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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der doppelt Angeklagte
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zehntes Bändchen, Seite 1248–1282
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1829
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Δὶς κατηγορούμενος
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[1248]
Der doppelt Angeklagte.
Jupiter. Mercur. Die Gerechtigkeit. Pan. Erster, zweiter, dritter Athener. Die Academie. Die Stoa. Epicur. Die Tugend. Die Ueppigkeit. Diogenes. Die Rhetorik. Ein Syrer (Lucian). Der Dialogus.

1. Jupiter. Zum Henker mit den Philosophen, die da behaupten, alle Glückseligkeit sey nur bei den Göttern zu finden! Ach! wüßten sie, Was wir um der Menschen willen zu leiden haben, sie würden uns wahrlich wegen unsers Nectars und unserer Ambrosia nicht glücklich preisen, wie sie jetzt im Glauben an den blinden, alten Fabler Homer thun, der uns die Seligen nennt, und den ganzen Himmel beschreiben wollte, er, der nicht einmal wissen konnte, wie es auf der Erde aussieht. Z. B. gleich hier der Sonnengott, dieser muß seinen Wagen anspannen, und den ganzen Tag, in Feuer gehüllt und Strahlen von sich schießend, am Himmel hinauf und hinab fahren, und darf sich nicht einmal so viel Zeit lassen, sich im Ohre zu krauen. Denn wenn er nur einen Augenblick sich vergäße – stracks rissen seine Pferde aus, rennten aus ihrer Bahn, und steckten Alles in Brand. Der guten Luna kommt kein Stündchen Schlaf in die Augen, weil auch sie herumwandern muß, um Nachtschwärmern den Weg zu zeigen, und Leuten, die zu lange getafelt haben, [1249] nach Hause zu leuchten. Und welches mühselige Geschäft ist dem Apollo zugefallen, der fast taub geworden ist über dem Geschrei der Leute nach Orakeln: jetzt soll er in Delphi seyn, im nächsten Augenblicke eilt er nach Colophon, von da an den Xanthus, dann im vollen Laufe wieder zurück nach Clarus, hierauf nach Delus oder zu den Branchiden; kurz, wohin immer die Oberpriesterin, wenn sie aus dem heiligen Borne getrunken, den Lorbeer gekaut, und den Dreifuß geschüttelt hat, seine Gegenwart verlangt, dort muß er augenblicklich und unverdrossen erscheinen, und Orakelverse schmieden, wenn er nicht will, daß die Ehre seiner Kunst zu Grunde gehe. Dessen gar nicht zu gedenken, daß ihm die Menschen, um seine Prophetengabe auf die Probe zu stellen, manchmal Fallen legen, und z. B. Schöpsenfleisch und Schildkröten in Einem Topfe kochen.[1] Hätte er damals nicht eine so feine Nase gehabt, der Lydier hätte sich über den Propheten voll gelacht. Und Aesculapius – wie sauer wird doch Diesem das Leben von seinen Kranken gemacht!

Das Aergste sieht er, und berührt das Widrigste,
Und schöpft aus fremden Leiden eignes Ungemach.[2]

Wenn ich aber vollends herzählen wollte, was die Winde Alles zu arbeiten haben, um das Wachsthum der Pflanzen zu befördern, die Schiffe auf dem Meere fortzuschaffen, die Spreu auf den Dreschtennen wegzublasen und dergleichen; oder der Schlaf, der bei allen und jeden lebenden Wesen herumfliegen, und der Traum, der alle Nächte mit ihm durchwachen, [1250] und ihm prophetische Gesichte liefern muß! Und mit diesem Allem bemühen sich die Götter aus lauterer Zuneigung zu dem menschlichen Geschlechte; und das Leben jedes Einzelnen auf der Welt wird nur durch sie erhalten und befördert.

2. Doch, Was die übrigen Götter zu thun haben, ist immer noch erträglich. Aber ich, der König und Vater Aller, welche Menge von Verdrießlichkeiten muß ich mir gefallen lassen! Nach allen Seiten hin nehmen mich eben so viele Sorgen als Geschäfte in Anspruch. Für’s Erste ist nothwendig, daß ich die Thätigkeit der Götter, die mir bei der Weltregierung behülflich sind, unausgesetzt beaufsichtige, damit sie nicht nachläßig in ihren Arbeiten werden. Sodann gibt es eine kaum übersehbare Menge einzelner Kleinigkeiten, die mir persönlich zu besorgen obliegt. Denn wenn ich auch mit den Hauptgegenständen meiner Verwaltung fertig bin, und wegen Regen, Hagel, Blitz und Donner und Wind die gehörigen Verfügungen genossen habe, so darf ich noch lange nicht daran denken, meiner Sorgen mich zu entschlagen und der Ruhe zu pflegen: ich muß Jenes thun, und doch zu eben derselben Zeit, wie der Nemeische Kuhhirt [Argus], allenthalben Augen haben und Acht geben, wo Einer stiehlt oder falsch schwört, wo Libationen dargebracht werden, wo Dampf und Rauch von Opfern aufsteigt, wo ein Kranker oder ein Schiffender mich anruft. Das Beschwerlichste dabei ist, daß ich in demselben Augenblicke einem Hecatomben-Opfer zu Olympia anwohnen, und zugleich eine Schlacht bei Babylon beaufsichtigen, in Getenland hageln und bei den Aethiopiern schmausen soll. Und wenn ich auch Alles gethan habe, so bin ich doch noch nicht aller Klagen ledig; jetzt heißt es:

[1251]

Alle nunmehr, die Götter und gaulgerüsteten Männer,
Schlafen die ganze Nacht, nur Zeus nicht labet der Schlummer.[3]

Denn wollte ich auch nur ein Bischen einnicken, gleich müßte Epicur mit seiner Behauptung Recht haben, daß wir uns Nichts um die irdischen Dinge bekümmern. Und unsere Noth wäre wahrlich nicht gering, wenn ihm die Leute Das glaubten. Bald genug ständen unsere Tempel unbekränzt, wallte kein Opferdampf mehr durch die Straßen, flössen aus den Krügen keine Libationen mehr, und blieben unsere Altäre kalt: kurz, aller Gottesdienst hätte ein Ende, und wir müßten den bittern Hunger leiden. Darum stehe ich, wie ein Steuermann, einsam auf dem hohen Rücken des Schiffes, mit meinem Steuerruder in den Händen, während die Passagiere nach Herzenslust essen, trinken und schlafen. Ich, im Gemüthe und Geiste voll Unruhe[4], muß Schlaf und Nahrung mir versagen, und mit der Ehre mich begnügen, der Herr zu heißen.

3. Da möchte ich denn wohl die Philosophen, die behaupten, wir Götter seyen allein glücklich, fragen, „wann sie glauben, daß wir Zeit haben, in Nectar und Ambrosia zu schwelgen, wir, die wir mit so zahllosen Geschäften belastet sind?“ Kann ich mir doch nicht einmal so viel Zeit abmüßigen, eine Anzahl verschimmelter, längst in Spinnwebe begrabener Processe vorzunehmen, namentlich solche, die von den Wissenschaften und Künsten gegen gewisse Personen anhängig gemacht worden sind. Einige dieser Klagschriften sind wirklich schon so alt, daß die Parteien von allen Seiten anfangen, [1252] ihrer Ungeduld Luft zu machen, nach Entscheidung schreien und mich der Saumseligkeit anklagen, ohne zu wissen, daß nicht Trägheit von meiner Seite an dem Verzuge Schuld ist, sondern jenes Wohlleben, in welchem wir uns ihrer Meinung nach befinden. Denn Dieß ist der Name, den sie unserer mühevollen Lage geben.

4. Mercur. Ich selbst habe die Unzufriedenen auf der Erde viele solche Reden gegen dich ausstoßen gehört, Jupiter, und nie gewagt, sie dir zu hinterbringen. Doch weil du selbst davon zu sprechen angefangen, so will ich dir nur sagen, mein Vater, daß die Leute allerdinge sehr aufgebracht sind. Zwar wagen sie es bis jetzt noch nicht, sich allzu laut darüber auszulassen; doch stecken sie die Köpfe zusammen, murren über den langen Verzug, und meinen – wie wenigstens sie die Sache verstehen – sie sollten längst schon ihre Bescheide haben.

