Textdaten
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Titel: Der Vogel meines Freundes
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[399] Der Vogel meines Freundes. Einer meiner älteren Freunde, welcher von einer Reise durch Südamerika zurückgekehrt war, lud mich zum Besuch ein, indem er hinzufügte, daß er mir allerlei merkwürdige Dinge, die er mitgebracht, zeigen könne. Als ich endlich seiner Aufforderung folgte und in sein Naturaliencabinet trat, fiel mein Auge zuerst auf einen ungeheuern Vogel, dessen ausgebreitete Flügel nicht weniger als sechszehn Fuß maßen und der am Plafond des Zimmers in fliegender Stellung aufgehängt war. Ich äußerte mein Erstaunen über diese Größe, und mein Freund erwiderte darauf lächelnd: „Ja, das ist ein prachtvoller Vogel, er hat mir aber auch mehr Angst und Gefahren verursacht, als die ganze übrige Sammlung.“

„Wie so?“ fragte ich.

„Ja, das war ein furchtbares Abenteuer,“ antwortete er, „und wenn Sie Alles angesehen haben, will ich Ihnen die Geschichte bei einem Glase Wein erzählen.“

Wir brauchten zwei Stunden, um Alles durchzusehen, dann begaben wir uns nach der Bibliothek meines Freundes, wo wir auf unsere beidereitige Gesundheit tranken und worauf mein Freund seine Erzählung begann.

„Als ich mich in La Paz, einer der blühendsten Städte Südamerikas am Andes-Gebirge, aufhielt, machten meine Freunde mir den Vorschlag, nach dem See Titicaca zu reisen, wo wir, wie sie sagten, äußerst romantische, fast unzugängliche Felsenklippen finden würden. Dies war mir sehr willkommen. Die Reise wurde sogleich beschlossen, und nachdem wir uns einen erfahrenen Führer verschafft und Alles, was zur Reise nöthig war, besorgt hatten, machten wir uns auf den Weg. La Paz liegt zwar in einem Thale, dieses befindet sich aber immer noch einige tausend Fuß über dem Meeresspiegel, und der See, nach welchem wir reisten, liegt 3–4000 Fuß über La Paz, sodaß wir uns bergaufwärts zu bewegen hatten. Die Reise war sogar nicht ohne Gefahren, da wir oft über enge, jähe Felsenpfade, zu deren Seiten uns furchtbare Abgründe angähnten, zu wandern hatten. Ein verfehlter Schritt konnte uns dort leicht den Tod bringen, und wir mußten so sorgsam als möglich gehen. Wenn wir Steine in die Abgründe schleuderten, so dauerte dies oft mehrere Minuten, bis uns das Echo aus der Tiefe verkündete, daß sie dort angelangt seien.

Endlich kamen wir nach den Ufern des Sees, der ein wildes, höchst malerisches Ansehen hatte. Ringsum war die Landschaft wild und zerklüftet, die tiefe Ruhe, welche darüber verbreitet war, gab ihr aber zugleich eine solche Harmonie, daß sie den Eindruck des Erhabenen machte. Es war schon Nachmittag, als wir dort ankamen, und da die Sonne bald darauf hinter die Schneekoppen der Westseite zu sinken begann, beschlossen wir, unser erstes Lager aufzuschlagen und unsere Forschungen bis zum nächsten Tage auszusetzen. Bald nachdem wir Halt gemacht und unser Führer Joseph unser frugales Mahl bereitete, lenkte er unsere Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, der hinter einer zerklüfteten Klippe auf einer fernen Felsenspitze hervorragte. „Señores,“ sagte er, nachdem er gesehen, daß wir ihn in’s Auge gefaßt, „das ist das Nest eines Condor-Paares, das dort seit Jahren seine Jungen aufzieht, da es sicher ist, daß es dort Niemand erreichen kann, denn da kommt so bald Keiner hinauf.“ Er erzählte darauf, daß einige Bergbewohner es versucht hätten, aber dabei zu Schaden gekommen seien. Einmal soll Einer hinaufgekommen sein, aber der furchtbare Vogel habe ihn trotz seiner tapfern Gegenwehr über den Rand der Klippe gezogen und in den Abgrund geschleudert. „Sollte man den Vogel nicht tödten können?“ fragte ich Joseph. „Nein, Señor,“ erwiderte er mit großer Bestimmtheit. „Der Condor ist zu stark, und namentlich würde er jetzt zu fürchten sein, wo Junge im Neste sind, die er mit der größten Wuth vertheidigt.“

