Das Rechtsbewußtsein des Volkes und die Reichsjustiz

Textdaten
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Autor: Hermann Trescher
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Titel: Das Rechtsbewußtsein des Volkes und die Reichsjustiz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 163, 166–167
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Rechtsbewußtsein des Volkes und die Reichsjustiz.

Groß war die Freude und Genugthuung über die Durchführung der Reichsjustizgesetzgebung, welche mit der Abstimmung des Reichstages vom 21. December 1876 ihren vorläufigen Abschluß fand, bei allen Parteien, die es mit der inneren Festigung des deutschen Reiches ehrlich meinten; nichts konnte in dem von Alters her auch auf rechtlichem Gebiete auf’s Aergste zerstückelten Deutschland das Gefühl der inneren Zusammengehörigkeit energischer fördern und stärken, als das Bewußtsein und die Thatsache einer einheitlichen Gesetzgebung und Rechtspflege. Aber dennoch fanden namentlich die entschiedeneren Anhänger liberaler Grundsätze mehr als einen Tropfen Wermuth in dem Becher der Freude, und das Ganze erhielt schließlich einen so bitteren Beigeschmack, daß man sich entschloß, lieber den Trank völlig zu verschütten, als ihn mit Zusätzen entgegenzunehmen, denen man principiell widersprechen zu müssen glaubte.

Die Justizgesetze, wie man sie schlankweg bezeichnet, traten am 1. October 1879 in Kraft und die ehrliche Probe darauf konnte beginnen. Daß im Ganzen damit ein ungeheurer Fortschritt gegeben war, wurde von keiner Seite geleugnet; die Hoffnung auf einen Ausbau im liberalen Sinne, im Sinne des wahren Rechtsstaates, mußte auf bessere Zeit vertagt und nunmehr die Wirksamkeit und Arbeitsfähigkeit des neuen Apparates geprüft werden. Daß neue Gesetze wie überhaupt neue Einrichtungen im Allgemeinen von breiten Schichten des Volkes nicht günstig angesehen zu werden pflegen, ist bekannt; es geht dabei, wie bei einem Umzuge, wo unter schmerzlichen Gefühlen eine Menge alter Hausrath über Bord geworfen wird, der zwar längst in die Rumpelkammer gewandert war, von dem man sich aber doch nicht endgültig trennen mochte, und speciell Gesetz und Recht werden, wenn sie sich noch so sehr als fortgeerbte Krankheit erwiesen haben, doch immer in den Lobrednern der guten alten Zeit ihre Vertheidiger finden. Doch abgesehen von dieser in der Natur der Dinge begründeten Unzufriedenheit, ertönten bald nach Einführung der neuen Gesetze von allen Seiten her immer lautere und lautere Klagen, und es war gar nicht zu verkennen, daß diese auf wesentliche Mängel der neuen Gesetzgebung zurückzuführen seien. Wie immer in solchen Fällen, richteten sich diese Klagen natürlich zunächst gegen eine Schädigung materieller Interessen, wie man sie namentlich in der Handhabung der Zwangsvollstreckung seitens der Gerichtsvollzieher und in den übermäßig hohen Gerichtskosten erblicken zu müssen glaubte, deren Unerschwinglichkeit für den Aermeren als eine Art Rechtsverweigerung aufgefaßt zu werden drohte, und auf dem Gebiete der Strafproceßordnung namentlich gegen die Aufhebung der Appellinstanz gegen die Urtheile der Strafkammern. Dazu kamen neuerdings allgemein befremdliche Entscheidungen einzelner Gerichtshöfe, welche unter anscheinender Verleugnung bisher für unantastbar gehaltener Rechtsgrundsätze einem besonderen „Bürger“rechte ein besonderes „Beamten“recht gegenüber zu stellen schienen. Wenn es bisher als unbestritten angesehen worden, daß Unkenntniß der Gesetze nicht [166] vor Strafe schütze, so stellten derartige Entscheidungen Beamten gegenüber, die sich eines offenkundigen Amtsvergehens schuldig gemacht hatten, Grundsätze auf, nach welchen bei einem Beamten, der sich über die Ausdehnung seiner Befugnisse nicht völlig klar sei, der „gute Glaube“ angenommen und deshalb die Sache in milderem Lichte aufgefaßt werden müsse.