Jupiter. Was meinst du, Mercur? Soll ich jetzt gleich eine Gerichtsverhandlung ansagen lassen, oder wollen wir nicht eine Frist im nächsten Jahre dafür ansetzen?

Mercur. Nein, Jupiter, wir wollen die Sache jetzt gleich vornehmen.

Jupiter. Nun so fliege unverzüglich zur Erde hinab, und rufe die Gerichtsverhandlung aus in folgender Form: „Alle, so Klagschriften eingereicht, haben heute auf dem Areopagus zu erscheinen, allwo die Justitia Jeglichem nach dem Belange seines ästimatorischen Strafantrages die gehörige Anzahl Richter aus allen Athenischen Bürgern mittelst des Looses zuweisen wird. Wofern Einer oder der Andere durch den Bescheid Derselben beschwert zu seyn vermeinen [1253] sollte, dem soll unbenommen bleiben, an Jupiter selbst zu appelliren, wo denn sein Proceß als noch nicht behandelt angesehen, und von Neuem aufgenommen werden soll.“ – Du aber, meine Tochter Gerechtigkeit, setze dich neben die gestrengen Göttinnen[5], verloose die Richter, und habe Achtung auf ihr Verfahren.

5. Gerechtigkeit. Wieder auf die Erde? um abermals aus der Welt mich flüchten zu müssen, wenn ich den Hohn der Ungerechtigkeit nicht länger ertragen kann?

Jupiter. Hoffe das Beste, meine Gute. Die Philosophen haben ja den Leuten bewiesen, daß dir unbedingt der Vorzug vor der Ungerechtigkeit gebühre: besonders aber hat des Sophroniscus Sohn das Recht über Alles erhoben, und gezeigt, daß es der Güter höchstes sey.

Gerechtigkeit. Seine Vorträge über mich sind ihm schön bekommen. Wurde er nicht den Nachrichtern übergeben, und in den Kerker geworfen? Mußte er nicht, der Unschuldige, den Giftbecher leeren, ohne noch zuvor dem Aesculap einen Hahn opfern zu können? So sehr waren seine Ankläger mit ihrer ganz entgegengesetzten Philosophie ihm überlegen.

6. Jupiter. Damals war die Philosophie der Menge noch zu fremd: es gab der Philosophen noch zu Wenige, so daß es nicht zu verwundern ist, wenn die Richter sich auf die Seite eines Anytus und Melitus neigten. Zu unsern Tagen aber – siehst du nicht, wie Einem allenthalben Nichts als Mäntel, Stöcke und Ranzen, und lange Bärte und Bücher unter’m Arme begegnen, die Alle nur zu deinem Besten [1254] philosophiren? Auf allen öffentlichen Plätzen stoßen sie zu Haufen und ganzen Phalangen auf einander, und Keiner ist, der nicht für einen Zögling der Tugend gehalten seyn will. Viele haben die Werkstätten, in denen sie gesessen, verlassen, und hurtig zum Schnappsacke und zur Philosophenkutte gegriffen: haben ihre Haut ein Wenig an Africanischer Sonne gebräunt, und ziehen nun, die Schuster- und Zimmergesellen, als neugebackene Weltweise, auf allen Märkten herum, und verkündigen das Lob der Gerechtigkeit! Kurz, es wäre leichter, daß Einer, der im Schiffe zu Boden fällt, nicht auf Holz fiele, wie das Sprüchwort sagt, als daß das Auge, wohin es sich auch wendet, auf keinen Philosophen träfe.

7. Gerechtigkeit. Eben Diese sind es, Jupiter, vor welchen mir graut. Sie liegen in beständigem Streite mit einander, und behaupten in ihren Vorträgen über mich das verstandloseste Zeug. Wiewohl die Meisten von ihnen mich immer im Munde führen, so ist ihnen doch, wie man mich versichert, so wenig Ernst damit, daß sie, wenn ich einmal vor ihre Thüren kommen wollte, mich ohnfehlbar von der Schwelle weisen würden. Denn sie haben längst der Ungerechtigkeit das Gastrecht eingeräumt.

Jupiter. Nicht Alle sind so schlimm, meine Tochter. Genug, wenn du auch nur einige Gute unter ihnen triffst. Doch macht jetzt, daß ihr fortkommt, damit wenigstens etliche Rechtssachen heute noch entschieden werden.

8. Mercur. So gehen wir denn, liebe Gerechtigkeit! – Es scheint, daß du in der Länge der Zeit den Weg vergessen hast. Er führt hier herab, gerade auf Sunium zu, [1255] etwas abwärts vom Fuße des Hymettus, und links vom Parnes, dorthin, wo du die beiden Anhöhen[6] siehst. – Aber Was ist dir? Du weinst ja und jammerst? Fürchte dich nicht. Es ist seitdem ganz anders geworden auf der Welt. Sie sind nun Alle todt, die Sciron, Pityocamptes, Busiris, Phalaris, die dir sonst so bange machten. Jetzt herrscht allenthalben die Philosophie, die Academie, die Stoa; allenthalben sucht man nur dich, spricht nur von dir, und Alle sperren die Mäuler auf, ob du nicht wieder zu ihnen herabgeflogen kommst.

Gerechtigkeit. Von dir kann ich die Wahrheit allein erfahren, Mercur: du hast ja dort so Viel zu verkehren, hast dich in den Gymnasien und als Marktpatron auf dem Markte umzutreiben, und in den Volksversammlungen den Herold zu machen – sage mir also, sind denn diese Leute wirklich von der Art, daß ich mir einen längern Aufenthalt unter ihnen versprechen darf?

Mercur. Ich würde mich in der That an dir versündigen, wenn ich dir nicht die reine Wahrheit sagte. Allerdings hat die Mehrzahl von ihnen durch die Philosophie nicht Wenig gewonnen: zum mindesten macht die Sorge für den philosophischen Anstand, daß sie in ihren Sünden mehr Maß und Ziel halten. Allein, um dir Nichts zu verhehlen: du wirst auch sehr schlimme Subjecte unter ihnen, und eine ziemliche Anzahl Solcher treffen, die halb gut, halb schlecht sind. Die Philosophie ist eine Färberin, welche die Leute übernimmt, um ihnen eine ganz neue Farbe zu geben. Welche [1256] nun den Färbestoff bis zur Sättigung eingesogen, so daß keine Beimischung einer andern Farbe mehr sichtbar ist, Diese sind die vollendeten Guten, und zu deiner Aufnahme die Bereitesten. Die, welche ihr alter Schmutz hindert, den neuen Stoff so gänzlich in sich aufzunehmen, um bis in die Tiefe von ihm durchdrungen zu werden, sind zwar besser, als die Uebrigen, doch immer noch unvollkommen: sie sind nur stellenweise gefärbt, und haben bunte Flecken, wie ein Pardel. Endlich gibt es Solche, die den Färbekessel mit den Fingerspitzen bloß von außen berührt, und wenn sie sich nur rußig daran gemacht haben, sich schon einbilden, hinlänglich gefärbt zu seyn. Es versteht sich übrigens, daß du dich nur zu den Besten halten wirst.

9. Aber siehe! indem wir so sprechen, sind wir schon in Attica angekommen. Wir lassen also Sunium zur Rechten, und wenden uns nach der Acropolis hin. – Nun lassen wir uns nieder: du kannst dich einstweilen hier auf den Areopag setzen, von wo du auf die Pnyx hinüberschauen und zuwarten kannst, bis ich ausgerufen habe, Was mir Jupiter aufgegeben. Ich will zu dem Ende auf die Acropolis steigen, weil man mich von da aus überall am besten vernehmen wird.

Gerechtigkeit. Sage mir doch, ehe du gehst, Mercur, Wer ist denn der gehörnte, bocksfüßige Mann dort mit der Hirtenpfeife, der auf uns zugelaufen kommt?

