Der „deutsche Kämpfer“ von Pernambuco

Textdaten
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Autor: Alfred Waeldler
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Titel: Der „deutsche Kämpfer“ von Pernambuco
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 700–703
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der „deutsche Kämpfer“ von Pernambuco.
Von Alfred Waeldler.


Brasilien ist das Land der immergrünen Urwälder und hoch ragenden Palmen; es ist das Land der Affen, der Papageien und der niedlichen Colibris und wird durchströmt von dem wundervollen, sagenhaften Amazonenstrom, dem Riesen unter den Flüssen der Erde – ein paradiesisches Land, und doch giebt es dort ein Gebiet von der entsetzlichsten Oede: das brasilianische Geistesleben. Dasselbe könnte für uns kaum Interesse haben, wenn dort nicht in jüngster Zeit die Gestalt eines Predigers in der Wüste aufgetaucht wäre, dessen Erscheinen jeden Deutschen sympathisch berühren muß und der es wohl verdient, von uns beachtet und ermuthigt zu werden; ich meine Tobias Barreto de Meneses, den wackern Fürsprecher für deutsches Geistesleben in Pernambuco.

Frankreichs Literatur war von jeher das Evangelium der Brasilianer und ist es noch heute. Die brasilianischen Universitäten wurden nach französischen Mustern eingerichtet, und nach den Lehren französischer Professoren wird die Jugend Brasiliens auch heute noch unterrichtet. Deutschland ist den Brasilianern nur ein geographischer Begriff, und weder unsere Dichterfürsten, noch unsere gediegenen Fachgelehrten auf den verschiedenen Gebieten menschlichen Wissens sind ihnen bekannt. Ihre mechanische Nachahmung französischen Wesens hat sie daran gehindert, einen Anlauf zu selbstständiger geistiger Entwickelung zu nehmen, und Alles, was ihre Literatur producirt, trägt den Stempel der Oberflächlichkeit, der Gedankenarmuth, des Nachbetens.

Daß sich unter der unumschränkten Preßfreiheit Brasiliens die Journalistik außerordentlich entwickelt hat, liefert noch keinen [701] Beweis für die geistige Rührigkeit der Nation, denn es ist, im Grunde genommen, eine nationale Schwäche, welche diese Tagesliteratur in’s Leben ruft und unterhält, nämlich die Neigung zu politischem Gezänk, zu Klatsch, Phrasenmacherei und Selbstberäucherung. Würde es der brasilianischen Presse verwehrt sein, dieser nationalen Schwäche zu fröhnen, so würde kein Mensch mehr die Zeitung lesen. Die numerische Fruchtbarkeit der Tagesliteratur im Gegensatze zu dem unglaublichen Mangel an wissenschaftlich-literarischen Erzeugnissen liefert hierfür den besten Beweis.

Auf dem Gebiete der Geschichte, der Geographie und der Statistik ihres Landes waren es nicht die Brasilianer, welche Hervorragendes leisteten, sondern Deutsche oder wenigstens Abkömmlinge von Deutschen. Die in der Landessprache geschriebene „Allgemeine Geschichte Brasiliens“, ein sehr brauchbares, wahrhaft wissenschaftliches Werk, das seltsamer Weise in Lissabon gedruckt worden ist, wurde von Franz Adolf von Varnhagen, dem Sohne eines in Brasilien eingewanderten deutschen Edelmannes, geschrieben; mit dem berühmten Handbuche der Geographie und Statistik Brasiliens von Professor Wappaeus in Göttingen kann kein brasilianisches Werk auf diesem Gebiete rivalisiren, und so hat man denn dasselbe in das Portugiesische übersetzt; ja selbst die Geschichte des angeblich glorreichen Krieges, welchen Brasilien und Argentinien gegen Paraguay geführt haben und zu dessen unsterblichem Andenken in den größeren Städten des Landes prunkvolle Siegessäulen errichtet wurden, fand unter den Brasilianern zunächst keinen Darsteller – sondern das Werk des kürzlich in Potsdam verstorbenen Hofrathes Schneider über den Krieg in Paraguay mußte übersetzt und damit dem Mangel abgeholfen werden.

