Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892/Tag 2
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Gegen 9 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident, Land-Gerichtsdirektor Kluth, am Dienstag wiederum die Sitzung. Es nimmt zunächst das Wort Erster Staatsanwalt Baumgard:
Meine Herren Geschworenen! Es ist möglich, daß Sie die gestrigen Gutachten der Herren Gerichtsärzte nicht genau verstanden haben. Da aber gerade diese Gutachten für den Gang der Verhandlung von höchster Wichtigkeit sind, so bitte ich den Herrn Präsidenten, die Herren Gerichtsärzte, Kreisphysikus Dr. Bauer und Kreisphysikus Dr. Nünninghoff, noch einmal zu vernehmen. Zunächst habe ich zu bemerken, daß Herr Dr. Steiner gestern bekundete: es habe in der Scheune nur eine Nachblutung stattgefunden, wie verhalten sich die Herren Gerichtsärzte zu dieser Bekundung?
Die Gerichtsärzte bemerken übereinstimmend, daß sie dieses Urtheil verwerfen.
Staatsanwalt: Wie verhalten sich die Herren zu der Bekundung, daß der Leichnam blutleer gewesen ist?
Kreisphysikus Dr. Bauer: Ich bemerke wiederholt, daß ich am Fundort soviel Blut gefunden habe, als der Ermordete angesichts der erlittenen Verletzung nur verlieren konnte. Der Körper des Leichnams hat genau soviel Blut verloren, als auf dem Fundorte vorhanden war. Es ist selbstverständlich, daß bei einem solch’ heftigen Blutverlust der kleine Körper eine gewisse Blutleere hatte.
Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff pflichtet diesem Gutachten bei.
Staatsanwalt: Herr Dr. Steiner hat bekundet, er habe kein Stroh in den Händen des ermordeten Knaben gesehen?
Kreisphysikus Dr. Bauer: Ich bemerke, daß der Ermordete Strohhalme krampfhaft zusammengepreßt in den Händen hielt. Diese Zusammenpressung ist zweifellos während des Todeskampfes geschehen, nicht etwa während der Leichenstarre.
Staatsanwalt: Sie sind also der Meinung, Herr Kreisphysikus, daß der Mord in der Scheune geschehen ist?
Sachverständiger: Jawohl.
Kreisphysikus Dr. Bauer wiederholt im Weiteren auf Befragen des Staatsanwalts, daß er eine genaue Untersuchung vorgenommen, ob ein Lustmord vorliege. Er habe keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden. Der Tod sei durch Verblutung eingetreten. Er habe auch keinerlei Anhaltspunkte gefunden, daß der ermordete Knabe vor der Ermordung Kirschen gegessen habe. Die Durchschneidung des Halses habe zweifellos mit einem großen scharfen Messer stattgefunden.
Präsident: Sie haben einmal erklärt, daß die Durchschneidung des Halses mit einem Schlächtermesser geschehen ist.
Sachverständiger: Das nahm ich damals an, ich kann das aber nicht als Behauptung aufstellen.
Präs.: Sind Sie der Meinung, daß der Schnitt ein Schächtschnitt gewesen ist? Ist Ihnen der Schächtschnitt bekannt? – Sachverst.: Jawohl, der Schächtschnitt ist mir ganz genau bekannt. Es war kein Schächtschnitt, denn die Durchschneidung des Halses des Ermordeten leidet in dieser Beziehung an zwei Grundfehlern. Einmal ist der Kehlkopf durchschnitten, während der Schächtschnitt nur die Luft- und Speiseröhre durchschneidet, dann ist dem verwundeten Kinde die Wirbelsäule durchschnitten worden, während der Schächtschnitt die Wirbelsäule nicht einmal verletzen darf.
Kreisphysikus Dr. Bauer bekundet im Weiteren, daß der Mörder hinter seinem Opfer gestanden haben müsse, als er die Durchschneidung des Halses vorgenommen habe. Das Messer müsse einen großen Haken gehabt haben.
Es werden alsdann dem Sachverständigen eine Reihe von bei Buschhoff beschlagnahmten Messern vorgelegt. Der Sachverständige bemerkt, daß mit diesen Messern die Durchschneidung wohl vorgenommen werden könne, ganz besonders sei das eine mit Nr. 13 bezeichnete Messer ein richtiges Schächtmesser, geeignet, die vorgefundenen Verletzungen hervorzubringen. Auf weiteres Befragen bekundet der Sachverständige, daß der Mörder das Kind anscheinend zwischen seine Beine geklemmt und ihm somit den Hals durchschnitten habe. Bei dieser Manipulation müsse der Mörder dem Kinde die Händchen ebenfalls fest geklemmt haben, anderenfalls hätte das Kind in das Messer hineingegriffen und sich die Händchen verletzt, Letztere seien aber unverletzt.
Angeklagter Buschhoff bemerkt auf Befragen des Präsidenten, daß die vorliegenden Messer ihm gehören, auch das Messer Nr. 13 sei sein Eigenthum, es sei das sein gewöhnliches Schächtmesser.
