Textdaten
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Autor: Max Ring
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Titel: Der Tugendbund
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 286–288
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Tugendbund.

Zu allen Zeiten lebt in dem Volke selbst, wenn es nicht gänzlich entartet ist, eine innere Heilkraft, welche sich in den Zeiten der Gefahr und großer Krisen stets bewährt. Wie im menschlichen Organismus, wenn er schwer erkrankt, die Natur mit Aufwendung aller Mittel das Uebel beseitigt und die Genesung einleitet, so wirkt auch in dem Staatsorganismus der Geist des Volkes unter ähnlichen Verhältnissen belebend, erhebend und kräftigend, indem er sein eigener Arzt wird und neue, frische Kräfte aus sich selber schöpft. – Als durch die Schlacht bei Jena die preußische Monarchie fast in den letzten Zügen lag, kam die Rettung zunächst aus dem Volke selbst. Zwar erkannte die Regierung die Fehler der Vergangenheit und suchte dieselben durch eine Reihe zweckmäßiger Reformen zu beseitigen, aber sie befand sich nur in der Lage des Arztes, welcher seine Mittel verschreibt, ohne zu wissen, wie weit die Naturkraft des Kranken ausreichen und ihn unterstützen wird. – Aus dem Volke selbst entwickelte sich aber jene innere, wohlthätige Reaction, welche einzig und allein die verlorene Gesundheit wiederbringen kann. Ein solches Streben nach dem Besseren that sich vor Allem in dem sogenannten „Tugendbunde“ kund.

Mitten in der allgemeinen Verwirrung und Auflösung erkannte ein wahrer Patriot, „daß Preußen seine Größe nur in sich selbst suchen, daß die Bürger des tief entwürdigten und geschwächten Staates durch Förderung und Aufrechthaltung vaterländischer Tugenden zum Bewußtsein ihrer moralischen, geistigen Kraft, zum Gefühl ihrer sittlichen Würde wieder emporgehoben werden müßten.“ In Stunden geschäftsloser Muße übermannte ihn oft der tiefe Schmerz über die Schmach des Vaterlandes; seine Seele war voll Trauer über die jämmerlichen Zustände. Tag und Nacht sann er auf Rettung, die er einzig und allein in der Wiedererweckung, Stärkung und Bewährung vaterländischer Tugenden, in der thatkräftigen Wirksamkeit echtpatriotischer Gesinnung zu finden glaubte.

Dieser treue Vaterlandsfreund war Beamter, der Oberfiscal Mosqua zu Königsberg. Er verkannte nicht die großen Schwierigkeiten, die sich seinem Vorhaben entgegenstellten, aber mit fester Beharrlichkeit steuerte er auf sein Ziel los. Am 18. März 1808 that er den ersten Schritt zur Verwirklichung seiner Pläne, indem er sich an den damals in Königsberg anwesenden Geheimen Cabinets-Rath Beyme vertrauensvoll mit folgendem Schreiben wandte: „Ich glaube, die Zeit ist vorhanden, wo man seine Kräfte für König und Vaterland hergeben kann und muß, ohne die Wirkung verfehlen zu dürfen. Was die äußere Macht nicht vermocht hat, wird gewiß die innere Kraft in’s Werk richten, welche wir erst kennen lernen müssen, um davon den zweckmäßigsten Gebrauch machen zu können. In dieser Meinung habe ich es für dienlich gehalten, Seine Königliche Majestät in der beiliegenden Eingabe um die Erlaubniß zur Errichtung einer vaterländischen Privat-Gesellschaft zu bitten, ohne daß solche dem Staate einige Aufopferung kosten darf.“

