Der Freund der deutschen Arbeiter
Wenn man in Berlin während des vergangenen Winters an einem Sonntagsmorgen zwischen 11 – 12 Uhr in die Nähe der sogenannten Tonhalle gelangte, welche in der großen Friedrichsstraße liegt, so erblickte man einen ungewöhnlichen Menschenstrom, der sich nach jenem bekannten Vergnügungslocale in stiller, ernster Haltung bewegte, nicht um daselbst Zerstreuung und materielle Genüsse
[517]zu suchen, sondern um Belehrung und Unterricht über seine wichtigsten Interessen zu finden. Die Meisten der Anwesenden sind Arbeiter mit schwieligen Händen und intelligenten Gesichtszügen, in denen ein aufmerksamer Beobachter zwar die Sorge um das tägliche Brod, aber auch den Durst nach Wissen und Erkenntniß lesen kann. Dazwischen bemerkt man auch wohl Männer von höherer Bildung, Gelehrte, Künstler und Kaufleute, Fabrikanten, junge Studenten und Beamte, darunter hochgeehrte und weltberühmte Persönlichkeiten, den ehrwürdigen Präsidenten Lette, den genialen Virchow, angesehene Fremde, Nationalökonomen, Volksfreunde und Volksvertreter. Bald füllt sich der große Saal und die damit verbundenen Gallerien bis auf den letzten Platz; es herrscht trotz der großen Versammlung eine bewunderungswürdige Ordnung und Ruhe, eine fast andächtige Stille, wenn der erwartete Vortrag beginnt, so daß man in einer Kirche der Andacht einer frommen Gemeinde beizuwohnen glaubt.
Jetzt besteigt der Redner die Bühne, ein kräftig gedrungener Mann mit geistvoll energischen Zügen, hoher Stirn, leuchtenden Blicken und beredten Lippen, um die ein freundliches, gewinnendes Lächeln schwebt. Er begrüßt die Versammlung mit kräftiger, wohlklingender [518] Stimme, die den weiten Saal vollkommen ausfüllt. Sein Vortrag ist wunderbar klar und allgemein verständlich, ohne Phrase, einfach, logisch und stets zutreffend, so schlicht, daß ihn jeder Arbeiter begreifen und ihm folgen kann. Er spricht nicht zu den Leidenschaften, sondern zu dem Verstande und den Herzen seiner Zuhörer; er belehrt sie, ohne pedantisch zu sein, er überzeugt sie durch die bloße Macht der Wahrheit, durch die Kraft seiner Gedanken, ohne je der Menge zu schmeicheln; er ist im höchsten Grade populär, ohne je trivial oder oberflächlich zu werden. Frei von jeder Effecthascherei, von blendenden Schlagwörtern, von lustigen Theorien, ist es ihm nur allein um die Sache selbst zu thun, obgleich ihm alle Künste der Rede in einem seltenen Maße zu Gebote stehen, die feinste Ironie, der glänzendste Witz, der rollende Donner sittlicher Entrüstung, das erhabene Pathos der Begeisterung. So entwickelt er seine Ansichten über die schwierigste Aufgabe der Zeit, über die sociale Frage, über das Verhältniß der Arbeit zum Capital, über die Lage der Arbeiter und die Mittel zu ihrer Verbesserung, indem er das große Problem in praktischer Weise zu lösen sucht und den einzig möglichen Weg zur Versöhnung der einander gegenüberstehenden Interessen zeigt, so daß man mit Recht behaupten darf, daß er die herrlichsten Samenkörner der Bildung und Gesittung, des Friedens und der bürgerlichen Ordnung mit segenbringender Hand ausstreut.
Dieser volksthümliche Redner ist der bekannte Abgeordnete Schulze-Delitzsch, der Apostel der Arbeiter, wie er mit Recht genannt zu werden verdient, seine Zuhörer aber sind die Mitglieder des Berliner Arbeitervereins, der in kurzer Zeit einen hohen Aufschwung genommen hat und eines solchen Lehrers würdig ist. Jene Vorträge aber, die einen so mächtigen Einfluß ausgeübt, sind jetzt gesammelt unter dem Titel „Capitel zu einem deutschen Arbeiterkatechismus“ im Verlage des Herausgebers der „Gartenlaube“ erschienen. Sie geben ein vollständiges Bild von dem Wirken und Streben dieses wahren Volksfreundes, welcher als Begründer der deutschen Arbeiter-Associationen sich ein unsterbliches Verdienst um die deutschen Arbeiter erworben hat. Dieser Seite seiner Thätigkeit ist der vorliegende Aufsatz vorzugsweise gewidmet, nachdem die „Gartenlaube“ bereits früher eine ausführliche Biographie von Schulze-Delitzsch gebracht hat, worin hauptsächlich seine politische Wirksamkeit nach Gebühr gewürdigt worden ist.
