Deutschlands Kolonialbestrebungen: Sansibar
Deutschlands Kolonialbestrebungen.
Die Sansibar- oder Suaheliküste war schon in früheren Jahrhunderten unserer Zeitrechnung den Handel treibenden Völkern des Abendlandes bekannt und lange die Hauptbezugsquelle der gesuchtesten afrikanischen und indischen Produkte, wie Reis, Gewürznelken, Kopal, Orseille, Sesam, Pfeffer, Kokosnußöl, Elfenbein etc. Schon Vasco da Gama hatte in jener Gegend reiche und ansehnliche Städte vorgefunden, deren Bewohner nicht nur aus dem Innern Afrikas Waaren jeglicher Art in großen Mengen bezogen, sondern ebenso einen regen Handel mit Indien und den Inseln der südlichen Zonen unterhielten. Politisch hat sich seitdem in den Landesverhältnissen unendlich Vieles geändert. Der portugiesischen Herrschaft, die seit der Landung der ersten Ostindienfahrer 1498, beziehungsweise vom Jahre 1503 bis zum Ausgange des 17. Jahrhunderts, von den heimischen mohammedanischen Stämmen anerkannt wurde, folgte die Landesoberherrlichkeit des Imam von Maskat und in neuester Zeit, vom Jahre 1856 ab, das unabhängige Sultanat eines illegitimen Sohnes des Imam mit Namen Saïd Medschid, nach dessen Tode, am 7. Oktbr. 1870, des Sultans jüngerer Bruder Bargasch Ben Saïd den Thron von Sansibar bestieg. Die Größe des Reiches, über welches dieser orientalische Souverän sein Scepter schwingt, ist so leicht nicht mit Genauigkeit zu bestimmen, weil die uns zu Gebote stehenden Zahlenangaben durchweg nur auf annähernder Schätzung beruhen. Geographisch fällt unter die Bezeichnung der Sansibar-, Zanzibar- oder Zanguebar-, auch Suaheliküste alles Land meilenweit landeinwärts vom Kap Delgado gegen Norden bis zur Stadt Makdeschu (10° 42′ südlicher bis 2° 2′ nördlicher Breite) und man giebt der Strecke ohne Bedenken eine Flächenausdehnung von 87 500 Quadratkilometer. Das würde also etwa der Hälfte des Königreichs Bayern gleichkommen.
Viel wichtiger jedoch als das gesammte Festlandterritorium von Sansibar ist die Insel gleichen Namens mit der Landeshauptstadt, welche seit dem Jahre 1828 von den Sultanen der neuen Dynastie zur Residenz erkoren wurde und von Jahr zu Jahr als Handelsplatz einen mächtigeren Aufschwung nimmt. Die Insel Sansibar, die gleich den benachbarten Eilanden Pemba und Mafia kaum 30 Quadratmeilen haben mag, ist zugleich der Sammelpunkt der Bevölkerung. Will man es gelten lassen, daß die Zahl der Unterthanen des Sultans von Sansibar im Ganzen etwa 350000 beträgt, so treffen davon gut zwei Drittel auf den Centralpunkt des Reiches: Stadt und Insel Sansibar. Wie schon aus der Geschichte des Landes erklärlich, ist diese Bevölkerung von sehr verschiedener Abstammung. Speciell die Ureinwohner der Insel, die Suaheli-Neger, haben eine unleugbare Beimischung arabischen Blutes. Sie sind gewöhnlich kräftig und gut gebaut; ihre Gesichtsbildung zeigt eben so große Verschiedenheiten wie ihre Hautfarbe: man begegnet Leuten, welche die charakteristische Negerphysiognomie haben, und anderen, die den scharfgeschnittenen feinen orientalischen Typus zeigen, man sieht die hellgelbe, den vornehmen Arabern und Indiern ähnliche Hautfarbe neben der tiefschwarzen des Negers. Zwischen diesen Kontrasten sind die mannigfachsten Uebergänge bemerkbar; doch ist die helle Hautfarbe durchaus nicht immer mit der edleren Gesichtsform korrespondirend. Der Kopf wird der arabischen Sitte entsprechend vollständig rasirt, sowohl bei Männern wie Frauen, doch sieht man bei letzteren auch nicht selten das krause negerartige Haar in kurze Zöpfchen gedreht, die dem Kopfe dicht anliegen. Die Zähne sind in der Regel schön, doch vom Betelkauen röthlich gefärbt. Ueber den Charakter der Suaheli sind die Meinungen getheilt. Die Mehrzahl der Europäer schildert sie als gutmüthig, doch aufbrausend, als gastfreundlich und tolerant, allein auch als höchst gewinnsüchtig, lügnerisch und treulos.