In der Eingabe selbst hieß es nach einigen einleitenden Worten: „Ich will es freimüthig heraussagen: die deutschen Tugenden sind schon sehr tief untergraben. Aber noch stehen ihre Grundfesten unerschüttert da; noch ist es Zeit, dem Ungeziefer entgegenzuarbeiten, welches dazu gebraucht wird, das deutsche Vaterland zu zerstören. Noch sind wir Deutsche! Von allen Tugenden, die in uns leben, will ich nur eine hervorheben: es ist die deutsche Treue. – Nur eine Gesellschaft deutscher Biedermänner von Kopf und Herz ist im Stande, mit vereinten Kräften dem Uebel entgegenzutreten, welches uns mit gänzlicher Vernichtung bedroht. Zu ihrer Vereinigung wünsche ich aus rein patriotischem Eifer die erste Hand anlegen zu dürfen, ohne mich an die Spitze stellen zu wollen. Um aber den Feinden der guten Sache den Anlaß zu nehmen, sie sogleich im Beginn zu verdächtigen, glaube ich, daß die Gesellschaft einstweilen unbekannt bleiben und im Stillen Gutes zu thun suchen müsse.“

Beyme’s Antwort lautete zwar vorsichtig, aber doch im Ganzen ermuthigend, so daß Mosqua ungesäumt an die Ausführung ging. Zu diesem Zwecke versammelte er einige ihm befreundete Gesinnungsgenossen, den Major von Both, die Kriegsräthe von Tepper und Velhagen, den genialen Professor Lehmann etc., um mit ihnen das Nähere zu besprechen. Auf Wunsch dieser Versammlung arbeitete zunächst der geistvolle Lehmann ein „Allgemeines Grundgesetz zum Tugendverein“ aus, worin er die zu Grunde liegenden Ideen ausführlich folgendermaßen entwickelte: „Ein musterhaftes Leben, Humanität und Anfesselung jedes Menschen an Jeden und an das Gesetz ist das Strebeziel des Vereins. [287] Festigkeit des Sinnes und irgend welche gute Auszeichnung sind die Bedingungen zur Wahl der Mitglieder. Diese arbeiten mündlich oder schriftlich durch alle Mittel der Macht darauf hin, daß Vaterlandsliebe, deutsche Selbstheit, Geradsinn, Liebe zu den natürlichen Verhältnissen der Familie, Anhänglichkeit an den Monarchen und die Verfassung, Achtung gegen Gesetz und Obere, Religiosität, festes Streben gegen Unsitte, Laster und Künstelei, Liebe zur Wissenschaft und Kunst, Humanität und Brüderlichkeit, daß der Haß gegen den Luxus, dieses Gift der Treue, der Natürlichkeit und offenen Schlichtheit und diesen Pfleger von Falschheit, Selbstsucht und gekünstelten Sitten, daß die Tugenden des Muthes, der Hoffnung, der Freimüthigkeit und der bürgerlichen Festigkeit, daß endlich der Haß gegen Schmeichelei, Kriecherei, Verweichlichung, Menschenscheu und dergleichen wachse.“

Mit diesen Grundzügen stimmten die später ausgearbeiteten Statuten der Gesellschaft überein, die sich den Namen „Tugendverein“ selbst beilegte. Vor Allem war es jedoch nöthig, die Beistimmung der höheren Behörden zu erlangen. Zunächst wurde General Scharnhorst, der geniale Schöpfer der preußischen Wehrkraft, in der Umgebung des Königs für die Zwecke des Vereins, mit denen er selbst innig sympathisirte, gewonnen. Er wurde der Hauptförderer und Beschützer der Gesellschaft, ohne ihr jedoch, wie fälschlich geglaubt wird, beizutreten. Endlich erfolgte auch die königliche Anerkennung und officielle Genehmigung des sogenannten „Tugendvereins“, insofern er sich hiermit in den Grenzen der Landesgesetze und ohne alle Einmischung in Politik und Staatsverwaltung beschäftigen wolle.

Alsbald entfaltete die neue Verbindung eine ungemeine Thätigkeit, in kurzer Zeit wuchs die Zahl der Mitglieder auf Hunderte, darunter die besten und edelsten Männer des Landes. Ueberall bildeten sich sogenannte „Kammern“, welche sich der „Hauptkammer“ in Königsberg unterordneten, die wieder von einem „Obercensor“ geleitet wurde. Emissaire wurden nach den Provinzen, nach Schlesien und Pommern ausgesendet, um die Zwecke des Vereins zu fördern. Einer der Eifrigsten von ihnen war der Justiz-Assessor Heinrich Bardeleben aus Braunsberg, der längere Zeit fälschlich für den Stifter des Tugendbundes gehalten wurde.