Mercur. Wie? kennst du den Pan nicht mehr, den lustigsten Bacchanten unter des Bacchus ganzem Gefolge? Er hatte in frühern Zeiten seinen Aufenthalt an dem Berge Parthenius [in Arcadien]. Als aber die Barbaren unter Datis heranschifften und bei Marathon landeten, kam er ungerufen [1257] den Athenern zu Hülfe; und von dieser Zeit an wohnt er in der Höhle dort, die sie ihm anwiesen, unten an der Acropolis, etwas über der Pelasgischen Mauer, und wird zu den Schutzverwandten gerechnet. Ohne Zweifel hat er uns erkannt, da wir ihm so nahe sind, und kommt nun, uns zu begrüßen.

10. Pan. Willkommen, Mercur und Gerechtigkeit!

Mercur. Sey auch du uns gegrüßt, Pan, du bester Pfeifer und Springer unter allen Satyrn, du wackerer Kriegsheld der Athener!

Pan. Was für ein Geschäft führt euch zu uns, Mercur?

Mercur. Diese hier wird dir Alles erzählen. Ich muß auf die Acropolis, um Etwas auszurufen.

Gerechtigkeit. Jupiter hat mich herabgeschickt, bester Pan, um einige Rechtsverhandlungen einzuleiten. Nun wie gefällt dir’s hier zu Athen?

Pan. In der Hauptsache ist die Art, wie ich mich hier befinde, ganz unter meinem Verdienste und unter meiner Erwartung, zumal wenn ich bedenke, daß ich es war, der den gewaltigen Sturm der Barbaren abgeschlagen hat. Indessen kommen sie doch des Jahres zwei- oder dreimal herauf, und opfern mir einen auserlesenen, unverschnittenen Bock, der eine tüchtige Ausdünstung verbreitet. Das Fleisch verschmausen sie sodann selbst, und machen mich zum Zeugen ihrer Lustigkeit, wobei ich mich mit der Ehre begnügen muß, daß der Jubel mir gilt. Uebrigens macht mir ihr Lachen und Possenreißen manchen Spaß.

11. Gerechtigkeit. Allein was die Rechtschaffenheit [1258] betrifft, Pan, sind denn diese Leute wirklich gebessert worden durch ihre Philosophen?

Pan. Was meinst du denn für Philosophen? Etwa den Schwarm eben so hochmüthiger als demüthiger Schwätzer, mit Bärten am Kinne trotz dem meinigen?

Gerechtigkeit. Eben Diese.

Pan. Was diese Menschen Alles vorzutragen wissen, kann ich dir durchaus nicht sagen, beste Gerechtigkeit. Ich verstehe Nichts von ihrer Weisheit. Ein Gebirgsmann, wie ich, hat die ausstudirten Stadt-Redensarten nicht gelernt. Wo wäre auch je ein Sophist oder Philosoph nach Arcadien gekommen? Meine Wissenschaft geht nicht über die Querpfeife und Streichflöte hinaus: hingegen bin ich ein tüchtiger Ziegenhirt, mache meine Tanzsprünge, und kann auch zuschlagen, wenn’s darauf ankommt. Nur so Viel weiß ich, daß sie Einem unaufhörlich die Ohren vollschreien von einer gewissen Tugend, von Ideen, Natur, unkörperlichen Dingen, und wie die Worte alle heißen, die ich sonst mein Leben nicht gehört. Vorn herein, wenn sie so eine Unterredung mit einander anheben, geht es ganz gelassen und friedlich zu. Je tiefer sie aber in die Sache hineinkommen, desto stärker hebt sich ihre Stimme, bis sie so durchdringend wird, wie bei’m Schlachtgesange. Da wollen sie sich denn überbieten, und schreien Alle zumal; die Köpfe werden feuerroth, die Hälse schwellen auf, die Adern treten heraus, wie den Pfeifern, wenn sie die Zinke blasen. Und wenn denn nun das Gespräch verwirrt geworden, wenn der anfängliche Fragepunkt gänzlich aus den Augen gerückt ist, so schimpfen sie weidlich auf einander, gehen von dannen, und wischen sich den Schweiß von [1259] der Stirne. Wer am ärgsten geschrieen und am unverschämtesten geschimpft hat, gilt für den Sieger. Indessen hat der große Haufe gewaltigen Respect vor ihnen, zumal Solche, die kein wichtigeres Geschäft abhält, sich vor sie hinzupflanzen, und von ihren Aufschneidereien und ihrem Geschrei sich übertölpeln zu lassen. Mir kamen die Bursche demnach immer als Windbeutel vor, und Was mich ärgert, ist nur, daß sie mir gleich sehen dem Barte nach. Ob sonst etwas Gemeinnütziges in ihrem Schreien liege, und ob für die Athener aus allen diesen Redensarten doch irgend ein Vortheil ersprieße, wüßte ich dir nicht zu sagen. Wiewohl, wenn ich ohne Umstände mit der Wahrheit herausrücken soll, so habe ich – du siehst ja, ich wohne hier wie auf einem Wartthurme – da habe ich schon Manche von ihnen mehr als Einmal gesehen, wie sie in später Abenddämmerung …

12. Gerechtigkeit. Schon gut, schon gut, Pan! – Horch! ist Das nicht Mercur’s Stimme?

Pan. Sie ist’s.

Mercur. Hört, ihr Leute, hört! „Heute, als an dem Siebenten des angefangenen Monates Elaphebolion [Februar] wird mit Gottes Hülfe Gerichtstag abgehalten werden. Alle Diejenigen, deren Sachen bereits anhängig, haben demnach auf dem Areopag zu erscheinen, woselbst die Justitia Jeglichem seine Richter mittelst Looses zuweisen, und den Richtern in Person zur Seite stehen wird. Richter werden gewählt aus allen Athenern insgesammt: das Spruchgeld aber beträgt drei Obolen von jedem Processe für den einzelnen Richter. Die Zahl der Richter bestimmt sich je nach dem Belange der Klage. Diejenigen, so etwa mit Tod abgegangen, bevor ihre [1260] anhängige Rechtssache zur Verhandlung kam, hat Aeacus anher zu beurlauben. Sollte endlich der Eine oder der Andere einen ungerechten Spruch erhalten zu haben vermeinen, Dem solle die Berufung auf Jupiter unbenommen bleiben.“

Pan. Ho ho! was Das ein Lärm ist! wie sie schreien, wie sie so eilfertig zusammenlaufen, wie Einer den Andern bei’m Kragen faßt, und mit ihm den steilen Areopag hinaufklimmt! – Ah! Mercur ist schon wieder hier. Nun so macht euch an euer Geschäft, looset und richtet nach Pflicht und Gewissen. Ich gehe wieder nach meiner Höhle, und pfeife mir eines von den Liebesliedchen, die meiner Echo so nahe an’s Herz gehen. Gerichtreden und Processe kann ich tagtäglich auf dem Areopag hören, und habe ihrer herzlich satt.

13. Mercur. Wir wollen jetzt die Parteien aufrufen, Schwester.

Gerechtigkeit. Gut. Sie kommen in Masse heran, wie du siehst, und es summt und saust wie ein Wespenschwarm um den ganzen Hügel herum.

Ein Athener. Halt, Schurke, du entrinnst mir nicht!

Ein Zweiter. Ein falscher Ankläger bist du!

Ein Dritter. Nun sollst du mir endlich d’ran!

Ein Vierter. Wart’, ich will dir deine Scheußlichkeiten aufdecken!

Ein Fünfter. [Zu Mercur.] Nimm doch meine Sache zuerst vor!

Ein Sechster. Vor Gericht mußt du mit mir, Schlingel!

Ein Siebenter. Erwürge mich doch nicht!

Gerechtigkeit. Weißt du, Was wir thun wollen, [1261] Mercur? Die übrigen Processe wollen wir auf morgen verschieben, und heute nur diejenigen vornehmen, welche von den Künsten, Wissenschaften und Lebensarten gegen einzelne Leute anhängig gemacht worden sind. Gib mir die Klagschriften Derselben her.

Mercur. [Liest.] „Die Trunkenheit gegen die Academie wegen Polemo’s, Punkto des Menschendiebstahls.“

Gerechtigkeit. Loose sieben Richter aus.