Die Araber, die hier die Aristokratie bilden, setzen sich aus verschiedenen Stämmen zusammen; die vornehmen Maskataraber, denen auch der Sultan selbst angehört, sind von hellgelber [97] Hautfarbe; die meisten aber sind mehr oder minder schwarz schattirt und ihren reinblütigen Stammesbrüdern weder an Gestalt noch an Intelligenz gleich. Die Indier sind besonders in der Stadt Sansibar sehr zahlreich vertreten und kommen zumeist von der Malabarküste. Sie scheiden sich nach der Religion in Mohammedaner und Buddhisten. Erstere werden gewöhnlich Hindi genannt, letztere bezeichnet man speciell mit dem Namen Banyanen (Krämer), obwohl Handel als Hauptbeschäftigung Beiden gemeinsam ist. Noch sind die sogenannten Angasija zu erwähnen, die Bewohner von Groß-Komoro, welche in nicht geringer Anzahl nach Sansibar auswandern und, intelligenter als die Suaheli, besonders zu den verschiedensten Diensten in den europäischen Häusern Verwendung finden. Die genannten Stämme bilden mit den wenigen Europäern – sie betragen etwa 60 Personen – und einigen Portugiesen aus Goa die freie Bevölkerung, die an Zahl weitaus von den Sklaven übertroffen wird. Diese sind theils in Sansibar selbst geboren, die sogenannten Wassalia, theils rekrutiren sie sich aus allen erdenklichen Negerstämmen Ostafrikas, den Wanyka, Waniamwesi, Miau und wie sie noch alle heißen mögen. Die Sklaven müssen alle Arbeit verrichten, denn der freie Neger hat bei den geringen Lebensbedürfnissen und der Billigkeit der Nahrungsmittel nicht nöthig, sich dauernd und anstrengend zu beschäftigen. Die Arbeiten in der Stadt werden vorzugsweise durch weibliche Sklaven besorgt, so vor Allem die mannigfachen Verrichtungen in den Faktoreien der europäischen Kaufleute, wie das Sortiren der Kaurimuscheln, die bekanntlich in Westafrika an Geldesstatt verwandt werden, das Aussuchen der Gewürznelken und das Reinigen der Orseille, einer Flechtenart, die einen schönen röthlichen Farbstoff liefert.
Die etwa sechs Stunden vom Festlande entfernte Residenz des Sultans Bargasch Ben Saïd liegt auf der dem Lande zugekehrten Seite der Insel Sansibar und gewährt vom Meere aus gesehen einen großartigen Anblick. Die langgestreckte Front mit den weißen in arabischem Stile gebauten Häusern, die bei dem grellen Sonnenschein schon von weitem dem Ankömmling entgegenleuchten, bietet einen Anblick, der seines Gleichen sucht. Die Stadt erscheint dann bedeutender und schöner, als sie in Wirklichkeit ist, indem die großen Steinbauten, die sich den Hafen entlang ziehen, die dahinterliegenden schmutzigen Negerquartiere verbergen. Unter den ersteren sind die bemerkenswerthesten die Faktorei eines französischen Handlungshauses, der Harem, der sultanische Palast und der Thurm, das Zollhaus, das Geschützhaus, die Faktorei des Hamburger Hauses O’Swald, bei welchem bisher das deutsche Konsulat sich befand, und das englische und amerikanische Konsulat. Nach Süden schließt die Häuserreihe mit dem unförmigen Gebäude des englischen Generalkonsuls Dr. Kirk ab, welches sich auf unserem Bilde (S. 100) rechts befindet. Dabei fehlt es auch der sansibarischen Hauptstadt nicht an malerischer Umgebung. Die Erderhebungen sind allerdings nur gering, denn Sansibar ist eine Koralleninsel, deren einziger größerer Kalksteinhöhenzug bei Dunga kaum 400 Fuß über den Meeresspiegel sich erhebt.