In seiner Wirksamkeit hatte sich der Verein große, weit umfassende Ziele gesteckt, indem er für die Erziehung der Jugend, für Volksbildung und Volkswohlstand, für innere und äußere Polizei Sorge tragen wollte. Im Fache der Erziehung stellte er sich die Aufgabe: durch Berathungen die vorzüglichsten Methoden zu ermitteln, durch welche die Jugend zum möglichst vollständigen Gebrauche aller ihrer geistigen und körperlichen Kräfte gelange, die Entwickelung allgemeiner Sittlichkeit, Religiosität und besonders des Bürgersinns eifrig zu befördern, endlich die Erziehung elternloser und verarmter Kinder zu übernehmen.

Für die Volksbildung sollte durch Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse, durch Hebung des Nationalbewußtseins und Pflichtgefühls gewirkt werden. Zu diesem Zwecke sollte auch die Veredlung der Volksfeste, volksthümliche Spiele, körperliche Uebungen, Turnen etc. dienen; dagegen wollte man dem Hange zu Privatkomödien, dem Lesen schlechter Romane und unsittlicher Gedichte entgegenarbeiten und diese durch bessere, gediegenere Schriften für das Volk zu ersetzen suchen. Für den Volkswohlstand gedachte der Verein durch Belohnung und Aufmunterung, Herbeiziehung von kenntnißreichen Fachmännern, durch Vorschußcassen etc. einen neuen Aufschwung herbeizuführen. Im Fache der äußeren Polizei ging sein Streben dahin, das Volk über den Zweck der verschiedenen Gesetze und Maßregeln aufzuklären und seinen Rechtssinn zu stärken, während die innere Polizei sich lediglich auf das sittliche Verhalten der Bundesmitglieder selbst beschränkte.

Die Zeit des Bestehens, welche dem Tugendbunde zugemessen, war zu kurz, um all diese großartigen Pläne auszuführen, dennoch leistete er Wunderbares. In Königsberg errichtete er eine Speiseanstalt, wo täglich 640 Arme unentgeltlich gespeist wurden; in Braunsberg wurde eine Industrieschule geschaffen, die nach wenig Monaten schon 146 Mädchen und Frauen beschäftigte; an andern Orten machte er sich durch Einführung gymnastischer Uebungen, durch Anleitung zu einer besseren Cultur, durch Gründung von Niederlagen für Gewerbsarbeiten etc. hoch verdient.

Sein Hauptstreben war aber auf Weckung der Vaterlandsliebe und auf Befreiung von dem Joche des fremden Unterdrückers gerichtet, so sehr auch die Verhältnisse dem Verein die größte Vorsicht auferlegten. Es fehlte ihm natürlich nicht an Feinden und Gegnern, zu denen vorzugsweise die Franzosenfreunde am Hofe gehörten. Schon der Name „Tugendverein“ gab den entnervten Schranzen, den Ueberbleibseln einer frivolen und sittenlosen Vergangenheit, hinlängliche Gelegenheit zum Spötteln. Dazu kam die schwankende Lage des preußischen Staates, die Furcht des Königs, Napoleon durch Begünstigung einer Verbindung zu erzürnen, die entschieden gegen diesen gerichtet war. Während man im Geheimen die Zwecke der Gesellschaft billigte, sah man sich öffentlich dem französischen Gewalthaber gegenüber gezwungen, dieselben in Abrede zu stellen. Von Spionen und Aufpassern umringt, unter denen auch leider viele Deutsche sich befanden, war der Verein ein Gegenstand des Argwohns in den Augen der Franzosen und besonders Napoleons, der mit gewohntem Scharfblick die Gefahr einer solchen geistigen Volkserhebung sogleich erkannte und sie im Keime schon zu unterdrücken suchte.

