Der Componist des „Nachtlagers von Granada“

Textdaten
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Autor: Friedrich von Weech
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Titel: Der Componist des „Nachtlagers von Granada“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 785–788
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Componist des „Nachtlagers von Granada“.
Vorbereitendes zur Feier seines Jubiläums.


Conradin Kreutzer.
Auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.


Am 22. November 1780 – nicht 1782, wie man bisher stets angenommen – kam auf dem Schwarzwalde in der eine halbe Stunde von dem Städtchen Meßkirch entfernten „Thalmühle“ ein kräftiger Junge zur Welt, dem seine schon mit sieben Kindern gesegneten Eltern den Namen Conradin gaben. Conradin Kreutzer, des Müllers Sohn, hat sicher nicht melodischer geschrieen, als andere Kinder seines Alters. Aber noch hatte er die ersten Höschen nicht zerrissen, da bemerkte schon der Meßkircher Schulmeister an seinem Schüler eine kräftige und wohlklingende Stimme, und als dieser sieben Jahre zählte, begann denn auch Herr Johann Baptist Rieger, ein tüchtiger Musiker, den Knaben im Clavier- und Geigenspiel, wie im Gesange zu unterrichten.

Er machte sehr schnelle Fortschritte und setzte Eltern und Landsleute durch die Bravour in Erstaunen, mit der er an seinem achten Geburtstage in der Kirche bei der Messe ein großes Solo sang. Daß er nicht dazu bestimmt sei, auf der Thalmühle sein Leben zu verbringen, das stand jetzt schon fest. Katholische Eltern aus der Landbevölkerung wußten aber damals für einen talentvollen Sohn keine andere Bestimmung, als ihn „geistlich studiren“ zu lassen.

Das Jahr 1789, von dem eine neue Epoche der Weltgeschichte ihren Ausgang nahm, sah Conradin Kreutzer die unterste Stufe des künftigen priesterlichen Berufes betreten: er wurde im Kloster Zwiefalten als Chorknabe aufgenommen. [786] Die Benedictinerabtei Zwiefalten, im stillen Wiesenthale der Ach, nahe bei Riedlingen gelegen, war durch ihre große und prächtige Orgel, an welcher der Müllerssohn von Meßkirch nun die Register ziehen und das wuchtige Pedal treten lernte, weithin berühmt. Hier ward ein Mönch des Klosters sein Lehrer, Ernst Weihrauch, der für den tüchtigsten Contrapunktisten des ganzen Schwabenlandes galt. Dieser ausgezeichnete Mann übte den anregendsten Einfluß auf Kreutzer aus, fand sich aber auch seinerseits hochbeglückt durch die Empfänglichkeit des Jünglings, seine leichte Auffassung, seinen eisernen Fleiß.

Der Drang des jungen Musikers, die Fülle seiner Gedanken und Empfindungen zum Ausdrucke zu bringen, war so lebhaft, daß er schon kurz nach seinem Eintritt in das Kloster eine jener Symphonien zu componiren versuchte, wie sie damals während der Messe in der Kirche aufgeführt wurden. Da er aber eben erst die Anfangsgründe der Harmonielehre in sich aufgenommen und von dem Aussehen einer Partitur keinen Begriff hatte, so schrieb er die Hauptstimme auf ein Blatt und führte nach dieser jede der anderen Stimmen für sich auf einzelne Papierblättchen aus. So hatte er eines Tages den Boden seines Zimmers mit diesen Blättern bedeckt, als sein Lehrer unerwartet bei ihm eintrat. Die Naivetät seines Zöglings rührte den alten Mönch auf’s Tiefste, und von Stund an gab er ihm Unterricht im Partitursetzen.

Im Jahre 1796 starb aber leider der vortreffliche Weihrauch, und bald darauf verließ Kreutzer das Kloster Zwiefalten, um die Vorbereitungsstudien an das geistliche Amt in dem Prämonstratenserkloster Schussenried fortzusetzen, wo sich eine höhere Lehranstalt befand. Auch hier verfolgte Kreutzer seine musikalischen Studien und Uebungen eifrig weiter. Er componirte seine ersten Lieder und verschiedene mehrstimmige Sachen für Blasinstrumente; in der Kirche fungirte er als Organist; in der Schule wurden ihm schon vierzig Knaben zum musikalischen Unterricht anvertraut. Zu Violine, Clavier und Orgel lernte er jetzt noch Clarinette und Oboe, um so eifriger, als in seiner Seele bereits der Entschluß fest stand, sich ausschließlich der Musik zu widmen. Davon wollten seine Eltern natürlich nichts hören; diesen wackern Leuten galt ein Musikus für nicht viel besser als ein Taugenichts. Wollte der Sohn durchaus nicht Theologe werden, konnte er ja die Rechte studiren; und so bezog er denn zu diesem Zwecke im Jahre 1799 die Universität Freiburg.

