Textdaten
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Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Der Frühling
Untertitel:
aus: In Reih und Glied
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 5–7
Kurzbeschreibung:
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[5]
Der Frühling.


Gehst du im frühen Lenze durch den Wald,
Des Lebens froh im erst so stillen Reiche,
So hasten sinnend deine Blicke bald
Am frischen Wuchs der nächsten jungen Eiche;

5
Denn neben zarten Laubes grünem Braun,

Das aus den Knospen bricht in krauser Fülle,
Ist fahles Laub an jedem Zweig zu schau’n –
Vom letzten Jahr die abgestorbne Hülle.

Es haftet fest und zäh an seinem Ort,

10
Es sträubt verdrossen sich und will nicht weichen;

Nur ab und zu führt lose Blätter fort
Der laue Frühlingswind als Siegeszeichen,

[6]
Und eh’ am Boden und auf Weihers Grund

Das letzte Blatt vermodert und verrottet,

15
Hat raschelnd es das Blühen in der Rund’,

Hat es den Frühling hundertmal verspottet.

Und soll das fahle, winterliche Laub
Nicht bis zum Sommer seinen Platz bewahren,
So muß mit sieghaft-fröhlichem Geschnaub

20
Der Frühlingssturm durch alle Wipfel fahren.

Das thut es nicht, das kosend-linde Wehn,
Vor dem die Knospen aller Blumen springen;
Vor sanftem Hauch wird welkes Laub bestehn –
Der Sturm allein kann grüne Eichen bringen!

25
Und niederrauschen muß in warmer Nacht

Der Regen auch in dichten schweren Güssen;
Dann wird das Laub, das zagend sich und sacht
Herausgewagt, gewaltig wachsen müssen.
Dann hat für Welkes keinen Platz der Baum,

30
Er kann’s nicht länger neben Grünem tragen –

Zu bloßem Spuk, zu bloßem bangen Traum
Wird jenes für den Wald nach wenig Tagen.

Und ist es anders wohl in der Natur,
Als in der Völker, in der Menschheit Leben?

35
Des Neuen spottet oft des Alten Spur,

Das trotzig sucht am alten Ort zu kleben,
Und in den Frühling einer neuen Zeit
Siehst du, gespenstisch fast, das Alte ragen
Und höhnend macht ein Überrest sich breit

40
Aus längst vergangnen, überwundnen Tagen.


[7]
Da gilt es auch, mit froher Sturmesmacht

Hinwegzufegen, was da hemmt das Sprießen,
Mit milder Fluth in lauer Frühlingsnacht
Das junge Laub, das zage, zu begießen;

45
Und kam nach langer winterlicher Noth

Herauf des Jahres heißersehnte Wende,
So sei auch aufgeräumt mit dem, was todt,
Und nicht verzögert sei des Alten Ende!

Die Zeit verlangt ein männlich-kühnes Wort –

50
Ihr frommen nicht die Halben und die Lauen,

Die rechts und links bedenklich immerfort,
Die vor- und rückwärts ängstlich-zaudernd schauen.
In unsre Zelte laden die wir ein,
Die’s mit dem Neuen treu und ehrlich halten;

55
Wir werden Sturm und warmer Regen sein –

Dem Neuen Freund, doch Feind dem Todten, Alten!


Anmerkungen (Wikisource)

Ebenfalls abgedruckt in:

  • "Die Neue Welt" Nr. 20, S. 483 (Titelseite, 1884)
  • Lavant, Rudolf (d. i. Richard Cramer): Gedichte. Hrsg. v. Hans Uhlig. Berlin, Akademie Verlag 1965 (Seite 62).