Der Spiegel (Cotta)
Der Spiegel.
Dort im Entree bei Excellenz
Häng’ ich an einer Wand,
Und niemand ahnt wohl, was ich dort
Für Unterhaltung fand.
Zwei Wandleuchter gehängt,
Damit auch jeder Gegenstand
Sich strahlend in mir fängt.
Des Freitags ist – wer weiss warum?
Da kommen Damen und viel Herr’n
Im allerhöchsten Wichs.
Der Diener nimmt die Mäntel ab,
Die Zofe hilft dabei;
Und treibt noch mancherlei.
Ist dieses Mancherlel besorgt,
Tret’ ich erst in Aktion –
Man dreht die Leuchter vorteilhaft
Herr Leutnant Kurt von Tittchentei
Sich stets vor mir erst schnäuzt;
Zwei kleine Bürstchen holt er ’raus,
Die Beine stehn gespreizt.
Nach rechts und links gepflügt.
Genug! Monocle fest! Ein Blick!
Er geht und lacht vergnügt. –
Herr Egon Versler, Litterat
Der jedes Jahr ein Trauerspiel
Und zehn Pfund Lyrik schuf,
Herr Versler braucht geraume Zeit,
Sich gründlich zu beschau’n.
Und streicht die Augenbrau’n. –
Frau Wanda Gans von Schnattersheim,
Die macht es auch nicht schnell,
Drückt das Gebiss fest, reckt sich stolz
Der Herr Assessor Biegdichrecht,
Der hat von weissem Rips
Seit Jahren einen einzigen
Salongerechten Shlips.
Und bindet sich, nicht dumm,
Vor mir mit vieler Präzision
Erst stets den weissen um. –
Comtesse Julie von Passé,
Macht sich geschwind mit einem Stift
Vor mir die Lippen rot.
Und Fräulein Aenni Wendehals,
Kokett und kalt wie Eis,
Rasch noch die Zähne weiss. –
Der grosse Tenorist Hochzeh,
Der eben jetzt en vogue
Und der die ganze Damenwelt
Der bringt chines’sche Tusche mit
Und malt mit sichrer Hand
Ganz unbemerkt um jedes Aug’
Sich einen dunkeln Rand.
Und riesig selbstbewusst,
Der zupft und zerrt ins beste Licht
Die Orden auf der Brust. –
So sehe ich von meiner Wand
Und wenn jour fix gewesen ist,
Ist mir mein Glas ganz trüb;
Getrübt von Puderstaub und Fett,
Durch Hauch von jedem Wicht –
Von manchem – Schafsgesicht. –
Doch still – ich weiss ein holdes Kind – –
Auch sie kommt zum jour fix!
So oft sie naht, sie würdigt mich
Und wenn auch – ich, ich sehe sie:
So lieb, so schön, so rein! –
Und wär’ ich nicht bei Excellenz,
Möcht’ ich ihr Spiegel sein! –