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Autor: unbekannt
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Titel: Das Ende des Polizei-Spions
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Ende des Polizei-Spions.
Ein Vehmgericht des neunzehnten Jahrhunderts.

„Alles schon dagewesen,“ sagte der weise Rabbi Ben Akiba, und so möchte man fast vermuthen, daß die heutige Junkerpartei, freilich unter veränderten Umständen, dieselben Ansprüche erhebt, wie vor der Katastrophe des Jahres 1806, als der Minister Haugwitz und der geheime Cabinetsrath Lombard die Geschicke des preußischen Staates leiteten. Wie diese Gardeofficiere ihre Säbel auf den öffentlichen Trottoirs wetzten, um die Franzosen damit in Stücke zu hauen, und wie sie bei Jena eine moralische Niederlage erlitten, welche viel schlimmer war, als die militärische, hat uns die Geschichte genugsam gezeigt; wie viele dieser Menschen aber späterhin den Bestrebungen eines Freiherrn von Stein, eines Schill und eines Dörnberg zur Einigung Deutschlands verräterisch entgegenarbeiteten, darüber ist wenig bekannt geworden, da man es in den höhern Kreisen aus leicht begreiflichen Gründen für zweckdienlich gefunden hat, das damalige Thun und Treiben der verirrten Söhne mit dem Mantel der christlichen Liebe zuzudecken. Es wird daher nicht uninteressant sein, wenn wir eine seltsame Begebenheit, welche sich am Hofe des Königs Jerôme am Ende des Jahres 1810 zu Kassel zutrug, mit kurzen Worten erzählen, da dieselben ein trübes Schlaglicht auf die damaligen Zustände wirft.

Ein gewisser Herr von B., dessen Stammgut keine tausend Meilen von der idyllischen Spree entfernt lag, hatte wie so viele Andere seines Schlages bei Jena Fersengeld gegeben und nach dem für Preußen so unglücklichen Friedensschluß zu Tilsit bei seinen Verwandten in der Mark sich als Krippenreiter herumgetrieben, weil es am preußischen Hofe Nichts mehr zu schmarotzen gab und er sich in Berlin seiner Schulden halber nicht mehr sehen lassen durfte. Da schrieb ihm nach längerer Zeit ein Verwandter aus Kassel, daß es sich am neuen Hofe des Königs Jerôme sehr gut leben lasse, wenn man nur seinen deutschen Charakter verleugne und die gehörige Portion Serviltät zur Schau trage. – Es war in der That eine traurige Zeit, als Leute, die auf ihren alten Adel pochten und sich stets für die sichersten Wächter der Fürstenthrone ausgegeben hatten, von nahe und ferne nach der Wilhelmshöhe eilten, um dem aufgedrungenen Usurpator ihre Huldigungen zu erweisen, während der bei weitem ehrenhafter gesinnte Mittelstand sich grollend in die engeren Familienkreise zurückzog. Die Sittenlosigkeit, welche am westphälischen Hofe herrschte, hielt die Junker nicht ab, ihre Frauen und Töchter mitzubringen, im Gegentheil glaubte man eine bessere Aussicht auf Carriere zu haben, wenn man bei den Liebeshändeln einer schönen Gemahlin oder coquetten Schwester zur rechten Zeit ein Auge zudrückte.

Herr von B. im Besitze einiger hundert Louisd’or fand sich bald auf dem glatten Parquetboden des Kasseler Hofes zurecht, nachdem er der lockenden Einladung seines Verwandten gefolgt war, und wußte sich in kurzer Zeit die Gunst einflußreicher Männer und Frauen zu erwerben, ja den König selbst wußte er für sich zu interessiren, indem er ihm eine reiche Auswahl von Anekdoten aus der Chronique scandaleuse des Berliner Hofes auftischte. General d’Albignac, der damals bei Jerôme in hohem Ansehen stand, bot ihm seine Fürsprache an, falls er wieder in die militärische Carriere treten wolle; allein v. B. hatte seit dem Tage von Jena allen Geschmack daran verloren; er hatte eingesehen, daß der Dienst im Felde himmelweit von dem Parademarsch verschieden sei, außerdem wußte er, daß der Kaiser Napoleon seinem Bruder auf das Bestimmteste vorgeschrieben hatte, bei dem Avancement in der Armee den Adel ja nicht zu bevorzugen, sondern nur auf die Tüchtigkeit zu sehen. Da ihm sein Stammbaum allein deshalb in dem Heere keine höhere Stellung verschaffen konnte, so beschloß unser Junker, denselben desto mehr im Hofleben zu verwerthen, und der Großkronjägermeister, Graf von Hardenberg, derselbe, welcher den hannöverschen Marstall so getreu verwaltet hatte, wußte ihm eine Charge zu verschaffen, die ihm einen reichlichen Gehalt bot und ihm nebenbei die Gelegenheit gab, seinem angeborenen Hange zum Intriguiren zu folgen. Graf Bercagny, der Generaldirector der Polizei und ein vorzüglicher Menschenkenner, hatte Herrn von B. längst beobachtet und glaubte aus gewissen Thatsachen, die ihm zu Ohren gekommen waren, mit Recht schließen zu können, daß dieser unter einer gewissen Dressur ein brauchbares Werkzeug für seine Zwecke werden könne.