Die Kleidung der Sansibaren ist unendlich mannigfaltig. Die Nationaltracht der Araber und Indier wechselt mit dem lustigsten Negerkostüm, ja sogar mit wahrhaft adamitischen Bekleidungsanfängen. Den Suahelimännern genügt in der Regel eine kurze Schürze, die Frauen bedienen sich hingegen eines leichten baumwollenen Ueberwurfes, den sie mehr oder minder malerisch um den Körper zu schlingen wissen. Auf dem Bilde, welches arbeitende Sklavinnen darstellt, sehen wir die gewöhnliche Tracht der weiblichen schwarzen Bevölkerung: ein langes bis über die Kniee reichendes Baumwollentuch, das unterhalb der Achseln durch Umkrempen festgehalten wird. Schwarz, weiß und roth sind die Lieblingsfarben, welche in den verschiedenartigsten, oft absonderlichsten Mustern Verwendung finden. In Bezug auf die Zusammenstellung der Farben und die Art der Muster wechselt die Mode in nicht geringerem Maße, wie es bei uns der Fall ist. Am dürftigsten ist die Hülle der neuangelangten Sklaven, die bis auf die Neuzeit einen der kostbarsten und gangbarsten Handelsartikel auf dem Markte von Sansibar bilden. Nur an den Feiertagen sieht man auch diese lebendige Waare in besserem Schmucke. Soweit der Sklave es vermag, legt er an Festtagen Arabertracht an; ein blendend weißes Hemd, ein farbiger Gürtel, [98] die buntgestickte Weste sind hiervon die nothwendigsten Bestandtheile. Turban, Dolch und Schwert aber, welch letzteres wie ein Stock in der Hand getragen wird, sind nur die Freien zu führen berechtigt.
Bei den Araberinnen und Suahelifrauen besteht das Festtagskleid in besonders reich gestickten Gesichtsmasken mit feinem Schleier und der gewöhnlichen türkischen Tracht aus Seide. Die Abbildung (S. 102) führt uns eine vornehme Araberin in ihrem Gemache vor, in orientalischer Weise auf persischem Teppiche sitzend und mit dem für unsere Verhältnisse äußerst dürftigen Komfort umgeben, der in seidenen Kissen, Schemel, einigen Tellern, Kaffe- oder Theekanne besteht. Auch bemerkt man die aus Holz geschnitzten hohen Sandalen, deren sich die Suahelifrauen in der Küche und auf dem Hofe zu bedienen pflegen. Indierinnen und Negerinnen hängen sich so viel Geschmeide um, als sie an Nase und Ohren nur anbringen können. Gleich wunderlich wie diese Ornamente ist der Haarputz der Schönen von Sansibar mit seinem hörnerartigen Flechtwerk. Ganz unentbehrlich zur Toilette erscheinen den dunklen Damen noch die verschiedenartigsten Hautfärbemittel. Die Augenbrauen werden mit Ruß geschwärzt, die Nägel mit anderen Ingredienzien geröthet. Bei den Sklavinnen ist namentlich das Bemalen des Gesichts und der sichtbaren Körpertheile mit einer gelblichen Salbe üblich. Es soll das nicht blos der Eitelkeit zu Liebe geschehen, sondern oft auch als Kur, da dem in der Salbe enthaltenen Pulver bei Kopfweh und Fieber große Heilkraft zugeschrieben wird.
Was die Zuträglichkeit des Klimas von Sansibar für Europäer betrifft, so muß man zwischen der Stadt und dem Lande wohl unterscheiden. Das Innere der Insel ist zum größten Theile der Gesundheit der Europäer sehr nachtheilig, während die Stadt einen verhältnißmäßig recht gesunden Aufenthalt bietet, vorausgesetzt, daß man eine geräumige, luftige und trockene Wohnung besitzt. Die hohe Temperatur wird dem Fremdling weniger empfindlich, weil meistens erfrischende Seewinde wehen. Nur in den Monaten März und November, in denen vielfach Windstillen herrschen, wird die Hitze besonders des Nachts oft sehr lästig. Um diese Zeit treten auch Gewitter auf, die im Allgemeinen aber selten sind. Uebrigens übt das Sansibarklima seiner Feuchtigkeit und seiner warmen Nächte wegen, die sich nur wenig abkühlen, einen erschlaffenden Einfluß auf den Europäer aus. Die Regenzeit, die in den ersten Tagen des April einsetzt, ist von sehr verschiedener Dauer, anhaltender Regen besteht höchstens 14 Tage; dann sinkt die Temperatur mitunter Nachts bis auf 22 Grad des hunderttheiligen Thermometers; Temperaturen von 34 Grad gehören zu den Seltenheiten, sodaß die mittlere Wärme nicht mehr wie 28 Grad beträgt.
