Textdaten
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Autor: Karl Fiedler
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Titel: Der deutsche Schiller-Preis
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 751–752
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: zum Schiller-Preis
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[751]

Der deutsche Schiller-Preis.[1]

Der hundertjährige Geburtstag Schiller’s, der 10. November 1859, gab die Veranlassung zum Entstehen des Schiller-Preises. Der damalige Prinzregent von Preußen, der jetzige Kaiser Wilhelm, betheiligte sich an dem großen Schiller-Feste durch eine seiner edelsten Thaten: er bestimmte „tausend Thaler in Gold und eine goldene Denkmünze für das beste in dem Zeitraume von drei Jahren bekannt gewordene Werk der deutschen dramatischen Dichtkunst“.

In elf Paragraphen wurden ursprünglich die Preisbestimmungen niedergelegt. Eine laut Paragraph 1 durch den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten alle drei Jahre neu zu ernennende Commission von neun Mitgliedern sollte über gewissenhafte Ausführung der übrigen zehn Paragraphen wachen.

Dreimal ward statutenmäßig der Schiller-Preis ertheilt.

Den ersten Preis erhielt 1863 einer der hervorragendsten deutschen Dramatiker, Friedrich Hebbel, für seine „Nibelungen“-Trilogie. Den zweiten empfing 1866 ein damals noch unbekannter junger hoffnungsvoller Dramatiker, Albert Lindner, für seine Tragödie „Brutus und Collatinus“. Die dritte Krönung ward 1869 dem beliebtesten deutschen Lyriker, Emanuel Geibel, für seine poesievolle dramatische Schöpfung „Sophonisbe“ zu Theil. Durch diese Dichterkrönungen hatten die betreffenden Commissionen den Intentionen des hohen Stifters zu entsprechen gestrebt, welche namentlich in Paragraph 6 der Statuten ihren Ausdruck finden:

„Zur Auswahl werden nur solche in deutscher Sprache verfaßte Originalwerke der dramatischen Literatur zugelassen, welche durch eigenthümliche Erfindung und gediegene Durchbildung in Gedanken und Form einen bleibenden Werth haben. Dabei sind solche Werke besonders zu berücksichtigen, welche zur Aufführung auf der Bühne sich vorzugsweise eignen, ohne doch dem vorübergehenden Geschmacke des Tages zu huldigen.“

Die Commissionen von 1872, 1875 und 1878 fanden keine deutsche Dichtung der Krönung würdig, obschon die Mitglieder der letztgenannten Commission durch Einberufungsschreiben des hohen Ministeriums dahin verständigt wurden:

„daß jene Worte (des Paragraphen 6) nicht in einer Strenge zu fassen seien, welche vielleicht selbst hervorragende Werke unserer classischen Literatur zur Zeit ihrer Entstehung von dem Preise ausgeschlossen haben würde. Sei der bleibende Werth dramatischer Werke nur in seltenen Ausnahmen unmittelbar nach ihrem Erscheinen mit vollkommener Zuversicht zu constatiren, so werde man immerhin dem, was in seiner Zeit nach dem Urtheile ernster und sachverständiger Männer eine hervorragende Bedeutung habe, in gewissem Sinne einen bleibenden Werth unter allen Umständen anerkennen dürfen.“

Trotz dieser einsichtsvollen Verständigung fand die Commission keine deutsche Dichtung der Krönung würdig, doch hat sie in Folge derselben einstimmig den Beschluß gefaßt:

„nicht drei Stücke zur Krönung vorzuschlagen, sondern drei dramatische Dichter, die sich wiederholt und auch im laufenden Triennium um die deutsche Bühne verdient gemacht.“

So wurden die Herren Franz Nissel, Adolf Wilbrandt und Ludwig Anzengruber gekrönt. Nissel und Anzengruber sind Oesterreicher; Wilbrandt ist Mecklenburger, wurzelt aber mit seinem dichterischen Schaffen ebenfalls in Oesterreich.

Das Urtheil der Commission ist viel angefochten worden. Vielleicht daß man nur nicht verstand, was es verblümt sagen will. Die Commission krönt statt dramatischer Dichtungen drei Dichter wegen wiederholter Verdienste um die deutsche Bühne „auch im letzten Triennium“. Welche Verdienste? Ich wüßte nicht, worin sie bestehen sollten, wenn nicht in den dramatischen Arbeiten der genannten Dichter. Nun aber: sind diese Arbeiten auch die im „laufenden Triennium“, verdienstvoll, warum krönt man dann nicht statutengemäß diese Arbeiten? Wozu dann die neue Form der Motivirung?