Derartige Urtheile schlugen dem öffentlichen Rechtsbewußtsein geradezu in’s Gesicht; denn wenn schon vom einfachen Bürger verlangt wird, daß er in allen Lebensbeziehungen „diligentiam prästirt“, das heißt sich der Tragweite seiner Handlungen und seiner Verantwortlichkeit bewußt ist, um wie viel mehr ist dies vom Beamten in Ausübung seines Amtes zu verlangen, das ihm vom Staate, das heißt von der Gesammtheit der Staatsbürger zu ihrem Schutze und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung übertragen worden ist! Da sich solche Urtheile häuften – allgemein bekannte Einzelfälle will ich an dieser Stelle nicht anführen – namentlich wo es sich um die Klagen von Bürgern gegen Uebergriffe und Ausschreitungen untergeordneter Organe der Polizeigewalt handelt, so wurde die Mißstimmung eine immer allgemeinere, und es war nicht mehr zu leugnen, daß in allen Schichten der Bevölkerung ein Gefühl der Rechtsunsicherheit, Rechtsungleichheit und des mangelnden Rechtsschutzes Platz griff, das mit der Zeit einen bedeutenden Umfang anzunehmen drohte. Ja, die Sache hatte auch einen politischen Beigeschmack, da man einzelnen richterlichen Urtheilen eine gewisse Einseitigkeit in dieser Richtung auch durch die wohlwollendste Auslegungskunst nicht abzustreifen vermochte.

Diese verletzten Empfindungen drängten um so mehr zu einem Ausdrucke in der Oeffentlichkeit, als ja nicht mehr, wie zur Zeit des beschränkten Unterthanenverstandes, der Laie von der Theilnahme an der Rechtspflege ausgeschlossen, sondern im Schwur- und Schöffengericht zu lebendiger und einflußreicher Mitarbeit berufen ist. Eine je größere Ausdehnung diese Theilnahme des Laienelementes an der Rechtspflege gewonnen hat, um so größer wird in immer weiteren Volkskreisen das Interesse an den Fragen der Gesetzgebung, um so lebhafter der Trieb nach Belehrung, um so berechtigter, schärfer und sachlicher die Kritik sowohl der Einzelerscheinungen wie des Gesammtorganismus.

Also, was hier in der Seele des Volkes wogt und drängt, muß einen Abzugscanal finden, falls nicht das Gift im Innern weiter zehren und dem Staatsleben unheilbare Wunden schlagen soll; denn im Volke ist man nur zu leicht geneigt, einzelne schwer empfundene Uebelstände dem Ganzen zur Last zu legen, und man kann es häufig genug hören, wie bei einer Besprechung der oben angedeuteten Mißstände die Justizgesetzgebung in Bausch und Bogen verurtheilt wird.

Es versteht sich von selbst, daß in erster Linie die Presse die Aufgabe hat, in solchen Dingen helfend und vermittelnd aufzutreten. Aber die Presse wird nach so vielen Seiten hin in Anspruch genommen und muß ihre Thätigkeit so zersplittern, daß sie zwar allenfalls in der Lage ist, einzelne in den Vordergrund des öffentlichen Interesses geschobene Fälle speciell zu erörtern, daß es ihr aber an Zeit und Raum fehlt, die Entwickelung der einschlägigen Verhältnisse mit Aufmerksamkeit, Vollständigkeit und Consequenz zu verfolgen. Um dies zu erreichen, muß eine Stelle geschaffen werden, bei der jeder Einzelne zu Worte kommt, jeder Einzelne seine persönlichen Erfahrungen, Ansichten, Bedürfnisse, Wünsche zum Ausdruck bringen kann; denn dadurch allein lassen sich die Kernpunkte, gegen welche sich die allgemeine Unzufriedenheit richtet, erkennen und die Mittel zur Abhülfe einer unbefangenen Prüfung unterwerfen.

