Textdaten
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Autor: Gustav Küstermann
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Titel: Der Waldbrand in Wisconsin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 783–785
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[783]
Der Waldbrand in Wisconsin.
Von G. Küstermann in Green-Bay.

Erlauben Sie mir, Ihnen nachfolgend einen Bericht von dem größten Waldbrande Nordamerikas zu geben, der je hier gewüthet hat. Um den Bericht gründlich zu verstehen, ist es nothwendig, daß sich die Leser der „Gartenlaube“ mit der Lage der Wälder, Flüsse und Städte in Nord-Wisconsin etwas vertraut machen. Ganz Nord-Wisconsin war vor Zeiten ein dichter Urwald, durchkreuzt vom Foxriver und weiter hinauf von der Green-Bay (grünen Bai). Die ersten Ansiedler hier, meistens Deutsche und Belgier, bahnten sich Wege durch die Wälder und ließen sich dann mitten im Walde an irgend einem Platze nieder, der sich für den Ackerbau am besten eignete. Alsdann bauten sie sich Hütten aus Holzstämmen und machten einige Acker Land um sich brauchbar zum Ackerbau, was entweder durch Fällen der Bäume oder durch Abbrennen derselben geschieht. Im letzteren Falle muß sehr vorsichtig zu Werke gegangen werden; denn wenn ein solcher Waldbrand um sich greift, ist kein Mensch im Stande, ihm Einhalt zu thun, und nur ein frühzeitiger Regen vermag dem Abbrennen des ganzen Waldes nebst allen darin befindlichen Häusern vorzubeugen.

Im Laufe der Jahre haben sich nun auch in Nord-Wisconsin an Stelle des ausgerotteten Urwaldes Städte gebildet und zwar sind die hauptsächlichsten entweder am Foxflusse oder an der Green-Bay gelegen, einestheils des Handels und der Schifffahrt wegen und anderntheils um im Falle eines Waldbrandes vom Feuer nicht eingeschlossen zu werden.

Die Einwohner von Nord-Wisconsin leben fast sämmtlich direct oder indirect vom Ackerbau, oder von der Zubereitung des Holzes. In der Umgegend von Green-Bay befinden sich ungefähr fünfzig Sägemühlen, welche die Bäume zu Brettern und Schindeln schneiden. Die letzteren sind kleine Brettchen, welche zum Dachdecken gebraucht werden. Da wenigstens die Hälfte aller Häuser in den Vereinigten Staaten von Holz gebaut ist, so kann man sich den Verbrauch in Brettern und Schindeln nicht großartig genug denken, und selbige werden in Schiffsladungen von hier nach Chicago, St. Louis und andern östlichen Plätzen versandt. Da meistens gute Preise dafür erzielt werden, so läßt sich begreifen, daß alle Holzdistricte ziemlich wohlhabend sind. Die Arbeiter in den Mühlen bekommen durchschnittlich ein sehr gutes Gehalt (von zwei bis vier Dollars pro Tag) und die meisten haben sich in einiger Entfernung von den betreffenden Mühlen ein kleines Häuschen gebaut, worin sie im Kreise ihrer Familie glücklich und zufrieden leben.

Der diesjährige Sommer war ein außergewöhnlich heißer und trockener, und fast schien es, als ob der Regen seine Thätigkeit für immer eingestellt habe, denn in drei Monaten wurde nur ein einziges Mal der sehnlichste Wunsch Aller nach Regen befriedigt. Die ältesten Einwohner Wisconsins können sich nicht einer solchen Trockenheit erinnern, welche so groß war, daß Sümpfe, die gewöhnlich ungefähr zwei Fuß Wasser halten, ganz austrockneten. Da wir hier gewöhnlich im Herbst viel Regen haben, so wählen die Landleute meistens diese Jahreszeit, die Bäume und Büsche von ihren Ländereien abzubrennen, um dann im nächsten Frühjahr darauf zu säen. Auch dieses Jahr wurden von mehreren Landleuten Feuer zu diesem Zwecke angelegt, in der Hoffnung, daß ein baldiger Regen selbige löschen würde. Anstatt Regen kam jedoch ein starker Wind, welcher das Feuer mit Riesenschnelle weiter trug, so daß innerhalb einer Woche eine Strecke von tausendfünfhundert englischen Quadratmeilen in Flammen stand. Green-Bay war ungefähr der Mittelpunkt des ganzen Feuers und aus diesem Grunde kamen alle Berichte hier zusammen. Da ich an der hiesigen englischen Zeitung, dem „Green-Bay-Advocate“ angestellt bin und es dies- wie jenseits des Oceans eine alte Gewohnheit ist, einer Zeitung alle Glücks- oder Unglücksfälle zuerst zu berichten, so hatte ich die beste Gelegenheit, alle Einzelnheiten in Betreff des Feuers zu erfahren. Das Feuer fing ungefähr am 15. September an und ist heute, am 13. October, noch im vollsten Gange. Es wurde von keinem Tropfen Regen unterbrochen bis augenblicklich, wo ein leichter Regen fällt.

