CXXXXV. Sidon Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CXXXXVI. Der Jordan
CXXXXVII. Carrik-o-Reede
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DER JORDAN
an der Stelle des Uebergangs der Israeliten unter Josua

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CXXXXVI. Der Jordan.




Dort, wo des Antilibanons hohe Felsenmauer Palästina vom nördlichen Syrien scheidet, beim Flecken Dan, windet sich aus tiefer, schauerlicher Schlucht der neugeborne Jor-dan (Dan-Bach) murmelnd hervor. Weit und breit ist keine Quelle so herrlich, sowohl wegen der Klarheit ihres Wassers, als dessen Fülle. Schon in halbstündiger Entfernung von ihrem Ursprung hat sie das Ansehn eines Bachs, der, rasch und schäumend, über felsige, dünnbeforstete Abhänge hinab einem von hohen Bergen eingeschlossenen Trichter zueilt, wo seine Fluthen sich stemmen und einen kleinen, aber tiefen See bilden. Bäche, welche aus den östlichen Gebirgen kommen, verstärken ihn, und er bildet weiter abwärts einen zweiten, größern See, den Merom, in einsamer Landschaft. Aus diesem schlängelt er sich durch ein 3 Meilen langes Thal dem See von Tiberias (Genezareth) zu. Dieses herrliche Wasserbecken, in Galiläa das größte, von 16stündigem Umfange, an dessen Ufern der Heiland mit seinen Jüngern so oft verweilte und lehrte, erinnert durch die Reize seiner landschaftlichen Umgebung an die schönsten Seen der Schweiz. Es wird in seiner ganzen Länge vom Jordan durchströmt, welcher bei seinem Austritt am südlichen Ende, ähnlich dem Rhein, wenn er den Bodensee verläßt, an Mächtigkeit das Doppelte gewonnen hat. Als ein nun ansehnlicher Strom, der eine Breite von 140 bis 200 Fuß und eine Tiefe von 3 bis 10 Fuß hat, wälzt er sich zwischen meistens hohem Boden durch eine felsige, abwechselnd kahle und bewaldete Landschaft. Nach dreißigstündigem Laufe von Nord nach Süd findet er im sogenannten todten Meere sein Ziel.

Die Gestade des Jordans, einst prangend mit volkreichen Städten und reichen Fluren, sind seit sechzehn Jahrhunderten schon, seit der schrecklichen Vernichtung des jüdischen Volks und Staates unter Titus und Vespasian, fast ohne Anbau. Sie haben keine blühenden Gärten, keine Erndten, keine Reben mehr. Einige schmutzige Dörfer und verfallene Flecken, des Elends und der Armuth Aufenthaltsorte, und einzelne Zelte streifender Beduinen, mildern den Eindruck des Oeden und Einsamen nicht, und häufige Trümmer mächtiger Konstruktionen aus und vor der Römerzeit, von Tempeln und Kastellen, blicken traurig auf die klaren, schnell dahin rauschenden Fluthen des heiligen Flusses hernieder. Noch vor einem Jahrhundert war die Gegend am Jordan besser kultivirt und nicht so ganz menschenleer. Aber der Druck habsüchtiger Pascha’s, der den armen Bewohnern Das nahm, was sie mit ihrer Arbeit der Erde abgewannen, tilgte die Lust an der Kultur eines dankbaren Bodens aus, und die Furcht vor den [18] räuberischen Arabern aus der östlichen Wüste, denen, bei der Zerrüttung des Reichs, die geringe, wehrlose Bevölkerung sich ganz Preis gegeben sah, hat den bessern Theil derselben vollends verscheucht. Nur Solche sind geblieben, denen nichts zu nehmen ist, und so sehen wir jetzt das Land, welches ein fleißiges Volk vor 2 Jahrtausenden zu einem irdischen Paradiese umzuschaffen verstand und geschickt machte, eine unglaubliche Anzahl von Menschen zu ernähren, ein Land, dessen Herrlichkeit die Propheten und heiligen Sänger priesen, als entvölkerte Wüste.

Nur zur Zeit des Osterfestes, wann die christlichen Pilger aus allen Theilen des Orients Palästina’s heilige Stätten besuchen, führt die Frömmigkeit das Geräusch des Lebens an die stillen, verlassenen Gestade des Jordan’s für einige Tage zurück. Es ist nämlich Gebrauch seit undenklicher Zeit, die Wallfahrt nach dem gelobten Lande mit sündenreinigenden Abwaschungen, einer Art zweiten Taufe, in dem nämlichen Strome zu beschließen, in welchem der Heiland selbst die symbolische Weihe zu seinem Berufe als der Menschen Lehrer und Erlöser empfing. Die Züge der Pilger erhalten zum Schutze gegen die Beduinen militärische Bedeckung und die Haupt-Karawane, gemeinlich einige tausend Köpfe stark, wird vom Militair-Kommandanten von Jerusalem in Person geleitet. Sie setzt sich am Montag nach Ostern in Marsch. Ihr Weg führt durch das Gebirge über Bethania, wo man rastet und in mitternächtlicher Stunde, unter Fackelbeleuchtung, am Grabe des Lazarus eine Hymne absingt. Von da geht es durch tiefe, romantische Felsthäler in die Ebne von Jericho, einst das Eden Palästina’s, jetzt ein von Wölfen heimgesuchter Ort, gegen deren Anfälle die Hirten ihre Heerden bei nächtlicher Weile durch große Feuer schützen. Dort, auf erhöhetem Grunde, von dem sich eine prächtige Aussicht eröffnet, schlägt die Karawane ihr Lager auf. Man übersieht das todte Meer, und, bis in achtstündige Ferne, den Jordan, der wie ein breites Silberband aus einer Ebene herabkommt und sich, näher dem See, zwischen Hügeln, Wald und Baumgruppen verliert.