Der Tod seines Vaters machte der Zwangslage Kreutzer’s ein Ende, und er wählte die Musik als Lebensberuf. In dasselbe Jahr 1800, in dem der Jüngling seinen Vater begrub, fällt die Composition seiner ersten Operette „Die lächerliche Werbung“. Dilettanten führten sie auf; Freunde zollten ihr reichen Beifall, er selbst aber mochte wohl am besten fühlen, wie viel ihm noch zur Meisterschaft fehlte; denn eine mächtige, von hohen Idealen getragene Begeisterung schwellte sein Herz, und mit unermüdlicher Anstrengung arbeitete er an seiner Ausbildung, zunächst in Constanz und den Schweizerstädten Zürich und Lenzburg, Bern und Basel, wo er mit einem wenig geübten Sängerchor schon damals Haydn’s „Schöpfung“ einstudirt und zur Aufführung gebracht haben soll.

Aus den engen Verhältnissen dieser Städte und Städtchen zog es indeß Kreutzer heraus nach der Stadt, die damals in noch höherem Grade als heute für die hohe Schule der Tonkunst galt, nach Wien. Dorthin sehen wir ihn im Juli 1804 seinen Weg nehmen, reich an Entwürfen und Hoffnungen und rastlosem Drang nach Meisterschaft, arm aber an Gütern dieser Erde. Neunzig Gulden betrug die ganze Baarschaft, mit der er auszog, das Glück zu suchen. Als er in Nußdorf bei Wien ankam, hatte die Reise seinen ganzen Mammon bis auf ein paar Gulden verzehrt, gerade genug, wie er glaubte, um einen Wagen zu miethen und sich vor die Thür eines Vetters bringen zu lassen, der zugleich sein vertrautester Jugendfreund war und schon seit geraumer Zeit in Wien wohnte. Aber welcher Schrecken! An dem von ihm bezeichneten Hause angelangt, muß er vernehmen, der Vetter sei umgezogen, und Niemand konnte ihm sagen, wo derselbe seither Wohnung genommen habe. Der Miethwagen fuhr wieder nach Nußdorf zurück, Kreutzer aber irrte in den Straßen der großen Stadt umher mit dem ganzen Mißbehagen, das den Neuling aus der Provinz so unheimlich ergreift, wenn er sich plötzlich in den brausenden Wogen großstädtischen Lebens und Treibens allein und verlassen sieht.

Obdachlos, wie er war, nahm er den Weg nach dem Opernhause, wo Salieri’s „Axur“ gegeben wurde; es war das erste Mal, daß er einer Opern-Aufführung beiwohnte. „Axur“ verfehlte denn auch nicht, einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen; und siehe da – beim Ausgang aus dem Theater, mitten im dichtesten Gedränge erblickte er plötzlich seinen Vetter, den sehnlich gesuchten, neben sich und war damit zunächst der Sorge um das Nachtquartier und seine weitere Existenz überhoben. Der Vetter war über das unerwartete Wiedersehen nicht minder erfreut und theilte fortan seine Wohnung mit ihm.

Nun begann für Kreutzer eine Zeit angestrengter Studien. Bald nach seiner Ankunft in Wien wurde er mit hervorragenden Musikern und Dirigenten wie Schuppanzigh und Albrechtsberger bekannt. Unter der Leitung des Letzteren namentlich bildete er sich weiter, trat auch öffentlich mit eigenen Compositionen als Clavier- und Clarinettenspieler auf und fand Zutritt in die Kreise vornehmer Musikverehrer, unter Anderem in das Haus des Fürsten Esterhazy. Dort wurde der alte Haydn auf ihn aufmerksam und fand so viel Gefallen an dem bescheidenen jungen Künstler, daß er drei von dessen Claviersonaten einer Durchsicht unterzog. Auch Beethoven soll ihm freundlich gesinnt gewesen sein und ihn seines Rathes gewürdigt haben.