Mercur. „Die Stoa gegen die Wollust wegen Uebervortheilung, weil ihr von Dieser ihr Liebhaber Dionysius ist abgeführt worden.“

Gerechtigkeit. Fünfe sind genug.

Mercur. „Die Ueppigkeit gegen die Tugend, des Aristipp wegen.“

Gerechtigkeit. Auch Diesen sind Fünfe niederzusetzen.

Mercur. „Die Wechslerinnung gegen Diogenes wegen Desertion.“

Gerechtigkeit. Diesen verloose nur Drei.

Mercur. „Die Malerei gegen Pyrrho ebenfalls wegen Desertion.“

Gerechtigkeit. Darüber sollen Neune richten.

14. Mercur. Wollen wir nicht jetzt auch die beiden Klagen vornehmen, welche neulich gegen einen gewissen Rhetor angestellt worden sind?

Gerechtigkeit. Wir wollen erst die ältern erledigen: dann sollen auch diese zur Entscheidung kommen.

Mercur. Der Gegenstand dieser beiden Klagen hat jedoch so viele Aehnlichkeit mit jenen frühern, daß sie, wenn [1262] gleich jünger, doch zugleich mit diesen abgethan zu werden verdienen.

Gerechtigkeit. Wie mir scheint, Mercur, willst du Jemanden, der dich gebeten, einen Gefallen damit erweisen? Nun, es sey, wenn dir daran liegt. Aber jetzt keine weitern mehr! Wir haben schon genug an den bisherigen. Wie lauten die Titel dieser beiden Klagen?

Mercur. „Die Rhetorik gegen einen gewissen Syrer wegen Beschädigung.“ – „Der Dialog gegen Ebendenselben wegen Mißhandlung.“

Gerechtigkeit. Wer ist denn dieser Syrer? Sein Name ist nicht beigeschrieben.

Mercur. Loose ihm immer die Richter aus, unter der Benennung: „Dem Syrischen Rhetor.“ Der Name thut Nichts zur Sache.

Gerechtigkeit. Seltsam! Also auch ausländische Processe kommen nach Athen auf den Areopag zur Verhandlung, Processe, die von Rechtswegen jenseits des Euphrat hätten entschieden werden sollen. Je nun, loose elf Richter, die über beide Klagen urtheilen mögen.

Mercur. Schön, daß du etwas sparsam mit Richtern bist, Schwester, damit nicht zu Viel auf die Sporteln geht.

15. Gerechtigkeit. Jetzt werde vorerst zu Gerichte gesessen in Sachen der Akademie und der Trunkenheit. Gieße das Wasser auf, Mercur! Du, Trunkenheit, sprichst zuerst! – Warum schweigt sie denn? Warum wackelt sie so mit dem Kopfe? Gehe hin, Mercur, und frage sie, Was sie will.

Mercur. Sie spricht, sie sey außer Stand, ihre Sache selbst zu führen: die Zunge sey ihr vom Weine wie gelähmt; [1263] daher fürchte sie, vor dem gesammten Gerichte zum Gelächter zu werden. Du siehst ja, daß sie sich kaum auf den Beinen halten kann.

Gerechtigkeit. Je nun, so bestelle sie sich einen tüchtigen Sachwalter. Es sind Leute genug da, die bereit sind, um drei Obolen sich die Seele aus dem Leibe zu schreien.

Mercur. Ich fürchte nur, es wird Niemand Lust haben, so vor aller Welt der Trunkenheit sich anzunehmen. Doch – sie äußert ein Verlangen, das man gewiß nicht unbillig finden wird.

Gerechtigkeit. Nun Was denn?

Mercur. Die Academie ist jederzeit darauf gefaßt, über dieselbe Sache für und wider zu sprechen, und hat die Kunst förmlich einstudirt, einen Satz und sein Gegentheil gleich schön zu beweisen. Sie soll also zuerst für sie sprechen, meint die Trunkenheit: und dann möge sie es auch für sich selbst thun.

Gerechtigkeit. Das ist freilich eine neue Weise. Indessen, da es dir ja doch so leicht ankommt, Academie, so übernimm beide Vorträge.

16. Academie. So vernehmet denn, ihr Richter, vorerst die Anklagerede im Namen der Trunkenheit, für welche die Wasseruhr bereits zu fließen begonnen. Dieser Bedauernswerthen ist von mir, der Academie, das größte Unrecht geschehen, indem sie durch Letztere um den Anhänglichsten und Treuesten aller ihrer Diener, den Polemo, gebracht worden ist, in dessen Augen Nichts unanständig war, Was sie that. Dieser Polemo machte sich Nichts daraus, am hellen Tage mit einem Harfenmädchen mitten über den Markt zu [1264] jubeln, war vom Morgen bis in die Nacht betrunken, und ließ sich, das Haupt mit Blumen bekränzt, den lieben langen Tag aufspielen. Alle Athener werden mir bezeugen, daß ich die Wahrheit sage: denn Keiner von ihnen hatte den Polemo jemals nüchtern gesehen. Wie er bei seinem Herumschwärmen gewohnt war, in allen Häusern einzusprechen, so hatte er denn auch einmal das Unglück, vor die Thüre der Academie zu gerathen. Sogleich entriß Dieselbe der Trunkenheit diesen ihren Diener, machte ihn mit Gewalt zu dem ihrigen, lehrte ihn nüchtern werden, zwang ihn, Wasser zu trinken, zog ihm die Kränze vom Haupte, und plagte ihn, statt ihm die Trinkgelage, wo er hingehörte, zu erlauben, mit einer verzweifelten Menge verschrobener und kopfzerbrechender Redensarten, die er einstudiren mußte. Und nun ist aus dem blühenden, rothwangigen Jungen, der er war, ein ausgemergelter, bleichsüchtiger, armer Schlucker geworden, der seine lustigen Lieder alle vergessen hat, und hungrig und durstig bis in den späten Abend dasitzt, und den Unsinn herplappert, den ich, die Academie, ihm in Fülle beigebracht habe. Das Aergste ist noch, daß er sich jetzt von mir verleiten läßt, auf die Trunkenheit zu schimpfen, und ihr tausendfältiges Schlimme nachzusagen. – Dieß ist’s ungefähr, Was für die Trunkenheit zu sagen war. Nun will ich auch für mich selbst sprechen. Mir fließe also von jetzt an die Wasseruhr!

Gerechtigkeit. [Zu Mercur.] Was wird sie auf eine solche Anklage zu sagen wissen? Miß ihr immer eben so viel Wasser zu, als vorhin.

