Des Todes Ernte unter unseren Dichtern

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Titel: Des Todes Ernte unter unseren Dichtern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 31
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[31] Des Todes Ernte unter unseren Dichtern. Rasch hinter einander hat der Tod zwei deutsche Dichter dahingerafft, die, so verschiedenartig sie sonst in ihrem Wesen und Schaffen waren, doch beide ein vollgrünend Reis am Baume der deutschen Dichtkunst bildeten, Richard Leander und Ludwig Anzengruber. – Hinter dem Namen „Richard Leander“ hat sich bekanntlich niemand anders als der berühmte Chirurg Richard v. Volkmann verborgen, der am 28. November vorigen Jahres in Halle gestorben ist. Die Wissenschaft beklagt in dem Tode dieses Gelehrten einen unersetzlichen Verlust. Richard v. Volkmann, am 17. August 1830 geboren, seit 1857 Universitätslehrer in Halle und seit 1867 ordentlicher Professor der Chirurgie, hat sich durch zahlreiche Beiträge zu seiner Wissenschaft und durch seine Bemühungen zur Einführung der antiseptischen Wundbehandlung einen Namen gemacht, welchem seine Thätigkeit im deutsch-französischen Kriege, dem er als Generalarzt beiwohnte, neuen Glanz verlieh.

Merkwürdigerweise war es dieser Krieg mit allen seinen Schrecken, durch den Volkmann zu dichterischen Schöpfungen angeregt wurde. Unter dem schon angeführten Namen Richard Leander ließ er „Träumereien an französischen Kaminen“ (1871) erscheinen, Märchen, die, wie er selbst sagt, „aus der Liebe zu deutscher Art und deutschem Wesen hervorgewachsen sind“ und in der Fremde, an französischen Kaminen, den Dichter selbst mit ihren heimathlichen Zauber bannten. Diese Märchen sind voll inniger Empfindung und in edler Form ausgeprägt. In seinen „Gedichten“ (1877) weht eine frische Liebes- und Lebenslust; einzelne Lieder wie „Erster Frühling“ enthalten prächtige Naturbilder mit einem oft hinreißenden Schwung. Die letzte Gabe des Dichters waren die in alterthümlicher Gewandung erscheinenden, frischen und farbenbunten Gedichte „Alte und neue Troubadourlieder“ (1889). –

Ein Lebens- und Charakterbild Anzengrubers haben wir im Jahrgang 1879 der „Gartenlaube“ unter dem Titel „Ein Schillerpreisgekrönter“ gegeben. Jüngst erst wurde der fünfzigjährige Geburtstag des Dichters gefeiert; zahlreiche Zuschriften und Glückwünsche bezeugten, daß er Verehrer und Verehrerinnen in den weitesten Kreisen, auch außerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle, gefunden. Jetzt kommt die traurige Kunde seines Todes: er ist am 10. Dezember in Wien gestorben. Erst vor kurzem hatte die „Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren“ ihn an Joseph von Weilens Stelle zum Vorstandsmitglied und Vertreter ihrer Interessen in Wien gewählt. Anzengruber war ein Volksdichter, und doch hat er als solcher den Schillerpreis erhalten: ein Beweis dafür, daß in seinen Volks- und Dialektschauspielen, abgesehen von der markigen realistischen Kraft der Gestaltung, auch ein höherer Geist waltet, der, trotz der gänzlich abweichenden Form der künstlerischen Einkleidung, etwas Verwandtes mit dem Genius unseres großen Dichters hat.

Und in der That ist seinen meisten Stücken ein Grundgedanke eigen, der eine tiefere menschheitliche Bedeutung hat und aus einer edeln, echt menschenfreundlichen Gesinnung hervorgegangen ist. Dies gilt von seinem ersten Stück: „Der Pfarrer von Kirchfeld“, wie von seinem letzten: „Der Fleck auf der Ehr’“, mit welchem das Wiener Volkstheater seine Vorstellungen eröffnete und welches gegenwärtig die Runde über die deutschen Bühnen macht. – Geboren am 29. November 1839 zu Wien, hat Anzengruber sein fünfzigstes Lebensjahr nur um zehn Tage überschritten. Eines kleinen Beamten Sohn, hat er nur spärlichen Unterricht genossen: er war sieben Jahre lang Schauspieler, eine Zeit lang Polizeibeamter. Den einzigen Sonnenschein in sein Leben brachten die Erfolge seiner Dramen und der auszeichnende Schillerpreis. Außer dem „Pfarrer von Kirchfeld“ werden besonders „Der Meineidbauer“, „Die Kreuzelschreiber“, „Der G’wissenswurm“ von seiner kräftigen dramatischen Art ein dauerndes Zeugniß ablegen. †