CLXXXIII. Die Nikolskoy-Kirche in Petersburg Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXXIV. Der Horeb
CLXXXV. Antwerpen
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DER HOREB in der ARABISCHEN WÜSTE

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CLXXXIV. Der Horeb.




Seitdem die Dampfschifffahrt eine wöchentliche, regelmäßige Verbindung zwischen Marseille, Palermo, Triest und Alexandrien hergestellt hat, seit einigen Jahren, ist eine Reise nach Aegypten was Alltägliches geworden. Von Paris nach Cairo dauert die Fahrt eine Woche, und sie ist kürzer, sicherer und bequemer, als vor fünfzig Jahren eine Tour von Frankfurt nach Leipzig war. Schwärme von Europäern durchziehen jeden Sommer das alte Wunderland, und die fashionable Welt gibt sich Rendezvous bei den Pyramiden wie an einem Kurort.

Eine Pilgerfahrt nach dem Sinai gehört zu den interessantesten Exkursionen von Cairo aus, und da sie eben nicht sehr kostspielig und ganz sicher ist, wird sie selten unterlassen. Sie geschieht auf Dromedaren, mit Caravanen, welche in der besseren Jahreszeit täglich von Cairo abgehen, und die oft Menschen aus allen Völkern vereinigen. Die Dromedare sind die angenehmsten Lastthiere, und man sitzt die zwölf Stunden einer Tagereise wie in einem Lehnsessel. Der Weg geht über Suez, das an der nördlichsten Spitze der westlichen jener beiden gabelförmigen Enden des rothen Meeres liegt, welche das steinigte Arabien einschließen, in dessen Mitte die majestätische Berggruppe des Sinai emporsteigt. Bis Suez ist Wüste. Man zieht auf einer Straße, die eigentlich aus einer Menge paralleler Fußpfade besteht, von den Kameelen getreten, die in breiten Reihen neben einander gehen. Die weite, öde Fläche gewährt einen traurigen Anblick. Dromedar-Skelette liegen rechts und links am Wege, von den armen Opfern, welche der Ermattung und der Grausamkeit ihrer Treiber erlagen. Dann und wann fällt der Blick auf eine flüchtige Gazelle, oder auf einen hoch am Himmel kreisenden Adler, oder es erschreckt eine Kette Rebhühner, die dicht vor den Füßen des Reisenden plößlich aufschwirrt. Caravanen von und nach Cairo, deren Führer, auf Eseln voranreitend, schon von weitem mit Zeichen und Zuruf sich begrüßen, wie begegnende Schiffe auf dem Ocean, ziehen an einander vorüber und bringen zuweilen Leben und Abwechselung in die Scene.

Das erste Nachtlager in der Wüste macht einen tiefen Eindruck. Es gibt ein Bild vom Leben der alten Hirtenvölker, und man denkt unwillkührlich an Moses und seine Israeliten, die vor 4000 Jahren den nämlichen Weg wanderten und an der nämlichen Stelle rasteten. Der Haltruf des Führers wirkt wie ein elektrischer Schlag auf die Menschen. In einem Augenblick ist alles in Bewegung und Thätigkeit. Im Nu erhebt sich auf dem brennenden Sande eine Barake aus Kisten, Schläuchen und Sattelgeräthe, und ausgebreitete Mäntel und Decken dienen zum Dache. Die Küche ist gleich fertig; denn ein schmaler, fußtiefer Graben ist bald gescharrt, und ein [127] paar Dornbüsche und trockner Kameelmist geben Holz und Kohlen für den Pilau; das Wasser aber, frisch aus den Schläuchen, schmeckt köstlich, wie Nektar. Die abgezäumten Dromedare suchen sich in der Weite ein kümmerliches Futter; wenn sie zurück kommen, reicht man ihnen einige Hände voll trockener Bohnen, und sie lagern sich um die Reisenden, dicht an einander, in Reihen, wie ein lebendiger Wall. Den Rest des Tages nehmen die Rüstungen für die Nacht hinweg, die schnell hereinbricht. Brennendes Roth breitet sich plötzlich über Himmel und Sandfläche aus; bald ist die Dämmerung verschwunden, der Mond kommt und gießt ein stilles, bleiches Zauberlicht über die einsame Landschaft. Um rothflackernde und knisternde Feuer gruppiren sich die charaktervollen Gestalten der braunen Araber in ihren weißen Mänteln; manche plaudern, erzählen Geschichten und Thaten der Wüste; andere handthieren umher; noch andere strecken sich zur Ruhe. Ein paar aus jeder Gruppe sind mit Brodbereiten beschäftigt; der eine knetet den Teig aus Bohnenmehl in einer hölzernen Schüssel; der andere formt Brodkuchen daraus, ähnlich den Matzen der Juden. Auf glühendem Sand sind sie bald gebacken, und noch heiß verschlingt sie der Araber, Kameelmilch dazu trinkend. Nach dem Mahle rücken die braunen Kerls in kleinere und größere Kreise zusammen, und nun geht es an’s Erzählen der immer frischen Mährchen und Sagen, oder von mitgemachten Fahrten und Abenteuern, Karavanenüberfällen und Plünderungen u. d. gl., wozu das unstäte Wegelagerer-Leben der Araber immer neuen und unerschöpflichen Stoff bietet. Aber den lauschenden Europäer beschleicht ein unheimliches Gefühl; denn wenn er ihre Erzählungen vom Gewande der Poesie entkleidet, sieht er sich unter einer Horde von Räubern.