17. Academie. Es läßt sich zwar ganz wohl hören, ihr Richter, Was so eben die Sachwalterin der Trunkenheit [1265] vorgebracht hat. Wenn ihr jedoch auch mir ein geneigtes Gehör schenken wollet, so werdet ihr euch überzeugen, daß ich ihr durchaus kein Unrecht gethan. Diesen Polemo, den sie für ihren Diener ausgibt, einen Menschen, der seinem Naturell nach gut, und im Geringsten nicht mit der Trunkenheit, sondern mit mir verwandt war, Diesen hat sie als einen zarten, unverdorbenen Jüngling, mit Hülfe der Wollust, ihrer dienstfertigen Freundin, weggeraubt, um ihn auf’s kläglichste zuzurichten, und den Zechbrüdern und Buhldirnen preiszugeben, und auch das letzte Restchen von Schamgefühl in ihm auszutilgen. Glaubt mir, ihr Richter: alles Das, was vorhin ihrer Meinung nach für sie gesagt wurde, spricht lediglich für mich. Vom frühesten Morgen an zog der bedauernswürdige, niemals nüchterne Jüngling, sein weinschweres Haupt mit Kränzen umwunden und begleitet von Flötenspielerinnen, mitten über den Markt, und schwärmte von Haus zu Haus, zur Schande seiner Familie und der ganzen Stadt, und zum Gelächter aller Fremden. So kam er denn auch einmal zu mir, als ich eben, nach meiner Gewohnheit, bei offenen Thüren vor einem Kreise meiner Freunde über Tugend und Mäßigkeit sprach. Anfangs pflanzte er sich mit seinen Flöten und Kränzen gerade vor mich hin, und gab sich alle Mühe, mit Geschrei und Lärm mich zu verwirren, und unsere Unterhaltung zu stören. Da ich mich Nichts um ihn bekümmerte, so fing er an, zuzuhören: und wirklich hatte ihn die Trunkenheit noch nicht so ganz überwältigt, daß ihn mein Vortrag nicht vollends nüchtern gemacht hätte; allmählig nahm er seine Kränze ab, gebot der Flötenbläserin Stille, schämte sich seines üppigen Purpurrockes, und, wie aus einem [1266] tiefen Schlafe erwachend, durchschaute er auf Einmal, wie es mit ihm stand, und fluchte seinem bisherigen Leben. Da verschwand allmählig das Hochroth des Weines von seinen Wangen, und eine sanfte Schamröthe über seine Aufführung trat an dessen Stelle; und endlich, ohne daß ich ihn gerufen, geschweige Gewalt gebraucht hätte, wie Diese mir zur Last legt, sondern aus eigener Ueberzeugung, daß es so besser sey, entlief er seiner dortigen Knechtschaft, und ging zu mir über. Und nun ruft ihn herbei, ihr Richter, und laßt euch von ihm selbst sagen, wie er von mir gehalten sey. Diesen Menschen, der, wie ich ihn übernahm, ein Gegenstand des allgemeinen Gelächters war, der vor Betrunkenheit kein vernehmliches Wort von sich geben, und nicht einmal auf seinen Füßen stehen konnte, ihn habe ich zur Nüchternheit bekehrt, ihn habe ich aus einem Sclaven des Lasters zu einem ehrbaren, vernünftigen, der ganzen Nation viel werthen Manne gemacht, und er selbst, so wie alle seine Angehörigen, sind mir dankbar dafür. Ich bin zu Ende. An Euch ist’s nun, zu entscheiden, Welcher von uns Beiden anzugehören für ihn das Bessere sey.

18. Mercur. Frisch, ihr Richter, erhebt euch, stimmt ab. Haltet uns nicht lange auf: es sind noch mehr Processe zu erledigen.

Gerechtigkeit. Die Academie hat mit allen Stimmen gewonnen, bis auf eine einzige.

Mercur. Das wundert mich nicht, daß doch wenigstens auch Einer ist, der für die Trunkenheit entschied.

19. Nun setzen sich Diejenigen nieder, welchen das Loos zufiel, in Sachen der Stoa gegen die Wollust ihres Liebhabers [1267] wegen zu richten. Das Wasser ist aufgegossen. Du sprichst als Klägerin zuerst, Buntfarbige.[7]

20. Stoa. Es entgeht mir durchaus nicht, ihr Richter, daß ich es mit einer Gegnerin von sehr einnehmendem Aeußern zu thun habe; ich sehe, wie ein großer Theil von euch freundliche Blicke ihr zuwirft, während man mein glattgeschorenes Haupt, mein strenges, männliches Gesicht nur mit Widerwillen ansieht. Wenn ihr mit übrigens nur aufmerksam zuhören wollt, so getraue ich mir, euch zu überzeugen, daß meine Sache bei Weitem die bessere ist. Der Gegenstand meiner gegenwärtigen Anklage ist, daß diese so verführerisch herausgeputzte Buhlerin mit ihren verlockenden Blicken meinen ehemaligen Liebhaber Dionysius, diesen sonst so vernünftigen Mann, bethört, und ganz und gar zu sich hingezogen hat. Und so ist denn diese meine Sache ein Gegenstück zu derjenigen, welche so eben zwischen der Academie und der Trunkenheit entschieden worden ist. Erwäget also, ihr Richter, Welches das Bessere sey, mit erdwärts gesenktem Haupte, den Schweinen gleich, sein Leben in Lüsten zu verbringen, ohne je zu großen und würdigen Gesinnungen sich zu erheben, oder, das sinnlich Angenehme dem Guten nachsetzend, freisinnig, wie es Freien geziemt, nach wahrer Weisheit zu streben, und sich nicht vor körperlichem Schmerze als einem unbesiegbaren Uebel zu fürchten, noch auch, gemeinen Sclavenseelen gleich, die Sinnenlust über Alles zu schätzen, und das [1268] höchste Gut in Honig und süßen Feigen zu suchen. Denn solche Dinge sind der Köder, welchen meine Gegnerin thörichten Leuten vorhält, und Arbeit und Beschwerden das Schreckbild, womit sie Dieselben mir abspenstig zu machen und in Menge an sich zu ziehen weiß. Dieß ist ihr denn auch mit diesem Unglücklichen gelungen, indem sie schlau genug die Zeit abpaßte, wo er krank war. Denn wäre er gesund gewesen, er hätte ihren Worten gewiß kein Gehör gegeben. Dennoch – wie mag ich mich noch über eine Dirne beschweren, die nicht einmal der Götter schont, sondern sogar über die Vorsehung ihre Lästerungen ergießt? Daher, wenn ihr vernünftig richten wollt, müßt ihr sie auch der Gottlosigkeit wegen zur Strafe ziehen. Ich habe mir zwar sagen lassen, daß sie nicht darauf vorbereitet sey, ihre Sache selbst zu führen, sondern an ihrer Statt den Epicur auftreten lassen wolle: so wenig Achtung erweist die bequeme Schwelgerin dem Gerichte! Aber Das fragt sie doch wenigstens, Was sie glaube, daß aus Hercules und aus eurem Theseus geworden wäre, wenn sie der Wollust Gehör gegeben, und Arbeit und Beschwerden geflohen hätten? Wie voll von Ungerechtigkeit würde unfehlbar die Welt jetzt seyn, wenn Diese nicht für uns Alle gearbeitet hätten? Doch ich schließe, denn ich bin keine Freundin von vielen Worten. Wollte sie übrigens mir in einem ganz kurzen Zweigespräche zur Rede stehen, so würdet ihr euch alsbald überzeugen, wie nichtig ihr ganzes Wesen ist. Ihr aber seyd eingedenk eures Richtereides, gebt eure Stimmen gewissenhaft ab, und laßt euch nicht von Epicur verführen, wenn er euch vorschwatzt, daß die Götter von Dem, was bei uns vorgehe, keine Kenntniß nehmen.

[1269] Mercur. Trete ab! Epicur spreche im Namen der Wollust.

