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Titel: Der deutsche Michel
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aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 30, S. 41–42.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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Der deutsche Michel.


Und so trug es sich zu im Jahre des Herrn 1574, da führte Kaiser Maximilian II. das Regiment im deutschen Reiche. Im selbigen Jahre wurde dem ehrenwerthen Herrn Johannes Bartholomäus Obentraut, churpfälzischem Rathe und Amtmanne zu Stromburg, ein Söhnlein geboren, welchem er den Namen Hans Michael beilegen ließ in der heiligen Taufe, sintemal kein Heiliger im Kalender einen Namen führe, der so gut deutsch klänge, als gerade Hans Michael.

Der deutsche Michel hatte schon als Knäblein ein sonderbarlich Wohlgefallen an Helm und Schild, wie sie auf den Conterfeys seines Schutzpatrons, des heiligen Erzengels prangten, welche ihm zu Gesichte kamen. Nachgerade merkte der Vater, wie sein Sohn eine gewaltige Vorliebe hege für das Soldatenhandwerk. Diesem Hange gab er denn auch nach, und so wuchs Hans Michel Obentraut unter Kampfspiel und rühriger Leibesübung heran, und ward ein tüchtiger Kriegsmann.

Dazumal entspann sich der Streit um das reiche Erbe des Herzogs Johann Wilhelm, welcher Jülich, Cleve, Berg und die Mark besessen. Churbrandenburg, die sächsischen und pfälzischen Herzoge machten ihre Ansprüche geltend, und der Strauß, den die Parteikämpfer auszukämpfen hatten, ward um so erbitterter geführt, als Religionshaß beiderseits das Feuer schürte.

Im deutschen Lande war es von jeher so der Brauch, daß, wenn ihrer zween sich zankten, der Fremdling als Schiedsrichter oder Auskämpfer beigezogen wurde, der sodann, wie der Fuchs in der Fabel, auf des Streites Erbschaft für sich Beschlag legte. So wurde denn auch der Pfalzgraf von Neuburg katholisch, um der Spanier Beistand zu erhalten, und der Brandenburger trat zur reformirten Kirche über, damit er Holland für sich gewänne; fürder hauseten nun Spanier und Holländer gar übel im Reiche.

Michael Obentraut hielt sich auf Seite der Lutherischen, und als im Jahre 1610 die protestantische Union zu Stande kam, ward ihm ein Fähnlein von 500 Reitern anvertraut, darüber er sollte das Commando führen. Mit diesem rückte er nun in die Pfalz ein und fügte den Spanischen vielen Schaden zu.

Alsbald gewannen aber die Streitigkeiten ein ernsteres Aussehen. Der Lärm erwachte in allen Gauen, und der dreißigjährige Krieg brach herein über das unglückliche Vaterland. Obentraut blieb seinen Grundsätzen getreu, und nahm Partei für Friedrich V. von der Pfalz. Aber das Heer des Winterkönigs, [42] wie ihn das Volk nannte, ward geschlagen am weißen Berge, just als er selber im fröhlichen Gelage zu Prag saß, und er mußte sich mit den vornehmsten böhmischen Herren kopfüber zur Flucht wenden. Der edle und tapfere Graf Ernst von Mansfeld war es nun allein, der mit einem kleinen Häuflein, so er dem Churfürsten zu Hilfe in das böhmische Land geführt hatte, einer Macht die Stange zu halten wagte, davor Deutschland – ja ganz Europa zitterte. Aus Böhmen verjagt zog er sich in die Oberpfalz zurück und erschien unvermuthet mit einem auf 20,000 Mann angewachsenen Heere zum großen Schrecken der Spanier im Elsaß. Obentraut kämpfte unter seinen Fahnen. Des Heerführers männlicher Sinn und heldenmüthiger Geist lebte auch in seiner Schaar. Obentraut war nicht der Letzte bei den waghalsigen Unternehmungen des Grafen, und schon dazumal machte er sich den Kaiserlichen bemerkbar, die ihm sofort den Namen des deutschen Michels beilegten; die Chronik erzählt uns einige seiner Handstreiche.

Im Herbste 1620 hatte der Marquis von Spinola mit einem spanischen Heerhaufen Kreuzenach besetzt, und machte Miene, gen Oppenheim vorzurücken. Die Unirten, welche sich zur Zeit in der Nähe dieser Stadt verschanzt hatten, verließen nun eiligst das Lager, zündeten es an, brachen die Rheinbrücke ab, und schlugen die Straße ein nach Worms. Auf dem Zuge war nun dem Obentraut Kundschaft zugekommen, wie der Herzog von Espinoy auf eigene Faust eine Schaar Kriegsvolk geworben, um es zum Dienste kaiserlicher Majestät dem Marquis von Spinola zuzuführen. Da überkam ihn die Lust, und an der Spitze von 220 Reitern überfiel er ohne alle weitere Ordre den spanischen Granden, um ihn deutsche Weise zu lehren. Nach kurzem Widerstande waren die neugeworbenen Kaiserlichen nach allen Seiten zerstiebt bis auf etliche fünfzig, die nicht weiter verlangten. Der spanische Werber aber ward mit andern Hauptleuten gefangen in’s Lager der Unirten gebracht.