Schon längst hatte der Vorstand der Sicherheitsbehörden sich nach einem passenden Agenten für die höheren Kreise umgesehen, denn er wußte wohl, daß es unter dem norddeutschen Adel nicht blos Junker gab, sondern auch Edelleute, welche die Erniedrigung ihres Vaterlandes mit Ingrimm ansahen und danach strebten, das verhaßte Joch abzuschütteln. Den Umtrieben dieser nachzuspüren, hielt Bercagny für seine höchste Aufgabe, und es gelang ihm ohne große Mühe, v. B. durch reiche Geschenke und Versprechungen für diesen Zweck zu engagiren. Unter dem Mittelstande und unter dem Volke, welche beide Stände der westphälischen Regierung ganz besonders abhold waren, wurde die geheime Polizei durch den räthselhaften Commerzienrath Gärtner und durch den berüchtigten Würz verwaltet, die wiederum, ohne daß Bercagny es wußte, mit Fouché und Savary in Verbindung standen. Außerdem gab es in Kassel im Ministerium des Innern noch ein gewisses Bureau, in dem regelmäßige Conduitenliste über Beamte und andere einflußreiche Leute geführt wurden, deren Domestiken sogar als Spione gegen die eigene Herrschaft benutzt werden konnten. Dieses unmoralischste aller Institute fand späterhin nach den sogenannten Befreiungskriegen bei den legitimen Regierungen ungemeinen Beifall, obgleich man sonst schnell genug bereit war, alles Gute, was die französischen Institutionen mit sich führten, gründlich zu beseitigen. Herr v. B., der diese Conduitenlisten fleißig mit füllen half, sollte bald genug zu seinem eigenen Entsetzen erfahren, daß diese unheimlichen Papiere zuweilen wie ein zweischneidiges Schwert wirken.

Das Jahr 1809 brachte eine bewegte Zeit mit sich. Dörnberg, Schill und Friedrich Wilhelm von Braunschweig zeigten, daß es unter der Aristokratie noch Männer gab, die für Deutschlands Ehre und Recht ihre Degen in die Wagschale warfen. Da bei [271] allen diesen Unternehmungen das Königreich Westphalen am meisten gefährdet war, so hatte Herr v. B. Gelegenheit genug, sich durch eine unrühmliche Thätigkeit bei den Chefs der französischen Polizei beliebt zu machen. Schon früher hatte er im Auftrage Bercagny’s alte Verbindungen unter der Junkerpartei in Berlin wieder angeknüpft, um das Thun und Treiben der dortigen Patrioten auszukundschaften. Namentlich war der Freiherr von Stein dieser Clique ein Dorn im Auge, und mit Freuden ergriff dieselbe die Gelegenheit, den großen Staatsmann dermaßen zu compromittiren, daß Napoleon auf seine Entfernung dringen mußte. Herr v. B. wurde von Potsdam aus benachrichtigt, daß an einem gewissen Tage ein Hausirer auf der Straße zwischen Marburg und Gießen zu arretiren sei, der einen Brief an den zu Homburg weilenden Fürsten von Wittgenstein zu übergeben habe, in welchem Stein seine Pläne enthülle. Dieses aufgefangene Schreiben war denn auch der Grund zu des großen Ministers Entlassung. Bei dem Dörnberg’schen Aufstande spielte die Verrätherei des Herrn v. B. wieder eine große Rolle, da er sich durch seine aalglatte Natur das Vertrauen der Verschworenen zu verschaffen gewußt hatte. Unter dem Vorwand der Jagdliebhaberei trieb er sich auf den Gütern des Herrn von Malsburg umher, von wo aus er über die Pläne der Patrioten und über ihre Organisation mehrfache Berichte an den Grafen Fürstenstein (le Camus) und an den General Reubell schickte. Ja er hatte die Frechheit, mit dem Insurgentenheere bis zu der Knallhütte zu reiten, und bei dem unglücklichen Gefechte und der Auflösung der Patrioten ward es ihm leicht genug, Kassel auf Umwegen zu erreichen, wo er die Proscriptionslisten mit ausarbeiten half. Schlau, wie er war, hatte er alle Spuren seiner Verrätherei zu verwischen gewußt, so daß die Feinde der Regierung wirklich der Ansicht waren, dieselbe sei von dem ebenso patriotischen als klugen Herrn v. B. gründlich düpirt worden. Auch war letztere vorsichtig genug, die Thätigkeit ihres Agenten nicht durch officielle Gunstbezeigungen anzuerkennen, denn das hätte Argwohn erzeugen können, im Gegentheil wurde derselbe ganz im Geheimen durch eine bedeutende Geldsumme belohnt, während er nach wie vor seine unbedeutende Hofcharge bekleidete. –