Suez ist modern und für das alte Kolzun erbaut, von dessen Mauern sich das Meer zurückzog. Der Ort, welcher sich vom Karavanentransit und etwas Schiffbau dürftig nährt, ist arm; die Luft ist ungesund, die Gegend erbärmlich; es ist die Wüste ohne Baum und Pflanze. Der Pascha von Aegypten unterhält eine schwache Garnison in einem die Stadt beherrschenden Fort. Alle Lebensmittel kommen von Cairo, und jeden Sommer dezimiren ansteckende Fieber die Bevölkerung. Doch ist durch die von den Engländern vor Kurzem hier etablirte regelmäßige Dampfpacketfahrt nach Bombay ein bedeutender Schritt zur Belebung des Verkehrs und zur Aufhülfe des Orts geschehen; einige neue, schöne Gebäude und Waarenmagazine, Eigenthum der Britten, zieren bereits den Hafen, und die sich neu gestaltenden Verkehrverhältnisse zwischen Indien und Europa weissagen für Suez eine glänzende Zukunft.

Von Suez wendet sich der Weg einem Sumpfe zu, den einige Palmengruppen umsäumen, die ersten, welchen man von Cairo aus begegnet. Die Pfütze trägt den Namen: „Quellen des Moses.“ Hier wird ausgeruht und gerüstet zum beschwerlichen Zuge durch die Steinwüste, welche unmittelbar bei den Quellen beginnt.

Es ist eine todte, aber höchst imposante Natur, diese Sahara der Felsen. Man möchte der Tradition beinahe Glauben schenken, nach welcher das steinigte Arabien vordem ein Ocean von Lava gewesen, geronnen in dem Augenblick, wo seine ungeheuern Wellen, vom Orkan gegeiselt, als Berge zum Himmel aufschlugen. Weit [128] und breit, in Höhen und Tiefen, herrscht die todte Versteinerung: jähe Felsenwände, tief ausgefurchte Thäler, finstere Schluchten, und ungeheuere Spalten. Hie und da ist ein Thal bestreut mit tiefem, losem Sande, dessen Fläche seine Gestalt mit jedem Windstoße verändert: der einzige Wechsel der Formen in dieser unveränderlichen Natur. An Vegetation, an Keim und Pflanzenwuchs ist fast nirgends zu denken. Blos aus Felsspalten saugen einige verkümmerte, caktusartige Gewächse dürftige Nahrung. Regen fällt nie in dieser Wildniß: – und die wenigen, kleine Oasen nährenden Quellen haben einen bituminösen, schweflichten Geschmack, Zeugniß gebend von des Bodens vulkanischem Ursprung.

Nach einem erschöpfenden Tagesmarsch gelangt man nach Wadi Garandel, dem Elim des alten Testamentes. Um eine erdpechhaltige, kaum genießbare Quelle grünen Akazien, Tamarinden und einige Dattelpalmen von riesenhafter Größe. Hier wird Halt gemacht und gerastet.

Ungern trennt man sich von den grünen Büschen Garandels, um von neuem die Steinwüste zu durchwandern. Ein ermüdender Weg von 5 Stunden führt zur Hamman Faraum, der zweiten Oase. Es ist ein kleiner, mit Binsen überwachsener Sumpf, in dessen Nähe eine niedrige Mauer einen schmalen Raum mit einigen Grabsteinen einfaßt: den Friedhof schiffbrüchiger Engländer, die an der Küste Gut und Leben verloren.

Kalkgebirg zieht sich in Hohlwegen und Thälern auf dem Wege hin, mit abenteuerlichen, wilden Formen, und roth, braun, schwarz und weiß ragt es tausendspitzig gegen den Himmel; eine furchtbare Natur, die den Wanderer mit unheimlichen Vorstellungen bedrängt und ihn an die phantastischen Gebilde arabischer Schauermährchen erinnert. Seitwärts, tief im Hintergrunde, erhebt sich der Cerbal, einer der Bergriesen des steinigten Arabiens.