Von jeher hat es bekanntlich nicht an Versuchen gefehlt, die sociale Frage, deren Wichtigkeit allgemein einleuchtet, in zufriedenstellender Weise theoretisch und praktisch zu lösen. Ganz besonders beschäftigten sich die Franzosen mit dieser schwierigen Frage, die sie mit der ganzen Lebhaftigkeit ihres für jede Neuerung schwärmenden Geistes ergriffen. In kurzer Zeit tauchten die verschiedensten Systeme und kühnsten Theorien auf, wobei es auf nichts Geringeres als auf einen vollständigen Umsturz der bisherigen Weltordnung abgesehen war. Selbstverständlich mußten diese meist unhaltbaren und phantastischen Pläne bei ihrer Ausführung scheitern. Die Einmischung des Staates, welche der Alles centralisirende Geist des französischen Volkes nicht zu entbehren vermag, erwies sich eher schädlich als nützlich. Die Nationalwerkstätten, welche nach der Revolution vom Jahre 1848 der geistreiche, aber unpraktische Louis Blanc gewaltsam in’s Leben rief, gingen an ihren falschen Voraussetzungen und ihrer fehlerhaften Einrichtung bald wieder zu Grunde und discreditirten alle ferneren ähnlichen Versuche. Durch den Aufstand des fanatisirten Proletariats und die blutigen Kämpfe in den Straßen von Paris wurde der ruhige Bürger und die besitzende Classe zum Feinde jeder socialen Bewegung gemacht und von einer fast lächerlichen Furcht erfüllt. Erst Louis Napoleon, der die ganze Bedeutung der socialen Frage erfaßt hat, benutzt dieselbe als eine mächtige Bundesgenossin für seine selbstsüchtigen Zwecke, indem er sich durch das allgemeine Stimmrecht zum Kaiser erhob und gegenwärtig noch auf die Arbeiterbevölkerung, welche er durch einen vorübergehenden, künstlichen Wohlstand zu gewinnen wußte, sich fortwährend stützt und durch sie seine Stellung behauptet.
Praktischer wurde der Socialismus in England begriffen und angefaßt, wie in der Natur dieses handeltreibenden, der Speculation und bloßen Theorie feindlichen Volkes liegt. Bereits im Jahre 1800 hatte hier der bekannte Socialist Robert Owen die Lage seiner eigenen Fabrikarbeiter zu verbessern gesucht und zu diesem Behufe eine auf moralische Hebung der Arbeiter berechnete sociale Musteranstalt in dem schottischen Dorfe Newlanark gegründet, wobei er von dem Grundsatze ausging, durch Erziehung und Betheiligung der Arbeiter an dem Gewinn dieselben moralisch und auch materiell zu verbessern. Owen hatte seine Ideen dem Kongresse zu Aachen 1818 und mehreren Staatsmännern in London und Paris vorgelegt, aber das Parlament in England widersetzte sich der Annahme seiner Vorschläge, weil einige darin entwickelte religiöse und moralische Ansichten Owen’s mit Recht bedenklich erschienen, indem er nämlich das persönliche Interesse als die Triebfeder und die Hauptsache aller menschlichen Handlungen hinstellte und den Menschen selbst lediglich als ein Product der äußeren Verhältnisse auffaßte. Sein Beispiel indeß sollte nicht so leicht verloren gehen; in den vierziger Jahren bildeten sich in den nördlichen Grenzdistricten von Lancashire und Yorkshire kleine Genossenschaften ärmlicher, durch schlimme Zeiten und Arbeitseinstellung heruntergekommener Fabrikarbeiter, die sich in Erinnerung an das Vorbild Owen’s zusammenthaten, um einige wirthschaftliche Vortheile durch ihre Vereinigung zu erzielen. Diesen ersten und unvollkommenen Versuchen folgten bald größere Associationen von handwerksmäßigen Arbeitern zur Gründung eines Productionsgeschäftes mit fabrikmäßigem Betriebe.
