Der französische Hermann der Cherusker

Textdaten
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Autor: Dr. Karl Seldner
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Titel: Der französische Hermann der Cherusker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 667-670
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der französische Hermann der Cherusker.

Von Dr. Karl Seldner.

In den Stunden, die ich im August dieses Jahres bei meiner Anwesenheit in Paris dem Musée des Antiquités Nationales in dem stattlichen Schlosse Franz’ I. in St. Germain en Laye widmete, reiste bei der Betrachtung der gallischen Alterthümer, der wunderschön ausgeführten Modelle des alten Alesia, der ganzen Belagerung und der Belagerungsmaschinen der schon vorher gehegte Vorsatz, auf der Rückreise in die Heimath an dem Original nicht vorüberzufahren.

So dampfte ich denn, erfüllt und überfüllt vom Babel an der Seine, am 24. früh sieben Uhr vom Lyoner Bahnhofe ab, an Fontainebleau, Montereau vorüber, dann an Sens, das die alten Senones noch im Namen führt, durch fruchtbares, wohl angebautes Hügelland, immer nach Südosten, bis der Zug um die Mittagszeit die Cotes d’Or erreichte.

Ich hatte in diesen Stunden vollauf Zeit, meine Reisegesellschaft zu studiren. Sie bestand aus zwei mittelalterlichen, aber noch französisch-graziösen Damen und drei jungen Militärs, Telegraphisten, wie ich nach und nach aus ihrer Unterhaltung und dem zackigen Blitz am blauen Kragen der schwarzen Uniform merkte. Das Coupé war bald in lebhaftem Gespräch, nur mir gegenüber, der durch Gestalt und blonden Vollbart den Deutschen nicht verleugnete, höflich ablehnend. Allmählich näherte sich der Zug meinem Ziele, der Station les Laumes, daher setzte ich mich über die ablehnende Haltung meiner Reisegenossen hinweg und erkundigte mich in meinem besten Französisch nach dem, was man für den Aufenthalt in dem kleinen Orte wissen mußte, Gasthaus und Zeitdauer des Ausflugs nach Alise-Ste.-Reine, wie heute Alesia heißt. Ein gerade eingestiegener redseliger Provinzler, wie es schien, ein kleiner Gutsbesitzer der Gegend, Localpatriot, gab mir bereitwillig Auskunft.

Les Laumes! Der Zug hielt, und ich stieg aus.

In dem dem Bahnhof gegenüberliegenden Wirthshaus des Ortes erhielt ich ein gutes Zimmer und eben solches Dejeuner mit dem unvermeidlichen mouton (Hammelfleisch). Die aus Bürgern des Ortes, die Flaschenbier tranken (in der Bourgogne! – überhaupt scheint sich das Bier in Frankreich immer mehr Platz zu erobern), und einem das große Wort führenden, aus Paris gekommenen jungen Mann bestehende Tischgesellschaft kannegießerte über die guten Aussichten der Republik.

Nachdem ich etwas der Ruhe gepflogen, machte ich mich, als die ärgste Hitze nachließ, auf nach der Höhe, von der die Statue des Vercingetorix wie ein segenspendender Genius in’s Thal herabschaut. Der Weg führt an dem durch den Lärm wieder an unser Jahrhundert gemahnenden Bahnhof durch die etwa eine Stunde breite Plaine des Laumes, dann nach einem halben Stündchen Steigens durch die ersten Häuser des Dorfes Alise-Ste.-Reine weiter den Berg hinan. Da begegnete mir ein junger Bauer, den ich, um sicher zu gehen, nach dem Wege fragte.

Er antwortete erst französisch, fuhr aber dann fort: „Der Herr ischt wohl e Dütscher? ’S freut mi, Ihne z’ treffe; ichch bin en Elsässer, ichch bin hier employiert bi de Hängschte (Hengsthalter). Ichch ging gärn mit Ihne, awwer ichch hä na allerhand z’ bsorge, ichch hä mi erscht vor zwei Täg mit eme Mädel von hier verheiert.“ Er fragte noch nach meiner Heimath; auf meine Antwort: „Mannheim“ war die seinige: „ah, wo die Maschine herkumme, sell ischt im Badische, n’est-ce pas?“ Ich sprach ihm meine Freude aus, einen Landsmann zu treffen, wünschte ihm Glück zu seinem jungen Ehestand, in dem sich Neudeutschland und Frankreich verbänden, und danke ihm für sein freundliches Anerbieten; dann trennten wir uns mit kräftigem Händedruck.