Das berühmte Thal Faran ist das Ziel der dritten Tagereise. Sein Eingang ist enge, und zu beiden Seiten thürmen sich rosenfarbene Granitmassen auf. Im Hintergrunde ragt der Cerbal. Um ihn stehen Hunderte von Felsthürmen und spitzigen Kegeln, wie ein Heer bewaffneter Trabanten um einen König.

In diesem Thale schlängelt sich ein klarer, murmelnder Bach zwischen immer grünen Ufern, welche Flora täglich mit neuen Kränzen schmückt. Palmen- und Akazienwäldchen verbergen einige Hütten von Stein, die Wohnungen einer Anzahl von Hirtenfamilien, welche sich in diesem Paradiese der Wüste niedergelassen haben. Ich will nicht versuchen, das Entzücken zu schildern, das den Reisenden bei dem Anblicke der Oase ergreift, welche selbst die wilden Beduinen nur mit Freudengeschrei begrüßen.

Die nächste Tagereise bringt endlich zum Ziele. Ihre erste Hälfte führt von neuem durch die abenteuerliche Felsenwelt: Mittags aber lohnt die noch schönere und größere Oase Mackscharath für die ausgestandenen Strapazen im reichsten Maße. Am Eingange dieses Thals sind die Ruinen einer alten Stadt; Reste einer Wasserleitung und von Grabmonumenten im ältesten, phönizischen Style. Auch eine verfallene christliche Kirche steht da – der Rest eines Klosters, das einst hier stand. Die Trümmer tragen den traditionellen Namen Moses-Stadt; [129] Stadt; der große Gesetzgeber soll sie gegründet haben. Die Schönheit der Natur in diesem Thale geht über alle Vorstellung. Ein Gehölz von prächtigen Palmen und schlanken Nadelbäumen beschattet die Oase, und eine Gebirgsmauer von licht-rothem Porphyr schützt sie vor brennenden Winden. Klare Bäche durchrieseln üppige Wiesengründe, und unter den breitschattenden Bäumen rauchen kleine, mit Gärtchen umgebene, arabische Wohnungen. Heerden von Dromedaren und Ziegen weiden, und eine unzählige Menge Rebhühner sind so zahm, daß man sie häufig mit Stöcken erreichen kann. Es ist das Eden der Wüste.

Drei volle Stunden lang ist diese Oase, die in einem Akaziengehölze endigt, in dessen Nähe wilde Beduinen einige Grotten zu Wohnungen eingerichtet haben.–- Von da an wird der Weg sehr beschwerlich. Immer bergan gehend versperren große Felsblöcke bei jedem Schritte den Pfad. Er wird zuletzt so steil, daß die Reisenden absteigen und ihre Dromedare beim Zügel führen müssen. Nach 5stündigem, unaufhörlichem Steigen wird eine Hochebene erreicht: die nämliche, wo die Israeliten lagerten und dem goldenen Kalbe opferten, während Moses auf der Spitze des Berges war, des Berges, dessen bloßer Name hinreicht, in der Erinnerung jedes Lesers unvergeßlich eingeprägte Züge aufzufrischen und seinen Geist in die Tiefe der heiligen Geschichte zu tauchen. Der Sinai – eine ungeheuere Granitmasse, die den Himmel selbst zu tragen scheint – tritt hervor in seiner zermalmenden Majestät.

Die Ebene verengt sich zu einem Thale, weiterhin zu einer Schlucht, deren Mitte das berühmte Katharinenkloster einnimmt; dasselbe, welches seit 14 Jahrhunderten gegen christliche Pilger Gastfreundschaft übt. Es ist ein festes, citadellenartiges Gebäude, umgeben von hohen Mauern. Thüren hat es nicht, um es vor Ueberfall und Plünderung besser zu schützen. Man steigt zu einer, in 20 Fuß Höhe angebrachten Maueröffnung auf einer Strickleiter hinan. Ein großer Garten, ebenfalls mit hohen Mauern eingefaßt, aus denen sich einige Cypressen erheben, macht den Vorbau.

Die Brüderschaft besteht aus dreißig griechischen Mönchen. Ihre Regel ist sehr streng, und sie essen niemals Fleisch. Der Gottesdienst währt Tag und Nacht. Die Mönche wechseln bei demselben ab, und alle häuslichen Verrichtungen geben ebenfalls reihum. Die Kirche ist schön, und eine Kapelle schließt den Ort ein, wo der „feurige Busch“ gestanden haben soll, in dem der Herr dem Moses erschienen war. Man nährt sich ihm nur auf den Knieen und barfuß. – Der Klostergarten ist groß, vortrefflich bewirthschaftet und trägt das köstlichste Obst.