Nachdem gerastet worden ist und man sich erquickt hat, sammeln sich die Pilger der verschiedenen Nationen und Sekten unter ihren Fahnen und jede Abtheilung zieht nun, angeführt von Priestern, Gesänge anstimmend, durch ein Gehölz von hohen Platanen und Oelbäumen nach dem Jordan, zu der hier abgebildeten Stelle, der nämlichen, wo, der Sage nach, die Israeliten durchwadeten, als sie, unter Josua, das Land der Verheißung einnahmen. Es ist ein romantisches Plätzchen. Zwischen hohen Felsenborden, welche Weiden und Buschwerk überschatten, wälzt sich der silberklare Strom raschen Laufs dem See zu. Der gewöhnliche Wasserstand übersteigt nicht 4 Fuß; seine Breite ist hier etwa 100 Schritte und eine bequeme Furth leitet zum Strome hinab.

Hier baden die Pilger, die armen nackt, die reichern in eigends dazu bestimmten weißen Gewändern, welche in Jerusalem feilgeboten werden. Die meisten füllen Flaschen mit dem für heilig gehaltenen Wasser und sammeln Steinchen aus dem Strombette in lederne Beutel, zum Geschenk für die Freunde in der fernen Heimath. Andere wieder tauchen in die geweihten Fluthen mitgebrachte Zeuge, bestimmt zu Sterbegewändern für sich und die Ihrigen; denn [19] es herrscht der fromme Glaube, daß der Christ, angethan mit denselben, sanfter im Grabe schlummere. Nach den Abwaschungen besuchen die Pilgerschaaren gewöhnlich den Elisah-Brunnen am Fuße eines nahen Berges, dieselbe Quelle, welche der Prophet (2. Kön. 2, 19.), nach alt-testamentlichem Zeugniß, trinkbar machte. Auf dem Berg (Quarantanai) hielt sich, der Tradition nach, der Heiland auf während seiner 40tägigen Fasten und hier versuchte ihn der Vater alles Bösen. Ein altes, halb verfallenes Kapellchen krönt den Gipfel des Berges, und an dessem Fuße sind eine Menge Höhlen, früher die Wohnungen christlicher Einsiedler, aber verlassen seit Jahrhunderten.

Die Wallfahrt beschließt eine Wanderung nach dem todten Meere. Der Weg dahin führt zuerst durch eine sandige, baumlose Ebene, dann durch ein, zu tiefen Schluchten gewaltsam aufgerissenes, felsiges Terrain, und ist sehr beschwerlich. Der Pflanzenwuchs wird, je näher man dem todten Gewässer kömmt, immer ärmlicher; niedrige, krüppelhafte Sträuche treten an die Stelle der hohen Pappeln und Platanen, und ein binsenartiges, dürres Gras an die der saftigern, in bunten Farben blühenden Gewächse. Auch die organische Welt flieht den unheimlichen Boden: am See singt kein Vogel, springt die Gazelle nicht, summt kein Käfer, flattert kein Schmetterling. Die Ufer bilden auf der Seite von Jericho einen hohen Damm von übereinander geworfenen Felsstücken, der in der Nähe die Aussicht verhindert. Erst wenn man jenen erstiegen hat, übersieht man das stille Gewässer, welches in der beträchtlichen Länge von 11 Meilen und 4 bis 5 Meilen Breite das herrliche Thal deckt, wo Sodom und die Schwesterstädte durch ihre Ueppigkeit einst den Zorn des Herrn erregten. Sein Anblick ist schaudererregend. Es breitet sich wie eine ungeheuere Tafel von schwarzblauem Lasurstein aus, und eine in’s Graue und Gelbe schillernde Steinölhaut hindert, daß der Luftzug die Oberfläche in Wellen furche. Auch nicht das kleinste Moos lebt am Ufer; nichts mildert den Gedanken an Zerstörung und ewigen Tod. Die Felsblöcke, die am Rande liegen, sind mit einem übelriechenden, schwarzen, klebrigen Schlamm bedeckt, und eben so Baumstämme, die, vom Jordan eingeschwemmt, längst blätterlos, wie schwarze Gespenster der Pflanzenwelt sich auf der Oberfläche umhertreiben. Hie und da liegen Gerippe von Fischen, welche aus dem Jordan in die See verschlagen wurden, und in demselben, wo alles Leben erstirbt, umkamen. Zahlreiche Naphta- und Schwefelquellen entspringen in der Umgebung des Sees, und am nordöstlichen Ende findet man, einige Fuß tief unter der Erde, jene bernsteinartige, schwarze Masse, aus der man die Kreuze macht, welche in Jerusalem zu Tausenden an Wallfahrende verkauft werden, und von denen in frühern Zeiten ganze Schiffsladungen voll in die Abendländer geführt wurden. – Niemand besucht dieses Gestade des Todes, als der christliche Pilger und der räuberische, wandernde Araber, der es mit abergläubischer Furcht betrachtet, und die tiefen Höhlen am Ufer zuweilen zu seinem nächtlichen, sichern Aufenthalt wählt, wenn er, mit dem Schakal der Wüste, auf räuberischen Ueberfall der in den nahen Thälern weidenden Heerden ausgeht.