Das ganze Verfahren kann keinen andern Zweck haben, als den: die Commissionen von 1872 und 1875 auf eine möglichst unverfängliche Weise zu desavouiren. Denn thatsächlich desavouirt sind dieselben durch die letzte Commissionsentscheidung; die „wiederholt erworbenen Verdienste“ der gekrönten Dichter fallen eben in die Jahre 1869 bis 1875. War es doch 1875, daß der nämliche Adolf Wilbrandt von anderer Seite her als „krönungswürdig“ erkannt wurde, indem er für sein Trauerspiel „Gracchus der Volkstribun“ den ersten „Grillparzer-Preis“ empfing.

Wie dem auch sei: daß die beiden Commissionen von 1872 und 1875 verkehrt gehandelt, ist zweifellos. Ein „bestes Stück“ aus dem für jede Commission in Frage kommenden Triennium war vorhanden, und mochte es ästhetisch eine Höhe haben, welche es wollte: den Absichten des Stifters war mit der Verweigerung jeder Krönung sicher am allerschlechtesten gedient.

Wenn der Schiller-Preis einen Zweck haben soll, so kann es nur der sein: das deutsche Drama zu beleben, indem er einmal dem erfolgreichen Streben zur Belohnung, der tüchtigen Kraft zum Sporn und zum Läuterungsmittel für ihre künstlerischen Ziele wird, dann aber auch, indem er durch den Hinweis auf die werthvollsten neueren Ausführungsobjecte die Bühne bereichert. Jene Commissionen sind weder der ersten noch der zweiten Absicht gerecht geworden.

Aber wie steht es in dieser Hinsicht mit den anderen Commissionen?

Was Punkt Eins betrifft, so verdienen die ersten drei Commissionen, von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet, volle Anerkennung. Auch die letzte hat sich, angesichts der vorliegenden Schwierigkeiten, mit Anstand aus der Sache gezogen.

Anders verhält es sich mit Punkt Zwei. Die von den ersten drei Commissionen gekrönten Stücke sind kaum noch auf dem Repertoire der ersten deutschen Bühnen zu finden. Unter den drei Helden der letzten Preisvertheilung haben Wilbrandt und Anzengruber ohne Zweifel Lebensfähiges geschrieben, während in [752] Bezug auf Nissel die Acten noch nicht geschlossen sind. Wilbrandt’s „Gracchus“ ist freilich todt, ebenso wie es zwei, allerdings auch nicht mit dem Schiller-Preise, sondern von anderer Seite gekrönte Stücke sind: Schauffert’s „Schach dem König“ und „Gaßmann’s „Schwabenstreiche“.

Mir scheint aus alledem hervorzugehen, daß in der bisherigen Praxis und – vielleicht auch in der Zusammensetzung der Preisrichtercommissionen etwas faul war.

Mag man es der letzten Commission hingehen lassen, daß sie sich darauf beschränkte – wie sie durch ihren Schrift- und Wortführer Julian Schmidt offen erklärt hat – „durch ihre technischen Mitglieder, die Intendanten und Directoren der größeren deutschen Theater, ‚amtlich constatiren‘ zu lassen, daß sie von den aufgeführten oder zur Aufführung vorgelegten Stücken keines zu nennen wüßten, das einer so hohen Auszeichnung würdig wäre.“

Ihre Lage war eine sehr schwierige; sie mußte sich den Boden schaffen, um zugleich die Fehler der beiden Vorgängerinnen zu corrigiren und ihrer eigenen Aufgabe gerecht zu werden. Aber mich will bedünken, als ob gerade in der eben wiedergegebenen Erklärung der faule Punkt, die Wurzel aller bisherigen Mißgeschicke in Sachen des Schiller-Preises angedeutet liege.

Die Praxis, den Ausschlag durch die Intendanten und Directoren unserer großen Theater geben zu lassen, also unter den „aufgeführten“ Stücken zu wählen, diese Praxis muß aufgegeben werden.

Man prüfe doch das Repertoire sämmtlicher deutscher Bühnen, und – eine schmerzliche Ueberzeugung wird sich Jedem, der sehen will, alsbald aufdrängen: daß es wenige, sehr wenige Bühnenleiter giebt, welche die Befähigung oder den Muth besitzen, die Initiative zur Aufführung eines anderswo noch nicht aufgeführten Stückes zu ergreifen. Die Meisten warten ruhig ab. Einige blicken höchstens in gespannter Erwartung nach – Delphi, und was man dort „Neues“ verkündet, das bringen sie nach kürzerer oder längerer Frist ebenfalls – oder auch nicht; es müßte denn – ein neues französisches Sittendrama sein.