Der Presse hierin helfend und unterstützend zur Seite zu stehen, ist nun zweifellos Aufgabe des ja in Deutschland im Allgemeinen schon zu hoher Blüthe gediehenen Vereinswesens, und es geschah zum Theil in Verfolg der oben entwickelten Erwägungen, daß im September des vorigen Jahres ein Comité aus Vertretern aller Stände – Juristen, Schriftstellern, Kaufleuten, Handwerkern, Gewerbetreibenden, Industriellen etc. – zusammentrat und unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts Gustav Kauffmann, eines ebenso durch gediegene wissenschaftliche Bildung wie schneidige Energie ausgezeichneten jungen Berliner Juristen, einen „Verein für Rechtsschutz und Justizreform“ in’s Leben rief. Der Verein wandte sich mit einem knappen, klaren Aufruf an die Mitbürger aus sämmtlichen politischen Parteien und hatte schon nach Verlauf weniger Monate die Genugthuung, über 600 Mitglieder zu zählen, wie ihn auch zahlreiche Zuschriften aus allen Theilen des Reiches allseitiger Zustimmung zu seinen Tendenzen versicherten.

Die überaus zahlreichen Verehrer des formalen Rechtes in der Juristenwelt, die von irgend welchem Einflusse des Laienelementes auf die Ausbildung der juristischen Wissenschaft und Praxis nichts hören wollen, stehen natürlich der Gründung eines solchen Vereins mit theils spöttischem, theils verächtlichem Lächeln gegenüber. Doch sehr mit Unrecht! Die Rechtspflege wie das Recht überhaupt ist ein guter, vielleicht der wichtigste Theil unseres Volkslebens, und die Juristen sind keineswegs berufen, das Recht für sich allein zu ordnen. Die Rechtspflege insbesondere soll eine gute, eine schnelle und eine gerechte sein. Es sprechen viele wirthschaftliche und politische Gesichtspunkte mit, die nicht so ohne weiteres am grünen Tisch und in der Gelehrtenstube zu erledigen sind, und deshalb muß gerade dem Laienelement Gelegenheit gegeben werden, sich über seine Bedürfnisse und Bestrebungen zu äußern. Das ist aber gerade bei den neuen Gesetzen nicht zur Genüge in’s Auge gefaßt worden, wie schon aus der Zusammensetzung der Achtundzwanziger-Commission hervorgeht, welche am 18. Januar 1875 vom Reichstage zur Vorberatung der Justizgesetzentwürfe gewählt wurde. Sämmtliche Mitglieder waren Juristen, zum Theil Richter zweiter und dritter Instanz, die mit der Oeffentlichkeit keineswegs in lebendiger Wechselwirkung standen, und nur ein einziger Laie befand sich darunter – der Director der brandenburgischen Landesirrenanstalt in Neustadt-Eberswalde. Das klingt wie ein Witz – ist aber eine Thatsache, und es ist leicht begreiflich, daß eine so zusammengesetzte Commission dem Interesse des großen Publicums nicht Rechnung tragen konnte, ein Fehler, der sich natürlich bei dem noch viel complicirteren Mechanismus, mit dem der Reichstag arbeitet, nicht wieder gut machen ließ.

Doch auch das Zeugniß wissenschaftlicher Autoritäten spricht für die freiere Auffassung. Da ist zunächst der frühere preußische Appellationsgerichts-Vicepräsident von Kirchmann, der in seiner Schrift: „Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ beklagt, daß die Rechtswissenschaft immer hundert Jahre hinter dem öffentlichen Rechtsbewußtsein einherhinke; da ist Beseler, der vor einem Jahrzehnt in seinem Werk: „Volksrecht und Juristenrecht“ gleichfalls den Gegensatz zwischen den gelehrten Richtern und dem Recht, das im Volke lebendig ist, betonte, wobei er allerdings in den Irrthum verfiel, allzusehr auf die alten, längst abgestorbenen germanischen Rechtsgewohnheiten zurückzugreifen; denn eine Reform unseres Rechtes darf nicht in die altersgraue Vorzeit ihre Blicke zurückwerfen, sondern muß das lebendige Interesse unseres modernen Volkslebens, unserer riesig entwickelten Verkehrsverhältnisse in’s Auge fassen. Ferner war es einer der hervorragendsten Juristen der Gegenwart, Jhering, der in seiner epochemachenden Schrift: „Der Kampf um’s Recht“ das ganze Volk dazu aufforderte, bei Rechtsverletzungen mit aller Energie um sein Recht zu kämpfen, und es als eine Feigheit bezeichnete, wenn man aus Scheu vor Kosten, Ungelegenheiten und Unbequemlichkeiten aller Art sein gutes Recht im Stiche ließe.