Bedeutend vermehrt haben sich die Beziehungen des Landes zu Europa und zwischen der sansibarischen Bevölkerung und den abendländischen Nationen nach der im Jahre 1860 von einer französischen Ordenskongregation ausgegangenen Gründung einer Missionsstation auf der Insel Sansibar. Den französischen Missionären und ihren Bemühungen ist es namentlich zu danken, daß gewisse Gewerbe und Kunstfertigkeiten im Lande vollkommen heimisch geworden sind und der Sinn für viele Kulturbedürfnisse bei den Eingeborenen geweckt wurde. Auch eine englische Missionsstation rivalisirt seit 1864 mit der französischen.
Am augenfälligsten läßt sich der Fortschritt von Land und Leuten in menschlicher Kultur an der Stadt Sansibar selbst wahrnehmen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts standen daselbst nur einige Hütten und eine Burg, 1842 erst fünf Magazine; jetzt zählt der Ort über 3000 Häuser und zwar vielfach von überaus stattlicher massiver Bauart. Mehrere Konsuln fremder Staaten haben hier ihren Sitz. Was den Handel betrifft, so sind es nächst den Amerikanern erfreulicher Weise wieder die Deutschen und zwar Hamburger, welche besonders den auswärtigen Handel in Händen haben. Eine Angabe aus dem Jahre 1875 beziffert die Einfuhr Sansibars auf 2 768 000, die Ausfuhr auf 2 511 000 Maria-Theresiathaler. Letztere sind nämlich dort wie an vielen Punkten Ostafrikas und Westasiens die gangbarste Silbermünze, doch nur soweit die arabische Halbkultur reicht; im Innern herrscht ebenso wie in ganz Westafrika ausschließlich der Tauschhandel. Die zu Bagamoio – dem Ausgangs- beziehungsweise Endpunkt der meisten mit dem Innern Centralafrikas verkehrenden Karawanen, gegenüber der Stadt Sansibar – ansässigen Kaufleute senden ihre arabischen und suahelischen Vertrauensmänner mit Tauschwaaren, meist Baumwolle, Glasperlen, Steingut, Steingewehren, Pulver etc., landeinwärts und diese kehren von da mit Elfenbein, Kopal, Wachs etc. zurück.
[99] Eine sehr ergiebige Einnahmequelle für die sansibarer Spekulanten bildet, wie schon angedeutet, bis auf unsere Tage der Sklavenhandel, der aber durch die Engländer neuerdings doch ziemlich lahmgelegt wurde. 1874 wurde dieserhalb von dem Sultan mit England ein Vertrag abgeschlossen, welcher freilich den Sklavenhandel mit einem Male nicht wohl zu beseitigen im Stande war. Ein großes englisches Wachschiff liegt im Hafen mit 200 Mann Besatzung. Mehrere kleine Dampfbarkassen kreuzen immerfort zwischen Sansibar und der Küste und untersuchen jedes ihnen begegnende arabische Fahrzeug. Finden sich Sklaven auf demselben, so wird es ohne Weiteres fortgenommen, und die Eigenthümer wandern ins Gefängniß. Unsere Abbildung zeigt ein Häuflein elender halbverhungerter Sklaven, die, eben den Händen der arabischen Händler entrissen, vorläufig auf dem erwähnten Stationsschiffe untergebracht sind, um später an die verschiedenen Missionsanstalten vertheilt zu werden.