Tobias Barreto de Meneses.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Philosophen haben die Brasilianer nicht aufzuweisen; eine oberflächliche Kenntniß der Systeme französischer Philosophie und ein geistloses Nachbeten derselben ist Alles, was man auf diesem Felde von den Brasilianern erwarten kann. Eine wahre Antipathie scheinen sie gegen Alles zu haben, was Naturwissenschaft heißt, und die Kenntniß der reichen Fauna und Flora ihres Landes verdanken wir ausschließlich europäischen Gelehrten. So hat sich bis jetzt keine Wissenschaft selbstständig in Brasilien entwickelt, am allerwenigsten eine Kritik, die ihr schneidiges Schwert über die jammervollen Gebilde der dortigen Literatur zu schwingen wüßte.

Um nicht ungerecht zu sein, müssen wir aber hervorheben, daß die Brasilianer für die Lyrik ein ausgesprochenes Talent besitzen. In Brasilien ist mindestens jeder dritte Mensch, wenn auch gerade kein Dichter, so doch ein Dichterling, und die Erzeugnisse der brasilianischen Lyrik, so sentimental und in ihrem Ideenkreise beschränkt sie uns auch erscheinen mögen, enthalten doch Perlen wahrer Dichtkunst. Anders mit dem Drama und dem Roman. Diese werden ganz vernachlässigt, und die brasilianischen Theater nähren sich von den Brosamen, die ihnen in schlechten Uebersetzungen französischer Romane und Spectakelstücke zugeworfen werden. Für Musik haben die Brasilianer einiges Talent, aber nur ein musikalisches Genie dürfen sie das ihre nennen, nämlich den kleinen Dengremont, welcher jetzt die Musikfreunde deutscher Großstädte mit seinen Leistungen entzückt, und dieser ist eigentlich auch nur ein halber Brasilianer, da er, obwohl in Brasilien geboren, von französischen Eltern abstammt; Gomes mit seiner gar nicht einmal originellen Oper „O Guarany“ kann unmöglich ein Genie genannt werden, obgleich ihm die Brasilianer selbst den hochtönenden Namen „der brasilianische Mozart“ beigelegt haben; in der Malerei hat sich bisher nur Americo mit seinem Bilde „die Schlacht von Riachuelo“ hervorgethan; brasilianische Bildhauer giebt es meines Wissens nicht, und architektonischer Geschmack geht der ganzen Nation vollständig ab.

In dieser geistesarmen Welt ist die deutsche Colonie in Brasilien wie eine Oase in der Wüste zu betrachten. Die 130,000 Deutschen, die in den südlichen Provinzen Rio Grande do Sul, St. Catharina und Paraná leben und ebenso jene, welche sich in den Provinzen Rio de Janeiro und Sao Paulo – allerdings in weit geringerer Anzahl – niedergelassen haben und durchschnittlich pecuniär sehr wohl situirt sind, führen ein frisches geistiges Leben. Die Thatsache, daß sie nicht allein sechs deutsche Zeitungen, sondern auch Volkskalender, gute Lesebücher und Fibeln, landwirthschaftliche Werke u. dergl. in ihren Druckereien erscheinen lassen und einen bedeutenden buchhändlerischen Verkehr mit ihrem Stammlande unterhalten, zeugt genügend dafür. Es konnte dies nicht ohne Einfluß auf die mit ihnen verkehrenden Brasilianer bleiben, besonders da viele gebildete und talentvolle Deutsche sich dem Lehrerberufe an brasilianischen Schulen widmeten und ihren Zöglingen die Schätze deutscher Literatur erschlossen. Der seit Jahren an den höheren Schulen von Rio Grande eingeführte obligatorische Unterricht im Deutschen, an den im übrigen Brasilien, zumal in Rio de Janeiro, gar nicht zu denken ist, kann als gezeitigte Frucht der Arbeit jener wackeren Pioniere deutscher Cultur betrachtet werden. Auf Rechnung eben dieser Arbeit ist auch das Merkwürdige zu setzen, daß ein Vollblutbrasilianer, Bernardo Taveiras in Pelotas, vor etwa fünf Jahren einen Band wahrhaft classischer Uebersetzungen der herrlichsten Balladen von Goethe, Schiller und Uhland sowie der Heine’schen Lieder herausgab.