Dies also war die Veranlassung, welche zur Gründung des „Vereins für Rechtsschutz und Justizreform“ führte. Man sieht, daß er sich keine leichte Aufgabe gestellt hat; er beabsichtigt erstens, dem Publicum eine Stelle zu schaffen, an der Jedermann mit Sicherheit darauf rechnen kann, freies Gehör und im Nothfalle Unterstützung mit Rath und That zu finden. Ob letzteres möglich ist, hängt natürlich ganz vom Charakter des einzelnen Falles ab. Es ereignet sich nicht selten, daß Jemand nur deshalb verurteilt wird, weil er nicht für genügende Verteidigung gesorgt hat, oder daß ein Proceß, der sichere Aussicht auf Gewinn bietet, nicht angestrengt wird, weil es dem Kläger an Geldmitteln fehlt. In solchen Fällen wird der Verein mit Wort und Schrift, mit juristischem Beirat und, wenn es nötig und nach Maßgabe seiner vorläufig noch geringen Mittel möglich ist, auch mit materieller Unterstützung eingreifen.

Daran schließt sich die weitere Aufgabe, durch Vorträge und Besprechungen energisch auf die Beseitigung allgemeiner Mißstände hinzuwirken. Dies kann einmal dadurch geschehen, daß man die Nothwendigkeit ihrer Beseitigung dem öffentlichen Bewußtsein klar zu machen sucht, aus welchem heraus sie zuletzt ja doch ihren Weg [167] zu den für die Gesetzgebung maßgebenden Factoren findet, und zweitens durch directe, mit umfassendem Material belegte Petitionen an die gesetzgebenden Körperschaften, den Reichstag, respective die einzelnen Landtage.

Im Anschluß daran ergiebt sich die dritte Aufgabe, etwaige Fehlgänge und Irrthümer der öffentlichen Meinung, die ja nur allzu sehr geneigt ist, das Kind mit dem Bade auszuschütten, aufzuklären und in die richtigen Bahnen zu leiten, was durch ganz allgemein und populär gehaltene rechtsphilosophische Vorträge über das Wesen des Rechts u. dergl. m., durch historische Darlegungen unserer Rechtsentwickelung und der Ziele, auf welche sie hinaussteuert, geschehen kann, Vorträge, durch die im Einzelnen zugleich das Bewußtsein seiner staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten gefördert und lebendig erhalten werden soll.

Es fragt sich nun noch, in welchem Punkte die öffentliche Meinung am schärfsten auf eine Reform der Justizgesetzgebung hindrängt. Im Civilrecht ist es zunächst die übermäßige Höhe der Gerichts- und Anwaltskosten, und daran schließen sich eine Abänderung im Zwangsvollstreckungs-Verfahren und die Beseitigung des Anwaltszwanges. Auf strafrechtlichem Gebiete hat die Erfüllung der alten liberalen Forderung auf Entschädigung unschuldig Verhafteter und Verurtheilter einen mächtigen Schritt nach vorwärts gethan, da der darauf bezügliche Antrag Philipps-Lenzmann am 5. December vom Reichstage einer Commission von vierzehn Mitgliedern überwiesen wurde.

Dieselbe wird ihn, wenn auch in wesentlicher Umarbeitung, zur Annahme empfehlen und der Reichstag ohne Zweifel sich in diesem Sinne aussprechen. Wenn auch der Vertreter des Bundesraths dem Antrage kühl bis an’s Herz hinan gegenüber trat, so ist doch die Zustimmung auch dieser Instanz um so weniger ausgeschlossen, als es sich hier schon längst nicht mehr um eine Forderung einer einseitigen politischen Parteirichtung handelt.