Unter den Einkünften des Sultans bildet die Verpachtung des Zollhauses auf der Insel für zwei Millionen Mark den Hauptposten. Es besteht nämlich eine Steuer von fünf Procent auf sämmtliche Importartikel. An allen Küstenplätzen befinden sich außerdem Zollpächter, meist Indier, die von allen Exportwaaren Abgaben erheben, deren Höhe ganz in dem Belieben des Sultans steht. So ruht auf dem Elfenbein die Steuer von 1,30 Mark pro Pfund; auch wird für die Gewürznelken, die nur auf Sansibar und der kleinen Insel Pemba gedeihen, noch ein Extrazoll erhoben. Der Sultan hat außerdem – entgegen den Bestimmungen der Handelstraktate – den Handel mit Pulver zu seinem Monopole gemacht. Ein nicht unbeträchtliches Einkommen erzielt er dann ferner aus seinen Zucker-, Gewürznelken- und Kokosnußplantagen, sodaß sich seine Gesammteinnahmen auf etwa fünf Millionen Mark belaufen dürften.
Der Sultan Saïd Bargasch wird von Reisenden, welche zur Audienz bei ihm vorgelassen worden, als eine wohlgebaute Gestalt mit sympathischen Gesichtszügen, unverkennbar von arabischem Typus, mit vollem schwarzen Barte, geschildert. Bei feierlichen Gelegenheiten besteht sein Anzug aus dem gewöhnlichen arabischen langen Gewande, einem langen schwarzen Kaftan ohne alle Ausschmückung darüber, einem Turban und einer Leibbinde von dem schönsten indischen Seidenstoffe. Im Gürtel steckt ein auf das Reichste verzierter krummer Dolch. Die Füße endlich sind mit goldüberladenen Sandalen bekleidet. Die Zuvorkommenheit, mit welcher die Europäer jederzeit von dem orientalischen Herrscher aufgenommen werden, hat schon oft die Anerkennung der vom Hofe europäischer Fürsten entsandten Botschaften gefunden.
Das Palais des Sultans ist ein stilloses unschönes Gebäude, das auf der Frontseite Verandas führt und mit hölzernem buntbemalten Gitterwerk verziert ist, sodaß es den Eindruck macht, als habe man ein ländliches deutsches Garten- und Vergnügungslokal vor sich. Es steht durch eine Brücke mit dem nahegelegenen Harem in Verbindung, einem massiven, schmucklosen Bau, in dem einige vierzig Weiber ein wahres Gefängnißleben führen. Der Stadttheil, in dem diese sultanlichen Gebäulichkeiten sich befinden, liegt im sogenannten Europäerviertel, inmitten einer großen Anzahl theils von Europäern, theils von der arabischen Aristokratie bewohnten reinlichen Steinhäusern. Enge, jedoch gut asphaltirte und schmutzfrei gehaltene Gassen durchschneiden dieses Quartier noble.
Obwohl die Europäer sich meistens nur so lange in Sansibar aufhalten, als sie benöthigen, um ein entsprechendes Vermögen zu erwerben, so richten sie sich doch nach Möglichkeit elegant und bequem ein. Die Gebäude, die sie innehaben, sind gewöhnlich Besitzthum der Handelshäuser und gehen von einem Vertreter auf den anderen über. Die Anlage des Baues ist halb portugiesisch, halb spanisch. Den reingehaltenen, gepflasterten, oft mit üppigen Pflanzen gezierten Hof umschließen im Erdgeschoß die Komptoirs und Vorrathsräume. Im ersten Stocke befinden sich dann die in Bau und Ausstattung ganz dem heißen Klima angepaßten Wohnzimmer. Der Lieblingsaufenthalt der Hausbewohner in den Abendstunden ist aber die Terrasse auf dem flachen Dache des Gebäudes. Von einem hölzernen Aufbau genießt man da eine prachtvolle Rundschau über die Stadt, den Hafen und die weite See. Auch kleine Liebesabenteuer spinnen sich häufig gerade hier von Terrasse zu Terrasse zwischen den Wasungus (Europäer) und den dunkeläugigen Frauengestalten der Nachbarschaft an. Die seinerzeit vielbesprochene Entführung einer sansibarischen Prinzessin durch einen deutschen Kaufmann war ebenfalls die Folge einer solchen Dachbekanntschaft. Die Dame hat später ihr ständiges Domizil in einer deutschen Großstadt aufgeschlagen, die allerdings vor Sansibar noch Manches voraus hat, und wo sie jedenfalls den Zorn des Sultans über die Mésalliance in Gestalt der landesüblichen Bastonnade nicht zu fürchten brauchte.