Nach einigem Steigen stand ich auf dem Plateau und vor mir ragte, mit dem Sockel etwa zehn Meter hoch, Vercingetorix auf: ein jugendkräftiger Mann, barhäuptig, mit wallendem Haar und herabhängendem Schnauzbart, trotzigen Blickes: unter dem Brustpanzer ein faltiges Gewand mit kurzen Aermeln, auf die rechte Schulter zurückgeworfen der Mantel, der bis zur Erde hinabwallt, um die Handgelenke Spangen, die Beine behoft und kreuzweis mit Binden umschnürt, die Füße in derben Schuhen, gestützt auf sein langes Schwert, an der linken Seite den Dolch, hinter sich auf dem Boden den Spitzhelm – so schaut er weit hinaus in die Lande. Und ringsum feierliche Stille statt des Brausens der Weltstadt, das mich noch am Morgen umtönte; das Gras, in das ich mich geworfen, zitterte im Winde, der von der Seite der Heimath kam, die Käfer summten und die Schmetterlinge gaukelten.

Meine Gedanken zogen in den Sommer des Jahres 52 vor Christo. Im siebenten Jahr des Kampfes der Gallier gegen Cäsar stand, zum ersten und letzten Mal, das ganze Volk mit wenigen Ausnahmen von den Pyrenäen bis zum Rhein für Freiheit und Volksthum unter den Waffen. Zum Führer hatten sie diesen Vercingetorix, einen Adeligen von fast königlichem Ansehen, gewählt; er, ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, hatte das Landvolk der Arverner (Auvergne)-stammes, das der dort herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den Römern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Königthums und zum Krieg gegen Rom aufgerufen. Nachdem zuerst in erfolgreichem Widerstand sein Feldherrntalent die Kriegführung geändert hatte, begann auch bald der Sieger-Nimbus Cäsar’s zu erblassen. Hatte nämlich früher Cäsar seine Siege Schlag auf Schlag erfochten und wurde Stadt um Stadt in sicher fortschreitender Einschließung erobert, so bedurfte es jetzt zu beiden langdauernder angestrengter Kämpfe. So bekamen die Gallier Vertrauen auf [668] ihren Führer. Cäsar zog deshalb notgedrungen seine bisher getheilte Macht hier, um diesen Berg von Alesia, zusammen, auf dessen Plateau und Abhängen Vercingetorix sich festgesetzt hatte. Diesmal gelang es jedoch letzterem nicht, wie früher, sein Fußvolk unter dem Schutz der Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reitermassen die Verbindungen nach außen hin sich offen zu halten, während er die des Feindes zu unterbrechen gedacht hatte. Seine Reiterei wurde von Cäsar’s deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen; auf den umliegenden Höhen wie in der Ebene campirten in größeren und kleineren befestigten Lagern (von acht solchen hat man bei den von Napoleon III. veranlaßten Nachgrabungen Spuren entdeckt) die römischen Legionen und zogen mit eiserner Beharrlichkeit um den ganzen Festungsberg Verschanzungslinien; diese wurden durch dreiundzwanzig kleine Redouten gesichert, und an Stellen, wo leicht beizukommen war, das Vorland durch Verhacke, Wolfsgruben und Fußangeln geschützt. Die Belagerten sahen den Ring sich langsam, da er etwa vier Stunden lang war, aber sicher schließen.

Von meinem Standpunkte aus konnte ich mir die Linie sehr gut in die Landschaft hineindenken; sie ist auf der beigegebenen Karte gezeichnet.

