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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Der gerettete Jüngling
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aus: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung) S. 285–289
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Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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[285]

 Der gerettete Jüngling.

     Eine schöne Menschenseele finden,
Ist Gewinn; ein schönerer Gewinn ist,
Sie erhalten, und der schönst’ und schwerste,
Sie, die schon verlohren war, zu retten.

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     Sankt Johannes, aus dem öden Pathmos[1]

Wiederkehrend, war, was er gewesen,
Seiner Heerden Hirt. Er ordnet’ ihnen
Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam.


[286]

     In der Menge sah er einen schönen

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Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte

Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen.
Sprach die Liebevollste Feuerseele.

     „Diesen Jüngling, sprach er zu dem Bischof,
Nimm in deine Hut. Mit deiner Treue
Stehst du mir für ihn! – Hierüber zeuge

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Mir und Dir vor Christo die Gemeine.“


     Und der Bischof nahm den Jüngling zu sich,
Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte
In ihm blühn, und weil er ihm vertraute,
Ließ er nach von seiner strengen Aufsicht.

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     Und die Freiheit war ein Netz des Jünglings;

Angelockt von süßen Schmeicheleien,
Ward er müßig, kostete die Wohllust,
Dann den Reiz des fröhlichen Betruges.

[287]

Dann der Herrschaft Reiz; er sammlet um sich

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Seine Spielgesellen, und mit ihnen

Zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber.

     Als Johannes in die Gegend wieder
Kam; die erste Frag’ an ihren Bischof
War: „wo ist mein Sohn?“ – „Er ist gestorben!“

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Sprach der Greis und schlug die Augen nieder.

„Wann und Wie?“ – „Er ist Gott abgestorben,
Ist (mit Thränen sag’ ich es) ein Räuber.“

     „Dieses Jünglings Seele, sprach Johannes,
Fodr’ ich einst von dir. Jedoch wo ist er?“ –

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     „Auf dem Berge dort!“

 
               – „Ich muß ihn sehen!“

     Und Johannes, kaum dem Walde nahend,
Ward ergriffen, (eben dieses wollt’ er.)
„Führet, sprach er, mich zu Eurem Führer.“


[288]
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     Vor ihn trat er! Und der schöne Jüngling

Wandte sich; er konnte diesen Anblick
Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling,
Nicht, o Sohn, den Waffenlosen Vater,
Einen Greis. Ich habe dich gelobet

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Meinem Herrn und muß für dich antworten.

Gerne geb’ ich, willst du es, mein Leben
Für dich hin; nur dich fortan verlassen
Kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet,
Dich mit meiner Seele Gott verpfändet.“

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     Weinend schlang der Jüngling seine Arme

Um den Greis, bedeckete sein Antlitz,
Stumm und starr; dann stürzte statt der Antwort
Aus den Augen ihm ein Strom von Thränen.

     Auf die Kniee sank Johannes nieder,

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Küßte seine Hand und seine Wange,

Nahm ihn neugeschenket vom Gebürge,
Läuterte sein Herz mit süßer Flamme.


[289]

     Jahre lebten sie jetzt unzertrennet
Mit einander; in den schönen Jüngling

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Goß sich ganz Johannes schöne Seele.


 *     *     *

     Sagt, was war es, was das Herz des Jünglings
Also tief erkannt’ und innig festhielt?
Und es wiederfand, und unbezwingbar
Rettete? Ein Sankt-Johannes Glaube,

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Zutraun, Vestigkeit und Lieb’ und Wahrheit.

  1. Pathmos, (Patmosa) eine Insel, auf welche der Evangelist und Apostel Johannes verbannet gewesen.