Mit reißender Schnelligkeit vermehrte sich die Zahl dieser Associationen, so daß im Jahre 1861 allein in England ohne Schottland 400 derartige Associationen mit 50–60,000 Mitgliedern, einem Capital von 2 Millionen und einem Umsatz von 6 Millionen Pfd. Sterl. bestanden. Um einen Begriff von den Vortheilen dieser Genossenschaften zu gewinnen, braucht man nur die Geschichte der unter dem Namen der Pioniers von Rochdale bekannten Genossenschaft zu lesen. Dieselbe fing 1844 mit 20 Mitgliedern und einem mühsam beschafften Capital von 28 Pfd. Sterl. an und macht gegenwärtig mit 3000 Mitgliedern und 35,000 Pfd. Sterl. Capital ein jährliches Geschäft von 160,000 Pfd. Sterl. mit einem Reingewinn von 16,000 Pfd. Sterl. Ihren Bedarf an Kleidungsstücken aller Art liefern ihre eigenen Werkstätten. Außerdem wurden hauptsächlich von den Mitgliedern dieser Genossenschaft zwei gewissermaßen Zweiggeschäfte begründet. Erstlich eine Getreidemühle, welche 1852 mit 250 Mitgliedern, einem Capital von 2000 Pfd. Sterl., einem Geschäftsbetrieb von 7000 Pfd. Sterl. und einem Gewinn von 360 Pfd. Sterl. anfing und 1860 schon 500 Mitglieder, 21,000 Pfd. Sterl. Capital, einen Betrieb von 102,000 Pfd. Sterl., einen Gewinn von 10,000 Pfd. Sterl. und eine Dividende von 10 Pfd. Sterl. aufweisen konnte. Noch beachtenswerther in mancher Beziehung ist das zweite Unternehmen, eine Spinnerei und Weberei, welche 1858 mit einem Capital von 5.500 Pfd. Sterl. begründet, seit October 1860 mit den vorzüglichsten Dampfmaschinen und Einrichtungen aller Art, welche 50,000 Pfd. Sterl. erforderten, arbeitet und 1600 Mitglieder zählt. Dazu kommt noch neuerdings die Gründung einer „Baugesellschaft“ zur Erwerbung eigenen Grundbesitzes und eigener Häuser für die Mitglieder, mit einem Actiencapital von 80,000 Pfd. Sterl.
Auch in Deutschland beschäftigte die sociale Frage vielfach die Arbeiter und besonders die kleinen Handwerker, welche sich durch den raschen Aufschwung des Fabrikwesens in ihrer Existenz bedroht und einer unvermeidlichen Armuth preisgegeben sahen, indem sie der drückenden Macht des Capitals keinen Widerstand zu leisten vermochten. Gegen diese Uebel suchte man vergebens Schutz durch die Wiederbelebung des alten Zunftwesens und durch Beschränkung der überhand nehmenden Concurrenz. Das Jahr 1848 brachte nicht nur eine politische Revolution, sondern eine eben so große sociale Erschwerung hervor. Vorzugsweise suchte der Handwerkerstand durch Petitionen und Deputationen bei den gesetzgebenden Versammlungen in Frankfurt und Berlin einen Einfluß auf die Gesetzgebung auszuüben und seine nicht immer gerechtfertigten Forderungen und Wünsche durchzusetzen; was ihm auch zum Theil durch den ausgeübten Druck und die Macht der Verhältnisse, nicht eben zu seinem Vortheile und zum Nutzen des Ganzen, gelang. Bald erwiesen sich aber diese sogenannten Verbesserungen, wie das in der Natur der Sache lag, als eitles Flickwerk und keineswegs ausreichend, die Hülfe und das Eingreifen des Staates als unzulänglich, da keine Gesetzgebung der Welt im Stande ist, Todtes zu beleben und den unaufhaltsamen Gang der Geschichte, der rücksichtslos fortschreitet, zu hemmen.