Unser erster Berichterstatter war ein dichter Dampf, der die ganze Umgegend einhüllte, und welcher so dicht war, daß man kaum zehn Schritt vor sich sehen konnte. Sonne, Mond und Sterne waren nur dann und wann sichtbar, wenn ein starker Wind die Dampfwolken auf kurze Zeit verjagte. Obgleich es hier im September und October gewöhnlich schon ziemlich kalt ist, hatten wir dieses Jahr eine fortwährende Wärme von ungefähr neunzig Grad Fahrenheit (25° R.).

Gleich in den ersten Tagen des Feuers bekamen wir Berichte von allen Seiten, daß einzelne Häuser, Scheunen mit Heu und Korn, Umzäunungen, Eisenbahnschwellen und Thiere verbrannt seien. In allen Ortschaften, welche im Walde lagen, wurden die Einwohner durch Feueralarm aufgeschreckt und Jung und Alt, Männer und Frauen eilten an diejenigen Plätze, wo das Feuer am meisten drohte. Alsdann wurden große Gräben gezogen, volle Wasserfässer um den ganzen Ort gestellt, und überhaupt jede Anstalt getroffen, die den Lauf des wüthenden Elementes hemmen konnte. Bald darauf erfuhren wir, daß trotz der größten Vorsichtsmaßregeln doch schon einige Sägemühlen abgebrannt seien. Die Aufregung über diese Verluste war groß, aber die Nachrichten sollten noch schlimmer kommen.

Ein kleiner Ort, auf der Ostseite der Bai gelegen, brannte ganz und gar ab und ungefähr zwanzig Familien flüchteten sich bis zum Ufer der Bai, wo sie einen Tag unter freiem Himmel und ohne Nahrung zubrachten und dann von einem vorbeifahrenden Dampfboote aufgenommen wurden. In den nächsten Tagen wurden die Berichte von den durch das Feuer heimgesuchten Plätzen immer häufiger. Fast alle Brücken, über zweihundert Wohnhäuser, Scheunen mit großen Massen Weizen, einige Mühlen und Tausende von Klaftern Holz waren verbrannt. Hunderte von Familien wurden von ihren brennenden Häusern verjagt, worin sie noch vor einigen Tagen sorgenfrei gelebt hatten. Die meisten retteten weiter nichts, als das Zeug, was sie trugen, und so sah man sie in den Straßen umherziehen, vor den Thüren Anderer ihr Brod bettelnd. Alle Vorsichtsmaßregeln waren vergebens gewesen, denn nichts konnte die Flammen zurückhalten, ihre Opfer zu verschlingen. Sogar Bäche und Flüsse wurden von dem Feuer übersprungen und keine Menschenhand war mehr im Stande, demselben Einhalt zu thun. Viele Leute, die mitten im Walde wohnten, verließen ihre Häuser, ehe das Feuer sie noch erreicht hatte, und suchten sich Plätze, wo sie wenigstens ihres Lebens sicher waren, ihr Eigenthum den Flammen überlassend. Die Posten hörten nach und nach auf zu kommen, da die Wege mit brennenden Baumstämmen bestreut waren; ebenso hörte die Telegraphenverbindung gänzlich auf, da die Stangen abbrannten und die Drähte von der Hitze zersprangen.