Finden wir für diese erfreuliche Erscheinung eine hinlängliche Erklärung in den Verhältnissen von Rio Grande, so standen wir wie vor einem Räthsel, als im Jahre 1875 in Pernambuco, wo verhältnißmäßig sehr wenige Deutsche leben, ein Buch erschien, das den Titel „Ensaios e estudos de philosophia e critica“ führte und von einem bis dahin völlig unbekannten Autor, der sich Tobias Barreto de Meneses nannte, verfaßt war.

[702] Wir nahmen das Buch schon um des Titels willen mit großer Spannung zur Hand, und unser Erstaunen wuchs, je mehr wir darin lasen. Der Verfasser trat uns als ein Mann von ungewöhnlicher Belesenheit, zugleich von scharfem und klarem Urtheil und als ein Meister eleganter Diction entgegen; was uns aber am meisten überraschte, war, daß dieser Mann in einer rein brasilianischen Umgebung, fernab von den deutschen Colonien, sich solche eminente Kenntniß der deutschen Literatur erworben und nun im Gegensatz zu der in Brasilien üblichen Ueberschätzung französischer Geisteswerke mit einer an Schwärmerei grenzenden Vorliebe für Deutschland eintrat.

Hier eine Probe von der Sprache, welche er der brasilianischen Eitelkeit gegenüber führt:

„Es ist bemerkenswerth,“ sagt er, „daß unser Franzosenthum sich durchaus nicht auf die Bewunderung der wirklich bedeutenden Männer stützt, die Frankreich besitzt. Schriftsteller und Denker niederer Gattung beherrschen uns heute, wie sie uns vor zehn oder zwanzig Jahren beherrschten. Einige Literaten, die nie Auguste Comte gelesen haben und die Daten seiner Geburt und seines Todes ignoriren, die Littré nicht kennen, die selbst unfähig sind, die Entwickelungsgeschichte eines Guizot zu erzählen – wissen, wer Feuillet ist, wer Sardou, wer Dumas Sohn, wer Feydeau ist. Die Werke dieser werden von den Eintagsfliegen unserer Intelligenz verschlungen, und ihr süßer Honig träufelt ihnen von den Lippen.“

Eine solche Sprache war unerhört in Brasilien und nichts natürlicher, als daß die brasilianischen Heißsporne ihrer Entrüstung gegen den kühnen Pernambucaner Luft machten, wobei freilich von einer sachlichen Polemik keine Rede war, sondern Alles auf persönliche Beleidigungen des Verfassers und des von ihm vertretenen Deutschthums hinauslief. Da dem wackeren Meneses in der isolirten Stellung, welche er einer ganzen Nation gegenüber einnahm, die Tagespresse der Hauptstadt, wo bekanntlich der brasilianische Chauvinismus seinen Herd hat, verschlossen war, so verfiel er auf ein eigenthümliches Mittel, um seinen Ideen Geltung zu verschaffen; er gründete nämlich unter dem Namen „Deutscher Kämpfer“ eine in Pernambuco erscheinende, in einer brasilianischen Druckerei mit lateinischen Lettern gedruckte deutsche Zeitung.

War die Thatsache, daß ein Brasilianer in Brasilien eine deutsche Zeitung herausgab, an und für sich schon geeignet, das Befremden der Brasilianer und das Interesse der Deutschen zu erwecken, so war dies in erhöhtem Grade der Fall bei der Wahrnehmung, daß der „Deutsche Kämpfer“ die bitteren Wahrheiten, die er dem brasilianischen Volke zu sagen hatte, in grammatikalisch meist correctem und schönstilisirtem, wenn auch etwas eigenartigem Deutsch ausdrückte.

