Der grosse Tempel bei Tritschencore in Indien
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bei Tritschencore in Indien.
In keinem Lande der Erde, selbst Aegypten nicht ausgenommen, zeigen die Werke des Menschen das Gepräge seiner Halbgottnatur so sehr, als in Indien. Die erhabensten Denkmäler Griechenland’s und Rom’s erscheinen unbedeutend vor den colossalen Bauwerken Hindostan’s; jener Pracht vergeht vor der Herrlichkeit dieser. Die Geschichte gibt uns zwar in den Beschreibungen von Ninive und Babylon einige Begriffe von gleich erstaunenswürdigen Werken menschlicher Ausdauer und Kraft; aber es sind doch nur schwache, halb verwischte Umrisse, mehr der Einbildungskraft zum Spiel, als dem klaren Verstande faßlich. Jene gewaltigen Hauptstädte urgeschichtlicher Reiche sind von der Erde seit Jahrtausenden verschwunden; von ihren Wunderwerken der Baukunst blieb nichts übrig; Saturn hat längst sie als Staub in alle Winde gestreut; – nur hier, unter Indien’s Himmel, finden sich noch Werke, unzerdrückt von der Last der Jahrtausende, die die überschwenglichsten Vorstellungen von jenen verwirklichen.
Die Gegend von Tritschencore, im Innern von Carnatik auf der westlichen Halbinsel, ist besonders reich an solchen Monumenten. Auf allen Höhen prangen pyramidenähnliche Tempel und lagern Sphynxe, Elephanten, Stiere, des Brahmadienstes colossale Idole. Einen jener Tempel wählten wir zum Gegenstand unsers Stahlstichs. Er steht auf dem Scheitel eines steilen Hügels, etwa eine halbe Stunde westwärts von Tritschencore. Man steigt auf [25] einer prächtigen, sehr breiten, aus dem Felsen selbst gehauenen, Treppe, zu ihm auf; colossale Stierbilder auf Postamenten zieren ihre Seiten. Den Tempel selbst umgibt eine, eine halbe Stunde Umfassung habende Mauer, die nach innen einen hohen, bedeckten Säulengang stützt, welcher einen großen Hofraum umschließt. – Zu diesen tritt man ein durch einen hohen Porticus. – Thier-Colosse verschiedener Art, theils auf Postamenten, frei oder unter Säulenkuppeln, stehen umher; umgestürzt liegen andere, den Boden bedecken Trümmer von Säulen und Ornamenten. Dünne, hagere, weißgewandige Gestalten, Fakirs und Pilger, knieen oder liegen, betend und büßend, vor den Götzen, oder wandeln unter den Säulenhallen, wie Gespenster, dahin. Schweigen ist Alles, das Leben selbst ist hier ohne Laut und hilft das Schauerliche des Anblicks nur vergrößern. Aus diesem Chaos seltsamer Gebilde, in der Mitte der weiten Aera, thürmt sich der Tempel selbst in die Wolken als eine vierseitige Pyramide, so originell, so majestätisch und grandios in Styl und Ausführung, daß sein Anblick die Sinne verwirrt, daß die Seele vor seiner Betrachtung unwillkürlich zurückbebt. Aus den größten Granitblöcken zusammen gesetzt, scheint bei’m ersten Anschauen dieß Gebäude ein ausgehöhlter, mit den magnifikesten Sculpturen bedeckter Fels zu seyn, das Werk mächtiger Götter, nicht schwacher Sterblichen. Sechs Stockwerke, jedes 35 Fuß hoch, thürmen sich in Absätzen über einander, von außen mit prachtvollen Portiken, Nischen, Säulenhallen und Thürmen, welche letztere an den Ecken über einander stehen, eingefaßt und mit Sculpturen, Abbildungen von Gottheiten in ungeheuern Dimensionen, bedeutungs- und geheimnißvoll bedeckt. – Die Spitze der Pyramide ist abgestumpft; 4 Felsblöcke bedecken sie in Form eines Sarkophags. Dessen 4 Seiten zeigen, als Symbol der Unsterblichkeit, das Bild eines geflügelten Menschenherzens, kunstvoll gearbeitet und riesengroß, und von der äußersten Zinne, dem Deckel des Sarkophags, ragen 5 seltsam geformte vergoldete Spitzen bedeutungsvoll in das Blaue des Himmels. Bewundernswürdig, wie der Reichthum, die Pracht, die Mannichfaltigkeit, das Sinnige der Verzierungen im Aeußern, ist die Einfachheit und Erhabenheit der Ausschmückung im Innern. Zwischen schlanken Säulen und Pfeilern, deren Höhe das Auge nur schwindelnd mißt, blicken in magischer Beleuchtung die Bildsäulen der Götter herab, und oben, in der hohen Kuppel, thronend gleichsam über Alles, steht das geheimnißvolle Bild des Brahma selbst, des Urhebers aller Erzeugung. – In den Seitenmauern angebrachte Wendeltreppen führen zu diesem Allerheiligsten, welchem sich blos der geweihete Priester nahen darf. – Man kann sich nichts Erhabeneres, Eindrucksvolleres denken.
In einem grellen, widerlichen Contrast mit den, Sturm und Wetter seit Jahrtausenden trotzenden, Denkmälern einer längst untergegangenen Kultur stehen die überall in dieser Gegend sichtbaren Zeichen von der Rohheit und Barbarei der jüngsten Vergangenheit. – Verwüstung und Zerstörung begegnen bei jedem Tritt. – Fackel und Schwerdt des Kriegs haben das herrliche Land entvölkert, die Städte sind meistens Haufen ekelhafter Ruinen und der Wohnungen [26] des Elends; die Dörfer sind verlassen, oder sie liegen in Asche. Hier war es, wo Tippo-Saib den hartnäckigsten Kampf gegen die Britten kämpfte, gegen die Befreier Indien’s von seinen muselmännischen Despoten und Quälern. Aber in seinem Todeskampfe ward der Furchtbare für das Land noch Vernichter! Unbeschreiblich sind die Greuel, welche von seinen Horden hier verübt wurden. Vertilgung war sein Zweck; – und er haußte hier lange genug, um ihn zu erreichen. Entvölkerung ist das Haupthinderniß des Wiederaufblühens dieser Gegend, und die wohlthätigen Wirkungen des brittischen Regiments sind in diesem Theile Indien’s noch am wenigsten bemerklich.