Der Tod Kaiser Norton’s des Ersten

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Titel: Der Tod Kaiser Norton’s des Ersten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 183
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[183] Der Tod Kaiser Norton's des Ersten. Am 8. Januar d. J. starb im Alter von fünfundsechszig Jahren in seiner „Residenzstadt“ San Francisco jener Sonderling, welcher als „Norton der Erste, Kaiser der Vereinigten Staaten und Protector von Mexico“ durch die „Gartenlaube“ weltberühmt geworden und den Lesern dieser Blätter gewiß noch in der Erinnerung ist.[1]

Wohl Jedem, der während der letzten Jahrzehnte San Francisco auf längere Zeit besucht hat, ist die wunderbare Gestalt jenes in einer schäbigen alten mexicanischen Uniform, mit Hahnenfeder auf dem Hut und mit Knotenstock oder baumwollenem blauem Schirm unter dem Arm die Straßen dieser Stadt gravitatisch auf- und abwandelnden Mannes eine bekannte Erscheinung gewesen, der sich selbst den gekrönten Titel gegeben und von der ganzen Bevölkerung nie anders als „The Emperor“ genannt wurde. Man sah ihn Sonntags in den Kirchen, und er fehlte bei keinem Concert, keiner Festlichkeit, keinem öffentlichen Aufzuge. In Theatern und an anderen Vergnügungsorten, wo gewöhnliche Sterbliche selbst in diesem freien Lande ihren Obolus an der Eingangspforte entrichten müssen, hatte er freien Zutritt. Nach schweigendem Uebereinkommen sämmtlicher Gastwirthe speiste der „Emperor“ unentgeltlich in jeder Restauration, an jeder Hôteltafel, wo er einzutreten beliebte, und wenn es dennoch gelegentlich vorkam, daß ein Kellner dem kaiserlichen Gaste aus Unkenntnis Geld abverlangte, so fanden sich stets Zehn für Einen unter den gerade anwesenden Amerikanern, welche die Zeche für Seine Majestät liquidirten.

Das nöthige Kleingeld für anderweitige leibliche Bedürfnisse oder für Wohlthätigkeitszwecke verschaffte sich Norton der Erste durch den eigenhändigen Verkauf seiner Schatzscheine oder durch Abgaben, die er von den Kaufleuten mit unnachsichtlicher Strenge persönlich eintrieb und die ihm nie verweigert wurden. Während eines Zeitraumes von mehr als fünfundzwanzig Jahren stand der alte Kaiser auf cordialem Fuße mit seinen getreuen Unterthanen, deren Liebe und Anhänglichkeit für ihn bis zu seinem Tode dieselbe geblieben ist.

Seine unzähligen Proclamationen in den hiesigen Tagesblättern, in denen er seinem Mißfallen über politische Zustände, über Krieg und Frieden, über municipale Verhältnisse im Allgemeinen etc. drastische Worte lieh, seine Befehle an auswärtige Potentaten und Minister wurden stets von Alt und Jung mit gebührender Aufmerksamkeit gelesen, und es war sicherlich nicht seine Schuld, daß z. B. Bismarck den Franzosen die Milliarden nicht erließ und daß die Russen im letzten Türkenkriege nicht an der Donau Halt machen wollten. Ob General Grant dem entschiedenen Befehl, die Candidatur für einen dritten Präsidentschaftstermin nicht anzunehmen, gehorchen wird, muß sich bald entscheiden. Wäre Norton der Erste ein Jahr länger am Leben geblieben, so würden seine auf die nächste Präsidentenwahl Bezug nehmenden Proclamationen ohne Zweifel in Washington gebührende Achtung gefunden haben.

Norton der Erste pflegte nicht gern bei den Sitzungen des californischen Repräsentantenhauses in Sacramento zu fehlen und nahm dort regelmäßig einen Platz auf der vordersten Bank ein, wo er den Debatten mit der größten Aufmerksamkeit folgte. Als er im Jahre 1866 eine Reise von San Francisco nach Sacramento auf dem Dampfer „Yosemite“ unternahm, passirte es ihm, daß der Capitain jenes Dampfers ihn nicht unentgeltlich mitnehmen wollte. In Folge dieser respectswidrigen Behandlung erließ der entrüstete Kaiser die folgende Proclamation, welche dem Leser den energischen Stil unserer californischen Majestät veranschaulichen möge:

„Wir, Norton der Erste, Dei gratia Kaiser der Vereinigten Staaten und Protector von Mexico, befehlen, da die Dampfschiffsahrtsgesellschaft Uns die freie Passage nach Sacramento verweigert hat, daß der Vereinigten Staaten Kutter 'Shubrick' den Sacramentofluß so lange blockire, bis die rebellische Gesellschaft sich Uns gefügt haben wird.
(Siegel.)

     San Francisco, den 8. Februar 1866.