Freilich hatte der „Deutsche Kämpfer“ wegen mangelnder Abonnenten keine Lebensfähigkeit und ging schon nach dem Erscheinen der fünften Nummer wieder ein, aber Meneses wollte das einmal begonnene Werk nicht wieder aufgeben, und in einer deutsch geschriebenen Broschüre: „Brasilien, wie es ist in literarischer Hinsicht“, brachte er die Ideen zum Ausdruck, für welche mit dem „Deutschen Kämpfer“ einzutreten, er sich durch die Ungunst der Verhältnisse verhindert sah. Die Vorrede sagt uns auch, warum er in deutscher Sprache gegen seine Landsleute polemisirt.

„Man sieht wohl,“ heißt es darin, „daß dies ein Protest ist, den ich gegen die in meinem Vaterlande herrschenden Tendenzen, gegen unser schlechtes Régime mental, wie sich ein französischer Positivist ausdrücken dürfte, mit der klaren Absicht niederschreibe, die Aufmerksamkeit der einzig Berechtigten auf unser elendes geistiges Leben zu lenken, und somit würde der Gebrauch des Portugiesischen ebenso verkehrt sein, wie wenn ein Brasilianer in Berlin mit den vaterländischen papierenen Milreis (brasilianisches Geld) ein Buch oder andere Waare kaufen wollte. Dort hat beides keinen Cours.“

Eine eingehende Besprechung dieser interessanten Schrift möchte uns hier zu weit führen; wir wollen nur einige Stellen mittheilen, welche, obgleich aus dem Zusammenhange des Ganzen herausgegriffen, genügen werden, um uns für den wackeren Pernambucaner einzunehmen.

„Von der Nothwendigkeit einer Reform des brasilianischen Geisteslebens tief durchdrungen“ – sagt er an einer Stelle – „hege ich den Wunsch, meinen Landsleuten, die in ihrer intellectuellen Richtung völlig irre gehen, die Größe Deutschlands mehr und mehr fühlbar zu machen, so weit meine Kräfte es gestatten.

Denn man darf unbedenklich annehmen, daß es unser Mangel an Geschmack und an Kenntnissen der gegenwärtigen deutschen Wissenschaft ist, welche uns noch am Gängelbande einer veralteten, in Verruf gerathenen Cultur befangen zurückbleiben läßt. – Mich quält schon lange der erhabene Wahnsinn – nichts Anderes als Wahnsinn – in Brasiliens Adern gleichsam einen Tropfen germanischen Blutes einflößen zu wollen, als das einzige Heilmittel, das uns eine Radicalcur vom allgemeinen Grundübel der Ignoranz verspricht.“