Präsident: Schächtmesser müssen haarscharf sein und dürfen keine Scharten aufweisen?
Buschhoff: Jawohl, ein Schächtmesser muß vor und nach dem Gebrauch 12 Mal untersucht werden, ob es keine Scharte habe, auch muß der Schächter, ehe er ein Thier schlachtet, eine ausgeruhte Hand haben.
Präs.: Ist das religiöse Vorschrift?
Buschhoff: Jawohl.
Vertheidiger Rechtsanwalt Fleischhauer: Ich bin genöthigt, auf die Genesis des Gutachtens des Herrn Kreisphysikus zurückzukommen, da das Gutachten des Herrn Kreisphysikus, ganz besonders, daß die Durchschneidung des Halses mit dem Messer Nr. 13 vorgenommen sein müsse, zur Wiederverhaftung des Buschhoff geführt hat. Ich frage also den Herrn Kreisphysikus, ob er am 6. Februar dieses Jahres an den Herrn Ersten Staatsanwalt depeschirt hat: „Komme noch heute mit entscheidendem Fund“? – Sachverständiger: Jawohl, das habe ich depeschirt, der Fund war für mich entscheidend. – Vertheidiger: Waren Sie der Ansicht, daß Ihr Fund entscheidend für die Schuld des Buschhoff gewesen ist? – Sachverständiger: Ich muß bemerken, daß ich weit entfernt bin, zu behaupten, daß Buschhoff der Thäter gewesen ist. Wenn mein Gutachten etwa auf die Herren Geschworenen den Eindruck machen sollte, als müßte Buschhoff der Thäter sein, so ersuche ich dieselben, einen dicken Strich darüber zu machen. Ich bemerke ausdrücklich, daß ich die Frage, wer der Thäter gewesen ist, vollständig offen gelassen habe. Den Schnitt kann auch jeder Andere gemacht haben; es ist absolut nicht meine Aufgabe, die Thatfrage zu entscheiden, das ist selbstverständlich Sache der Herren Geschworenen. Allein wenn ich einen objektiv entscheidenden Fund gemacht habe, so halte ich es in meiner Eigenschaft als Gerichtsarzt für meine Pflicht, der Staatsanwaltschaft umgehend davon Anzeige zu machen.
Verth. Rechtsanwalt Fleischhauer: Ich behaupte, daß die Wiederverhaftung des Buschhoff durch das Gutachten des Herrn Kreisphysikus erfolgt ist und berufe mich hierüber auf das Zeugnis des Herrn Ersten Staatsanwalts.
Präs.: Ich habe den Herren Geschworenen noch nicht mitgetheilt, daß Buschhoff, der mit Frau und Tochter am 14. Oktober v. J. zum ersten Male verhaftet wurde, am 20. Dezember wieder aus der Haft entlassen, das Verfahren selbst aber nicht eingestellt worden ist. Anfangs Februar d. J. erfolgte die Wiederverhaftung des Buschhoff, weil neue Momente, die ich Ihnen noch nicht mittheilen will, um der Verhandlung nicht vorzugreifen, zu Tage traten.
Erster Staatsanwalt Baumgard: Ich muß bemerken, daß außer dem Gutachten des Herrn Dr. Bauer noch ein anderes Moment für die Wiederverhaftung maßgebend gewesen ist. (Während dieser Erörterung weint der Angeklagte Buschhoff.)
Präs.: Herr Dr. Nünnighoff, sind Sie auch der Meinung, daß die Durchschneidung des Halses mit dem Messer Nr. 13 geschehen ist?
Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff: Ich kann in dieser Beziehung dem Herrn Kollegen Bauer nicht beipflichten, das Messer Nr. 13 scheint mir nicht geeignet, die vorgefundenen Verletzungen am Halse herbeizuführen.
Präsident: Herr Kreisphysikus Dr. Bauer! Behaupten Sie mit Bestimmtheit, daß die Durchschneidung des Halses mit dem Messer Nr. 13 vorgenommen ist?
Dr. Bauer: Keineswegs, ich behaupte nur, daß dieses Messer geeignet ist, die vorgefundenen Verletzungen herbeizuführen.
Es wird hierauf das Mitglied des Medizinal-Kollegiums, Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer (Koblenz) vernommen.
Dieser bekundet: Das Medizinal-Kollegium der Rheinprovinz habe sehr eingehende Versuche vorgenommen und festgestellt, daß das vorgefundene Blut der Menge entsprach, die der Ermordete angesichts der Verletzung verloren haben müsse. Das Medizinal-Kollegium habe die Ueberzeugung, daß die That am Fundorte geschehen sei. Die That sei anscheinend von einem Menschen ausgeführt worden, der in der Messerführung nicht geübt sei. Für die Ungeschicklichkeit des Thäters im Messerführen spreche auch der Umstand, daß die Kleider des Kindes zum Theil durchschnitten waren.
Präs.: Sind Sie der Meinung, daß der Schnitt ein Schächtschnitt gewesen ist?
Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer: Das Medizinal-Kollegium hat nach dieser Seite genaue Erhebungen angestellt und auch nicht den geringsten Anhalt dafür gefunden. Beim Schächtschnitt ist es Vorschrift, daß das Messer senkrecht angesetzt wird, während der Thäter das Messer schräg eingesetzt hat. Auch alle anderen Vorschriften, die beim Schächtschnitt zu beobachten sind, waren nicht zu konstatiren.
Präs.: Herr Medizinalrath, es dürfte Ihnen bekannt sein, daß behauptet worden ist, es liege ein Ritualmord vor. Meine Herren Geschworenen, Sie werden zweifellos auch gehört haben, daß behauptet worden ist: Die Juden brauchen zu ihren religiösen Festen Christenblut, und aus diesem Anlaß sei der Mord geschehen. Herr Medizinalrath, liegen für die Möglichkeit eines Ritualmordes irgendwelche Anhaltspunkte vor? – Sachverständiger: Dafür liegen absolut keine Anhaltspunkte vor. – Präs.: Herr Kreisphysikus Dr. Bauer und Herr Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff, haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß ein Ritualmord vorliegt?
Die Gerichtsärzte antworten übereinstimmend, daß absolut keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Ritualmordes vorliegen.
Präs.: Sie sind der Ansicht, daß die Durchschneidung des Halses mit einem dieser Messer, speziell mit dem Messer Nr. 13 geschehen ist?
Sachverständiger: Die Art der Verletzung spricht keineswegs dafür, daß die vorliegenden Messer gebraucht worden sind. Der Mord kann ebenso gut mit einem gewöhnlichen Brotmesser geschehen sein.
Oberstaatsanwalt Hamm: Herr Medizinal-Rath! Herr Dr. Steiner hat bekundet, daß gegen 9 Uhr Abends die Leichenstarre bereits eingetreten war, und eine Muskel noch gezuckt habe.
Wann mag der Tod des Ermordeten eingetreten sein.
Professor Dr. Kirchgäßer: Die Leichenstarre tritt bisweilen schon nach 2 Stunden ein, es läßt sich in dieser Beziehung nichts Genaues sagen.
Oberstaatsanwalt: Ist es möglich, daß der Mord schon gegen 11 Uhr Vormittags erfolgt ist?
Sachverständiger: Die Möglichkeit liegt vor.
Professor Doktor Köster (Bonn): Er sei Professor der Anatomie am pathologischen Institut zu Bonn. Er könne im Allgemeinen den Ausführungen des Medizinal-Raths Doktor Kirchgäßer beistimmen. Er habe die Ueberzeugung, daß die That am Fundorte geschehen sei, daß eine Blutentziehung nicht stattgefunden habe, daß das am Thatort vorgefundene Blut der Menge entspreche, die das ermordete Kind verloren haben müsse. Auch er sei der Meinung, daß der Hals nicht von einem Menschen durchschnitten worden, der in der Messerführung Uebung habe. Ein Schächtschnitt sei die vorgefundene Verletzung keineswegs. Ein Schächter, der derartig gegen alle Vorschriften verfahre, wie es bei der Halsdurchschneidung geschehen, würde zweifellos sofort seines Amtes entsetzt werden. Die ganze Art des Mordes spreche dafür, daß weder ein Schächter noch überhaupt ein Metzger die That begangen habe. Der Mord könne mit jedem Messer, aber selbst mit jedem anderen scharfkantigen Gegenstande, etwa einem zerbrochenen Teller ausgeführt sein. Die bei Buschhoff vorgefundenen Messer scheinen ihm zur Ausführung des Mordes vollständig ungeeignet. Wenn das Messer Nr. 13 angewendet worden wäre, dann wäre wohl sofort mit einem Schnitt der Kopf heruntergeflogen, die Durchschneidung hätte denn mit größter Vorsicht ausgeführt werden müssen.
Kreisphysikus Dr. Bauer: Er müsse zu dem soeben gehörten Gutachten bemerken, daß die obduzirenden Aerzte den Vorzug haben, den Thatbestand zu sehen, während die Herren Kritiker nur nach den Obduktionsprotokollen urtheilen.
Vertheidiger Rechtsanwalt Stapper: Herr Professor! Verliert ein wissenschaftliches Gutachten an Werth, wenn die Abgabe desselben nur auf Grund der Obduktionsprotokolle geschehen ist?
Professor Dr. Küster: Die objektiven Obduktionsbefunde geben eine hinreichende Grundlage, um ein wissenschaftliches Gutachten abzugeben. Es kommt im vorliegenden Fall noch hinzu, daß wir die Kleider des ermordeten Kindes gesehen haben.
Geh. Medizinalrath Professor Dr. Trendlenburg (Bonn), Mitglied des Medizinal-Kollegiums der Rheinprovinz: Er schließe sich dem Gutachten des Medizinal-Raths Dr. Kirchgäßer, beziehungsweise dem Gutachten des Medizinal-Kollegiums der Rheinprovinz vorinhaltlich an.
Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff bemerkt: Er müsse dem Gutachten des Professors Dr. Köster widersprechen, daß der Mord auch mit einem anderen scharfkantigen Instrument, als mit einem Messer, ausgeführt sein könne. Er behaupte, daß der Mord nur mit einem Messer ausgeführt sein könne.
Geh. Medizinal-Rath Prof. Dr. Pellmann (Bonn) tritt ebenfalls dem Gutachten des Medizinal-Kollegiums und den anderen hier vernommenen Gutachtern bei. Er halte ebenfalls die bei Buschhoff vorgefundenen Messer für vollständig ungeeignet zur Durchschneidung des Halses und müsse sein Bedauern aussprechen, daß Herr Kreisphysikus Dr. Bauer in einer Sache von so weittragender Bedeutung ein so bestimmtes Urtheil abgegeben habe. Er habe ebenfalls die Ueberzeugung, daß die That am Fundorte geschehen, daß der Schnitt jedoch kein Schächtschnitt sei und daß von einem Ritualmord absolut nicht die Rede sein könne.
Präsident Herr Kluth: Herr Geheim-Rath, Sie sind ja Vorsteher einer Irrenanstalt, liegt die Möglichkeit vor, daß der Mord von einem Verrückten ausgeführt ist?
Sachverständiger: Jawohl, diese Möglichkeit ist auch vorhanden.
Es erscheint alsdann der Zeuge Kriminalkommissar Wolff (Berlin.)
Präs.: Herr Kriminalkommissar, wir wollen Sie jetzt noch nicht über den gesammten Thatbestand vernehmen, sondern nur darüber, wodurch Sie zu der Ansicht gelangt sind, es liege kein Mord, sondern nur ein Todtschlag vor, der nicht am Fundorte, sondern in der Buschhoff’schen Wohnung begangen sein dürfte.
Kriminalkommissar Wolff: Wenn ich allerdings aus dem Zusammenhang heraus etwas bekunden soll, dann dürfte meine Gesammtaussage darunter leiden.
Präsident: Ich kann einmal diese Ansicht nicht theilen, andererseits bin ich aber genöthigt, derartig zu verfahren, da das von Ihnen abgegebene Urtheil den Herren medizinischen Sachverständigen unterbreitet werden soll. Die Herren medizinischen Sachverständigen sind aber genöthigt, noch heute abzureisen. Sie haben nun angegeben, der ermordete Knabe sei anscheinend von Buschhoff aus Zorn über die Beschädigung der Grabsteine geschlagen worden. Die dem Kinde zugefügte Verletzung sei eine so schwere gewesen, daß Buschhoff, um dieses Verbrechen zu verdecken, den Knaben geschächtet und alsdann in die Scheune geschafft haben dürfte.
Kriminalkommissar Wolff: Diese meine Vermuthung gründete sich einmal auf den Obduktionsbefund des Herrn Kreisphysikus Dr. Bauer, andererseits aber auch auf eine Reihe anderer von mir gemachten Wahrnehmungen. So wollen mehrere Leute gesehen haben, daß der kleine Hegmann von der Frau und der Tochter des Buschhoff in deren Wohnung gezogen worden sei; auch soll Frau Buschhoff geäußert haben: „Ich freue mich, daß der Leichnam nicht in unserer Wohnung gefunden worden ist, denn alsdann hätte es sofort geheißen, die Juden haben zu rituellen Zwecken einen Christenknaben geschlachtet.“ Ich vermuthete in Folge dessen, der kleine Hegmann sei entweder von den Buschhoffs zu kleinen Dienstleistungen verwendet worden, und als sich der Knabe weigerte, dies ferner zu thun, sei er derartig eingeschüchtert worden, daß er in einen förmlichen Starrkrampf verfallen sei. Auch hielt ich es für möglich, daß er sprach- und willenlos durch Schläge wegen Beschädigung der Grabsteine gemacht worden sei. Für meine Annahme spricht auch der Umstand, daß Niemand den Knaben schreien gehört hat.
Kreisphysikus Dr. Bauer bemerkt, daß ihn der Kriminalkommissar bezüglich des Obduktionsbefundes vollständig mißverstanden haben müsse. Eine Verletzung, die von einem Schlag herrühren könnte, sei an dem ermordeten Kinde nicht wahrgenommen worden.
Geh. Medizinal-Rath Professor Dr. Pellmann bekundet: Die Vermuthung, daß der ermordete Knabe durch Einschüchterung willenlos und sprachlos geworden sei, habe wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Um dies genau festzustellen, sei es nothwendig, die gesammte geistige und körperliche Beschaffenheit des Kindes zu kennen.
Es tritt alsdann eine längere Pause ein.