In der westphälischen Armee herrschte damals ein eigenthümlicher Geist; die meisten Officiere waren bürgerlicher Abkunft und gewannen die militärischen Institutionen, welche aus der französischen Armee stammten, deshalb lieb, weil der frühere Gamaschendienst mit dem alten Zopfe beseitigt war und das Avancement nach Verdienst und Tüchtigkeit ging. Auch war der König Jerôme wegen mancher versöhnenden Eigenschaften nicht unbeliebt, jedoch blieb man im Herzen deutschgesinnt, und wenn man auch Krawalle und Putsche sogleich mit den Waffen zu unterdrücken bereit war, so war doch der größte Theil der Führer und Soldaten entschlossen, bei einem ernstlichen Aufstande auf die Seite des Vaterlandes zu treten. Nichts beleidigte aber den esprit de cops mehr, als die geheime Aufpasserei der französischen Generäle am Kasseler Hofe, die freilich die eigentlich schmutzige Arbeit durch Renegaten, wie v. B., verrichten ließen. So konnte es denn nicht fehlen, daß man diesen Spitzeln, hoch oder niedrig, auf die Spur zu kommen suchte, und der Zufall fügte es auch, daß ein patriotisch gesinnter Secretair, der in dem Bureau der höhern Staatspolizei angestellt war, Abschrift von gewissen Papieren nahm, welche den Herrn v. B. ganz besonders incriminirten; auch gelang es ihm, einen eigenhändigen und nicht in Chiffren geschriebenen Brief des schlauen Junkers, in welchem derselbe sich auf das Höchste compromittirte, ohne Aufsehen zu erregen, bei Seite zu bringen. Diese Documente wußte der Beamte auf sichere Weise in die Hände eines Officiers der Gardejäger (früher Dörnberg’s Corps) zu spielen, von dem er mit Sicherheit voraussetzte, daß er ein Mitglied des patriotischen Zweigcomité’s war, das damals heimliche Sitzungen in Kassel, fast unter den Augen der Regierung, hielt.

Der Sylvesterabend des Jahres 1810 füllte die Straßen von Kassel mit regem Leben. Tausende strömten vor dem Palais des Königs zusammen, um die glänzenden Equipagen vorfahren zu sehen, aus denen reichgeschmückte Masken stiegen, welche schnell zwischen betreßten Lakaien die hohe Schloßtreppe hinauf verschwanden. In den Sälen oben wogte ein buntes Leben auf und ab, da Alles, was zu den höhern Kreisen gehörte, eingeladen war, und Jerôme es vortrefflich verstand, solche Feste zu arrangiren. Der König selbst, im Costum Franz des Ersten, schritt an der Seite der schönen Gräfin O. durch die hohen Gemächer und gab hin und wieder näher bekannten Personen ein freundliches Erkennungszeichen. Auch Herr v. B. trieb sich im schwarzen Domino unter der Menge herum, behutsam schleichend, um etwaige Liebesintriguen zu erlauschen, mit denen er dann den andern Tag den Hofscandal bereichern wollte. Da berührte Jemand seine Schultern, und als er sich umdrehte, gewahrte er ein florentinisches Blumenmädchen, welches ihm ein Rosenbouquet überreichte. Als er dieses näher betrachtete, sah er ein sauber gefaltetes Billet darin stecken. Schnell gefaßt, entfernte er sich in einen stillern Corridor, wo er unbeachtet das Briefchen entfaltete und folgende Worte las:

„Theurer Herr v. B.! Eine schöne Dame, die von Ihnen bewundert zu sein glaubt und vor Sehnsucht nach Ihnen stirbt, erwartet Sie diese Nacht. Folgen Sie ohne Bedenken der Ueberbringerin, denn die Gelegenheit möchte sich nicht wiederfinden.“

Der eitle Junker, der sonst aus guten Gründen dergleichen einsame und risquante Abenteuer nicht liebte, überlegte eine kleine Weile, ob er die Einladung annehmen sollte oder nicht, indessen besaß er von seinem frühern Berliner Leben noch Leichtsinn genug, um derselben zu folgen. Am Ende des Corridors, am Eingang des großen Saales, sah er das Blumenmädchen vorsichtig winkend stehen und folgte demselben unbemerkt; doch als sich dasselbe durch eines der Hauptgemächer wand, wo gerade von einer Anzahl Masken ein Menuet getanzt wurde, traf er den König mit seiner Dame, der in der rosigsten Laune zu sein schien. „Heda, Maske! wohin? Die Larve herunter!“ Als dieses natürlich augenblicklich geschah, fuhr Jerôme fort: „Ah, Herr v. B. wieder auf Schleichwegen!“ und auf das Blumenmädchen deutend fügte er hinzu: „das scheint eine gefährliche kleine Hexe zu sein, nehmen Sie sich in Acht!“ Der durch ein vornehmes Kopfnicken entlassene Cavalier stieg nun an der Seite seiner Begleiterin eine Nebentreppe hinunter und gelangte so auf eine weniger frequente Gasse, wo der scharfe, eisigkalte Nachtwind ihn einen Augenblick stutzig machte. Doch das Blumenmädchen schritt unbekümmert weiter, sich nur von Zeit zu Zeit umsehend, ob er auch nachkäme. So gelangten sie auf den Friedrichsplatz und stiegen von dort in die schneeglänzende Aue hinunter. Herr v. B. wäre gern wieder umgekehrt, da er unheimlich zu fühlen begann, indessen fürchtete er den andern Tag wegen seines Kleinmuths ausgelacht zu werden, und außerdem beruhigten ihn die lustigen Gesänge der Gardechasseurs, welche in dem nahen Orangeriepalais einquartiert waren und auf des Königs Kosten die Neujahrsnacht feierten. Als nun seine stumme Führerin direct auf das bekannte Marmorbad zuschritt, welches zu jener Zeit häufig zu galanten Abenteuern benutzt wurde, folgte er unbedenklich, obgleich sie auf alle seine Fragen nur mit einem stummen Kopfschütteln antwortete. An einem kaum merkbaren Seitenpförtchen blieb das Blumenmädchen stehen und klopfte dreimal sachte an, worauf sich dasselbe leise öffnete und v. B. mit seiner Begleiterin eintrat. Dieselbe führte ihn durch eine enge Passage in ein dunkles Zimmer, worauf sie plötzlich verschwand, während er im Finstern um sich tastend fast bestürzt zurückblieb. Da öffnete sich plötzlich eine Thür und ein hoher Mann in Cürassieruniform trat ein, einen Armleuchter mit brennenden Kerzen in der Hand, den er auf einen mit Papieren bedeckten Tisch niedersetzte, ihm folgten noch zwei andere Officiere, nebst einem jungen Manne in Tracht eines Corporals der Gardejäger. Dem saubern Junker ging nun in der That ein Licht auf, und seine Zähne schlugen krampfhaft zusammen, als er sich in dem kleinen Ankeidezimmer des Marmorbades Leuten gegenübersah, an deren Verderben er planmäßig gearbeitet hatte. Zuerst kam ihn der Gedanke an Flucht an, doch wie er die lauernden Blicke seiner Gegner und deren Waffen sah, ließ er diesen fallen und beschloß sich durch unverschämtes Leugnen aus der Klemme zu ziehen. Er nahm die schwarze Sammetmaske herunter, kreuzte die Arme auf der Brust und fragte in arrogantem Tone, was die ganze Procedur bedeute.

