Textdaten
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Autor: F. H.
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Titel: Der mythische Kutschke
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 172
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[172] Der mythische Kutschke. So hingebend an die Menschheit kann keine andere Nation sich erweisen, wie die deutsche. Während bei unseren guten Nachbarn, den Franzosen, ein Herr Michel Chasles hundertfünfzigtausend Francs für nagelneue „alte Handschriften“ ausgiebt, – das erinnert so sehr an das alleweil neue Paar alter Stiefel des Sandwirths für reisende Engländer in einer Tiroler Bergkneipe –, nur um die französische Naturforscherehre über die Italiens und Deutschlands zu erheben; während die Engländer ihren Ossian zwar in Nebel zerrinnen lassen, aber selbst diesen noch als nationalen Ehrenschleier festhalten; während die Griechen ihrem Homer zwar sieben Geburtsorte geben, aber selbst wenn sie sieben Homere dafür erhielten, keinen einzigen davon hergeben würden zur allgemeinen Ehre der Menschheit: all diesen nationalparticularistischen Thatsachen gegenüber giebt der Deutsche nicht nur seinen Wilhelm Tell, der bekanntlich noch unter „Kaiser und Reich“ stand und folglich ein Deutscher war, der historischen Forschung preis, sondern sogar seinen Kutschke, den großen Kutschke und sein noch größeres Lied überantwortet er dem Secirmesser der Alterthumsmänner der ganzen Erde – zum Besten der deutschen Invalidenstiftung und im Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.

Hier mehr als irgend einmal gilt das treffliche Wort: „Wer’s nicht selbst sieht, glaubt es nicht!“ – Was war die Weisheit der französischen Akademie der Wissenschaften, als sie in dem Schmierhefte eines ungezogenen deutschen Buben die ersten Spuren mexikanischer Keilschrift erkannte, gegen die Sprach- und Quellenkunde unseres Wilhelm Ehrenthal, des Verfassers der kleinen Schrift, vor welcher wir mit dem größten Erstaunen stehen, und seiner gelehrten Herren Mitarbeiter an diesem Meisterstück der Polyglottie! Nur der Deutsche ist fähig, all seine Gelehrsamkeit zusammenzunehmen, um eine seiner Berühmtheiten der ganzen Menschheit zu schenken; nur er vermag es, sich von seinem Liebsten aus Humanitätszwecken zu trennen; nur er überwindet es, sein „Kutschkelied auf der Seelenwanderung“ vor aller Welt darzustellen.

Es ist aber auch eine Freude für ein deutsches Gemüth, die herrlichen Verse vom Herumkrauchen des Napolium in dem Busche etc. nicht nur in alt- und plattdeutscher Zunge, sondern auch in griechischem, lateinischem und hebräischem Urtext, ja selbst in persepolitanischer Keilschrift, in einer Hieroglypheninschrift und in einem ägyptischen Todtenbuch wiederzufinden, wobei mit überzeugendem Geschick der Beweis geliefert wird, daß Orpheus und Kutschke nur Eine Person sind. Sogar eine Sanskritstrophe ist entdeckt worden, welche den wesentlichen Inhalt des Kutschkeliedes zusammenfaßt. Daß dasselbe ein Weltlied ist, wird uns immer klarer, je mehr wir sehen, daß es ebenso gut im Vulgär-Arabischen, wie im Isländischen, ebenso im Altfranzösischen, wie im Provençalischen als alte Perle kriegerischer Volkspoesie glänzt.

Es hieß offenbar einem längst gefühlten Bedürfniß abhelfen, daß unser Weltlied in einem Uebersetzungsanhang auch noch den heutigen Holländern, Dänen, Engländern, Russen, Polen, Litthauern, Oberwenden, Italienern, Spaniern und Franzosen mundgerecht gemacht worden ist.

Den Schluß des wundervollen Werkchens bildet ein wirkliches Bild, eine von H. Kff. in Karnak am 2. December 1869 genommene Abbildung zweier Säulenknäufe nebst Fries, auf welchem letzteren Napoleon im Busch herumkrauchend und von dem behelmten Kutschke entdeckt, auf deren ersteren sinnreich sein Schicksal dargestellt ist, bis es ihn endlich ganz unten zum schwermüthigen Mann zusammengedrückt hat. So schön schließt das Ganze!
F. H.