Unter allgemeiner Zustimmung sagte der Abgeordnete Reichensperger, daß dies eine der ernstesten Fragen für einen Rechtsstaat sei. Daran schloß er die Hoffnung, daß die Berufung in Strafkammersachen wieder hergestellt werde, und es ist auch wirklich zu erwarten, daß der gewaltige Druck der öffentlichen Meinung, die gern neunundneunzig resultatlose Berufungen in den Kauf nimmt, wenn nur ein Unschuldiger gerettet wird, auch diese mit der vorigen im unmittelbarsten Zusammenhange stehende Reform binnen Kurzem durchsetzen wird, trotz aller Opposition der Männer von Fach, die hauptsächlich doch nur mit dem fadenscheinigen Argumente kämpfen, daß der Richter erster Instanz besser informirt sei, als der zweiter Instanz. Der weitere Ausbau unserer Rechtsordnung erfordere ferner consequenter Weise die Heranziehung des Laienelementes zu den Strafkammern; wenn die Aussichten hier auch trüber sind, so läßt sich doch ein leiser Hoffnungsschimmer für eine Fortentwickelung in diesem Sinne erkennen.

Möge er indeß auch noch so schwach sein, der Kampf um diese Reform soll ebenso wenig aufhören, wie das Verlangen nach Abschaffung des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft und des Zeugnißzwanges, nach Zuweisung der politischen wie Preßvergehen an die Schwurgerichte, nach Beseitigung der Militärgerichtsbarkeit oder zum mindesten Einführung der Oeffentlichkeit des Verfahrens, wie es in Baiern gehandhabt wird, und im Anschluß daran nach einer dem allgemeinen Rechtsbewußtsein mehr als jetzt entsprechenden Regelung der Competenzconflicte, welche sich bei der Frage, ob im Einzelfalle die ordentlichen oder die Verwaltungs- respective Militärgerichte zur Aburtheilung zuständig sind, erheben. Bekanntlich stehen in letzterer Beziehung die Dinge gegenwärtig so, daß unter gewissen Verhältnissen eine absolute Rechtsverweigerung eintritt, beispielsweise, wenn ein Bürger, der einen andern beleidigt hat, sich der bei den Civilgerichten anhängig gemachten Klage einfach dadurch entzieht, daß er sich in seiner zufälligen Eigenschaft etwa als Rittmeister der Landwehrcavallerie mit dem Rückzuge hinter die für ihn allein zuständigen Militärgerichte deckt. Welche Genugthuung der Beleidigte aber zu erwarten hat, wenn er sein Recht mit einer Klage bei den Militärgerichten sucht, ist aus einer Anzahl eclatanter Fälle aus den letzten Jahren, die dem Principe der Gleichheit vor dem Gesetze direct in’s Gesicht geschlagen haben, zur Genüge ersichtlich geworden.

Doch wir betreten mit den letzten Punkten das politische Gebiet; unsere Leser wissen, wie wenig unter den gegenwärtigen Verhältnissen auf eine Erfüllung dieser Forderungen eines gesunden Liberalismus gerechnet werden kann. Trotzdem sollen sie immer und immer wieder betont werden, damit das Bewußtsein von der Nothwendigkeit ihrer Durchführung im Volke wach erhalten werde. Es liegt ja auf der Hand, daß der Verein für Rechtsschutz und Justizreform, weil seine Bestrebungen der Hauptsache nach auf liberale Forderungen hinauslaufen, auf der Gegenseite wenig Entgegenkommen zu erwarten hat. Doch dem sei wie ihm wolle – wir sind überzeugt, daß seine Thätigkeit nicht verloren ist für das Wohl unseres Volkes.

Wenn der Verein sich seiner Ausgaben und Ziele bewußt bleibt, und Presse und Publicum ihm die nothwendige Unterstützung nicht versagen, wird er dem Einzelnen Hülfe und Allen Aufklärung schaffen, wird er zur Beseitigung vorübergehender Uebelstände beitragen und durch Herbeischaffung eines sorgfältig gesichteten Materials an seinem Platze und nach seinen Kräften dazu mitwirken, daß künftig die Entwickelung unserer Gesetzgebung und dem öffentlichen Rechtsbewußtsein Hand in Hand gehe. Das ist gewiß ein hohes und schönes Ziel, des Schweißes der Edlen werth, und nach dem überaus glücklichen Anfange, den der junge Verein genommen hat, ist die Hoffnung auf sein fröhliches Leben, Blühen und Gedeihen gewiß berechtigt.Hermann Trescher.