Das Reifen der Früchte beim Scheine der Polarsonne und des elektrischen Lichtes
[528] Das Reifen der Früchte beim Scheine der Polarsonne und des elektrischen Lichtes. Im Anschluß an unsere frühere ausführliche Mittheilung über „Pflanzenzucht bei elektrischem Licht“ (1880, S. 266) wollen wir nicht unterlassen, mitzutheilen, daß Herr C. W. Siemens in London in einer Frühjahrssitzung der dortigen Royal Society reife Erdbeeren vorgelegt hat, die durch Unterstützung der Sonne mit elektrischem Lichte so früh zur Reife gebracht worden waren. Der berühmte Industrielle zeigte den Anwesenden zwei Töpfe mit zu gleicher Zeit und unter gleichen Bedingungen eingesetzten Erdbeerpflanzen vor, von denen die eine nur dem Tageslichte, die andere außerdem, während der Nacht, dem elektrischen Lichte ausgesetzt worden war, und von denen die erste völlig grüne Beeren, die zweite völlig reife und schmackhafte Früchte trug. Herr Siemens schließt daraus, daß elektrisches Licht auch geeignet ist, den Zucker und aromatischen Stoff zu bilden, von denen das Reifen der Früchte abhängt. So interessant die Thatsache ist, so wenig zuverlässig ist der daraus gezogene Schluß. Man weiß nämlich aus sehr interessanten neuerdings veröffentlichten Versuchen des Professor Schübeler in Christiania, daß in den Nordpolarländern, z. B. in Norwegen, gezogene und im Sommer beinahe immerwährendem Sonnenschein ausgesetzte Früchte zwar außerordentlich aromatisch werden, aber völlig sauer bleiben. Manche dort gezogene Gemüse, die in anderen Ländern ganz milde schmecken, werden dort so aromatisch, daß man sie gar nicht genießen kann. Schübeler schließt daraus, und im Hinblick auf die Süßigkeit der Südfrüchte wohl mit Recht, daß das Licht Aroma und die Wärme Zucker erzeuge. Das schnellere Reifen der mit dem elektrischen Lichte gezogenen Erdbeeren erklärt sich aber einfach daraus, daß die Vegetationszeit verdoppelt wurde, was ungescheut geschehen darf, da Pflanzen eben keiner Nachtruhe bedürfen. Letztere Thatsache war von Schübeler schon früher dadurch augenfällig bewiesen worden, daß er eine neuholländische echte Akazie (Acacia lophanta), die ihre Blätter in unseren Gewächshäusern wie in ihrer Heimath allabendlich zum sogenannten „Schlafe“ schließt, nach den Lofoden und nach einem Orte Westfinnmarkens brachte, woselbst sie während zweier Monate, so lange die Sonne ununterbrochen über dem Horizonte blieb, ihre Blätter nicht schloß. Aehnlich den Erdbeeren des Herrn Siemens wachsen und reifen beim anhaltenden Scheine der Polarsonne alle in Scandinavien aushaltenden Beeren und Getreide-Arten innerhalb zwei bis drei Monat.