Nachdem unter solchen Anregungen eine ganze Reihe kleinerer Arbeiten, Messen, Quartette, Clavierstücke, entstanden war, faßte Kreutzer den Muth, sich an eine Oper zu wagen. Der Text, den er wählte, war das von Goethe für Kaiser gedichtete Singspiel „Jerry und Bäthely“. Die Wiener aber fanden den Text langweilig, und die Musik erinnerte sie allzu sehr an das Genre Dittersdorf’s, der ein Menschenalter früher hochgefeiert war und nun auch schon zu den vergessenen Größen zählte. Auch mit einer zweiten Oper, „Conradin von Schwaben“, mißglückte es ihm, da die Censur den politischen Stoff nicht durchließ. Eine dritte, nach Schiller’s „Taucher“ bearbeitet und betitelt, war 1809 vom Theater an der Wien schon angenommen, und der Tag der ersten Aufführung bestimmt, als die Franzosen in Wien einrückten und selbst den lebenslustigen Wienern auf eine Zeitlang die Freude an der Musik verdarben. Ja, Kreutzer mußte sogar das Mißgeschick erleben, daß in der allgemeinen Bestürzung über den Einmarsch der Feinde die Originalpartitur mit allen ausgeschriebenen Stimmen verloren ging. Den Schlachten von Aspern und Wagram folgte zwar bald der Friede, aber der Krieg hatte Oesterreich so tief gebeugt, namentlich auch die Finanzen so zerrüttet, daß Kreutzer nicht wohl hoffen konnte, in Wien eine seinen Wünschen entsprechende feste Stellung zu finden.

Unter diesen Umständen entschloß er sich, auf das Anerbieten eines Freundes, des Mechanikers Leppich aus Würzburg, einzugehen, welcher ein neues musikalisches Instrument, das er Panmelodikon nannte, erfunden hatte und nun Kreutzer überredete, mit ihm zu reisen um dieses Instrument bekannt zu machen. Das Panmelodikon hatte eine ähnliche Construction wie die später von Häckel in Wien erfundene Physharmonika; es erzeugte den Ton durch Vibration von Metallstäben. Kreutzer spielte das Instrument mit großer Bravour, und da er außerdem auch noch als Clavierspieler und Liedersänger Hervorragendes leistete, so konnte der Kunstreise ein namhafter Erfolg nicht fehlen. Für den Künstler kam noch der Vortheil hinzu, daß er auf solche Weise in Jahresfrist mit seinem Genossen Deutschland, die Schweiz, Frankreich und die Niederlande durchstreifte. In Stuttgart, wo er im königlichen Schlosse vor dem dicken König Friedrich spielte, machte er einen so günstigen Eindruck auf diesen, daß er ihn dauernd für seine Residenz engagirte. Nach der Aufführung der von Kreutzer in Stuttgart componirten Oper „Feodor“ ernannte ihn der König im Sommer 1812 zum Hofcapellmeister. So schien ihm nun eine gesicherte Laufbahn eröffnet, die ihm auch gestattete, sich einen eigenen Herd zu gründen. Während seines Aufenthaltes in Zürich hatte er in dem nahen Dorfe Glattfelden ein hübsches Mädchen, Anna Huber, kennen gelernt und ihre Neigung gewonnen. Am 18. October 1812 wurde er in Glattfelden mit ihr verbunden.

Zwei Oratorien, vier Opern und eine stattliche Reihe von Clavierstücken entstanden in Stuttgart und hatten sich der günstigsten Aufnahme zu erfreuen. Aber das stille Glück, das ihm hier blühte, sollte nicht von Dauer sein. Im Jahre 1816 starb König Friedrich, und bei seinem Sohn und Nachfolger, König Wilhelm, war es keine Empfehlung, ein Günstling des Verstorbenen gewesen zu sein. [787] Wie mancher Andere, den König Friedrich erhoben, ward auch Kreutzer gestürzt. Er erhielt seine Entlassung und mußte sein unstätes Wanderleben von Neuem beginnen. Zum Glück war er jetzt kein Unbekannter mehr; ein wohlbegründeter Ruf ging ihm voraus, und seine Concerte wurden eifrig besucht. Aber dem Vater dreier Kinder war doch eine feste Heimath nothwendig.