21. Epicur. Ich werde keine lange Rede halten, ihr Richter: unsere Sache bedarf deren nicht. Hätte freilich die Wollust den Dionysius, welchen die Stoa für ihren Liebhaber ausgibt, mittelst Zauberformeln oder eines magischen Tränkchens dahin gebracht, daß er von Jener sich abwandte und ihr sich hingab, so würde sie mit allem Rechte als Giftmischerin angeklagt und des Verbrechens schuldig befunden werden, fremde Liebhaber behext zu haben. Wenn aber ein freier Mann in einer freien Stadt, deren Gesetze in solchen Dingen Nichts bestimmen, endlich einen Ekel faßte an der Widerlichkeit seiner Geliebten, die Glückseligkeit, welche ihm Diese als das letzte Ergebniß der äußersten Beschwerden und Entbehrungen vorspiegelte, für einen albernen Traum hält, den Irrgängen ihrer Sophistereien und verwickelten Beweisführungen entläuft, die lästigen Fesseln ihrer spitzfindigen Dialectik zerreißt, und mit vollem freiem Willen unter das Panier des Vergnügens sich stellt, um endlich einmal zu denken wie ein Mensch, nicht wie ein Narr, und die Beschwerde für Das, was sie ist, für beschwerlich, und das Angenehme für angenehm zu halten – wie sollten wir, nun er dem Hafen zugeschwommen aus dem Schiffbruche, statt ihm die Ruhe zu gönnen, nach der er sich sehnte, den Unglücklichen wieder hinausstoßen und abermals dem Andrange aller Mühseligkeiten preisgeben, da er sich doch zu dem Vergnügen, wie ein Schutzflehender zu dem Altare des Mitleids, flüchtete? Doch nein – er soll ja, wenn er unter vielem Schweiße den Gipfel der steilen Höhe erklommen, die so viel gepriesene Tugend [1270] leibhaftig zu Gesichte kriegen: er soll, sagt man, wenn er sich das ganze Leben hindurch abgequält hat, am Ende noch selig werden, wenn er – nicht mehr ist. Gewiß, ihr Richter, Niemand könnte über diese Sache richtiger urtheilen, als eben Dionysius selbst, welcher die Lehre der Stoa so gut als Einer kennt, und das Sittlichschöne, wovon sie spricht, nur so lange für das einzig Gute hielt, bis die Erfahrung ihn belehrte, daß der Schmerz ein Uebel sey, wo er denn aus beiden Systemen dasjenige annahm, was ihm das bessere schien. Es entging ihm nicht, denke ich, wie gerade Die, welche das Arbeiten, Entbehren, Beschwerde ertragen, am meisten im Munde führen, in ihrem Privatleben dem sinnlichen Vergnügen gar gerne fröhnen, wie sie in Worten zwar starke Helden sind, zwischen ihren Wänden jedoch sich nach den Forderungen der Wollust bequemen, und wie sie sich zwar schämen, vor den Augen der Welt im Mindesten von der Strenge ihrer Regel nachzulassen und ihren eigenen Dogmen ungetreu zu werden, und daher lieber alle Qualen des Tantalus sich gefallen lassen, hingegen, sobald sie glauben, unbemerkt und sorglos d’rauf los sündigen zu können, die sinnliche Lust in vollen Zügen trinken. Man gebe ihnen den unsichtbar machenden Ring des Gyges, oder den Helm des Pluto, ich weiß gewiß, diese Gesellen würden aller Arbeit und Beschwerde ewigen Abschied geben, würden sich der Wollust mit Ungestüm in die Arme werfen, und sammt und sonders dem Dionysius nachfolgen, der, ehe er krank wurde, Wunder glaubte, von welcher Kraft jene Declamationen über Geduld und Ausdauer wären, sobald aber eine Krankheit ihn ergriffen, und der Schmerz jetzt Ernst machte, wohl [1271] fühlte, wie gründlich sein Körper der Stoa entgegen philosophirte, und daher, so wie er inne ward, daß er ein Mensch mit einem menschlichen Leibe sey, lieber diesem, als jenen Tiraden glaubte. Und von Stunde an entsagte er der Thorheit, seinen Leib als eine kalte Bildsäule anzusehen, wohl wissend, daß

Wer anders spricht, und predigt wider Sinnenlust,
Des Schwatzens nur sich freut, doch denkt, wie And’re auch.[8]

Ich habe gesprochen. Schreitet zur Abstimmung!

22. Stoa. Noch nicht! Erlaubt mir zuvor einige wenige Fragen.

Epicur. Frage immer: ich werde dir zu antworten wissen.

Stoa. Du hältst also alles Ungemach für ein Uebel?

Epicur. Ja.

Stoa. Und das Vergnügen für ein Gut?

Epicur. Allerdings.

Stoa. Aber weißt du auch, Was differente und indifferente, vorziehliche und unvorziehliche Dinge sind?[9]

Epicur. Ja.

Mercur. Höre, Stoa, die Richter sagen, sie verstehen Nichts von diesen einsylbigen Fragen und Antworten. Gebt euch also zufrieden: sie stimmen ja schon.

Stoa. Ich hatte gewonnen, wenn ich noch eine Frage in der dritten Figur des Unbeweisbaren hätte thun dürfen.

Gerechtigkeit. Wer ist Sieger?

Mercur. Die Wollust mit allen Stimmen.

[1272] Stoa. Ich appellire an Jupiter.

Gerechtigkeit. Viel Glück dazu! – [Zu Mercur.] Rufe die folgenden Parteien auf.

23. Mercur. Die Tugend gegen die Ueppigkeit, den Aristipp betreffend, welch Letzterer ebenfalls zu erscheinen hat.

Tugend. Mir, der Tugend, gebührt zuerst das Wort. Aristipp ist mein, wie seine Worte und all sein Thun beweisen.

Ueppigkeit. Mit nichten! Ich darf zuerst reden. Der Mann gehört mir: seine Kränze, sein Purpurkleid, sein Salbenduft sprechen ihn mir zu.

Gerechtigkeit. Zankt euch doch nicht! Die Sache bleibt ausgesetzt, bis Jupiter wegen des Dionysius entschieden haben wird. Denn diese beiden Rechtsfälle sind sich, wie ich sehe, völlig ähnlich. Gewinnt also die Wollust, so soll die Ueppigkeit ihren Aristipp haben. Siegt hingegen die Stoa, so wird Derselbe der Tugend zugesprochen werden. Nun sollen die nächsten Parteien vortreten. Aber – fast hätte ich vergessen – hörst du, Mercur, daß mir Diese da keine Sporteln bekommen! Die Sache ist ja nicht zur Entscheidung gekommen.

Mercur. Sollen denn diese betagten Leute den langen Weg da herauf umsonst gemacht haben?

Gerechtigkeit. Sie mögen den dritten Theil erhalten: damit können sie zufrieden seyn. – So geht denn, und macht keine so bösen Gesichter: es wird ein andermal wieder Etwas zu richten geben.

24. Mercur. Nunmehr hat Diogenes von Sinope zu erscheinen, und die Wechslerinnung soll reden.

[1273] Diogenes. Wenn Diese nicht endlich einmal aufhört, mich zu incommodiren, so wird sie sich, so wahr ich lebe, weniger über meine Desertion, als über die dicken Schwielen zu beklagen haben, die ihr mein Knüttel da alsogleich aufmessen soll!

Gerechtigkeit. Was ist Das? Die Wechslerin läuft davon, und der Andere mit aufgehobenem Stocke hinterher! Das wird nicht gut ablaufen für das arme Ding. – Rufe den Pyrrho auf!

25. Mercur. Die Malerei ist zwar da, allein Pyrrho ist gar nicht gekommen. Ich dachte mir gleich, daß er es so machen würde.

Gerechtigkeit. Warum denn?

Mercur. Weil er glaubt, daß es überall kein wahres Urtheil gebe.

Gerechtigkeit. Nun so verurtheilen sie ihn in contumaciam. – Jetzt lade den Syrischen Schriftsteller vor, wiewohl die Klagen gegen ihn erst ganz kürzlich anhängig geworden sind, und daher die Sache eben nicht dringlich ist. Indessen, da du es wünschest, so eröffne immer die Verhandlung, und zuerst in Sachen der Rhetorik. – Hilf Himmel! welcher Zusammenlauf von Neugierigen!

Mercur. Kein Wunder: dieser, wie du selbst sagtest, erst gestern angemeldete Proceß ist die Neuigkeit des Tages, und eben so neu in seiner Art. Die Hoffnung, die Rhetorik und den Dialog wechselsweise als Kläger auftreten zu sehen, und zu hören, wie sich der Syrer gegen Beide zugleich vertheidigen wird, hat eine solche Menge zu dieser Verhandlung herbeigezogen. – So beginne denn, Rhetorik!

[1274] 26. Rhetorik. Zuvörderst, ihr Athener, bitte ich alle Götter und alle Göttinnen, daß sie mich dieselbe aufrichtige Zuneigung, welche ich jederzeit gegen die Stadt und gegen euch Alle gehegt, nunmehr auch von euch in meinem gegenwärtigen Rechtsstreite erfahren lassen; sodann, daß sie, Was gewiß höchst billig ist, euch in den Sinn geben mögen, meinen Widersacher schweigen zu heißen, mir hingegen zu gestatten, meine Anklage so, wie ich mir vorgenommen und bei mir selbst überlegt habe, auszuführen.[10] Wenn ich freilich auf die Reden sehe, welche ich von meinem Gegner höre, so muß ich ganz anders von ihm denken, als wenn ich betrachte, Was er mit der That mir zufügt. Die Worte, die er vor euch machen wird, werden meiner Art zu reden ganz ähnlich seyn. Allein mit seinem Betragen gegen mich ist es, wie ihr sehen werdet, dahin gekommen, daß ich sehr darauf bedacht seyn muß, gegen eine noch ärgere Begegnung mich sicher zu stellen. Doch, damit mein Wasser nicht länger nutzlos zerrinne, will ich ohne weitern Eingang zu der Anklage selbst schreiten.