„Das werden Sie gleich sehen, Herr v. B.,“ sagte der älteste der Officiere, indem er einen Blick auf die vorliegenden Papiere warf „Sind Sie nicht der Schurke, der im Dienste der geheimen Staatspolizei die besten Männer, um deren Freundschaft Sie heuchlerisch buhlten, verrathen und in das Unglück gestürzt hat? Haben Sie selbst nicht nach der Dörnberg’schen Affaire, als Alles wieder in das alte Gleis gekommen war, und der König selbst gern vergessen wollte, von Neuem wieder das Feuer geschürt und frische Denunciationen gemacht? Leugnen Sie noch? Hier sind die Conduitenlisten über die Garde du Corps, die Gardechasseurs und das [272] erste Cürassierregiment, zu denen Sie so reichliche Beiträge geliefert haben. Diese Notiz über Oberst v. Marschall, aus Melsungen geschrieben, ist von Ihrer eigenen Hand. Schauen Sie (damit hielt er ihm den oben erwähnten Brief vor das Gesicht), können Sie Ihren eigenen Namenszug ableugnen?“

Wie vernichtet stand Herr v. B., die Wucht der Beweise erdrückte ihn fast, doch stotterte er mühsam heraus: „Die Conduitenlisten da auf dem Tische sind nichts als Copien und bedingen keinen Beweis, und was den Brief anbelangt, so habe ich ihn ohne böse Absicht geschrieben, was mir General Allix morgen gern beweisen wird.“

Die Züge seiner Richter verfinsterten sich bei diesen Worten und der Wortführer entgegnete: „Halten Sie uns für so dumm, daß Sie uns mit solchem Gewäsch in die Falle führen wollen? General Allix mag ein ehrenwerther Mann sein, allein als Franzose möchte er Ihre Partei nehmen, da Sie einmal seine schmutzige Wäsche gewaschen haben.“

„Um Gottes Willen, meine Herren, was haben Sie mit mir vor? Soll ich hier heimlich gemordet werden?“ rief der kreideweiß gewordene Junker.

„Nein, morden sicher nicht,“ erwiderte der älteste Officier, „aber hier ist ein junger Mann, der noch ein Wörtchen mit Ihnen zu sprechen hat.“

Der Corporal der Gardejäger trat nun vor, warf einen durchbohrenden Blick auf Herrn v. B. und fragte denselben mit bebender Stimme: „Kannten Sie einen Wachtmeister Hohnemann, den General d’Albignac kriegsrechtlich erschießen ließ? Wurde er nicht durch Ihre Vermittelung in Fritzlar verhaftet? Auge um Auge, Zahn um Zahn!“

„Barmherzigkeit! Tödten Sie mich nicht! Ich will ja Alles bekennen,“ schrie v. B., dem die Haare zu Berge standen.

„Wir sagten Ihnen bereits, daß wir keine Mörder sind, obgleich ein solcher Spion unter allen ehrlichen Leuten vogelfrei ist, aber Satisfaction müssen Sie diesem jungen Manne geben, dessen nächsten Blutsverwandten Sie verriethen,“ ertönte die tiefe Stimme des Cürassierofficiers.

„Ich mich mit einem Corporal schlagen? das geht ja nicht! Ich, ein Herr aus dem ältesten preußischen Adel, soll mit einem bürgerlichen Unteroffizier die Klinge kreuzen! was würden meine frühern Cameraden dazu sagen?“

„Und ich sage Ihnen, Sie werden sich schlagen, oder Ihr Schicksal trifft Sie hier,“ erwiderte einer der Officiere, indem er einen Strick unter dem Mantel hervorzog und die Pantomime des Hängens machte.