Nach Wiedereröffnung der Verhandlung wird die Mutter des ermordeten kleinen Hegmann, Frau Schreinermeister Hegmann, als Zeugin vernommen. Diese bekundet: Der kleine ermordete Johann sei ein kräftiges, gut genährtes Kind gewesen. – Auf Befragen des Geh. Medizinal-Rath Professor Dr. Pellmann bekundet die Zeugin, daß das Kind sehr gutmüthig, und niemals störrisch war. Wenn man das Kind scharf ansah, habe es geweint. Am Peter-Paulstage, dem Tag des Mordes, sei sie in die Messe gegangen; letztere sei gegen halb 10 Uhr Vormittags ausgewesen. Als sie aus der Messe gekommen war, sei das Kind bereits angezogen gewesen. Gegen halb 11 Uhr habe sie ihren Kindern Butterbrode zurecht gemacht, das kleine Joanchen sei aber nicht nach Hause gekommen. Als das kleine Joanchen auch zum Mittagessen nicht nach Hause gekommen sei, habe sie Angst bekommen und das Kind in der ganzen Stadt und auch auf der Chaussee gesucht, da sie der Meinung gewesen, das Kind sei auf der Chaussee Kirschen suchen gegangen.
Gegen halb 6 Uhr Abends sei sie bei dem Buschhoff’schen Hause vorüber gegangen. Frau Buschhoff habe vor der Thür gestanden. Sie habe der Frau Buschhoff mitgetheilt, daß sie ihr Kind nicht finden könne. Darauf habe Frau Buschhoff geantwortet: Sie werden das Joanchen schon noch finden, beten Sie nur ein Vaterunser. Sie sei darauf nach Hause gegangen und habe eine Kerze des heiligen Antonius angezündet. Kaum sei dies aber geschehen gewesen, so habe sie die Nachricht erhalten, daß ihr Kind in der Küppers’schen Scheune geschlachtet worden sei.
Die Zeugin fährt hier weinend fort. Es kamen verschiedene Leute und auch Buschhoff, seine Frau und sein Sohn Siegmund. Mein Mann bekam einen Ohnmachtsanfall, Buschhoff hielt ihn fest, und da ich auch sehr bald in Ohnmacht fiel, so ließ mir Buschhoff ein Brausepulver holen. Buschhoff wollte das Brausepulver bezahlen, meine alte verstorbene Tante hat es aber nicht gelitten, und auch schließlich dem Buschhoff und seinem Sohne die Thür gewiesen. – Präs.: Ist Ihnen denn an Buschhoff etwas aufgefallen? – Zeugin: Ja, er war sehr zudringlich. – Präs.: Ist Ihnen auch außerdem an Buschhoff etwas aufgefallen? – Zeugin: Mein Mann sagte mir Abends, als Buschhoff ihn anfaßte, sei es ihm so vorgekommen, als wenn seine Hände beblutet waren. – Präs.: Haben Sie Blut an den Händen des Buschhoff wahrgenommen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Hat Ihnen das kleine Joanchen einmal erzählt, ob ihm Buschhoff gedroht habe, er komme in den Thurm? – Zeugin: Ja. – Präs.: Weshalb geschah das? – Zeugin: Das Kind erzählte: ein Grabstein sei beschädigt, er habe es aber nicht gethan. – Präs.: Hat Siegmund Buschhoff einmal bei Ihnen Nägel geholt? – Zeugin: Jawohl, einige Tage vor dem Morde hat der kleine Buschhoff bei mir Nägel geholt, ich habe ihm eine Handvoll gegeben. (Die Zeugin verläßt weinend den Saal.)
Präs.: Buschhoff, Sie sollen sich der Familie Hegmann gegenüber aufdringlich benommen haben? – Buschhoff: Das ist nicht wahr. Ich habe selbst Unglück in meiner Familie gehabt und nahm in Folge dessen Antheil an dem traurigen Schicksal der unglücklichen Familie. – Präs.: Ihre Händen sollen beblutet gewesen sein. – Buschhoff: Das ist nicht wahr.
Der folgende Zeuge ist Schreinermeister Hegmann, Vater des ermordeten kleinen Hegmann. Dieser bekundet, gleich seiner Frau, daß das kleine Joanchen am Peter und Paulstage gegen 10 Uhr Vormittags fortgegangen und nicht mehr zurückgekehrt sei. Es habe ihm so geschienen, als seien die Hände des Buschhoff, als er Abends zu ihm kam, beblutet gewesen. – Staatsanwalt: Es ist sehr auffallend, Zeuge, daß Sie mit dieser Bekundung heute zum ersten Male hervortreten. Weshalb haben Sie denn nicht sofort bei Ihrer Vernehmung etwas von den bebluteten Händes des Buschhoff gesagt? – Zeuge: Ich hatte das vergessen.
Vertheidiger Rechtsanwalt Fleischhauer: Als Sie zum ersten Male von dem Herrn Amtsrichter vernommen wurden, hatten Sie da nicht Verdacht gegen Ihren schwachsinnigen Schwager Knippenberg? – Zeuge: Jawohl. –
Vertheidiger: Warum haben Sie dem Herrn Amtsrichter nicht gesagt, der Buschhoff habe beblutete Hände gehabt?
Zeuge: Das hatte ich vergessen.
Vertheidiger: Hat das kleine Joanchen Ihnen einmal geklagt, daß Siegmund Buschhoff ihm gedroht habe, er werde in den Thurm gesperrt werden, weil er einen Grabstein beschädigt habe?
Zeuge: Ja.