Bald erkannten die Einsichtsvolleren unter den Handwerkern und Arbeitern ihren begangenen Irrthum und suchten Rettung und Hülfe in sich selbst und in der freien Genossenschaft mit ihren unerschöpflichen Hülfsquellen. Zugleich fand sich auch der rechte [519] Mann im rechten Augenblick, und dieser war kein anderer als Schulze-Delitzsch, der, mit einem wunderbaren Organisationstalent begabt, die erste deutsche Genossenschaft in seiner Vaterstadt Delitzsch in’s Leben rief. Als Deputirter der ehemaligen preußischen Nationalversammlung mit Leitung der zur Ordnung der Handwerker-Verhältnisse eingesetzten Fachcommission betraut, hatte er sich mit großer Vorliebe dieser Aufgabe gewidmet und dabei einen reichen Schatz von Erfahrungen gesammelt, so daß er besonders seit seinem Austritt aus dem Staatsdienste die Förderung des Associationswesens in Deutschland als seine eigentliche Lebensaufgabe betrachtete. Er ging dabei mit weiser Vorsicht zu Werke, indem er die gegebenen Verhältnisse, die eigenthümliche Natur des deutschen Volkes und des deutschen Handwerkers im Besonderen berücksichtigte und, von kleinen Anfängen ausgehend, durch langsames, aber stetiges und sicheres Vorschreiten immer größere und bedeutendere Resultate erzielte. Im Gegensatze zu den glänzenden Theorien der französischen Socialisten und ihren großartigen, aber auf Sand gebauten Experimenten schlug er den einzig richtigen Weg der praktischen Selbsthülfe nach englischem Vorbilde ein, ohne darum der einseitigen Richtung und der ausschließlich materiellen Praxis der Engländer zu huldigen. Auch hier bewährte sich der echt deutsche Geist des Gründers der deutschen Genossenschaften, indem ein ideeller Hauch seine Schöpfung durchzieht, Theorie und Praxis, Gedanke und That in ihm harmonisch verschmelzen. Das von ihm befolgte System beruhte auf der alten Erfahrung, daß mehrere kleine Capitale zusammen ein großes geben, das den Betheiligten auch alle Vortheile des großen Capitals gewährt, billigere Beschaffung der nöthigen Rohstoffe, der Lebensmittel, des Handwerkszeugs, der Maschinen, der ganzen Production und des Vertriebes. Zu diesem Zwecke bildeten sich, meist auf seine Veranlassung, die verschiedenen Genossenschaften, Consum-, Vorschuß- und Productionsvereine, welche durch gemeinsame Kräfte in kurzer Zeit einen bedeutenden Gewinn erzielten und den Nutzen der Association auf diesem Gebiete praktisch darthaten.
Nach Schulze’s Ansicht aber, die er in seiner Schrift: „Die arbeitenden Classen und das Associationswesen in Deutschland“ niedergelegt hat, mußte gerade in Deutschland mit einer gewissen Zurückhaltung vorgegangen werden, „weil die Zerstörung der früheren Gewerbsorganisationen noch nicht vollständig genug erfolgt, der Platz noch nicht von allen Trümmern so weit geräumt ist, um mit völliger Freiheit zum Neubau zu schreiten.“ „Insbesondere hat man mit dem den Deutschen eigenthümlichen Hange zur Absonderung zu kämpfen, der in der Isolirung die Selbstständigkeit opfern zu müssen meint, obschon die letztere der Mehrheit nach nur durch jenen innigen Anschluß der Einzelnen aneinander gerettet werden kann.“ Von diesen Ansichten ausgehend hat Schulze ein ineinandergreifendes System von Associationen und gewerkschaftlichen Genossenschaften geschaffen, mit denen die von ihm ebenfalls ins Leben gerufenen Creditverbände, Vorschußvereine und Darlehnscassen Hand in Hand gehn. Gegenwärtig bestehen durch seine Bemühungen zweitausend derartige Associationen in Deutschland, wovon jedoch die Hälfte sich auf Bildungszwecke beschränkt, von den übrigen kommen ungefähr 500–550 auf die Vorschuß- und Creditvereine, gegen 200 auf Rohstoff-Vereine, 50 auf Vereine zur gemeinsamen Magazinirung und Production, gegen 100 auf Consum- und ebenfalls 100 auf Krankenpflege-Vereine.