Als eine Gunst des Schicksals begrüßte er es daher, als er in Augsburg im September 1817 ein Schreiben des Fürsten zu Fürstenberg erhielt, welcher ihn einlud, in seine Dienste zu treten und die Leitung seiner Hofcapelle zu übernehmen.

Der Fürst Karl Egon zu Fürstenberg hatte, eben erst volljährig geworden, im Jahre 1817 die selbstständige Herrschaft über seine großen Besitzungen übernommen. Hochbegabt, voll des lebhaftesten Interesses für Kunst und Wissenschaft, schuf er in seiner kleinen Residenzstadt Donaueschingen ein so reges geistiges Leben, daß manche große Residenz damit nicht wetteifern konnte. Kreutzer’s äußere Stellung in Donaueschingen war für die Verhältnisse jener Zeit eine nahezu glänzende, und da ihm überdies ein jährlicher Urlaub von zwei bis drei Monaten bewilligt war, konnte er auch seine Concertreisen gelegentlich wieder aufnehmen. Neben der Leitung der Kirchemusik und des kleinen, aber gut besetzten Orchesters im fürstlichen Schlosse lag ihm die musikalische Direction des Hoftheaters ob, in welchem neben anderen Dilettanten auch die Mitglieder der fürstlichen Familie selbst auftraten. Hier wurden Operetten und Singspiele zur Aufführung gebracht, und für besonders festliche Gelegenheiten mußte der Capellmeister wohl auch angemessene neue Werke schaffen.

Außer den drei Opern „Die Alpenhütte“ (Text von Kotzebue), „Die zwei Worte“ oder „Die Nacht im Walde“ und „Aesop in Lydien“ componirte Kreutzer in Donaueschingen noch vier Ouverturen, ein großes Sextett, eine achtstimmige Harmoniemusik, ein Te Deum und eine Cantate zum Geburtstage des Fürsten. Derartige Leistungen wurden besonders honorirt, freilich nicht gerade fürstlich: die kleineren Opern mit fünfzig, „Aesop“ mit hundert Gulden, alle übrigen Compositionen zusammen mit hundertfünfzig Gulden. Diese Geldfragen haben indeß keinen wesentlichen Einfluß auf den von Kreutzer im Jahre 1822 gefaßten Entschluß geübt, den Dienst des Fürsten zu verlassen. Er sah ein, daß die kleinen Verhältnisse in Donaueschingen sein reiches Talent nicht zur Geltung bringen konnten. Die Liebenswürdigkeit der fürstlichen Familie, in deren engstem Kreise er verkehrte, war kein Ersatz für den Jubel des Beifalls, an den sein Ohr sich während seiner Kunstreisen gewöhnt, und gerade die Wiederholung solcher Reisen während der Urlaubszeit machte ihm nachher im stillen Donaueschingen den Contrast doppelt fühlbar. Bald sah er sich veranlaßt, zu dem ihm zugesicherten Urlaub noch weitere Erlaubniß zu längerer Abwesenheit zu erbitten. So unter Anderem im August 1821, als er von der Hoftheater-Intendanz in München die Einladung erhielt, den Proben und Aufführungen seiner Oper „Aesop“ beizuwohnen und ein paar Concerte in dem großen Opernhause zu geben.

„Ich erbitte den Urlaub,“ schrieb er an den Fürsten, „zur Begründung meines Namens als Compositeur; auch ist es wirklich damit hohe Zeit, da ich schon das vierzigste Jahr zurückgelegt habe.“ Diesen Gedanken führte er in einem zweiten Schreiben an den Fürsten noch weiter aus: „Euer Durchlaucht müssen nicht glauben, daß mich blindlings Lust nach Ruhm, Ehre und Geld in die große Welt hinauslockt; das nimmt der Mensch freilich auch gern mit. Nein, sondern die Ueberzeugung, daß der Künstler, auf welcher Seite er auch sein mag, von Zeit zu Zeit große Orchestercompositionen hören muß.“

Während eines längeren Urlaubs, den er unter großen Anregungen in Wien verlebte, zeigte sich ihm die Unmöglichkeit, jemals wieder in die kleinstädtische Enge zurückzukehren. Im März 1822 bat er von dort aus den Fürsten um seine Entlassung, die ihm auch bewilligt wurde. Wenzel Kalliwoda ward sein Nachfolger.