Bis jetzt hatten wir noch von keinem Verluste von Menschenleben erfahren, aber auch dieser blieb nicht aus. Die Aufregung in Green-Bay vergrößerte sich bei diesen Botschaften mehr und mehr, alle Geschäfte ruhten und auf den Straßen sah man einzelne Haufen Menschen stehen, aus Neugierde sowohl, wie auch, um sich über Vorsichtsmaßregeln gegen die annahenden Flammen zu besprechen. Jede Nacht war der Horizont erhellt von dem Feuer um uns her, und am Tage erfüllte ein dichter Dampf die Stadt und Umgegend.

Am Sonntag den 8. October erhob sich gegen Abend ein sehr starker Wind, welcher bis Mitternacht zu einem wahren Orcan ausartete. Die Gefahr für Green-Bay war groß, und schon kamen Leute von naheliegenden Ortschaften, um von hier mehr Hülfe gegen die schnell um sich greifenden Flammen zu holen. [784] Jung und Alt eilte hinaus, um diesen Leuten zu helfen, aber ohne Erfolg. Es war, als ob der letzte Tag für uns Alle gekommen, als ob die Luft in Flammen sei und Alles in sich verschlingen wollte. Wo die Bäume den Flammen keine Nahrung boten, brannte der Erdboden, zuweilen einen bis zwei Fuß tief.

Glücklicherweise für Green-Bay legte sich der Wind, ehe die Flammen es erreicht hatten; die Berichte aber, welche uns am Montag erreichten, waren so entsetzlich, daß sie einer jeden Wiedergabe spotten. Viele Leute, die bei uns ankamen, glaubten nicht anders, als daß irgend etwas Uebernatürliches über sie gekommen sein müsse, und wollten nicht einsehen, wie die Flammen allein in so kurzer Zeit Alles verzehren konnten, so daß auch kein Haus, Scheune, Kirche, Baum und in der That Nichts stehen geblieben sei. Der Verlust an Menschenleben und Eigenthum ist großartig. Ueber tausend Menschen fanden in fast einer Stunde ihren Tod in den unerbittlichen Flammen. Viele zwar wurden vom Rauche erstickt, aber auch sehr viele wurden lebendig gebraten, ehe der Tod ihren Qualen ein Ende machte. Viele Hunderte liegen an ihren Brandwunden darnieder und viele davon erliegen täglich denselben. Ueber tausend Häuser, Kirchen, Mühlen wurden ein Raub der Flammen, und außerdem ist der Verlust an Korn, Heu, Ackerbaugeräthschaften etc. großartig. Der Schaden wird auf ungefähr zehn Millionen Dollars berechnet. Beinahe fünftausend Menschen irren obdachlos umher, noch vor einer Woche sorgenfrei und zufrieden in ihren Wohnungen lebend und jetzt nicht wissend, wo sie Nahrungsmittel und Obdach finden sollen. Leute, die noch vor einer Woche über Tausende zu verfügen hatten, sind jetzt Bettler. Worte reichen nicht hin, einen Begriff von dem Schaden zu geben, den das Feuer in dieser Gegend angerichtet hat. Das Holz, von dem fast ganz Nord-Wisconsin seinen Lebensunterhalt sucht, ist abgebrannt, und es ist wenig Aussicht, daß es je wieder wachsen wird, da das Feuer sogar die Wurzeln der Bäume in der Erde vernichtet hat.

Ganze Städte und Dörfer am Ost- und Westufer der Green-Bay sind total zerstört, so daß auch nicht ein Haus stehen geblieben ist.

Am Ostufer verbrannte die Stadt Brussels, ungefähr zweihundert Familien obdachlos hinter sich lassend. Die Dörfer Rosiere und Messiere existirten am Montag Morgen nicht mehr, während den Tag zuvor noch hundertachtzig Häuser dort standen und über zweihundert Familien in diesen wohnten. In einer kleinen Ansiedelung verbrannten neun von zehn Familien und außerdem eine Familie von vier Deutschen, welche todt im Keller aufgefunden wurden. In dem Dorfe Forestville verbrannten achtzig Häuser und vierzig Menschen, welche meistens vom Rauche erstickten, ehe das Feuer sie erreichte.