Gleich hinter dem Kloster steigt man zu dem durch die biblische Geschichte geheiligten Theile der Sinaigruppe auf. Diese besteht aus zwei an einander gränzenden Höhen, oder vielmehr aus einem Gebirge mit zwei Gipfeln, welche die Araber als Gabel Mousa (Mosesberg) und Gabel Katarin (Katharinenberg) unterscheiden. Nach der Volks-Tradition ist der erstere der eigentliche Sinai, der letztere der Horeb, wo Moses die göttliche Berufung zu seinem großen Werke empfing. Dieser wird vom Kloster aus vorzugsweise bestiegen. Es gingen sonst [130] Stufen hinan bis zum Gipfel; aber nur stellenweise existiren noch Spuren dieser Felsentreppe. Der jetzige Pfad ist zerrissen, und rothe Granitblöcke, die im Wege liegen, machen den Aufgang an vielen Stellen sehr beschwerlich. Nach halbstündigem Steigen gelangt man an einen weit vorspringenden Felsen, aus dessen Tiefe eine ergiebige, krystallhelle Quelle sprudelt, die den vortrefflichsten Labetrunk reicht. Einige ausgehauene, mit Moos bedeckte Sitze bei der Quelle laden zum Ausruhen.

Hat man eine halbe Stunde weiter geklettert, so erreicht man eine kleine Kapelle, der heil. Jungfrau geweiht. Diesem Gebäude gegenüber ist eine hohe Treppe, zwischen 2 Felswänden, unvollkommen in den Granit gehauen, und sie führt zu dem plump gebauten Elias-Kloster, das jetzt unbewohnt ist. Eine Cypresse, von riesenhafter Größe und dem höchsten Alter wiegt sich an der ehrwürdigen Stelle, wo, nach der arabischen Ueberlieferung, Moses die zehn Gebote von Gott empfing. Der Fußsteig wird steiler, schwieriger, bis die oberste Spitze erreicht ist. Sie ist kegelförmig, oben platt, etwa 30 Schritte im Umkreise. Hier steht ein christliches Kapellchen, roh aus Granit aufgeführt, schlecht erhalten, ohne Thüren und Fenster. Auf der andern Seite, etwas tiefer, haben auch die Moslims eine kleine Moschee, die sie in hoher Verehrung halten. Daneben ist eine schöne, runde Cisterne.

Die Aussicht vom Gipfel des Horebs ist bewundernswürdig; man übersieht fast alle Gebirge der Halbinsel und weithin das rothe Meer, mit seinen Eilanden, ja sogar bei ganz heiterm Himmel das ferne Hochgebirge Afrika’s. Die lachende Fernsicht bildet einen seltsamen Kontrast zu der traurigen Einöde des Vorgrundes, den Hinblick in die düstere Felsenwelt und in die öden, alles grünen Schmucks und alles Lebens beraubten Thäler. Aber, obschon für das irdische Auge alles Reizes beraubt, wie vielen bieten des Sinai und des Horebs geheiligte Wüsten dem geistigen! Wie ergreift der Anblick dieser Gegenden, wo Moses, der größte Mann und Gesetzgeber, den nicht nur sein Volk, den vielleicht die Menschheit gehabt hat, die schwerste Sendung vollendete, welche die Vorsehung einem Sterblichen beschieden. Diese Wüsten waren es, die er zur Bildungsschule eines Volks erkohr, das aus einer Sklavenhorde zu einer cultivirten Nation zu erheben, es gegolten! Und wie that er’s! mit welcher Selbstverleugnung ohne Beispiel hat er die erste, hartnäckige Generation durch vierzigjähriges Verweilen in dieser Oede untergehen lassen, bis nach deren Tode ein neues Geschlecht erstand, fähig, sich einzurichten im Lande seiner Väter nach den Gesetzen, die er ihnen entworfen! Wie wunderbar sind sie durchdacht alle diese Gesetze! Wie umfassen sie das Größte bis zum Kleinsten, wie sind sie berechnet, sich des Geistes seiner Nation in allen Umständen des Lebens zu bemächtigen und zu ewigen Gesetzen zu werden? – Und die hauptsächlichsten sind es geworden und werden es bleiben, nicht blos seinem Volke, sondern allen Nationen, denen im Reiche der Bildung eine Zukunft beschieden ist. Oder sind die Gesetztafeln, welche Moses von dem Gipfel des Sinai getragen, nicht die unterste Grundlage aller Civilisation auf Erden? und werden sie je aufhören, es zu seyn?