das Schiff, und auch jetzt hätte es zehn nur einigermaßen guten Schützen gelingen müssen, sie zurückzutreiben. Die Chinesen schossen zwar, und noch dazu mit Hinterladern, aber ohne nur Einen zu verwunden, und so fielen weitere drei, während sieben im Boote entkamen. Sind die Eingebornen deswegen zu tadeln? Ich glaube nicht, und die Ansicht des Kommandeurs eines englischen Kriegsschiffes, der den Fall zu untersuchen hatte, war gleichlautend.

Was uns anbelangt, so waren die guten Maupaner diesmal nicht auf unsere Schädel erpicht, und wir kamen ungeschoren in Goapäna’s Haus zurück, wo inzwischen das Essen angerichtet war. Das Parlor dient in einem Papuahause zugleich auch als Dining-Room und Küche, das heißt in der Mitte der Diele ist eine fast nie erlöschende Feuerstelle errichtet, auf welcher in mächtigen Töpfen stets etwas brodelt und kocht. Diesmal schien der Inhalt ein ganz besonders reicher, denn es entwickelten sich aus den verschiedenen Töpfen gekochtes Känguru- und Schweinefleisch, Bananen, Jams, Brotfrucht und in Fett gebackene Klöße aus Arrowrootmehl, gewiß eine Fülle, wie sie Tausende daheim sich nur wünschen würden. Auch Suppe, wirkliche „Fleschbrie“ aus Känguruschwanz gab es, und die Speisen waren reinlich und nett in Holzschüsseln und auf frischen Bananenblättern servirt. Die ganze Familie nahm übrigens an dem Mahle theil, und auch ich wurde aufgefordert zuzulangen, eine Gastfreundschaft, die mich überraschte. Denn der Papua verlangt für Alles und Jedes Bezahlung; selbst wenn man einem Kranken Medicin giebt, will er bezahlt sein: fürs Einnehmen! Goapäna wich von dieser Sitte selbst als Held und König nicht ab: er klopfte sich auf den Bauch. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, und bald dampfte der Baubau mit meinem Tabak. Der heftige Qualm mahnte mich zugleich zum Aufbruch, und so schied ich von der Papua-Idylle Maupa und ihrem gewaltigen Häuptlinge. Ich lud Goapäna noch zu einer guten Flasche Liebfrauenmilch in den Bremer Rathskeller ein, den ich, Gott sei’s geklagt, nach meiner inneren Ueberzeugung, als ein unvergleichlich besseres Getränk als die allerbeste Kokosnußmilch beschrieb, bezweifle aber, daß er seine Zusage halten wird. Jedenfalls nahm ich nicht nur die beste Erinnerung an ihn, sondern auch den Abguß seines Heldengesichts in Gips mit.



  1. Wir verweisen bei dieser Gelegenheit unsere Leser auf die höchst interessanten früher in der „Gartenlaube“ mit originellen Illustrationen erschienenen Artikel unseres geschätzten Mitarbeiters: „Kriegsführung auf den Marshallinseln“ Jahrg. 1881, S. 700, und „Land und Leute in Neu-Britannien“ Jahrg. 1882, S. 696.