Auf eine Einschließung aber war Vercingetorix nicht gefaßt: er hatte unter den Mauern der Stadt kämpfen wollen, nicht sich belagern lassen; für seine 80,000 Mann Fußvolk, 15,000 Reiter und die zahlreichen Stadtbewohner genügten die aufgespeicherten Vorräthe bei weitem nicht. Er mußte sehen, daß er diesmal verloren war, wenn nicht die gesammte Nation herbeieilte und den eingeschlossenen Feldherrn befreite. Daher entließ er im letzten Augenblick, als der Weg wenigstens für Berittene noch frei war, seine ganze Reiterer und entsandte zugleich an alle Stammeshäupter die Weisung, alle Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz heranzuführen. Er selbst, entschlossen, die Verantwortung für den von ihm entworfenen und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persönlich zu tragen, blieb in der Festung, um im Guten und Bösen das Schicksal der Seinigen zu theilen. Cäsar aber machte sich gefaßt, zugleich zu belagern und belagert zu werden. Er gab daher Befehl, das Heer mit Lebensmitteln auf dreißig Tage für Mann und Roß zu versehen, und richtete seine Umwallungslinie auch an der Außenseite zur Vertheidigung ein, das heißt er zog parallel mit der inneren eine äußere; von beiden sind Reste aufgefunden worden. Der Umfang der letzteren mag über fünf Stunden betragen haben und zog sich, den Bodenverhältnissen folgend, durch die Ebene, Abhänge hinauf, über die Plateaus und wieder die Abhänge hinunter, bis sie die innere ganz umschlossen hatte.

Die Tage verflossen: schon hatte man in der Festung kein Getreide mehr, schon hatten die eigenen Landsleute die unglücklichen Stadtbewohner austreiben müssen, die dann zwischen den beiderseitigen Verschanzungen, von den Ihrigen wie von den Römern unbarmherzig zurückgewiesen, elend umkamen. Welche Bilder unsäglichen Jammers müssen diese Felsabhänge damals geschaut haben! Ein hochstehender Gallier wies die Belagerten sogar auf die, wie Cäsar sagt, „frevelhafle Unmenschlichkeit“ hin; wenn alle Nahrungsmittel aufgezehrt seien, sich vom Fleische der kriegsuntüchtigen Greise zu nähren! Doch so weit sollte es nicht kommen.

In der letzten Stunde zeigten sich auf den Höhen hinter Cäsar’s Linien die unabsehbaren Züge des Entsatzheeres, angeblich 250,000 Mann zu Fuß und 8000 Reiter, unter dem Oberbefehl [669] von Commius, Viridomarus, Eporedirix, Vercassivellaunus, Häuptern verschiedener Stämme. Cäsar’s Heer, sehr hoch auf 50,000 Mann geschätzt, hatte also, mit Front nach zwei Seiten, gegen eine siebenfache Uebermacht zu kämpfen! Fußvolk erfüllte die Höhen dort im Westen, wo jetzt im Sonnenglanze die friedlichen Fluren und Dörfer von Mussy und Venarey sichtbar sind. Vom Canal bis zu den Cevennen hatten die Völker jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn ihrer Wahl zu retten. Nur die Männer eines Stammes, einsichtslos und eigensinnig, hatten geantwortet, daß sie wohl gegen die Römer, aber nicht außerhalb der eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien.

Denkmal des Vercingetorix.
Nach einer Photographie.

Plan der Belagerung von Alesia durch Cäsar..
Die dicken Linien bedeuten die beiden Umwallungslinine Cäsar’s gegen Alesia und die Entsatzarmee. – I bis VIII die acht Lager. – o o die 23 Redouten. – I a auf dem Westvorsprung des Mont Auxois ist die Statue des Vercingetorix.