An die Europäerstadt schließt sich das Bazarviertel. Dasselbe ist zumeist von Indiern bewohnt und erschreckend unreinlich, übelriechend und widerlich. Beschreiben läßt sich das ungeordnete Wesen dieses Stadttheils kaum. Die herumwimmelnden Menschen scheinen gleichwohl sich ganz behaglich dabei zu befinden, da sie nicht müde werden, ihre freie Zeit zwischen Unrath und Gestank mit Tanz und Gesang ganze Nächte hindurch zuzubringen.
Sehr unansehnlich sind die wenigen öffentlichen Gebäude und Moscheen der Stadt, deren Inneres in maurischem Stile gehalten ist. Auffallender erscheint die große Zahl von allerwärts mitten in den belebtesten Vierteln befindlichen Friedhöfen. Fast jede reichere Familie besitzt nämlich ihren eigenen Beerdigungsplatz wo thunlich in unmittelbarer Nähe des Hauses. Die Gräber erfreuen sich gleichwohl keiner entsprechend sorgfältigen Pflege.
Erquickend ist ein Spaziergang in nächster Umgebung von Sansibar, etwa nach der Nasimoja, einem ehemaligen Palmenhain, von dem heutzutage freilich nur dürftige Ueberreste noch vorhanden sind. Wer übrigens diesen kleinen Ausflug nicht zu Fuß machen will, kann dies leicht zu Pferde thun. Besitzt doch der Sultan einen vorzüglichen und prächtigen Marstall, dessen Pferde Fremden und Einheimischen immer zur Verfügung stehen. Es kostet das nur ein kleines Trinkgeld an die Stalldiener. Vor eben diesem fürstlichen Marstall hat merkwürdiger Weise ein großes Schwein seinen ständigen Platz, um etwaige böse Geister, welche Gelüste tragen, in die Pferde zu fahren, von solchem Vorhaben abzuleiten. Liebhaber von Schweinebraten, der den Mohammedanern bekanntlich verboten ist, können sich für gutes Geld hier auch den im Morgenlande seltenen Genuß eines gebratenen Spanferkels verschaffen, da dieselben ganz nach Bedarf von den Marstallwächtern abgegeben werden.
Das zur Landesvertheidigung bestimmte „stehende Heer“ besteht aus etwa 1400 Söldnern, welche meist aus dem südlichen Arabien stammen. Im Falle eines Krieges würde diese in den kleinen Forts auf Küste und Insel vertheilte schwache Schaar allerdings nicht genügen; in solchem Falle sind jedoch die arabischen Grundbesitzer verpflichtet, nach Maß der Größe ihrer Besitzungen eine Anzahl Sklaven zu stellen, und es soll in kurzer Zeit die für sansibarer Verhältnisse außerordentlich bedeutende Macht von 20- bis 30 000 Mann zusammengebracht werden können. Reiterei besitzt das kleine Heer nicht, wohl aber etwas schlechte Artillerie, welche von persischen und türkischen Kanonieren bedient wird. Neben diesen irregulären Truppen hat sich der Sultan in den letzten Jahren auf Veranlassung der Engländer eine sogenannte Garde angeschafft, die, an 1500 Mann stark, durchweg aus gepreßten Negern oder Sklaven besteht, die Officierstellen sind meist mit Komeroleuten[WS 2] besetzt. Nach englischem Muster gekleidet, wird sie auch von einem englischen Marine-Officier befehligt. Nach unseren Begriffen von militärischer Disciplin und Tüchtigkeit genügt diese Truppe auch nicht den allerbescheidensten Ansprüchen, in den Augen der Araber und Neger dagegen leistet sie ganz Außerordentliches in Gehorsam und militärischen Exercitien.