Um einen Begriff von Umsatz und Verkehr derselben zu geben, entnehmen wir den regelmäßig erscheinenden Jahresberichten folgende Zahlen. Von ungefähr 360 Vorschußvereinen, welche bereits im Jahre 1861 thätig waren, hatten 188 ihren speciellen Jahresabschluß eingereicht. Obschon darunter 46 sich befanden, deren Abschluß ihr erstes Jahr betraf, wo der Verkehr natürlich noch ganz unentwickelt ist und sich in sehr kleinen Verhältnissen bewegt, so ergab sich an gewährten baaren Vorschüssen, einschließlich der Prolongationen, meist auf die Frist von 3, manchmal auch bis 6 Monaten, die ungeheure Summe von 1,876,009 Thlr. Die Migliederzahl belief sich bei 188 Vereinen auf 48,760, der Nettogeschäftsgewinn für das Jahr 1861 zusammen auf 78,055 Thlr. Rechnet man zu diesen Resultaten noch die fehlenden Berichte der übrigen 140–150 Vorschußvereine, so dürfte sich der Umsatz dieser allerdings am meisten entwickelten Classe der Genossenschaften auf mindestens 20 Millionen Thaler, der eigene Fond auf 1 Million bis 1,200,000, die fremden Anlehen auf 5½ Million schätzen lassen. Aehnliche großartige Erfolge haben aber auch die übrigen Consum- und Productionsvereine aufzuweisen.
Diese bewundernswürdigen Resultate hat aber der deutsche Arbeiter hauptsächlich der rastlosen Thätigkeit und dem außerordentlichen Organisationstalent dieses Mannes zu verdanken, der sein ganzes Leben, seine unermüdliche, vor keinem Hinderniß zurückschreckende Energie dem deutschen Volke und vor Allen den deutschen Arbeitern und Handwerkern widmet. Ein neues Zeugniß dafür legt der deutsche Arbeiterkatechismus, jene im Berliner Arbeitervereine von ihm gehaltenen Reden, ab. Sie geben in musterhaft populärer Sprache die Grundzüge seines Systems und enthalten einen wahren Schatz volkswirthschaftlicher Grundsätze und Erfahrungen. Hier werden das Wesen und die Natur der Arbeit und des Capitals mit wunderbarer Klarheit dargethan, die Arbeiter über ihre wahren Interessen belehrt, die alten Vorurtheile gegen die Concurrenz und das Maschinenwesen schlagend beseitigt, die Mittel angegeben, um den in ihrem Gefolge nothwendig auftretenden Uebelständen zu begegnen, das Selbstgefühl und das Selbstvertrauen des Arbeiters gehoben und gestärkt, die Vortheile der Selbsthülfe durch die Genossenschaften theoretisch und praktisch nachgewiesen und die ausschweifenden Forderungen und phantastischen Träume moderner Volksbeglücker und falscher Voksfreunde nach Gebühr gewürdigt und ihr verderbliches Treiben schonungslos aufgedeckt.
Vor Allem aber kann nicht genug hervorgehoben werden, daß Schulze-Delitzsch im eigentlichen Sinne ein Apostel des Friedens, der Gesittung und der Bildung ist, die er als die Hauptfactoren zur Hebung und Verbesserung der deutschen Arbeiter betrachtet. Im Gegensatz zu den socialen Agitatoren stellt er nicht das Capital der Arbeit feindlich gegenüber; für ihn „ist die Fähigkeit der Capitalansammlung bei den Menschen gleichbedeutend mit ihrer Culturfähigkeit, indem vom Wachsthum dieses geistigen und sachlichen Capitals der Menschheit jeder Fortschritt in der Civilisation, die allmähliche Vervollkommnung menschlicher Zustände in intellectueller, sittlicher und wirthschaftlicher Hinsicht notwendig bedingt wird.“ So sucht er die Kluft zwischen den Besitzenden und Besitzlosen unablässig auszufüllen, indem er Arbeit und Capital als gleichberechtigte Mächte hinstellt, die allein durch ihre innige Verbindung und gegenseitige Förderung sich und der Menschheit durch Lösung der socialen Frage dienen. Beide können aber zu diesem Resultate nur durch die politische und bürgerliche Freiheit gelangen, welche die Lebensluft des Staates und der Gesellschaft ist. Daher geht bei Schulze-Delitzsch seine sociale Thätigkeit mit seinem politischen Wirken Hand in Hand, und sein Wahlspruch lauter: Kein socialer Fortschritt ohne politische Freiheit, keine politische Freiheit ohne socialen Fortschritt.