27. Diesen Mensen, meine Richter, traf ich als einen ganz jungen Burschen in Ionien, als er noch eine rauhe, barbarische Mundart sprach, und kaum eben den Kandys, die Assyrische Tracht seiner Heimath, abgelegt zu haben schien. Er lief damals in der Welt umher, ohne recht zu wissen, Was er aus sich machen sollte. Da nahm ich mich seiner an, und ertheilte ihm Unterricht. Wirklich fand ich an ihm einen [1275] gelehrigen Schüler, der kein Auge von mir verwandte, der mir, und mir allein, mit Hochachtung und Bewunderung ergeben war. Daher setzte ich denn alle die schönen, reichen und vornehmen jungen Leute, die um mich freiten, hintan, und gab meine Hand diesem Undankbaren, so arm, niedrig und unerfahren er auch war: ich brachte ihm eine ansehnliche Mitgift in einem reichen Vorrathe vortrefflicher Reden zu, führte ihn bei meinen Zunftgenossen ein, ließ ihn bei ihnen einschreiben, und machte ihn zum Bürger, so daß Diejenigen vor Verdruß fast vergingen, welche vergeblich um meine Hand geworben hatten. Und als es ihm gut dünkte, auf Reisen zu gehen, und die Welt das Glück seiner Verbindung mit mir sehen zu lassen, auch da ging ich ihm nicht von der Seite, ließ mich von ihm Land aus Land ein führen, und umgab ihn allenthalben mit Ruhm und Ehren. Und nicht genug, daß ich Das bloß in Griechenland und Ionien that: auch da er Italien bereisen wollte, schiffte ich mit ihm über das Adriatische Meer, und folgte ihm endlich sogar nach Gallien, wo ich ihm zu einem sehr reichlichen Einkommen verhalf. So war er mir lange Zeit zugethan, und war mir ein so treuer Gesellschafter, daß er auch nicht Eine Nacht von meiner Seite sich entfernte.

28. Allein wie er sich gehörig besackt hatte, und einen hinlänglich berühmten Namen sich gemacht zu haben glaubte, fing er an, die Nase höher zu tragen. Er wurde nun täglich vornehmer gegen mich, vernachläßigte mich immer mehr, und ließ mich endlich gänzlich sitzen. Jetzt verliebte er sich ganz förmlich in den bärtigen Gesellen dort, in den Dialogus, dessen Verwandtschaft mit der Philosophie, für deren Sohn [1276] er gilt, schon sein Aeußeres verräth. Mit diesem seinem Lieblinge, wiewohl er ungleich älter ist, als er, steckt er nun täglich zusammen, und schämt sich nicht, das Freie und Fortlaufende der Redeweise, wie sie mir eigen ist, zu zerstören, seine Worte auf närrische Art in Frage und Antwort zu zwängen, und, statt daß er seine Gedanken mit rednerischer Fülle ausdrücken sollte, kurze Sätzchen, oft nur einzelne Worte und Sylben an einander zu schieben. Rauschenden und allgemeinen Applaus kann Das nun freilich nicht eintragen: wohl aber wird vielleicht hie und da ein Lächeln der Zuhörer sichtbar, ein mäßig lebhaftes Aufheben und Bewegen der Hände, ein leises Nicken mit dem Kopfe; zuweilen lassen sich, bei rührenden Stellen, wohl auch einige Seufzer vernehmen; und Das ist’s, wonach den Ehrenmann verlangt, und um dessen willen er mich verachten konnte! Doch ich höre ja sagen, daß er auch mit diesem seinem neuen Lieblinge nicht mehr im besten Vernehmen stehe: ohne Zweifel hat er auch Diesen seinen Uebermuth schon fühlen lassen.

29. Habe ich also Unrecht, wenn ich behaupte, daß dieser Undankbare den Strafgesetzen über Mißhandlung verfallen sey, da er mich, seine rechtmäßige Ehegattin, die ihm so Vieles zugebracht, der er seinen ganzen Ruhm verdankt, so gänzlich verlassen, beschimpft, und seine Neigung einem andern Verhältnisse zugewandt hat? Und Das noch zu einer Zeit, wo ich allenthalben der größten Achtung genieße, und wo Alle die Ehre suchen, auf der Liste der Zunft zu stehen, deren Vorsteherin ich bin? Und dennoch, so viele Ihrer um meine Gunst buhlen, an meine Thüre pochen, und mit lauter Stimme mich bei’m Namen rufen, ich widerstehe ihrem Andrange, [1277] und höre sie nicht und öffne ihnen nicht: denn ich sehe, daß sie außer der Tüchtigkeit, zu schreien, Nichts weiter mitbringen. Aber auch Dieß vermag den Treulosen nicht, sich zu mir zu bekehren. Alle seine Blicke sind nur auf seinen geliebten Dialogus gerichtet. Die Götter aber mögen wissen, welches Heil er sich von Diesem verspricht: ich wenigstens sehe außer seiner Philosophenkutte durchaus Nichts an ihm. Ich schließe, ihr Richter, und bitte euch nur, wenn er auf meine Weise sich verantworten will, ihm Dieß nicht zu gestatten. Es wäre doch wohl ungereimt, ihn wider mich mein eigen Schwert wetzen zu lassen. Er möge sich in der Manier seines lieben Dialogus verantworten, wenn er kann.

Mercur. Das kannst du nicht verlangen. Es geht nun einmal nicht an, daß er allein in der Form des Dialog sich vertheidige. Auch er soll in fortlaufender Rede sprechen.

30. Syrer. Nun, da doch meine Gegnerin ungehalten würde, wenn ich einen langen zusammenhängenden Vortrag halten wollte, weil ich ja diese Kunst nur von ihr empfangen hätte; so will ich mich kurz fassen, meine Richter. Ich werde mich begnügen, den Hauptpunkt ihrer Anklage zu entkräften, und sodann das Ganze eurem Urtheile überlassen. In Allem, was sie von mir erzählt, hat sie die Wahrheit gesprochen: sie hat mich unterrichtet, hat mich auf meinen Reisen begleitet, hat mir das Griechische Bürgerrecht verschafft, und in sofern habe ich der Verbindung mit ihr allerdings Vieles zu danken. Vernehmet aber auch die Gründe, warum ich mich von ihr getrennt und mich dem Dialogus zugewandt habe, und haltet euch überzeugt, daß ich mir um meines Vortheils willen keine Lüge erlauben werde.

[1278] 31. Ich fand nämlich, daß sie das vernünftige Betragen und die einfache, würdevolle Haltung, welche sie damals behauptete, als der große Päanier [Demosthenes] sie zur Lebensgefährtin wählte, abzulegen anfing; sie putzte sich heraus wie eine Hetäre, ordnete ihre Haare auf’s künstlichste, schminkte sich und färbte die Augbraunen, so daß ich argwöhnisch wurde, und ihre Blicke von jetzt an schärfer beobachtete. Erlaßt mir das Nähere über Das, was ich Alles sehen mußte: kurz, es verging keine Nacht, wo nicht die Straße vor unserer Wohnung voll betrunkener Liebhaber war, die meiner Frau ein Ständchen brachten, an die Thüre klopften, und bisweilen die Unverschämtheit so weit trieben, mit Gewalt eindringen zu wollen. Meine Frau lachte und hatte ihre Freude an dem Spectakel, lehnte sich über die Gallerie des Daches heraus, und hörte den Burschen zu, wie sie aus ihren rauhen Kehlen verliebte Liederchen zu ihr hinaufsangen. Einigemal, wenn sie glaubte, daß ich es nicht merkte, öffnete ihnen die Lüderliche sogar die Thüre, und gab sich ihren ehebrecherischen Liebkosungen hin. So unerträglich mir Dieß war, so hielt ich es doch nicht für der Mühe werth, eine Ehebruchs-Klage deßwegen anzustellen, sondern zog vor, zu meinem Nachbar Dialogus, hinüberzuziehen und bei ihm sofort meinen Aufenthalt zu nehmen.

