Der adelige Club in Petersburg

Textdaten
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Autor: A. H.
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Titel: Ein deutsches Meer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 256
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[256] Der adelige Club in Petersburg. Für Bühnenkünstlerinnen von Ruf kann es kein dankbareres Publicum geben als die Mitglieder des adeligen Clubs in der Newa-Stadt. Wie die Zeitungen berichten, hat Adelina Patti nach Beendigung ihres Gastspiels an der italienischen Oper daselbst von dem genannten Club eine mit einunddreißig Diamanten und einer birnengroßen (?) Perle geschmückte Broche, im Werthe von fünfundsiebenzigtausend Franken, erhalten. Beim Lesen dieser Notiz erinnerten wir uns eines noch kostbareren Geschenks von demselben Club, dessen Zustellung an die betreffende Künstlerin so interessante und pikante Momente aufzuweisen hatte, daß sie einer Mittheilung an dieser Stelle wohl werth erscheinen.

Vor fünf Jahren hatte Pauline Lucca ihr Gastspiel in Petersburg unter immensem Beifall beendet; sie trillerte bereits wieder seit Wochen im Berliner Hoftheater, wie eine einem Eiskäfig entflohene Nachtigall. Da meldeten sich eines Tages bei dem General-Intendanten der königlichen Schauspiele, Herrn von Hülsen, drei Männer aus St. Peter’s Metropole und stellten sich ihm vor als Geschenks-Deputation des adeligen Clubs in Petersburg. Der Sprecher erzählte, daß er und seine beiden Begleiter per Extrazug nach Berlin gesandt worden seien, um Fräulein Lucca, in Anerkennung ihrer Verdienste um die Erweiterung der Hochgenüsse der russischen Aristokratie – ein Sträußchen zu überbringen. Die Gesandtschaft richtete zugleich die Bitte an Herrn von Hülsen, gütigst Anweisung geben zu wollen, wie der delicate Auftrag am geeignetesten auszuführen sein möchte. Der Herr General-Intendant erklärte sich sofort bereit, die nöthigen Veranstaltungen treffen zu wollen, doch wünschte er, von sehr natürlicher Neugierde getrieben, das „Sträußchen“, zu dessen Transport und Uebergabe den Sendern drei Mann und vielleicht auch noch ein ganzer Extrazug nöthig erschienen waren, zuvor mit eigenen Augen zu sehen. Der Sprecher deutete durch ein Fenster auf die Straße; vor der Thür hielt ein Wagen und auf diesem stand ein eleganter runder Carton von bedeutenden Dimensionen, in welchem das Bouquet enthalten sein sollte. Herr von Hülsen ließ den Carton mit großer Vorsicht in sein Zimmer bringen, hier wurde der Deckel des Gehäuses abgenommen, und was entwickelte sich nun? – Ein Bouquet, drei Fuß im Durchmesser, von den schönsten weißen Camelien gebildet, – nebenbei bemerkt in strengster Winterzeit – die Garnirung bestand aus goldgesticktem weißem Atlas, der katholischen Frommgläubigkeit der Gefeierten war durch ein riesiges Kreuz von duftigen Veilchen, das im Grunde der Camelien, wie ein Kind im Schooß der Mutter, lag, Rechnung getragen. Als Mittelpunkt des Straußes, gewissermaßen als das Schwarze in der Scheibe, diente ein Krönchen von fünfzig großen Brillanten, die im Dunkeln förmlich Feuer sprühten. Den Stiel umschlangen zwei handbreite weiße Atlasbänder mit echten Goldfranzen, und in jedes Band war einer der Namen jener hocharistokratischen Clubmitglieder mit Gold kunstvoll eingestickt.

Herr von Hülsen war sichtlich überrascht von der Schönheit und Kostbarkeit des süßduftenden Blumenkunstwerks, und er erklärte der Deputation, daß die Uebergabe desselben jedenfalls keine gewöhnliche sein dürfe. Unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses wurden nun sofort die nöthigen Vorkehrungen getroffen. Für den Abend des erwähnten Tages war die Nikolaische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ angesetzt, in welcher Pauline Lucca als „Frau Fluth“ excellirte. Der königliche Opernsänger, Bassist, Herr Eduard Bost, der als „Sir John Falstaff“ in dieser Oper die Lorbeeren der Lucca theilt, wurde mit ins Geheimniß gezogen. Der Carton mit dem Bouquet ward in „heimlicher Stunde“ nach dem Opernhause geschafft und in einem der Garderobezimmer einstweilen hinter Schloß und Riegel gehalten.

Am Schlusse der Oper hat „Frau Fluth“ zum „Fallstaff“ ungefähr die Worte zu sagen: „Sir John, es ist uns recht unglücklich gegangen, wir konnten nicht zusammen kommen. Zu meinem Cavalier will ich Euch nicht wieder machen, aber mein Thier sollt Ihr immer bleiben.“ Fallstaff erwidert: „Ich fange an zu merken, daß man einen Esel aus mir gemacht hat.“ Hier fügte er selbstständig ein: „Dennoch aber, liebe kleine Frau! trage ich Euch keinen Haß nach, und als Beweis, daß ich Euch noch immer gut bin, sollt Ihr von mir noch vor dem Nachhausegehen ein Sträußchen haben von Camelien und Veilchen, das ich trotz der rauhen Jahreszeit, für Euch direct aus Petersburg habe kommen lassen.“ Paulinchen sah den Sir John ob seines räthselhaften Extempores mit ihren großen Augen verwundert an; auch das Publicum wartete in Spannung der Dinge, die da kommen sollten. Da gab Herr von Hülsen aus seiner Loge dem Dirigenten des Orchesters einen Wink; alsbald rauschten die ergreifenden Töne der russischen Volkshymne durch die Räume des dicht gefüllten Opernhauses; die drei Russen in ihrem Nationalcostüme traten aus der Coulisse auf die Bühne und überreichten nach der Landessitte knieend der Sängerin das kostbare, durch Schnüre vom Schnürboden herab mit getragene Bouquet. In den ersten darauf folgenden Secunden stand die gefeierte Primadonna einer Statue gleich, starr auf das dargereichte Blumen-Kunstwerk blickend, dann machte sich ihre freudige Rührung in einem reichen Thränenstrome Luft. Das Publicum hatte die Situation schnell begriffen und donnerartige Beifallsstürme brausten noch lange nach dem Fallen des Vorhanges durch das Haus.

A. H.