Präsident: Hat das kleine Joanchen zugegeben, daß er den Grabstein beschädigt habe?
Zeuge: Nein, das kleine Joanchen versicherte, daß er es nicht gethan habe. Ich habe mir sogar den Grabstein angesehen, ich wollte event. den Schaden bezahlen, es war aber kein Schaden entstanden.
Präs.: Lebten Sie mit Buschhoff in guter Freundschaft?
Zeuge: Jawohl.
Präsident: Sind Sie der Meinung, daß, wenn Ihnen irgend ein anderer Unfall zugestoßen wäre, Buschhoff nicht solchen Antheil genommen hätte?
Zeuge: Das weiß ich nicht, ich glaube, er hätte es alsdann auch gethan.
Präs.: Wer hat Ihnen erzählt, daß und Frau und Tochter des Buschhoff das kleine Joanchen in’s Haus gezogen hatten? – Zeuge: Das hat mir Mölders erzählt. – Präs.: Wie ist wohl der Charakter des Buschhoff? Ist er gutmüthig, ober besonders jähzornig und rachsüchtig? – Zeuge: Buschhoff ist durchaus gutmüthig. – Präs.: Sie sind auch der Meinung, daß Buschhoff an anderer Leute Unglück Antheil nimmt? – Zeuge: Jawohl. – Geh. Medizinal-Rath Professor Dr. Pellmann: Ist Ihr Schwager Knippenberg ein bösartiger Mensch? – Zeuge: Je nachdem, bisweilen ist er sehr ruhig, bisweilen ist er auch bösartig. – Dr. Pellmann: Hat er schon einmal Jemandem etwas gethan? – Zeuge: Nein. – Dr. Pellmann: War das kleine Joanchen ein kräftiges und gesundes Kind? – Zeuge: Jawohl. – Dr. Pellmann: Nach dieser Bekundung habe ich zu bemerken, daß die Vermuthung des Kriminalkommissars Wolff keinerlei Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Es erscheint alsdann Professor Dr. Nöldecke (Straßburg i. E.), Professor der semitischen Sprachen an der Straßburger Universität.
Präs.: Ich weiß nicht, worüber der Herr Professor vernommen werden soll.
Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Die Vertheidigung hat den Herrn Professor geladen, weil, wie der Herr Präsident heute Vormittag sehr richtig erwähnte, die Behauptung aufgetreten ist: der Mord sei geschehen, weil die Juden zu ihren rituellen Zwecken Christenblut brauchen. Der Herr Professor ist nun in der talmudischen Wissenschaft eine Autorität ersten Ranges. Ich richte deshalb die Frage an den Herrn Professor, ob in den Religionssatzungen der Juden etwa die Blutabzapfung Andersgläubiger geboten ist?
Professor Dr. Nöldecke: Der Talmud ist allerdings eine Sammlung von Gesetzen und Erklärungen von vielen Jahrhunderten und in solchem Umfange, daß Niemand mit voller Sicherheit sagen kann, was nicht in dem Talmud steht. Ich habe aber genau den Talmud nach einer solchen Stelle durchforscht und kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß eine solche Satzung nicht in demselben enthalten ist.
Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Im Jahre 1885[WS 1] hat vor dem Wiener Gericht ein Prozeß Rohling contra Bloch stattgefunden. In diesem Prozeß ist der Herr Professor ebenfalls als Sachverständiger aufgetreten und hat dort bekundet, daß ihm keine Stelle in einem jüdischen Gesetzbuch gekannt sei, die von Ritualmord spreche.
Professor Dr. Nöldecke: Der bekannte Professor Rohling behauptete damals, daß wohl nicht im Talmud aber in Sohar und Sefer Halkutim der Ritualmord vorgeschrieben sei. Wenn auch diese Bücher nicht von allen Juden anerkannt werden, so gelten sie doch bei einem Theile der Juden noch als heilig. Ich habe nun im Sohar und Sefer Halkutim nachgeforscht, aber auch nichts gefunden, was auf einen Ritualmord hindeutet. Ich kann es nur als durch und durch frivol bezeichnen, wenn man behauptet, die Juden brauchen zu rituellen Zwecken Christenblut. Ebenso frivol ist es, wenn diese Beschuldigung immer und immer wiederholt wird. Ich füge hinzu, mit der derselben Sicherheit, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts vom Eisenbahnwesen, mit derselben Sicherheit kann ich behaupten, daß im Talmud nichts vom Ritualmord enthalten ist. Der verstorbene Professor Dr. Delitzsch in Leipzig, einer der größten Kenner des Talmud, hat die Blutbeschuldigung auf’s Bestimmteste widerlegt und dieselbe ebenfalls als frivol bezeichnet. Professor Dr. Eisenmenger, der kein Judenfreund, aber ein sehr ehrlicher Charakter war, hat ebenfalls bekundet, daß er keine Stelle gefunden habe, die darauf hindeute, daß den Juden der Ritualmord vorgeschrieben sei.
Vertheidiger Rechtsanwalt Gammersbach: Ist es nicht den Juden auf’s Strengste verboten, Blut zu essen?
