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CXXXXVI. Der Jordan.




Dort, wo des Antilibanons hohe Felsenmauer Palästina vom nördlichen Syrien scheidet, beim Flecken Dan, windet sich aus tiefer, schauerlicher Schlucht der neugeborne Jor-dan (Dan-Bach) murmelnd hervor. Weit und breit ist keine Quelle so herrlich, sowohl wegen der Klarheit ihres Wassers, als dessen Fülle. Schon in halbstündiger Entfernung von ihrem Ursprung hat sie das Ansehn eines Bachs, der, rasch und schäumend, über felsige, dünnbeforstete Abhänge hinab einem von hohen Bergen eingeschlossenen Trichter zueilt, wo seine Fluthen sich stemmen und einen kleinen, aber tiefen See bilden. Bäche, welche aus den östlichen Gebirgen kommen, verstärken ihn, und er bildet weiter abwärts einen zweiten, größern See, den Merom, in einsamer Landschaft. Aus diesem schlängelt er sich durch ein 3 Meilen langes Thal dem See von Tiberias (Genezareth) zu. Dieses herrliche Wasserbecken, in Galiläa das größte, von 16stündigem Umfange, an dessen Ufern der Heiland mit seinen Jüngern so oft verweilte und lehrte, erinnert durch die Reize seiner landschaftlichen Umgebung an die schönsten Seen der Schweiz. Es wird in seiner ganzen Länge vom Jordan durchströmt, welcher bei seinem Austritt am südlichen Ende, ähnlich dem Rhein, wenn er den Bodensee verläßt, an Mächtigkeit das Doppelte gewonnen hat. Als ein nun ansehnlicher Strom, der eine Breite von 140 bis 200 Fuß und eine Tiefe von 3 bis 10 Fuß hat, wälzt er sich zwischen meistens hohem Boden durch eine felsige, abwechselnd kahle und bewaldete Landschaft. Nach dreißigstündigem Laufe von Nord nach Süd findet er im sogenannten todten Meere sein Ziel.

Die Gestade des Jordans, einst prangend mit volkreichen Städten und reichen Fluren, sind seit sechzehn Jahrhunderten schon, seit der schrecklichen Vernichtung des jüdischen Volks und Staates unter Titus und Vespasian, fast ohne Anbau. Sie haben keine blühenden Gärten, keine Erndten, keine Reben mehr. Einige schmutzige Dörfer und verfallene Flecken, des Elends und der Armuth Aufenthaltsorte, und einzelne Zelte streifender Beduinen, mildern den Eindruck des Oeden und Einsamen nicht, und häufige Trümmer mächtiger Konstruktionen aus und vor der Römerzeit, von Tempeln und Kastellen, blicken traurig auf die klaren, schnell dahin rauschenden Fluthen des heiligen Flusses hernieder. Noch vor einem Jahrhundert war die Gegend am Jordan besser kultivirt und nicht so ganz menschenleer. Aber der Druck habsüchtiger Pascha’s, der den armen Bewohnern Das nahm, was sie mit ihrer Arbeit der Erde abgewannen, tilgte die Lust an der Kultur eines dankbaren Bodens aus, und die Furcht vor den