Je mehr unser Führer in dieser Weise dagegen sprach, desto mehr reizte uns der Angriff, und wir beschlossen, am nächsten Tage eine Klippe zu ersteigen, welche das Nest überragte, und von wo wir einen Blick auf den furchtbaren Vogel mußten werfen können.

Demgemäß machten wir uns am nächsten Morgen voll Lust auf den Weg. Nach mühsamem, erschöpfendem Emporkommen kamen wir endlich auf dem Gipfel der Klippe an und nahmen dort erst einige Erfrischungen zu uns, ehe wir weiter vorgingen. Nach dem Frühstück erklimmten wir mehrere hervorragende Punkte am Rande des Felsens, um einen Blick in das Nest zu gewinnen; da uns dies jedoch nicht gelang, so schlug ich vor, tiefer hinabzusteigen und an der Felsenkante [400] entlang zu klettern, bis wir sehen konnten, ob die Condor-Mutter im Neste sei. – Unser Führer protestierte feurig gegen meine Keckheit, aber meine Neugier war durch das, was ich von dem Vogel gehört, so gespannt, daß ich entschlossen war, es auf alle Fälle zu wagen. Nach einer Besprechung mit meinen Freunden wurde beschlossen, daß sie mich nach der Kuppe hinablassen sollten, damit ich in’s Nest sehen könne; war die Mutter nicht im Nest, so wollte ich ein oder ein paar Junge fortnehmen und nach der Spitze der Klippe, wo ich niedergelassen war, zurückgehen, damit ich von dort wieder hinaufgezogen werden könne.

Nachdem ich meinen Revolver nachgesehen und mein Jagdmesser in der Scheide lose gesteckt, bereitete ich mich auf die gefahrvolle Reise, indem ich alle überflüssige Kleidungsstücke abwarf, das eine Ende des Seiles um meinen Leib und das andere um einen Holzblock band, der an den Rand der Klippe gestellt wurde. Dann ließ ich mich vorsichtig hinab, bis ich an den Armen hing, schaute umher und gab, als ich sah, daß Alles in Ordnung war, das Zeichen, daß ich hinabgelassen werden sollte, bis meine Füße die Klippe berührten. Darauf kroch ich leise und sorgfältig entlang, bis ich das Nest entdeckte, das unter Zweigen verborgen war und gegen vier Fuß im Durchmesser hatte. Glücklicherweise war die Mutter fort, und mit freudeklopfendem Herzen ging ich auf das Nest zu, in dessen Nähe ein wilder Weinstock Wurzel gefaßt hatte und eine Felsenhöhlung umrankte. Als ich durch diese hindurchtrat und in das Nest sah, erblickte ich zwei junge Vögel in einem weichen Federnest.