Während des Sommers 1822 componirte Kreutzer in Wien die Oper „Libussa“, die am 4. December im Kärnthnerthor-Theater mit außerordentlichem Beifalle aufgeführt wurde. Zu den Erfolgen gehörte auch seine Ernennung zum Capellmeister an demselben Theater, dessen Leitung damals in den Händen des Italieners Barbaja lag. Seine feste Besoldung betrug 3000 Gulden österreichische Währung und 1000 Gulden garantirtes Benefiz von einer jedes Jahr zu componirenden großen Oper. In dieser Stellung blieb Kreutzer bis zum Jahre 1833 und war als Dirigent wie als Componist überaus thätig. Sein Talent hatte vorwiegend auf dem Gebiete der lyrischen Oper und des Liedes große Anerkennung gewonnen. Häufig veranstaltete er Concerte oder, wie man damals in Wien sagte, „Akademien“, bei denen er viele seiner Compositionen zur Aufführung brachte, seine Clavierconcerte meist selbst mit unbestrittener Meisterschaft vortragend. Als Barbaja im Jahre 1827 starb und in Folge dessen das Kärnthnerthor-Theater eine Zeit lang geschlossen wurde, ging Kreutzer nach Paris, wo aber seine dort aufgeführte neue Oper „L’eau de la jouvence“ wenig Beifall fand. Gern kehrte er deshalb wieder in seine Stellung am Kärnthnerthor-Theater zurück, als Graf Gallenberg 1828 dessen Leitung übernahm. Im Jahre 1833 trat er als Capellmeister zum Josephstädter Theater über.

Während der Jahre, in denen er in dieser Stellung wirkte, gelangen ihm die beiden glücklichsten unter seinen Opernschöpfungen: „Melusine“, nach einem von Grillparzer (ursprünglich für Beethoven) gedichteten Text, und sein bekanntestes und populärstes Werk „Das Nachtlager von Granada“. Für dieselbe Bühne schrieb er die Musik zu Raymund’s „Verschwender“, von der Riehl sagt, daß in ihr Kreutzer’s Genius am liebenswürdigsten erscheine und der schlichte Liedesklang die größten Wunder wirke. Außerdem schrieb er noch eine Anzahl von seither völlig verschollenen Opern, die alle in Wien aufgeführt wurden.

Riehl berichtet, daß Kreutzer in geweihten Stunden mit fabelhafter Geschwindigkeit gearbeitet und gerade seine schönsten, von wärmerem Dichterhauch beseelten Lieder so flüchtig hingeworfen habe, wie sonst nur der handwerksmäßige Kunstbetrieb schafft, während man anderen seiner Arbeiten es anmerke, wie mühselig er sich abgeplagt, ohne doch Neues und Frisches erfinden zu können.

An persönlichem Unglück hat es ihm in Wien nicht gefehlt. Im Jahre 1824 verlor er seine erste Frau, die Geliebte seiner Jugend, durch den Tod, ein Verlust, den er sehr schmerzlich empfand; 1825 schloß er mit Fräulein Anna von Ostheim eine zweite Ehe. Die zwei Töchter, welche aus diesen beiden Ehen hervorgegangen waren, bildeten sich unter seiner Leitung zu Sängerinnen aus. Im Ganzen war seine Stellung in Wien nicht unbefriedigend und es läßt sich daher nicht ermessen, welche Umstände ihn bewogen, 1839, als beinahe Sechszigjähriger, wiederum den Wanderstab zu ergreifen. Zunächst begleitete er seine älteste Tochter Cäcilie auf einer Kunstreise, im Herbst 1839 aber übernahm er die Stelle eines ersten Capellmeisters am Stadttheater zu Köln, wo seine Tochter ein Engagement als jugendliche Sängerin gefunden hatte. Seine hervorragenden Fähigkeiten als Dirigent kamen auch hier der Oper sehr zu statten und sollten bald für das gesammte musikalische Leben in Köln bedeutsam werden. Als er an Pfingsten 1841 das große rheinische Musikfest zu Köln leitete, feierte seine Popularität einen schönen und ihn hochbeglückenden Triumph. Bald darauf aber veranlaßten ihn hämische Intriguen, die man gegen ihn spann, die Capellmeisterstelle niederzulegen.

