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räuberischen Arabern aus der östlichen Wüste, denen, bei der Zerrüttung des Reichs, die geringe, wehrlose Bevölkerung sich ganz Preis gegeben sah, hat den bessern Theil derselben vollends verscheucht. Nur Solche sind geblieben, denen nichts zu nehmen ist, und so sehen wir jetzt das Land, welches ein fleißiges Volk vor 2 Jahrtausenden zu einem irdischen Paradiese umzuschaffen verstand und geschickt machte, eine unglaubliche Anzahl von Menschen zu ernähren, ein Land, dessen Herrlichkeit die Propheten und heiligen Sänger priesen, als entvölkerte Wüste.

Nur zur Zeit des Osterfestes, wann die christlichen Pilger aus allen Theilen des Orients Palästina’s heilige Stätten besuchen, führt die Frömmigkeit das Geräusch des Lebens an die stillen, verlassenen Gestade des Jordan’s für einige Tage zurück. Es ist nämlich Gebrauch seit undenklicher Zeit, die Wallfahrt nach dem gelobten Lande mit sündenreinigenden Abwaschungen, einer Art zweiten Taufe, in dem nämlichen Strome zu beschließen, in welchem der Heiland selbst die symbolische Weihe zu seinem Berufe als der Menschen Lehrer und Erlöser empfing. Die Züge der Pilger erhalten zum Schutze gegen die Beduinen militärische Bedeckung und die Haupt-Karawane, gemeinlich einige tausend Köpfe stark, wird vom Militair-Kommandanten von Jerusalem in Person geleitet. Sie setzt sich am Montag nach Ostern in Marsch. Ihr Weg führt durch das Gebirge über Bethania, wo man rastet und in mitternächtlicher Stunde, unter Fackelbeleuchtung, am Grabe des Lazarus eine Hymne absingt. Von da geht es durch tiefe, romantische Felsthäler in die Ebne von Jericho, einst das Eden Palästina’s, jetzt ein von Wölfen heimgesuchter Ort, gegen deren Anfälle die Hirten ihre Heerden bei nächtlicher Weile durch große Feuer schützen. Dort, auf erhöhetem Grunde, von dem sich eine prächtige Aussicht eröffnet, schlägt die Karawane ihr Lager auf. Man übersieht das todte Meer, und, bis in achtstündige Ferne, den Jordan, der wie ein breites Silberband aus einer Ebene herabkommt und sich, näher dem See, zwischen Hügeln, Wald und Baumgruppen verliert.

Nachdem gerastet worden ist und man sich erquickt hat, sammeln sich die Pilger der verschiedenen Nationen und Sekten unter ihren Fahnen und jede Abtheilung zieht nun, angeführt von Priestern, Gesänge anstimmend, durch ein Gehölz von hohen Platanen und Oelbäumen nach dem Jordan, zu der hier abgebildeten Stelle, der nämlichen, wo, der Sage nach, die Israeliten durchwadeten, als sie, unter Josua, das Land der Verheißung einnahmen. Es ist ein romantisches Plätzchen. Zwischen hohen Felsenborden, welche Weiden und Buschwerk überschatten, wälzt sich der silberklare Strom raschen Laufs dem See zu. Der gewöhnliche Wasserstand übersteigt nicht 4 Fuß; seine Breite ist hier etwa 100 Schritte und eine bequeme Furth leitet zum Strome hinab.

Hier baden die Pilger, die armen nackt, die reichern in eigends dazu bestimmten weißen Gewändern, welche in Jerusalem feilgeboten werden. Die meisten füllen Flaschen mit dem für heilig gehaltenen Wasser und sammeln Steinchen aus dem Strombette in lederne Beutel, zum Geschenk für die Freunde in der fernen Heimath. Andere wieder tauchen in die geweihten Fluthen mitgebrachte Zeuge, bestimmt zu Sterbegewändern für sich und die Ihrigen; denn