Ferner: Haben der geringen Zahl von Muthigen unter den Bühnenleitern sämmtliche beachtenswerthe deutsche Stücke des Trienniums vorgelegen? Und wenn – sind sie auch alle mit dem nothwendigen fachlichen Ernste geprüft worden? Die oben angeführten Thatsachen verneinen es. Dennoch aber hing bisher im Grunde nur von jenen Wenigen die Entscheidung einer Schiller-Commission – das Schicksal einiger Hunderte deutscher Dramatiker ab, die während des Trienniums ein Stück geschrieben hatten.

Es kann nicht der Zweck dieser Zeilen sein, eine künftige Schiller-Commission belehren zu wollen, wie es anders und besser zu machen sei, allein – übernehmen die Herren Preisrichter einmal ein so hohes Ehrenamt, so müssen sie selbst diesen besseren Weg zu finden wissen; sie müssen sich von vornherein der übernommenen schweren Verantwortung bewußt sein; sie müssen die dramatische Production des letzten Trienniums selbst prüfen, zu prüfen fähig sein, oder für die zugedachte Ehre danken, nicht aber auf unzuverlässige Berichte sich verlassen und darauf hin – über die Geister einer Nation entscheiden.

Werthvolle Stücke werden dann sicherlich zur Krönung gelangen – ob auch bühnenfähigere, als bisher? Hier ist der Punkt, welcher eine Schwäche der ursprünglichen „Statuten für Ertheilung des Schiller-Preises“ kennzeichnet, und dieser Umstand wirkt einigermaßen entlastend für Mängel in der Wahl seitens der ersten Commissionen.

Ein Stück liest sich oft anders, als es sich spielt; erst die Aufführung kann den Grad seiner Bühnenfähigkeit feststellen. Will man also durch Preisausschreibungen den praktischen Hauptzweck erreichen, dem deutschen Repertoire neue werthvolle Bühnenstücke zu gewinnen, dann muß auch in den Commissionen vor Allem die Bühne, der wirklich dramatische, nachhaltige Bühnenerfolg die ausschlaggebende Stimme haben. Bühnenkundige, ästhetisch-literarisch gebildete Männer haben zunächst, umsichtig und gewissenhaft, eine Anzahl beachtenswerther Stücke zu bezeichnen und auszuwählen, diese haben dann die Feuerprobe der Bühne auszuhalten, und je nachdem sie solche vor einem urtheilsfähigen Publicum mit Auszeichnung bestanden, erfolgt die Bestätigung des nunmehr bereits fertigen Urtheils: die Preiskrönung!

Daß nur die Aufführung eines Stückes der richtig entscheidende Factor für eine Preiskrönung sein kann, hat auch die Intendanz der Münchener Hofbühnen erkannt, welche durch Munificenz des kunstsinnigen Königs von Baiern bereits zwei Jahre nach einander Preisausschreibungen erließ, auf Grund deren erst nach erfolgter dreimaliger Aufführung der ausgewählten Stücke die endgültige Entscheidung über eine Dichterkrönung getroffen werden soll.

Möchte alles Mögliche aufgeboten werden, um den Segen des Schiller-Preises der Nation vollauf zu Gute kommen zu lassen! Daß derartige Preisausschreibungen einen hohen nationalen Werth in sich tragen, wenig sichtbar vielleicht für den Augenblick, doch segensreich für die Zukunft der deutschen Bühne, segensreich für die deutschen Dramatiker, segensreich für die Nation – das ist zweifellos. Durch sie zunächst können Fürsten, können die deutschen Bühnenleiter einer durch zahlreiche dramatische Ablaßverkäufer von der Kanzel der Bühne herab schamlos feilgebotenen „importirten“ Frivolität und Sittenverderbniß wirksam entgegentreten; durch sie zunächst kann eine leider schon weit verbreitete deutsche Fremdenseuche wirksam bekämpft werden, und durch sie vielleicht können so manche kritische Verherrlicher des unsittlichen Imports gebessert, kann vielleicht so mancher ungläubige Saulus ein Paulus werden!

Karl Fiedler.      

  1. [751] Wenn wir den obigen Artikel in der zu Schiller’s Geburtstag erscheinenden Nummer der „Gartenlaube“ zum Abdruck bringen, in welcher wir alljährlich dem Andenken an unseren Dichter ein Blatt zu widmen pflegen, so geschieht dies, weil auch mit dieser Mahnung im Interesse eines Schiller-Instituts ein Wort zu unseres großen Dichters Ehre ausgesprochen wird. Was seinen Namen trägt, sollte stets auch in seinem Geiste vor der Welt erscheinen.
    Die Redaction.