Indem er die Armut der portugiesischen Literatur berührt, kommt er zu einem Vergleiche derselben mit der brasilianischen und sagt dabei unter Anderm: „Möglichst lückenhaft und unvollständig stellt sich unsere Literatur dar. Nichts desto weniger trägt sie die Signatur unseres Geistes, oder richtiger, das Gepräge unseres Elends. Wir haben zwar eine unabsehbare Schaar Publicisten und allerlei Schriftsteller, die sich, wie die Kaninchen, von Tag zu Tag vermehren. Aber was gelten alle diese Prosaiker und Dichter, alle diese Gänse, aus denen man so gern lauter Schwäne machen will? Jeder von ihnen wiegt nicht die Feder, mit welcher er schreibt. – Giebt es doch kein Product aus brasilianischer Feder, nicht einmal eine einzige Idee, die einen Grad von zeitgemäßer Bildung bezeugte. Das gilt nicht nur von der Philosophie und Wissenschaft, sondern auch von der sogenannten schönen Literatur. – Die edle glorreiche deutsche Nation ist für uns noch nicht hinter dem Nebel hervorgetreten, womit sie die französischen Schriftsteller, Frau von Staël an der Spitze, umhüllten. Goethe und Schiller sind die einzigen deutschen Namen, die unsere Literaten zu buchstabiren wissen, und zwar nur als zwei Phrasen, die sie stets gebrauchen, deren Sinn sie aber völlig ignoriren. Kaum, daß die Strahlen einiger der hellleuchtenden Sterne am Himmel des deutschen Gedankens jetzt erst zu uns gelangen; bei der unermeßlichen Entfernung von unserer Welt wird uns das Licht eines Kant und eines Lessing wie das eines Nebelfleckes im astronomischen Gebiete vielleicht ewig unbekannt bleiben. – Im Allgemeinen ist die Ignoranz etwas Verneinendes, das heißt ein Mangel an Kenntnissen; bei uns aber ist sie etwas Positives, das heißt ein Ueberfluß an zurückgebliebenen Ideen, gleichsam ein Reichthum an angehäuftem, verrufenem Papiergelde, welches nicht mehr anerkannt ist. – Um unsere Bornirtheit zu bezeugen, sei auch dies noch vorübergehend bemerkt: Man sagt häufig in Bezug auf das alte Griechenland, daß in die Welt der Ideale sich zu versenken nur einer hocharistokratischen Gesellschaft möglich war, welche alle gemeinen Sorgen des Lebens auf die geduldigen Schultern ihrer Sclaven thürmte, und selbst ein Mann wie Treitschke steht nicht an zu behaupten, die Tragödien des Sophokles und der Zeus des Phidias seien um den Preis des Sclavenelends nicht zu theuer erkauft. Zugegeben! Aber ich frage: was haben wir uns denn drei Jahrhunderte hindurch um den Preis der Sclaventhränen erworben? Gar nichts! Die brasilianische Aristokratie ist eine der stupidesten, die man kennt, was sie nicht hindert, anmaßend und stolz zu sein.“

Mit schneidender Ironie geißelt Meneses in dieser Schrift den Verlauf des brasilianischen Culturkampfes, der in einem demüthigenden Frieden mit Rom endigte, und macht für diesen kläglichen Verlauf in erster Reihe den Kaiser von Brasilien, Dom Pedro den Zweiten, verantwortlich. Seine Abneigung gegen diesen Souverain ist überhaupt grenzenlos, wie wir nicht allein aus der genannten Broschüre, sondern auch aus einer erst kürzlich von ihm in Pernambuco unter dem Titel „Ein offener Brief an die deutsche Presse“ herausgegebenen Schrift ersehen.

Diese Schrift ist im Grunde genommen weiter nichts, als ein Protest gegen die schmeichelhaften Artikel, welche deutsche Zeitungen und Zeitschriften dem Kaiser von Brasilien widmeten, als derselbe vor zwei Jahren den europäischen Continent bereiste. Meneses wollte einen Protest in denselben Blättern veröffentlichen, wurde aber in Anbetracht des Artikel 103 des deutschen Strafgesetzbuches, der die Beleidigung fremder Regenten mit Strafe bedroht, von den betreffenden Redacteuren zurückgewiesen. Dies veranlaßte ihn, die obengenannte Schrift zu verfassen. Es ist nicht zu leugnen, und Jeder, der die politischen Verhältnisse Brasiliens genauer studirt hat, muß es bestätigen, daß es für einen wahrhaft patriotischen Brasilianer der Gründe genug giebt, um mit dem herrschenden Regime unzufrieden zu sein; aber die Art und Weise, wie Meneses mit seinem Souverain in’s Gericht geht, erscheint [703] uns denn doch unberechtigt. Es sei hier übrigens, um Mißverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich bemerkt, daß Meneses nicht etwa Fürstenhasser im Allgemeinen ist, sondern nur soweit es seinen eigenen Souverain angeht. Er versichert im Gegentheil, beispielsweise die tiefe Verehrung und Begeisterung eines Deutschen für seinen Wilhelm, die eines Russen für seinen Alexander vollkommen zu begreifen. „Wenn ich,“ sagt er in Bezug auf Ersteren, „die deutschen Socialdemokraten darüber brüllen höre, daß Wilhelm’s Regierung sich hoch militärisch geberdet, so kann ich nicht umhin, solche Entrüstung als ein Zeichen ziemlicher Bornirtheit zu betrachten. War es doch Wilhelm mit dem Degen, nicht aber Wilhelm mit dem Buche in der Hand oder mit den Doctoren Naturwissenschaft discutirend, der in einem Nu den Lauf der Jahrhunderte gewissermaßen unterbrach und sein Vaterland an die Spitze der Menschheit zu setzen vermochte; selbst der halsstarrigste Particularist,“ meint er, „würde umsonst versuchen, aus der Geschichte Deutschlands das Schwert des siegreichen Kaisers wegzudenken, ohne daß eine unermeßliche Lücke entstände, die selbst der deutsche Schulmeister, dem man sonst nachrühmt, er habe Frankreich besiegt, nicht ganz auszufüllen vermöchte. So ist denn diejenige Pietät sehr natürlich, die nach Treitschke der Deutsche, der Preuße mindestens, seinem Staate entgegenbringt.“