Sie waren etwa so groß wie große Gänse, und ich beschloß daher rasch, sie zusammen zu binden und mit ihnen zu entfliehen. Während ich aber damit beschäftigt war, fühlte ich einen Ruck an meinem Leibe, und man kann sich meine Empfindung denken, als ich gewahrte, daß das Seil sich aus irgend einer Ursache gelockert hatte, losgegangen war und etwa fünfzig Fuß lang über den Abgrund hing. Rasch ließ ich die Vögel fallen, zog mein Messer, schnitte das Seil durch und war im Begriff, es einzustecken, als ein wilder Schrei meine Aufmerksamkeit erregte. Verstört blickte ich auf und erblickte zu meinem Entsetzen über dem See einen furchtbaren Vogel, der die Luft durchschnitt und gerade nach der Richtung, wo ich stand, hinflog. Großer Gott! Nie vergesse ich das entsetzliche Gefühl, das mich in dem Augenblick erfüllte, als ich die volle Gefahr meiner Lage erkannte. Auf dieser Felsenkante, fern von meinen Freunden, allein mit dem ungeheuren Vogel, der wie ein Teufel auf mich zustürmte, um mich zu zerreißen! So furchtbar dieses Gefühl war, fühlte ich jedoch auch Muth und Kraft zum Widerstande in mir, eilte durch die Höhlung zurück, zog meinen Revolver und erwartete den Angriff. Ich brauchte nicht lange zu warten. Mit furchtbarem Schrei, der von Klippe zu Klippe hallte, kam der wüthende Condor auf mich losgeschossen, und als er herabschwebte, erhob ich meinen Revolver und zielte so gut ich es in der furchtbaren Aufregung vermochte. Dreimal schoß ich und entlud den Inhalt des Pistols in die Brust des furchtbaren Thieres, ehe es seine Klauen in mein zuckendes Fleisch schlug und mit dem furchtbaren Schnabel nach mir hackte. Mit der Energie der Verzweiflung hieb ich mit meinem Jagdmesser um mich, während ich mit der linken den Weinstock faßte, um meinen Feind zu verhindern, mich nach dem Abgrund der Klippe zu ziehen. Unablässig bohrte ich das Messer in seinen Leib, aber ohne eine Wirkung dadurch zu erzielen. Während der Vogel so stark und kräftig wie im Anfang fortkämpfte, fühlte ich meine Kräfte schwächer werden und begann zu fürchten, daß sie mich verlassen würden. Meine Stöße wurden nach und nach schwächer, meine Hand hielt den Weinstock nicht mehr fest genug, meine Kniee begannen zu zittern, und ich fühlte, daß meine Kräfte mich verließen. „Gott erbarme sich meiner Seele,“ rief ich betend aus, während ich mit einer letzten furchtbaren Anstrengung mein Messer bis zum Heft in die Kehle meines gefiederten Feindes bohrte. Der Schlag zog mich zu Boden, und es schien mir, als falle ich leise einen dunklen Abgrund hinab, während das geflügelte Unthier meine Kehle zerfleischte, heisere, teuflische Schreie ausstoßend – hinunter, hinunter ging es, bis wir am Fuß einer furchtbaren Kluft ankamen, wo Alles um mich her finster wurde.