Trotz all’ dieser Hindernisse verbreitete sich der Tugendbund mit überraschender Schnelligkeit über ganz Preußen, selbst in den kleinsten Städten fanden sich Theilnehmer und Förderer seiner Zwecke. Unter seinen Mitgliedern zählte er Männer, die durch Geist, Tüchtigkeit der Gesinnung und große Verdienste in der Staatsverwaltung hervorragten, so den nachmaligen Kriegsminister von Boyen, den Lieutenant von Witzleben, ebenfalls später Kriegsminister, den herrlichen Grolmann, den Prinzen von Hohenzollern-Hechingen und den Herzog von Holstein-Beck, den Kammerdirector von Ladenberg in Marienwerder, welcher bis zum Cultusminister emporstieg, Staatsrath von Ribbentrapp und den verdienstvollen Oberpräsidenten Merkel in Schlesien. Besonders zahlreich war der gelehrte Stand vertreten; durch Wort und Schrift wirkten für den Verein der Dompropst und nachmalige Bischof von Mathy in Kulm, die Professoren Krug in Königsberg, später nach Leipzig berufen, Eichhorn in Frankfurt an der Oder, der Geschichtschreiber Baczko, der gelehrte Rector Manso in Breslau, die Professoren Rhode und Elsler ebendaselbst und der bekannte Gubitz in Berlin. Männer wie Blücher, Gneisenau, Scharnhorst traten zwar dem Vereine, obgleich dies vielfach behauptet wird, nicht öffentlich bei, förderten aber und unterstützten ihn auf jede mögliche Weise im Stillen, da ihnen ihre Stellung eine größere Vorsicht auferlegte. Im gleichen Sinne wirkten Fichte, Schleiermacher und Arndt; wenn sie auch nicht zu den eigentlichen Mitgliedern gehörten, so standen sie doch zu den Leitern in innigstem Verhältnisse und waren vollkommen mit ihnen einverstanden. Stein dagegen nahm mit der Zeit, wenn auch nicht eine feindliche, so doch eine minder günstige Stellung zu dem Tugendbunde ein, wozu der amtliche Bericht des Assessors Koppe, der später durch seine Unvorsichtigkeit den Minister compromittirte und seine gezwungene Entlassung herbeiführte, das Meiste beigetragen zu haben scheint. Stein selbst hielt den Verein für unpraktisch und sein Streben, einen mittelbaren Einfluß auf die Erziehungs- und Militair-Anstalten auszuüben, für unstatthaft.

In ähnlicher Weise urtheilte ein großer Theil der preußischen Bureaukratie, welche zu allen Zeiten gegen jede Selbstbestimmung und Kraftäußerung des Volkes sich auflehnte und den beschränkten Unterthanenverstand unter ihre alleinige Vormundschaft stellen wollte. Von vielen Seiten wurde der König mit Klagen und Verleumdüngen gegen den Verein bestürmt, denen er jedoch anfänglich kein Gehör schenkte. Als der Herzog von Holstein, ein Mitglied des Tugendbundes, ihm für seinen Schutz dankte, äußerte sich Friedrich Wilhelm der Dritte folgendermaßen: „Es freut mich, daß Sie auch dazu gehören. Es ist wahr, daß dieser Verein Feinde hat, und daß ich der Einzige bin, der ihn hält, die andern Herren wollen alle nicht viel davon halten. So lange ich nun weiß, daß der Verein in den vorgeschriebenen Schranken bleibt, werde ich ihn gewiß schützen, weil manches Gute durch ihn bewirkt werden kann, und ich weiß es, daß viele vernünftige Männer in dieser Gesellschaft sind, von denen ich gewiß erwarten darf, daß sie suchen werden, Alles zu vermeiden und zu entfernen, was zu gegründeten Beschwerden gegen den Verein Anlaß geben kann.“

