Der Cottasche Musenalmanach (Die Gartenlaube 1891/50)
[856] Der Cottasche Musenalmanach, der unter so günstigen Sternen wieder belebt wurde und der sich im Fluge die Gunst des Publikums erobert hat, tritt abermals seine Weihnachtswanderung an in verführerisch anmuthigem Kleide und vornehmer Ausstattung. Am Eingange grüßt Paul Heyses gefeierter Name über einer ergreifenden Novelle, „Vroni“. An die Erzählung in Versen „Die Hexenmühle“ von Otto Roquette schließen sich kleinere Stücke lyrischer Epik an. Es ist unmöglich, jedes einzelne aufzuführen, und indem wir Namen wie Lingg, C. F. Meyer, Dahn für sich selber sprechen lassen, erwähnen wir aus dieser Gruppe nur noch ein Bild von schönster Stimmung, „Das öde Haus“ von Max Haushofer, und das von echter Volksweisheit eingegebene „Wettrennen“ von Carl Weitbrecht. Wie erst sollen wir all den andern Abtheilungen gerecht werden! Schack, J. G. Fischer, Paulus, Bodenstedt, Carmen Sylva, Kalbeck, Hecker, Rittershaus, Gottschall, Widmann, Greif, Milow, A. Stern, Silberstein, Fulda und andere sind durch würdige Beiträge vertreten. Hopfen schreibt einen Brief voll tiefer Sehnsucht an die geliebte Frau, Richard Weitbrecht eine köstlich schalkhafte Epistel über „Rembrandt als Erzieher“. Ein glücklich gegriffenes Bildchen von J. Proelß ist „Bin halt vergnügt“, und Jensen weiß einem halbvergessenen Kinderlaut, „Belia“, tiefen Sinn abzugewinnen. Hier ist „Sicilien in Sicht“, ein echter, prächtiger, visionärer Lingg, und dort winkt eine süße, an der Sonne versöhnender Dichtung gereifte Frucht, das „Maienfest“ von Isolde Kurz. Wie eigenartig gemüthvoll die Sonette von Schneegans, wie wahr und warm „Aus der Wandermappe“ von Ebers! Und nicht zu vergessen der Bilderschmuck, worin diese schönheits- und gehaltreiche Jahresausstellung deutscher Dichtung prangt, sechs Kunstbeilagen, vorzügliche Reproduktionen einer mit feinem Geschmack getroffenen Auswahl von Werken hervorragender Maler. So vereint sich eine Fülle des Schönen und Herzerfreuenden in Wort und Bild und giebt die köstliche Gewähr, daß es um den Sinn für die Gaben der Musen noch nicht so schlimm bestellt sein kann in Deutschland, wie grämliche Zeichendeuter behaupten wollen.