32. Das ist denn nun das große Unrecht, ihr Richter, welches ich der Rhetorik angethan haben soll. Doch – wenn die Aufführung Derselben auch nicht die gewesen wäre, die sie war, so konnte es einem Manne von vierzig Jahren überhaupt nicht zu verargen seyn, wenn er des lärmenden Gezänkes in den Gerichtshöfen endlich los seyn, und den Geschwornen [1279] seinerseits nicht länger zu schaffen machen wollte, sondern, statt gegen Tyrannen zu declamiren und große Männer zu preisen, lieber in Gemeinschaft des guten Dialogus im Schatten der Academie und des Lyceums lustwandelt, und, unbekümmert um Beifall und Bewunderung der Menge, friedliche Gespräche pflegt. Ich hätte euch noch Vieles zu sagen: doch es mag genug seyn. Stimmet nun ab, eures Eides eingedenk.

Gerechtigkeit. Wer hat gewonnen?

Mercur. Der Syrer mit allen Stimmen, bis auf Eine.

Gerechtigkeit. Ohne Zweifel ist’s ein Rhetor, der die seinige versagte.

33. Nun soll der Dialogus reden, und zwar vor denselben Richtern. Bleibt also da, ihr Richter: ihr sollt dafür auch die doppelten Sporteln erhalten.

Dialogus. Ich wünschte freilich, ihr Richter, Was ich euch zu sagen habe, nicht in gedehnter Rede, sondern kurz, nach meiner gewohnten Weise, aussprechen zu dürfen. Indessen will ich mich dennoch nach der Sitte der Gerichtshöfe richten, so unerfahren und ungeschickt ich auch hierin seyn mag. Mit diesem meinem Eingange bitte ich euch vorlieb zu nehmen. Die ungerechte und kränkende Behandlung aber, die ich von diesem Syrer erlitten, besteht in Folgendem: Ich war nämlich sonst immer ein ernsthafter und feierlicher Mann, der über Götter, Natur und Weltall philosophirte, und hoch über den Wollen in den Regionen des Aethers einherschritt, da, wo der große Zeus auf seinem geflügelten [1280] Wagen daherfährt.[11] Schon hatte ich mich über das Himmelsgewölbe hinausgeschwungen, und wandelte auf dem Rücken des Firmaments umher, als dieser Mensch mich herabzog, die Schwingen mir zerbrach, und mich der gemeinen Menge gänzlich gleich stellte. Meine ernste, philosophisch-tragische Maske zog er mir ab, und legte mir dafür eine komische Satyrslarve an, in welcher ich zum Gelächter werde. Hierauf sperrte er mich zum Spott, zum Jambus, zum Cynismus, zu Eupolis und Aristophanes ein, zu Leuten, die abscheulich genug sind, alles Ehrwürdige, Schöne und Gute mit ihrem scharfen Witze lächerlich zu machen. Endlich hat er sogar Einen von den längst verstorbenen Cynikern, einen gewissen Menippus, den bissigsten aller Cynischen Hunde, der um so gefährlicher ist, weil er die Leute sogar lachend, und ehe sie sich’s versehen, beißt, aus seiner Grube gegraben und mir zugesellt. Ist Dieß also nicht eine entsetzliche Mißhandlung, daß er mir meinen eigenthümlichen Charakter genommen und mich gezwungen hat, den Komödianten und Possenreißer zu machen, und Rollen zu spielen, die meiner Natur ganz zuwider sind? Und was das Abenteuerlichste ist, er hat ein ganz seltsames Zwitterding aus mir gemacht: ich werde nicht von Rhythmen getragen, und gehe doch auch nicht zu Fuße, sondern muß Allen, die mich sehen, als ein wunderlich zusammengesetztes Monstrum, als eine Art Centaur vorkommen.

34. Mercur. Nun, Syrer, Was weißt du hierauf zu erwiedern?

[1281] Syrer. Der Rechtsstreit, welchen ich hier zu bestehen habe, kommt mir allerdings sehr unerwartet, meine Richter! Ich dachte alles Andere eher, als daß der Dialogus so von mir reden würde. Dieser Dialogus kam, als ich in Verbindung mit ihm trat, den meisten Leuten als ein sauersichtiger Geselle vor: er war von dem ewigen Fragen und Antworten ganz ausgemergelt, und wiewohl man immer einen gewissen Respect vor ihm hatte, so fanden doch die Meisten sein Wesen durchaus nicht einnehmend und unterhaltend. Das Erste war nun, daß ich ihn gewöhnte, auf ebener Erde zu gehen, wie andere Sterbliche: sodann gab ich ihm ein angenehmeres Aussehen, indem ich seinen vielen Schmutz abwusch, und ihn zu einem freundlichen Lächeln nöthigte. Endlich aber gesellte ich ihm die Komödie bei, und erwarb ihm dadurch die völlige Zuneigung Aller, die sich bisher, der vielen Dornen wegen, wovon er wie ein Igel starrte, nicht getraut hatten, ihm zu nahe zu kommen. Aber ich weiß recht gut, warum er ungehalten ist: es verdrießt ihn, daß ich mich nicht zu ihm hinsetze und über müßige und subtile Fragen mit ihm spintisire, z. B. ob die Seele unsterblich sey, wie viele Nösel der reinen und sich immer gleichen Materie Gott in den großen Krug, worin er Alles durch einander mischte, gegossen habe, als er die Welt verfertigte, und ob die Rhetorik das Bild eines Theilchens der Politik und der vierte Theil der Schmeichlerkunst[12] sey? Dergleichen Schnickschnack auszustudiren, juckt ihn nicht minder, als den Krätzigen, feinen Schorf zu kratzen, [1282] und er weiß sich außerordentlich Viel damit, wenn es heißt, es sey nicht Jedes Sache, Das, was sein Scharfblick an den Ideen geschaut hat, auch zu schauen. Das verlangt er nun auch von mir, und begehrt seine Flügel wieder, um abermals über dem Betrachten der überirdischen Dinge nicht zu sehen, Was zu seinen Füßen liegt. Sonst wüßte ich nicht, Was er über mich zu klagen hätte: wenigstens kann er nicht sagen, daß ich ihm sein Griechisches Gewand abgezogen, und ihn, wiewohl ich selbst ein Ausländer bin, in ein barbarisches Kleid gesteckt habe. Denn hätte ich ihm seine vaterländische Tracht geraubt, so wäre ich allerdings den Gesetzen verfallen. Ich führte meine Sache, so gut ich konnte. Stimmet nun auch jetzt, wie das Erstemal.

35. Mercur. Gewonnen, Syrer, gewonnen, abermals mit allen Zehen. Denn der Elfte hat auch jetzt wieder mit den Uebrigen sich nicht vereinigen können. Er hat es so an der Art, überall unbesehen seinen durchbohrten [verurtheilenden] Stein einzulegen: mag er doch fortfahren, sich mit dem Neide gegen brave Leute zu quälen. – Nun geht in Gottes Namen nach Hause, ihr Leute! Morgen wollen wir die noch übrigen Sachen verhandeln.



  1. S. der überwies. Jup. 14. Herodot I, 47.
  2. Parodie von Hippocrates περὶ φυσῶν I, 6.
  3. Parodie von Od. II, 1. 2.
  4. Anspielung auf ebend. 3.
  5. Die Eumeniden oder Erinnyen.
  6. Die Acropolis und den Areopag.
  7. Die Stoa pöcile, die bunte Halle, in welcher Zeno und seine Nachfolger lehrten, und von welcher sie den Namen Stoiker erhielten, war eine Gemäldegallerie in Athen.
  8. Parodie von Eurip. Phöniz. 370. f.
  9. S. die Versteigerung der philos. Orden 21.
  10. Dieser und die zunächst folgenden Sätze sind größtentheils aus den Eingängen der Demosthenischen Rede für den Kranz und den dritten Olynthischen geborgt.
  11. S. Plat. Phädr. §. 56.
  12. Anspielung auf einen Scherz des Socrates in Plato’s Gorgias.