Genug der Citate aus den Schriften des Tobias Barreto de Meneses! Daß wir es hier mit einem ebenso ungewöhnlichen, wie bedeutenden Manne zu thun haben, dürfte nach dem bisher Gesagten keinem Zweifel unterliegen, und es ist also die Frage: wer ist denn eigentlich dieser Tobias Barreto de Meneses? sehr natürlich. Theilweise giebt unser Bild Antwort darauf. Wir sehen auf den ersten Blick, daß wir einen Mulatten vor uns haben, wie man deren in allen amerikanischen Ländern mit gemischter europäischer und afrikanischer Bevölkerung viele trifft und ihre Intelligenz zu bewundern vielfach Gelegenheit findet. Die ungewöhnlich hohe Stirn, das geistvolle Auge, der entschlossene Zug um den Mund lassen uns nicht lange unklar darüber bleiben, daß sich auch hier eine Summe von Intelligenz verkörpert hat, der wir unser Interesse, unsere Achtung nicht versagen können.

Tobias Barreto de Meneses wurde am 7. Juni 1839 in der kleinen Stadt Campos in der brasilianischen Provinz Sergipe als Sohn unbemittelter Eltern geboren. Er war in den Kinderjahren bereits sehr lernbegierig, doch wurde ihm in seiner Vaterstadt keine Gelegenheit geboten, seinen Wissenstrieb so zu befriedigen, wie er es wünschte. Außer in den Elementarfächern wurde nur noch im Lateinischen daselbst Unterricht ertheilt; dem Studium dieser Sprache wandte er daher seine ganze Kraft zu und erreichte es, daß er schon als siebenzehnjähriger Jüngling als Lehrer derselben von der Regierung angestellt wurde.

Nachdem er in dieser Stellung drei Jahre gewirkt, wurde ihm von der Provinzialregierung seiner heimathlichen Provinz ein sechsjähriger Urlaub bewilligt, damit er während desselben auf einer der Akademien des Kaiserreiches studiren könnte. Meneses trat in das Priesterseminar von Bahia ein, aber nur, um es schon nach vierundzwanzig Stunden wieder zu verlassen. „In dem unreinen Dunst der Scheinheiligkeit, wie er dort herrscht, verging mir der Athem,“ schreibt er in einem Briefe an uns. Er beschäftigte sich nun theilweise in Bahia, theilweise in Sergipe privatim mit philosophischen und mathematischen Studien und begab sich alsdann 1864 nach Pernambuco, um auf der dortigen Hochschule Jurisprudenz zu studiren. Die nöthigen Vorkenntnisse, z. B. des Französischen und der Rhetorik – auf welche letztere Wissenschaft, beiläufig gesagt, in Brasilien sehr viel Gewicht gelegt wird – hatte er sich durch Selbststudium erworben, und durch Privatunterricht, den er in diesen Wissenschaften und im Lateinischen ertheilte, schaffte er sich die nöthigen Subsistenzmittel während seiner Studienzeit. Wie alle gebildeten Jünglinge seines Landes, beschäftigte sich Tobias auch mit der Poesie und verrieth in seinen Dichtungen nicht allein ein bedeutendes Talent, sondern auch sehr viel Muth, indem er mit der Tradition brach und die aus der romantischen Schule Frankreichs hervorgegangene sentimentale Richtung, wie sie heute noch in der brasilianischen Poesie herrscht, persiflirte. Einige seiner Gedichte aus seiner Zeit, die wir besitzen, legen Zeugniß ab von seiner urwüchsigen, sich weit über das Mittelmaß erhebenden poetischen Gestaltungskraft. Seine Gedichte hat er übrigens niemals herausgegeben, weil er – wie er uns schreibt – niemals Zeit dafür gewonnen hat.