In dem Orte Redriver verbrannten fast alle Häuser, Kirchen und Mühlen, und es irren dort über achthundert Personen obdachlos umher. Der Verlust an Menschenleben war im Verhältniß zu anderen Plätzen nur sehr gering, denn nur neun Personen verbrannten und nur sehr wenige erhielten ernstliche Brandwunden. Einer der am schwersten Verwundeten hatte mitten im Walde gewohnt und war, als er die Flammen herannahen sah, zu Pferde gestiegen, um denselben zu entgehen. Das Feuer jedoch lief schneller als sein Pferd, und es blieb ihm nichts übrig, als herunterzuspringen und sich flach auf den Erdboden zu legen. Sein Hinterkopf und Rücken sind sehr verbrannt, doch ist Aussicht, daß er am Leben erhalten wird.

In dem Dorfe New-Franken ist kein Haus oder sonst ein Zeichen der ehemaligen Existenz aufzufinden. Obgleich die Einwohner dieses Platzes fast von jeder Gelegenheit abgeschnitten waren, ihr Leben zu retten, so ging doch kein Menschenleben verloren. Der Platz ist ganz von Bäumen eingeschlossen, und als er ringsum in Flammen stand, gelang es sämmtlichen Bewohnern, sich durch das Feuer nach einer großen Wiese durchzuschlagen, wo sie über einen Tag verweilten, bis ihnen Hülfe und Lebensmittel von Green-Bay zugeschickt wurde.

Der schlimmste Bericht von der Ostseite der Bai kommt aus einem Orte, genannt Williamsonville. Mein Bruder ist nicht weit von dort Geschäftsführer in einer Mühle, welche merkwürdiger Weise von den Flammen verschont blieb, und schickte mir folgenden Bericht:

„Am Sonntag Abend umringten uns die Flammen so nahe, daß es mir und unseren Leuten nur durch Aufbieten aller Kräfte gelang, unsere Mühle sowie den ganzen Ort vor der gänzlichen Zerstörung durch Feuer zu retten. Männer, Frauen und Kinder schleppten fortwährend Wasser heran, um den Boden feucht zu halten, und einige Männer waren fortwährend beschäftigt, Wasser auf die Mühle und umliegenden Häuser zu spritzen, damit dieselben von den dicht regnenden Funken nicht Feuer fingen. Es gelang uns auch, unsern Platz zu retten; aber schlimmer erging es unseren Nachbarn. Am nächsten Morgen kamen hier zwei Leute von Williamsonville an, welche die traurige Botschaft brachten, daß der ganze Ort und alle Einwohner, sie und ungefähr zehn schwer Verwundete ausgenommen, ein Raub der Flammen wurden.

Sofort machten sich fünfundzwanzig von uns auf den Weg, um mit Aexten sich durch die noch brennenden Bäume durchzuschlagen. Nach ungefähr fünf Stunden erreichten wir endlich die Stelle, wo einst Williamsonville stand. Der Anblick, der sich uns bot, ist nicht zu beschreiben. Auf einer Stelle von ungefähr zehn Quadratfuß fanden wir neunundzwanzig Todte. Alle waren schrecklich entstellt und einige so verkohlt, daß sie nicht mehr zu erkennen waren. Der ganze Platz war mit verbrannten Körpern besäet und in kurzer Zeit hatten wir neunundfünfzig Leichen an einer Stelle zusammengebracht. Wir fanden den Leichnam einer Frau mit einem Kinde fest in ihren Armen und legten beide in dieser Lage in einen Sarg, vereint im Tode, wie im Leben.

Von sechs Menschen, welche in einem Baume Rettung gesucht hatten, waren vier verbrannt und zwei noch am Leben, jedoch verwundet. In einem andern Baume fanden wir einen Vater mit seinem Kinde, letzteres noch am Leben. Einige hatten versucht, durch den brennenden Wald nach einem freien Platze zu gelangen, waren jedoch fast Alle verbrannt. – Wir schafften siebenundvierzig Särge herbei und legten die Leichname hinein, Mutter und Kind, Vater und Sohn zusammen. Wir scharrten alsdann die Todten an demselben Platze ein, wo das Unglück geschah, und bezeichneten die Plätze durch kleine mit den Namen der Unglücklichen beschriebene Bretter, die wir auf die Gräber steckten. Ich habe noch nie etwas Schauerlicheres gesehen und hoffe auch nicht, je wieder bei einer ähnlichen Scene zugegen zu sein. Wir nahmen die Verwundeten mit uns und kehrten zu unserer Mühle zurück.“

Die Berichte vom Westufer der Bay sind noch schrecklicher als die obigen. Von all den Verheerungen, welche das Feuer angerichtet hat, ist kein Platz so entsetzlich mitgenommen als Peshtigo – entsetzlich wegen des Verlustes von Menschenleben und Zerstörung von Eigenthum. Viele Einwohner (darunter über zweihundert Deutsche) büßten ihr Leben ein und die Arbeit und die Ersparnisse vieler, vieler Jahre wurden in einer Stunde zerstört.

