Der Krystall-Palast in Amsterdam

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Titel: Der Krystall-Palast in Amsterdam
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 107–109
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Krystall-Palast in Amsterdam.
(Industrie- und Kunstausstellung aller Nationen.)

Als sich vor zehn Jahren der erste kosmopolitische Friedenstempel für alle Völker im Hyde-Park zu London aus Glas und Eisen erhob, wölbte und mit dem Fleiße und Schweiße aller Schaffenden der Erde zu nie erhörter Pracht ausfüllte, da jubelten die Hoffnungsvollen in allen Sprachen und begrüßten das Morgenroth einer sonnigen neuen Zeit ewigen Friedens, freien Austausches von Mangel und Ueberfluß über die Erde, allgemeiner Wohlfahrt und Sicherheit von „Personen und Eigenthum“ der „geretteten“ Völker und Staaten.

Der Wahn war kurz, die Reue lang. Es folgten zehn Jahre der Furcht vor Krieg und Revolution, Krieg mit unmenschlichstem, muthwilligstem Blutvergießen, Revolutionen und Staatsstreiche von oben gegen bereits gerettete und zusammengehauene Völker. Gefüllte Kerker überfüllten sich, so daß Männer und Jünglinge, die nicht unter die Soldaten, in den Krieg getrieben wurden, tausendweise auf giftige, heiße Inseln transportirt, wegen Mangel an Liebe zu verhaßten Zuständen und Personen in ihrem Erwerbe gestört, ausgewiesen, Hunderttausendweise zum Auswandern genöthigt oder zur Paß-, Concessions- und Arbeitslosigkeit zu Hause verurtheilt wurden. Die Schaffenden, Erwerbenden und Nährenden, die vorher frohndienend Ziegel brennen mußten, wurden gezwungen, nun auch Stroh und Holz dazu zusammen zu lesen; die Steuern verdoppelten sich. Feierlich beschworene und constituirte Rechte und Pflichten zwischen Herrschenden und Beherrschten wurden abgeschafft, verlacht, verhöhnt, die Verträge des „europäischen Gleichgewichts“ und des Friedens unter den Fürsten durch List und Gewalt verletzt und gebrochen. Der Premier des mächtigsten und freiesten Volkes war der Erste, der dem größten Meister in dieser Sphäre gratulirte. England wollte für 1861 eine neue Cultur-Ausstellung aller Völker bauen, wagte es aber nicht, konnt’ es nicht wegen der maßlosen Furcht vor dem Palmerston’schen Freunde, dem treuen „Alliirten“ drüben. England und manche andere Großmacht werden wegen dieser Freundschaft, wegen allgemeinen Mißtrauens, wegen der waltenden Nemesis der letzten zehn Jahre auch manches Andere nicht bauen können. Werthe von Millionen blieben in den englischen Häfen, in den Fabriken Europa’s liegen, in den Händen zum Müßiggang verurtheilter Arbeiter stecken, weil Kaufleute fürchteten, ihre mit dem Fleiße der Arbeit beladenen Schiffe könnten unterwegs in einen irgendwo und irgendwie ausgebrochenen Krieg hineinfahren.

Die Großen und Mächtigen hörten nicht auf die Stimmen der Friedenstempel, sie ließen sich gar nicht darin sehen, sie wollten nichts davon verstehen. Die Diplomatie und Politik steht ja hoch über der Weisheit, welche von stummen Callico-Ballen, von tönender Keramik und dem Rauschen textiler Künste gepredigt wird. In ihnen klingen die Rechte und Freiheiten der fleißigen, schaffenden Hand, des denkenden, erfindenden Kopfes. Unter den Diplomaten und regierenden Classen von Profession, am Entschiedensten unter den „obersten Zehntausenden“ Englands, gilt jede Art von Industrie und redlichem Erwerb als eine ausgemachte Schande. Der Krystall-Palast sollte im Hyde-Parke stehen bleiben, und Petitionen mit Hunderttausenden von Unterschriften verlangten dessen Erhaltung. Aber die „regierenden Classen“, die alle Tage in dessen Nähe mit ihren Damen Corso reiten, duldeten diese dauernde „Schande“ nicht; so daß er abgetragen und fünf Meilen weit im Süden wieder aufgebaut werden mußte. Die Industrie mit ihrem völkerverbrüdernden Kosmopolitismus unterlag in England – in Europa; die Diplomatie, welche Grenzen, Zöllner, Zollhäuser, Abgaben, streitende Interessen zwischen diesen Grenzen, Feindseligkeit, Soldaten, Kanonen, Bajonnete haben muß, um zu leben und sich wichtig zu machen und Freund und Feind auszubeuten, siegte und schwitzt seitdem täglich den Angstschweiß ihrer Triumphe.

Die Industrie unterlag, um vielleicht während dieser zehn Jahre der Schmach ihren größten Heldenkampf zu kämpfen und in ihrer Kraft sich loszuschütteln von den Frohndiensten und der Welt die Gesetze ewigen Friedens, der Freiheit unter den Völkern zu dictiren.