Als ich zum Bewußtsein erwachte, lag ich auf dem Boden der Höhle, auf der ich gestanden hatte, und der Condor verendet und steif neben mir. Der letzte Stoß, den ich gethan, hatte die Schneide des Jagdmessers zwischen zwei Rückenwirbel getrieben, die Wirbelsäule durchschnitten und dadurch den unmittelbaren Tod des Ungeheuers verursacht. Aber mit welchen Gefühlen mußte ich um mich blicken! Die Sonne ging herrlicher unter, als ich sie je gesehen, aber nicht ein einziger Laut unterbrach die furchtbare Stille, welche ringsumher herrschte. Verwundet, blutend, halb ohnmächtig und verzweifelnd saß ich dort und bewachte die Felsenhöhen, welche immer dunkler und unbestimmter wurden und sich endlich ganz in dichten, grauen Nebel hüllten, und als Stern nach Stern emportauchte und den Himmel mit seinem Glanz erfüllte, zog die furchtbarste Verzweiflung in meine Brust und mein Verstand began zu wanken. – Welche Hoffnung hatte ich noch. Meine Freunde mußten mich todt glauben und waren zurückgegangen, um nie wieder zurückzukehren. Der Führer würde mein keckes Abenteuer denen der Anderen in seiner wundervollen Erzählung beifügen – und meine Knochen mussten unterdessen unbeerdigt auf dem Felsen meiner Tollkühnheit bleichen! Mit tiefem Seufzer ließ ich das Haupt auf die Brust sinken, und als ich es that, fiel der Schimmer eines kleinen Feuers in der fernen Dunkelheit in mein Auge. – Begierig strengte ich meine fieberischen Augen an, um den Schatten eines menschlichen Wesens in der Nähe des Feuers zu erspähen, denn wo dieses war, mußten auch Menschen sein. Eine schwache Hoffnung entsprang in meiner Brust. Konnten es nicht meine Gefährten sein, die, nachdem sie mich aufgegeben, nach dem Ort zurückgekehrt waren, von dem aus unser Führer uns das Nest gezeigt hatte? Mit dem Gedanken hieran wuchs auch die Hoffnung, ich zog mein Pistol und feuerte beide Läufe nach einander ab, aber ach! es kam kein Laut zurück, als das Echo, das meiner Noth spottete. Großer Gott! Sollte ich im Angesicht menschlicher Wesen, ohne daß sie eine Anstrengung zu meiner Rettung machten, verkommen? Der bloße Gedanke daran machte mich beinahe wahnsinnig, da durchzuckte es wie ein belebender Funke mein angstdurchglühtes Gehirn, und es überkam mich dabei wie ein Gefühl der Rettung, das unheschreibbar ist, daß, ich vielleicht das Nest anzünden und dadurch die unten Befindlichen darauf aufmerksam machen konnte, daß sich oben ein lebendes Wesen befand, das aus Mangel an Hülfe dem Verderben ausgesetzt war. Mit zitternder Hand zündete ich ein Schwefelholz an, häufte ein Paar trockene Blätter zusammen, kroch nach dem Nest und legte sie darauf. Eine Zeit lang schien es, als wollten sie nicht brennen, dann brach jedoch eine Flamme hervor, die trockenen Zweige fingen Feuer und in wenig Minuten brannte das ganze Nest prasselnd lichterloh.

Ach, wie ängstlich bewachte ich es und lauschte, ob ihm nicht ein Zeichen des Verständnisses folgen würde. Freude, Freude! Ja, es kam. Eine Büchse wurde unten abgeschossen, ein zweiter und dritter Schuß folgten. Halb verrückt vor Freude ergriff ich einen großen Theil des brennenden Nestes und schleuderte ihn mit aller Kraft in das Dunkel hinein, und als es wie ein Meteor hinabflog, rollten zwei neue Schüsse durch die stille Luft. Gott sei gelobt! Meine Freunde waren unten, und ich sollte gerettet werden. Ich will jetzt nicht wieder erzählen, was ich während der Nacht empfand und mit welcher halb wahnsinnig machenden Angst ich die langsam dahinschleichenden Stunden bis zur Dämmerung zubrachte. So wie es hell wurde, standen meine Freunde auf dem Felsen über mir und bereiteten Alles zu meiner Rettung. Ich warf den Condor über den Klippenrand und während ich das Seil fest um meinen Leib band, sah ich mit Ueberraschung, wie der Vogel wie ein lebendes Wesen im Kreise flog, jemehr er sich dem See näherte. Die Flügel hatten sich ausgebreitet und trugen ihn langsam von der Felshöhe herab. Während er langsam herniederflog, wurde ich eben so langsam hinaufgezogen, und endlich erreichte ich, unter Freudenrufen, den obersten Felsen, wo ich in die Arme meiner Freunde sank, die mich wie einen vom Tode Erstandenen begrüßten. Sie reichten mir Erfrischungen, verbanden meine Wunden, und eine Stunde nach Sonnenuntergang gelangten wir glücklich nach dem See, wo ich den Preis fand, den ich mit so viel Gefahren errungen hatte, und den ich jetzt als Andenken an die um ihn erduldeten furchtbaren Leiden aufbewahre.

„Das“, sagte mein Freund, indem er unsere Gläser von Neuem füllte, „ist die Geschichte des furchtbaren Vogels, der jetzt so harmlos in meinem Cabinet hängt.“