Das Feuer wurde ungefähr um neun Uhr zwei bis drei englische Meilen entfernt gesehen und Niemand dachte daran, daß Peshtigo in irgend welcher Gefahr sei. Kurz darauf aber erhob sich ein ziemlich starker Wind, welcher bald in einen Orcan und Wirbelwind ausartete. Nur ein dumpfes Brüllen, fernem Donnerrollen ähnlich, war der Vorbote des Orcans und mit ihm des Feuers. Leute von Peshtigo erzählten mir, wie sie nicht anders glaubten, als daß das Feuer vom Himmel gestürzt sei, so schnell sei es gekommen und habe den ganzen Ort als Opfer gefordert. Peshtigo ist an einem kleinen Flusse, dem Peshtigo-River, gelegen, welcher den einzigen Zufluchtsort für alle Einwohner bot, ungefähr fünfzehnhundert an der Zahl. An Retten des Eigentums war gar nicht zu denken. Mütter schrieen nach ihren Kindern, die sie in der Verwirrung verloren hatten, Männer nach ihren Frauen, Kinder nach ihren Eltern und zuletzt eilte Alles, um dem Feuertode entgehen und den Fluß zu erreichen. Der dichte Rauch aber und die heiße Luft erstickte Hunderte, ehe sie sich ins Wasser retten konnten. In dem Flusse lagen zahlreiche Baumstämme, welche in der Sägemühle verschnitten werden sollten, an diesen hielten sich viele, da der Fluß an einigen Stellen sehr tief ist, um so dem Tode durch Wasser zu entgehen. Aber auch diese letzte Hoffnung wurde vereitelt, denn viele Baumstämme fingen Feuer und so blieb Hunderten nur die Wahl, zu verbrennen oder zu ertrinken. Dabei zwangen heiße Luft und die dichten Funken die Leute, fast fortwährend ihren Kopf unter Wasser zu halten, und erlaubten ihnen nur dann und wann Luft zu schöpfen. Die Gluth dauerte von zehn bis drei Uhr, daß demnach Alle an fünf Stunden im Wasser zuzubringen gezwungen waren.

[785] Von den Leuten, welche in der Umgegend von Peshtigo im Walde wohnten, haben sich nur wenige gerettet und diese allein dadurch, daß sie Löcher in die Erde gruben, und sich dann mit nassen Decken zudeckten. Nur ein Haus im Walde ist stehen geblieben, die sämmtlichen Einwohner davon sind jedoch verbrannt, da sie sich nach dem Flusse durchzuschlagen suchten, aber von den Flammen eingeholt wurden. In Peshtigo ist von zweihundert Häusern kein einziges stehen geblieben, und deutet überhaupt auch nicht das kleinste Zeichen mehr an, daß dort je eine Stadt gewesen sei. Die Hitze war so groß, daß ein Faß Nägel zu einem Klumpen Eisen zusammenschmolz. Bis gestern waren fünfhundertfünfunddreißig Leichen beerdigt, und man glaubt noch über zweihundert theils im Walde, theils im Flusse zu finden. Von einer Familie, aus acht Mitgliedern bestehend, blieb nur ein Kind von zwei Jahren übrig, – eine andere Familie von dreizehn Personen verbrannte ganz und gar. Ein Deutscher, welcher schwer verwundet nach Green-Bay gebracht wurde, erzählte mir, daß er seine Frau, fünf Kinder und seine alte Mutter in den Flammen verloren habe, und sein sehnlichster Wunsch war, daß der Tod auch ihn als Opfer gefordert haben möchte. Ein Mann, dessen Frau krank war und sich nicht selbst retten konnte, nahm selbige auf seinen Rücken und eilte dem Flusse zu. Auf dem Wege wurde er von der Menschenmenge umgestoßen, raffte sich jedoch gleich wieder auf, hob seine vermeintliche Frau wieder auf seinen Rücken und entging glücklich den Flammen. Wie groß aber war am andern Morgen sein Schrecken, als er sah, daß er eine andere Frau gerettet habe, während die seinige im Feuer umgekommen war! Viele Menschen verloren ihr Leben noch dadurch, daß das vom Feuer wild gewordene Vieh sich ebenfalls ins Wasser stürzte und sie in diesem erdrückte.