Auf dieser Westseite fand jedenfalls der erste Sturm statt, den die Belagerten von Alesia aus und die Entsatztruppen draußen auf die römische Doppellinie unternahmen. Er dauerte unter Anspannung aller beiderseitiger Kräfte, da auf der leicht übersehbaren Wahlstatt weder Tapferkeit noch Feigheit unbemerkt blieb, von Mittag bis Sonnenuntergang, bis endlich Cäsar’s germanische Reiter die gallischen Reiter und Bogenschützen und die Legionen das übrige Fußvolk in die Stadt zurückwarfen. Aber als nach eintägiger Rast um Mitternacht der Angriff wiederholt ward, gelang es in der Dunkelheit an einer Stelle, wo die Umwallungslinie über den Abhang eines Berges – im Nordosten, bei Bussy – hinlief und von dessen Höhe herab angegriffen werden konnte, die Gräben zuzuschütten und die Vertheidiger vom Wall herunterzuwerfen. Der Augenblick war kritisch. Da nahm Labienus, Cäsar’s fähigster Unterfeldherr und rechte Hand, die nächsten Cohorten zusammen und warf sich, mit unwiderstehlicher Wucht ausfallend, auf den Feind. Unter den Augen des von den Seinen für unbesiegbar gehaltenen Imperators, der selbst, an seinem rothen Kriegskleid weithin erkennbar, in dem gefährlichsten Momente erschien, wurden in verzweifelten Nahgefecht die Stürmenden zurückgejagt; die mit Cäsar eingetroffenen Reiterschaaren und Cohorten faßten die Flüchtenden im Rücken und vollendeten ihre Niederlage. So hatten Kriegskunst und kalte Entschlossenheit über Tapferkeit und edle Begeisterung, die aber der Ordnung ermangelten, gesiegt. Es war aber mehr als ein großer Sieg; über Alesia, ja über die gallische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Entsatzheer, völlig entmuthigt, verlief sich unmittelbar vom Schlachtfeld nach Hause. Vercingetorix hätte vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten können; er that es nicht, sondern erklärte im Kriegsrath, daß, da es ihm nicht gelungen sei die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben, um so weit als möglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die Gallier lieferten ihren von dem ganzen Volke feierlich erwählten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roß und in vollem Wäffenschmuck erschien der König der Arverner vor dem römischen Proconsul und umritt dessen Tribunal; darauf gab er Roß und Waffen ab und ließ sich schweigend auf den Stufen zu Cäsar’s Füßen nieder. Fünf Jahre später, als Cäsar nach der Entscheidungsschlacht von Pharsalus einen glänzenden Triumph feierte, wurde der Held von Alesia hinter dem Imperator-Triumphator durch die Gassen der italischen Hauptstadt geführt und dann als Hochverräther an der römischen Nation, während sein Ueberwinder den Göttern seinen feierlichen Dank auf der Höhe des Capitols darbrachte, an dessen Fuß enthauptet. Gegen besiegte Feinde haben die Römer immer brutal gehandelt, wenn nicht die Staatsraison es anders gebot.

Mommsen schließt seine Darstellung dieses Kampfes: „Wie nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch untergehenden Völkern wohl einen letzten großartigen Mann. Also steht am Ausgang der gallischen Geschichte Vercingetorix. Er vermochte nicht sein Volk von der Fremdherrschaft zu erretten, aber er hat ihm die letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Er hat nicht blos gegen den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor Allem gegen die antinationale Opposition verletzter Egoisten; ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern daß er es vermocht hat, einer zerfahrenen und in Particularismus verkommenen Nation in seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben, wenn auch seine gewaltigen Thaten und seine hochherzige Aufopferung nur ein kurzer Sommer einschließt. Das ganze Alterthum kennt keinen ritterlicheren Mann, in seinem innersten Wesen wie in seiner äußeren Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmähte sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnlichen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als daß die Nation sich öffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Athemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn nannte. Es ist nicht möglich ohne geschichtliche und menschliche Theilnahme von dem edlen Arvernerkönig zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der gallischen Nation, daß ihr größter Mann doch [670] nur ein Ritter war.“ – Für sie war sein Verlust unersetzlich; mit ihm war Einheit in die Stämme gekommen, mit ihm entwich die Einheit. Die Gesammtvertheidigung wurde nicht fortgesetzt, mit den Einzelnen wurde Cäsar leicht fertig, Finis Galliae!