Im Jahre 1869 empfing er den Grad als Baccalaureus der Jurisprudenz und ließ sich als Advocat in Pernambuco nieder. Hier war es, wo er sich auf dem mühseligen Wege des Selbstunterrichts die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur aneignete, in einem Lande, das dem deutschen Geistesleben abhold ist, in einer Umgebung, in welcher man die deutsche Sprache zu hören nur selten Gelegenheit findet. Meneses genießt als Advocat einen bedeutenden Ruf und ist ein vorzüglicher Redner, wovon seine Vertheidigungsreden vor der Jury das glänzendste Zeugniß ablegen. Da ist es denn im höchsten Grade verblüffend für die brasilianischen Richter, daß er vor ihrem Forum verschmäht, sich auf die denselben wohlbekannten und als Evangelium betrachteten französischen Rechtslehrer Chauveau et Helie, Berthauld, Boitard etc. zu berufen, hingegen mit den Aussprüchen deutscher Criminalisten wie Schwartz, Otto, Rubo, John, Schütze und Anderer, für seine Clienten plaidirt. Daß seine Ueberlegenheit auf dem Gebiete der Fachwissenschaft ihm nicht gerade Freunde unter den Collegen zuführt, ist sehr begreiflich; in Folge seiner literarischen Thätigkeit hat er aber noch ungleich mehr den Widerspruch seiner Landsleute zu erdulden, der sich leider ausschließlich in persönlichen Beleidigungen äußert.

Seit acht Jahren sehen wir so diesen seltenen Mann unter Anfeindungen aller Art das Banner seiner Ueberzeugung von dem Werth deutschen Geisteslebens doch halten, und daß dies nicht ohne pecuniäre Schädigung der Fall ist, gereicht dem Versorger von sieben unmündigen Kindern zu um so größerer Ehre. „Wenn die Natur mich nicht mit einem heiteren Temperament ausgestattet hätte,“ schrieb er uns vor einiger Zeit, „so wäre ich in Folge dieser ewigen Anfeindungen schon lange Misanthrop geworden.“ Erfreulicher Weise ist es ihm in der letzten Zeit zum wenigsten gelungen, unter den Studenten von Pernambuco Anhänger zu gewinnen, und der Kreis derselben erweitert sich derartig, daß man sich wohl der Hoffnung hingeben darf, die aufwachsende Jugend Brasiliens werde sich zu den Errungenschaften deutschen Geistes allmählich anders stellen als dies bisher geschehen. –

Im vorigen Jahre fuhren wir an Bord des „Habsburg“ bei Pernambuco vorüber, und indem wir uns vom Meere aus des entzückenden Anblickes erfreuten, den diese weitschimmernde Stadt mit ihrer romantischen Umgebung gewährt, erinnerten wir uns mit inniger Verehrung des trefflichen Freundes und gelobten es uns, dem deutschen Volke seinen Namen zu nennen. Wir haben es jetzt gethan und wünschen von Herzen, daß künftig das Vaterland gleich uns des wackeren „deutschen Kämpfers“ von Pernambuco in Ehren gedenken möge.