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einer prächtigen, sehr breiten, aus dem Felsen selbst gehauenen, Treppe, zu ihm auf; colossale Stierbilder auf Postamenten zieren ihre Seiten. Den Tempel selbst umgibt eine, eine halbe Stunde Umfassung habende Mauer, die nach innen einen hohen, bedeckten Säulengang stützt, welcher einen großen Hofraum umschließt. – Zu diesen tritt man ein durch einen hohen Porticus. – Thier-Colosse verschiedener Art, theils auf Postamenten, frei oder unter Säulenkuppeln, stehen umher; umgestürzt liegen andere, den Boden bedecken Trümmer von Säulen und Ornamenten. Dünne, hagere, weißgewandige Gestalten, Fakirs und Pilger, knieen oder liegen, betend und büßend, vor den Götzen, oder wandeln unter den Säulenhallen, wie Gespenster, dahin. Schweigen ist Alles, das Leben selbst ist hier ohne Laut und hilft das Schauerliche des Anblicks nur vergrößern. Aus diesem Chaos seltsamer Gebilde, in der Mitte der weiten Aera, thürmt sich der Tempel selbst in die Wolken als eine vierseitige Pyramide, so originell, so majestätisch und grandios in Styl und Ausführung, daß sein Anblick die Sinne verwirrt, daß die Seele vor seiner Betrachtung unwillkürlich zurückbebt. Aus den größten Granitblöcken zusammen gesetzt, scheint bei’m ersten Anschauen dieß Gebäude ein ausgehöhlter, mit den magnifikesten Sculpturen bedeckter Fels zu seyn, das Werk mächtiger Götter, nicht schwacher Sterblichen. Sechs Stockwerke, jedes 35 Fuß hoch, thürmen sich in Absätzen über einander, von außen mit prachtvollen Portiken, Nischen, Säulenhallen und Thürmen, welche letztere an den Ecken über einander stehen, eingefaßt und mit Sculpturen, Abbildungen von Gottheiten in ungeheuern Dimensionen, bedeutungs- und geheimnißvoll bedeckt. – Die Spitze der Pyramide ist abgestumpft; 4 Felsblöcke bedecken sie in Form eines Sarkophags. Dessen 4 Seiten zeigen, als Symbol der Unsterblichkeit, das Bild eines geflügelten Menschenherzens, kunstvoll gearbeitet und riesengroß, und von der äußersten Zinne, dem Deckel des Sarkophags, ragen 5 seltsam geformte vergoldete Spitzen bedeutungsvoll in das Blaue des Himmels. Bewundernswürdig, wie der Reichthum, die Pracht, die Mannichfaltigkeit, das Sinnige der Verzierungen im Aeußern, ist die Einfachheit und Erhabenheit der Ausschmückung im Innern. Zwischen schlanken Säulen und Pfeilern, deren Höhe das Auge nur schwindelnd mißt, blicken in magischer Beleuchtung die Bildsäulen der Götter herab, und oben, in der hohen Kuppel, thronend gleichsam über Alles, steht das geheimnißvolle Bild des Brahma selbst, des Urhebers aller Erzeugung. – In den Seitenmauern angebrachte Wendeltreppen führen zu diesem Allerheiligsten, welchem sich blos der geweihete Priester nahen darf. – Man kann sich nichts Erhabeneres, Eindrucksvolleres denken.

In einem grellen, widerlichen Contrast mit den, Sturm und Wetter seit Jahrtausenden trotzenden, Denkmälern einer längst untergegangenen Kultur stehen die überall in dieser Gegend sichtbaren Zeichen von der Rohheit und Barbarei der jüngsten Vergangenheit. – Verwüstung und Zerstörung begegnen bei jedem Tritt. – Fackel und Schwerdt des Kriegs haben das herrliche Land entvölkert, die Städte sind meistens Haufen ekelhafter Ruinen und der Wohnungen