Die Schreckensscene nach der Nacht, welcher Peshtigo zum Opfer gefallen war, ist kaum zu beschreiben. Der Erdboden war mit verkohlten Leichnamen bestreut. Das Skelet eines Knaben wurde gefunden, einen Griffel, Messer und ein Stück Gummi in der Hand haltend. Einige Skelete wurden auf der Erde knieend und mit gefalteten Händen gefunden. Der Verlust an Eigenthum übersteigt eine Million, wovon eine Firma allein eine halbe Million verlor. Unter andern verbrannte einer einzigen Firma ein Stall mit fünfzig Pferden.

Der Ort Menekaunee wurde ebenfalls gänzlich durch Feuer zerstört und hinterließ über hundert Menschen obdachlos. Glücklicherweise wurde hier kein Menschenleben verloren.

So groß auch das Unglück, so groß war auch die Unterstützung der Obdachlosen und das eifrige Bestreben Aller, die Leiden der Verwundeten zu lindern. Sobald wir in Green-Bay von den entsetzlichen Verheerungen hörten, die das Feuer angerichtet hatte, wurde vom Mayor der Stadt eine Versammlung berufen und Comités ernannt, um Gelder, Lebensmittel und Kleidungsstücke für die Leidenden zu sammeln. In einem Nachmittage wurden in Green-Bay allein zehntausend Dollars und Massen Lebensmittel und Kleidungsstücke beigesteuert und in einer Woche kamen vom Staate Wisconsin ungefähr fünfzigtausend Dollars zusammen. Außerdem trafen hier Hunderte von Eisenbahnwagen ein, beladen mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken. An einem Tage gingen von hier drei große Schiffsladungen direct nach den Unglücksstätten, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Der Gouverneur von Wisconsin telegraphirte, auf ihn selbst für zweitausend Dollars und auf den Staat Wisconsin für zwanzigtausend zu ziehen. Er reiste alsdann sofort nach den Unglücksstätten, um sich selbst von der Wirklichkeit zu überzeugen, und erließ schließlich einen Aufruf an alle Einwohner Wisconsins, nach besten Kräften zu unterstützen. Die Unterstützung war auch von allen Seiten so großartig, daß anzunehmen ist, daß nicht allein für die jetzige Zeit, sondern auch für den ganzen Winter für die vom Feuer Heimgesuchten gesorgt ist. Ganze Ladungen Oefen, Aexte, Nägel, Glas etc. kommen hier an, damit die Abgebrannten sofort wieder ihre Häuser aufbauen können. Das Holz dafür ist von einigen Mühlenbesitzern „frei“ angeboten.

Auch die zahlreichen Verwundeten finden die beste Wartung und Pflege. Am Tage nach dem Feuer fanden sich hier ungefähr zwanzig Doctoren aus umliegenden Plätzen ein, um sich nach den Unglücksorten zu begeben und die Verwundeten zu verbinden. Der deutsche Green-Bay-Turnverein überließ den Verwundeten seine geräumige Halle als Hospital. Es sind bis jetzt über hundert Verwundete dort untergebracht, und die Einwohner von Green-Bay ermüden nicht, die Leiden derselben nach Kräften zu lindern. Die Verwundungen sind sehr mannigfaltig, aber fast alle entsetzlich. Den Einen sind die Füße verbrannt, Anderen die Hände, Anderen das Gesicht und Einige am ganzen Körper. Heute wurde Jemand gebracht, welchem Hände und Füße zugleich verbrannt waren und der fünf Tage ohne Lebensmittel im Walde herumgekrochen war, bis es ihm endlich gelang ein Haus zu erreichen. Sein Aufkommen wird sehr bezweifelt.

Dieser Waldbrand nebst seinen schrecklichen Verheerungen steht gewiß einzig in der Weltgeschichte da und ich will nicht hoffen, daß mir oder irgend Jemandem wieder eine Gelegenheit gegeben wird, etwas Aehnliches zu berichten.

     Green-Bay, am 13. October 1871.