Norton der Erste.“

Die Dampfschifffahrtsgesellschaft, welcher beim Bekanntwerden dieser geharnischten Proclamation der Schrecken in die Glieder ging, sandte dem „Emperor“ sofort einen Freipaß auf Lebenszeit zu, und seitdem hat weder diese noch irgend eine andere Gesellschaft in Kalifornien es gewagt, der freien Bewegung Seiner Majestät Zwang anzulegen.

Einmal war ich jedoch Zeuge, wie dem Kaiser der Vereinigten Staaten durch die brutale Nichtachtung einer niedrigen Kellnerseele eine Majestätsbeleidigung zu Theil wurde, die in den Annalen der Geschichte ihres Gleichen sucht. Es war kurz nach der Eröffnung der Pacificbahn, als noch Restaurationswaggons den zwischen San Francisco und Sacramento fahrenden Zügen beigegeben wurden. Ich verzehrte während einer Reise nach Sacramento auf jener Bahn gerade ein treffliches Hamburger Beefsteak mit Bratkartoffeln im Speisewaggon und ließ als Zugabe das Panorama der fernen San Joaquin-Ebene, mit den Schneebergen der Sierra Nevada im Hintergrunde, an meinem Fenster vorüberfliegen, als die mir wohlbekannte Gestalt des Kaisers der Vereinigten Staaten und Protectors von Mexico gravitätisch aus dem nächsten Silberpalastwaggon in meinen Wagen trat und mir gegenüber an meinem Eßtische Platz nahm.

Norton der Erste befahl einem Aufwärter, ihm sofort eine Hammelcotelette nebst Gemüse, Austernpastete und eine Flasche Rheinwein zu bringen. Der Kellner nahm jedoch keine Notiz davon und hatte sogar die Frechheit, als der Kaiser seine Ordre ziemlich barsch und laut wiederholte, ihn zu fragen, ob er auch genügend Geld in der Tasche habe, um für die bestellte Mahlzeit zu bezahlen.

Die Entrüstung Seiner Majestät über den beschränkten Unterthanenverstand des Aufwärters war grenzenlos. Mit dem knorrigen Ziegenhainer auf den Tisch schlagend, schnauzte er den erschrockenen Kellner wüthend an und befahl ihm bei seinem Zorne, das Verlangte schleunigst zu bringen, widrigenfalls er der Pacificbahn ihren Freibrief innerhalb der Grenzen seines Reiches entziehen werde. Einige mitreisende Californier legten sich nun in’s Mittel und veranstalteten schnell eine Collecte, für deren sehr splendid ausfallenden Betrag die Tafel königlich servirt und überdies noch durch zwei Flaschen Champagner ausgezeichnet wurde, um das erzürnte Gemüth des Kaisers wieder zu versöhnen. Norton der Erste geruhte, sämmtlichen Passagieren und selbstverständlich auch mir, seinem ergebenen vis à vis, ein Glas Schaumwein einzuschenken, erklärte sich aber erst zufrieden gestellt, als der reuige Kellner ihm demüthigst Abbitte that und der mittlerweile in den Speisewaggon eingetretene Conducteur mit unterwürfiger Miene versprach, daß dem Kaiser eine ähnliche Mißachtung, wie sie soeben stattgefunden, nie wieder auf einem Zuge der Pacificbahn geboten werden solle.

Es würde hier zu weit führen, die Excentricitäten dieses originellen Potentaten, dessen Titel und Würde vom Volke mit liebenswürdigem Humor ein für alle Mal acceptirt worden waren, ausführlicher zu beschreiben. Norton der Erste gehörte eng zu der alten Goldstadt San Francisco und wurde von der neueren Generation dieser werdenden Weltstadt als ein heiliges Vermächtniß der „alten Zeit“ pietätvoll hingenommen. Mit ihm ist wieder ein Stück Romantik aus dem Goldlande verschwunden, deß Gleichen in keiner anderen Stadt der Welt möglich gewesen wäre. An zehntausend Menschen, vom Arbeiter bis zum Millionär, haben dem guten, alten „Emperor“ vor seiner Bestattung noch einen Blick zugeworfen, ehe sich der Sargdeckel über seiner irdischen Hülle schloß. Sein Andenken wird in dieser Stadt wohl niemals ausgelöscht werden; seine Büsten und Bilder werden die Erinnerung an ihn wach halten, und spätere Geschlechter werden ihn sicherlich mit dem Zauber der Sage und Romantik aus der „glänzenden alten Zeit“ umgeben. Ohne Hofstaat, Steuereinnehmer und Minister regierte Norton der Erste einen Continent, ein Schattenkaiser, an dessen Namen kein Makel haftet. Möge die Erde ihm leicht sein!

     San Francisco, im Januar 1880.
Theodor Kirchhoff.


  1. Siehe „Gartenlaube“ 1869, Nr. 32 und 1870, Nr. 47.