Professor Dr. Nöldecke: Das ist richtig.
Vertheidiger Rechtsanwalt Gammersbach: Ist es nicht den Juden geboten, auch nicht einmal den Anschein zu erwecken, als ob sie Blut genießen würden?
Professor Dr. Nöldecke: Auch das ist richtig.
Vertheidiger Rechtsanwalt Gammersbach: In dem erwähnten Prozeß Rohling contra Bloch wurde von dem verstorbenen Professor Dr. Delitzsch ein Gutachten abgegeben, in dem Dr. Delitzsch erzählt, daß ein spanischer Jude auf die Beschuldigung wegen des Ritualmordes antwortete: Uns Juden ist auf’s Strengste verboten, Thierblut zu genießen, nun sollen wir gar Menschenblut genießen. Der Spanier erzählt weiter: Wenn ein Jude sich während des Essens am Munde verwundet und ihm Blut auf ein Stückchen Eßwaaren herabträufelt, so muß er das Blut abkratzen. Es ist allerdings keine Sünde, wenn er das Blut mitißt, denn es ist ja von ihm selbst, aber man soll auch nicht den Schein erwecken, als ob man Blut ißt. Diesem Gutachten sind eine ganze Reihe Universitäten und christliche Talmud-Gelehrte, wie Lagaarde, Dillmann u. s. w. und auch der jetzige Fürstbischof von Breslau, Dr. Kopp, beigetreten. Der katholische Professor an der Universität zu Innsbruck, Dr. Bickel, hat die Blutbeschuldigung der Juden auch für Schwindel erklärt, er hat aber gebeten, ihn von einem bestimmten Gutachten zu entbinden, da er seit 20 Jahren mit Rohling befreundet sei.
Professor Dr. Nöldecke: Das ist richtig. Der Sachverständige bekundet noch, daß im Jahre 1714 die theologische Fakultät der Universität Leipzig von dem Herzog Karl August aufgefordert worden sei, sich zu äußern, ob den Juden der Ritualmord vorgeschrieben sei. Die theologische Fakultät habe geantwortet, daß die jüdischen Religionssatzungen absolut nichts von einem Ritualmord enthalten.
Es wird alsdann nochmals der Handelsmann und ehemalige Metzgermeister Junkermann vernommen. Staatsanwalt: Ist dies Ihre Unterschrift? – Junkermann: Jawohl. – Staatsanwalt: Nun sehen Sie sich noch einmal das Ihnen gestern bereits vorgelegte Schriftstück an, ich frage Sie wiederholt: ist das von Ihnen geschrieben? – Junkermann (nach einigem Zögern): Das ist schon zu lange her, Herr Staatsanwalt, ich kann mich nicht mehr darauf erinnern. – Staatsanwalt: Ich will Ihnen blos sagen, daß Ihre Unterschrift mit den Schriftzügen des anonymen Schreibens vollständig übereinstimmt. – Junkermann: Ich habe ein schwaches Gedächtniß, ich kann mich nicht mehr erinnern.
Der folgende Zeuge ist der Stadtsekretär Devers. Dieser bekundet, daß Mölders, wenn er vereidigt werde, wohl glaubwürdig sei. – Staatsanwalt: Gilt nicht Mölders als Sonntagskind? – Zeuge: Jawohl.
Zeugin Frau Brandts: Ihr Mann sei am Peter und Paulstage nach Hause gekommen und habe ihr erzählt, er sei soeben dem Buschhoff begegnet, derselbe sei ihm wie ein Verrückter vorgekommen. Sie habe eingewendet: Der Buschhoff sei taub und deshalb bisweilen etwas komisch. Ihr Mann habe aber erwidert: Der Mann kam mir sehr komisch vor. Als ich am Abende von dem Morde hörte, so fuhr die Zeugin wörtlich fort, sagte ich sogleich: Das hat Niemand weiter getan als der Jude.
Präs.: Welcher Jude?
Zeugin: Der Buschhoff.
Präs.: Wie kamen Sie darauf?
Zeugin: Weil mein Mann erzählt hat, daß der Buschhoff wie ein Verrückter ausgesehen habe.
Frau Rennings bekundet, daß Buschhoff am Tage des Mordes zwischen halb 9 bis 9 Uhr sich eine Flasche Expeller geholt habe.
Frau Heixter bekundet, daß ihr 9jähriger Sohn, der auf dem Prellsteine gesessen, gesehen habe, wie der kleine Hegmann am Peter-Paulstage in das Buschhoff’sche Haus hineingezogen worden sei. – Präs.: Wer soll denn den kleinen Hegmann hineingezogen haben? – Zeugin: Das kann ich nicht sagen, mein Sohn hat nur eine Hand gesehen, die aus dem Buschhoff’schen Fenster hinauslangte. – Präs.: Wann hat Ihnen denn Ihr Sohn das gesagt? – Zeugin: Einige Tage nach dem Morde.
Präs.: Wie kam es, daß er es Ihnen nicht früher sagte?
Zeugin: Das weiß ich nicht.