„Industrie, Kunst und Wissenschaft“ aller Nationen wollen im Mai 1861 zu einem neuen Congreß sich versammeln, um zu zeigen, was sie während der letzten zehn Jahre zu leisten gelernt, und zu sagen, was ihr heiliges Recht geworden, wenn sie „steuerkräftig“ bleiben sollen, und unter welchen Bedingungen sie künftig allein die nichtarbeitenden Classen mit ernähren können. Der Congreß wird aber nicht wieder nach London, überhaupt in keine Großmachtsstadt berufen (lauter „unsicher gemachte Gegenden“), sondern in die niederländische Haupt- und Hafenstadt Amsterdam, die halbmondförmig dem Meere zugewandte Stadt der neunzig Inseln, auf deren Brücken und zwischen deren kosmopolitischen Masten einst Spinoza dachte, Freiligrath dichtete und Swammerdam forschte.

Der Krystall-Palast für diesen zweiten kosmopolitischen Congreß fängt an, am Utrecht-Thore aufzusteigen, nach dem ausgeführten Plane prächtiger und schöner, als der größte Stolz Amsterdams, das ehemalige Stadthaus, jetzt Königsschloß, und der ehemalige Prinzenhof, jetzt Rathhaus. Er ist für die Dauer bestimmt, da keine englische Aristokratie am Utrechter Thore reitet, die sich durch dessen Nachbarschaft entehrt fühlen würde. Obgleich weit kleiner, als der erste vor zehn Jahren, im Ganzen nur 412 Fuß lang und 172 breit (im Transept 224), wird er doch, wie man

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Der Krystall-Palast in Amsterdam.

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Das Dach des Hauptschiffes besteht aus schmiedeeisernen, gewölbten Rippen und wird durchaus mit Glas gedeckt und zwar einem doppelten Glasdache, dessen Scheiben 3/4 Zoll von einander in schmiedeeiserne Barren (in der Gestalt eines liegenden =) geschoben werden. Der Dachfirst des Hauptschiffes ist 89 Fuß hoch. Die Enden desselben werden mit sehr ornamentalen, halbcirkelförmigen Fenstern ausgefüllt, in gußeisernen Rahmen, die ebenfalls 4 Zoll von einander doppelt mit Glas versehen, werden. Die äußeren Wände, mit Eisenplatten gefüllt, lassen das Licht blos von oben ein. Nach bisheriger Berechnung wird man 50,000 Centner Guß- und 1000 Centner Schmiedeeisen zu dem Knochen- und Rippenwerk brauchen, das von einer Firma in Birmingham geliefert wird. Der architektonische Plan ist von C. Outshoorn in Amsterdam, das Unternehmen selbst als finanzielles von den Herren van Heel und Holtzmann. Die Gestaltung und Detail-Construction des Eisenwerks steht unter Leitung eines englischen Hauses in London, R. M. Ordith (Great George Street, Westminster).

Unsere Abbildung, nach der architektonischen Originalzeichnung in der englischen Bauzeitung („the Builder“), gibt eine klare Anschauung von der äußern Gestalt des Werkes, auf welchem wir als merkwürdiges Charakteristikum einen Thurm oder Dom finden. Man hat dessen verschönernde Kraft bezweifelt, aber ein im Kleinen ausgeführtes Modell entschied zu Gunsten desselben. Dieser elliptische Dom fängt 95 Fuß vom Parterre im Transept an, wo Eisenrippen von den Säulenschaften sich elliptisch nach dem Centrum aufwölben und so die Basis mit Axen von 70 und 42 Fuß bilden. Auf dieser elliptischen Basis stehen 23 Fuß hohe Säulen-Paare, ausgefüllt mit glasirten Eisenplatten, die das eigentliche Domgewölbe tragen. Es besteht aus Eisen, ist mit Zink gedeckt und spitzt sich zu einer architektonischen „Latèrne“ zu mit einem Knopfe, auf welchem wahrscheinlich ein besittigter Merkur, 187 Fuß über ebener Erde, Platz nehmen wird.

Das Eisenwerk im Innern nimmt unter der Hand geschickter Gießer und Modelleurs oder Dampfschmiedefunner, dann durch Anstreicher und Maler den Charakter des Ornamentalen und Schönen an, sodaß man die schwere Nothwendigkeit architektonischen Tragens nicht merken und sich von dem heitern Spiel leichter Formen und Farben erhoben und erleichtert fühlen soll.

Die veranschlagten Kosten lauten auf 95,000 Pfund Sterl., die aber bei englischen Unternehmungen bis jetzt nie eingehalten und sogar gelegentlich dreifach überstiegen wurden.

So viel für jetzt von dem zweiten großen Friedenstempel aller Nationen. Geschickte und fleißige Fabrikanten, Künstler und Arbeiter mögen sich bereiten, um an dem großen, schönen Wettkampfe um Orden wirklicher Verdienste ihren Antheil zu sichern.