Es war eine Schuld der französischen Nation, die Napoleon III. einlöste (ihm verdankt überhaupt Frankreichs Geschichtsforschung vieles), daß er nach den Ausgrabungm Vercingetorix das schöne Denkmal setzen ließ. Wie das unseres glücklicheren deutschen Römerbekämpfers Hermann ist dieses Kunstwerk Meillet’s auch aus Kupfer getrieben. Napoleon ließ darunter schreiben: La Gaule unie formant une seule nation animée d’un même esprit peut défier l’univers. Vercingétorix aux Galois assemblés. Caes. de bell. Gall. l. VII. c. XXIX. Napoléon III. empereur des Francais à la mémoire de Vercingétorix[1] – Worte, die Cäsar an obiger Stelle als von dem großen Arverner beim Aufruf zum Kampfe gegen den Landesfeind zu seinen Landsleuten gesprochen überliefert hat.

So gleich ist sich das Volk in seiner Sprechweise geblieben; dieselben Zeilen könnten in Aufrufen Carnot’s, des ersten und dritten Napoleon, Gambetta’s, Victor Hugo’s stehen. Die Statue ist zugleich ein Denkmal Napoleon’s: zur Zeit seiner größten Macht, als er befahl, daß sie entstehe, dachte er wohl kaum daran, daß er, geschmäht von dem Volke, das damals sein vive l’empereur erschallen ließ, auf fremder Erde sterben würde, daß das Nachbarvolk, das er schwach zu erhalten bestrebt war, erstarken und, selbst durch Blut und Eisen geeinigt, „das vereinigte Gallien“, das es leichtfertig herausgefordert, niederwerfen würde, alle wie ein Mann, selbst die jüngsten mit. Ein solcher jüngster, ein Schulcamerad von mir, der zum Neid der andern, die das Unglück hatten für „zu jung und schwach vermeint“ zu werden, die Bänke der Unterprima hinter sich lassen durfte, um in den heiligen Krieg zu ziehen, war als Patrouillenführer in einer Winternacht an diese elastische Stätte verschlagen worden. Als er vom Thale aus die Riesengestalt bemerkte, die sich von den breiten Linien des Horizonts am Nachthimmel abzeichnete, fragte er den beholzschuhten Bauer, der in sanftem Zwang die Prussiens durch das schneebedeckte Land führte, was das sei.

„Ah, monsieur, voilà le Vercingétorix“ war die Antwort, mit welcher die Tertianerschulstube sich dem jungen Vaterlandsvertheidiger wieder in mächtiger Erinnerung aufdrängte, zu ungewöhnlicher Stunde, an noch ungewöhnlicherem Orte.

Ich hatte mich längere Zeit hindurch so ganz in die Vergangenheit zurückversetzt, daß herankommende Schritte mich unangenehm aus meinen Phantasien, erfüllt von „Schild- und Schwerterschall, Kampfgeschrei und Toben“ hochgewachsener Gallier und behender Legionäre, aufschreckten. Ich erhob mich; die sich näherten, waren zwei geistliche Herren, ein älterer und ein jüngerer. Sie waren sichtlich erstaunt mich mit Karte und Buch hier zu treffen; um ihnen das Erstaunen zu benehmen, fragte ich nach dem, was mir von der Oertlichkeit noch unklar geblieben. Auf’s Bereitwilligste gab man mir Auskunft; besonders der ältere, wie sich später bei gegenseitiger Vorstellung herausstellte, Mr. l’Abbé L., Chanoine von Dijon, der früher Pfarrer in der Nähe von Alise war, hatte sich selbst auf’s Eingehendste mit der Localität beschäftigt und war eine Autorität bei den Ausgrabungen gewesen. Er gab mir schließlich die Adresse eines Mr. Perney, der das Museum unter sich habe. Wir trennten uns; nach einem Abschiedsblicke auf Vercingetorix stieg ich abwärts und bog nach Süden um das Plateau, um in das Dorf zu kommen. Dieses liegt, theilweise förmlich angeklebt an die steilabfallenden Felswände, an dem Südwestabhange des Mont Auxois und scheint wohlhabend zu sein. Mr. Perney war leider nicht zu Hause; an seiner Stelle zeigte mir ein weiblicher dienstbarer Geist das „Musée“. Diese stolze Aufschrift trägt ein kleines Gartenhaus, welches in einigen Glaskästen Reste von Waffen, Münzen, Gefäßen, menschlichen Gebeinen enthält; den Löwenantheil der Ausgrabungen hatte seiner Zeit die Sammlung in St. Germain erhalten.