Aber noch immer war seine Seele von mächtigem Ehrgeiz erfüllt. Er meinte, es müsse ihm gelingen, wiederum mit einer Oper so glänzende Erfolge zu erziele, wie mit dem „Nachtlager“. Unausgesetzt war sein Streben dahin gerichtet, einen wirksamen Text zu finden, ja er wollte, was ihm Deutschland nicht bot, durch die Kunst eines französischen Dichters erreichen. Mit Scribe in Paris trat er in Unterhandlungen und reiste aus diesem Grunde mehrmals selbst nach der französischen Hauptstadt, wo er auch, wenn gleich vergebens, den Versuch machte, seine Opern zur Aufführung zu bringen. Das Publicum, welches Meyerbeer und Halévy zujauchzte, blieb unempfänglich für die einfachen lyrischen Weisen des deutschen Romantikers. Dieses unruhige und aufregende Streben aber ward dem alternden Meister nachgerade verhängnißvoll. Die viele Reisen zehrten seine Ersparnisse auf; die fortwährend neu gehegten und immer wieder getäuschten Hoffnungen untergruben seine Gesundheit. Glücklicher Weise verheirathete sich seine älteste Tochter mit einem wohlhabenden Manne, einem Fabrikanten aus Eilenburg, während jetzt die jüngere, Marie, in ihrer musikalischen Ausbildung so weit fortgeschritten war, daß sie mit Erfolg öffentlich auftreten konnte.

Noch einmal schien ihm das Glück lächeln zu wollen; als im Jahre 1846 Otto Nicolai, der Componist der „Lustigen Weiber von Windsor“, als Capellmeister nach Berlin ging, erinnere man sich in Wien, was einst Kreutzer dem Hofoperntheater [788] gewesen war, und berief ihn von Neuem in die ehemals innegehabte Stellung. Die Unterhandlungen aber zerschlugen sich, und wir wissen nur, daß er sich darauf im Herbste 1846 einige Zeit in Graz aufhielt. Dort erreichte ihn eine ehrenvolle Einladung der Directoren des Hamburger Stadttheaters, Mühling und Cornet, seine neueste zur Aufführung angenommene Oper „Die Hochländerin“ selbst einzustudiren und zu dirigiren.

Am 9. October 1846 reiste er von Graz ab; am 14. Vormittags traf er in Hamburg mit hochgespannten Hoffnungen ein.

Diese sollten nicht getäuscht werden. Am 16. November wurde die Oper, deren Scenerie auf den Wunsch der Direction in den Kaukasus verlegt worden war, „sowohl des höheren Interesses wie der brillanteren, ungewöhnlicheren Costüme wegen“, zum ersten Male mit außerordentlichem Beifall aufgeführt, der auch die Wiederholungen begleitete; am 23. feierten Künstler und Kunstfreunde den Geburtstag des Meisters durch ein solennes Festesten.

Es war die letzte glänzende Ovation, die dem Greise dargebracht wurde. Denn wie alles in der Welt, gingen auch diese schönen Tage von Hamburg zu Ende, und das Vaterland bot dem müden Alten keine Stätte, wo er in ehrenvoller Muße dauernd die Ruhe finden konnte, deren er jetzt so sehr bedurfte. Keine deutsche Bühne engagirte, des berühmten Vaters willen, die Tochter, an der sein Herz hing, deren musikalische Ausbildung jetzt der Hauptzweck seines Lebensabends war. Er mußte, achtundsechszig Jahre alt, im September 1848 nach den russischen Ostseeprovinzen übersiedeln, da seine Tochter ein Engagement als erste Sängerin am Theater zu Riga gefunden hatte. Nicht als Capellmeister, wie die meisten seiner Biographen behaupten, sondern nur als Begleiter seiner Tochter hat er dort verweilt. Da sah man den alten Herrn des Abends im Parterre des Theaters sitzen und aufmerksam den Opernvorstellungen folgen. In seinen Erinnerungen lebten freilich andere Gestalten, als er sie jetzt über die immerhin kleine Provinzialbühne schreiten sah.

Sein Schaffenstrieb war noch nicht erloschen. In Riga hat er die „Hochländerin“ völlig umgearbeitet, den zweiten und dritten Act der ersten Bearbeitung verschmolzen und einen neuen dritten Act componirt. Er mochte wohl selbst fühlen, daß dies seine letzte Arbeit sei, denn als er die neue Composition den Seinigen vortrug, brach er in einem plötzlichen Anfalle von Gefühlsweichheit, wie sie ihm sonst nicht eigen war, bei der Stelle: „Nun laßt mich sterben! Nun ist Alles gut,“ in Thränen aus.