Gestützt auf diese königliche Zusage fuhr der Tugendbund in seinem segensreichen Werke fort, obgleich die mannichfachen Verleumdungen ihm einen gewissen Zwang auferlegten. Die Verbindung war zwar keine geheime, aber doch eine geschlossene, da die Mitglieder sich von allen Seiten beobachtet sahen. Unter dem [288] Vorwande einer Jagdpartie oder eines anderen Vergnügens versammelten sie sich bald bei einem wohlhabenden Gutsbesitzer auf dem Lande, bald in einer kleinen Stadt, wo sie sich weniger bemerkt glaubten. Hier wurden im Stillen die nöthigen Verabredungen getroffen, neue Bundesglieder aufgenommen, wichtige Nachrichten mitgetheilt und die Befreiung des Vaterlandes geräuschlos vorbereitet. Die Kunde dieser Vorgänge verbreitete sich durch ganz Deutschland, obgleich der Verein ursprünglich nur auf Preußen beschränkt blieb; sie flog über die Elbe zu den Völkern, die in westphälischer und französischer Gefangenschaft saßen; Vertraute bargen das heilige Feuer vor dem Auge der Bedrücker und warfen in die Nacht der namenlosen Leiden den Hoffnungsstrahl der Erlösung; die Niedersachsen, die Westphalen und Hessen klirrten mit ihren Ketten, und der Argwohn der Fremden glaubte sich von unsichtbaren Gefahren umgeben: sie fühlten das Wehen des Geistes, der ihre finsteren Werke zerreißen sollte.“

Der ausgestreute Samen blieb nicht ohne Frucht, aber leider war die Zeit der Reife noch nicht gekommen. Am 28. April 1809 verließ der Major Schill, der zum Tugendbund gehörte, heimlich mit seinem Regimente Berlin, um auf eigene Hand Napoleon den Krieg zu erklären. Zu gleicher Zeit erhob sich in Hessen der Oberst Dörnberg in ähnlicher Absicht; eine große Anzahl muthiger und tapferer Männer schloß sich ihnen an, beseelt von der edelsten Begeisterung. Beide Unternehmen scheiterten an der Unentschlossenheit der deutschen Regierungen und weil das Volk noch nicht genügend vorbereitet war. Der edle Schill büßte sein kühnes Wagen mit dem Leben; er starb den Heldentod in Stralsund, während Dörnberg sich durch Flucht dem gleichen Schicksal zu entziehen wußte.

Es genügte, daß Schill Mitglied des Tugendbundes war, um diesen zu seinem Mitschuldigen zu machen. Die Feinde des Vereins erhoben jetzt lauter als je ihre Stimme und beschuldigten ihn der gefährlichsten Tendenzen; mit ihnen zugleich forderte Napoleon, wenn auch nicht direct, die Auflösung des Tugendbundes. Diese erfolgte am 31. December 1809 auf Befehl des Königs, wonach die Auflösung ohne alles öffentliche Aufsehen, aber vollständig geschehen, alle Papiere abgeliefert und versiegelt, die Mitgliedschaft weder im Guten, noch im Bösen angerechnet werden, und die Censurbehörde keine Schriften und Aeußerungen über diese ganze Angelegenheit zum Druck gelangen lassen sollte.

Am 11. Januar 1810 wurde die königliche Cabinets-Ordre der letzten General-Versammlung in Königsberg durch den Prinzen von Hohenzollern mitgetheilt. In tiefster Trauer und unter Thränen trennten sich die Mitglieder, welche ein besseres Geschick verdient zu haben glaubten, aber ohne Murren sich dem Befehle des Königs fügten. Keiner war aber von dem schweren Schlage mehr niedergebeugt, als der Prinz von Hohenzollern; er verlangte, im Bewußtsein der edlen Zwecke des Vereins, eine strenge Untersuchung, die jedoch nicht erfolgte. Die Regierung wollte jedes Aufsehen vermeiden und begrub den Tugendbund in tiefster Stille.

Aber der Geist, aus dem er entsprungen, konnte nicht getödtet werden; er wirkte, wenn auch in anderer Form, lebendig in den Mitgliedern und in dem ganzen preußischen Volke fort. Das äußere Band war zwar zerfallen, um so leichter wurde der zerstreute Same durch das weite Land fortgetragen. Auch ohne Statut, Obere und gemeinschaftliche Versammlungen fanden und kannten sich die Freunde des Vaterlandes, die bald den großen „Tugendbund“ bildeten, der seine Mitglieder nicht nach Hunderten, sondern nach Hunderttausenden zählte und die ganze Nation, alle verwandten deutschen Stämme in sich aufnahm.
Max Ring.