Nachdem ich eine Erfrischung eingenommen, und zwar auch wieder Bier (aus Dijon) in dem Weinlande, stieg ich die andere breite Straße des Ortes hinan. In einem kleinen Kramladen bei einer alten Frau fand ich unter Heiligenbildern (ich glaube, in Alise existirt ein wunderthätiges) die Photographie der Statue des stolzen Galliers, deren Holzschnittwiedergabe diesen Artikel ziert. Beim Heraustreten hatte ich die Freude wieder, diesmal allein, Mr. le Chanoine zu begegnen; der liebenswürdige Greis ließ es sich nicht nehmen, mich zu führen. Er ging mit mir nach Osten längs des Südabhangs, wo die Felsen des Plateaus am steilsten sind und wo die Gallier sicher keine Mauern brauchten. Er zeigte mir da ein wohlconservirtes gallisches Grab und knüpfte im Laufe der Unterhaltung längere Reflexionen an die Katastrophe von Alesia, indem er meinte, daß jetzt, „zwischen christlich-katholischen Völkern“ wohl nicht mehr die unnützen Esser einer belagerten Stadt zum Hungertode zwischen zwei feindlichen Wällen verdammt würden, und daß man tapfere Feinde jetzt nicht mehr hinrichte, wie er an Abd-el-Kader bewies. Auf dem Rückwege erzählte er mir, er weile zur Cur in dem Spitale des Dorfes; hier sei eine Heilquelle gefaßt, deren Kraft das Volk besonders rühme, weil das Wasser durch die Asche verbrannter Städte fließe. Er bedauerte sehr, mir andern Tages die Reste der Umwallungslinien im Thale und auf den umliegenden Höhen nicht zeigen zu können, nachdem ich ihm gesagt, daß meine Zeit beschränkt sei. Ich dankte ihm für seine Freundlichkeit und schied mit den herzlichsten Worten, die mir mein Französisch eingab: „Ich bin glücklich, daß ich einen Franzosen gefunden habe, welcher einen Deutschen nicht als ein Ungeheuer ansieht,“ was mir ja mehrfach begegnet war.

Mit raschen Schritten eilte ich, da es dunkel wurde, les Laumes zu. Hier saß die Gesellschaft von Mittags gerade wieder beim Diner. Frech geworden durch meine sprachlichen Erfolge des Nachmittags, nahm ich lebhaften Theil an der Unterhaltung, suchte den Herren die Meinung beizubringen, daß es doch das Beste sei, wenn Franzosen und Deutsche jetzt, nachdem Jeder habe, was ihm gebühre, sich in Frieden ließen, und daß ich besonders kein Spion, sondern nur aufgestiegen sei, um ihren großen Vorfahren Vercingetorix zu besuchen. Einen kleinen Erfolg glaube ich in der Sache davongetragen zu haben, weniger in der Sprache, denn die kleine Burgunderin, die uns bediente, kam fast nicht aus dem Lachen heraus.

Bis zum Eilzug um Mitternacht hatte ich noch einige Stunden Zeit, um zu ruhen und die Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Der Zug kam mit einer halben Stunde Verspätung an; als er nach Dijon weiter sauste, an dem mondscheinbeglänzten Vercingetorix vorbei, war es mir, als nicke der letzte Ritter der Gallier von der Höhe mir seinen Abschiedsgruß zu. Sicher kann er sein, daß ich von der Stätte, die er geheiligt, die schönsten Erinnerungen mit in die Heimath nahm.


  1. Das vereinigte Gallien, bildend eine einzige, von demselben Geiste beseelte Nation, kann dem Weltall Trotz bieten. Vercingetorix an die versammelten Gallier. Caes. de bell. Gall. VII. Buch, XXIX. Cap. Napoleon III., Kaiser der Franzosen, dem Andenken des Vercingetorix.