Obentraut hatte insonders auf die Spanischen ein Auge, und als ihm hinterbracht worden, wie zu Kapplmaersheim ein Trupp des ältesten und besten hispanischen Kriegsvolkes läge, unternahm er mit 120 Mann seines Schlages die Ueberrumpelung des Platzes. Noch dehnte sich der Hauptmann Hieronimo Valetto in den Federn, als der deutsche Michel mit seinen Waghälsen über die Schläfer herfiel, niedermachte, was sich zur Wehre setzte, und mit vieler Beute zusammt dem spanischen Hauptmanne wieder verschwand, ehe Entsatz kam von Kreuzenach. Nicht weniger schlimm hausete er vor Hörstein, dessen Thore er mit Petarden sprengte. –

Mittlerweile begann es mit der Sache der Protestanten eine schlimme Wendung zu nehmen. Pfalzgraf Friedrich war nach der Schlacht bei Wimpfen am 6. Mai 1622 zum zweiten Male geflohen und entließ den edlen Mannsfeld aus seinem Dienste. In solcher Noth erkor Niedersachsen, der Hauptsitz der evangelischen Partei, den jugendlichen, thatkräftigen König Christian IV. von Dänemark zum Kriegsobersten und setzte auf ihn seine Hoffnung in der bedrängten Lage. Obentraut führte 3000 Reisige in das königliche Lager und der Herzog von Weimar ernannte ihn zum Befehlshaber der Reiterei. Da brach Tilly, der bayerische Feldmarschall, der Sieger von Wimpfen, in den niedersächsischen Kreis ein. Er wollte gen Hannover vordringen. Auf seinem Zuge hatte sich ihm Schloß Kaltenberg auf Capitulation ergeben. Obentraut sollte ihm die Prise wieder entreißen, und schickte sich mit wenigen Fähnlein hierzu an. Es war zu Anfang Novembers 1625. Tilly war in der Nacht mit einem bedeutenden Trupp von Fußvolk und Reisigen von Pattensee aufgebrochen. In der Morgendämmerung stieß Obentraut mit den Seinigen auf die Vorposten des liguistischen Heeres. Bald entspann sich aus dem Vorpostengefecht ein hartes, blutiges Treffen. Wie Mauerbrecher stürmten die Obentraut’schen Reiter gegen den Wall von Lanzen und Hellebarden, aber die Reihen der Kaiserlichen konnten nicht zum Weichen gebracht werden. Des Feldherrn unbeugsamer Sinn war in jeden einzelnen Kriegsknecht gefahren; sie standen wie Säulen trotz des Löwenmuthes der königlichen Reiter. Da traf die Kugel eines feindlichen Hackenschützen das Herz des deutschen Michels. Todeswund sank er vom Pferde; seine Reiter sahen ihn stürzen, mit ihm ihre Hoffnung. Da wandte sich, wer’s noch vermochte, zur eiligen Flucht.



Der Obentraut lag auf der Landstraße. Hier fanden ihn die Kaiserlichen und brachten ihn in den Wagen des Grafen von Anhalt. Tilly verlangte den sterbenden Helden zu sehen, und als man ihn hingeführt, gestand er, wie leid es ihm thue um den wackern Degen, obwohl er ihm gegenüber gestanden im schweren Strauße. Da deutete der Obentraut auf seine blutende Wunde, und entgegnete dem Feldmarschall: „In solchem Garten pflückt man solche Rosen.“ Bald darnach verschied er.

Auf der Heerstraße nach Hannover ward ihm eine Denksäule errichtet an der Stelle, wo er das Zeitliche segnete. Seitdem ist der deutsche Michel in aller Leute Mund; wenige wissen warum. Er ward zum Scheltnamen, den wir uns aber gerne wollen gefallen lassen, so lange die Sippschaft Hans Michel Obentrauts nicht ausstirbt in unserm Vaterlande, jenes biderbe Geschlecht, welches den Degen zu handhaben weiß in der starken Faust, drein schlägt, wo es Noth thut, dem fremden Söldlinge deutsche Art lehrt, und für Recht und Glauben in Kampf und Tod geht.