Ebenso kann die Seemacht Sansibars nicht beträchtlich genannt werden. Sie besteht aus der schönen Korvette „Glaskow“ zu 22 Kanonen und drei kleineren Bugsirbooten „Star“, „Deerhound“ und „Sultana“, von welchen ersteres in Hamburg erbaut ist. In kriegstüchtigem Zustande sind diese Schiffe aber keineswegs; vor allem fehlt es an wohlgeschulter Mannschaft. Eine große Anzahl früher erworbener Schiffe ist durch Vernachlässigung gänzlich unbrauchbar geworden und verloren gegangen. In letzter Zeit hat aber der Sultan begonnen, sich eine Handelsflotille anzulegen, mit der er zwischen Madagaskar, Sansibar, Aden und Bombay fährt. Sie besteht aus fünf zum Theil großen Dampfern: „Urzanza“, „Swordsman“, „Akola“, „Malaka“, „Marka“. Hervorgehoben muß werden, daß alle diese Schiffe mit deutschen Kapitänen, Steuerleuten und Ingenieuren besetzt sind.
Zu seinem besonderen Vergnügen hält sich der Sultan nebenbei eine 50 Mann starke Leibgarde, die nach Art der indischen Sipoys
[100][102] herausgeputzt ist. Die bei dieser wie bei den übrigen Truppen herrschende Disciplin, die Mißwirthschaft unter den Beamten und Officieren lassen sich nicht anders als durch die Bezeichnung „orientalisch“ annähernd charakterisiren. Da es zu Sansibar weder eine „Oberrechnungskammer“ noch „Revisoren“ und „Inspektoren“ giebt, ist wohl nicht zu befürchten, daß der gutmüthige Herrscher so leicht hinter die Schliche seiner Diener kommen dürfte.
Die Strafrechtspflege wird theils vom Sultan selbst, theils vom Kadi gehandhabt und hat in Bezug auf manche Verbrechenssühne einen grausamen Charakter. So haut man z. B. dem rückfälligen Dieb die rechte Hand ab und taucht hernach, um die Blutung zu stillen, den Armstumpf in siedendes Oel. Die einzige Aehnlichkeit mit europäischen Zuständen auf diesem Gebiete besteht allenfalls darin, daß man bei festlichen Gelegenheiten die Gefangenen, allein mit Ausnahme der Hochverräther, freiläßt. – Im Uebrigen sind nur Araber und Suaheli den Landesgesetzen unterthan: die indischen Staatsangehörigen Englands gehorchen aber dem Spruche ihres Konsuls. Die Europäer, welche gewissermaßen einen Staat im Staate bilden, stehen außer aller Gerichtsbarkeit. Den niedriger gestellten Wasungu kann allerdings der Konsul eine Strafe zuerkennen; Kaufleute hingegen dürften wohl kaum zur Unterwerfung unter ein Urtheil gezwungen werden können, wenigstens nicht von einem Handelskonsul. In Bezug auf Verbindung mit der Heimath waren die Europäer zu Sansibar früher übel dran. Ein regelmäßiger Postverkehr fehlte die längste Zeit hindurch gänzlich; nur zeitweilig und zu unbestimmten Zeiten erhielt man durch Kriegs- oder Handelsschiffe die Briefe und Zeitungen von den Sechellen, von Bombay oder einer anderen Poststation. Oft blieb auch Monate lang jegliche Nachricht aus. Seit einigen Jahren besteht aber eine regelmäßige monatliche Verbindung mit Europa, indem die Dampferlinie „British India“, die eine Unterstützung vom englischen Gouvernement erhält, eine Zweiglinie Aden-Sansibar-Delagoa-Bay eingerichtet hat. Endlich ist Sansibar seit drei Jahren durch die Legung eines Kabels von Aden zu den südafrikanischen Besitzungen Englands auch in telegraphische Verbindung mit Europa getreten.
Wenn auch Sansibar keinen Vergleich mit anderen tropischen, besonders indischen Handelsplätzen aushalten kann, so ist es doch für Reisende an Afrikas Ostküste dasselbe und mehr, was Kairo und Chartum für den Nordosten sind. In dieser an Hilfsmitteln reichen und der Küste so nahe gelegenen Stadt versorgt man sich mit allen Reisebedürfnissen, verschafft sich Empfehlungsbriefe des Sultans und findet die gastfreundlichste Unterstützung der europäischen Kaufleute und Konsuln.
- ↑ Die Illustrationen zu diesem Artikel sind sämmtlich nach Originalphotographien hergestellt worden. Wir verdanken dieselben Herrn Dr. G. Fischer, der sich jahrelang in dem jetzt so viel genannten Sansibar aufgehalten hat und vor Kurzem nach Deutschland zurückgekehrt ist. D. Red.