Der Junker schauderte zurück, als wenn ihn eine Schlange gestochen hätte, so sehr hatte diese Drohung auf ihn gewirkt. „Nun, wenn es sein muß,“ stöhnte er, „so will ich Satisfaction geben, aber wie und wo und auf welche Waffen?“ –

„Freut mich der preußischen Armee wegen, daß Sie sich dazu verstehen,“ sagte der ältere Officier, „es ist schon für Alles gesorgt; kommen die Herren nur mit in’s Freie, die Sache wird bald abgethan sein. Aber keinen Fluchtversuch, Herr v. B., das muß ich mir ausbitten.“ –

Eine Minute später schritten die fünf Männer, Herr v. B. in der Mitte, über den vor Frost knirschenden Schnee nach der fest überfrorenen Fulda zu, während aus der nahen Orangeriekaserne die muntern Soldatengesänge erschallten und in der Stadt hoch oben in der Höhe die Glocken das neue Jahr einläuteten. Der Mond schien fast mit Tageshelle und erhellte die Winterlandschaft mit einer solchen Klarheit, daß man fast die kleinsten Gegenstände erkennen konnte. Am Ufer des von der strengen Kälte mit fußdickem Eise überbrückten Flusses angekommen, bemerkte v. B. zwei Sappeure, die auf ihre glänzenden Aexte gelehnt eine große Oeffnung betrachteten, unter welcher die schwarzen Gewässer des Flusses rasch dahinströmten.

„Herr Major,“ sagte der eine, militärisch salutirend, „wir hatten schon gedacht, Sie würden nicht kommen, und waren schon besorgt, daß bei der strengen Kälte das Loch wieder zufrieren würde.“

„Alles recht,“ sagte der Cürassier, „geht nur in Gottes Namen und sorgt dafür, daß hier keine Störung eintritt.“ –

Die Sappeure gingen, scheue Blicke hinter sich werfend. –

„Nun, Herr v. B., und Sie, Herr Corporal, treten Sie vor und entledigen Sie sich Ihrer Überkleider; hier sind die Degen“ – einer der beiden andern Officiere zog deren zwei unter dem Mantel hervor – „hier ein Fünffrankenthaler, Kopf oder Wappen?“

„Kopf!“ rief der Gardejäger, ehe der vor Schrecken halbtodte Junker nur sprechen konnte.

„Der Corporal hat die Wahl, übrigens hat das nichts zu bedeuten, denn die Klingen sind gleich lang und gleich gut. Nehmen Sie Ihre Distanz!“

Es dauerte nicht einen Augenblick, so war der Gardejäger schon auf seinem Stande und hatte sich die Augen finster rollend ausgelegt, nur Herr v. B., der mit unsicherer Hand den ihm zukommenden Degen ergriffen hatte, machte keine Miene anzutreten; seine Kniee schlotterten und seine Zähne klapperten, aber nicht vor Kälte, sondern aus Furcht. Todesangst, Scham und Gewissensbisse erzeugten bei ihm einen Seelenkampf, der seinen Geist umnachtete. Vergebens spähte er nach Hülfe umher, plötzlich wie von einem rettenden Gedanken gepackt, sprang er, einen wilden Schrei ausstoßend, nach vorwärts, aber nicht auf seinen ruhig wartenden Gegner, und verschwand mit einem Satze durch die in das Eis gehauene Oeffnung in den Wellen der ruhig dahinfließenden Fulda. Der Sprung war so schnell und überraschend geschehen, daß keiner der Anwesenden ihn daran hindern konnte, auch tauchte er nicht wieder auf, da ihn die Strömung augenblicklich unter die Eisdecke führen mußte. Bestürzt schauten sich die Officiere an, und dem eben noch so furchtlosen Chasseur fiel der Degen rasselnd aus der Hand. –

„Den hat Gott gerichtet, meine Herren,“ sagte der Cürassierofficier, „lassen Sie uns ein Vaterunser beten“ – – –


Trotzdem daß alle Spuren des unglücklichen Ereignisses mit vorsichtiger Hand vertilgt waren und daß die strenge Kälte schon am nächsten Morgen das nasse Grab mit einer festen Eisdecke geschlossen hatte, tauchten doch nach einiger Zeit in Kassel über das Verschwinden des Herrn v. B. Gerüchte auf, welche der Wahrheit mehr oder minder nahe kamen. Dem Polizeiminister waren einige Indicien zu Ohren gekommen, die ihn bewogen, zum Könige zu gehen, um sich Verhaltungsregeln zu holen. Dieser hörte ihn ruhig an und sagte dann gelassen: „Man liebt den Verrath und haßt den Verräther.“ –

Die einzige Folge war, daß die Betheiligten in entfernte kleine Garnisonen versetzt wurden, wo sie bis zu dem Ausbruche des russischen Krieges lebten, in welchem Alle, bis auf Einen, dem wir diese Geschichte verdanken, den Tod fanden. –