Präs.: Hat Ihnen Ihr Sohn nicht erst etwas davon erzählt, nachdem Mölders etwas Aehnliches erzählt hat?
Zeugin: Das weiß ich nicht.
Der Ehemann der Vorzeugin, Drechslermeister Heixter, bestätigt die Bekundungen seiner Gattin. Er habe am Vormittage des Peter-Paulstages das kleine Joanchen mit anderen Kindern in der Nähe der Küppers’schen Scheune auf dem sogenannten Porteweg spielen sehen. – Präs.: Wann war das? – Zeuge: Etwa gegen 10 Uhr. – Der Zeuge bekundet im Weiteren, daß Buschhoff an dem Peter-Paulstage bei der Pumpen-Kirmes sehr schweigsam gewesen sei, während er sonst sehr viel diskutirt habe. Auch sei es ihm aufgefallen, daß Buschhoff an jenem Nachmittage Kegel gespielt, während er sonst immer Karten gespielt habe. Ferner sei es ihm aufgefallen, daß Buschhoff nicht in die Scheune gegangen sei, wo der Leichnam gelegen hat, und daß, als er den Buschhoff am anderen Morgen besuchte, dieser gezittert habe.
Buschhoff bemerkt: Er hatte am Vormittage des 29. Juni 1891 einige geschäftliche Differenzen und sei mithin zum Diskutiren nicht aufgelegt gewesen. Daß er gezittert habe, bestreite er. Jetzt, infolge der weiteren Schicksalsschläge, zittere er wohl bisweilen, damals habe er aber nicht gezittert. Die Scheune, wo der Leichnam gelegen, habe er deshalb nicht betreten, weil ihm dies, da er zum jüdischen Priesterstamme gehöre, seine Religion verbiete. Jetzt thue es ihm allerdings leid, daß er diese Sünde nicht gethan, dann wäre ihm vielleicht das viele Unglück, daß über ihn und seine Familie gekommen, erspart worden.
Es werden alsdann eine Anzahl kleiner Mädchen und Knaben im Alter von 6–10 Jahren vernommen, die am Vormittage des Peter-Paulstages mit dem kleinen Hegmann auf dem sogen. Porteweg gespielt haben. Die Kinder vermögen etwas Wesentliches nicht zu bekunden.
Die folgende Zeugin, Frau Körner, bekundet, daß sie am Tage nach dem Morde der Buschhoff’schen Familie eine Photographie habe zeigen wollen. Die Buschhoffs haben sie in die Hinterzimmer nicht hineingelassen. Auch sei es ihr aufgefallen, daß die Frau Buschhoff und Tochter furchtbar blaß ausgesehen haben. – Präs.: Sie haben einen kleinen Sohn, Namens Stephan? – Zeugin: Jawohl. – Präs.: Wie alt ist das Kind? – Zeugin: 9 Jahre. – Präs.: Was hat Ihnen Ihr Sohn Stephan erzählt? – Zeugin: Stephan erzählte mir: Am Vormittage des Peter-Paulstages habe Frau Buschhoff das kleine Joanchen in ihr Haus gerufen und dem Kinde Kirschen gegeben, damit es einige Gänge machen solle; von diesem Augenblicke sei das kleine Joanchen nicht mehr zum Vorschein gekommen. Ich fragte den Stephan: weshalb er sich die Kirschen nicht verdient habe, der Kleine aber antwortete: Frau Buschhoff hat uns fortgejagt. – Präs: Wann hat Ihnen das Ihr Sohn erzählt? – Zeugin: Am 7. Juli. – Präs.: Wie kam es, daß der Kleine Ihnen das erst am 7. Juli erzählt hat? – Zeugin: Ich habe über den Mord nicht gesprochen, weil ich den Buschhoff der That nicht für fähig hielt. Ich habe auch die Erzählung meines Sohnes nicht geglaubt. Als er mir aber genau erzählte: wie Frau Buschhoff die Thür aufgemacht u. s. w., dann sagte ich zu meinem Manne: Nun scheint doch die Sache wahr zu sein, wir sind jetzt verpflichtet, sofort Anzeige zu machen. – Präsident: Ist Ihr Sohn lügenhaft? – Zeugin: Nein, wenn mein Sohn einmal die Unwahrheit sagt, dann wird er sofort ganz roth im Gesicht.
Schreinermeister Vehlow, der hierauf als Zeuge erscheint, bekundet, daß der Gastwirth Schaut die Nachricht von dem Morde brachte, als er mit Buschhoff und Anderen in der Schaut’schen Gastwirthschaft Kegel schob. Sehr bald sei auch Siegmund Buschhoff zu Schaut gekommen und habe gesagt: Das kleine Joanchen sei in die Häckselmaschine gefallen und dadurch zu Tode gekommen.
Hier wird gegen 8¾ Uhr Abends die Sitzung auf morgen (Mittwoch) Vormittags 9 Uhr vertagt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: 1883, letzte Ziffer möglicherweise handschriftlich korrigiert; vgl.: Josef Kopp: Zur Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch. Leipzig : Julius Klinkhardt, 1886. PDF-Digitalisat