Das Jahr 1849, so reich an stürmischen Erschütterungen für sein Vaterland und insbesondere seine Heimath, setzte seinem Dasein ein friedliches Ziel. Ohne daß er eigentlich krank war, nahmen seine Kräfte ab, am 14. December 1849 erlag er rasch und schmerzlos einem Schlagfluß. Auf dem katholischen Kirchhofe der Moskauer Vorstadt in Riga wurde Kreutzer bestattet; sein Grab liegt nicht innerhalb der Grenzen Deutschlands, doch wird es gehütet von der treuen Gesinnung eines edeln deutschen Volksstammes. Und wie das Lied von dem, „der den Tod im heil’gen Kampfe fand,“ singt, so darf man auch von Kreutzer sagen: er „ruht auch in fremder Erde im Vaterland“.

Dem Todten ward allgemeiner und unbestrittener, als jemals dem Lebenden, der Zoll hohen Ruhmes zu Theil. Zwar seine Opern sind vergessen, mit einziger Ausnahme des „Nachtlagers von Granada“, aber in seinen Liedern lebt Kreutzer fort, als wenn nicht Menschenalter verflossen wären, seit sie dem frischen Born seines Genius entquollen. Das macht, er hat sie geschöpft aus dem nie versiechenden Jungbrunnen echt deutschen Volksthums. Als er zuerst im Jahre 1817 den Frühlingsliedern seines schwäbischen Landsmannes Uhland Melodien unterlegte, feierte er mit diesen einen Triumphzug durch ganz Deutschland, und seine schlichten, tiefempfundenen, mächtig ergreifenden Männerchöre erklingen heute noch so frisch und froh, so fromm und gefühlswarm, wie vor fünfzig Jahren.

Wie viele Hunderte und aber Hunderte von Festen hat sein „Tag des Herrn“ stimmungsvoll eingeleitet, wie viele Tausende von Herzen haben in patriotischer Begeisterung geschlagen, wenn der Chor ertönte: „Dir möchte’ ich diese Lieder weihen“, welch unzähliger Menge jugendfrischer Gesellen hat Kreutzers „Frühlingsandacht“ oder „Die Capelle“ mit einem Hauch der Poesie ihre fröhlichen Landpartien verklärt!

So ist es denn gewiß ein schöner und wohl berechtigter Gedanke, daß die Sängerschaft des Landes, dem Kreutzer zunächst durch seine Geburt angehört, daß der Badische Sängerbund beabsichtigt, der allgemeinen Anerkennung, Verehrung und Dankbarkeit für den vaterländischen Tondichter Conradin Kreutzer, insbesondere für seine unvergänglichen Verdienste um den deutschen Männergesang durch Errichtung eines Denkmals in seiner Geburtsstadt Meßkirch einen dauernden Ausdruck zu geben. Die Stadtgemeinde Meßkirch hat zu diesem Zwecke den erheblichen Beitrag von tausend Mark gezeichnet, und von vielen Seiten ist dem Sängerbunde nachhaltige Mitwirkung zu dem beabsichtigten Werke in Aussicht gestellt. Es wäre erfreulich, wenn alle Männergesangvereine Deutschlands, der Aufforderung des Badischen Sängerbundes folgend, zu Gunsten des Kreutzer-Denkmals Gesangsaufführungen und Concerte mit Benutzung Kreutzer’scher Tonschöpfungen veranstalten wollten. [1]

Möchte auch dieser Versuch, Kreutzer’s Leben und Wirken zu schildern, dem lobenswerthen Unternehmen förderlich sein!

Friedrich von Weech.
  1. Um den Plan eines Kreutzer-Denkmals auch unserseits rechtzeitig zu befürworten und so die Realisirung desselben zu des Tondichters hundertstem Geburtstage fördern zu helfen, haben wir den obigen Artikel nicht, wie anfangs geplant wurde, zu Kreutzer’s hundertstem, sondern schon zu seinem neunundneunzigsten Geburtstage zum Abdruck gebracht. Der Hauptausschuß des Badischen Sängerbundes bittet, die für das Kreutzer-Denkmal in Meßkirch bestimmten etwaigen Beiträge an seinen Bundespräsidenten, Herrn G. Hammetter in Müllheim (Baden), einzusenden.
    D. Red.