Textdaten
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Autor: H.
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Titel: Das Muttergottesdorle
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 267
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Hierzu auch Die Mutter Gottes unter dem Hammer in Heft 21 und Das Muttergottesdorle in Heft 38
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[267] Das Muttergottesdorle. In dem fränkischen Rom, in der Stadt Bamberg, starb in dem vergangenen Winter eine Frau, die weit hin im ganzen katholischen Frankenlande bekannt, ja berühmt und gesucht war.

Wenn man die menschlichen Existenzen in solche eintheilen kann, die auf die Einsicht und Klugheit der Menschen und solche, die auf den Aberglauben und die Dummheit derselben begründet sind, so wird man finden, daß die letzteren stets die einträglichsten sind. Das mag auch „das Muttergottesdorle“ – Dorle ist abgekürzt aus Dorothea – gefunden haben, oder vielmehr Diejenigen, welche mit ihm im Bunde waren. Die genannte Person braute zwar kein Jacobi’sches Elixir, aber sie besaß ein Muttergottesbild, das im Rufe großer Wunderthätigkeit stand. Sie wohnte zu Bamberg in einem unscheinbaren Hause an einer Straße, die nach dem Sande führte. Man mußte eine dunkle Treppe emporsteigen, auf der man sich den Hals brechen konnte. Das war praktisch, vielleicht konnte das wunderthätige Bild dann seine Wunderkraft gleich erproben. Dann kam man in ein dunkles Zimmer, das nicht sehr reinlich aussah, denn um die Wunder muß immer etwas Schmutz, Finsterniß und Rauch sein. Im Hintergrunde desselben war ein altarartiger Aufbau, auf welchem unter Beleuchtung von dicken Wachskerzen das Bild aufgestellt war. Was dasselbe eigentlich vorstellte, konnte man bei dem heiligen Dunste, der in der Stube herrschte, nicht recht erkennen; man sah ein weibliches Gesicht, man sah ein Paar dürre Arme, eine Krone oder so etwas Aehnliches auf dem Kopfe der Gestalt; dann sah man nichts mehr, als byzantinisches Dunkel. Aber das alte Weib, welches die Hüterin und Besitzerin des Bildes war, sagte, daß es die Mutter Gottes sei, und die Hauptsache war, daß die Leute es glaubten. Und es kamen sehr viele Menschen, vornehme und geringe, junge und alte, Männer und Frauen, natürlich letztere in Mehrzahl. Das Bild des Muttergottesdorle hatte für alle Schmerzen und Klagen des menschlichen Herzens eine Erhörung; es verlieh gute Träume und zeigte in denselben die Nummern, die in der nächsten Lotterie gewinnen würden; wem die Schinken aus dem Schlote gestohlen waren, dem verhalf es wieder zu seinem Eigenthume, indem es an das Gewissen des Diebes appellirte, vorausgesetzt, daß das gestohlene Gut nicht schon verzehrt war; es vertrieb den jungen Mädchen die Sommersprossen und verschaffte ihren Bräutigamen gute Anstellungen; es erlöste die Seelen aus dem Fegefeuer und schaffte gute Verdauung – Alles gegen Erlegung eines Gulden; nur gegen die Dummheit schien es machtlos gewesen zu sein.

Ein Gulden war der Minimalsatz, es war Niemandem benommen, mehr zu geben, im Gegentheil, dadurch wurden die wunderthätigen Wirkungen nur um so sicherer und nachhaltiger, aber unter einem Gulden war auch unter der Würde des Heiligthums; für einen Gulden durften es die Kranken sogar mit ihren kranken Gliedern berühren, und die nicht Kraft genug hatten, selbst die Heiligthumsstätte aufzusuchen, sandten die Lappen, mit denen ihre Wehe gebunden wurden, dahin, damit das „Muttergottesdorle“ dieselben mit dem Bilde in Berührung bringe und so die Kraft desselben auf die Bänder und Bandagen ausströme. Aber der Gulden allein that es nicht, sondern man mußte mit rechtem Herzen und gläubigem Sinne kommen; nur unter dieser Bedingung wurden die Gebete erhört. Wenn sich dagegen keine Wirkung einstellte, dann waren die Hülfesuchenden selbst daran schuld, dann waren von ihnen die genannten Bedingungen nicht erfüllt worden. Diese Casuistik war das Schlaueste an dem ganzen Humbug.

Schließlich starb das „Muttergottesdorle“. Wie die Person geheißen hatte, das wußte bis zu ihrem Tode eigentlich Niemand, ihr Vorname war Dorothea und die übrige Bezeichnung kam von ihrem Gewerbe; denn nichts Anderes war dieses unwürdige Spiel mit dem Glauben und der Frömmigkeit und dem Vertrauen der Menschen, und noch dazu ein sehr einträgliches Gewerbe. Die Besitzerin des Bildes zwar war von den Wunderwirkungen desselben felsenfest überzeugt, aber sie war dabei lediglich das einseitige Werkzeug Anderer, sie hatte sogar nichts davon, als vielleicht den Lebensunterhalt, denn wenn man sie auch für wohlhabend hielt, so ergab sich aus ihrem Nachlasse doch das Gegentheil. Dagegen munkelte man, daß sie aus dieser unsauberen Speculation mehr denn vierzigtausend Gulden Geldes und Werthes an die Domgeistlichkeit der fränkischen Bischofsstadt abgeliefert habe. Welches das Ende dieses verdammenswürdigen Hokuspokus war? Ein Ende mit Schrecken, das heißt: der Schrecken kam unter die Clerisei, als das Bamberger Bezirksgericht den Nachlaß der Verstorbenen und darunter auch das einträgliche Bild zur Versteigerung ausbieten ließ. Wer es erworben hat? Vielleicht hat sich eine fromme Gründergesellschaft gefunden.

H.